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Apotheos
21.11.2009, 01:16
In diesem Thread darf jeder Dichtung ( Gedichte, Kurzprosa/lyrische Prosa... ) einstellen, die einzige Bedingung ist jedoch ein illustrierendes Bild zu dem Geschriebenen, welches eurer Meinung nach dazu passt. Ziel ist, dadurch diesem Thread ein höheres Niveau zu geben. Ich beginne mit einem meiner Lieblingsdichter.


aus Fernen, aus Reichen

was dann nach jener Stunde
sein wird, wenn dies geschah,
weiß niemand, keine Kunde
kam je von da,

von den erstickten Schlünden,
von dem gebrochnen Licht,
wird es sich neu entzünden,
ich meine nicht.

doch sehe ich ein Zeichen:
über das Schattenland
aus Fernen, aus Reichen
eine große, schöne Hand,
die wird mich nicht berühren,
das läßt der Raum nicht zu:
doch werde ich sie spüren
und das bist du.

und du wirst niedergleiten
am Strand, am Meer,
aus Fernen, aus Weiten:
»- erlöst auch er«;
ich kannte deine Blicke
und in des tiefsten Schoß
sammelst du unsere Glücke,
den Traum, das Loos.

ein Tag ist zu Ende,
die Reifen fortgebracht,
dann spielen noch zwei Hände
das Lied der Nacht,
vom Zimmer, wo die Tasten
den dunklen Laut verwehn,
sieht man das Meer und die Masten
hoch nach Norden gehn.

wenn die Nacht wird weichen,
wenn der Tag begann,
trägst du Zeichen,
die niemand deuten kann,
geheime Male
von fernen Stunden krank
und leerst die Schale,
aus der ich vor dir trank.


Gottfried Benn (1927)

http://www.kassiber.de/images/fernenreichen.jpg

Salazar
21.11.2009, 01:35
Fernando Pessoa - Mar Português (Aus Mensagem)


Ó mar salgado, quanto do teu sal
São lágrimas de Portugal!
Por te cruzarmos, quantas mães choraram,
Quantos filhos em vão rezaram!

Quantas noivas ficaram por casar
Para que fosses nosso, ó mar!
Valeu a pena? Tudo vale a pena
Se a alma não é pequena.

Quem quere passar além do Bojador
Tem que passar além da dor.
Deus ao mar o perigo e o abismo deu,
Mas nele é que espelhou o céu.

http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/f/f6/Padr%C3%A3o_Descobrimentos_April_2009-3c.jpg/480px-Padr%C3%A3o_Descobrimentos_April_2009-3c.jpg

Schaue gerade ob ich eine Übersetzung finde.

So hier ist sie:

X Portugiesisches Meer

O salzige Flut, wieviel von deinem Salz
sind Tränen Portugals!
Dich zu befahren, weinten Mütter,
klang Kinderbeten klagebitter;
wie viele Brautgemächer blieben leer,
auf daß du unser seist, o Meer!

Lohnt' es die Müh'? Die Müh' ist nie verloren,
wenn nur die Seele groß geboren.
Willst du Kap Bojador bezwingen,
mußt du den Schmerz erst niederringen.
Gott schloß das Meer mit Abgrundsiegeln
und ließ es doch den ganzen Himmel spiegeln.

Apotheos
21.11.2009, 17:22
Todesfuge

Schwarze Milch der Frühe wir trinken sie abends
wir trinken sie mittags und morgens wir trinken sie nachts
wir trinken und trinken
wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng
Ein Mann wohnt im Haus der spielt mit den Schlangen der schreibt
der schreibt wenn es dunkelt nach Deutschland dein goldenes Haar Margarete
er schreibt es und tritt vor das Haus und es blitzen die Sterne er pfeift seine Rüden herbei

er pfeift seine Juden hervor läßt schaufeln ein Grab in der Erde
er befiehlt uns spielt auf nun zum Tanz

Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts
wir trinken dich morgens und mittags wir trinken dich abends
wir trinken und trinken
Ein Mann wohnt im Haus der spielt mit den Schlangen der schreibt
der schreibt wenn es dunkelt nach Deutschland dein goldenes Haar Margarete
Dein aschenes Haar Sulamith wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng

Er ruft stecht tiefer ins Erdreich ihr einen ihr andern singet und spielt
er greift nach dem Eisen im Gurt er schwingts seine Augen sind blau
stecht tiefer die Spaten ihr einen ihr andern spielt weiter zum Tanz auf

Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts
wir trinken dich mittags und morgens wir trinken dich abends
wir trinken und trinken
ein Mann wohnt im Haus dein goldenes Haar Margarete
dein aschenes Haar Sulamith er spielt mit den Schlangen

Er ruft spielt süßer den Tod der Tod ist ein Meister aus Deutschland
er ruft streicht dunkler die Geigen dann steigt ihr als Rauch in die Luft
dann habt ihr ein Grab in den Wolken da liegt man nicht eng

Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts
wir trinken dich mittags der Tod ist ein Meister aus Deutschland
wir trinken dich abends und morgens wir trinken und trinken
der Tod ist ein Meister aus Deutschland sein Auge ist blau
er trifft dich mit bleierner Kugel er trifft dich genau
ein Mann wohnt im Haus dein goldenes Haar Margarete
er hetzt seine Rüden auf uns er schenkt uns ein Grab in der Luft
er spielt mit den Schlangen und träumet der Tod ist ein Meister aus Deutschland

dein goldenes Haar Margarete
dein aschenes Haar Sulamith

Paul Celan

http://fotosverkleinern.de/tmpimages/Dachau0_400_300.jpg

Apotheos
03.12.2009, 13:30
Rainer M. Rilke

Wir wollen, wenn es wieder Mondnacht wird,
die Traurigkeit zu großer Stadt vergessen
und hingehn und uns an das Gitter pressen,
das von dem versagten Garten trennt.

Wer kennt ihn jetzt, der ihn am Tage traf:
mit Kindern, lichten Kleidern, Sommerhüten, -
wer kennt ihn so: allein mit seinen Blüten,
die Teiche offen, liegend ohne Schlaf.

Figuren, welche stumm im Dunkel stehn,
scheinen sich leise aufzurichten,
und steinerner und stiller sind die lichten
Gestalten an dem Eingang der Alleen.

Die Wege liegen gleich entwirrten Strähnen
nebeneinander, ruhig, eines Zieles.
Der Mond ist zu den Wiesen unterwegs;
den Blumen fließt der Duft herab wie Tränen.
Über den heimgefallenen Fontänen
stehn noch die kühlen Spuren ihres Spieles
in nächtiger Luft.


Aus: Frühe Gedichte

http://www.gemaelde-webkatalog.de/bilddaten/std2/david-caspar-friedrich-mann-und-frau-den-mond-betrachtend-03184.jpg
[Caspar David Friedrich: Mann und Frau die den Mond betrachten ]

Krabat
03.12.2009, 13:55
Sie liegt im Wald, es ist ihr kalt.

Krabat

http://img121.imageshack.us/img121/3480/mdchen.jpg (http://img121.imageshack.us/i/mdchen.jpg/)

Apotheos
28.01.2010, 10:58
Das Ganze

Im Taumel war ein Teil, ein Teil in Tränen,
in manchen Stunden war ein Schein und mehr,
in diesen Jahren war das Herz, in jenen
waren die Stürme - wessen Stürme - wer?

Niemals im Glücke, selten mit Begleiter,
meistens verschleiert, da es tief geschah,
und alle Ströme liefen wachsend weiter
und alles Außen ward nur innen nah.

Der sah dich hart, der andre sah dich milder,
der wie es ordnet, der wie es zerstört,
doch was sie sahn, das waren halbe Bilder,
da dir das Ganze nur allein gehört.

Im Anfang war es heller, was du wolltest
und zielte vor und war dem Glauben nah,
doch als du dann erblicktest, was du wolltest,
was auf das Ganze steinern niedersah,

da war es kaum ein Glanz und kaum ein Feuer,
in dem dein Blick, der letzte, sich verfing:
ein nacktes Haupt, in Blut, ein Ungeheuer,
an dessen Wimper eine Träne hing.

Gottfried Benn

http://www.fotosverkleinern.de/tmpimages/image-a20005501_354_400.jpg

marc
18.02.2010, 23:38
Robert Gernhardt:
Diät-Lied
(mit Ohrfeigenbegleitung)

http://img716.imageshack.us/img716/431/ronmueck.jpg (http://img716.imageshack.us/i/ronmueck.jpg/)

Ich freu mich auf mein Frühstück!
Da schneide ich zwei Hörnchen auf.
(Klatsch Klatsch)

Da schneid ich etwas Graubrot auf
und schmiere mir dick Butter drauf
und Leberwurst
(Klatsch Klatsch)

und schmiere dünn Margarine drauf
und etwas Kräuterpaste
und reichlich Gorgonzola
(Klatsch Klatsch)

und keinen Gorgonzola.
Sodann greif ich zum Pfirsich,
den schneide ich in Stücke
und haue massig Sahne drauf
(Klatsch Klatsch)

und mache einen Joghurt auf
und tu ihn auf den Pfirsich
und reichlich Gorgonzola
(Klatsch Klatsch)

und keinen Gorgonzola
und zwanzig Löffel Müsli
(Klatsch Klatsch)

und einen Löffel Müsli,
dann freu ich mich auf Mittag.
Da brat ich einen Tofu auf
und tue reichlich
(Klatsch Klatsch)

Sprossen drauf
und jede Menge
(Klatsch Klatsch)

Kleie.
Das ess ich, weil es sein muss
und freue mich aufs Abendbrot.
Da gibt’s ein Riesenschnitzel
(Klatsch Klatsch)

da gibt’s ein kleines Schnitzel
(Klatsch Klatsch)

da gibt es gar kein Schnitzel,
da mach ich einen Bratling warm
und tu dick Majonäse drauf
(Klatsch Klatsch)

und drei, vier Spiegeleier
(Klatsch Klatsch)

und reichlich Gorgonzola
(Klatsch Klatsch)

und schütt es in den Lokus,
dann drücke ich die Spülung
und freu mich auf den Nachtisch.
Da trinke ich vom feinsten
(Klatsch Klatsch)

und stillsten Wasser, das es gibt.
Sodann wird ein Versuch geübt:,
wieviel vom schweren, roten Wein
geht in den Durchschnittsmann hinein?
(Klatsch Klatsch)

Wenn der dabei im Schmalztopf wühlt
(Klatsch Klatsch)

sich grad wie Gott in Frankreich fühlt
(Klatsch Klatsch)

fünf Eisbein mit zehn Bierchen kühlt
(Klatsch Klatsch)

und die mit Schnäpsen runterspült
(Klatsch Klatsch)

und reichlich
(Klatsch Klatsch)

Gorgonzola!
(Klatsch Klatsch)

Das will ich ausprobieren
und sollt ich dran krepieren,
dann hab ich meine letzte Nacht
zumindest lustvoll
(Klatsch Klatsch)

zumindest heiter
(Klatsch Klatsch)

zumindest spannend
(Klatsch Klatsch)

zumindest nahrhaft
zugebracht.

carpe diem
20.02.2010, 00:21
Die fromme Helene

von Wilhelm Busch

LENCHEN KOMMT AUFS LAND


Wie der Wind in Trauerweiden
Tönt des frommen Sängers Lied,
Wenn er auf die Lasterfreuden
In den großen Städten sieht.

Ach, die sittenlose Presse!
Tut sie nicht in früher Stund
All die sündlichen Exzesse
Schon den Bürgersleuten kund?!

Offenbach ist im Thalia,
Hier sind Bälle, da Konzerts.
Annchen, Hannchen und Maria
Hüpft vor Freuden schon das Herz.

Kaum trank man die letzte Tasse,
Putzt man schon den ird'schen Leib.
Auf dem Walle, auf der Gasse
Wimmelt man zum Zeitvertreib.

Wie sie schauen, wie sie grüßen!
Hier die zierlichen Mosjös,
Dort die Damen mit den süßen,
Himmlisch hohen Prachtpopös.


Schweigen will ich von Lokalen,
Wo der Böse nächtlich praßt,
Wo im Kreis der Liberalen
Man den Heil'gen Vater haßt.

Schweigen will ich von Konzerten,
Wo der Kenner hoch entzückt
Mit dem seelenvoll-verklärten
Opernglase um sich blickt,
Wo mit weichen Wogebusen
Man schön warm beisammen sitzt,
Wo der hehre Chor der Musen,
Wo Apollo selber schwitzt.

Schweigen will ich vom Theater,
Wie von da, des Abends spät,
Schöne Mutter, alter Vater
Arm in Arm nach Hause geht.

Zwar man zeuget viele Kinder,
Doch man denket nichts dabei.
Und die Kinder werden Sünder,
Wenn's den Eltern einerlei.

»Komm Helenchen!« sprach der brave
Vormund - »Komm, mein liebes Kind!
Komm aufs Land, wo sanfte Schafe
Und die frommen Lämmer sind.

Da ist Onkel, da ist Tante,
Da ist Tugend und Verstand,
Da sind deine Anverwandte!«
So kam Lenchen auf das Land.
http://www.wilhelm-busch-seiten.de/werke/helene/gr/hele0101.gif

carpe diem
20.02.2010, 01:41
SPATZ UND KATZE

"Wo wirst du denn den Winter bleiben?"
Sprach zum Spätzchen das Kätzchen.

"Hier und dorten, allerorten",
Sprach gleich wieder das Spätzchen.

"Wo wirst du denn zu Mittag essen?"
Sprach zum Spätzchen das Kätzchen.
"Auf den Tennen mit den Hennen",
Sprach gleich wieder das Spätzchen.

"Wo wirst du denn die Nachtruh' halten?"
Sprach zum Spätzchen das Kätzchen.
"Lass dein Fragen, will's nicht sagen",
Sprach gleich wieder das Spätzchen.

"Ei, sag mir's doch, du liebes Spätzchen!"
Sprach zum Spätzchen das Kätzchen.
"Willst mich holen - Gott befohlen!"
Fort flog eilig das Spätzchen.

Hoffmann v. Fallersleben



http://www.beepworld.de/memberdateien/members100/miezekatze13/c254.gif

Peaches
20.02.2010, 12:26
Ich habe dich so lieb

Ich habe Dich so lieb
Ich würde Dir ohne Bedenken
Eine Kachel aus meinem Ofen
schenken.

Ich habe dir nichts getan.
Nun ist mir traurig zu Mut.
An den Hängen der Eisenbahn
Leuchtet der Ginster so gut.

Vorbei verjährt
Doch nimmer vergessen
Ich reise.
Alles, was lange währt,
ist leise.

Die Zeit entstellt
Alle Lebewesen.
Ein Hund bellt.
Er kann nicht lesen
Er kann nicht schreiben.
Wir können nicht bleiben.

Ich lache.
Die Löcher sind die Hauptsache
An einem Sieb.
Ich habe Dich so lieb.

Joachim Ringelnatz

http://www.tescoma.es/pic/428040.jpg

twoxego
20.02.2010, 16:13
Draußen schneit's







Wir hatten ein Schaukelpferd vorher gekauft.
Aber nachher kam gar kein Kind.
Darum hatten wir damals das Pferd dann Bubi getauft.

Weil nun die Holzpreise so unerschwinglich sind;
Und ich nun doch schon seit Donnerstag
Nicht mehr angestellt bin, weil ich nicht mehr mag;
Haben wir's eingeteilt. Und zwar:
Die Schaukel selbst für November,
Kopf und Beine Dezember,
Rumpf mit Sattel für Januar.

Ich gehe nie wieder in die Fabrik.
Ich habe das Regelmäßige dick.
Da geht das Künstlerische darüber abhanden.
Wenn die auch jede Woche bezahlen,
Aber nur immer Girlanden und wieder Girlanden
Auf Spucknäpfe malen,
Die sich die Leute doch nie begucken,
Im Gegenteil noch drauf spucken,
Das bringt ja ein Pferd auf den Hund.

Als freier Künstler kann ich bis mittags liegen
Bleiben. – Na und die Frau ist gesund.
Es wird sich schon was finden, um Geld beizukriegen.
Anna und ich haben vorläufig nun
Erst mal genug mit dem Bubi zu tun.
Rumpf zersägen, Beine rausdrehn,
Nägel rausreißen, Fell abschälen.
Darüber können Wochen vergehn.
Das will auch gelernt und verstanden sein,
Sonst kann man sich daran zu Tode quälen.
Solches Holz ist härter als Stein.
Dann spalten und Späne zum Anzünden schneiden
Und tausenderlei.
Aber das tut uns gut, uns beiden,
Sich mal so körperlich auszuschwitzen.

Außerdem kann man ja dabei
Ganz bequem auf dem Sofa sitzen;
Raucht seine Pfeife, trinkt seinen Tee,
Und vor allem: Man ist eben frei!
Man hat sein eigenes Atelier.
Man hat seinen eigenen Herd;
Da wird ein Feuerchen angemacht –
Mit Bubipferd –,
Daß die Esse kracht.
Und die Anna singt und die Anna lacht.

Da können wir nach Belieben
Die Arbeit auf später verschieben.
Denn wenn man das Gas uns sperren läßt
Oder kein Bier ohne Bargeld mehr gibt,
Dann kriechen wir gleich nach Mittag ins Nest
Und schlafen, solange es uns beliebt.

Freilich: Der feste Lohn fällt nun fort,
Aber die Freiheit ist auch was wert.
Und das mit dem Schaukelpferd
Ist jetzt unser Wintersport.

Joachim Ringelnatz





http://www.wallaby.com/images/Miro.jpg


miro

Gryphus
24.02.2010, 11:35
Friedrich Schiller

Kassandra

Freude war in Trojas Hallen,
Eh die hohe Feste fiel;
Jubelhymnen hört man schallen
In der Saiten goldnes Spiel;
Alle Hände ruhen müde
Von dem thränenvollen Streit,
Weil der herrliche Pelide
Priams schöne Tochter freit.

Und geschmückt mit Lorberreisern,
Festlich wallet Schaar auf Schaar
Nach der Götter heil'gen Häusern,
Zu des Thymbriers Altar.
Dumpf erbrausend durch die Gassen
Wälzt sich die bacchant'sche Lust,
Und in ihrem Schmerz verlassen
War nur eine traur'ge Brust.

Freudlos in der Freude Fülle,
Ungesellig und allein,
Wandelte Kassandra stille
In Apollos Lorbeerhain.
In des Waldes tiefste Gründe
Flüchtete die Seherin,
Und sie warf die Priesterbinde
Zu der Erde zürnend hin:

Alles ist der Freude offen,
Alle Herzen sind beglückt,
Und die alten Eltern hoffen,
Und die Schwester steht geschmückt.
Ich allein muß einsam trauern,
Denn mich flieht der süße Wahn,
Und geflügelt diesen Mauern
Seh' ich das Verderben an.

Eine Fackel seh' ich glühen,
Aber nicht in Hymens Hand;
Nach den Wolken seh' ich ziehen,
Aber nicht wie Opferbrand.
Feste seh' ich froh bereiten,
Doch im ahnungsvollen Geist
Hör' ich schon des Gottes Schreiten,
Der sie jammervoll zerreißt.

Und sie schelten meine Klagen,
Und sie höhnen meinen Schmerz.
Einsam in die Wüste tragen
Muß ich mein gequältes Herz,
Von den Glücklichen gemieden
Und den Fröhlichen ein Spott!
Schweres hast du mir beschieden,
Pythischer, du arger Gott!

Dein Orakel zu verkünden,
Warum warfest du mich hin
In die Stadt der ewig Blinden
Mit dem aufgeschloßnen Sinn?
Warum gabst du mir zu sehen,
Was ich doch nicht wenden kann?
Das Verhängte muß geschehen,
Das Gefürchtete muß nahn.

Frommt's, den Schleier aufzuheben,
Wo das nahe Schreckniß droht?
Nur der Irrthum ist das Leben,
Und das Wissen ist der Tod.
Nimm, o nimm die traur'ge Klarheit,
Mir vom Aug den blut'gen Schein!
Schrecklich ist es, deiner Wahrheit
Sterbliches Gefäß zu sein.

Meine Blindheit gib mir wieder
Und den fröhlich dunklen Sinn!
Nimmer sang ich freud'ge Lieder,
Seit ich deine Stimme bin.
Zukunft hast du mir gegeben,
Doch du nahmst den Augenblick,
Nahmst der Stunde fröhlich Leben -
Nimm dein falsch Geschenk zurück!

Nimmer mit dem Schmuck der Bräute,
Kränzt' ich mir das duft'ge Haar,
Seit ich deinem Dienst mich weihte
An dem traurigen Altar.
Meine Jugend war nur Weinen,
Und ich kannte nur den Schmerz,
Jede herbe Noth der Meinen
Schlug an mein empfindend Herz.

Fröhlich seh' ich die Gespielen,
Alles um mich lebt und liebt
In der Jugend Lustgefühlen,
Mir nur ist das Herz getrübt.
Mir erscheint der Lenz vergebens,
Der die Erde festlich schmückt;
Wer erfreute sich des Lebens,
Der in seine Tiefen blickt!

Selig preis' ich Polyxenen
In des Herzens trunknem Wahn,
Denn den Besten der Hellenen
Hofft sie bräutlich zu umfahn.
Stolz ist ihre Brust gehoben,
Ihre Wonne faßt sie kaum,
Nicht euch, Himmlische dort oben,
Neidet sie in ihrem Traum.

Und auch ich hab' ihn gesehen,
Den das Herz verlangend wählt!
Seine schönen Blicke flehen,
Von der Liebe Gluth beseelt.
Gerne möcht' ich mit dem Gatten
In die heim'sche Wohnung ziehn;
Doch es tritt ein styg'scher Schatten
Nächtlich zwischen mich und ihn.

Ihre bleichen Larven alle
Sendet mir Proserpina;
Wo ich wandre, wo ich walle,
Stehen mir die Geister da.
In der Jugend frohe Spiele
Drängen sie sich grausend ein,
Ein entsetzliches Gewühle!
Nimmer kann ich fröhlich sein.

Und den Mordstahl seh' ich blinken
Und das Mörderauge glühn;
Nicht zur Rechten, nicht zur Linken
Kann ich vor dem Schreckniß fliehn;
Nicht die Blicke darf ich wenden,
Wissend, schauend, unverwandt
Muß ich mein Geschick vollenden
Fallend in dem fremden Land -

Und noch hallen ihre Worte -
Horch! da dringt verworrner Ton
Fernher aus des Tempels Pforte,
Todt lag Thetis' großer Sohn!
Eris schüttelt ihre Schlangen,
Alle Götter fliehn davon,
Und des Donners Wolken hangen
Schwer herab auf Ilion.

http://www.welt.de/multimedia/archive/00224/boris_jelzin_panzer_224812g.jpg

Gryphus
24.02.2010, 11:52
Michail Juriewitsch Lermontov

Prophezeiung

Ein Jahr wird kommen, Russlands schwarzes Jahr,
Es fällt des Zaren Krone, stürzt der Zar;
Die Masse schnell vergisst, wie sie ihn liebte,
Und Blut und Tod wird Nahrung sein für viele;
Wenn Kinder und die Fraun nicht mehr's Gesetz
Beschützen kann, das blutig abgesetzt;
Wenn Pest von toten Körpern voll Gestank
Durch Dörfer zieht, bedauernswert und krank,
Bis alle Hütten öde und verwaist,
Und Hunger dieses arme Land zerreißt;
Wenn tiefes Rot der Flüsse Wellen färbte,
An diesem Tag erscheint ein Mann der Stärke,
Und du erkennst ihn – und verstehst sogleich,
Warum in seiner Hand das Messer leuchtet;
Leid über dich! – Dein Stöhnen und dein Weinen
Wird ihm nicht einmal lächerlich erscheinen;
Und finster wird es, wenn er schrecklich schnaubt,
So wie sein Umhang mit erhobnem Haupt.

http://img291.imageshack.us/img291/8050/namenlos.jpg (http://img291.imageshack.us/i/namenlos.jpg/)

Gryphus
24.02.2010, 20:06
Michail Juriewitsch Lermontov

Wiegenlied der Kosaken

Schlaf, mein Kindchen, du mein kleines,
Schlafe ruhig ein.
Still, im Lichte seines Scheines
Schaut der Mond herein.
Ich erzähle dir ein bisschen,
Sing ein Liedchen fein.
Du, träum süß, die Äuglein schließe,
Schlafe ruhig ein.

Über Steine gießt der Terek
Plätschernd trübe Wogen;
Der Tschtschene hat versteckt
Seinen Dolch gezogen;
Doch dein Vater, stark und mutig,
Wird stets Sieger sein.
Schlaf, mein Kindchen, sei beruhigt,
Schlafe ruhig ein.

Du wirst wissen, wann es Zeit ist,
Wann dein Kampf beginnt,
Mutig blickend auf dem Pferd sitzt,
Das Gewehr dir nimmst.
Schmücken werden deinen Sattel meine
Seidenstickerein.
Schlaf, mein Kindchen, du mein eigen,
Schlafe ruhig ein.

Bist vom Kopf bis zu den Zehen
Dann Kosak, ein Mann.
Blickbegleitend werd ich stehen –
Abschied winkt die Hand …
Wieviel bittre Tränen heimlich
Jene Nacht ich wein! …
Schlaf, mein Engel, süß und friedlich,
Schlafe ruhig ein.

Eine Sehnsucht wird mich quälen,
Wartend unbedacht,
Alle Tage werd ich beten,
Karten legen in der Nacht;
Werde wissen, wie es quält dich
Heimatfern zu sein.
Schlaf, noch kennst du Sorgen nicht,
Schlafe ruhig ein.

Auf den Weg werd ich dir geben
Der Ikone Bild,
Das bei allen Nachtgebeten
Deine Sehnsucht stillt.
Denke vor des Kampfes Schrecken
An die Mutter dein!
Schlaf, ich werd dich morgen wecken,
Schlafe ruhig ein.

http://img710.imageshack.us/img710/8050/namenlos.jpg (http://www.imagehosting.com/)

twoxego
06.03.2010, 12:22
Beine hat uns zwei gegeben
Gott der Herr, um fortzustreben,
Wollte nicht, daß an der Scholle
Unsre Menschheit kleben solle.
Um ein Stillstandsknecht zu sein,
Gnügte uns ein einzges Bein.

Augen gab uns Gott ein Paar,
Daß wir schauen rein und klar;
Um zu glauben was wir lesen,
Wär ein Auge gnug gewesen.
Gott gab uns die Augen beide,
Daß wir schauen und begaffen
Wie er hübsch die Welt erschaffen
Zu des Menschen Augenweide;
Doch beim Gaffen in den Gassen
Sollen wir die Augen brauchen
Und uns dort nicht treten lassen
Auf die armen Hühneraugen,
Die uns ganz besonders plagen,
Wenn wir enge Stiefel tragen.

Gott versah uns mit zwei Händen,
Daß wir doppelt Gutes spenden;
Nicht um doppelt zuzugreifen
Und die Beute aufzuhäufen
In den großen Eisentruhn,
Wie gewisse Leute tun –
(Ihren Namen auszusprechen
Dürfen wir uns nicht erfrechen –
Hängen würden wir sie gern.
Doch sie sind so große Herrn,
Philantropen, Ehrenmänner,
Manche sind auch unsre Gönner,
Und man macht aus deutschen Eichen
Keine Galgen für die Reichen.)

Gott gab uns nur eine Nase,
Weil wir zwei in einem Glase
Nicht hineinzubringen wüßten,
Und den Wein verschlappern müßten.

Gott gab uns nur einen Mund,
Weil zwei Mäuler ungesund.
Mit dem einen Maule schon
Schwätzt zu viel der Erdensohn.
Wenn er doppeltmäulig wär,
Fräß und lög er auch noch mehr.
Har er jetzt das Maul voll Brei,
Muß er schweigen unterdessen,
Hätt er aber Mäuler zwei,
Löge er sogar beim Fressen.

Mit zwei Ohren hat versehn
Uns der Herr. Vorzüglich schön
Ist dabei die Symmetrie.
Sind nicht ganz so lang wie die,
So er unsern grauen braven
Kameraden anerschaffen.
Ohren gab uns Gott die beiden,
Um von Mozart, Gluck und Hayden
Meisterstücke anzuhören –
Gäb es nur Tonkunst-Kolik
Und Hämorrhoidal-Musik
Von dem großen Meyerbeer,
Schon ein Ohr hinlänglich wär! –

Als zur blonden Teutolinde
Ich in solcher Weise sprach,
Seufzte sie und sagte: Ach!
Grübeln über Gottes Gründe,
Kritisieren unsern Schöpfer,
Ach! das ist, als ob der Topf
Klüger sein wollt als der Töpfer!
Doch der Mensch fragt stets: Warum?
Wenn er sieht, daß etwas dumm.
Freund, ich hab dir zugehört,
Und du hast mir gut erklärt,
Wie zum weisesten Behuf
Gott den Menschen zwiefach schuf
Augen, Ohren, Arm’ und Bein’,
Während er ihm gab nur ein
Exemplar von Nas und Mund –
Doch nun sage mir den Grund:
Gott, der Schöpfer der Natur,
Warum schuf er einfach nur
Das skabröse Requisit,
Das der Mann gebraucht, damit
Er fortpflanze seine Rasse
Und zugleich sein Wasser lasse?
Teurer Freund, ein Duplikat
Wäre wahrlich hier vonnöten,
Um Funktionen zu vertreten,
Die so wichtig für den Staat
Wie fürs Individuum,
Kurz fürs ganze Publikum.
Zwei Funktionen, die so greulich
Und so schimpflich und abscheulich
Miteinander kontrastieren
Und die Menschheit sehr blamieren.
Eine Jungfrau von Gemüt
Muß sich schämen, wenn sie sieht,
Wie ihr höchstes Ideal
Wird entweiht so trivial!
Wie der Hochaltar der Minne
Wird zur ganz gemeinen Rinne!
Psyche schaudert, denn der kleine
Gott Amur der Finsternis,
Er verwandelt sich beim Scheine
Ihrer Lamp – in Mankepiß.

Also Teutolinde sprach,
Und ich sagte ihr: Gemach!
Unklug wie die Weiber sind,
Du verstehst nicht, liebes Kind,
Gottes Nützlichkeitssystem,
Sein Ökonomie-Problem
Ist, daß wechselnd die Maschinen
Jeglichem Bedürfnis dienen,
Den profanen wie den heilgen,
Den pikanten wie langweilgen, –
Alles wird simplifiziert;
Klug ist alles kombiniert:
Was dem Menschen dient zum Seichen,
Damit schafft er seinesgleichen.
Auf demselben Dudelsack
Spielt dasselbe Lumpenpack.
Feine Pfote, derbe Patsche,
Fiddelt auf derselben Bratsche,
Durch dieselben Dämpfe, Räder
Springt und singt und gähnt ein jeder,
Und derselbe Omnibus
Fährt uns nach dem Tartarus.




http://recollectionbooks.com/siml/images/MaxErnst/babymax.jpg

umananda
06.03.2010, 15:05
ottos mops

Ernst Jandl

ottos mops trotzt
otto: fort mops fort
ottos mops hopst fort
otto: soso
otto holt koks
otto holt obst
otto horcht
otto: mops mops
otto hofft
ottos mops klopft
otto: komm mops komm
ottos mops kommt
ottos mops kotzt
otto: ogottogott

Ernst Jandl - Ottos Mops (das Original)
http://www.youtube.com/watch?v=oMtCa-_ygto

http://www.mjucker.ch/img/ottosmops.jpg
[Norman Junge: ottos mops kotzt]

Servus umananda

marc
16.03.2010, 20:18
i thank You God for most this amazing
day:for the leaping greenly spirits of trees
and a blue true dream of sky;and for everything
which is natural which is infinite which is yes

(i who have died am alive again today,
and this is the sun's birthday;this is the birth
day of life and love and wings:and of the gay
great happening illimitably earth)

how should tasting touching hearing seeing
breathing any-lifted from the no
of all nothing-human merely being
doubt unimaginable You?

(now the ears of my ears awake and
now the eyes of my eyes are opened)

http://img532.imageshack.us/img532/7485/friedrich.jpg (http://img532.imageshack.us/i/friedrich.jpg/)

E. E. Cummings - i thank You God for most this amazing
C. D. Friedrich - Hügel mit Bruchacker bei Dresden

Gryphus
16.03.2010, 20:27
Elegie

Erloschener Frohsinn wahnsinniger Jahre
Bedrückt mich, wie der leidge Morgenkater,
Der Schmerz vergangner Tage wirkt wie Wein
Je älter desto stärker auf mich ein.
Mein Weg ist trostlos. Gram und Arbeit schwer
Verheißt der Zukunft aufgewühltes Meer.

Noch möchte ich nicht sterben, meine Freunde;
Will leben, um zu denken und zu leiden;
Und seh voraus, es nahn sich andre Wonnen,
Wenn Unruh, Sorgen, Bitternisse kommen:
Werd Harmonie zuweilen wieder trinken,
In Tränen vor Erdichtetem versinken,
Vielleicht wird auch die Liebe an mich denken,
Beim Abgang traurig mir ein Lächeln schenken.

- Alexander Sergejewitsch Puschkin

http://www.artsz.org/wp-content/uploads/2008/03/caspar-david-friedrich-wanderer-above-the-sea-of-fog.jpg

Bild: C. D. Friedrich / Wanderer auf dem Nebelmeer

marc
22.03.2010, 17:29
somewhere i have never travelled,gladly beyond
any experience,your eyes have their silence:
in your most frail gesture are things which enclose me,
or which i cannot touch because they are too near

your slightest look easily will unclose me
though i have closed myself as fingers,
you open always petal by petal myself as Spring opens
(touching skilfully,mysteriously)her first rose

or if your wish be to close me, i and
my life will shut very beautifully ,suddenly,
as when the heart of this flower imagines
the snow carefully everywhere descending;

nothing which we are to perceive in this world equals
the power of your intense fragility:whose texture
compels me with the color of its countries,
rendering death and forever with each breathing

(i do not know what it is about you that closes
and opens;only something in me understands
the voice of your eyes is deeper than all roses)
nobody,not even the rain,has such small hands

http://img532.imageshack.us/img532/7310/1kleinthumb.jpg (http://img532.imageshack.us/i/1kleinthumb.jpg/)

E. E. Cummings

Gryphus
22.03.2010, 17:55
Friedrich Schiller

Hoffnung

Es reden und träumen die Menschen viel
Von bessern künftigen Tagen,
Nach einem glücklichen goldenen Ziel
Sieht man die rennen und jagen,
Die Welt wird alt und wird wieder jung,
Doch der Mensch hofft immer Verbesserung!

Die Hoffnung führt ihn ins Leben ein,
Sie umflattert den fröhlichen Knaben,
Den Jüngling locket ihr Zauberschein,
Sie wird mit dem Greis nicht begraben,
Denn beschließt er im Grabe den müden Lauf,
Noch am Grabe pflanzt er - die Hoffnung auf.

Es ist kein leerer schmeichelnder Wahn,
Erzeugt im Gehirne des Toren.
Im Herzen kündet es laut sich an,
Zu was Besserm sind wir geboren!
Und was die innere Stimme spricht,
Das täuscht die hoffende Seele nicht.

http://img0.liveinternet.ru/images/attach/c/0/46/126/46126156_1675047.jpg

twoxego
14.05.2010, 09:22
manche meinen
lechts und rinks
kann man nicht
velwechsern.
werch ein illtum!
~Ernst Jandl~


http://27.media.tumblr.com/tumblr_l29xwk1fpA1qbd37ho1_500.jpg

“The Antipope” Max Ernst



.

marc
03.07.2010, 14:28
My fiftieth year had come and gone,
I sat, a solitary man,
In a crowded London shop,
An open book and empty cup
On the marble table-top.

While on the shop and street I gazed
My body of a sudden blazed;
And twenty minutes more or less
It seemed, so great my happiness,
That I was blessed and I could bless.

http://img804.imageshack.us/img804/6127/placedeleuropegaresaint.jpg (http://img804.imageshack.us/i/placedeleuropegaresaint.jpg/)

Gedicht: William Butler Yeats (http://www.csun.edu/~hceng029/yeats/yeatspoems/Vacillation)
Photographie: Henri Cartier-Bresson (http://de.wikipedia.org/wiki/Henri_Cartier-Bresson)

carpe diem
03.07.2010, 18:09
Wohl endet Tod des Lebens Not,
Doch schauert Leben vor dem Tod.
So schauert vor der Lieb' ein Herz,
Als ob es sei vom Tod bedroht.
Denn wo die Lieb' erwachet, stirbt
Das Ich, der dunkele Despot.
Du laß ihn sterben in der Nacht
Und atme frei im Morgenrot.
Hegel

http://data42.sevenload.com/slcom/sj/ik/eioppkd/sxxqdjooomkf.jpg~/2-Album-Liebe-Leben-Trennung-Tod.jpg

twoxego
19.07.2010, 13:55
Freunde, zankt nicht mit den Toren,
Sie haben einen Bund geschworen,
Den halten sie und bleiben dumm;
Sie würden euren Spott ermüden,
Die Herren sind mit sich zufrieden,
Das ist ihr Privilegium.

Vergebens bleicht man einen Mohren,
Vergebens straft man einen Toren,
Der Mohr bleibt schwarz, der Tor bleibt dumm
Das Bessern ist nicht meine Sache,
Ich laß die Toren sein und lache,
Das ist mein Privilegium!

K. J. Weber
http://www.tutschek.eu/blog/wp-content/uploads/2009/09/ernst-l_ange_du_foyer.jpg
M. Ernst

Settembrini
19.07.2010, 20:29
Fisches Nachtgesang


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− − −
∪ ∪


Christian Morgenstern



















http://www.billerantik.de/gallery2/main.php/d/11544-1/07_Arcimboldo_Wasser.jpg

Giuseppe Arcimboldo, Das Wasser (1566)

marc
29.12.2010, 21:09
Darfst du bei nacht und bei tag
Fordern dein teil noch - du schatten -
All meinen freuden dich gatten -
Rauben von jedem ertrag?

Bringt noch dein saugen mir lust
Der du das erz aus mir schlürftest -
Der du den wein aus mir schlürftest -
Schaudr ich noch froh beim verlust?

Ob ich nun satt deiner qual
Mit meinen spendungen karge?
Zwing ich dich nieder im sarge -
Treib ich ins herz dir den pfahl?

http://img835.imageshack.us/img835/8421/maxschrecknosferatuasym.jpg (http://img835.imageshack.us/i/maxschrecknosferatuasym.jpg/)

+

(Stefan George & der Schatten von Max Schreck)

marc
29.12.2010, 21:11
THou art as tiranous, so as thou art,
As those whose beauties proudly make them cruell;
For well thou know'st to my deare doting hart
Thou art the fairest and most precious Iewell.

Yet in good faith some say that thee behold,
Thy face hath not the power to make loue grone;
To say they erre, I dare not be so bold,
Although I sweare it to my selfe alone.

And to be sure that is not false I sweare
A thousand grones but thinking on thy face,
One on anothers necke do witnesse beare
Thy blacke is fairest in my iudgements place.

In nothing art thou blacke saue in thy deeds,
And thence this slaunder as I thinke proceeds.

http://img713.imageshack.us/img713/1307/priestley.jpg (http://img713.imageshack.us/i/priestley.jpg/)

+

(131. Sonnet von Shakespeare und das Portrait der Flora Priestley von John Singer Sargent.)

marc
02.03.2011, 13:41
http://img695.imageshack.us/img695/7641/munchdanceoflife.jpg (http://img695.imageshack.us/i/munchdanceoflife.jpg/)

The winner's shout, the loser's curse,
Dance before dead England's hearse.

Every night and every morn
Some to misery are born,
Every morn and every night
Some are born to sweet delight.

Some are born to sweet delight,
Some are born to endless night.

We are led to believe a lie
When we see not thro' the eye,
Which was born in a night to perish in a night,
When the soul slept in beams of light.

+

"Der Tanz des Lebens" von Edvard Munch und ein Auszug aus den "Auguries of Innocence" von William Blake.

marc
19.03.2011, 21:53
When, long ago, the gods created Earth
In Jove's fair image Man was shaped at birth.
The beasts for lesser parts were next designed;
Yet were they too remote from humankind.
To fill the gap, and join the rest to Man,
Th'Olympian host conceiv'd a clever plan.
A beast they wrought, in semi-human figure,
Filled it with vice, and called the thing a Nigger.

http://img855.imageshack.us/img855/9480/obamafacepalm.jpg (http://img855.imageshack.us/i/obamafacepalm.jpg/)

+

On the Creation of Niggers by H. P. Lovecraft und George W. Bush (Abb. ähnlich)

marc
19.03.2011, 21:55
When a man dies, he is cast into the earth, and his wife and child sorrow over him.
If he has neither wife nor child, then his father and mother I suppose;
and if he is quite alone in the world, why, then, he is cast into the earth,
and there is an end of the matter.

And do you think that is the end of a man?

There's an end of him, brother, more's the pity.

Why do you say so?

Life is sweet, brother.

Do you think so?

Think so!
There's night and day, brother, both sweet things;
sun, moon and stars, brother, all sweet things;
there's likewise the wind on the heath.
Life is very sweet, brother;
who would wish to die?

http://img339.imageshack.us/img339/791/467pxvincentwillemvango.jpg (http://img339.imageshack.us/i/467pxvincentwillemvango.jpg/)

+

Auszug aus "Lavengro" von George Borrow und "An der Schwelle zur Ewigkeit" von Vincent van Gogh

sisyphos
20.03.2011, 03:31
Nacht

Kies und Geröll. Und ein Scherbenton, dünn,
aus Zuspruch der Stunde.

Augentausch, endlich, zur Unzeit:
bilbeständig,
verholzt
die Netzhaut -:
das Ewigkeitszeichen.

Denkbar:
droben, im Weltgestänge,
sterngleich,
das Rot zweier Münder.

http://img163.imageshack.us/img163/3227/0405b80d760dd56299d59f1.jpg (http://img163.imageshack.us/i/0405b80d760dd56299d59f1.jpg/)

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Geronimo
20.03.2011, 06:04
Nacht

Kies und Geröll. Und ein Scherbenton, dünn,
aus Zuspruch der Stunde.

Augentausch, endlich, zur Unzeit:
bilbeständig,
verholzt
die Netzhaut -:
das Ewigkeitszeichen.

Denkbar:
droben, im Weltgestänge,
sterngleich,
das Rot zweier Münder.

http://img163.imageshack.us/img163/3227/0405b80d760dd56299d59f1.jpg (http://img163.imageshack.us/i/0405b80d760dd56299d59f1.jpg/)

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Du krankes Kind!

sisyphos
20.03.2011, 17:29
"Da nun die Nacht und die Stunde,
so auf den Schwellen nennt,
die eingehn und ausgehn,

guthieß, was wir getan,
da uns kein Drittes den Weg wies,

werden die Schatten nicht
einzeln kommen, wenn mehr
sein soll als heute sich kundtat,

werden die Fittiche nicht
später dir rauschen als mir -

Sondern es rollt übers Meer
der Stein, der neben uns schwebte,
und in der Spur, die er zieht,
laicht der lebendige Traum." - Celan

http://www.onlinekunst.de/ostern/palmsonntag/morgner_einzug.jpg

Wilhelm Morgner: Einzug Christi in Jerusalem