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Vollständige Version anzeigen : Berlin oder Mumbai



henriof9
24.07.2009, 08:37
Das Chaos im Berliner Nahverkehr hat die britische "Financial Times" veranlasst, die gerne als Weltstadt auftretende deutsche Metropole mit Mumbai zu vergleichen. Peinlich genug.

Wie hätte ein Regierender Bürgermeister Willy Brandt reagiert, wenn im damals noch eher beschaulichen Westberlin der öffentliche Nahverkehr zusammengebrochen wäre? Was hätte ein Helmut Schmidt getan, wenn Hamburg in diese Lage geraten wäre?

Unvorstellbar, dass sie gut gelaunt in die Ferien gefahren wären: Sie hätten sich reingehängt, um die Krise zu entschärfen. Für den derzeit Regierenden Klaus Wowereit dagegen ist das kein Problem: Rund 400 000 Berliner, eine komplette deutsche Großstadt, können die S-Bahn nicht mehr nutzen. Die Ost-West-Verbindung der S-Bahn wird nicht mehr bedient. Nicht nur Berufspendler, Gewerbetreibende und Touristen leiden, die Stadt selber bekommt einen formidablen Imageschaden weg. Und Wowereit? Grüßt gut gelaunt aus dem Urlaub - seine Mitarbeiter präzisieren, er urlaube in Berlin und lasse sich stets informieren - und empfiehlt, die Berliner sollten "Rücksicht nehmen" und einander helfen.

Es ist völlig unbestritten, dass die primäre Verantwortung beim Management der S-Bahn und damit bei der Bahn liegt. Nur geht es bei einem Desaster dieser Größenordnung nicht allein um wirtschaftliche und administrative Zuständigkeiten, sondern um das Wohl der Stadt und ihrer Bürger.
Die stellen mit typischem Berliner Humor fest, dass es bislang erst einmal einen vergleichbaren Verkehrsinfarkt gab, und dafür brauchte die Rote Armee 1945 ziemlich viel Artillerie samt Fußtruppen.

Von der Lebenswirklichkeit ihrer Wähler haben sich diese Politiker ein gutes Stück weit entfernt. In Berlin ist das nicht nur am Beispiel der S-Bahn-Krise zu besichtigen, sondern auch an der Stadtplanung und der Schulpolitik. Wer mit Wowereit über die Frage diskutiert, wie die Stadt seiner Ansicht nach in zehn Jahren aussehen sollte, hört von ihm, das werde sich schon ergeben.

Das spürbare Desinteresse an der Lebenswirklichkeit und am Alltag der Bürger ist vielleicht die wichtigste Ursache für das, was man mit einer etwas abgegriffenen Floskel "Politikverdrossenheit" nennt: Die Wähler nehmen zur Kenntnis, das sich einige ihrer gewählten Vertreter für Fragen nicht mehr interessieren oder engagieren, die sie selber ganz unmittelbar berühren.


zu lesen hier (http://www.handelsblatt.com/politik/handelsblatt-kommentar/berlin-oder-mumbai;2436302)

So weit ist es nun schon gekommen, daß schon die britische "Financial Times" sich gemüßigt fühlt Berlin mit Mumbai zu vergleichen.

Berlin, Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland, Vorzeigestadt und symptomatisch für die gesamte BRD.
Wann bitte wird denn endlich zur Kenntnis genommen, daß es nicht so weitergehen kann in Deutschland ?
Es geht doch nicht nur um das S- Bahn-Chaos, es geht um den generellen Zerfall von Werten, gesellschaftlicher Entwicklung und das Ansehen von Deutschland.

Strandwanderer
24.07.2009, 08:45
Aus dem verlinkten Artikel auch dies:


Wowereit, der immerhin als möglicher nächster Kanzlerkandidat der SPD gehandelt wird, zählt zu einem neuen Politikertypus. Den findet man nicht nur, aber auch in der SPD. Parteiinterne Vorgänge, die Pflege bestimmter Flügel und Strömungen sowie Beschlusslagen sind ihm sehr wichtig. Er definiert sich über seine Stellungnahmen zu bestimmten Themen, die in der Funktionärsschicht der Partei als identitätsstiftend angesehen werden. Darauf Einfluss zu nehmen ist mittlerweile fast wichtiger, als tatsächlich Politik zu gestalten.
. . .
Wer mit Wowereit über die Frage diskutiert, wie die Stadt seiner Ansicht nach in zehn Jahren aussehen sollte, hört von ihm, das werde sich schon ergeben. Wer ihn fragt, warum Eltern für die Renovierung von Schultoiletten Geld sammeln müssen, erntet erstaunte Blicke: Da spreche ja wohl jemand, der übermäßig berlinkritisch sei.

Klopperhorst
24.07.2009, 08:46
Berlin ist eine zerrissene Stadt, ich kenne keine Stadt, die weniger Profil hat, als Berlin. Überbleibsel der Preussenkönige stehen neben Dönerdreck und Partymeile, Plattenbauten und verfallene Gründerviertel, keine Struktur, wohin man auch blickt.


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luis_m
24.07.2009, 08:46
Bis zur nächsten Wahl hat das Berliner Wahlvieh das doch schon wieder vergessen, es läge an den Medien, solches rechtzeitig vor der Wahl immer wieder zu thematisieren bis zum Erbrechen!

Man kann sagen das geht dem Regierenden am Arsch vorbei!

oder

Wenn ein warmer Arsch es will stehen alle Züge still!

Strandwanderer
24.07.2009, 08:50
"Wowereit, der lustlose Bürgermeister"


Noch mindestens bis in den Herbst fahren die S-Bahnen nur noch im Zwanzig-Minuten-Takt, wenn überhaupt. Am Donnerstag verreist der Rathauschef in die Sommerfrische. Vorher gibt es noch etwas auf die Nuss von der Springer-Presse, der einzigen Opposition in Berlin, die Wowereit fürchten muss. Ansonsten wirkt der 55-jährige Sozialdemokrat seit Monaten so, als würde ihn das Regieren der Bundeshauptstadt nicht mehr übermäßig antörnen. Wenn man die Berliner Landespolitik mit einem mittelgroßen Tümpel vergleicht, dann ist Wowereit ein mächtiges Krokodil, das reglos und leicht schläfrig am Ufer in der Sonne liegt und sich nur bewegt und mal zuschnappt, wenn es gar nicht anders geht.

Mit Frank Henkel, seinem Gegenspieler von der CDU, sind nur elf Prozent zufrieden. Er ist bestimmt kein Krokodil, das für Ärger am Berliner Tümpel sorgen könnte. Wahrscheinlich interessiert sich Wowereit längst für einen größeren Tümpel, die Bundespolitik und eine Kanzlerkandidatur 2013, wenn kaum noch einer weiß, wer Frank-Walter Steinmeier war. Er wird also weiter am Berliner Ufer liegen und abwarten. Scheinbar schläfrig.

Wowereit als Kanzlerkandidat - tiefer könnte Deutschand nicht gedemütigt werden!
Hoffen wir, daß die SPD sich vorher genügend weiter zerlegt.

Skaramanga
24.07.2009, 09:11
Wobei Mumbai ja nicht mal die Hauptstadt ist, sondern eher sowas wie Gelsenkirchen.

Die meisten amerikanischen B-Movie Endzeitfilme beginnen damit, dass in New York die Subway nicht mehr fährt...

henriof9
24.07.2009, 09:39
Berlin ist eine zerrissene Stadt, ich kenne keine Stadt, die weniger Profil hat, als Berlin. Überbleibsel der Preussenkönige stehen neben Dönerdreck und Partymeile, Plattenbauten und verfallene Gründerviertel, keine Struktur, wohin man auch blickt.


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Berlin ist das Spiegelbild der Gesellschaft in D.

Wobei man jetzt auch die Frage stellen könnte, will sich die Gesellschaft nicht verändern oder ist es nicht gewollt, daß sie sich, positiv, verändert ?

Mr Capone-E
24.07.2009, 09:45
Hauptsache die Schwuchtelfahne weht vorm Rathaus. Alles andere tangiert diesen widerlichen Typ nur peripher.

-SG-
24.07.2009, 09:49
Wowereit, der immerhin als möglicher nächster Kanzlerkandidat der SPD gehandelt wird, zählt zu einem neuen Politikertypus. Den findet man nicht nur, aber auch in der SPD. Parteiinterne Vorgänge, die Pflege bestimmter Flügel und Strömungen sowie Beschlusslagen sind ihm sehr wichtig. Er definiert sich über seine Stellungnahmen zu bestimmten Themen, die in der Funktionärsschicht der Partei als identitätsstiftend angesehen werden. Darauf Einfluss zu nehmen ist mittlerweile fast wichtiger, als tatsächlich Politik zu gestalten.

Sehr schön zusammengefasst.

Paul Felz
24.07.2009, 09:58
Hat sich Mumbai eigentlich schon über diese unverschämte Beleidigung beschwert?

Bergischer Löwe
24.07.2009, 10:14
Bombay hat wenigstens Palmen und ein Paar ganz nette Strände am indischen Ozean, ist Indiens Handels-, Banken- und Finanzzentrum und hat die angeblich größte Anzahl von (Dollar-) Millionären weltweit. Da kann Berlin wohl doch nicht ganz mithalten....Also Financial Times - vielleicht doch besser mit Neapel oder Bukarest vergleichen als mit echten Weltstädten wie Bombay.

Skaramanga
24.07.2009, 10:21
Bombay hat wenigstens Palmen und ein Paar ganz nette Strände am indischen Ozean, ...

Und ein paar ganz nette Slums, in denen eine Million Menschen im und vom Müll leben. Auch da kann Berlin noch nicht ganz mithalten. Kommt aber noch. :cool:

Bei der nächsten Landung in Bombay, einfach mal zum Fenster rausschauen. Die Slums grenzen nämlich direkt ans Rollfeld.

politisch Verfolgter
24.07.2009, 13:48
2050 gibts ca. 9.3 Mrd. Menschen. Indien ist dann der bevölkerungsreichste Staat.
In Mumbai aggregieren sich damit megametropolitane high tech cluster, auch starcatcher.
Die mentale Verteilung der indischen Population hat heute genauso wenig mit der Eink./Verm.-Verteilung zu tun, wie im Rest der Welt.
Durch derartige Clusterbildungen auf engstem Raum könnten Barrieren abgebaut werden, die heute noch wirksam sind.
Wäre zu hoffen, damit Verteilungsschranken und deren Parallelwelten zu durchbrechen, weil eben schon immer 99 % der techn.-wiss. Entwicklung von Betriebslosen kommt.

FranzKonz
24.07.2009, 13:52
Wowereit als Kanzlerkandidat - tiefer könnte Deutschand nicht gedemütigt werden!

Tiefer als durch Merkel halte ich für unmöglich.

Paul Felz
24.07.2009, 15:16
Tiefer als durch Merkel halte ich für unmöglich.

Paßt doch: Wowereit ist ja unmöglich :D

Don
24.07.2009, 15:20
Hat sich Mumbai eigentlich schon über diese unverschämte Beleidigung beschwert?

Ich bin dort mit zwei Brüdern befreundet, vielleicht sollte ich sie mal informieren.

Ich denke aber nicht daß eine 16 Millionen Metropole besonders an der deutschen Provinz interessiert ist.

Don
24.07.2009, 15:32
Bombay hat wenigstens Palmen und ein Paar ganz nette Strände am indischen Ozean,

Palmen ja, Strände nein. An der ganzen 10.000 km Küste gibt es eigentlich kaum Strände. Ein bißchen was in Goa für unverbesserliche Hippietouries und in Pondycherry. Der Juhu Beach in Bombay ist kein Badestrand sondern ein nicht ganz ungefährlicher Rummel an der Promenade.
Es gibt auch praktisch keine Yachten in Indien. Du kannst die 50 km der Küste vor Bonbay abkuttern und siehst nicht mal ein Segelböötchen. Wobei das nicht am Geldmangel liegt.



ist Indiens Handels-, Banken- und Finanzzentrum und hat die angeblich größte Anzahl von (Dollar-) Millionären weltweit.

Füge ein par Milliardäre hinzu.



Da kann Berlin wohl doch nicht ganz mithalten....Also Financial Times - vielleicht doch besser mit Neapel oder Bukarest vergleichen als mit echten Weltstädten wie Bombay.

Da könntest Du recht haben. Immerhin bringt Bombay es fertig eine privatwirtschaftliche getragene Initiative auf die Beine zu stellen die die Slums dort plattbügeln und mit durchaus annehmlichen Appartments (die die jetzigen Slumbewohner geschenkt bekämen) zuzupflastern. Gar nicht so verrückt wenn man sich die Bodenpreise der freiwerdenden Flächen ansieht.

Die Züge dort fahren übrigens erstaunlich pünktlich.

Haspelbein
24.07.2009, 15:43
[...]
Ich denke aber nicht daß eine 16 Millionen Metropole besonders an der deutschen Provinz interessiert ist.

Wahrscheinlich weniger. Besonders an einer Provinz, die sich in einer Art kontinuierlichen Stagnation befindet, anstatt wieder zu einer Weltstadt zu werden, die sie einmal war.

Paul Felz
24.07.2009, 15:45
Wahrscheinlich weniger. Besonders an einer Provinz, die sich in einer Art kontinuierlichen Stagnation befindet, anstatt wieder zu einer Weltstadt zu werden, die sie einmal war.

Stagnation ist aber sehr optimistisch ausgedrückt.

Salazar
24.07.2009, 16:06
Naja, so schlimm steht es um Berlin dann auch wieder nicht. Ich denke ein vernuenftiger Buergermeister koennte da einiges Reissen.

Die FT sollte sich mit diesen Vergleichen ausserdem lieber zurueckhalten - denn die Tube streikt ja auch gelegentlich. Und dann sieht es in London auf einmal aus wie in Mumbai - oder Berlin. ;)