PDA

Vollständige Version anzeigen : "Ich bitte nicht um Gnade"



PSI
30.11.2009, 21:50
Eine erschütternde Zeitreise: Vor 50 Jahren wurde Imre Nagy, Führer des Ungarn-Aufstands, zum Tode verurteilt. Jetzt dokumentiert ein Tonbandmitschnitt den Geheimprozess.

http://wpcontent.answers.com/wikipedia/en/thumb/a/a5/ImreNagy.jpg/225px-ImreNagy.jpg

"In Anbetracht Ihres Alters dürfen Sie während des Verhörs sitzen", sagt der Richter. Der Angeklagte ist 62 Jahre alt, herzkrank und stark abgemagert nach anderthalb Jahren Isolationshaft in einer feuchten Zelle.

Hinsetzen will er sich dennoch nicht. Imre Nagy, Führer des Ungarn-Aufstands von 1956, will an diesem Tag im Juni 1958 vor dem Budapester Volksgericht stehen. Er will so sprechen, als sei ganz Ungarn sein Publikum.

Er hofft, dass man ihn dereinst hören werde. Dazu hatte Nagy kaum Grund, denn sein Prozess war streng geheim, anders als die stalinistischen Schauprozesse, deren Ziel es war, dem Volk vorzuführen, wie reuige Abweichler von der Parteilinie Selbstkritik üben.

Im Fall Nagy war das anders. Er war während der Untersuchungshaft standhaft geblieben. Nur für den Gebrauch der damaligen Machthaber wurde der gesamte Prozess auf Magnetband aufgezeichnet.

Als Ikone ungeeignet

Jetzt, 50 Jahre danach, war dieser unglaubliche Mitschnitt erstmals öffentlich zu hören, im Budapester Open-Society-Archiv (OSA). Es waren lange 52 Stunden an sieben Prozesstagen, in Realzeit. Pausen gab es nur, wenn die Tonbandstimme des Richters dies anordnete.

Diese erschütternde Zeitreise haben allerdings überraschenderweise nur etwa 50 Zuhörer mitgemacht. Für das geringe Interesse gibt es Erklärungen. Imre Nagy, für die westliche Welt der letzte große ungarische Freiheitskämpfer, ist für das eigene Land "als Ikone ungeeignet", sagt dazu der Historiker Peter Kende.

Ungarns Linke hätten dem Thema gegenüber Komplexe, weil sie eher vom ideologischen Erbe des zum Gulaschkommunisten gewandelten János Kádár lebten, der nach Nagys Sturz von den Sowjets an die Macht gebracht wurde. Die Rechten wiederum hätten ein Problem mit Nagy, weil er ein überzeugter Kommunist war.

Kádár jedenfalls hatte damals Angst vor Nagys Popularität. Deshalb war er derjenige, der das größte Interesse daran hatte, dass Nagy beseitigt wird - nicht die Sowjets. Moskau hatte damals dazu nur nach Budapest gekabelt, man möge "Strenge und Großzügigkeit" walten lassen.

Jedenfalls brauchte Kádár die Tonaufnahme für alle Fälle, als Beweis dafür, dass man die Rädelsführer der Revolte nicht einfach ohne Prozess umgebracht hat. Zugleich hatte Kádár Angst vor einer Veröffentlichung des Tonbandes, weil dies ihn kompromittiert hätte.

(...)

Sieben Tage später, nach der Urteilsverkündung, lehnt er wieder jedes Schuldbekenntnis ab, anders als alle anderen sieben Angeklagten. Stattdessen wendet er sich an die Weltöffentlichkeit: "Mein einziger Trost ist es, dass mich das ungarische Volk und die internationale Arbeiterklasse von jenen schweren Anschuldigungen freisprechen werden."

Den Bezug auf die Arbeiterklasse hat die ungarische Regisseurin Márta Mészáros in ihrer Nagy-Verfilmung vor drei Jahren gestrichen, auf Druck der Nagy-Erben, die ihn nicht als Kommunisten gelten lassen wollten.

"Ich bitte nicht um Gnade", das ist Nagys letzter Satz auf dem Band. Am nächsten Morgen, dem 16. Juni 1958, wird er gehängt, schuldig gesprochen wegen Landesverrats und versuchten Sturzes der "volksdemokratischen Staatsordnung".
http://www.sueddeutsche.de/kultur/737/445474/text/
http://de.wikipedia.org/wiki/Imre_Nagy

PSI
30.11.2009, 21:53
Ein großartiges Vorbild!

http://www.bananaboot.de/images/prod_img_normal/bu_rote_faust.jpg

borisbaran
30.11.2009, 22:29
Opfer des Kommunismus.

fatalist
30.11.2009, 22:40
Respekt. Ein mutiger Mann

PSI
01.12.2009, 16:24
Opfer des Kommunismus.

Depp.

Der Mann war selbst ein Kommunist, nur hat er im Gegensatz zu dir und den Verbrechern in Moskau den Kommunismus verstanden.

PSI
01.12.2009, 16:25
Respekt. Ein mutiger Mann

Allerdings. Danke für die objektive Beurteilung! :top:

fatalist
01.12.2009, 18:13
Allerdings.

Leider ist der Weg zur Hölle gepflastert mit guten Absichten.
Alter Spruch, trotzdem wahr...

In seiner kurzen Amtszeit während des Aufstands führte er das Mehrparteiensystem wieder ein und erklärte am 1. November 1956 Ungarns Austritt aus dem Warschauer Pakt. Drei Tage später überrollten sowjetische Panzer das Land

schastar
01.12.2009, 18:29
Mutig war er sicher, auch wußte er wohl worauf er sich einlassen würde, aber als Friedrich Leibacher hätte er was bewegen können, und wenn es noch mehr solche gäbe wäre das auch kein Fehler.