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Vollständige Version anzeigen : Zerstört (Massen-)Moral Individualität?



NoergelBert
03.07.2009, 10:43
Was denkt ihr darüber?

Eine Gesellschaft als Werte-und Normengemeinschaft erschafft zwangsläufig Regeln und Gesetze, welche wiederum das Gewissen/Bewusstsein bzw. die Anschauungen von "Individuen" in dieser Gesellschaft dahingehend beeinflussen, dass der Emporkömmling dieser Gemeinschaft zum Teil einer gewissen Basis wird.

Das heißt, die Denkweise des Einzelnen wird schon durch seine Umgebung während seines Aufwachsens festgelegt.

Nun ist es aber so, dass der Mensch Bedürfnisse hat, jeder verschiedene bzw. verschieden starke. Ohne "Mitkonkurrenten" (und physische Einschränkungen durch die Umwelt) könnte das Individuum also nach belieben handeln, um genau diese Bedürfnisse nach seinem Ermessen zu befriedigen.

Durch die Anwesenheit von Artgenossen steht der Mensch also nun im Machtkampf, da diese seine Freiheiten einschränken (ebenso, wie dieser die Freiheiten anderer einschränkt). Um ein höheres Wohl zu erreichen, muss er sich demzufolge behaupten, schafft er das nicht, so muss er sich quasi Hilfe suchen, um durch Gruppenbildung in einen Machtvorteil zu gelangen. Diese Bildung hat wiederum auch Machtverlust bzw. Freiheitseinschränkungen zur Folge, die demnach kleiner sein müssen, als selbige beim "Einzelkampf".

Angenommen es bilden sich mehrere dieser Gruppen und sie vergrößern sich (in Dimensionen von heutigen Staaten), dann entsteht unmittelbar für das Individuum nur Konkurrenz in Form von anderen Menschen im (Rang-)System dieser jeweiligen Gruppe. Da das Oben dieses Rangsystems in Verbindung mit Machtanhäufung steht, ist also das Individuum betrebt, diese Macht zu erlangen.
Die Machthaber hingegen sind aber bestrebt diese Macht beizubehalten.

Was kann der Machthaber also tun, um in seiner Position zu bleiben?

Er muss versuchen die Psyche seiner Untergeordneten zu manipulieren - was eignet sich dazu nicht besser als Religion?

War die Naturwissenschaft vor Tausenden von Jahren noch nicht so weit vorangeschritten, funktionierte dieser Trick auch ganz gut - mit fatalen Folgen für alle weiteren Generationen.

Enstanden "Gut" und "Böse" also ausgehend von den "Herrschern" über Gesellschaften?

Diese Begriffe mussten schließlich manipuliert werden, um ihre Macht zu sichern und dafür noch die Zustimmung vom "Volk" zu erlangen.
Der Trieb des Einzelnen nach Freiheit wurde durch die Manipulation seines Gewissens verstümmelt.

Wie sieht das ganze heute aus? Im Grunde genommen ist jede Staatsform, jede Gesellschaft abzulehnen, weil sie alle gleich dem Individuum schaden müssen, um existieren zu können, was aber leider nicht erkannt wird, aufgrund der hunderte von Generationen fortwährenden und eingebrannten "Regeln".

Ist Diktatur, Demokratie, Kommunismus und so weiter nicht alles dasselbe? Die Gleichschaltung der Menschen ist jedoch in allen Formen existent. Wie also kann der gesunde Mensch dazu neigen sich für "totalitäre" Staatsformen zu begeistern, wenn er nicht gerade selbst der Herrscher dieser ist? Und müsste der gesunde Mensch nicht von vornherein jede Religion verachten, die einen Gott schafft, der über ihm selbst steht?

-SG-
03.07.2009, 11:00
Was kann der Machthaber also tun, um in seiner Position zu bleiben?

Er muss versuchen die Psyche seiner Untergeordneten zu manipulieren - was eignet sich dazu nicht besser als Religion?

War die Naturwissenschaft vor Tausenden von Jahren noch nicht so weit vorangeschritten, funktionierte dieser Trick auch ganz gut - mit fatalen Folgen für alle weiteren Generationen.


Das mag vielleicht manchen logisch erscheinen, aber so war es ganz sicherlich nicht. Das Christentum z.B. ist von unten heraus entstanden und erreichte erst Jahrhunderte nach seiner Entstehung die politischen Eliten.
Und wenn es dann danach herrschte und bekehrte, dann nicht rational-individualistische Szientisten, sondern Menschen anderer Religionen. Das Bedürfnis nach Religion wurde dem Menschen nicht "von oben" politisch oktroyiert, das ist Quatsch.

Die Kategorien Gut und Böse gibt es in jeder Kultur und bei allen Menschen. Sie können natürlich von einer Herrscherclique zu verändern versucht werden, durch Propaganda und im Erziehungswesen, vgl. NS, DDR, BRD, EU usw. Aber das sagt nicht, dass Moral dadurch erst entstünde als Herrschaftsinstrument. Moral/Werte gehen Politik logisch voran und erschaffen sie erst. Die allgemeinverbindliche Durchsetzung von Normen auf der Basis von Werten ist die Definition der Politik. Moral/Werte können auch ohne ein bürokratisches Staatswesen existieren, etwa in irgendwelchen Stammesgemeinschaften. Aber andersherum, Politik ohne Moral/Werte, geht es wie gesagt schon aus der Defintion heraus nicht.

Das heißt aber auch, dass nicht "jeder gesunde Mensch" Staaten und Religionen ablehnen muss. Diejenigen Staaten/Religionen, die seine Werte verkörpern, wird er annehmen. Und da man meist generationenübergreifend sozialisiert wird, ist es wahrscheinlich dass die Kinder die selben Werte haben wie die Eltern und daher dieselbe Religion für "richtig" empfinden usw.

JetLeechan
03.07.2009, 11:05
Der Mensch steht nicht erst mit der Anwesenheit von Artgenossen in einem Machtkampf sondern schon mit der Anweseheint einer Natur, die nicht freiwillig ihre Schätze preisgibt und anderer Lebewesen, die ebenfalls um diese Schätze konkurrieren. Er ist schon durch seine eigenen begrenzten Fähigkeiten sowohl geistiger als auch körperlicher Art eingeschränkt.
Jedoch kann er seinen Denk- und Aktionsradius exponentiell erhöhen wenn er mit seinen Artgenossen kooperiert. Er mag daher einen Teil seiner Freiheit im Bezug auf seine Artgenossen, z.B. dadurch das er das Eigentum derer nicht wegnimmt, aufgeben, gewinnt dadurch aber einen umso größeren Teil an Freiheit gegenüber Umweltzwängen.

Religion hat noch einen anderen Zweck als Machterhalt, von daher kann man hieraus keinen logischen Schluss auf eine Art Verachtungsgebot derselben ziehen. Ich behaupte einmal,die Tatsache das du Religion verachtest, ist selbst ein Ergebnis des Denkwandels der Moderne.

zum Punkt Naturwissenschaft, auch diese ist nicht in der Lage Philosophie und Religion zu ersetzen. Jede Wissenschaft stößt irgendwo an ihre Grenzen.

NoergelBert
03.07.2009, 11:55
Das Christentum z.B. ist von unten heraus entstanden und erreichte erst Jahrhunderte nach seiner Entstehung die politischen Eliten.


Die Frage nach der Herkunft der Religion ist in dem Zusammenhang irrelevant (wobei ich auch die Herkunft dieser Religionen in meinem Anfangsthread nicht erwähnt hab).
Fakt ist, dass sie seit jeher ein Machtmittel darstellt und als solches auch dementsprechend genutzt wird.



Und wenn es dann danach herrschte und bekehrte, dann nicht rational-individualistische Szientisten, sondern Menschen anderer Religionen.

Das ist falsch. Oberflächlich gesehen magst du Recht haben, jedoch führten die durch die "neue" Religion erschaffenen Werte&Normen zwangsläufig zu Veränderungen in der Gesellschaft. Das heißt, nicht nur der Andersgläubige, sondern auch der UNGLÄUBIGE wurde indirekt zum Feind erklärt, was mit meinen bisherigen Ausführungen ganz leicht zu erklären ist.


Das Bedürfnis nach Religion wurde dem Menschen nicht "von oben" politisch oktroyiert, das ist Quatsch.

Nein, das nicht. Aber es wurde in andere Bahnen gelenkt und ausgenutzt.
Wobei das Bedürfnis nach Religion und das Entstehen von Weltreligionen wieder genau diese Vereinheitlichung darstellt.
Dieses Bedürfnis entsteht doch, wenn überhaupt, im einzelnen Menschen selbst und war vor Jahrhunderten/tausenden auch nachzuvollziehen. Jedoch stellt diese Vermenschlichung Gottes, der da auf einmal einen eigenen Willen bekommt und plötzlich für jedermann zur Verfügung steht eine ganz neue Bedeutung.


Aber das sagt nicht, dass Moral dadurch erst entstünde als Herrschaftsinstrument.

Nein, sie entsteht zwangsläufig in jedem Einzelnen von selbst und ist damit auch individuell ausgeprägt. Die Gleichschaltung und Übertragung solch einer Moral auf Massen hingegen birgt ein Herrschaftspotential.


Moral/Werte können auch ohne ein bürokratisches Staatswesen existieren, etwa in irgendwelchen Stammesgemeinschaften.

Es geht auch nicht direkt um Staatssysteme, sondern vielmehr allgemein formuliert um Rangsysteme.


Das heißt aber auch, dass nicht "jeder gesunde Mensch" Staaten und Religionen ablehnen muss. Diejenigen Staaten/Religionen, die seine Werte verkörpern, wird er annehmen.

Was schlicht nicht möglich ist, in Anbetracht meiner Definition von "gesund" und "ungesund". Diese beiden Begriffe sollen aber zunächst wertungsfrei bleiben.





Jedoch kann er seinen Denk- und Aktionsradius exponentiell erhöhen wenn er mit seinen Artgenossen kooperiert. Er mag daher einen Teil seiner Freiheit im Bezug auf seine Artgenossen, z.B. dadurch das er das Eigentum derer nicht wegnimmt, aufgeben, gewinnt dadurch aber einen umso größeren Teil an Freiheit gegenüber Umweltzwängen.

Dem stimme ich zu. Die Unterwürfigkeit ist abhängig vom eventuellen Nutzen/Schaden, der daraus resultiert.



Religion hat noch einen anderen Zweck als Machterhalt, von daher kann man hieraus keinen logischen Schluss auf eine Art Verachtungsgebot derselben ziehen.

Das würde ich gern näher erläutert haben.


Jede Wissenschaft stößt irgendwo an ihre Grenzen.

Das stimmt, dennoch lässt sich die Religion mit anderen Ansichtsweisen VOLLKOMMEN verdrängen.

JetLeechan
03.07.2009, 13:35
Das würde ich gern näher erläutert haben.

Du sagtest der Mensch müsste von vorneherein jede Religion verachten die einen Gott schafft der über ihm steht. Wieso? Ich dachte du meinst weil eben jener Gott von den Mächtigen missbraucht würde. Aber Religion erfüllt ja erst die Funktion der Machterhalts weil sie vorher die viel wirkmächtigere Funktion erfüllt, dem Menschen Erklärungen auf existentielle Fragen des Lebens und Handelns zu geben, ihn tröstet und mit Hoffnung erfüllt, ein Wertesystem in die Hand gibt etc.




Das stimmt, dennoch lässt sich die Religion mit anderen Ansichtsweisen VOLLKOMMEN verdrängen.
Das kommt darauf an was du als Religion definierst. Klar kann man alle Formen institutionalisierten Glaubens für sich persönlich ablehnen, aber jeder Mensch ersetzt das mit einem anderen Glauben. Ob das Ideologien sind, Technikglaube oder Atheismus.

Apotheos
03.07.2009, 20:01
Ok, hier mal ein paar chaotische Gedanken meinerseits:

Ich denke, dass es immer eine Frage der ethischen Normen einer Gesellschaft ist, die Art der Erziehung, die Art der Medien und ihre Wirkung auf den Menschen als Individuum. Die moderne Massenmedien dienen beispiels dem Zweck der Konsumförderung. Dienen sie aber der von den Aufklärern und später von der fr. Revolution gewünschten Aufklärung des Menschen? Im kantischen Sinne also seiner "Aufklärung aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit"? Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung. [ Quelle: Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?; Immanuel Kant ]

Nun, ich stelle dir die Frage: Ist der Mensch in der heutigen Gesellschaft aufgeklärt, also fähig seine Welt kritisch zu bewerten und damit Erkenntnis über sie zu erlangen, etwa über ihre "wirkliche Moral" in diesem widersinnigen System in welchem die Menschenrechte und imperialistische Kriege zwangsläufig kollidieren? Ist der Mensch nicht bereits unmündig, weil die Medien ihn zu einem - hauptsächlich - bloßen Konsumenten erziehen, weil das Menschenwesen gezwungen ist zu einem gesichtslosen Teil des Gesamtsystems zu werden, einem seiner Arbeit entfremdeten Produzenten im Produktionsprozess? Statt sich seiner Selbst bewusst zu werden beschäftigt er sich mit der Frage, wie man am Besten reich werde und mehr Reichtum erlange als andere. Der Mensch kommt kaum auf die Idee die Welt kritisch zu bewerten, denn er hat ja kaum Zeit, in dieser Systematik aus Hast, Gewinnsucht, "Produktivität" und Konsum. Der Mensch ist kultivierter Barbar an den Werten der Aufklärung geworden. Ansätzend daran:
Welche Individualität kann es ohne Erkenntnis, ohne Selbsterkenntnis, geben?Selbsterkenntnis ist nur möglich durch Aufklärung, in der Demokratie essentiell, damit diese Demokratie, nicht zu einem bloßen Verdummungsdiener der Konsumwirtschaft degradiert wird, zu einer Aushöhlung der Moral und Sittlichkeit. Falls dies passiert, ist die Demokratie dem Tod geweit, weil die Herrschaft des Volkes nur geschehen kann, wenn das Volk urteile über sich und seine Welt, als verbindliches Mittel, treffen kann.

Was aber lernt man in der Schule? Dass Großkonzerne in der Dritten Welt wie der Teufel regieren, Kriege für Öl geführt werden und wie viele Menschen im Irak Krieg bereits gestorben sind? Lernt man, dass der jüdische Zionismus ebenfalls nationalistische Elemente besitzt, die in ihrer Radikalität dem hitlerschen ähnlich sind? Lernt man, dass der Islam in seinen Anfängen fortschrittlicher war als das Christentum? Lernt man, dass die Grundlage des Okzident der Orient war, also wir gar keine höherwertige Rasse sein können, da wir bloß die Schüler anderer waren, nicht aber die einzige geistige Instanz? Lernt man, dass im Kapitalismus jener die Macht hat, welcher Geld besitzt, folglich auch das Volk keine Macht über die Wirtschaft hat, die in sich ein diktatorisches, antidemokratisches Bild annimmt, keines jedoch der Volkssouveränität? Wir leben meiner Ansicht nach keineswegs in einer aufgeklärten Gesellschaft, obwohl Elemente einer solchen vorhanden sind. Das Individuum wird oft auch von der "Bewusstseins Industrie" ( Theodor W. Adorno ) der Massenmedien gelenkt, es folgt dem künstlich geschaffenen Statusstreben der egoistischen Massen.

Meiner Meinung nach ist nicht jede Massengesellschaft unfähig zur Individualität. Wichtig ist die Aufklärung des Einzelnen über die Welt und letztlich auch die Bewusstwerdung was Individualität eigentlich zu sein habe?

Cash!
04.07.2009, 18:25
Meiner Meinung nach ist nicht jede Massengesellschaft unfähig zur Individualität. Wichtig ist die Aufklärung des Einzelnen über die Welt und letztlich auch die Bewusstwerdung was Individualität eigentlich zu sein habe?

Was kennzeichnet eine "Massengesellschaft" und welche Alternativformen des gesellschaftlichen Miteinanders gibt es?