Candymaker
06.09.2009, 21:48
http://bi.gazeta.pl/im/9/4593/z4593169Z.jpg
Von Michael Fabricius, Mitarbeit: Gerhard Gnauck 6. September 2009, 04:00 Uhr
Kaum eine Volkswirtschaft in der Europäischen Union wächst zurzeit so stark wie Polen. Der Trick: Unsere Nachbarn haben etwas Besseres als die Abwrackprämie.
"Polnische Wirtschaft" ist in der deutschen Sprache auch eine Redewendung, eine Umschreibung für chaotische Verhältnisse - etwa das Gegenteil von "deutscher Gründlichkeit". Doch das Bild, das dieser Redewendung zugrunde liegt, ist veraltet. Die Wirtschaft in unserem Nachbarland hat sich umfassend gewandelt.
Als einziger europäischer Staat dürfte Polen ohne eine Rezession durch die Krise kommen, betrachtet man den Zeitraum von der Lehman-Pleite bis heute. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist im zweiten Quartal um 1,1 Prozent im Vergleich zum Vorquartal gewachsen, für das gesamte "Krisenjahr" 2009 erwartet Commerzbank Dresdner Kleinwort ein Prozent Wachstum - das bedeutet 14 Jahre kontinuierliches Wachstum. Die Löhne steigen, der private Konsum ist stabil, und der Fuhrpark der Autofahrer hat längst ein geringeres Durchschnittsalter als der in Deutschland.
In den kommenden Jahren wäre Polen sogar ein besserer Kandidat für einen Euro-Beitritt als Deutschland. Die Maastricht-Kriterien schreiben eine Neuverschuldungsquote von drei Prozent des BIP vor sowie eine Obergrenze für die Gesamtschulden von 60 Prozent der Wirtschaftsleistung. Für Deutschland prognostiziert die Europäische Kommission im kommenden Jahr ein Haushaltsdefizit von 4,2 Prozent und eine Gesamtverschuldung von 72,3 Prozent. Erst 2013, so die Erwartung von Ökonomen, wird Deutschland wieder den Stabilitätspakt einhalten können.
Polen lag bis vor Kurzem noch unter der Drei-Prozent-Grenze und wird diese Latte ebenfalls reißen - allerdings schnell wieder unterschreiten, wie Analysten von DB Research vermuten. Die Gesamtverschuldung dürfte unter 70 Prozent bleiben. Auch die Inflationsrate ist mit 1,8 Prozent im Rahmen. "Polen ist eines der am besten aufgestellten Länder für einen Euro-Beitritt", sagt Gunter Deuber von DB Research.
Wie aber kam das? Wie kann ein Land, das bis vor Kurzem noch mit einer Arbeitslosenquote von 20 Prozent zu kämpfen hatte, eine solche Kraft entfalten? Ein wenig Glück gehörte dazu - doch auch kluge Entscheidungen von Regierung und Zentralbank trugen dazu bei.
"Die Krise kam für Polen zum richtigen Zeitpunkt", sagt DB-Research-Experte Deuber. 2001 habe die Zentralbank mit Zinsanhebungen das Wachstum abgewürgt, aus Angst vor steigenden Staatsschulden, Inflation und Überhitzung. Viele Haushalte konnten ihre Kredite nicht mehr bedienen, die Ausfallrate schoss nach oben. "In der Folge entwickelte sich eine gesunde Skepsis gegenüber übermäßiger Verschuldung, sowohl bei den Bürgern als auch bei den Banken. Polen hat damit kein langjähriges unangemessenes Kreditwachstums gesehen", sagt Deuber.
Während in den letzten Jahren in anderen osteuropäischen Staaten wie Rumänien das Kreditvolumen um 30 bis 50 Prozent anstieg, blieb die Verschuldung in Polen moderat. Erst Mitte vergangenen Jahres begannen viele Polen, stärker auf Pump zu shoppen, zu einer Kreditblase jedoch kam es nicht mehr.
Genau zum Höhepunkt der Krise kam dann ein kleiner Geldsegen. Anfang 2009 stellte die EU Mittel für Strukturentwicklung zur Verfügung, und der Internationale Währungsfonds IWF vergab einen neuen flexiblen Kredit, den er im Mai noch einmal aufstockte. In Westeuropa starteten die Regierungen ihre Konjunkturprogramme, die auch die Nachfrage an den verlängerten Werkbänken im Osten erhöhte. Erleichternd kam hinzu, dass die Zentralbank den Zloty absinken lassen konnte, was Exporte nach Westeuropa verbilligte.
Damit aber sind die wesentlichen Effekte außerhalb der Reichweite der Regierung schon aufgezählt. Den wichtigsten Hebel für das starke Binnenwachstum hatte die regierende konservativ-liberale Bürgerplattform (PO) Ende letzten Jahres selbst in der Hand. Als in der ganzen Welt die Banken zusammenbrachen, saßen in Warschau die Wirtschaftsexperten rund um Premierminister Donald Tusk zusammen und fragten sich, ob sie die lange geplante Senkung der Einkommensteuer für das Jahr 2009 streichen sollten. Sie entschieden sich dagegen. Und lösten damit einen Konsumschub aus. "Das größte Antikrisenprogramm waren die Steuersenkungen", sagt Analyst Deuber. Sogar im Juli legten die Einzelhandelsverkäufe noch um 5,7 Prozent zum Vorjahr zu.
Die Steuersenkung führt zu Einnahmeausfällen, doch Premierminister Tusk verspricht, die Neuverschuldung nicht ausufern lassen: "Wir halten das Defizit unter Kontrolle", sagte er vor wenigen Tagen. Schon ab September will die Regierung die Aufnahme neuer Schulden zurückfahren. Leszek Balcerowicz, Reformer der 90er-Jahre, früher Finanzminister und Chef der Zentralbank, verweist aber auch auf eine strenge Kreditvergabe: "Seit 2006 gab es verschärfte Bedingungen für Wohnungskredite für Minderbemittelte, also das Gegenteil der Subprime-Politik der USA."
Mittlerweile schätzt eine Mehrheit der Bevölkerung den Sparkurs. Am Kapitalmarkt ist Polen ein gern gesehener Schuldner. Und der IWF zeigt sich geradezu euphorisch: "Dies ist ein weiteres Beispiel, wie kluge Wirtschaftspolitik in der Vergangenheit Spielraum für die Gegenwart verschaffen kann. Die Verantwortlichen handelten wachsam und entschlossen", lautet der Kommentar zur Ausgabenpolitik.
Zur Krönung fehlt eigentlich nur noch eins: Fußball. 2012 ist Polen gemeinsam mit der Ukraine Gastgeber für die Europameisterschaft. Neben ökonomischen Effekten, die auch das auslösen wird, darf man eins hoffen: dass uns Polen nicht auch noch beim Kicken überholt.
http://www.welt.de/die-welt/wirtschaft/article4472233/Polen-ist-Europas-neuer-Musterschueler.html
Von Michael Fabricius, Mitarbeit: Gerhard Gnauck 6. September 2009, 04:00 Uhr
Kaum eine Volkswirtschaft in der Europäischen Union wächst zurzeit so stark wie Polen. Der Trick: Unsere Nachbarn haben etwas Besseres als die Abwrackprämie.
"Polnische Wirtschaft" ist in der deutschen Sprache auch eine Redewendung, eine Umschreibung für chaotische Verhältnisse - etwa das Gegenteil von "deutscher Gründlichkeit". Doch das Bild, das dieser Redewendung zugrunde liegt, ist veraltet. Die Wirtschaft in unserem Nachbarland hat sich umfassend gewandelt.
Als einziger europäischer Staat dürfte Polen ohne eine Rezession durch die Krise kommen, betrachtet man den Zeitraum von der Lehman-Pleite bis heute. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist im zweiten Quartal um 1,1 Prozent im Vergleich zum Vorquartal gewachsen, für das gesamte "Krisenjahr" 2009 erwartet Commerzbank Dresdner Kleinwort ein Prozent Wachstum - das bedeutet 14 Jahre kontinuierliches Wachstum. Die Löhne steigen, der private Konsum ist stabil, und der Fuhrpark der Autofahrer hat längst ein geringeres Durchschnittsalter als der in Deutschland.
In den kommenden Jahren wäre Polen sogar ein besserer Kandidat für einen Euro-Beitritt als Deutschland. Die Maastricht-Kriterien schreiben eine Neuverschuldungsquote von drei Prozent des BIP vor sowie eine Obergrenze für die Gesamtschulden von 60 Prozent der Wirtschaftsleistung. Für Deutschland prognostiziert die Europäische Kommission im kommenden Jahr ein Haushaltsdefizit von 4,2 Prozent und eine Gesamtverschuldung von 72,3 Prozent. Erst 2013, so die Erwartung von Ökonomen, wird Deutschland wieder den Stabilitätspakt einhalten können.
Polen lag bis vor Kurzem noch unter der Drei-Prozent-Grenze und wird diese Latte ebenfalls reißen - allerdings schnell wieder unterschreiten, wie Analysten von DB Research vermuten. Die Gesamtverschuldung dürfte unter 70 Prozent bleiben. Auch die Inflationsrate ist mit 1,8 Prozent im Rahmen. "Polen ist eines der am besten aufgestellten Länder für einen Euro-Beitritt", sagt Gunter Deuber von DB Research.
Wie aber kam das? Wie kann ein Land, das bis vor Kurzem noch mit einer Arbeitslosenquote von 20 Prozent zu kämpfen hatte, eine solche Kraft entfalten? Ein wenig Glück gehörte dazu - doch auch kluge Entscheidungen von Regierung und Zentralbank trugen dazu bei.
"Die Krise kam für Polen zum richtigen Zeitpunkt", sagt DB-Research-Experte Deuber. 2001 habe die Zentralbank mit Zinsanhebungen das Wachstum abgewürgt, aus Angst vor steigenden Staatsschulden, Inflation und Überhitzung. Viele Haushalte konnten ihre Kredite nicht mehr bedienen, die Ausfallrate schoss nach oben. "In der Folge entwickelte sich eine gesunde Skepsis gegenüber übermäßiger Verschuldung, sowohl bei den Bürgern als auch bei den Banken. Polen hat damit kein langjähriges unangemessenes Kreditwachstums gesehen", sagt Deuber.
Während in den letzten Jahren in anderen osteuropäischen Staaten wie Rumänien das Kreditvolumen um 30 bis 50 Prozent anstieg, blieb die Verschuldung in Polen moderat. Erst Mitte vergangenen Jahres begannen viele Polen, stärker auf Pump zu shoppen, zu einer Kreditblase jedoch kam es nicht mehr.
Genau zum Höhepunkt der Krise kam dann ein kleiner Geldsegen. Anfang 2009 stellte die EU Mittel für Strukturentwicklung zur Verfügung, und der Internationale Währungsfonds IWF vergab einen neuen flexiblen Kredit, den er im Mai noch einmal aufstockte. In Westeuropa starteten die Regierungen ihre Konjunkturprogramme, die auch die Nachfrage an den verlängerten Werkbänken im Osten erhöhte. Erleichternd kam hinzu, dass die Zentralbank den Zloty absinken lassen konnte, was Exporte nach Westeuropa verbilligte.
Damit aber sind die wesentlichen Effekte außerhalb der Reichweite der Regierung schon aufgezählt. Den wichtigsten Hebel für das starke Binnenwachstum hatte die regierende konservativ-liberale Bürgerplattform (PO) Ende letzten Jahres selbst in der Hand. Als in der ganzen Welt die Banken zusammenbrachen, saßen in Warschau die Wirtschaftsexperten rund um Premierminister Donald Tusk zusammen und fragten sich, ob sie die lange geplante Senkung der Einkommensteuer für das Jahr 2009 streichen sollten. Sie entschieden sich dagegen. Und lösten damit einen Konsumschub aus. "Das größte Antikrisenprogramm waren die Steuersenkungen", sagt Analyst Deuber. Sogar im Juli legten die Einzelhandelsverkäufe noch um 5,7 Prozent zum Vorjahr zu.
Die Steuersenkung führt zu Einnahmeausfällen, doch Premierminister Tusk verspricht, die Neuverschuldung nicht ausufern lassen: "Wir halten das Defizit unter Kontrolle", sagte er vor wenigen Tagen. Schon ab September will die Regierung die Aufnahme neuer Schulden zurückfahren. Leszek Balcerowicz, Reformer der 90er-Jahre, früher Finanzminister und Chef der Zentralbank, verweist aber auch auf eine strenge Kreditvergabe: "Seit 2006 gab es verschärfte Bedingungen für Wohnungskredite für Minderbemittelte, also das Gegenteil der Subprime-Politik der USA."
Mittlerweile schätzt eine Mehrheit der Bevölkerung den Sparkurs. Am Kapitalmarkt ist Polen ein gern gesehener Schuldner. Und der IWF zeigt sich geradezu euphorisch: "Dies ist ein weiteres Beispiel, wie kluge Wirtschaftspolitik in der Vergangenheit Spielraum für die Gegenwart verschaffen kann. Die Verantwortlichen handelten wachsam und entschlossen", lautet der Kommentar zur Ausgabenpolitik.
Zur Krönung fehlt eigentlich nur noch eins: Fußball. 2012 ist Polen gemeinsam mit der Ukraine Gastgeber für die Europameisterschaft. Neben ökonomischen Effekten, die auch das auslösen wird, darf man eins hoffen: dass uns Polen nicht auch noch beim Kicken überholt.
http://www.welt.de/die-welt/wirtschaft/article4472233/Polen-ist-Europas-neuer-Musterschueler.html