Apotheos
22.11.2009, 18:15
Kommunismus und Demokratie
Der "erste Schritt in der Arbeiterrevolution (ist) die Erhebung des Proletariats zur herrschenden Klasse, die Erkämpfung der Demokratie" heißt es im Manifest der Kommunistischen Partei von 1848. Jedoch seit langem schon ist die Vorstellung verbreitet, dass Sozialdemokraten für Demokratie, nicht für wirklichen Sozialismus, die Kommunisten für den Sozialismus, aber nicht für richtige Demokratie eintreten würden.
Die SED-Bibel "Wörterbuch des wissenschaftlichen Kommunismus" bestätigt nur diesen Eindruck, denn weder sind dort Menschenrechte erwähnt, noch gibt es Stichwörter für Freiheit, Emanzipation, oder Unterdrückung. Demokratie erscheint als "sozialistische Demokratie", von der es dort heißt: "sie ist der höchste Typ der politischen Demokratie, den die Geschichte kennt. Durch sie werden die formale bürgerliche Demokratie überwunden und erstmals die reale Volksherrschaft verwirklicht...Voraussetzung und höchster Ausdruck der sozialistischen Demokratie ist die Verwirklichung der wachsenden Füh-rungsrolle der marxistisch-leninistischen Partei." (Berlin, 2. Aufl. 1984, S. 345)
Sozialistischer „Vater Staat“
Die SED-Herrschaft in der früheren DDR ließ sich nur unter Vergewaltigung der Vernunft als Verwirklichung wahrer Demokratie ausgeben. Gegenüber dem heutigen China machen Sinologen und "China-watchers" viel Aufhebens von der Feststellung, dass politische Strukturen und politisches Denken im sozialistischen China stark vom Konfuzianismus und der Tradition des Kaiser*hofes beeinflusst sind. Dass der chinesische Kaiser ein "Mandat des Himmels" gehabt habe, entsprach ungefähr der europäischen Vorstellung vom Gottesgnadentum des Herrschers. Anders als in der europäischen Geschichte billigten die chinesischen Gelehrten den Bauern jedoch ein Recht auf Revolution zu, falls der Kaiser und sein Beamtenapparat besonders korrupt war. Dann fiel das himmlische Mandat in die Hände von aufständischen Bauernführern, die eine neue Kaiserdynastie begründeten. Sie stürzten den Kaiser, aber nicht den Kaiserthron.
Patriarchalisches oder bevormundendes Denken durchdringt heute noch öffentliches und privates Leben in China. In den Familien werden Kinder nicht mit ihrem Namen, sondern mit der Rangfolge ihrer Geburt gerufen, die ihren Einfluss in der Familie begründet: großer Bruder, große Schwester, zweiter Bruder, zweite Schwester, dritter Bruder usw. In vielen Fällen entscheiden Eltern noch über die Hochzeitspartner ihrer Söhne und Töchter. Die Bezeichnung "Kind" wird frühestens mit der Eheschließung abgelegt. Selbst für 30-jährige ist es nichts ungewöhnliches, wenn sie in der Öffentlichkeit als "Kinder" bezeichnet werden, vor allem, wenn es sich um Frauen handelt.
In der Armee-Zeitung schrieb kürzlich ein Kommentator: "Als China noch feudalistisch war, bezeichneten einfache Leute die Beamten als ihre "Eltern". Sie hatten die Macht von Halbgöttern und kleinen Kaisern und trafen lebenswichtige Entscheidungen für ihre Untertanen genau wie Eltern gegenüber ihren Kindern. Zu meinem Erstaunen haben auch heute noch viele Leute dieselbe Vorstellung. Einige Zeitungen haben sogar Kolumnen eröffnet, die zum Beispiel heißen: "Städtische Beamte - unsere Eltern". Statt sich wie Eigentümer des Staates aufzuführen, sollten sich die Beamten auf den verschiedenen Verwaltungsebenen des Staates besser wie Diener des Volkes verhalten." (vgl. China Daily, 19.12. 1992)
Ob sich chinesische Funktionäre wie "Väter" oder wie "Diener" aufführen, liegt weitgehend in ihrem eigenen Ermessen. Ihre Untergebenen haben kaum systemkonforme Mittel, darauf Einfluss zu nehmen.
Aber mit der Feststellung, dass politische Strukturen und Gewohnheiten im Feudalismus wurzeln, ist nicht viel an Analyse gewonnen. Diese Sinologen tun so, als stammten die westlichen Regierungsformen aus dem Jahr 1945. Die europäischen Parlamente gehen auf alte Aristokratenversammlungen zurück und haben bisher wenig von ihrer Volksferne verloren. Die Büttel, Schergen und Lakaien, der ganze Beamtenstand stammt aus der Zeit des europäischen Absolutismus, und noch immer haben diese "Staatsdiener" soviel Privilegien, aber auch so wenig Freiheiten, dass sie als botmäßiges Werkzeug jeder Regierung dienen. Dieselbe Beamtenschaft folgte Hitler bis zum letzten Atemzug und diente anschließend herüben Adenauer und Erhard und drüben Ulbricht und Honecker. Das deutsche Offizierskorps schließlich geht auf das mittelalterliche Ritterheer zurück, und bewahrt immer noch so sehr seine Sonderexistenz gegenüber der Gesellschaft, dass sein Vorhandensein und seine Tätigkeit sorgsam aus den Zeitungsspalten ferngehalten werden.
Sowohl in der absurden Theorie von der "realen Volksherrschaft" in der DDR wie bei den vordemokratischen Verhältnissen in China fallen Kommunismus und Demokratie auseinander. Allerdings führen Rückschlüsse von den politischen Verhältnissen in der DDR auf das heutige China fast immer in die Irre: In der DDR war auf Seiten der Obrigkeit wie bei den "Untertanen" die Situation eher schlimmer als in China: Die Macht der SED war von außerhalb, von Moskau aus, begrenzt, was die Machtkontrolle von Seiten der Bevölkerung nur erschwerte. Und die DDR-Bevölkerung bewahrte besonders brav ihren preußischdeutschen, nationalsozialistisch geformten Untertanengeist.
In China dagegen fürchten die Parteioberen "ihr" Volk um so mehr, als sie einerseits nicht mit der Intervention sowjetischer Panzer drohen können, und andererseits viele Chinesen noch eine anarchische Spontaneität besitzen, die nicht davor zurückschreckt, unliebsame Entscheidungen der Parteiführung dadurch unwirksam zu machen, dass die lokalen "Volksdiener" verprügelt werden. Viele Dekrete und Bestimmungen in China gelten wie die Verkehrsregeln nur in Sichtweite der Vorgesetzten.
Friedrich Engels definierte einmal einen "Staat mit despotischer Regierung" als den Staat, der "frei gegenüber seinen Bürgern ist" (F. Engels in dem Brief an August Bebel vom 18./28. März 1975), so dass die Bürger dem Willen der Regierung schutzlos ausgeliefert sind. Nach diesem Kriterium war die SED-Regierung mindestens so despotisch wie das heutige China.
Einige Schlaumeier verfielen auf die Idee, allen Ländern, die nicht ihrem Demokratie-verständnis entsprachen, den sozialistischen Charakter abzusprechen. Entweder ist das nur ein Streit um Worte oder diese Leute glauben, Staatsformen wälzten sich im Gleichschritt zusammen mit den Eigentumsverhältnissen um, und jede Produktionsweise würde jeweils nur einen bestimmten Staatstyp zulassen. Lenin sprach sogar von der Möglichkeit, "dass im Kommunismus nicht nur das bürgerliche Recht eine gewisse Zeit fortbesteht, sondern sogar auch der bürgerliche Staat - ohne Bourgeoisie!" (Lenin: Staat und Revolution. In: Ausgewählte Werke in 3 Bänden, Berlin 1970. 8. Aufl., Band 2, S. 400) Warum nicht auch ein Gemisch aus feudalem und bürgerlichem Staat in China?
Die blutige Niederwerfung der Protestbewegung von 1989 konnte im Ausland den falschen Eindruck erwecken, die Macht der chinesischen Kommunisten stütze sich hauptsächlich auf Panzer und Angst. Solange die chinesische KP erfolgreich die wirtschaftliche Rückständigkeit Chinas beseitigt und den Lebensstandard hebt, hat sie die Unterstützung der großen Mehrheit, auch wenn niemand daran zweifeln kann, dass die gleiche Mehrheit mit den politischen Verhältnissen unzufrieden ist. In einer Umfrage von 1992 unter 50.000 chinesischen ArbeiterInnen äußerten 77 Prozent die Ansicht, dass "politische Demokratie die Wirtschaftsentwicklung fördere".( China Daily, 4.4.1993)
Weiter gehts hier: http://www.marx-forum.de/geschichte/china/demokratie.html
Der "erste Schritt in der Arbeiterrevolution (ist) die Erhebung des Proletariats zur herrschenden Klasse, die Erkämpfung der Demokratie" heißt es im Manifest der Kommunistischen Partei von 1848. Jedoch seit langem schon ist die Vorstellung verbreitet, dass Sozialdemokraten für Demokratie, nicht für wirklichen Sozialismus, die Kommunisten für den Sozialismus, aber nicht für richtige Demokratie eintreten würden.
Die SED-Bibel "Wörterbuch des wissenschaftlichen Kommunismus" bestätigt nur diesen Eindruck, denn weder sind dort Menschenrechte erwähnt, noch gibt es Stichwörter für Freiheit, Emanzipation, oder Unterdrückung. Demokratie erscheint als "sozialistische Demokratie", von der es dort heißt: "sie ist der höchste Typ der politischen Demokratie, den die Geschichte kennt. Durch sie werden die formale bürgerliche Demokratie überwunden und erstmals die reale Volksherrschaft verwirklicht...Voraussetzung und höchster Ausdruck der sozialistischen Demokratie ist die Verwirklichung der wachsenden Füh-rungsrolle der marxistisch-leninistischen Partei." (Berlin, 2. Aufl. 1984, S. 345)
Sozialistischer „Vater Staat“
Die SED-Herrschaft in der früheren DDR ließ sich nur unter Vergewaltigung der Vernunft als Verwirklichung wahrer Demokratie ausgeben. Gegenüber dem heutigen China machen Sinologen und "China-watchers" viel Aufhebens von der Feststellung, dass politische Strukturen und politisches Denken im sozialistischen China stark vom Konfuzianismus und der Tradition des Kaiser*hofes beeinflusst sind. Dass der chinesische Kaiser ein "Mandat des Himmels" gehabt habe, entsprach ungefähr der europäischen Vorstellung vom Gottesgnadentum des Herrschers. Anders als in der europäischen Geschichte billigten die chinesischen Gelehrten den Bauern jedoch ein Recht auf Revolution zu, falls der Kaiser und sein Beamtenapparat besonders korrupt war. Dann fiel das himmlische Mandat in die Hände von aufständischen Bauernführern, die eine neue Kaiserdynastie begründeten. Sie stürzten den Kaiser, aber nicht den Kaiserthron.
Patriarchalisches oder bevormundendes Denken durchdringt heute noch öffentliches und privates Leben in China. In den Familien werden Kinder nicht mit ihrem Namen, sondern mit der Rangfolge ihrer Geburt gerufen, die ihren Einfluss in der Familie begründet: großer Bruder, große Schwester, zweiter Bruder, zweite Schwester, dritter Bruder usw. In vielen Fällen entscheiden Eltern noch über die Hochzeitspartner ihrer Söhne und Töchter. Die Bezeichnung "Kind" wird frühestens mit der Eheschließung abgelegt. Selbst für 30-jährige ist es nichts ungewöhnliches, wenn sie in der Öffentlichkeit als "Kinder" bezeichnet werden, vor allem, wenn es sich um Frauen handelt.
In der Armee-Zeitung schrieb kürzlich ein Kommentator: "Als China noch feudalistisch war, bezeichneten einfache Leute die Beamten als ihre "Eltern". Sie hatten die Macht von Halbgöttern und kleinen Kaisern und trafen lebenswichtige Entscheidungen für ihre Untertanen genau wie Eltern gegenüber ihren Kindern. Zu meinem Erstaunen haben auch heute noch viele Leute dieselbe Vorstellung. Einige Zeitungen haben sogar Kolumnen eröffnet, die zum Beispiel heißen: "Städtische Beamte - unsere Eltern". Statt sich wie Eigentümer des Staates aufzuführen, sollten sich die Beamten auf den verschiedenen Verwaltungsebenen des Staates besser wie Diener des Volkes verhalten." (vgl. China Daily, 19.12. 1992)
Ob sich chinesische Funktionäre wie "Väter" oder wie "Diener" aufführen, liegt weitgehend in ihrem eigenen Ermessen. Ihre Untergebenen haben kaum systemkonforme Mittel, darauf Einfluss zu nehmen.
Aber mit der Feststellung, dass politische Strukturen und Gewohnheiten im Feudalismus wurzeln, ist nicht viel an Analyse gewonnen. Diese Sinologen tun so, als stammten die westlichen Regierungsformen aus dem Jahr 1945. Die europäischen Parlamente gehen auf alte Aristokratenversammlungen zurück und haben bisher wenig von ihrer Volksferne verloren. Die Büttel, Schergen und Lakaien, der ganze Beamtenstand stammt aus der Zeit des europäischen Absolutismus, und noch immer haben diese "Staatsdiener" soviel Privilegien, aber auch so wenig Freiheiten, dass sie als botmäßiges Werkzeug jeder Regierung dienen. Dieselbe Beamtenschaft folgte Hitler bis zum letzten Atemzug und diente anschließend herüben Adenauer und Erhard und drüben Ulbricht und Honecker. Das deutsche Offizierskorps schließlich geht auf das mittelalterliche Ritterheer zurück, und bewahrt immer noch so sehr seine Sonderexistenz gegenüber der Gesellschaft, dass sein Vorhandensein und seine Tätigkeit sorgsam aus den Zeitungsspalten ferngehalten werden.
Sowohl in der absurden Theorie von der "realen Volksherrschaft" in der DDR wie bei den vordemokratischen Verhältnissen in China fallen Kommunismus und Demokratie auseinander. Allerdings führen Rückschlüsse von den politischen Verhältnissen in der DDR auf das heutige China fast immer in die Irre: In der DDR war auf Seiten der Obrigkeit wie bei den "Untertanen" die Situation eher schlimmer als in China: Die Macht der SED war von außerhalb, von Moskau aus, begrenzt, was die Machtkontrolle von Seiten der Bevölkerung nur erschwerte. Und die DDR-Bevölkerung bewahrte besonders brav ihren preußischdeutschen, nationalsozialistisch geformten Untertanengeist.
In China dagegen fürchten die Parteioberen "ihr" Volk um so mehr, als sie einerseits nicht mit der Intervention sowjetischer Panzer drohen können, und andererseits viele Chinesen noch eine anarchische Spontaneität besitzen, die nicht davor zurückschreckt, unliebsame Entscheidungen der Parteiführung dadurch unwirksam zu machen, dass die lokalen "Volksdiener" verprügelt werden. Viele Dekrete und Bestimmungen in China gelten wie die Verkehrsregeln nur in Sichtweite der Vorgesetzten.
Friedrich Engels definierte einmal einen "Staat mit despotischer Regierung" als den Staat, der "frei gegenüber seinen Bürgern ist" (F. Engels in dem Brief an August Bebel vom 18./28. März 1975), so dass die Bürger dem Willen der Regierung schutzlos ausgeliefert sind. Nach diesem Kriterium war die SED-Regierung mindestens so despotisch wie das heutige China.
Einige Schlaumeier verfielen auf die Idee, allen Ländern, die nicht ihrem Demokratie-verständnis entsprachen, den sozialistischen Charakter abzusprechen. Entweder ist das nur ein Streit um Worte oder diese Leute glauben, Staatsformen wälzten sich im Gleichschritt zusammen mit den Eigentumsverhältnissen um, und jede Produktionsweise würde jeweils nur einen bestimmten Staatstyp zulassen. Lenin sprach sogar von der Möglichkeit, "dass im Kommunismus nicht nur das bürgerliche Recht eine gewisse Zeit fortbesteht, sondern sogar auch der bürgerliche Staat - ohne Bourgeoisie!" (Lenin: Staat und Revolution. In: Ausgewählte Werke in 3 Bänden, Berlin 1970. 8. Aufl., Band 2, S. 400) Warum nicht auch ein Gemisch aus feudalem und bürgerlichem Staat in China?
Die blutige Niederwerfung der Protestbewegung von 1989 konnte im Ausland den falschen Eindruck erwecken, die Macht der chinesischen Kommunisten stütze sich hauptsächlich auf Panzer und Angst. Solange die chinesische KP erfolgreich die wirtschaftliche Rückständigkeit Chinas beseitigt und den Lebensstandard hebt, hat sie die Unterstützung der großen Mehrheit, auch wenn niemand daran zweifeln kann, dass die gleiche Mehrheit mit den politischen Verhältnissen unzufrieden ist. In einer Umfrage von 1992 unter 50.000 chinesischen ArbeiterInnen äußerten 77 Prozent die Ansicht, dass "politische Demokratie die Wirtschaftsentwicklung fördere".( China Daily, 4.4.1993)
Weiter gehts hier: http://www.marx-forum.de/geschichte/china/demokratie.html