dickköpfchen2009
02.05.2009, 12:14
... nur diesmal ist für jeden was dabei :D
»Neoliberalismus wird neu definiert«
Die »Memorandum-Gruppe« hat ihr jährliches Gutachten zur wirtschaftlichen Entwicklung vorgelegt. Ein Gespräch mit Mechthild Schrooten
Interview: Peter Wolter
Mechthild Schrooten ist Professorin für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule Bremen. Sie ist Mitglied der »Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik«, auch als »Memorandum-Gruppe« bekannt.
Alljährlich zum 1. Mai legt die »Memorandum Gruppe« ihr Gutachten zur wirtschaftlichen Entwicklung vor. Letztere schien ja vor einem Jahr noch in ruhigen Gewässern zu dümpeln – jetzt stehen wir plötzlich vor einer weltweiten Katastrophe. Welche Antworten finden Sie darauf in der aktuellen Analyse?
Zunächst einmal kritisieren wir die gängigen Erklärungen zu den Ursachen der Krise und die damit verbundenen Politikempfehlungen. Wir kommen jedenfalls zu einem ganz anderen Ergebnis: Wir befinden uns in einer umfassenden Krise, die weit mehr als das internationale Finanzsystem erfaßt – hinzu kommen nämlich eine konjunkturelle, eine soziale und eine ökologische Krise. Um aus dieser Misere herauszukommen, kann es also nicht allein darum gehen, möglichst große Konjunkturprogramme aufzulegen. Vielmehr müssen sich die gesellschaftlichen Strukturen grundlegend ändern.
Konjunkturprogramme haben unseres Erachtens nur dann einen Sinn, wenn sie zu einer nachhaltigen Ökonomie führen. Ein Ansatzpunkt dafür wäre, daß die Demokratisierung des Wirtschaftsprozesses vorangetrieben wird.
Was hat Nachhaltigkeit mit Demokratisierung zu tun?
Nachhaltigkeit heißt ja nichts anderes, als die Ressourcen auch für die folgenden Generationen zu sichern. Das ist allerdings nur möglich, wenn Entscheidungen über die Verwendung von Ressourcen auf eine möglichst breite Basis in der Gesellschaft gestellt werden. Wenn es dabei bleibt wie bisher, daß wichtige Entscheidungen von wenigen Politikern oder Managern getroffen werden, dann ändert sich auch nichts daran, daß die gesellschaftlichen Ressourcen von unten nach oben umgeschichtet werden. Damit würden die sozialen und auch die ökologischen Probleme immer gravierender.
Die Bundesregierung hat zwei Konjunkturprogramme aufgelegt, von deren Wirkung bislang kaum etwas zu spüren ist. Versickert das Geld?
Es dauert natürlich einige Zeit, bis sich diese Programme auswirken. Und falls sie verpuffen sollten, dürfte das daran gelegen haben, daß die Bundesregierung sie zu lange hinausgezögert hat. Anders ist das mit der Abwrackprämie für Autos. Volkswirtschaftlich ist diese Maßnahme unsinnig, denn es werden funktionsfähige Autos verschrottet – es wird also Vermögen vernichtet.
DGB und Linkspartei haben ein drittes Konjunkturprogramm über 100 Milliarden Euro gefordert – das »Memorandum«-Gutachten will sogar 110 Milliarden …
Das dritte Programm wird bestimmt noch in diesem Jahr kommen. In spätestens zwei, drei Monaten wird sich die Lage auf dem Arbeitsmarkt zuspritzen. Die Regierung muß dann etwas unternehmen – egal, welche Partei den Wirtschafts- und den Finanzminister stellt.
Welche Arbeitsmarktzahlen erwarten Sie?
Wenn ich jetzt Zahlen nenne, würde ich aus dem Kaffeesatz lesen. Natürlich wird versucht, die amtlich zugegebene Arbeitslosigkeit durch Kurzarbeit so lange wie möglich nach unten zu drücken. Das wird mindestens bis zur Bundestagswahl am 27. September so sein.
Ist der Eindruck richtig, daß der Neoliberalismus an Einfluß verliert und daß sich immer mehr Ökonomen auf die Theorien von John Maynard *Keynes besinnen?
Das ist leider nicht so, vielmehr erleben wir zur Zeit, daß der Neoliberalismus neu definiert wird. Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn spricht auf einmal davon, daß eine neoliberale Marktwirtschaft nur mit strengen Spielregeln funktionieren könne. Auch die Wirtschaftspolitik hat keineswegs dazugelernt. Man will mit viel Geld das alte System wiederherstellen. Das aber führt dazu, daß die nächste Krise schon abzusehen ist.
Wie steht die »Memorandum- Gruppe« zum Thema Verstaatlichung von Banken?
Das haben wir ja schon, z.B. bei der Bank Hypo Real Estate. Verstaatlichung hat allerdings nur dann einen Sinn, wenn der Staat nicht nur für diese Bank haftet, sondern auch deren Geschäftspolitik bestimmt. Es kann nicht angehen, daß der Steuerzahler die Verluste übernimmt – und ansonsten wird weiter gewirtschaftet wie bisher.
Info: www.memo.uni-bremen.de
»Neoliberalismus wird neu definiert«
Die »Memorandum-Gruppe« hat ihr jährliches Gutachten zur wirtschaftlichen Entwicklung vorgelegt. Ein Gespräch mit Mechthild Schrooten
Interview: Peter Wolter
Mechthild Schrooten ist Professorin für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule Bremen. Sie ist Mitglied der »Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik«, auch als »Memorandum-Gruppe« bekannt.
Alljährlich zum 1. Mai legt die »Memorandum Gruppe« ihr Gutachten zur wirtschaftlichen Entwicklung vor. Letztere schien ja vor einem Jahr noch in ruhigen Gewässern zu dümpeln – jetzt stehen wir plötzlich vor einer weltweiten Katastrophe. Welche Antworten finden Sie darauf in der aktuellen Analyse?
Zunächst einmal kritisieren wir die gängigen Erklärungen zu den Ursachen der Krise und die damit verbundenen Politikempfehlungen. Wir kommen jedenfalls zu einem ganz anderen Ergebnis: Wir befinden uns in einer umfassenden Krise, die weit mehr als das internationale Finanzsystem erfaßt – hinzu kommen nämlich eine konjunkturelle, eine soziale und eine ökologische Krise. Um aus dieser Misere herauszukommen, kann es also nicht allein darum gehen, möglichst große Konjunkturprogramme aufzulegen. Vielmehr müssen sich die gesellschaftlichen Strukturen grundlegend ändern.
Konjunkturprogramme haben unseres Erachtens nur dann einen Sinn, wenn sie zu einer nachhaltigen Ökonomie führen. Ein Ansatzpunkt dafür wäre, daß die Demokratisierung des Wirtschaftsprozesses vorangetrieben wird.
Was hat Nachhaltigkeit mit Demokratisierung zu tun?
Nachhaltigkeit heißt ja nichts anderes, als die Ressourcen auch für die folgenden Generationen zu sichern. Das ist allerdings nur möglich, wenn Entscheidungen über die Verwendung von Ressourcen auf eine möglichst breite Basis in der Gesellschaft gestellt werden. Wenn es dabei bleibt wie bisher, daß wichtige Entscheidungen von wenigen Politikern oder Managern getroffen werden, dann ändert sich auch nichts daran, daß die gesellschaftlichen Ressourcen von unten nach oben umgeschichtet werden. Damit würden die sozialen und auch die ökologischen Probleme immer gravierender.
Die Bundesregierung hat zwei Konjunkturprogramme aufgelegt, von deren Wirkung bislang kaum etwas zu spüren ist. Versickert das Geld?
Es dauert natürlich einige Zeit, bis sich diese Programme auswirken. Und falls sie verpuffen sollten, dürfte das daran gelegen haben, daß die Bundesregierung sie zu lange hinausgezögert hat. Anders ist das mit der Abwrackprämie für Autos. Volkswirtschaftlich ist diese Maßnahme unsinnig, denn es werden funktionsfähige Autos verschrottet – es wird also Vermögen vernichtet.
DGB und Linkspartei haben ein drittes Konjunkturprogramm über 100 Milliarden Euro gefordert – das »Memorandum«-Gutachten will sogar 110 Milliarden …
Das dritte Programm wird bestimmt noch in diesem Jahr kommen. In spätestens zwei, drei Monaten wird sich die Lage auf dem Arbeitsmarkt zuspritzen. Die Regierung muß dann etwas unternehmen – egal, welche Partei den Wirtschafts- und den Finanzminister stellt.
Welche Arbeitsmarktzahlen erwarten Sie?
Wenn ich jetzt Zahlen nenne, würde ich aus dem Kaffeesatz lesen. Natürlich wird versucht, die amtlich zugegebene Arbeitslosigkeit durch Kurzarbeit so lange wie möglich nach unten zu drücken. Das wird mindestens bis zur Bundestagswahl am 27. September so sein.
Ist der Eindruck richtig, daß der Neoliberalismus an Einfluß verliert und daß sich immer mehr Ökonomen auf die Theorien von John Maynard *Keynes besinnen?
Das ist leider nicht so, vielmehr erleben wir zur Zeit, daß der Neoliberalismus neu definiert wird. Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn spricht auf einmal davon, daß eine neoliberale Marktwirtschaft nur mit strengen Spielregeln funktionieren könne. Auch die Wirtschaftspolitik hat keineswegs dazugelernt. Man will mit viel Geld das alte System wiederherstellen. Das aber führt dazu, daß die nächste Krise schon abzusehen ist.
Wie steht die »Memorandum- Gruppe« zum Thema Verstaatlichung von Banken?
Das haben wir ja schon, z.B. bei der Bank Hypo Real Estate. Verstaatlichung hat allerdings nur dann einen Sinn, wenn der Staat nicht nur für diese Bank haftet, sondern auch deren Geschäftspolitik bestimmt. Es kann nicht angehen, daß der Steuerzahler die Verluste übernimmt – und ansonsten wird weiter gewirtschaftet wie bisher.
Info: www.memo.uni-bremen.de