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Vollständige Version anzeigen : Brauchen wir eine neue Ethik der Sicherheit?



Klopperhorst
30.04.2009, 20:57
Das Leben selbst ist ein Meer voller Klippen und Strudel, die der Mensch mit der größten Behutsamkeit und Sorgfalt vermeidet, obwohl er weiß, daß, wenn es ihm auch gelingt, mit aller Anstrengung und Kunst, sich durchzuwinden, er eben dadurch mit jedem Schritt dem größten Schiffbruch näher kommt, ja gerade auf ihn zusteuert, dem Tode: dieser ist das endliche Ziel der mühsäligen Fahrt und für ihn schlimmer als alle Klippen, denen er auswich.

(A. Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung, Viertes Buch: Welt als Wille)

Schweinegrippe, Bankenrettungen, Krebsvorsorge ... nur drei Themen der Zeit, die den Sicherheitswahn der Gesellschaft verdeutlichen.

Woher kommt das Sicherheitsbedürfnis, und warum fällt es so schwer, die Nutzlosigkeit vieler Sicherheitsvorkehrungen anzuerkennen? Man könnte meinen, der Mensch will sich, die ihm zur Verfügung stehende Lebenszeit so sicher wie möglich gestalten, um sie mit Glück und Befriedigung auszufüllen.

Aber viele Sicherheitsvorkehrungen sind sogar schädlich. Wozu z.B. Leben bis zum letzten Moment erhalten, alte, sterbenskranke Körper, die oftmals nur noch Qual sind. Warum ist Euthanasie ein Schimpfwort?

Und wie steht es mit Sicherheit und Freiheit? Ist man wirklich frei, in einem goldenen Käfig einer technisierten Gesellschaftsordnung verdammt zu sein, sich Zwängen und Gesetzen der Sicherheit anderer zu beugen und damit selbst unfrei zu sein?

---

Aldebaran
30.04.2009, 21:10
Die Ursache ist der Verlust des Glaubens an ein Leben nach dem Tod. Umso mehr klammert man sich an das Leben und verdrängt den Tod. Diese Verdrängung des (eigenen) Todes führt übrigens auch zur Reproduktionsverweigerung, da das Motiv, etwas von sich über den Tod hinaus weiterzugeben, entfällt. Kinder werden heute weniger aus diesem "dynastischen" Motiv heraus geboren, sondern weil sie Glück stiften oder "eine Liebe krönen" sollen.

Der Sicherheitswahn ist also ein integraler Bestandteil des modernen Bewussteins.

Lichtblau
30.04.2009, 21:14
@Klopperhorst
Ist dir dein eigenes Leben so egal?
Die meisten wollen schon lange Leben, am besten ewig.

jak_22
30.04.2009, 21:26
Siehe meine Signatur.

Es gibt keine perfekte Sicherheit. Es gab sie nie und es wird
sie nie geben. Sicherheit und Glück widersprechen sich meiner
Meinung nach sogar. Wäre ich nie im Leben ein Risiko einge-
gangen, hätte ich viele Erfahrungen niemals machen können.

Gute und Schlechte - ich will beides nicht missen.

marc
30.04.2009, 21:44
Bisschen chaotisch. Gerade keine Zeit, zu tüfteln. Aber:


Auf die Frage "Wenn es möglich wäre, bei guter Gesundheit 150 Jahre alt zu werden: Würden Sie gerne so lange leben wollen?" hatte 1956 noch mehr als jeder Zweite (55 Prozent) mit "Ja" geantwortet. 1993 war es noch mehr als jeder Dritte (38 Prozent), im Jahr 2004 aber nur noch jeder Vierte (26 Prozent).
http://www.spiegel.de/panorama/0,1518,379788,00.html

Entsprechende Umfragen über die Euthanasie habe ich jetzt nicht zur Hand, aber ich meine mich zu erinnern, dass die Zustimmung in den westlichen, gerade den westeuropäischen Bevölkerungen sehr groß ist. Und wenn du von Ethik sprichst: soweit ich die philosophischen Diskurse der Gegenwart überblicke, stößt sie dort ebenfalls auf völlige Zustimmung. Der populärste Befürworter dürfte Peter Singer sein, der sich zwar selbst als "A Darwinian Left" bezeichnet, aber in Deutschland mundtot gemacht wurde.

Mir gehen da noch andere Untersuchungen durch den Kopf (z.B. dass nur noch ein Bruchteil der Eltern glaubt, dass es ihren Kindern einmal besser gehen wird, als ihnen selbst), die das Gefühl bestätigen, dass eine ziemliche Unlust an der Zukunft hier vorherrschend ist. Apropos Eltern: Auch der Satz, man könne "in eine solche Welt" doch keine Kinder mehr setzen, ist ja kein Randphänomen mehr.

Ich glaube, es gibt hier zunächstmal eine ziemliche Angst vor der Freiheit. Die meisten Deutschen (Politiker) scheinen im Menschen erstmal den potentiellen Nazi zu sehen, der sofort auszubrechen droht, wenn man ihm ein klein bisschen Freiheit lässt und keine Gesinnungsgouvernanten um ihn positioniert.
Und wenn ein negatives Menschenbild zu einer Angst vor Freiheit führt, dann ist die klassische Reaktion darauf der Ruf nach "Sicherheit", bzw. Repression.

Ähnlich ist es, wenn es um Verlust des Halts in der Religion geht - "Wir können nicht mehr leben fernab der Ewigkeit.", dichtete Houellebecq. Und naja: hier gibt es eine doppelte Angst vor der eigenen Courage: einerseits halt, was das Leben nach dem Tod anbelangt: da will man das religiöse Korsett zwar lösen, aber auf die Krücke nicht verzichten und flüchtet sich insofern in den Okkultismus, die Esoterik, Kartenleger usw. "Ich glaube an Astrologie, weil ich an Gott nicht mehr glauben kann.", zitierte schon Adorno einen Mann, den er in den 40ern befragt hatte. Aber sowas bindet natürlich nicht - momentan geht ja die religiöse Schere in allen westlichen Ländern auf: die Leute glauben entwender richtig an Gott - oder sind wirkliche Atheisten. In den USA sind es Christen und Atheisten, in Westeuropa sind es Muslime und Atheisten.

Mh: Angst vor der eigenen Courage in doppelter Hinsicht. Die zweite Hinsicht wäre nämlich die, die sich auf das Menschenbild bezieht, und hier schließt sich auch wieder der Kreis mit der Angst vor der Freiheit und dem Nazi, der auszubrechen drohe.
Denn die logische Konsequenz des Atheismus wäre ja, evolutionäre Erklärungsansätze wirklich messerscharf auch auf den Menschen anzuwenden.
Adorno habe ich erwähnt, der schrieb einige Sachen über die Neger, denen man doch nicht zumuten solle, so wie die Weißen zu sein, weil man ihn ansonsten "freundlich durch einen Maßstab demütigen würde, hinter dem er zurückbleiben muß." 1975 erschien Sociobiology von Edward Wilson, in dem er das -wie ich finde das logische Resultat des Atheismus- versuchte: eine Annäherung von Natur- und Gesellschaftswissenschaften. Dazu beschrieb er das Verhalten verschiedener Tiere, unter denen sich auch eine bestimmte Gattung namens "Homo sapiens" befand. Um die gleiche Zeit: Richard Hernstein und die These, der I.Q. werde zu einem Gutteil vererbt ... heute Wolf Singer, der ebenfalls oft angefeindet wird. ("Willensfreiheit ist eine Illusion")

Es gibt also auch Ängste, den Atheismus konsequent zu Ende zu führen. Dann heißt es: Biologismus usw. Bei den Grünen finden sich sogar viele Politiker, die sich selbst als Gottgläubig ausgeben, und das als Grund angeben, sich gegen die Euthanasie auszusprechen.

Also das wäre zumindest ein Erklärungsansatz: dass der Verlust des Halts in der Religion einerseits zu der Forderung nach größtmöglicher Sicherheit im einzigen Leben führt - andererseits auch andere Ängste mit sich bringt ("Biologismus!"), die ebenfalls durch Sicherheitspolitik reglementiert werden sollen. (Ob etwas Sicherheitspolitik oder Repression ist, ist ja ohnehin meist nur eine Frage der Perspektive.)

Dass das aber nicht unbedingt die Lust am Leben steigert, ist wieder eine andere Frage ... siehe z.B. die Umfrage oben.

Krabat
30.04.2009, 21:59
Bei der Schweinegrippe besteht ein berechtigtes Sicherheitsbedürfnis. Ich finde es zum Beispiel eine Unverschämtheit, daß ich mir da kein Tamiflu besorgen kann, weil die Ärzte und die Pharmaindustrie im Zusammenwirken mit dem Staat ihre Hand drauf halten.

Die Ärzte selbst sind längst mit Tamiflu eingedeckt. WTF zum Beispiel hat als Zahnarzt die Möglichkeit an das Medikament heranzukommen, und er hat geschrieben, daß er seine Familie damit eingedeckt hat.

Ärzte sind sowieso die Götter unserer Zeit. Sie bestimmen wer was nehmen darf oder nicht.

Diese Kontrolle macht den Bürger zum unfreien Hilfeempfänger.

marc
30.04.2009, 22:04
Ich finde es zum Beispiel eine Unverschämtheit, daß ich mir da kein Tamiflu besorgen kann, weil die Ärzte und die Pharmaindustrie im Zusammenwirken mit dem Staat ihre Hand drauf halten.

Also ich hab mir vorhin n' Päckchen Aspirin gekauft und an allen Kassen der Apotheke standen große Zettel, in denen dick darauf hingewiesen wurde, dass Schutzmasken und Tamiflu vorrätig wären. :dunno:

Krabat
30.04.2009, 22:14
Also ich hab mir vorhin n' Päckchen Aspirin gekauft und an allen Kassen der Apotheke standen große Zettel, in denen dick darauf hingewiesen wurde, dass Schutzmasken und Tamiflu vorrätig wären. :dunno:

Tatsächlich? Hat man Tamiflu aus der Rezeptpflicht herausgenommen?

Eine gute Nachricht. Ich glaube sie nur nicht ...

-jmw-
30.04.2009, 22:34
Man könnte meinen, der Mensch will sich, die ihm zur Verfügung stehende Lebenszeit so sicher wie möglich gestalten, um sie mit Glück und Befriedigung auszufüllen.
Äh... ja?
Ja sicher?
Ja sicher!
Was soll er sonst wollen?
Nach Ansicht vieler stehen die Chancen hoch, dass man nur ein Leben hat.
Was soll man da tun?
Die Frage: "Warum willst Du denn glücklich sein?" ist für sich schon reichlich blödsinnig.
Wieviele vernünftige Antworten hört man auf sie?
Selten mal eine. (Es gibt sie jewohl.)

Also, ja: Glück produzieren, Befriedigung (naja, eher weniger) produzieren!

Dazu braucht es Sicherheit.
Veränderung kann dem erheblich abträglich sein!

Aber: Veränderung gibt es immer: "Chaos ist die Essenz der Existenz" (Gholic Ren-Sar Valinov).

Wenn man Sicherheit also will zwecks Glücksproduktion, ist es ein Klugheitsgebot, die Sicherheit so zu gestalten, die Zone der Sicherheit so einzurichten, dass sie auf lange Sicht der Glücksproduktion dienen kann und beispielsweise nicht ein kurzfristiges Mehr an Glück, wenn in der Zukunft die Sicherheitszone vom Wandel hinweggefegt wird, durch ein absolutes Ende der Bedingung der Möglichkeit zur Glücksproduktion erkauft wird.

Mit anderen Worten: Wer nicht will, dass der Strom ihn mitreisst, kann sich entweder gegen ihn stemmen und solange bewegungslos verharren, bis seine Kräfte nachlassen und das Wasser ihn fortträgt;
oder er kann sich ein Floss zimmern, auf dass er im Fortgetragenwerden bewegungslos zu sein vermag.



Und wie steht es mit Sicherheit und Freiheit? Ist man wirklich frei, in einem goldenen Käfig einer technisierten Gesellschaftsordnung verdammt zu sein, sich Zwängen und Gesetzen der Sicherheit anderer zu beugen und damit selbst unfrei zu sein?
Nein, ist man nicht.
"Frei" sind die, deren Regeln gelten.
"Frei" wäre man, gölten andere.
"Frei" wären alle, gölten alle Regeln - und zwar jeweils für sie selber: "Freiheit" im Sinne von nicht Un-, aber Nicht-Sicherheit ist "nicht für alle notwendig. Die, welche sie brauchen, sind Männer wie Giordano Bruno, Montaigne, Ulrich von Hutten, Götz von Berlichingen, Cyrano de Bergerac, Voltaire, Max Stirner und Nietzsche". (Robert Dun)

Klopperhorst
30.04.2009, 22:40
Die Ursache ist der Verlust des Glaubens an ein Leben nach dem Tod. Umso mehr klammert man sich an das Leben und verdrängt den Tod. Diese Verdrängung des (eigenen) Todes führt übrigens auch zur Reproduktionsverweigerung, da das Motiv, etwas von sich über den Tod hinaus weiterzugeben, entfällt. Kinder werden heute weniger aus diesem "dynastischen" Motiv heraus geboren, sondern weil sie Glück stiften oder "eine Liebe krönen" sollen.

Der Sicherheitswahn ist also ein integraler Bestandteil des modernen Bewussteins.

Der Punkt mit dem "Glauben" ist gut.

Denn auch die Verlegung der Sicherheit in die Familie, das Volk usw. - ist ein verzweifelter Versuch. Damit wird nichts gesichert, ausser der Lebenskampf und das große Scheitern über die Generationen hinausgezögert.

Das Scheitern von Staaten, das Sterben von Völkern, von (Tier-)Arten, selbst von Sternen belegt, daß auch scheinbar transzendente Systeme sich an etwas klammern, was es nicht gibt, Sicherheit.

Hingegen scheint mir wichtiger, daß eine Aufklärung stattfindet. Sicherheitsstreben ist verbunden mit Angst. Und Angst ist elementar auf den Tod bezogen, den Tod jedes beliebigen Systems.

Echte Sicherheit kann nur ohne Angst existieren, eine gewisse Gemütsruhe, die man am besten mit Glauben bezeichnen könnte. Glauben ist also dann der Garant für Sicherheit. Die materialistische und rationale Gesellschaftsordnung kann also gar nicht sicher sein.

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Klopperhorst
30.04.2009, 23:00
Äh... ja?
Ja sicher?
Ja sicher!
Was soll er sonst wollen?
Nach Ansicht vieler stehen die Chancen hoch, dass man nur ein Leben hat.
Was soll man da tun?
Die Frage: "Warum willst Du denn glücklich sein?" ist für sich schon reichlich blödsinnig.
Wieviele vernünftige Antworten hört man auf sie?
Selten mal eine. (Es gibt sie jewohl.)

Der Kamikaze-Pilot denkt nicht so. Seine Sicherheit gilt ihm nicht viel, so wenig wie dem Asket, der durch Leiden versucht, sich zu reinigen - für einen religiösen Zweck.



Also, ja: Glück produzieren, Befriedigung (naja, eher weniger) produzieren!

Dazu braucht es Sicherheit.
Veränderung kann dem erheblich abträglich sein!

Die Frage ist, ob Sicherheit nicht gegen Glück gerichtet ist und langfristig das Glück zerstört. Z.B. einfach ohne große Überlegung etwas tun, auch einmal etwas radikales tun und zulassen, ohne rationale Abwägungen, kann ein System der Stagnation wieder auf einen kreativen Pfad bringen.

Den Tod zu verhindern, heißt, ihn als endgültiges Ende anzusehen. Dadurch wird aber auch sein schöpferisches Element der Neuerschaffung verleugnet, denn alles Leben kommt bekanntlich aus dem Orkus, und der Tod ist der Garant für etwas Neues.

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-jmw-
30.04.2009, 23:28
Der Kamikaze-Pilot denkt nicht so. Seine Sicherheit gilt ihm nicht viel, so wenig wie dem Asket, der durch Leiden versucht, sich zu reinigen - für einen religiösen Zweck.
Meinen vorigen Beitrag bitte als Tendenzaussage auffassen!


Die Frage ist, ob Sicherheit nicht gegen Glück gerichtet ist und langfristig das Glück zerstört.
Sie kann, muss aber nicht, abhängig davon, wie sie wann wo aussieht.

Soll heissen: Wir haben es nicht nur, aber auch mit einem technischen Aspekt zu tun dahingehend, dass "sicher" "sicher sein" meint und nicht "sich sicher fühlen".


Z.B. einfach ohne große Überlegung etwas tun, auch einmal etwas radikales tun und zulassen, ohne rationale Abwägungen, kann ein System der Stagnation wieder auf einen kreativen Pfad bringen.
Sicher!
Keine Frage.
Aber wenn man es punktuell zulässt, mag man (wieder: in der Tendenz) verhindern, dass es zu brutalen Brüchen, Rissen, Umwerfungen kommt.

Efna
30.04.2009, 23:38
Bei der Schweinegrippe besteht ein berechtigtes Sicherheitsbedürfnis. Ich finde es zum Beispiel eine Unverschämtheit, daß ich mir da kein Tamiflu besorgen kann, weil die Ärzte und die Pharmaindustrie im Zusammenwirken mit dem Staat ihre Hand drauf halten.

Die Ärzte selbst sind längst mit Tamiflu eingedeckt. WTF zum Beispiel hat als Zahnarzt die Möglichkeit an das Medikament heranzukommen, und er hat geschrieben, daß er seine Familie damit eingedeckt hat.

Ärzte sind sowieso die Götter unserer Zeit. Sie bestimmen wer was nehmen darf oder nicht.

Diese Kontrolle macht den Bürger zum unfreien Hilfeempfänger.

Das hat einen guten Grund mein lieber Krabat, erstmal ist Tamiflu gegen die Schweinegrippe recht nutzlos ist aber eben nicht gegen die normale Influenza. Damit eben Tamiflu nicht nutzlos an unseren Krabat für nichtsa verschwendet wird da es gegen die Schweinegrippe eh wirkungslos ist behält es der Stadt. Damit wenn dann irgenwann mal eine Influenza Welle kommt noch genug Tamiflu da ist....

Gawen
01.05.2009, 08:55
Die Ursache ist der Verlust des Glaubens an ein Leben nach dem Tod. Umso mehr klammert man sich an das Leben und verdrängt den Tod. Diese Verdrängung des (eigenen) Todes führt übrigens auch zur Reproduktionsverweigerung, da das Motiv, etwas von sich über den Tod hinaus weiterzugeben, entfällt. Kinder werden heute weniger aus diesem "dynastischen" Motiv heraus geboren, sondern weil sie Glück stiften oder "eine Liebe krönen" sollen.

Der Sicherheitswahn ist also ein integraler Bestandteil des modernen Bewussteins.

Der Planbarkeitswahn dürfte sich seit dem Übergang von der "Jäger und Sammler" zur landwirtschaftlichen Gesellschaft genetisch verfestigt haben.

Bild-Mentalität: Angst, Hass, Titten, Wetterbericht

marc
01.05.2009, 09:15
Bild-Mentalität: Angst, Hass, Titten, Wetterbericht

Bzw. TTTT
Titten
Tiere
Tränen
Terror
:D

Krabat
01.05.2009, 16:25
Das hat einen guten Grund mein lieber Krabat, erstmal ist Tamiflu gegen die Schweinegrippe recht nutzlos ist aber eben nicht gegen die normale Influenza. Damit eben Tamiflu nicht nutzlos an unseren Krabat für nichtsa verschwendet wird da es gegen die Schweinegrippe eh wirkungslos ist behält es der Stadt. Damit wenn dann irgenwann mal eine Influenza Welle kommt noch genug Tamiflu da ist....

Du hast offenbar das alte obrigstaatliche DDR-Denken noch im Blut. Der "Stadt" bestimmt was gut für den Bürger ist. In einer freien Gesellschaft sollte das anders sein.

Und Tamiflu ist sehr gut wirksam gegen die Schweinegrippe.

Aldebaran
01.05.2009, 20:31
Bisschen chaotisch. Gerade keine Zeit, zu tüfteln. Aber:


http://www.spiegel.de/panorama/0,1518,379788,00.html

Entsprechende Umfragen über die Euthanasie habe ich jetzt nicht zur Hand, aber ich meine mich zu erinnern, dass die Zustimmung in den westlichen, gerade den westeuropäischen Bevölkerungen sehr groß ist. Und wenn du von Ethik sprichst: soweit ich die philosophischen Diskurse der Gegenwart überblicke, stößt sie dort ebenfalls auf völlige Zustimmung. Der populärste Befürworter dürfte Peter Singer sein, der sich zwar selbst als "A Darwinian Left" bezeichnet, aber in Deutschland mundtot gemacht wurde.


Das ist kein Widerspruch zu der These, dass der Tod verdrängt wird. Im Gegenteil: Pflegebedürftige und insbesondere hochbetagte Pflegebedürftige sind in gewisser Weise "lebende Leichen", d.h. sie erinnern auf Schritt und Tritt an den Tod. Euthanasie wird befürwortet, nicht weil man den Tod annimmt, sondern weil man den damit verhinderten Zustand weniger als Leben denn als verlängertes Sterben empfindet.




Mir gehen da noch andere Untersuchungen durch den Kopf (z.B. dass nur noch ein Bruchteil der Eltern glaubt, dass es ihren Kindern einmal besser gehen wird, als ihnen selbst), die das Gefühl bestätigen, dass eine ziemliche Unlust an der Zukunft hier vorherrschend ist. Apropos Eltern: Auch der Satz, man könne "in eine solche Welt" doch keine Kinder mehr setzen, ist ja kein Randphänomen mehr.


Da ist etwas dran. Zum Verzicht auf Kinder gehört dann auch der Glaube, es müsse den Kindern besser gehen als einem selbst. Letztendlich wären es also "potentielle Schuldgefühle", die dazu führten, auf Kinder zu verzichten.

Eine große Rolle dürfte das aber nur bei einer Minderheit spielen und in weitaus mehr Fällen nur eine Rechtfertigung für puren Hedonismus oder einfach die Tatsache sein, dass man keine Kinder mag, was aber nicht so gern zugegeben wird.



Ich glaube, es gibt hier zunächstmal eine ziemliche Angst vor der Freiheit. Die meisten Deutschen (Politiker) scheinen im Menschen erstmal den potentiellen Nazi zu sehen, der sofort auszubrechen droht, wenn man ihm ein klein bisschen Freiheit lässt und keine Gesinnungsgouvernanten um ihn positioniert.
Und wenn ein negatives Menschenbild zu einer Angst vor Freiheit führt, dann ist die klassische Reaktion darauf der Ruf nach "Sicherheit", bzw. Repression.

Ähnlich ist es, wenn es um Verlust des Halts in der Religion geht - "Wir können nicht mehr leben fernab der Ewigkeit.", dichtete Houellebecq. Und naja: hier gibt es eine doppelte Angst vor der eigenen Courage: einerseits halt, was das Leben nach dem Tod anbelangt: da will man das religiöse Korsett zwar lösen, aber auf die Krücke nicht verzichten und flüchtet sich insofern in den Okkultismus, die Esoterik, Kartenleger usw. "Ich glaube an Astrologie, weil ich an Gott nicht mehr glauben kann.", zitierte schon Adorno einen Mann, den er in den 40ern befragt hatte. Aber sowas bindet natürlich nicht - momentan geht ja die religiöse Schere in allen westlichen Ländern auf: die Leute glauben entwender richtig an Gott - oder sind wirkliche Atheisten. In den USA sind es Christen und Atheisten, in Westeuropa sind es Muslime und Atheisten.

Mh: Angst vor der eigenen Courage in doppelter Hinsicht. Die zweite Hinsicht wäre nämlich die, die sich auf das Menschenbild bezieht, und hier schließt sich auch wieder der Kreis mit der Angst vor der Freiheit und dem Nazi, der auszubrechen drohe.
Denn die logische Konsequenz des Atheismus wäre ja, evolutionäre Erklärungsansätze wirklich messerscharf auch auf den Menschen anzuwenden.
Adorno habe ich erwähnt, der schrieb einige Sachen über die Neger, denen man doch nicht zumuten solle, so wie die Weißen zu sein, weil man ihn ansonsten "freundlich durch einen Maßstab demütigen würde, hinter dem er zurückbleiben muß." 1975 erschien Sociobiology von Edward Wilson, in dem er das -wie ich finde das logische Resultat des Atheismus- versuchte: eine Annäherung von Natur- und Gesellschaftswissenschaften. Dazu beschrieb er das Verhalten verschiedener Tiere, unter denen sich auch eine bestimmte Gattung namens "Homo sapiens" befand. Um die gleiche Zeit: Richard Hernstein und die These, der I.Q. werde zu einem Gutteil vererbt ... heute Wolf Singer, der ebenfalls oft angefeindet wird. ("Willensfreiheit ist eine Illusion")

Es gibt also auch Ängste, den Atheismus konsequent zu Ende zu führen. Dann heißt es: Biologismus usw. Bei den Grünen finden sich sogar viele Politiker, die sich selbst als Gottgläubig ausgeben, und das als Grund angeben, sich gegen die Euthanasie auszusprechen.

Also das wäre zumindest ein Erklärungsansatz: dass der Verlust des Halts in der Religion einerseits zu der Forderung nach größtmöglicher Sicherheit im einzigen Leben führt - andererseits auch andere Ängste mit sich bringt ("Biologismus!"), die ebenfalls durch Sicherheitspolitik reglementiert werden sollen. (Ob etwas Sicherheitspolitik oder Repression ist, ist ja ohnehin meist nur eine Frage der Perspektive.)

Dass das aber nicht unbedingt die Lust am Leben steigert, ist wieder eine andere Frage ... siehe z.B. die Umfrage oben.


Da steckt so viel drin, dass es den Rahmen dieses Strangs sprengen würde. Aber dass wir eigenartigerweise derzeit ein "Christentum ohne Glauben" erleben, indem ein "christliches Menschenbild" propagiert wird, das niemand definieren kann, und in dem ausgerechnet Linke dezidiert katholische Positionen unterstützen, ist schon bemerkenswert. Die Ursache dafür in der Angst vor den Konsequenzen des Glaubensverlustes zu sehen, ist ein interessanter Ansatz, falls ich Dich nicht falsch verstanden habe.

Angesichts der (human-) wissenschaftlichen Entwicklung wird den Linken schon mittelfristig nichts anderes übrig bleiben, als entweder zu resignieren oder ins religiöse Lager überzulaufen. Das Linkstum als "Religion ohne Gott" kann nicht mehr lang dem Ansturm der Wissenschaft standhalten, davon bin ich überzeugt.


P.S.: Auf diesen Gedanken bin ich amüsanterweise gekommen, als ich las, dass sich (ausgerechnet) Andrea Nahles als gläubige Katholikin bezeichnet.


http://www.welt.de/politik/article2723603/Nahles-lobt-die-Kirche-und-kritisiert-den-Koerperkult.html

http://www.kirche-im-swr.de/manuskripte.php?sendung=2&archiv&w=2008-11-23

Ostpreußin
02.05.2009, 10:27
@Klopperhorst
Ist dir dein eigenes Leben so egal?
Die meisten wollen schon lange Leben, am besten ewig.

Wer will denn ewig leben?

Wer das wirklich will, muß schon einen ziemlichen Sprung in der Schüssel haben!

-jmw-
02.05.2009, 11:43
Wer will denn ewig leben?
Also ich hätt nix dagegen, muss ich sagen.

Ich stelle mir das phänomenal spannend vor! :]