hartmut
01.04.2005, 14:51
Neonazistische Szene in Petersburg - gewaltsame Übergriffe auf Nichtregierungsorganisation MEMORIAL
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde von Memorial!
In Petersburg häufen sich gewaltsame Übergriffe auf Mitarbeiter und Einrichtungen der Nichtregierungsorganisation MEMORIAL. Von Untersuchungsbehörden wird zumeist „Rowdytum“ als Tatmotiv angegeben, die Täter selbst nur selten gefunden bzw. rechtskräftig verurteilt. Dass die eigentlichen Hintergründe dieser Gewaltakte jedoch politischer Natur sind und die Täter der neonazistischen Szene entstammen, wird jedoch allzu häufig verschwiegen.
Der jüngste Überfall fand auf das Wissenschaftliche Informationszentrum MEMORIAL in St. Petersburg (uliza Rubinstejna, 23) in der Nacht auf den 19.02.2005 statt: 3 Unbekannte geben sich als Kollegen von MEMORIAL Moskau aus und schlagen nach Öffnen der Tür den Mitarbeiter Emmanuil Lazarewitsch Poljakow brutal zusammen. Der 59-jährige Übersetzer erleidet eine Gehirnerschütterung und liegt seitdem mit Kiefer- und Knochenbrüchen im Krankenhaus. Ob er aufgrund starker Augenverletzungen seine volle Sehfähigkeit wieder zurück erhält, wird von einer dringend notwendigen Operation abhängen.
Über die Herkunft der Täter kann noch keine genaue Aussage getroffen werden. Das Büro wurde nicht ziellos verwüstet, vielmehr gezielt durchsucht und ausgeraubt: aus einer großen Anzahl von Ordnern wurden zwei mit der Aufschrift „Neonazismus“ und „Chodorkowskij“ durchwühlt. Entwendet wurden keine Computer, kein Geld, sondern transportable Geräte wie ein Multimedia-Projektor, Kopierer, Kommunikationstechnik etc. Die Polizei geht – wie bereits bei früheren Überfällen - von „Rowdytum“ als Tatmotiv aus. Gerade aber die Wiederholung derartiger Überfälle lassen politische Gründe für diese Gewalttaten immer realistischer erscheinen, zumal MEMORIAL St. Petersburg seit Jahren Projekte zu Antirassismus und Neonazismus durchführt sowie mit öffentlichen Aktionen und Publikationen für eine politische Lösung des Tschetschenienkonfliktes eintritt:
14.08.2003:
2 Männer überfallen das Büro von MEMORIAL St. Petersburg (uliza Rasjeshaja, 9) und fesseln die anwesenden Mitarbeiter – darunter den Geschäftsführer Wladimir Schnitke. Entwendet werden weder Geld noch Wertgegenstände, sondern ausschließlich Computer mit entsprechenden Daten. Die polizeilichen Untersuchungen verlaufen erfolglos, als Tatmotiv wird „Rowdytum“ angegeben. Nur durch Hilfe einer privat engagierten Detektei wird einer der Täter ausfindig gemacht: Vladimir Goljakov, der sich als Führer einer heidnisch-nazistischen Sekte ausgibt. Goljakov wird am 18.06.2004 zu 5 Jahren Haft verurteilt. Einen Tag später ereignet sich die Ermordung des Wissenschaftlers und MEMORIAL-Mitglieds Nikolaj Girenko.
19.06.2004:
Nikolaj Girenko – Wissenschaftler des St. Petersburger Museums für Ethnografie und Anthropologie und langjähriges Mitglied von MEMORIAL – wird durch seine Wohnungstür hindurch erschossen. Girenko hatte vor Jahren bereits eine Methode entwickelt, mit der ethnisch motivierte Gewalttaten von „gewöhnlichen“ Delikten unterschieden werden können. Rassistische Gewalttaten wurden bis dahin aufgrund fehlender wissenschaftlicher Kriterien zumeist nur als „Rowdytum“ eingestuft. Girenko hat ferner zahlreiche Gutachten über neonazistische Gruppierungen erstellt, die bei der Verurteilung von Tätern aus der rechten Szene von Bedeutung waren. Die Staatsanwaltschaft wollte auch in diesem Mordfall „Rowdytum“ als Tatmotiv nicht ausschließen, bis kurz nach dem Mord eine Gruppe namens „Russische Republik” ein so genanntes Todesurteil gegen Girenko veröffentlichte, der als „Feind des russischen Volkes” verurteilt worden sei. Girenko, so der Vorwurf, habe dabei geholfen, „russische Patrioten” zu inhaftieren.
11.12.2004:
Vor seiner Wohnungstür wird Wladimir Schnitke, Geschäftsführer von MEMORIAL St. Petersburg, von hinten auf den Kopf geschlagen und bricht bewusstlos zusammen (bereits vor 1 ½ Jahren wurde er im MEMORIAL-Büro überfallen). Aus seiner Tasche werden Computer und Notizbuch entwendet, Geld und Mobiltelefon hingegen werden nicht geraubt. Schnitke wird mit schwerer Gehirnerschütterung ins Krankenhaus eingeliefert.
MEMORIAL Deutschland bewertet mit großer Besorgnis die zunehmenden Angriffe auf seine Partnerorganisationen in Russland, die sich für die Wahrung von Menschenrechten in aktuellen Krisenzonen, den Schutz von Minderheiten innerhalb der russischen Gesellschaft und die Aufarbeitung totalitärer Vergangenheit einsetzen.
Kurz nach dem jüngsten Überfall auf das Wissenschaftliche Informationszentrum MEMORIAL besuchten wir unsere Petersburger Kollegen. Sie bewerten die Überfälle als massive Bedrohung und Versuch der Einschüchterung. Ihre Arbeit an den unterschiedlichen Projekten von MEMORIAL werden sie trotzdem fortsetzen. Mit großer Besorgnis sprechen sie von Ihrem Kollegen Emmanuil Poljakow, dem 59-jährigen Übersetzer, der nun mit schweren Verletzungen im Krankenhaus liegt. Eine Augenoperation ist dringend notwendig, um eine Erblindung zu verhindern. Für eine solche Operation einschließlich einer möglicherweise langen Nachversorgung werden entsprechende finanzielle Mittel benötigt, die momentan weder das Opfer selbst noch das Wissenschaftliche Informationszentrum von MEMORIAL besitzen. Wir bitten Sie dringend darum, mit einer Spende dazu beizutragen, diese notwendige medizinische Behandlung zu ermöglichen:
MEMORIAL Deutschland e.V.
Bank für Sozialwirtschaft Berlin
BLZ: 100 205 00
Konto-Nr.: 33200 00
Stichwort: Emmanuil Poljakow
Bitte berichten Sie auch in Ihrem Umkreis von diesen Vorfällen. Wir danken Ihnen für Ihre Unterstützung!
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde von Memorial!
In Petersburg häufen sich gewaltsame Übergriffe auf Mitarbeiter und Einrichtungen der Nichtregierungsorganisation MEMORIAL. Von Untersuchungsbehörden wird zumeist „Rowdytum“ als Tatmotiv angegeben, die Täter selbst nur selten gefunden bzw. rechtskräftig verurteilt. Dass die eigentlichen Hintergründe dieser Gewaltakte jedoch politischer Natur sind und die Täter der neonazistischen Szene entstammen, wird jedoch allzu häufig verschwiegen.
Der jüngste Überfall fand auf das Wissenschaftliche Informationszentrum MEMORIAL in St. Petersburg (uliza Rubinstejna, 23) in der Nacht auf den 19.02.2005 statt: 3 Unbekannte geben sich als Kollegen von MEMORIAL Moskau aus und schlagen nach Öffnen der Tür den Mitarbeiter Emmanuil Lazarewitsch Poljakow brutal zusammen. Der 59-jährige Übersetzer erleidet eine Gehirnerschütterung und liegt seitdem mit Kiefer- und Knochenbrüchen im Krankenhaus. Ob er aufgrund starker Augenverletzungen seine volle Sehfähigkeit wieder zurück erhält, wird von einer dringend notwendigen Operation abhängen.
Über die Herkunft der Täter kann noch keine genaue Aussage getroffen werden. Das Büro wurde nicht ziellos verwüstet, vielmehr gezielt durchsucht und ausgeraubt: aus einer großen Anzahl von Ordnern wurden zwei mit der Aufschrift „Neonazismus“ und „Chodorkowskij“ durchwühlt. Entwendet wurden keine Computer, kein Geld, sondern transportable Geräte wie ein Multimedia-Projektor, Kopierer, Kommunikationstechnik etc. Die Polizei geht – wie bereits bei früheren Überfällen - von „Rowdytum“ als Tatmotiv aus. Gerade aber die Wiederholung derartiger Überfälle lassen politische Gründe für diese Gewalttaten immer realistischer erscheinen, zumal MEMORIAL St. Petersburg seit Jahren Projekte zu Antirassismus und Neonazismus durchführt sowie mit öffentlichen Aktionen und Publikationen für eine politische Lösung des Tschetschenienkonfliktes eintritt:
14.08.2003:
2 Männer überfallen das Büro von MEMORIAL St. Petersburg (uliza Rasjeshaja, 9) und fesseln die anwesenden Mitarbeiter – darunter den Geschäftsführer Wladimir Schnitke. Entwendet werden weder Geld noch Wertgegenstände, sondern ausschließlich Computer mit entsprechenden Daten. Die polizeilichen Untersuchungen verlaufen erfolglos, als Tatmotiv wird „Rowdytum“ angegeben. Nur durch Hilfe einer privat engagierten Detektei wird einer der Täter ausfindig gemacht: Vladimir Goljakov, der sich als Führer einer heidnisch-nazistischen Sekte ausgibt. Goljakov wird am 18.06.2004 zu 5 Jahren Haft verurteilt. Einen Tag später ereignet sich die Ermordung des Wissenschaftlers und MEMORIAL-Mitglieds Nikolaj Girenko.
19.06.2004:
Nikolaj Girenko – Wissenschaftler des St. Petersburger Museums für Ethnografie und Anthropologie und langjähriges Mitglied von MEMORIAL – wird durch seine Wohnungstür hindurch erschossen. Girenko hatte vor Jahren bereits eine Methode entwickelt, mit der ethnisch motivierte Gewalttaten von „gewöhnlichen“ Delikten unterschieden werden können. Rassistische Gewalttaten wurden bis dahin aufgrund fehlender wissenschaftlicher Kriterien zumeist nur als „Rowdytum“ eingestuft. Girenko hat ferner zahlreiche Gutachten über neonazistische Gruppierungen erstellt, die bei der Verurteilung von Tätern aus der rechten Szene von Bedeutung waren. Die Staatsanwaltschaft wollte auch in diesem Mordfall „Rowdytum“ als Tatmotiv nicht ausschließen, bis kurz nach dem Mord eine Gruppe namens „Russische Republik” ein so genanntes Todesurteil gegen Girenko veröffentlichte, der als „Feind des russischen Volkes” verurteilt worden sei. Girenko, so der Vorwurf, habe dabei geholfen, „russische Patrioten” zu inhaftieren.
11.12.2004:
Vor seiner Wohnungstür wird Wladimir Schnitke, Geschäftsführer von MEMORIAL St. Petersburg, von hinten auf den Kopf geschlagen und bricht bewusstlos zusammen (bereits vor 1 ½ Jahren wurde er im MEMORIAL-Büro überfallen). Aus seiner Tasche werden Computer und Notizbuch entwendet, Geld und Mobiltelefon hingegen werden nicht geraubt. Schnitke wird mit schwerer Gehirnerschütterung ins Krankenhaus eingeliefert.
MEMORIAL Deutschland bewertet mit großer Besorgnis die zunehmenden Angriffe auf seine Partnerorganisationen in Russland, die sich für die Wahrung von Menschenrechten in aktuellen Krisenzonen, den Schutz von Minderheiten innerhalb der russischen Gesellschaft und die Aufarbeitung totalitärer Vergangenheit einsetzen.
Kurz nach dem jüngsten Überfall auf das Wissenschaftliche Informationszentrum MEMORIAL besuchten wir unsere Petersburger Kollegen. Sie bewerten die Überfälle als massive Bedrohung und Versuch der Einschüchterung. Ihre Arbeit an den unterschiedlichen Projekten von MEMORIAL werden sie trotzdem fortsetzen. Mit großer Besorgnis sprechen sie von Ihrem Kollegen Emmanuil Poljakow, dem 59-jährigen Übersetzer, der nun mit schweren Verletzungen im Krankenhaus liegt. Eine Augenoperation ist dringend notwendig, um eine Erblindung zu verhindern. Für eine solche Operation einschließlich einer möglicherweise langen Nachversorgung werden entsprechende finanzielle Mittel benötigt, die momentan weder das Opfer selbst noch das Wissenschaftliche Informationszentrum von MEMORIAL besitzen. Wir bitten Sie dringend darum, mit einer Spende dazu beizutragen, diese notwendige medizinische Behandlung zu ermöglichen:
MEMORIAL Deutschland e.V.
Bank für Sozialwirtschaft Berlin
BLZ: 100 205 00
Konto-Nr.: 33200 00
Stichwort: Emmanuil Poljakow
Bitte berichten Sie auch in Ihrem Umkreis von diesen Vorfällen. Wir danken Ihnen für Ihre Unterstützung!