Grotzenbauer
01.08.2009, 09:49
Ist Undank der Schweiz Lohn?
Leistungsbilanzen
Von Ulrich Schlüer, Chefredaktor «Schweizerzeit»
Einst wollten Historiker mittels exakter Forschung Vorgänge in früheren Zeiten anhand genau belegter und sorgfältig interpretierter Zeugnisse so wahrheitsgetreu wie irgend möglich erfassen und darstellen. Heute scheint oberflächlichen Schwätzern «zeitgemäss-politische Interpretation» früherer Vorgänge attraktiver. Selbst wenn Wahrheit dabei auf der Strecke bleibt.
«Zeitgemässe», ja tendenziöse Interpretation kommt zum Ausdruck, wenn - wie es dem Zürcher «Tages-Anzeiger» auf der Titelseite am 28. Juli dieses Jahres gefiel - etwa unterstellt wird, jene Generation, welche die Schweiz heil und frei durch den Zweiten Weltkrieg gebracht hat, feiere heute «den Kriegsausbruch von damals».
Dümmer, oberflächlicher, pubertärer kann die Wirklichkeit wahrhaft nicht entstellt werden. Ob heutigen, sich vielschreibend in Frotzeleien ergehenden «Vergangenheits-Spezialisten» elementare strategische Zusammenhänge rund um den Zweiten Weltkrieg wirklich völlig unzugänglich sind und bleiben? Selbst solche, die heute noch gültig sind?
Die Schweizer Armee und der Krieg
Eine grundlegende strategische Einsicht hat (und müsste auch heute nocht) die schweizerische Sicherheitspolitik stets geprägt seit der Absage an Grossmachtpolitik nach Marignano 1515, seit der Formulierung der Neutralitätspolitik spätestens auf dem Wiener Kongress und auf der Grundlage des vom Volk geäusserten Willens, eine politisch selbständige und eigenständig entscheidende Schweiz bewahren zu wollen: Selbst wenn die Schweizer Armee verhältnismässig stark ist, so hatte und hat sie nie die Funktion, einen Krieg gewinnen zu müssen. Ihre relative Stärke war und ist vielmehr ausgerichtet auf das primäre Ziel, jeden Krieg wenn irgend möglich von der Schweiz abzuhalten. Gelingt das nicht, wird unserem Land also ein Krieg aufgezwungen, dann hat unsere Armee die Aufgabe, diesen Krieg auf keinen Fall zu verlieren. Ein strategisches Ziel, in dem sich der fundamentale Unterschied zwischen Kriegswillen und Friedenswillen manifestiert. Das Réduit des Zweiten Weltkriegs als «Fluchtburg» zu etikettieren für solche, die zum Kämpfen zu feige waren, ist an Larifari-Inkompetenz in strategischen Fragen wirklich nicht mehr zu überbieten.
Wer sich derart strategischen Schwachsinn leistet, möchte als heutiger Besserwisser die damaligen Verantwortungsträger in unserem Land nachträglich offenbar beauftragen, sie hätten eigentlich als Exponenten einer sog. «besseren Schweiz» mit der Armee zum Marsch auf Berlin aufbrechen müssen - auf dass unsere Soldaten dort (oder bereits hunderte Kilometer vor
Mehr Information? Berlin) den Heldentod auf dem Schlachtfeld gestorben wären - womit unser Land mit seiner ganzen Bevölkerung der Wehrmacht preisgegeben und die hier immerhin in Sicherheit lebenden Juden den Nazis ans Messer geliefert worden wären...
Verantwortungsloser, kurzsichtiger, dümmer geht’s wahrlich nimmer!
Das strategische Kalkül
Der General, verantwortlich für die Sicherheit der gesamten Schweiz und ihrer ganzen Bevölkerung, Kommandant einer zwar ernstzunehmenden, der damaligen Deutschen Wehrmacht in der direkten Auseinandersetzung aber bei weitem unterlegenen Schweizer Armee, erkannte vielmehr: Das strategische Ziel, das Hitler gegen die Schweiz verfolgte, bestand darin, die für die Achsenmächte unverzichtbaren Alpenübergänge intakt in die Hand zu bekommen. Wer also «dem Führer» glaubwürdig zeigen kann, dass er sein strategisches Ziel bestenfalls vollständig zerstört und unpassierbar für seine Wehrmacht in seine Hand bekommen könne, und dass die Erkämpfung dieses strategischen Ziels zwar nicht die ganze Wehrmacht, aber immerhin starke Kräfte davon während nicht allzu kurzer Zeit festbinden würde, dem kann es gelingen, Hitlers Aggressionstrieb wenigstens für einige - schliesslich entscheidende - Jahre zu bändigen und damit das eigene Land vor Kriegsnot, Zerstörung und Verderben zu verschonen. Das war ein Beispiel erfolgreicher «asymmetrischer Kriegführung» zur Zeit des Zweiten Weltkriegs.
Dass es Guisan - nicht minder entscheidend - zusätzlich gelang, das eigene, sowohl die Wehrmacht als auch die verbrecherische Aggressivität Hitlers richtig einschätzende und deshalb wahrhaft fürchtende Volk von der Richtigkeit seiner Strategie zu überzeugen und Armee, Regierung und Volk zu geschlossenem Mittragen dieser Strategie zu gewinnen: Das war der zweite entscheidende Abschreckungsfaktor selbst für Angriffslüsterne vom Schlage eines Adolf Hitler.
Leistung der Gestrigen - Leistung der Heutigen
Damit ist in kurzen Worten die Leistungsbilanz der Weltkriegs-Generation zusammengefasst. Wer das Gedenken an solche - wahrhaft den Dank der Heutigen verdienende - Leistung als «Feier des Kriegsausbruchs» diffamieren will, profiliert sich höchstens als Spitzenkandidat in einem möglichen Wettbewerb um das dickste Brett vor dem Kopf…
Die Leistung damals wurde übrigens - auch erwähnenswert - erbracht in einer wahrhaft von Entbehrungen gezeichneten Zeit - kurz nach der grossen Weltwirtschaftskrise, die auch mancher Schweizer Familie schwere Not beschert hat. Diejenigen, deren heutige «Leistung» darin besteht, mit kurzem Verstand die in der Zielerreichung eindrückliche Leistungsbilanz der Gestrigen mit schäbigen Argumenten als «Mythos-Pflege» abtun zu wollen, müssen sich heute wohl fragen lassen, was für eine Leistungsbilanz denn sie nach Jahrzehnten beispielloser Hochkonjunktur, vorzuweisen haben: Uferlose Staatsverschuldung, ausgebeutete Sozialwerke, bald zutode experimentierte Volksschule, geplatzte Spekulationsblasen, vernachlässigte Armee, abgewertete Demokratie, Gewaltorgien nicht erzogener Jungendlicher - von geschwätzigen, oberflächlichen Medienmachern je als «diskussionswürdige Ansätze im Aufbruch zu neuen Zeiten» hochgelabert.
Irgendwie verständlich, dass diejenigen, die von ihren kurzatmig hochgejubelten, allerdings kaum Substanz ausweisenden «Leistungsbilanzen» von heute ablenken müssen, ins Gewand lächerlicher Bekrittler schlüpfen müssen, wenn sie gestern erbrachte Leistung mit der ihrigen zu vergleichen haben.
Ulrich Schlüer:schweiz:
Leistungsbilanzen
Von Ulrich Schlüer, Chefredaktor «Schweizerzeit»
Einst wollten Historiker mittels exakter Forschung Vorgänge in früheren Zeiten anhand genau belegter und sorgfältig interpretierter Zeugnisse so wahrheitsgetreu wie irgend möglich erfassen und darstellen. Heute scheint oberflächlichen Schwätzern «zeitgemäss-politische Interpretation» früherer Vorgänge attraktiver. Selbst wenn Wahrheit dabei auf der Strecke bleibt.
«Zeitgemässe», ja tendenziöse Interpretation kommt zum Ausdruck, wenn - wie es dem Zürcher «Tages-Anzeiger» auf der Titelseite am 28. Juli dieses Jahres gefiel - etwa unterstellt wird, jene Generation, welche die Schweiz heil und frei durch den Zweiten Weltkrieg gebracht hat, feiere heute «den Kriegsausbruch von damals».
Dümmer, oberflächlicher, pubertärer kann die Wirklichkeit wahrhaft nicht entstellt werden. Ob heutigen, sich vielschreibend in Frotzeleien ergehenden «Vergangenheits-Spezialisten» elementare strategische Zusammenhänge rund um den Zweiten Weltkrieg wirklich völlig unzugänglich sind und bleiben? Selbst solche, die heute noch gültig sind?
Die Schweizer Armee und der Krieg
Eine grundlegende strategische Einsicht hat (und müsste auch heute nocht) die schweizerische Sicherheitspolitik stets geprägt seit der Absage an Grossmachtpolitik nach Marignano 1515, seit der Formulierung der Neutralitätspolitik spätestens auf dem Wiener Kongress und auf der Grundlage des vom Volk geäusserten Willens, eine politisch selbständige und eigenständig entscheidende Schweiz bewahren zu wollen: Selbst wenn die Schweizer Armee verhältnismässig stark ist, so hatte und hat sie nie die Funktion, einen Krieg gewinnen zu müssen. Ihre relative Stärke war und ist vielmehr ausgerichtet auf das primäre Ziel, jeden Krieg wenn irgend möglich von der Schweiz abzuhalten. Gelingt das nicht, wird unserem Land also ein Krieg aufgezwungen, dann hat unsere Armee die Aufgabe, diesen Krieg auf keinen Fall zu verlieren. Ein strategisches Ziel, in dem sich der fundamentale Unterschied zwischen Kriegswillen und Friedenswillen manifestiert. Das Réduit des Zweiten Weltkriegs als «Fluchtburg» zu etikettieren für solche, die zum Kämpfen zu feige waren, ist an Larifari-Inkompetenz in strategischen Fragen wirklich nicht mehr zu überbieten.
Wer sich derart strategischen Schwachsinn leistet, möchte als heutiger Besserwisser die damaligen Verantwortungsträger in unserem Land nachträglich offenbar beauftragen, sie hätten eigentlich als Exponenten einer sog. «besseren Schweiz» mit der Armee zum Marsch auf Berlin aufbrechen müssen - auf dass unsere Soldaten dort (oder bereits hunderte Kilometer vor
Mehr Information? Berlin) den Heldentod auf dem Schlachtfeld gestorben wären - womit unser Land mit seiner ganzen Bevölkerung der Wehrmacht preisgegeben und die hier immerhin in Sicherheit lebenden Juden den Nazis ans Messer geliefert worden wären...
Verantwortungsloser, kurzsichtiger, dümmer geht’s wahrlich nimmer!
Das strategische Kalkül
Der General, verantwortlich für die Sicherheit der gesamten Schweiz und ihrer ganzen Bevölkerung, Kommandant einer zwar ernstzunehmenden, der damaligen Deutschen Wehrmacht in der direkten Auseinandersetzung aber bei weitem unterlegenen Schweizer Armee, erkannte vielmehr: Das strategische Ziel, das Hitler gegen die Schweiz verfolgte, bestand darin, die für die Achsenmächte unverzichtbaren Alpenübergänge intakt in die Hand zu bekommen. Wer also «dem Führer» glaubwürdig zeigen kann, dass er sein strategisches Ziel bestenfalls vollständig zerstört und unpassierbar für seine Wehrmacht in seine Hand bekommen könne, und dass die Erkämpfung dieses strategischen Ziels zwar nicht die ganze Wehrmacht, aber immerhin starke Kräfte davon während nicht allzu kurzer Zeit festbinden würde, dem kann es gelingen, Hitlers Aggressionstrieb wenigstens für einige - schliesslich entscheidende - Jahre zu bändigen und damit das eigene Land vor Kriegsnot, Zerstörung und Verderben zu verschonen. Das war ein Beispiel erfolgreicher «asymmetrischer Kriegführung» zur Zeit des Zweiten Weltkriegs.
Dass es Guisan - nicht minder entscheidend - zusätzlich gelang, das eigene, sowohl die Wehrmacht als auch die verbrecherische Aggressivität Hitlers richtig einschätzende und deshalb wahrhaft fürchtende Volk von der Richtigkeit seiner Strategie zu überzeugen und Armee, Regierung und Volk zu geschlossenem Mittragen dieser Strategie zu gewinnen: Das war der zweite entscheidende Abschreckungsfaktor selbst für Angriffslüsterne vom Schlage eines Adolf Hitler.
Leistung der Gestrigen - Leistung der Heutigen
Damit ist in kurzen Worten die Leistungsbilanz der Weltkriegs-Generation zusammengefasst. Wer das Gedenken an solche - wahrhaft den Dank der Heutigen verdienende - Leistung als «Feier des Kriegsausbruchs» diffamieren will, profiliert sich höchstens als Spitzenkandidat in einem möglichen Wettbewerb um das dickste Brett vor dem Kopf…
Die Leistung damals wurde übrigens - auch erwähnenswert - erbracht in einer wahrhaft von Entbehrungen gezeichneten Zeit - kurz nach der grossen Weltwirtschaftskrise, die auch mancher Schweizer Familie schwere Not beschert hat. Diejenigen, deren heutige «Leistung» darin besteht, mit kurzem Verstand die in der Zielerreichung eindrückliche Leistungsbilanz der Gestrigen mit schäbigen Argumenten als «Mythos-Pflege» abtun zu wollen, müssen sich heute wohl fragen lassen, was für eine Leistungsbilanz denn sie nach Jahrzehnten beispielloser Hochkonjunktur, vorzuweisen haben: Uferlose Staatsverschuldung, ausgebeutete Sozialwerke, bald zutode experimentierte Volksschule, geplatzte Spekulationsblasen, vernachlässigte Armee, abgewertete Demokratie, Gewaltorgien nicht erzogener Jungendlicher - von geschwätzigen, oberflächlichen Medienmachern je als «diskussionswürdige Ansätze im Aufbruch zu neuen Zeiten» hochgelabert.
Irgendwie verständlich, dass diejenigen, die von ihren kurzatmig hochgejubelten, allerdings kaum Substanz ausweisenden «Leistungsbilanzen» von heute ablenken müssen, ins Gewand lächerlicher Bekrittler schlüpfen müssen, wenn sie gestern erbrachte Leistung mit der ihrigen zu vergleichen haben.
Ulrich Schlüer:schweiz: