jak_22
17.10.2009, 00:07
... die Sonate für Klavier No. 2, op. 35, um genau zu sein.
Das Haus schläft, ich bin noch wach. Eine anstrengende,
eine gute Woche, liegt hinter mir. Ein Glas Wein - das letzte
in der Flasche - bricht die Kerzenflamme in rubinrote
Sprenkel auf.
Horowitz malt Bilder mit der Tastatur, vor meinen Augen taucht
Paris auf, das Paris Chopins, das Paris von George Sand,
Boulevards und Alleen. Wie kann er das tun? Wie kann er
nur durch Musik solche Empfindungen hervorrufen?
Das Grave geht über in das Scherzo, die Wolken vor dem Pariser
Himmel machen einer Frühlingssonne Platz. Tauben auf dem
Montmartre. 1839. Was war 1839? Ich verbinde mit diesem Jahr
nichts besonderes. Doch, Goodyear. Da war was. Gummireifen
- furchtbar profan. Da bleibe ich lieber in Paris. Frederic und
George flanieren Hand in Hand die Seine entlang. Ob sie sich auf
der Pont-Neuf geküsst haben, so wie ich meine Frau? Wahrscheinlich
schon - kein Paar kann über diese Brücke gehen, ohne einen Kuß.
Nach dem Scherzo der Trauermarsch. Bringt mich unweigerlich
in den großen, steinernen Garten von Paris. Père Lachaise,
der Friedhof der Künstler und der unglücklich Liebenden. Bin ich
dort spazierengegangen, unter den ewigen, steinernen Blicken
der Großen, der Herzgebrochenen. Da liegt Frederic Chopin neben
James Morrison, und nicht weit davon Edith Piaf, das Mädchen,
das dieser Stadt eine Stimme gab. Was wäre das für ein Konzert:
Morrison schreibt den Text, Piaf singt, und Chopin spielt. Ich
möchte glauben, dass sie das tun, nachts, wenn Paris schläft.
Ahnte Chopin schon, als er den Trauermarsch schrieb, dass ihre
Liebe unglücklich enden würde? Sie hatten noch acht Jahre.
Noch 170 Jahre später zitieren sie ihn, diesen Marsch, oft ohne
zu wissen, dass er es ist. Aber es stört ihn nicht. Sein Grab ist
das letzte in Père Lachaise, das abgeräumt wird, und so ruht
er, bis kurz vor Anbruch der Nacht, unter einer Blumendecke.
Würde das Stück hier enden, in diesen B-moll-Akkorden, das hielte
niemand aus. Das finale Presto muss uns herausbringen, aus der
Depression der Gräber, aus den Alleeen mit ihren Schlagschatten,
hinaus auf das Land.
Ich sitze dort in der Kutsche auf dem Bock, Frederic und George
sind hinten, und halten sich die Hände. In flotter Fahrt verlassen
wir die Grenzen der Großstadt. Die beiden Schecken traben, der
Wind saust in den Ohren, die Bäume rasen vorbei. George juchzt,
sie sind glücklich.
Das Stück verklingt. Ich möchte das nicht denken, aber ich weiß:
Sie wird ihn verlassen. Es wird ihm das Herz brechen, und er wird
zwei Jahre später sterben. Er wird in Paris beigesetzt werden, doch
sein Herz soll in Warschau begraben werden.
Es ist spät. Das Haus schläft, ich bin noch wach. Ich kann jetzt
noch nicht schlafen. Da sind noch ein paar Stücke Horowitz/Chopin.
Und noch ein Pauillac, den ich immer mal probieren wollte.
Aber die sind nur für mich, besonders die Ballade No. 1 g-moll,
da werde ich meine Jugendliebe reminiszieren.
Gute Nacht, euch allen,
Jan
Das Haus schläft, ich bin noch wach. Eine anstrengende,
eine gute Woche, liegt hinter mir. Ein Glas Wein - das letzte
in der Flasche - bricht die Kerzenflamme in rubinrote
Sprenkel auf.
Horowitz malt Bilder mit der Tastatur, vor meinen Augen taucht
Paris auf, das Paris Chopins, das Paris von George Sand,
Boulevards und Alleen. Wie kann er das tun? Wie kann er
nur durch Musik solche Empfindungen hervorrufen?
Das Grave geht über in das Scherzo, die Wolken vor dem Pariser
Himmel machen einer Frühlingssonne Platz. Tauben auf dem
Montmartre. 1839. Was war 1839? Ich verbinde mit diesem Jahr
nichts besonderes. Doch, Goodyear. Da war was. Gummireifen
- furchtbar profan. Da bleibe ich lieber in Paris. Frederic und
George flanieren Hand in Hand die Seine entlang. Ob sie sich auf
der Pont-Neuf geküsst haben, so wie ich meine Frau? Wahrscheinlich
schon - kein Paar kann über diese Brücke gehen, ohne einen Kuß.
Nach dem Scherzo der Trauermarsch. Bringt mich unweigerlich
in den großen, steinernen Garten von Paris. Père Lachaise,
der Friedhof der Künstler und der unglücklich Liebenden. Bin ich
dort spazierengegangen, unter den ewigen, steinernen Blicken
der Großen, der Herzgebrochenen. Da liegt Frederic Chopin neben
James Morrison, und nicht weit davon Edith Piaf, das Mädchen,
das dieser Stadt eine Stimme gab. Was wäre das für ein Konzert:
Morrison schreibt den Text, Piaf singt, und Chopin spielt. Ich
möchte glauben, dass sie das tun, nachts, wenn Paris schläft.
Ahnte Chopin schon, als er den Trauermarsch schrieb, dass ihre
Liebe unglücklich enden würde? Sie hatten noch acht Jahre.
Noch 170 Jahre später zitieren sie ihn, diesen Marsch, oft ohne
zu wissen, dass er es ist. Aber es stört ihn nicht. Sein Grab ist
das letzte in Père Lachaise, das abgeräumt wird, und so ruht
er, bis kurz vor Anbruch der Nacht, unter einer Blumendecke.
Würde das Stück hier enden, in diesen B-moll-Akkorden, das hielte
niemand aus. Das finale Presto muss uns herausbringen, aus der
Depression der Gräber, aus den Alleeen mit ihren Schlagschatten,
hinaus auf das Land.
Ich sitze dort in der Kutsche auf dem Bock, Frederic und George
sind hinten, und halten sich die Hände. In flotter Fahrt verlassen
wir die Grenzen der Großstadt. Die beiden Schecken traben, der
Wind saust in den Ohren, die Bäume rasen vorbei. George juchzt,
sie sind glücklich.
Das Stück verklingt. Ich möchte das nicht denken, aber ich weiß:
Sie wird ihn verlassen. Es wird ihm das Herz brechen, und er wird
zwei Jahre später sterben. Er wird in Paris beigesetzt werden, doch
sein Herz soll in Warschau begraben werden.
Es ist spät. Das Haus schläft, ich bin noch wach. Ich kann jetzt
noch nicht schlafen. Da sind noch ein paar Stücke Horowitz/Chopin.
Und noch ein Pauillac, den ich immer mal probieren wollte.
Aber die sind nur für mich, besonders die Ballade No. 1 g-moll,
da werde ich meine Jugendliebe reminiszieren.
Gute Nacht, euch allen,
Jan