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Vollständige Version anzeigen : War die Tötung des Sokrates legitim?



-25Grad
18.05.2009, 10:01
Sokrates war zwar kein eigentlicher Rationalist, denn er sah von einem Daimon begleitet und unterschied eindeutig zwischen göttlichem und menschlichem Wissen, seine rationale Vorgehensweise, die er insbesondere der jugendlichen Bevölkerung nahelegte, wirkte aber fraglos zersetzend für eine Gesellschaft, die sich auf Mythen und Heldenliedern begründet.
Die Sophisten wirkten vergleichbar. Sie lehrten jeden grundsätzlich alles zu scheinen zum Zwecke des politischen Machterwerbs.
Wie die Apologie des Sokrates von Platon beweist, wurde Sokrates als Obersophist aufgefaßt, der zwar lehrt wie man alles Althergebrachte als grundlose Voraussetzungen ,,entlarvt", aber keine ernsthaften ethischen Alternativen anbietet. Eine vom sokratischen Geist durchsetzte Gesellschaft ist ohne jede Frage lebensunfähig. Das wußte auch Platon. In der Politeia sagt er über die Erziehung der Philosophen, daß es zwar Aufgabe des guten Staates sei die Falschheit der mythischen Ideen von der Tugend rational nachzuweisen, dieser Zustand als solcher aber extrem schlecht sei und deshalb unbedingt die Hinführung zu dem Guten, d.h. dem göttlichen Wissen, wenn man so möchte, nach sich ziehen muß.
Vor dem Hintergrund, daß a. die Existenz dieses Wissens als ungewiß bezeichnet werden muß, und b. Sokrates dieses Wissen gar nicht lehrte, halte ich es für absolut legitim, daß eine Gesellschaft ihre eigenen Tugenden und Ideale, die sie aus Mythen schöpft, vor der rationalen Zersetzung bewahrt.
Wie seht ihr das?
ZUSATZ : Man darf sich von der Härte des Urteils nicht blenden lassen. In der Antike waren, wenn mich nicht alles täuscht, nur die Todesstrafe, die Verbannung und die Geldstrafe vorhanden. Es geht also darum, ob Sokrates verurteilt werden soll; Sokrates selbst suchte die Todesstrafe oder den Freispruch, andere Urteilsverkündigungen wollte er nicht.

-jmw-
18.05.2009, 10:38
und die Wahrheit wird euch frei machen
Johannes 8, 32.


Allerdings:

Wer die Wahrheit hören will, den sollte man vorher fragen, ob er sie ertragen kann.
Ernst Hauschka

Black Jack
18.05.2009, 13:29
Sokrates war zwar kein eigentlicher Rationalist, denn er sah von einem Daimon begleitet und unterschied eindeutig zwischen göttlichem und menschlichem Wissen, seine rationale Vorgehensweise, die er insbesondere der jugendlichen Bevölkerung nahelegte, wirkte aber fraglos zersetzend für eine Gesellschaft, die sich auf Mythen und Heldenliedern begründet.
Die Sophisten wirkten vergleichbar. Sie lehrten jeden grundsätzlich alles zu scheinen zum Zwecke des politischen Machterwerbs.
Wie die Apologie des Sokrates von Platon beweist, wurde Sokrates als Obersophist aufgefaßt, der zwar lehrt wie man alles Althergebrachte als grundlose Voraussetzungen ,,entlarvt", aber keine ernsthaften ethischen Alternativen anbietet. Eine vom sokratischen Geist durchsetzte Gesellschaft ist ohne jede Frage lebensunfähig. Das wußte auch Platon. In der Politeia sagt er über die Erziehung der Philosophen, daß es zwar Aufgabe des guten Staates sei die Falschheit der mythischen Ideen von der Tugend rational nachzuweisen, dieser Zustand als solcher aber extrem schlecht sei und deshalb unbedingt die Hinführung zu dem Guten, d.h. dem göttlichen Wissen, wenn man so möchte, nach sich ziehen muß.
Vor dem Hintergrund, daß a. die Existenz dieses Wissens als ungewiß bezeichnet werden muß, und b. Sokrates dieses Wissen gar nicht lehrte, halte ich es für absolut legitim, daß eine Gesellschaft ihre eigenen Tugenden und Ideale, die sie aus Mythen schöpft, vor der rationalen Zersetzung bewahrt.
Wie seht ihr das?
ZUSATZ : Man darf sich von der Härte des Urteils nicht blenden lassen. In der Antike waren, wenn mich nicht alles täuscht, nur die Todesstrafe, die Verbannung und die Geldstrafe vorhanden. Es geht also darum, ob Sokrates verurteilt werden soll; Sokrates selbst suchte die Todesstrafe oder den Freispruch, andere Urteilsverkündigungen wollte er nicht.

Irgendwelche Anspielungen auf heutige Zeit???

Es wäre mir etwas Neues, anzunehmen, dass die Anklage gegen Sokrates dem fürsorglichen Interesse der Machtachber seinem Volk gegenüber entsprang. Wie schon immer in solchen Fällen, fühlten sich die Machthaber durch das Neue in ihrer Machtstelleung bedroht. Also halte ich eine Voraussetzung schon mal für falsch
(Wenn wie natürlich annehmen wollen, dass Sokrtates eine historische Person war).

Zweitens ist Entwicklung, wie ich das nenne, das erste Gesetz des Universums, sein Grundgesetz, wenn wir es so wollen. Neues wird sich immer Zutritt ins menschliche Bewusstsein verschaffen, weil Bewusstsein + Zeit = Entwicklung ist.
Das Problem des Konservatismus ist, dass er im Neuen nur den Momenet der Zerstörung sieht, und diesen verabsolutiert. Dabei ist die Zerstörung nur ein Übergangsphänomen, bis sich das Neue durchgesetzt hat. Das Neue ist in sich aber konservativ, also selbsterhaltend, bis... genau, bis die nächste Stufe der Entwicklung kommt.

Von allen Machtkäpfen bereinigt vollzieht sich die gesellschftliche Entwicklungen nach dem Mehrheitsprinzip. Und leider ist die gesellschftliche Entwicklung nicht immer "positiv", also in unserem Empfinden nach vorne ausgerichtet. Sie kann leider manchmal ein Rückschritt bedeuten, wenn die Mehrheit es so will und Mittel und Wege findet, es durchzusetzen.

Dass Sokrates angeblich für die zerstörten Mythen nichts im Angebot hatte, ist nur ein theoretisches Problem. In der Praxis hat er mit seinem Leben doch zugenüge bewisen, dass man ohne Mythen leben kann. Er ist werder verroht noch verrückt geworden und war Zeit seines Lebens ein glücklicher Mann gewesen.

War seine Beseitigung gerechtfertigt? Seit wann ist grundloser Mord gerechtfertigt?
Gruss.