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Vollständige Version anzeigen : "Die Kuh im Propeller"



bernhard44
16.08.2009, 09:37
Es gab sie, die feine Satire, auch oder gerade in der "DDR". Hier musste man, ob der Verhältnisse, eine feinere Klinge schwingen oft zwischen den Zeilen oder durch die Blume seine Botschaft an den Mann bringen.

lasst uns einige Beispiele zusammentragen.

Hier "Die Kuh im Propeller" vorgetragen von Manfred Krug bei "Lyrik, Jazz, Prosa" am 31.10.1965



Michail Sostschenko

Die Kuh im Propeller

Grigori Kossonossow, der Wächter der Fliegerschule, fuhr auf Urlaub in sein Heimatdorf.

"Nun, was ist, Genosse Kossonossow," sagten die Kollegen beim Abschied, "da ihr schon hinfahrt, könnt ihr vielleicht ein bißchen agitieren dort im Dorf, wie? Sagt den Bäuerlein so und so, das Flugwesen entwickelt sich bei uns, vielleicht tragen sie etwas Geld zusammen für ein neues Flugzeug!"

"Da könnt ihr versichert sein," antwortete Kossonossow, "ich werd' schon tüchtig Propaganda machen, wär' was anderes, wenn es nicht ums Flugwesen ginge, aber darüber, seid unbesorgt, werd' ich schon was richtiges sagen!"

Kossonossow kam nach Haus und begab sich gleich am Tag seiner Ankunft zum Dorfsowjet.

"Also," sagte er, "ich will hier ein bißchen agitieren! Kann man nicht eine Versammlung einberufen?"

"Nun, warum nicht," sagte der Vorsitzende, "agitiert nur, agitiert nur!"

Am anderen Tag rief der Sowjet die Bauern beim Feuerwehrschuppen zusammen. Grigori Kossonossow trat vor sie hin, verbeugte sich und begann:

"Also, so ist das, das Flugwesen, Genossen Bauern! Da ihr ein, naja, na Gott naja, ungebildetes Volk seid, werde ich euch etwas von der Politik erzählen. Hier, sagen wir mal, ist Deutschland und dort vielleicht Frankreich. Hier Rußland und da - naja, überhaupt..."

"Worüber redest du eigentlich, Väterchen?" fragten die Bauern.

"Worüber?" erwiderte Kossonossow empört, "über das Flugwesen natürlich! Blüht halt sehr auf, das Flugwesen! Hier ist also Rußland und hier ist China."

Die Bauern hörten finster zu. "Halt' dich nicht auf!" rief jemand von hinten. "Red' weiter!"

"Ich halt' mich ja gar nicht auf", sagte Kossonossow eingeschüchtert. "Ich red' ja über das Flugwesen. Es entwickelt sich bei uns, Genossen Bauern, nichts dagegen zu sagen, was wahr ist, ist wahr!"

"Hm, etwas unverständlich," rief der Vorsitzende. "Sie, Genosse, müssen etwas volkstümlicher sprechen, bitte, daß Sie die Masse auch versteht!"

Kossonossow trat näher an den Haufen der Bauern heran, setzte verlegen das eine Bein etwas vor und begann von neuem: "Also, Genossen Bauern -man baut Flugzeuge bei uns. Und nachher - ssst - fliegt man! In der Luft sozusagen!

Nun, mancher natürlich hält sich oben nicht gut, bums, saust er runter wie der Fliegergenosse Jeremilkin, rauffliegen tat er ganz gut und dann bums, krach, ein nasser Fleck blieb übrig!"

"Ist doch kein Vogel schließlich," sagten weise die Bauern.

"Eben, das sag' ich auch!" sagt Kossonossow, erfreut über die Anteilnahme. "Natürlich kein Vogel! Ein Vogel, wenn der herunterfällt, nun ja, er schüttelt sich und los weiter.

Anders beim Menschen. War da noch so ein anderer Flieger. Der fiel auf einen Baum und hing da wie ein Äpfelchen. Hat sich natürlich erschreckt, der Arme, es war zum kranklachen!

Ja, ja, ja, verschiedenes passiert so! Da ist einmal eine Kuh bei uns in den Propeller gekommen! Ritsch, ratsch, weg war sie! Auch Hunde!"

"Und Pferde?" fragten ängstlich die Bauern. "Auch Pferde, Väterchen?"

"Auch Pferde!" sagte stolz im Brustton der Überzeugung der Redner. "Das kommt oft vor!"

"Ach, diese Kanallien, hol' sie der Teufel!" sagte jemand. "Was sie sich jetzt alles ausdenken: Pferde zu Tode quälen - nun Väterchen -und das entwickelt sich jetzt, ja?"

"Eben, das sag' ich ja! Es entwickelt sich, Genossen Bauern! Und darum meine ich, sammelt vielleicht die ganze Bauernschaft etwas Geld."

"Wofür denn bloß, Väterchen?" fragten neugierig die Bauern.

"Für ein Flugzeug natürlich!" sagte der Redner. Die Bauern lächelten sehr finster und gingen langsam auseinander.

Geld für ein neues Flugzeug brachte Kossonossow, als er von seinem Urlaub zurückkam, nicht mit. Die Bauern seines Heimatdorfes waren eben noch ein zu ungebildetes Volk.

Lichtblau
16.08.2009, 10:21
Das ist aus Jazz, Lyrik, Prosa.

Hier was anderes daraus:
http://www.youtube.com/watch?v=Ke-hn1ES2cw

Man beachte die Publikumsreaktion wo er bei der SPD ist.
Herrlich.

bernhard44
16.08.2009, 10:22
viele der hier schreibenden User und lesenden Gäste kennen die "DDR" gar nicht mehr.
Noch schwieriger für sie eine besondere Stilrichtung der sozialistischen Kunst einzuordnen.
Satire und damit kritischer Umgang mit dem System, war stets eine Gratwanderung an der Grenze des machbaren bzw. geduldeten und hatte nur allzu leicht dramatische Auswirkungen auf den weiteren persönlichen und künstlerischen Werdegang.
Satire vor allem politische Satire durfte im Gegensatz zum "Westen" immer nur einzelne Missstände, nie aber das System als Ganzes oder gar die Repräsentanten des Systems treffen. Noch zu Ulbrichts Zeiten gab es empfindliche Gefängnisstrafen für politische Witze.
Oft war aber auch der "real existierende Sozialismus" selbst Satire in seiner Überhöhung der soz. Propaganda und Hurraideologie, wenn zum Beispiel als Ausdruck der (auferlegten) Liebe zur Sowjetunion über dem Tor der Schriftzug prangte: "Das was wir sind, sind wir durch die Sowjetunion", nur war das zu lesen, über dem Eingang eines Krankenhauses mit speziellem Schwerpunkt ..... Psychiatrie. ;)
Ob und wie es dem Autoren geschadet hat ist leider unbekannt.

bernhard44
16.08.2009, 10:25
Das ist aus Jazz, Lyrik, Prosa.

Hier was anderes daraus:
http://www.youtube.com/watch?v=Ke-hn1ES2cw

Man beachte die Publikumsreaktion wo er bei der SPD ist.
Herrlich.

Gerd E. Schäfer! :))

Lichtblau
16.08.2009, 10:27
viele der hier schreibenden User und lesenden Gäste kennen die "DDR" gar nicht mehr.
Noch schwieriger für sie eine besondere Stilrichtung der sozialistischen Kunst einzuordnen.
Satire und damit kritischer Umgang mit dem System, war stets eine Gratwanderung an der Grenze des machbaren bzw. geduldeten und hatte nur allzu leicht dramatische Auswirkungen auf den weiteren persönlichen und künstlerischen Werdegang.
Satire vor allem politische Satire durfte im Gegensatz zum "Westen" immer nur einzelne Missstände, nie aber das System als Ganzes oder gar die Repräsentanten des Systems treffen. Noch zu Ulbrichts Zeiten gab es empfindliche Gefängnisstrafen für politische Witze.
Oft war aber auch der "real existierende Sozialismus" selbst Satire in seiner Überhöhung der soz. Propaganda und Hurraideologie, wenn zum Beispiel als Ausdruck der (auferlegten) Liebe zur Sowjetunion über dem Tor der Schriftzug prangte: "Das was wir sind, sind wir durch die Sowjetunion", nur war das zu lesen, über dem Eingang eines Krankenhauses mit speziellem Schwerpunkt ..... Psychiatrie. ;)
Ob und wie es dem Autoren geschadet hat ist leider unbekannt.

Das stimmt.
In der Kunst durfte man auch mal was kritisches übers eigene System sagen. Ansonsten nie.
Überhaupt durfte vieles nur in der Kunst gesagt werden, z.B. erfuhr man nur in Filmen etwas über den Holocaust. Offiziell wurde er fast tot geschwiegen.

bernhard44
16.08.2009, 10:32
Eberhard Esche: "Der Hase im Rausch" von Sergej Michalkow

http://www.youtube.com/watch?v=O5bI7ZUlQy8&feature=related

romeo1
16.08.2009, 10:38
Oder die Abwandlung eines Honeckerspruches: Wir müssen rausholen aus unseren Betrieben, was rauszuholen geht.
Dies wurde sehr kreativ interpretiert.

bernhard44
16.08.2009, 10:50
Oder die Abwandlung eines Honeckerspruches: Wir müssen rausholen aus unseren Betrieben, was rauszuholen geht.
Dies wurde sehr kreativ interpretiert.


oder der: Genossen, unsere teuren Freunde aus der Sowjetunion, wollen nur unser Bestes!"
darauf ein Zuhörer:"na das meiste hamse schon"!

Pythia
16.08.2009, 11:53
"Die Kuh im Propeller" vorgetragen von Manfred Krug bei "Lyrik, Jazz, Prosa" am 31.10.1965Um diese Zeit arbeitete ich erstmals in der DDR und traute mich nur Witze zu erzählen, bei denen Adenauer auf die Fresse flog. Oder Kennedy. Oder Ostfriesen-Witze. Hätte ich die Sache mit der Kuh zum Besten gegeben, hätte man meine Firma wohl umgehend gebeten ...
http://www.24-carat.de/Forum/L-635.GIF
... mich abzuziehen und zu ersetzen. Aber solche Probleme hatte ich nicht: Konformismus hatte ich ja in der Klosterschule gelernt. So hatte ich auch in Kuba und Guyana nie Probleme. Nicht mal im Polizeistaat Südafrika. Ich fand Konformismus früher aber auch nie schwer.
http://www.24-carat.de/Forum/L-635.GIF
Schwer fiel es mir erst, als sich nach der Öfffnung der Mauer der eiserne Vorhang in den Köpfen schloß. Meiner Ansicht nach war es Kohls größter Fehler die Stasi nicht zu übernehmen sondern sie Allesamt als Verbrecher abzustempeln und der Russenmafia in die Arme zu treiben.
http://www.24-carat.de/Forum/L-635.GIF
Das in der alten BRD gemalte DDR-Bild fand ich zum Kotzen, und mit meinem Konformismus war es vorbei. Als ich 1997/98 (http://www.24-carat.de/2009/Partial/Jena.htm) mal wieder in der Ehemaligen arbeitete, sah ich die Leute dort als die besten Arbeiter und Mitarbeiter der Welt, so wie hier im Westen nur bis in die 60er ...
http://www.24-carat.de/Forum/L-635.GIF
... als Leistungswille hier langsam der Gier nach immer mehr Kohle für immer weniger Leistung wich. 1968 wollte ich dann doch lieber mit leistungsfreudigen Leuten arbeiten und wanderte aus. Als das USACE (http://www.24-carat.mobi/usac/Plp-usag.htm) mich 1980 wieder in die BRD schickte, sah ich mit Schrecken:
http://www.24-carat.de/Forum/L-635.GIF
Deutsche waren gar nicht mehr die Deutschen, die ich mal kannte. Türken oder Jugoslaven waren fleißiger und zuverlässiger. Selbst die Chefetagen waren hedonistisch und narzistisch geworden: eitel wie Pfau möglichst viel Kohle für möglichst wenig Leistung krallen.
http://www.24-carat.de/Forum/L-635.GIF
Zum Glück sehen es Viele auch so: immer mehr deutsche Leistungsträger und Firmen wandern aus. 2025 werden im Ausland schon mehr Deutsche geboren und deutsche Produkte hergestellt als hier.
http://www.24-carat.de/Forum/L-635.GIF
http://www.24-carat.de/2009/Abendl-2.gif
http://www.24-carat.de/Forum/L-635.GIF
Ossis sind übrigens im Ausland beliebter als Wessis, da Ossis keine Angst vor harter Arbeit haben. Sogar bei der Fremdenlegion sind sie beliebter, da bei den Wessis zu viele Weicheier sind.

henriof9
16.08.2009, 12:04
Das stimmt.
In der Kunst durfte man auch mal was kritisches übers eigene System sagen. Ansonsten nie.
Überhaupt durfte vieles nur in der Kunst gesagt werden, z.B. erfuhr man nur in Filmen etwas über den Holocaust. Offiziell wurde er fast tot geschwiegen.

Er wurde offiziell nur nicht als solcher bezeichnet.
Unter Totgeschwiegen verstehe ich zumindest nicht diese unsäglichen, jährlichen KZ- Besuche mit den Dokumentationsfilmen, welche dann zusätzlich präsentiert wurden.

Aber zum Thema.

Es kam auch in der Kunst darauf an, wie und in welcher Art und Weise Kritik präsentiert wurde.
Wenn ich da mal an den DEFA- Film " Spur der Steine " erinnern darf, welcher kurioserweise nicht wegen der Darstellung der Mangelwirtschaft verboten wurde, sondern wegen der Darstellung des Parteioffiziers.
Umso mehr, als das dieser Film zunächst die Kinoerlaubnis bekam und erst nach dem Zuspruch der breiten Masse 3 Tage später aus dem Verkehr gezogen wurde.

bernhard44
16.08.2009, 12:48
Er wurde offiziell nur nicht als solcher bezeichnet.
Unter Totgeschwiegen verstehe ich zumindest nicht diese unsäglichen, jährlichen KZ- Besuche mit den Dokumentationsfilmen, welche dann zusätzlich präsentiert wurden.

Aber zum Thema.

Es kam auch in der Kunst darauf an, wie und in welcher Art und Weise Kritik präsentiert wurde.
Wenn ich da mal an den DEFA- Film " Spur der Steine " erinnern darf, welcher kurioserweise nicht wegen der Darstellung der Mangelwirtschaft verboten wurde, sondern wegen der Darstellung des Parteioffiziers.
Umso mehr, als das dieser Film zunächst die Kinoerlaubnis bekam und erst nach dem Zuspruch der breiten Masse 3 Tage später aus dem Verkehr gezogen wurde.

das "Giftschrank" der DEFA und des Fernsehens der "DDR" war voll mit solchen Beispielen.

Stechlin
16.08.2009, 13:14
Gerd E. Schäfer! :))

Ach ja, Maxe Baumann...:)

Stechlin
16.08.2009, 13:17
Kunst kann nur in Unfreiheit zu voller Blüte sich entfalten. Dann muss sich der Künstler nämlich was einfallen lassen, und die Kameraden Künstler der DDR waren da sehr kreativ.

Schillers Räuber wären niemals ein Erfolg geworden, wenn man dem guten Friedrich hätte gewähren lassen.

bernhard44
16.08.2009, 13:41
Ach ja, Maxe Baumann...:)

was hab ich gelacht über den! Wenn er dann noch mit der unvergleichlichen Agnes Kraus gespielt hat..............köstlich!

Stechlin
16.08.2009, 13:51
was hab ich gelacht über den! Wenn er dann noch mit der unvergleichlichen Agnes Kraus gespielt hat..............köstlich!

In der Tat. Diese DDR-Fernsehspiele waren wirklich Erste Qualität; keine flache Unterhaltung, sondern Frohsinn mit Niveau.

Mein Gott, denke mal an Helga Hahnemann ... das waren noch Künstler vom Format einer Claire Waldoff, mit Witz und formvollendeter Mundart. Das fehlt heute.

Allerdings sei der Fairniss halber gesagt, dass auch der Westen, als es noch nicht dieses elende Privatfernsehen gab, ganz hervorragende Fernsehkünstler zu bieten hatte.