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Vollständige Version anzeigen : Herbstgedichte



Zimbelstern
26.10.2009, 22:06
Sinn einer losen Sammlung, die sich in anderen Strängen auch dem Winter, dem Frühjahr und dem Sommer widmen soll, ist die Einstellung Eurer Lieblingsgedichte bezogen auf die Jahreszeiten.

Um zu beginnen:

Zwei Gedichte von Rilke:




Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.
Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
und auf den Fluren laß die Winde los.

Befiehl den letzten Früchten voll zu sein;
gieb ihnen noch zwei südlichere Tage,
dränge sie zur Vollendung hin und jage
die letzte Süße in den schweren Wein.

Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
und wird in den Alleen hin und her
unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.



und




Die Blätter fallen, fallen wie von weit,
als welkten in den Himmeln ferne Gärten;
sie fallen mit verneinender Gebärde.

Und in den Nächten fällt die schwere Erde
aus allen Sternen in die Einsamkeit.

Wir alle fallen. Diese Hand da fällt.
Und sieh dir andre an: es ist in allen.

Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen
unendlich sanft in seinen Händen hält.



Überschrieben ist das erste Gedicht mit "Herbsttag", das zweite mit "Herbst".

Peaches
26.10.2009, 22:17
Schöne Idee.

Ich mochte immer Keats Ode an den Herbst:

Season of mists and mellow fruitfulness,
Close bosom-friend of the maturing sun;
Conspiring with him how to load and bless
With fruit the vines that round the thatch-eves run;
To bend with apples the moss'd cottage-trees,
And fill all fruit with ripeness to the core;
To swell the gourd, and plump the hazel shells
With a sweet kernel; to set budding more,
And still more, later flowers for the bees,
Until they think warm days will never cease,
For Summer has o'er-brimm'd their clammy cells.
(...)

Hier (http://famouspoetsandpoems.com/poets/john_keats/poems/14374.html) auch vollständig.

Tut mir leid, ich hab keine deutsche Übersetzung auf die schnelle gefunden, die mich ansprach.

carpe diem
27.10.2009, 00:03
Zu Ende geht der Herbst


Verdrossnen Sinn im kalten Herzen hegend,
Reis ich verdrießlich durch die kalte Welt,
Zu Ende geht der Herbst, ein Nebel hält
Feuchteingehüllt die abgestorbne Gegend.
Die Winde pfeifen, hin und her bewegend
Das rote Laub, das von den Bäumen fällt,
Es seufzt der Wald, es dampft das kahle Feld,
Nun kommt das Schlimmste noch, es regent.




Heinrich Heine



http://i38.tinypic.com/o59u87_th.jpg

Zimbelstern
27.10.2009, 00:05
Ich lege mal mit Matthias Claudius nach, mit einem Gedicht, das ich dem Herbst zuordne:




Der Mond ist aufgegangen,
Die goldnen Sternlein prangen
Am Himmel hell und klar;
Der Wald steht schwarz und schweiget,
Und aus den Wiesen steiget
Der weiße Nebel wunderbar.

Wie ist die Welt so stille,
Und in der Dämmrung Hülle
So traulich und so hold!
Als eine stille Kammer,
Wo ihr des Tages Jammer
Verschlafen und vergessen sollt.

Seht ihr den Mond dort stehen?
Er ist nur halb zu sehen,
Und ist doch rund und schön!
So sind wohl manche Sachen,
Die wir getrost belachen,
Weil unsre Augen sie nicht sehn.

Wir stolze Menschenkinder
Sind eitel arme Sünder
Und wissen gar nicht viel;
Wir spinnen Luftgespinste
Und suchen viele Künste
Und kommen weiter von dem Ziel.

Gott, laß uns dein Heil schauen,
Auf nichts Vergänglichs trauen,
Nicht Eitelkeit uns freun!
Laß uns einfältig werden
Und vor dir hier auf Erden
Wie Kinder fromm und fröhlich sein!

Wollst endlich sonder Grämen
Aus dieser Welt uns nehmen
Durch einen sanften Tod!
Und, wenn du uns genommen,
Laß uns in Himmel kommen,
Du unser Herr und unser Gott!

So legt euch denn, ihr Brüder,
In Gottes Namen nieder;
Kalt ist der Abendhauch.
Verschon uns, Gott! mit Strafen,
Und laß uns ruhig schlafen!
Und unsern kranken Nachbar auch!

carpe diem
27.10.2009, 00:07
Aus dem Nachlass von Heinrich Heine

Ach, alles, was hold und lieblich,
Verwelkt und sinkt ins Grab.
Die Gipfel des Waldes umflimmert
Ein schmerzlicher Sonnenschein;
Das mögen die letzten Küsse
Des scheidenden Sommers sein.
Mir ist, als müsst ich weinen
Aus tiefstem Herzensgrund;
Dies Bild erinnert mich wieder
An unsre Abschiedsstund’.
Ich musste von dir scheiden,
Und wusste, du stürbest bald;
Ich war der scheidende Sommer,
Du warst der kranke Wald.

http://www.abschiedsvorstellung.de/wp-content/uploads/2009/10/ap_49523_img_7348_2.jpg

carpe diem
27.10.2009, 00:13
Die Raben

Über den schwarzen Winkel hasten
Am Mittag die Raben mit hartem Schrei.
Ihr Schatten streift an der Hirschkuh vorbei
Und manchmal sieht man sie mürrisch rasten.
O wie sie die braune Stille stören,
In der ein Acker sich verzückt,
Wie ein Weib, das schwere Ahnung berückt,
Und manchmal kann man sie keifen hören
Um ein Aas, das sie irgendwo wittern,
Und plötzlich richten nach Nord sie den Flug
Und schwinden wie ein Leichenzug
In Lüften, die von Wollust zittern.


Georg Trakl
(1887 - 1914)

Zimbelstern
27.10.2009, 15:23
Keine weiteren Antworten?

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Hebbel:


Spaziergang am Herbstabend

Wenn ich abends einsam gehe
Und die Blätter fallen sehe,
Finsternisse niederwallen,
Ferne, fromme Glocken hallen:

Ach, wie viele sanfte Bilder,
Immer inniger und milder,
Schatten längst vergangner Zeiten,
Seh ich dann vorübergleiten.

Was ich in den fernsten Stunden,
Oft nur halb bewusst, empfunden,
Dämmert auf in Seel' und Sinnen,
Mich noch einmal zu umspinnen.

Und im inneren Zerfließen
Mein ich's wieder zu genießen,
Was mich vormals glücklich machte,
Oder mir Vergessen brachte.

Doch, dann frag ich mich mit Beben:
Ist so ganz verarmt dein Leben?
Was du jetzt ersehnst mit Schmerzen,
Sprich, was war es einst dem Herzen?

Völlig dunkel ist's geworden,
Schärfer bläst der Wind aus Norden,
Und dies Blatt, dies kalt benetzte,
Ist vielleicht vom Baum das letzte.

-SG-
27.10.2009, 17:02
Letzte Hoffnung
Wilhelm Müller

Hie und da ist an den Bäumen
Manches bunte Blatt zu seh'n,
Und ich bleibe vor den Bäumen
Oftmals in Gedanken steh'n.

Schaue nach dem einen Blatte,
Hänge meine Hoffnung dran;
Spielt der Wind mit meinem Blatte,
Zittr' ich, was ich zittern kann.

Ach, und fällt das Blatt zu Boden,
Fällt mit ihm die Hoffnung ab;
Fall' ich selber mit zu Boden,
Wein' auf meiner Hoffnung Grab.

Skaramanga
27.10.2009, 20:58
Frosches Herbst

Dem Frosch ist kalt
Drum stirbt er halt.

carpe diem
27.10.2009, 23:35
Frosches Herbst

Dem Frosch ist kalt
Drum stirbt er halt.

Der Frosch hält Winterschlaf.
Von Sterben keine Rede.

von Richthofen
27.10.2009, 23:38
Im Nebel ruhet noch die Welt,
Noch träumen Wald und Wiesen:
Bald siehst du, wenn der Schleier fällt,
Den blauen Himmel unverstellt,
Herbstkräftig die gedämpfte Welt
In warmem Golde fließen.


Scheiß drauf, kurz und knackig genug, um sich seit meiner Grundschulzeit in mein Hirn eingeprägt zu haben,

carpe diem
28.10.2009, 00:29
Graue Blätter


Solch ein lauer weißer Tag,
Mag die Hände gar nicht rühren,
Nur die Augen liegen wach.

Draußen welken gelb die Bäume,
In der stillen Esche nicken
Graue Blätter, altersschwach.
Graue Blätter, graue Träume.


Max Dauthendey
(1867 - 1918)

Knudud_Knudsen
30.10.2009, 12:00
Herbstimpressionen
Gedankengedicht zum Thema Aktuelles
von *knud_knudsen.

Herbstimpressionen

Bunt getupft sind nun die Wälder,
und der Herbst glänzt voller Pracht,
doch die kahlen Stoppelfelder,
ahnen schon des Winters Macht.

Nebelfetzen talwärts schweben,
küssen feucht den Tannenwald,
langsam fügt sich alles Leben,
denn das Jahr wird schwach und alt.

Doch bevor wir schaufeln Gräber,
saugen wir noch Freude ein,
Reben streicheln sanft die Leber,
mit dem schweren, süßen Wein .

Schwarzer Rabe
30.10.2009, 12:09
Verklärter Herbst

Gewaltig endet so das Jahr
Mit goldnem Wein und Frucht der Gärten.
Rund schweigen Wälder wunderbar
Und sind des Einsamen Gefährten.

Da sagt der Landmann: Es ist gut.
Ihr Abendglocken lang und leise
Gebt noch zum Ende frohen Mut.
Ein Vogelzug grüßt auf der Reise

Es ist der Liebe milde Zeit
Im Kahn den blauen Fluß hinunter
Wie schön sich Bild an Bildchen reiht
Das geht in Ruh und Schweigen unter.

Schwarzer Rabe
30.10.2009, 12:10
Stehst du in dem golddurchwirkten,
schatten-licht-durchglühten Herbstwald,
magst du keinen Schritt mehr wagen,
nur verweilen, nur noch fragen
tief nach innen: Was ist Glück?

jak_22
30.10.2009, 12:10
Vereinsamt

Die Krähen schrein
Und ziehen schwirren Flugs zur Stadt:
Bald wird es schnein, -
Wohl dem, der jetzt noch - Heimat hat!

Nun stehst du starr,
Schaust rückwärts, ach! wie lange schon!
Was bist du Narr
Vor Winters in die Welt entflohn?

Die Welt - ein Tor
Zu tausend Wüsten stumm und kalt!
Wer das verlor,
Was du verlorst, macht nirgends Halt.

Nun stehst du bleich,
Zur Winter-Wanderschaft verflucht,
Dem Rauche gleich,
Der stets nach kältern Himmeln sucht.

Flieg, Vogel, schnarr
Dein Lied im Wüstenvogel-Ton! -
Versteck, du Narr,
Dein blutend Herz in Eis und Hohn!

Die Krähen schrein
Und ziehen schwirren Flugs zur Stadt:
Bald wird es schnein, -
Weh dem, der keine Heimat hat!

Friedrich Nietzsche

Schwarzer Rabe
30.10.2009, 12:12
Laßt uns den Herbst begrüßen,
der uns den süßen Augenblick
der Früchte schenkt.
Laßt uns das warme Gold des Lichts genießen,
das mit dem starken Duft der Wälder uns umfängt.

Schwarzer Rabe
30.10.2009, 12:13
Herbst

Astern blühen schon im Garten;
Schwächer trifft der Sonnenpfeil
Blumen, die den Tod erwarten
Durch des Frostes Henkerbeil.

Brauner dunkelt längst die Heide,
Blätter zittern durch die Luft.
Und es liegen Wald und Weide
Unbewegt im blauen Duft.

Pfirsich an der Gartenmauer,
Kranich auf der Winterflucht.
Herbstes Freuden, Herbstes Trauer,
Welke Rosen, reife Frucht.

Schwarzer Rabe
30.10.2009, 12:13
Septembermorgen

Im Nebel ruhet noch die Welt,
Noch träumen Wald und Wiesen:
Bald siehst du, wenn der Schleier fällt,
Den blauen Himmel unverstellt,
Herbstkräftig die gedämpfte Welt
In warmem Golde fließen.

Knudud_Knudsen
30.10.2009, 12:13
Bunte Gedanken
Alltagsgedicht zum Thema Abschied
von *knud_knudsen.

Bunte Gedanken

Das Zeitenrad dreht stetig seine Runden,
im Kollergang zermahlt es alte Träume,
entkleidet nun im Park die fahlen Bäume.
Was ich stets suchte, habe ich es nun gefunden?

Der Sturm lässt bunte Blätter fröhlich treiben.
Ein jedes Blatt trägt für mich ein Gesicht,
und tief in mir brennt hell und klar dein Licht:
„Verzeih mir bitte, doch ich kann nicht länger bleiben.“

Der Boden unter meinen schweren Füßen,
er ist ein Flickenteppich bunt und weich,
was ich erlebte, machte* stets mich reich,
doch ungeduldig werde ich stets Neues auch begrüßen.

carpe diem
30.10.2009, 12:29
http://www.lyrik-lesezeichen.de/gedichte/bilder/herbstgedichte.gif


Im Herbst
Eh' sie erstirbt, die Natur, die treue Mutter, noch einmal
Ruft sie die Kinder zu sich, reicht als Vermächtnis den Wein.

(Justinus Kerner (http://www.lyrik-lesezeichen.de/lyrik-lexikon2.php#kerner), 1786-1862)


Die Mühlen
Die vielen Mühlen gehen und treiben schwer.
Das Wasser fällt über die Räder her
Und die moosigen Speichen knattern im Wehr.
Und die Müller sitzen tagein, tagaus
Wie Maden weiß in dem Mühlenhaus.
Und schauen oben zum Dache hinaus.
Aber die hohen Pappeln stehn ohne Wind
Vor einer Sonne herbstlich und blind,
Die matt in die Himmel geschnitten sind.

(Georg Heym (http://www.lyrik-lesezeichen.de/lyrik-lexikon2.php#heym), 1887-1912)