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Vollständige Version anzeigen : Kulturrevolution von ganz unten



-SG-
15.06.2009, 17:12
In jeder Gesellschaft waren es die politischen, religiösen, wirtschaftlichen und kulturellen Eliten, welche als Vorbilder dienten und die Normen und Werte einer Gesellschaft formten.

Das kann man "Kultur von oben" nennen.

Heute jedoch gibt es eine Kultur von unten. Die primitivsten Ghettoproleten sind Vorbilder für die Mittelschicht, ihr doppelt halbsprachliches Gestammel state of the art.

Der Artikel will dieses Phänomen analysieren und zu erklären versuchen, was diesen Umschwung auslöste und welche Folgen er haben wird.

http://kassandra2030.wordpress.com/2009/06/15/kulturrevolution-von-ganz-unten/

Black Jack
15.06.2009, 19:36
In jeder Gesellschaft waren es die politischen, religiösen, wirtschaftlichen und kulturellen Eliten, welche als Vorbilder dienten und die Normen und Werte einer Gesellschaft formten.

Das kann man "Kultur von oben" nennen.

Heute jedoch gibt es eine Kultur von unten. Die primitivsten Ghettoproleten sind Vorbilder für die Mittelschicht, ihr doppelt halbsprachliches Gestammel state of the art.

Der Artikel will dieses Phänomen analysieren und zu erklären versuchen, was diesen Umschwung auslöste und welche Folgen er haben wird.

http://kassandra2030.wordpress.com/2009/06/15/kulturrevolution-von-ganz-unten/

Ich hatte keine Lust die konservative-antimoderne Speerspitze zu lesen, kann aber die o.g. These so nicht stehen lassen. Das ist ein konservativer Mythos per excellence! Selbstverständlich gibt es die edlen und kuktivierten Eliten, aber ihre Marginalisierung wird selbst von einer Elite bertieben, der Finazelite! Diese spezielle Elite ist es also selbst, die den Pöbel fördert. Denn es ist keinsefalls so, dass die von dir genannten Eliten gleichberechtigt sind. Ganz oben steht der "Finazadel" und deren oberstes Ziel ist eben nicht dem Schönen, dem Guten und dem Wahren zu dienen, sondern dem schnöden Mamon. Deshalb wird alles, was keinen Profit bringt, also nicht massenfähig ist, über Bord geworfen oder muss das Dasein eines Nieschenprodukts fristen. In der modrenen Kulturgeschichte ist ein unschönes Phänomen zu beobschten. Das Auftauchen einer neuen Kunstart, hat die Menscheit immer ihren besten Köpfen zu verdanken. Die Anfänge im Film, im Radio, im Fersehen oder in der Popmusik wurden von genialen Künstlern und Persönlichkieten gestelltet. Wie könnte es auch nicht anders sein. Dummköpfe haben nicht die Fähigkeiten, nicht die Visionen, um sich ins unbekannte Terain zu begeben.
Nach und nach lernen aber auch die Dumköpfe sich der neuen Kunstform zu bedienen. Sehr zum Gefallen der Finanzelite. Wer will schon all dieses unverständliche und komplizierte Zeugs haben. Vor allem, wer will schon dafür zahlen?

So setzt nach einer kurzen und grandiosen Anfangsperiode der neuen Kunst ihre Anpassung an das Gusto der Masse an. Vorangetrieben von einer Elite!

-SG-
15.06.2009, 19:50
Ich hatte keine Lust die konservative-antimoderne Speerspitze zu lesen, kann aber die o.g. These so nicht stehen lassen. Das ist ein konservativer Mythos per excellence! Selbstverständlich gibt es die edlen und kuktivierten Eliten, aber ihre Marginalisierung wird selbst von einer Elite bertieben, der Finazelite! Diese spezielle Elite ist es also selbst, die den Pöbel fördert. Denn es ist keinsefalls so, dass die von dir genannten Eliten gleichberechtigt sind. Ganz oben steht der "Finazadel" und deren oberstes Ziel ist eben nicht dem Schönen, dem Guten und dem Wahren zu dienen, sondern dem schnöden Mamon. Deshalb wird alles, was keinen Profit bringt, also nicht massenfähig ist, über Bord geworfen oder muss das Dasein eines Nieschenprodukts fristen. In der modrenen Kulturgeschichte ist ein unschönes Phänomen zu beobschten. Das Auftauchen einer neuen Kunstart, hat die Menscheit immer ihren besten Köpfen zu verdanken. Die Anfänge im Film, im Radio, im Fersehen oder in der Popmusik wurden von genialen Künstlern und Persönlichkieten gestelltet. Wie könnte es auch nicht anders sein. Dummköpfe haben nicht die Fähigkeiten, nicht die Visionen, um sich ins unbekannte Terain zu begeben.
Nach und nach lernen aber auch die Dumköpfe sich der neuen Kunstform zu bedienen. Sehr zum Gefallen der Finanzelite. Wer will schon all dieses unverständliche und komplizierte Zeugs haben. Vor allem, wer will schon dafür zahlen?

So setzt nach einer kurzen und grandiosen Anfangsperiode der neuen Kunst ihre Anpassung an das Gusto der Masse an. Vorangetrieben von einer Elite!

Diese Kritik an der Ökonomisierung der Lebenswelten teilt die "konservativ-antimoderne Speerspitze" durchaus. ;)

Man muss aber zu Deinen Ausführungen anmerken, dass der neue Geldadel vielleicht was die Einkommensverteilung angeht eine "Elite" darstellt, nicht aber eine "Elite" in dem Sinne, wie der Begriff im Artikel gebraucht wurde. Die Eliten, um die es hier geht, sind die ethisch-sittlichen Vorbilder für eine Gesellschaft und wirken dadurch kulturprägend. Von modernen Medienmogule oder Aktienmillionären kann man das nicht behaupten.

Dass ein Sony-BMG-Boss Interesse daran hat, dass sein Kunstprodukt, welches er verkauft, durch jeden erdenklichen Weg - z.B. durch Drogenskandale, Internetpornos, homophobe Texte usw. - Aufmerksamkeit und Verkaufszahlen zu schaffen versucht, ist klar. Aber woran liegt das? Dass die Masse auf dieses Zeugs abfährt. Zu Goethes Zeiten hätte sich um die primitiven Ergüsse, die heute die Verkaufsschlager sind, keine Sau (außer den Behörden) gekümmert, weil man sie für unkultivierten Müll gehalten hätte.

Dass Müll ungehindert massentauglich wird, zeigt, dass schon etwas an der Gesellschaft kaputt ist, nicht umgekehrt.

Black Jack
15.06.2009, 20:47
Zu Goethes Zeiten hätte sich um die primitiven Ergüsse, die heute die Verkaufsschlager sind, keine Sau (außer den Behörden) gekümmert, weil man sie für unkultivierten Müll gehalten hätte.

Dass Müll ungehindert massentauglich wird, zeigt, dass schon etwas an der Gesellschaft kaputt ist, nicht umgekehrt.

Wie kann man so etwas behaupten. Zu Goethes Zeiten fand die Öffentlichkeit und die feine Kultur standesgebunden in den höheren Kreisen statt. Wer konnte sich sonst eine Zeitung oder ein Buch leisten? Es lag also an der Struktur der Gesellschaft, wenn sich die Eliten nicht mit dem Pöbel abgeben mussten. Und eine Massenkultur des Pöbels gab es zur jeder Zeit in der Menscheitsgeschichte. Die feinen Herren im Schloss hatten ihre Kultur, der Pöbel die seine. Während die feine Gesellschaft bei Wein und Kaviar isoliert zu Klängen von Bach oder Mozart den Abend verbrachte, vergnügten sich die Massen beim Dorffest zu Troubadouren-Lieder, dem - um dich zu zitieren - massentauglichen Müll.

marc
15.06.2009, 20:55
Selbstverständlich gibt es die edlen und kuktivierten Eliten, aber ihre Marginalisierung wird selbst von einer Elite bertieben, der Finazelite! Diese spezielle Elite ist es also selbst, die den Pöbel fördert.

Mh: ich glaube, das ist ein bisschen komplizierter, weil das eigentliche Problem die Strukturen sind und nicht konkrete Personen oder Organisationen. Immerhin könnte ein Großteil derjenigen, die für "das Wahre, Schöne, Gute" zuständig sind, ohne die Unterstützung der "Finanzelite" nicht überleben.
(Man denke nur an die zahlreichen Preise und "Arbeitsstipendien", mit denen das Überleben vieler Schriftsteller gesichert wird, und die zu einem Gutteil aus der freien Wirtschaft finanziert werden. Auch an die Unterstützung für Galerien, Museen, oder daran, dass man auf immer mehr CD's lesen kann, diese Aufnahme sei "mit freundlicher Unterstützung der Bank XY" zustande gekommen. Die Deutsche Bank z.B. sponsort nicht nur die Berliner Philharmoniker, unser Vorzeigeorchester, sondern vergibt auch Stipendien für Nachwuchsmusiker.
Wo Finanzeliten also entsprechende Eliten fördern, fördert der rotgrüne Gesinnungsstaat nur antifaschistische Hip-Hop-Festivals und das Saufen gegen Rechts.)

Wie gesagt sehe ich das Problem also eher auf einer strukturellen Ebene.
Das heißt: die Leere, die nach der "Dekonstruktion" von Geschlechterrollen, von Heimatverbundenheit, Religionen -- nach der Entfremdung des Menschen von seiner Umwelt, seinen Mitmenschen usw. entstanden ist, wird meist durch die ökonomische Ersatzreligion gefüllt.
Das sich ein Buch wie Dieter Bohlens "Nichts als die Wahrheit" besser verkaufen lässt als "Dichtung und Wahrheit" ist wohl nur eine triviale Tatsache, die zu allen Zeiten gültig war. Auch zur Zeit der "Goldenen Zwanziger" z.B. war die "Kultur von Weimar" nur ein Mythos und Karl May, Hedwig Courths-Mahler hat sich besser verkauft als Hesse, Thomas Mann, Remarque; sanfte Schlager waren beliebter als Gustav Mahler und Schoenberg.

Die Veränderung besteht jetzt nicht mal so sehr in der Orientierung an neuen Technologien (man könnte den Fernsehapparat ja auch benutzen, um sich anspruchsvolle Filme anzusehen und kann das Internet auch nutzen, um in Politikforen zu schreiben), sondern darin, dass "gut" nun tatsächlich nichts anderes mehr meint als "gut zu verkaufen." Friedrich der Große schrieb noch ein Flötenkonzert, Gehard Schröder klatscht zu "Gib mir ma n' Flasche Bier."
Aber welcher andere Maßstab sollte auch gelten? Es wurde ja alles zerstört.

Im Grunde sind selbst die gutmenschlichen Maßstäbe der ökonomischen Sichtweise untergeordnet: Feminismus ist gut, aber nur weil das wirtschaftliche Potential eines Unternehmens steigen würde, wenn sein Vorstand zur Hälfte aus Frauen bestünde. "We don't want a bigger piece of the pie. We want a different pie?" Pah, das ist vorbei! Heutiges Ziel: die erste Frau Ackermann.
Oder nimm die Schwulen. Warum ist es gut, sie zu tolerieren? Weil sie kaufkräftig seien. Warum sind Nazischläger schlecht? Weil sie das Prestige einer Region und insofern den "Wirtschaftsstandort" schädigen.

Das ist jetzt natürlich sehr polemisch, weil die rotgrüne Gesinnungsdiktatur ja nach wie vor besteht und sie oft auch im Kontrast zur marktwirtschaftlichen Logik steht. Aber ich glaube trotzdem, dass die Ausrichtung an der Gleichgültigkeit und der Wertneutralität der Ökonomie einen riesigen Schaden anrichtet und sich ein Großteil der heutigen Gutmenschlichkeit (die ich übrigens von linken Positionen trenne) dieser Ausrichtung unterworfen hat. Es gibt also eine ekelhafte Allianz, die einer der Gründe dafür ist, warum ich den Neokonservatismus so ablehne.

Jetzt muss man neben dem Prinzip der freien Marktwirtschaft noch das Prinzip der Demokratie erwähnen. Demokratie ist Ausrichtung nach unten. Das ganze Currywurstgefresse, der Schiss, als arrogant zu gelten, das Geklatsche zu dümmlichen Schlagern, die gespielte Euphorie bei "Sportevents" - und wieder: Friedrich der Große und J. S. Bach im Gegensatz zu Steinmeier und Muhabbet. Ausrichtung nach unten.
Überhaupt: mit dem Untergang der Frankfurter Schule ist im Grunde auch die Linke gestorben. Damals: der Versuch, das Volk nach oben zu ziehen. Heute: der Versuch zu beweisen, dass man ebenfalls ganz unten ist.




Man muss aber zu Deinen Ausführungen anmerken, dass der neue Geldadel vielleicht was die Einkommensverteilung angeht eine "Elite" darstellt, nicht aber eine "Elite" in dem Sinne, wie der Begriff im Artikel gebraucht wurde. Die Eliten, um die es hier geht, sind die ethisch-sittlichen Vorbilder für eine Gesellschaft und wirken dadurch kulturprägend. Von modernen Medienmogule oder Aktienmillionären kann man das nicht behaupten.


Eine der deutschen Vokabeln, die es auch in den angelsächsischen Sprachschatz geschafft hat, ist ja der "Bildungsroman" und ich glaube, dass das auch für den sog. "Bildungsbürger" gilt. Man sollte jedenfalls unterscheiden zwischen Bürger, Bourgeoise im ... sagen wir: marxistischen Sinne und dem Bildungsbürger, der zwar nicht mehr die gleiche ökonomische Potenz besitzt, sich aber die kulturelle bewahrt hat. Bei dieser Unterscheidung könnte man also auch an obiges anknüpfen und betonen, dass sich aufgrund der ökonomischen Zwangsfixierung sein "kulturelles Kapital" (ich meine das positiv und nicht mit diesem negativen Beiklang wie bei Bourdieu) als wertlos erweist - weil Wert ja eben nur der ökonomische ist und Bushido insofern wertvoller als Helmut Lachenmann ist und Charlotte Roche wertvoller als Martin Mosebach.


(P.S.: Erwartungsgemäß gefällt mir dein Text und ich glaube, dass du leider recht hast. ;))

-SG-
15.06.2009, 21:09
Wie kann man so etwas behaupten. Zu Goethes Zeiten fand die Öffentlichkeit und die feine Kultur standesgebunden in den höheren Kreisen statt. Wer konnte sich sonst eine Zeitung oder ein Buch leisten? Es lag also an der Struktur der Gesellschaft, wenn sich die Eliten nicht mit dem Pöbel abgeben mussten. Und eine Massenkultur des Pöbels gab es zur jeder Zeit in der Menscheitsgeschichte. Die feinen Herren im Schloss hatten ihre Kultur, der Pöbel die seine. Während die feine Gesellschaft bei Wein und Kaviar isoliert zu Klängen von Bach oder Mozart den Abend verbrachte, vergnügten sich die Massen beim Dorffest zu Troubadouren-Lieder, dem - um dich zu zitieren - massentauglichen Müll.

Aber auch diese Volksliedchen, oft von bekannten Dichtern gedichtet und auf Melodien berühmter Komponisten gelegt, oder gleich einer Operette entnommen, transportierten, so banal ihr Inhalt oft war (Frauen, Wein, Tanz...), die Sitten und Werte der vornehmen Gesellschaft. Oder kennst Du ein altes Volkslied, welches Kriminalität und Vergewaltigungen glorifiziert wie die im Artikel zitierten Ghettorapfabrikate?

Mein Urgroßvater war ein einfacher Arbeiter, aber im Regal standen Hölderlin und Eichendorff und er hatte immer ein passendes Zitat parat. Das meine ich mit Kultur von oben: Die einfachen Leute orientierten sich an großen Genies.
Wie ist es heute? Erst letzte Woche sah ich Kanzlerkandidat Steinmeier und seine Frau bei Beckmann über "Lady Gaga" plaudern. Das ist das Gegenteil, das ist Kultur von unten. Die staatstragenden Gesellschaftsschichten erziehen ihre Kinder mit "Just bust that dick/ I wanna take a ride on your disco stick".

Bitte, wer diesen Unterschied nicht sieht...! Mir kann keiner erzählen, dass das "zu allen Zeiten so war".

Ajax
15.06.2009, 21:14
Diese Kritik an der Ökonomisierung der Lebenswelten teilt die "konservativ-antimoderne Speerspitze" durchaus. ;)

Man muss aber zu Deinen Ausführungen anmerken, dass der neue Geldadel vielleicht was die Einkommensverteilung angeht eine "Elite" darstellt, nicht aber eine "Elite" in dem Sinne, wie der Begriff im Artikel gebraucht wurde. Die Eliten, um die es hier geht, sind die ethisch-sittlichen Vorbilder für eine Gesellschaft und wirken dadurch kulturprägend. Von modernen Medienmogule oder Aktienmillionären kann man das nicht behaupten.

Dass ein Sony-BMG-Boss Interesse daran hat, dass sein Kunstprodukt, welches er verkauft, durch jeden erdenklichen Weg - z.B. durch Drogenskandale, Internetpornos, homophobe Texte usw. - Aufmerksamkeit und Verkaufszahlen zu schaffen versucht, ist klar. Aber woran liegt das? Dass die Masse auf dieses Zeugs abfährt. Zu Goethes Zeiten hätte sich um die primitiven Ergüsse, die heute die Verkaufsschlager sind, keine Sau (außer den Behörden) gekümmert, weil man sie für unkultivierten Müll gehalten hätte.

Dass Müll ungehindert massentauglich wird, zeigt, dass schon etwas an der Gesellschaft kaputt ist, nicht umgekehrt.

Der Vergleich mit Goethes Zeiten ist so nicht ganz richtig. Zu seiner Zeit erlebte die Massenpublikation von Trivialliteratur einen Aufschwung. Der Berufsschriftsteller gewann immer mehr an Bedeutung. Im Zuge der sogenannten Lesesucht Ende des 18. Jahrhunderts stieg die Zahl der verkauften Trivialliteratur und Belletristik enorm. Zuvor war es den oberen Schichten vorbehalten lesen zu können als auch die finanziellen Mittel für Bücher aufbringen zu können. Dies änderte sich nun und die mittleren Schichten begannen, aufgrund zunehmender Alphabetisierung, ebenfalls zu lesen, vorwiegend eben Belletristik. Mit Sicherheit besaß selbst diese Literatur einen höheren Wert als der Schund, der heute teilweise publiziert wird. Aber es ging in dieselbe Richtung.
Damals klagten die Gelehrten auch über diese Art von Literatur.

marc
15.06.2009, 21:33
Aber auch diese Volksliedchen, oft von bekannten Dichtern gedichtet und auf Melodien berühmter Komponisten gelegt, oder gleich einer Operette entnommen, transportierten, so banal ihr Inhalt oft war die Sitten und Werte der vornehmen Gesellschaft. Oder kennst Du ein altes Volkslied, welches Kriminalität und Vergewaltigungen glorifiziert wie die im Artikel zitierten Ghettorapfabrikate?

Mein Urgroßvater war ein einfacher Arbeiter, aber im Regal standen Hölderlin und Eichendorff und er hatte immer ein passendes Zitat parat. Das meine ich mit Kultur von oben: Die einfachen Leute orientierten sich an großen Genies.



Der Vergleich mit Goethes Zeiten ist so nicht ganz richtig. Zu seiner Zeit erlebte die Massenpublikation von Trivialliteratur einen Aufschwung. (...) Damals klagten die Gelehrten auch über diese Art von Literatur.

Ich glaube, hier muss ich Chanan wieder recht geben: nicht nur, weil das Niveau der damaligen "Trivialkultur" viel höher war und viele Volkslieder z.B. von großen Komponisten geschrieben wurden, sondern auch, weil die Werte, die vermittelt wurden, eben andere waren.
Also zur Zeit der Weimarer Klassik, die du angesprochen hast, hat ja eine Entwicklung begonnen, die dann in der Romantik ihren Höhepunkt erlebt hat, und die darauf abzielte, sich dem Volk deshalb zu nähern, weil man es quasi "heben" wollte, weil man es in Berührung bringen wollte mit großen Werten usw.
Und nicht, weil man versuchen wollte, seinen Zustand zu konservieren, um Geld zu verdienen oder sich demokratisch anzubiedern.

Ich habe auch ähnliche Erfahrungen mit meinen Großeltern gemacht, die zumindest mütterlicherseits keine Studierten waren, Schmiede, Kellner, Arbeiter, aber für die es selbstverständlich war, mal den Weg zur "Hochkultur" zu suchen und sich diesbezüglich einen Grundstock an Bildung zu verschaffen.

Das viele Leute einfach keine Lust haben, den ganzen Tag nur Goethe zu lesen, ist natürlich klar und auch völlig unproblematisch, solange eben nicht diese "Kulturrevolution von ganz unten" einsetzt, die wir zur Zeit erleben.

Ajax
15.06.2009, 21:39
Demokratie ist Ausrichtung nach unten

Das ist der wichtigste Satz in Deinem auch sonst exzellenten Beitrag.
Er sagt eigentlich schon alles darüber, wo genau das Problem liegt.

-SG-
15.06.2009, 21:43
Ich kann Deinen Beiträgen zustimmen, marc, und danke Dir darüber hinaus für die Erwähnung von Roche, Muhabbet usw., welche ich soeben noch ergänzte.

Ajax
15.06.2009, 21:51
Ich glaube, hier muss ich Chanan wieder recht geben: nicht nur, weil das Niveau der damaligen "Trivialkultur" viel höher war und viele Volkslieder z.B. von großen Komponisten geschrieben wurden, sondern auch, weil die Werte, die vermittelt wurden, eben andere waren.
Also zur Zeit der Weimarer Klassik, die du angesprochen hast, hat ja eine Entwicklung begonnen, die dann in der Romantik ihren Höhepunkt erlebt hat, und die darauf abzielte, sich dem Volk deshalb zu nähern, weil man es quasi "heben" wollte, weil man es in Berührung bringen wollte mit großen Werten usw.
Und nicht, weil man versuchen wollte, seinen Zustand zu konservieren, um Geld zu verdienen oder sich demokratisch anzubiedern.

Ich habe auch ähnliche Erfahrungen mit meinen Großeltern gemacht, die zumindest mütterlicherseits keine Studierten waren, Schmiede, Kellner, Arbeiter, aber für die es selbstverständlich war, mal den Weg zur "Hochkultur" zu suchen und sich diesbezüglich einen Grundstock an Bildung zu verschaffen.

Das viele Leute einfach keine Lust haben, den ganzen Tag nur Goethe zu lesen, ist natürlich klar und auch völlig unproblematisch, solange eben nicht diese "Kulturrevolution von ganz unten" einsetzt, die wir zur Zeit erleben.

Dass selbst die Trivialliteratur von damals ungleich wertvoller war, als das gegenwärtige Pendant, ist unbestreitbar.

Gerade die deutsche Kultur zeichnet sich dadurch aus, dass sie eine Kultur des Volkes ist. Als Deutschland noch keine Nation war, stifteten Volkslieder und Literatur die nationale Einheit. Die Romantik verehrte ja geradezu das Volkstümliche und erhob es zum Kulturgut. Der Großteil unserer heutigen Märchen, Volkslieder usw. entstand in dieser Zeit. Man identifizierte sich mit Goethe und Schiller und anderen großen Nationaldichtern, vielmehr als dies in anderen Ländern der Fall war.

-SG-
15.06.2009, 22:02
Dass selbst die Trivialliteratur von damals ungleich wertvoller war, als das gegenwärtige Pendant, ist unbestreitbar.

Gerade die deutsche Kultur zeichnet sich dadurch aus, dass sie eine Kultur des Volkes ist. Als Deutschland noch keine Nation war, stifteten Volkslieder und Literatur die nationale Einheit. Die Romantik verehrte ja geradezu das Volkstümliche und erhob es zum Kulturgut. Der Großteil unserer heutigen Märchen, Volkslieder usw. entstand in dieser Zeit. Man identifizierte sich mit Goethe und Schiller und anderen großen Nationaldichtern, vielmehr als dies in anderen Ländern der Fall war.

Ja, und dass diese Lieder, Gedichte usw. "volkstümlich" sind, steht auch meiner Hypothese nicht entgegen. Kultur "von oben" bedeutet ja nicht, dass das eine elitäre, abgehobene Angelegenheit sein muss, sondern dass vornehme Ideale in die Kultur der breiten Massen diffundieren, und nicht andersherum.

Ajax
15.06.2009, 22:05
Wie kann man so etwas behaupten. Zu Goethes Zeiten fand die Öffentlichkeit und die feine Kultur standesgebunden in den höheren Kreisen statt. Wer konnte sich sonst eine Zeitung oder ein Buch leisten? Es lag also an der Struktur der Gesellschaft, wenn sich die Eliten nicht mit dem Pöbel abgeben mussten. Und eine Massenkultur des Pöbels gab es zur jeder Zeit in der Menscheitsgeschichte. Die feinen Herren im Schloss hatten ihre Kultur, der Pöbel die seine. Während die feine Gesellschaft bei Wein und Kaviar isoliert zu Klängen von Bach oder Mozart den Abend verbrachte, vergnügten sich die Massen beim Dorffest zu Troubadouren-Lieder, dem - um dich zu zitieren - massentauglichen Müll.

Falsch. Die "Massenkultur des Pöbels" ist ein modernes Phänomen. Heutzutage gibt es keine eindeutige Aufspaltung mehr in verschiedene Klassen. Man grenzt sich nicht mehr so vehement von den unteren Schichten ab, wie noch vor 100 Jahren. Wie marc so schön schrieb, ist Demokratie eine Ausrichtung nach unten. Die egalitaristische Gesellschaft strebt nicht hinauf, sondern hinab. Die vollkommene Freiheit macht den Menschen zum Sklaven seiner Triebe. Wenn jeder gleich ist, wozu dann noch zu etwas Höherem streben? Nein, man gibt sich mit dem Zustand der Gleichheit zufrieden, man akzeptiert nichts höheres mehr.
Selbst sogenannte "Eliten" unterscheiden sich ja nicht mehr vom einfachen Volk, weder in Sitten und Moral noch durch irgendwelche Tugenden.
Solche Zustände, dass ein ganzes Volk verpöbelt, sind in der Geschichte ein Novum.

marc
15.06.2009, 22:15
Gerade die deutsche Kultur zeichnet sich dadurch aus, dass sie eine Kultur des Volkes ist.

Das ist, glaube ich, auch noch ein ganzganz wichtiger Punkt, der maßgeblich dazu beigetragen hat, dass aus Deutschland das Land der "Dichter und Denker" wurde und seine Kultur diejenige der meisten anderen Länder so weit überragt hat.


Ja, und dass diese Lieder, Gedichte usw. "volkstümlich" sind, steht auch meiner Hypothese nicht entgegen. Kultur "von oben" bedeutet ja nicht, dass das eine elitäre, abgehobene Angelegenheit sein muss, sondern dass vornehme Ideale in die Kultur der breiten Massen diffundieren, und nicht andersherum.

Das darf ich vielleicht auch nochmal zitieren und bestätigen, weil es weder darum geht, "das Volk" abzuwerten, noch darum, ihm die Spaß an der Freud' zu nehmen. Die Volksmusik z.B. ist eine wirklich ehrenwerte Kunst, gegen die überhaupt nichts einzuwenden ist - im Gegenteil. Aber sie wird ja auch heute ersetzt durch internationalisierte Bumsbeats und Sänger, die nur in unterschiedlicher Kostümierung auftreten. (Wobei selbst letzteres zur Zeit ja ausstirbt und der Sexualisierung weicht.)

Black Jack
15.06.2009, 22:55
Falsch. Die "Massenkultur des Pöbels" ist ein modernes Phänomen. Heutzutage gibt es keine eindeutige Aufspaltung mehr in verschiedene Klassen. Man grenzt sich nicht mehr so vehement von den unteren Schichten ab, wie noch vor 100 Jahren. Wie marc so schön schrieb, ist Demokratie eine Ausrichtung nach unten. Die egalitaristische Gesellschaft strebt nicht hinauf, sondern hinab. Die vollkommene Freiheit macht den Menschen zum Sklaven seiner Triebe. Wenn jeder gleich ist, wozu dann noch zu etwas Höherem streben? Nein, man gibt sich mit dem Zustand der Gleichheit zufrieden, man akzeptiert nichts höheres mehr.
Selbst sogenannte "Eliten" unterscheiden sich ja nicht mehr vom einfachen Volk, weder in Sitten und Moral noch durch irgendwelche Tugenden.
Solche Zustände, dass ein ganzes Volk verpöbelt, sind in der Geschichte ein Novum.
Der Pöbel hatte schon immer die absolute Mehrheit in den Gesellschften ausgemacht, also war er die Masse. Diese Mehrheit, diese Masse, hatte eine wie auch immer geratete eigene Kultur, die sich in Inhalten und in Qualität von der Kultur der Herren unterschied. Sprich, es existierte schon immer eine Massenkultur. Ob sie qualitativer höher einzuschätzen wäre als die der heutigen Massen, weis ich nicht. Durchaus. Es gab aber auch schlimmere Zeiten, denke bloss an Rom und die Gladiatorenkämpfe.

Der Unterschied ist, dass heutzutage die "niedere" Kultur Bereiche des gesellschftlichen Lebens erobert hat, die früher standesmässig dem Adel oder der Oderschicht vorbehalten waren. Und dass sie natürlich von der hohen Kultur nicht mehr eingeschüchtert wird.
Die wirklich Interessante Frage lautet, wie es zu dieser Entwicklung kommen konnte.
Die Antwort ist denkbar einfach. Dem modernen Kapitalismus und seinem Geldsystem, haben es zu verdanken, dass wir nur noch einen Stand in der Gesellschaft haben. Nämlich den, der Konsumenten.:D

Black Jack
15.06.2009, 23:09
Mh: ich glaube, das ist ein bisschen komplizierter, weil das eigentliche Problem die Strukturen sind und nicht konkrete Personen oder Organisationen. Immerhin könnte ein Großteil derjenigen, die für "das Wahre, Schöne, Gute" zuständig sind, ohne die Unterstützung der "Finanzelite" nicht überleben...

Ich nehme dir gerne die Illlusion und informiere dich hiermit, dass der Grossteil der Spenden, Stipendien usw. überhaupt existieren, weil man sie vom Steuer abschreiben kann;) Womit wir zurück beim Thema wären.

Dass du den neu-kleinbürgerlichen Begriff Gutmensch verwendest, stellt dir kein besonderes gutes Zeugnis aus. Ein gebildeter Mensch würde das Wort naiv zur Hilfe nehemen, um das zu bescheiben, was du meinst. Dieses Unwort wurde von jenen erfunden, die prinzipiell Güte mit Naivität verwechseln. Das macht aber die Sache um so schlimmer, weil sie im Grunde genommen die Güte, in ihrem verkehrten Verständnis, verachten.

Im Prinzip ist der Unterschied zw. dem Konservatismus und dem reinen Libaralismus einfach. Der erste ist borniert, der zweite naiv. Für einen Konservativen ist der Mensch von Natur böse. Deshalb muss man ihn an die Kandare nehmen. Dafür braucht es strenge moralische und soziale Regeln und noch strengere Wächter zur Einhaltung dieser Regeln. Jeglicher Ausbruch aus diesem engen Korsett wird nicht geduldet, wo kämen wir sonst hin, ist der Lieblingsspruch eines Konservativen. Ja eben, wo wir sonst hinkommen könnten, das kann sich der Konservative beim besten Willen nicht vorstellen. Seine engen Horizonte werden von dem einschnürnden konservativen Korsett bestimmt.

Für den Lieberalen higegen sind ale Menschen gut. Nur die Konservativen wollen das nicht begreifen, so ihre Meinung. Würde man die Menschen leben lassen, dann würde sich das Glück auf Erden von selbst einstellen und das Gute triumpfieren.

Dass an den beiden Welt- und Menschanscheungen etwas Wesentliches nicht stimmt, liegt auf der Hand.

Das Problem der beiden Lager, der beiden Mentalitäten ist die völlige Verkennug des Wesens vom Guten auf der einen Seite und vom Bösen auf der anderen, hauptsächlich aber der menschlichen Natur im Allgemeinen.
Die menschliche Natur ist nichts für die Ewigkeit Gegebenes. Sie ist dynamisch. Die menschliche Seele entwicklet sich mit jeder Erfahrung, die sie macht. Sie reift. Wie reif sie ist, wo sie in ihrer Entwicklung gerade steht, lässt sich nur individeuell beantworten. Deshalb ist es sinnlos zu generalisieren und die Menscheit entweder für prinzipiell gut oder böse zu erklären. An welchem Punkt seiner/ihrer Entwicklung sich ein Mensch oder eine Gruppe gerade befidet, muss jedes Mal neu vom Fall zu Fall geprüft werden. Neigt er/sie zur Gewalttätigkeit und Selbstbezogenheit, dann kann man ihn/sie ruhig an die Kandere nehmen. Ist er edel, hilfreich und gut kann man ihn tun und sein lassen was er will, er wird niemals seines Gleichen in bewusster Absicht schädigen.

Der heilige Augustinus lehrte uns: Liebe Gott und tue was du willst. Und wie ich das sage: Liebe und tue was du willst. Darin ist die Essenz jeglicher Moral enthalten.
Gruss.

marc
15.06.2009, 23:21
Vollzitat

Auch wenn man Spenden von der Steuer absetzen kann, bleibt noch immer ein großes Minus übrig, wenn man z.B. die Unterstützung des Lugano Festivals bedenkt.
Gutmensch ist ein völlig zutreffender Begriff, den man richtigerweise von "links" abgrenzen muss.
Güte und Naivität verwechseln die Gutmenschen, nicht diejenigen, die das Wort "Gutmensch" verwenden.
Ich verachte die Güte nicht.
Die Art, wie du über Konservative sprichst, ist durch diejenige Oberflächlichkeit und Dumpfheit gekennzeichnet, die du mir vorwirfst.
Deine Einschätzung bzgl. der menschlichen Natur teile ich, würde aber anraten, dich weitergehend mit Augustinus zu beschäftigen. Das könnte dich erholsam schockieren.

PeterH
15.06.2009, 23:25
Das könnte dich erholsam schockieren.

Was soll denn ein erholsamer Schock sein?

marc
15.06.2009, 23:28
Was soll denn ein erholsamer Schock sein?

Etwas wie ein Aufrütteln, das zwar zunächst unangenehm ist, aber den Blick dann weitet. Bzgl. des zu Tode zitierten Satzes, man solle nur Gott lieben und ansonsten tun, was man will.

PeterH
15.06.2009, 23:30
Etwas wie ein Aufrütteln, das zwar zunächst unangenehm ist, aber den Blick dann weitet.

Eine Erleuchtung.

marc
15.06.2009, 23:37
Hm. Die erste Version klang unfreundlicher als die nach diversen Editierungen.

Black Jack
16.06.2009, 00:08
Auch wenn man Spenden von der Steuer absetzen kann, bleibt noch immer ein großes Minus übrig, wenn man z.B. die Unterstützung des Lugano Festivals bedenkt.

Ich habe ja nicht gesagt, dass es die Edlen, Hilfsreichen und Guten nicht gibt, die so ewas unterstützen. Aber Grossen trifft meine Kritik leider ins Schwarze.


Gutmensch ist ein völlig zutreffender Begriff, den man richtigerweise von "links" abgrenzen muss.

Natürlich ist dieser Begriff völlig geistlos. Er wird nur verächtlich gebraucht. Es ist die reine geistlose Verachtung. Und was sonst, wenn nicht der Güte selbst die Verachtung in diesem Begriff entgegengebracht. Diese Wortschöpfung ist nicht zufällig. Wer die Naivität eines Meschen beschrieben will, verwendet das Wort naiv. Das ist aber zu wertneutral für diejenigen, die es gerne härter haben.


Güte und Naivität verwechseln die Gutmenschen, nicht diejenigen, die das Wort "Gutmensch" verwenden.

Bitte meinen Beitrag richtig lesen. Das ist das gleiche, was ich geschrieben habe.


Ich verachte die Güte nicht.

Die verächtliche Verwendung des Wortes Gutmensch lässt anderes vermuten. Naiv ist genau das richtige Wort.


Die Art, wie du über Konservative sprichst, ist durch diejenige Oberflächlichkeit und Dumpfheit gekennzeichnet, die du mir vorwirfst.

Du verwechsest Oberflächlichkeit mit Wesentlichkeit. Auf den weiteren teil des Satzes gehe ich nicht ein.


Deine Einschätzung bzgl. der menschlichen Natur teile ich,

Nur scheint mir, die Konsequenzen, die du daraus ziehst, völlig andere sind als ich.


würde aber anraten, dich weitergehend mit Augustinus zu beschäftigen. Das könnte dich erholsam schockieren.
Womöglich. An der Maxime, bei richtiger Verwendung ist nichts auszusetzen, und schon gar nichts an meiner (Maxime).;)

Der Konservatismus wie der naive Liberalismus sind für mich exstreme Haltungen, die so nicht vertretbar sind. Sie sind in der geistigen Entwicklung der Menscheit notwendige Stufen der These und Antithese gewesen. Es gilt nicht sie zu verteufeln, sondern ihre Schwächen aufzuzeigen. Und ihre Stärken auch. Diese kann, soll und muss man in die nächst höhere Entwicklungsstufe mitnehmen.
Gruss.

-SG-
16.06.2009, 13:00
Das Problem der beiden Lager, der beiden Mentalitäten ist die völlige Verkennug des Wesens vom Guten auf der einen Seite und vom Bösen auf der anderen, hauptsächlich aber der menschlichen Natur im Allgemeinen.
Die menschliche Natur ist nichts für die Ewigkeit Gegebenes. Sie ist dynamisch. Die menschliche Seele entwicklet sich mit jeder Erfahrung, die sie macht. Sie reift. Wie reif sie ist, wo sie in ihrer Entwicklung gerade steht, lässt sich nur individeuell beantworten. Deshalb ist es sinnlos zu generalisieren und die Menscheit entweder für prinzipiell gut oder böse zu erklären.

Ok, aber gestatten, dass ich da einen Einwand habe, warum es dennoch sinnvoll ist, Partei zu ergreifen, und zu sagen, dass das potenziell Böse im Menschen trotzdem entscheidend ist:


(...) prozentual versuchen zu bestimmen, ob der "böse" oder "gute" Mensch anteilsmäßig häufiger zu Tage kommt, bringt wohl nichts.

Aber selbst wenn, könnte da nichts rauskommen, was meinen, wenn man es so nennen will, methodologischen Pessimismus erschüttern könnte. Selbst wenn man herausbekommen könnte, dass 99% der Zeit das Gute im Menschen zum Vorschein tritt und nur 1% böse sind, was ändert das? Auf die 1% kommt es dann an, mit Blick auf die muss man seine Gesellschaftsordnung bauen. Das ist die Popper'sche Logik der Falsifikation, man kann hunderttausend mal lieb und nett zueinander sein, aber ein Mal Schädel einschlagen wiegt letztendlich mehr.

Schau, ein Paranoider wie ich geht erstmal davon aus, dass jeder Mensch ihn prinzipiell abzocken und umbringen will. Jemand anderes geht dagegen davon aus, dass jeder Mensch ihn prinzipiell liebhaben und soziale Bindungen knüpfen will. Wenn es jetzt hunderttausend mal an der Tür klingelt, und 99.999 mal ist es jemand, der liebhaben und Freund sein will, und ein mal ist es einer, der abzocken und umbringen will, dann hat einer wie ich 99.999 mal umsonst das Küchenmesser hinterm Rücken mit zur Tür genommen, der andere dagegen spart sich diese Mühe 99.999 mal erfolgreich und wird beim 100.000sten Mal abgezockt und umgebracht.

Humer
16.06.2009, 20:00
Das Beispiel mit dem Küchenmesser hinter dem Rücken, falls mal der Mörder vor der Tür steht ist, logisch.
Eion Paranoider kann aber nicht umschalten, wenn die Freunde dann in der Wohnung sind. Er bleibt mißtrauisch, er könnte ja immer noch getäuscht werden. Er könnte meinen, die tun nur so freundlich, sie wollen mich zwar nicht umbringen, aber hinten herum reden sie schlecht über mich. Ich habe ein wenig Erfahrung mit diesem Personenkreis. Die Gäste spüren das, fühlen sich nicht wohl und bleiben dann ganz weg. Dann hat er seine Bestätigung.
Vertrauensvorschuss trägt reiche Ernte, er sollte natürlich mit Verstand gepaart sein. Sollten mir mal Glatzen mit Baseball Schlägern entgegenkommen, dann denke ich auch nicht, die wollen nur spielen.

-SG-
16.06.2009, 20:27
Das Beispiel mit dem Küchenmesser hinter dem Rücken, falls mal der Mörder vor der Tür steht ist, logisch.
Eion Paranoider kann aber nicht umschalten, wenn die Freunde dann in der Wohnung sind. Er bleibt mißtrauisch, er könnte ja immer noch getäuscht werden. Er könnte meinen, die tun nur so freundlich, sie wollen mich zwar nicht umbringen, aber hinten herum reden sie schlecht über mich. Ich habe ein wenig Erfahrung mit diesem Personenkreis. Die Gäste spüren das, fühlen sich nicht wohl und bleiben dann ganz weg. Dann hat er seine Bestätigung.
Vertrauensvorschuss trägt reiche Ernte, er sollte natürlich mit Verstand gepaart sein. Sollten mir mal Glatzen mit Baseball Schlägern entgegenkommen, dann denke ich auch nicht, die wollen nur spielen.

Ja, das ist das Problem, dass der Misstrauensvorschuss nicht zur selbsterfüllenden Prophezeiung wird.
Und ein Extrem, z.B. ein vollkommener Isolationismus, kann nie gutgehen.

Aber wenn man fragt, auf welchen Menschentypus eine Gesellschaft hin ausgerichtet sein sollte, dann meine ich, dass das eher der schlechtere ist, statt des besseren.
Das ist ja auch z.B. das Prinzip von Gewaltenteilung, Machtbeschränkung, Checks and Balances usw. - Wenn man einen gütigen Alleinherrscher hätte, ginge es auch, aber die Gefahr, einen korrupten zu bekommen, zwingt zu diesen Vorsichtsmaßnahmen.

Black Jack
16.06.2009, 23:26
Ok, aber gestatten, dass ich da einen Einwand habe, warum es dennoch sinnvoll ist, Partei zu ergreifen, und zu sagen, dass das potenziell Böse im Menschen trotzdem entscheidend ist:

Schönes Beispiel. Daran sieht man nämlich, wer von den beiden ein besseres Leben gelebt hat. Der Paranoiker verlebt sein Leben in Angst und Misstrauen, was letztendlich völliger Unsinn ist. Eine Verschwendung. Und wer um die Möglichkeit des Bösen im Menschen weiss, der klopft auch nicht an jede Tür.;)

Ich würde gerne noch etwas dazu schreiben. Es ist jetzt aber schon spät, ich melde mich morgen.
Gruss.

Black Jack
16.06.2009, 23:40
Aber wenn man fragt, auf welchen Menschentypus eine Gesellschaft hin ausgerichtet sein sollte, dann meine ich, dass das eher der schlechtere ist, statt des besseren.

Das ist auch immer noch der Standard. Die Maxime des berühmten Staatsphilosophen Thomas Hobbes Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf, sie ist der Rechtfertigungsgrund für jden Staat überhaupt. Damit wird die moderne Staatstheorie begründet. Es heisst, wir brauchen den Staat, weil nur dieser die Durschsetzung vom realativen Frieden der Gesellschft garantieren kann. Sonst würden sich die Menschen zerfleischen. An dieser Sichtweise hat sich seit Hobbes nichts geändert.
Standard bedeutet aber immer die Sichtweise, der Habitus der Mehrheit. Solange die Mehrheit das glaubt, wird es auch so sein.

Humer
17.06.2009, 07:06
Vielleicht hilft es die gegenwärtige Kultur einzuordnen, wenn man sich klar macht, dass sie weder von oben noch von unten gemacht wird. Der Begriff Kulturindustrie sagt genau, was ich meine. Dieser Zweig der Wirtschaft ist demnach der Kapitalverwertung unterworfen, so wie andere Produkte auch.
Das zieht leider das Niveau nach unten, Wer möchte, findet aber neben der Massenware noch genug Qualität. Ich glaube, die Vielfalt ist vorhanden, wird aber von den gängigen Medien nicht unter die Leute gebracht, weil das kein Geld (oder Werbeeinnahmen) bringt.

-SG-
17.06.2009, 09:44
Schönes Beispiel. Daran sieht man nämlich, wer von den beiden ein besseres Leben gelebt hat. Der Paranoiker verlebt sein Leben in Angst und Misstrauen, was letztendlich völliger Unsinn ist. Eine Verschwendung.

"besser" ist Ansichtssache. Ich persönlich kann an kindlich-unbeschwertem In-den-Tag-hineinleben nichts erstrebenswertes feststellen.

Vielleicht "verschwende" ich ja mein Leben, weil ich Paranoiker nicht Urlaub im Jemen mache und nicht in Hawaiishorts lächelnd durch die Bronx flaniere - ich weiß nicht.

Eine Anmerkung noch: Es ist doch lustig, dass vor allem linke Zeitgenossen dauernd z.B. "No-go-areas" für Ausländer behaupten - hier ist kein generöser Vertrauensvorschuss in das Gute im Menschen, der über Einzelfälle hinwegsieht. Der anthropologische Optimismus wird also immer sehr selektiv gebraucht.

-SG-
17.06.2009, 09:57
Vielleicht hilft es die gegenwärtige Kultur einzuordnen, wenn man sich klar macht, dass sie weder von oben noch von unten gemacht wird. Der Begriff Kulturindustrie sagt genau, was ich meine. Dieser Zweig der Wirtschaft ist demnach der Kapitalverwertung unterworfen, so wie andere Produkte auch.
Das zieht leider das Niveau nach unten, Wer möchte, findet aber neben der Massenware noch genug Qualität. Ich glaube, die Vielfalt ist vorhanden, wird aber von den gängigen Medien nicht unter die Leute gebracht, weil das kein Geld (oder Werbeeinnahmen) bringt.

Ja, das ist eine Teildimension, aber nicht das ganze Lied. Dass es dazu kommt, dass Geld nur mit Schund gemacht werden kann, dafür muss erstmal die Vorliebe der Masse für Schund da sein.
Wenn sich nicht Unterschichtswerte und -ästhetik auf die breite Masse übertragen hätte, würde die Kommerzialisierung auch nicht genau diese begünstigen. Der Durchschnittsjugendliche will Gangsta sein wie 50 Cent (9 mal angeschossen, boah!), Silikontitten wie Gina-Lisa (checkt ihr Sextape bei youporn, alter!) und Mütter beleidigen wie Massiv (Schlägarei auf Bühne überstanden, elhamdulillah).

Wieso kauft Steinmeier seiner Tochter "Lady Gaga" und nicht Mozart, es zwingt ihn doch niemand dazu.

Das sind eben Indizien, dass vulgäre und primitive Sitten und Ideale von unten nach oben diffundiert sind. Auch durch die kapitalistische Kulturindustrie, aber nicht ursprünglich.

-SG-
17.06.2009, 10:07
Das ist auch immer noch der Standard. Die Maxime des berühmten Staatsphilosophen Thomas Hobbes Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf, sie ist der Rechtfertigungsgrund für jden Staat überhaupt. Damit wird die moderne Staatstheorie begründet. Es heisst, wir brauchen den Staat, weil nur dieser die Durschsetzung vom realativen Frieden der Gesellschft garantieren kann. Sonst würden sich die Menschen zerfleischen. An dieser Sichtweise hat sich seit Hobbes nichts geändert.

Na gut, für die bloße Existenzberechtigung staatlicher Strukturen reicht's gerade noch...

Aber von liberalen bis anarchistischen Theorien sollen diese ja weniger bis gar keine Rolle spielen. Da spiegelt sich der Glaube an die natürliche Gutheit wider: Lasst nur jeden tun, was er will, das wird schon richtig werden. Parallel dazu eben natürlich die neoliberale Wirtschaftstheorie. Alles das selbe Gutheits-Paradigma. Antiautoritäre Erziehung, Selbstverwirklichung und Unbegrenzung für alle Menschen, Firmen usw. - dann wird alles gut.
In der konservativen Theorie sind es übrigens die tradierten Normen, die dem instinktarmen "Mängelwesen" Mensch Erwartungssicherheit geben. Kein Überwachungsstaat o.ä., da da ja wieder das Misstrauern gegen die potenzielle Schlechtheit der Beamten zum Zuge kommt.

Humer
18.06.2009, 07:53
Na gut, für die bloße Existenzberechtigung staatlicher Strukturen reicht's gerade noch...

Aber von liberalen bis anarchistischen Theorien sollen diese ja weniger bis gar keine Rolle spielen. Da spiegelt sich der Glaube an die natürliche Gutheit wider: Lasst nur jeden tun, was er will, das wird schon richtig werden. Parallel dazu eben natürlich die neoliberale Wirtschaftstheorie. Alles das selbe Gutheits-Paradigma. Antiautoritäre Erziehung, Selbstverwirklichung und Unbegrenzung für alle Menschen, Firmen usw. - dann wird alles gut.
In der konservativen Theorie sind es übrigens die tradierten Normen, die dem instinktarmen "Mängelwesen" Mensch Erwartungssicherheit geben. Kein Überwachungsstaat o.ä., da da ja wieder das Misstrauern gegen die potenzielle Schlechtheit der Beamten zum Zuge kommt.

Da hast du ja rhetorisch geschickt, die linken Ziele, Selbstverwirklichung usw. und die Neoliberale Wirtschaft in die selbe Schublade gesteckt. Freiheit für Menschen und Firmen, als ob da kein gewaltiger Unterschied wäre. Auf der Schublade steht: Gutheits Paradigma.
Soweit mir bekannt ist, gründet sich der Neoliberalismus darauf, dass das dem Allgemeinwohl dann am Besten gedient ist, wenn jeder seinen Egoismus folgt. Über gut und böse machen die sich gar keine Gedanken. Die Gesellschaftsverfassung hat nur das freie Spiel der wirtschaftlichen Kräfte zu garantieren, mehr ist da nicht.

-SG-
18.06.2009, 09:11
Da hast du ja rhetorisch geschickt, die linken Ziele, Selbstverwirklichung usw. und die Neoliberale Wirtschaft in die selbe Schublade gesteckt. Freiheit für Menschen und Firmen, als ob da kein gewaltiger Unterschied wäre. Auf der Schublade steht: Gutheits Paradigma.
Soweit mir bekannt ist, gründet sich der Neoliberalismus darauf, dass das dem Allgemeinwohl dann am Besten gedient ist, wenn jeder seinen Egoismus folgt. Über gut und böse machen die sich gar keine Gedanken. Die Gesellschaftsverfassung hat nur das freie Spiel der wirtschaftlichen Kräfte zu garantieren, mehr ist da nicht.

Es ist allgemein anerkannt, dass das auf der selben Linie liegt.
Ja, die Neoliberalen sagen, dass das Gemeinwohl verwirklicht wird, wenn jeder seinem ökonomischen Egoismus frönt, und der linke Gesellschaftsliberalismus sagt, dass die beste Gesellschaft herauskommt, wenn jeder sich seiner von allem Muff und Autorität befreiten Selbstverwirklichung widmet.

Komischerweise wollen die Linken dann die unbeschränkte Selbstverwirklichung den unternehmerisch Tätigen nicht zugestehen. Da sollen plötzlich kollektivistische Normen autoritär durch den Staat durchgesetzt werden. Das ist natürlich konzeptuell höchst inkonsequent. Aber nachvollziehbar. Denn die Leute wissen: Wenn alle tun dürfen, was sie wollen, und es keine Religion, Tradition, Autorität usw. gibt, die sie in geordnete Bahnen lenkt, dann werden ein paar Leute erfolgreicher dabei sein, sich die Taschen vollzustopfen, als andere.

Es wird nun also das Laisser-faire in allen Bereichen zugestanden, aber wenn's ums Geld geht, hört der Spaß bzw. die Freiheit auf. Da kommen dann plötzlich "soziale", "solidarische" Normen ins Spiel, als wären sie alle devote Christen.

"'Bin ich eine canaille, so solltest du es auch sein': auf diese Logik hin macht man Revolution. " (Nietzsche) - das ist die sogenannte "Solidarität" bei diesen Leuten.