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Vollständige Version anzeigen : Von der Seßhaftigkeit



Leila
15.04.2009, 16:20
Keinen Widerspruch erwarte ich auf die Behauptung, daß die meisten historisch nachgewiesenen Völker der Erde auf Wanderschaft waren. Item. Mir kam einst die Frage auf, weshalb die Seßhaften andere abschätzig als Nomaden, Vagabunden, Zigeuner oder anderswie bezeichnen. Der Stammbaum meines Mannes reicht bis ins Jahr 1434 zurück, derjenige seines Schulfreundes sogar bis ins Jahr 1395. Meine Nachforschungen ergaben, daß ihre Urahnen aus Holland über Deutschland in die Schweiz einwanderten. Ein Genealoge und Heraldiker meinte sogar, beider Vorfahren würden ursprünglich aus Schweden stammen.

Worauf ich hinaus will: Die Verachtung der Seßhaften erwähnte ich bereits. Woher sie kommt, das wundert mich. Obschon ich zwei Kinder großzog, möchte ich mich nicht zum Beispiel nehmen, da ich aus Persien stamme und dem Vorwurf, die Tochter eines Ziegenhirten oder Kameltreibers zu sein, keinen Vorschub leisten mag. Ich betrachte die Kinder meines Nachbarn, eines seit Jahrhunderten in Basel Seßhaften. Er stellte ihnen in seinem Garten ein Zelt auf – und die Kinder sind im wahrsten Sinne des Wortes nun „ganz aus dem Häuschen“. Steckt der Wandertrieb in ihnen? Ich sehe nur, daß sie ihr ‚Provisorium‘ über alle Massen schätzen und höre, wie sie es laut plappernd freudevoll nutzen.

Auf den Tourismus könnten wir ja später noch zu sprechen kommen.

Gruß von Leila ;)

Mütterchen
16.04.2009, 09:52
Hmm- ich versuche mal zu antworten...
Als erstes: das Wort Nomade z.B. sehe ich an sich nicht als ein abschätziges Wort, es bezeichnet ganz einfach eine Lebensweise, die es ja gibt.
Es ist ein Wort - eine Erklärung, wertfrei - genau wie Zigeuner eigentlich auch.

Bei Vagabund - naja, das ist ein Wort, dem haftet meiner Meinung nach ein bisschen was zweifelhaftes an.

So, und was ich noch sagen wollte: ich denke, die allermeisten Menschen sind einfach seßhaft. Das ist eine Wesensart des Menschen. Man hat oder sucht sich einen Platz, an dem man leben möchte, an dem man verwurzelt.

Nomaden z.B machen eine Ausnahme, weil die Lebensumstände keinen festen Wohnsitz ermöglichen.

Und was die Wanderungen anderer Völker betrifft: natürlich hat es die gegeben, aber die geschahen/geschehen schubweise ( nicht freiwillig, sondern weil bestimmte Umstände es erforderten). Man sucht einen neuen Ort. Und da bleibt man. Aber schon diese Veränderung erfordert doch ein bestimmtes Maß an Mut. Junge Menschen schaffen das viel leichter als ältere Menschen. Ohne diese Abenteuerlust hätten die Menschen vllt. nicht den ganzen Planeten besiedelt.

jak_22
16.04.2009, 10:05
Vermutlich muss man auseinanderhalten:

a) der natürlich Drang junger Menschen, sobald sie "flügge" sind,
das Elternhaus zu verlassen, und ihren eigenen Weg zu suchen.
Dieser Drang ist bestmöglichst zu unterstützen, wobei immer ein
Türchen im Elternhaus offen bleiben sollte ... Eltern werden verstehen,
was ich meine. ;)

Wenn junge Menschen diesen Drang nicht mehr besitzen ("Hotel Mama"
bis zum 35. Lebensjahr), ist etwas gründlich faul, und muss hinterfragt
werden.

b) "kurzfristige" Wanderbewegungen von Teilen einer Volksgruppe,
so zB das "Auswandern" der Amisch von Europa in die USA, oder türkischer
Gastarbeiter nach Deutschland. Diese Migrationsbewegungen haben
höchst unterschiedliche und vielfältige Motivationen - von rein religiösen
oder politischen, bis hin zu einfachen ökonomischen (oder Mischformen
daraus). Gemeinsam haben sie die lokale und zeitliche Beschränkung;
meist handelt es sich um überschaubare Anzahlen und einen relativ
kurzen historischen Zeitraum.

c) die "echten" Völkerwanderungen, bei denen ganze Ethnien im
Verlauf von Jahrhunderten große Stecken zurücklegen, um sich
woanders komplett neu anzusiedeln.

Auch hier gibt es verschiedene Hintergründe, die im Einzelnen zu
beleuchten sehr interessant sein kann.

Gruß

Jan

SAMURAI
16.04.2009, 10:43
Keinen Widerspruch erwarte ich auf die Behauptung, daß die meisten historisch nachgewiesenen Völker der Erde auf Wanderschaft waren. Item. Mir kam einst die Frage auf, weshalb die Seßhaften andere abschätzig als Nomaden, Vagabunden, Zigeuner oder anderswie bezeichnen. Der Stammbaum meines Mannes reicht bis ins Jahr 1434 zurück, derjenige seines Schulfreundes sogar bis ins Jahr 1395. Meine Nachforschungen ergaben, daß ihre Urahnen aus Holland über Deutschland in die Schweiz einwanderten. Ein Genealoge und Heraldiker meinte sogar, beider Vorfahren würden ursprünglich aus Schweden stammen.

Worauf ich hinaus will: Die Verachtung der Seßhaften erwähnte ich bereits. Woher sie kommt, das wundert mich. Obschon ich zwei Kinder großzog, möchte ich mich nicht zum Beispiel nehmen, da ich aus Persien stamme und dem Vorwurf, die Tochter eines Ziegenhirten oder Kameltreibers zu sein, keinen Vorschub leisten mag. Ich betrachte die Kinder meines Nachbarn, eines seit Jahrhunderten in Basel Seßhaften. Er stellte ihnen in seinem Garten ein Zelt auf – und die Kinder sind im wahrsten Sinne des Wortes nun „ganz aus dem Häuschen“. Steckt der Wandertrieb in ihnen? Ich sehe nur, daß sie ihr ‚Provisorium‘ über alle Massen schätzen und höre, wie sie es laut plappernd freudevoll nutzen.

Auf den Tourismus könnten wir ja später noch zu sprechen kommen.

Gruß von Leila ;)

Mal ganz im Ernst: Jeden Sommer treibt es Millionen aus der Seßhaftigkeit in die Wohnwägen und Wohnmobile.

Leila
16.04.2009, 12:31
Viele Menschen würden, wenn ihnen aus Lotterie ein Millionengewinn zufiele, sich unverzüglich auf eine Weltreise begeben. In den meisten Büros und Arbeitsstätten hängen Postkarten und Photographien an den Wänden, die Motive aus fernen Ländern und Städten zeigen und die des Betrachters Reiselust erwecken. Der Drang, zu reisen, muß tief im Herzen der Menschen wohnen.

Biskra
16.04.2009, 13:03
Viele Menschen würden, wenn ihnen aus Lotterie ein Millionengewinn zufiele, sich unverzüglich auf eine Weltreise begeben. In den meisten Büros und Arbeitsstätten hängen Postkarten und Photographien an den Wänden, die Motive aus fernen Ländern und Städten zeigen und die des Betrachters Reiselust erwecken. Der Drang, zu reisen, muß tief im Herzen der Menschen wohnen.

Dieser Drang nennt sich Neugier und der wohnt nicht nur im Menschen. Zwischen dem "Erkunder" und dem Nomaden gibt es aber schon signifikante Unterschiede.

Ajax
16.04.2009, 14:33
Viele Menschen würden, wenn ihnen aus Lotterie ein Millionengewinn zufiele, sich unverzüglich auf eine Weltreise begeben. In den meisten Büros und Arbeitsstätten hängen Postkarten und Photographien an den Wänden, die Motive aus fernen Ländern und Städten zeigen und die des Betrachters Reiselust erwecken. Der Drang, zu reisen, muß tief im Herzen der Menschen wohnen.

Wer den halben Tag in einem Büro inmitten von Hochhäusern und Plattenbauten hockt, will natürlich einmal aus dieser Öde hinaus und etwas mehr von der Welt sehen als Beton und Asphalt.

Mütterchen
16.04.2009, 14:37
Wer den halben Tag in einem Büro inmitten von Hochhäusern und Plattenbauten hockt, will natürlich einmal aus dieser Öde hinaus und etwas mehr von der Welt sehen als Beton und Asphalt.

Die Frage ist auch: wieweit wird die Reiselust überhaupt erst geweckt? Durch Werbesprüche, verlockende Fotografien und die Suggestion, dass eine Urlaubsreise einfach etwas ist, was selbstverständlich alle tun?

Ajax
16.04.2009, 14:42
Die Frage ist auch: wieweit wird die Reiselust überhaupt erst geweckt? Durch Werbesprüche, verlockende Fotografien und die Suggestion, dass eine Urlaubsreise einfach etwas ist, was selbstverständlich alle tun?

Ich glaube nicht, dass wir von den Medien manipuliert werden. Der natürliche Drang ist da. Schon die Romantiker priesen ja das Wandern und Reisen in der freien Natur. Es ist eine Gegenreaktion auf unsere rationalisierte und zunehmend kälter werdende Industriegesellschaft. Der Mensch sehnt sich nach dem Natürlichen, nach seinen Ursprüngen in der Natur. Diese Sehsucht ist tief in uns verankert und je stärker wir uns mit Beton und Asphalt umgeben, desto größer wird diese Sehnsucht.

Ausonius
16.04.2009, 14:45
Die Trennung zwischen Nomaden und Sesshaften ist möglicherweise die erste große soziale Schichtung in der abendländischen Geschichte gewesen. Es gab immer einen grundsätzlichen Konflikt zwischen ihnen; die einen nahmen sich Landstücke aus der Natur und machten sie zu ihren Grundstücken, die anderen ernährten ihre Herden in Notzeiten mit allem, was sie in der Natur oder eben auch bei den sesshaften "Nachbarn" habhaft werden konnten. Dieser Konflikt bestimmte auch ganz maßgeblich die Völkerwanderungen des Frühmittelalters. Er löste sich erst dann auf, als die Nomaden aufgrund ihrer technischen Benachteiligung zunehmend ein Schattendasein führten. Allerdings gibt es einige weltgeschichtlich bedeutsame Regionen wie den vorderen Orient, wo es bis heute bedeutende Nomadengruppen gibt.

Leila
17.04.2009, 11:05
[…] Als erstes: das Wort Nomade z.B. sehe ich an sich nicht als ein abschätziges Wort, es bezeichnet ganz einfach eine Lebensweise, die es ja gibt.
Es ist ein Wort - eine Erklärung, wertfrei - genau wie Zigeuner eigentlich auch.

Bei Vagabund - naja, das ist ein Wort, dem haftet meiner Meinung nach ein bisschen was zweifelhaftes an.

Es ist nicht so, daß ich die Bezeichnungen Nomade oder Zigeuner wertend verwende, weiß aber, daß andere dies abwertend tun. Hausierer, Vecker, Landstreicher, Streuner, Vagabund (Vagant), Tramper und noch andere Bezeichnungen las und hörte ich in abwertendem Sinne. Autostopper wurden früher oft als Schmarotzer bezeichnet: „Dieser faule, dreckige Hund soll arbeiten gehen, damit er sich die Fahrt mit der Eisenbahn leisten kann!“ – Interessant in diesem Zusammenhang finde ich, daß ich die Bezeichnungen Weltreisender bzw. Globetrotter niemals in verächtlichem Ton ausgesprochen hörte.


Dieser Drang nennt sich Neugier und der wohnt nicht nur im Menschen. Zwischen dem "Erkunder" und dem Nomaden gibt es aber schon signifikante Unterschiede.

Das ist mir schon klar.


Wer den halben Tag in einem Büro inmitten von Hochhäusern und Plattenbauten hockt, will natürlich einmal aus dieser Öde hinaus und etwas mehr von der Welt sehen als Beton und Asphalt.

Dazu möchte ich etwas entgegnen. Aus meiner Zeit in England weiß ich, daß viele feudale Herrensitze zur Zeit der industriellen Revolution errichtet wurden: von sagenhaft reich gewordenen Fabrikherren. Andere, durch den Kolonialwarenhandel (sprich: durch die Ausbeutung der Kolonien) zu Reichtum gelangte Herren ließen ebenfalls Landhäuser von unvorstellbar großen Dimensionen errichten. Wohnten sie in ihren Prachtbauten? Nein! Viel lieber reisten sie in der Weltgeschichte umher, besuchten die Länder auf dem Festland und eroberten die Alpen als die ersten Touristen. Ich erspare mir hier die Arbeit, eine Liste ihrer bevorzugten Reiseziele zu erstellen.

Gruß von Leila

henriof9
17.04.2009, 11:21
Viele Menschen würden, wenn ihnen aus Lotterie ein Millionengewinn zufiele, sich unverzüglich auf eine Weltreise begeben. In den meisten Büros und Arbeitsstätten hängen Postkarten und Photographien an den Wänden, die Motive aus fernen Ländern und Städten zeigen und die des Betrachters Reiselust erwecken. Der Drang, zu reisen, muß tief im Herzen der Menschen wohnen.

Wenn man davon ausgeht, daß die Seßhaftigkeit irgendwann im Laufe der Zeit enstand, weil es die Gegebenheiten erforderten ist dies auch nicht weiter verwunderlich.
Die Gegebenheiten entstanden z.B. durch die Landwirtschaft, einen Acker bestellen kann man nicht, wenn man nach 3 Tagen weiterzieht.
Heute ist es die Arbeit, nichts anderes als seinerzeit die Feststellung, daß man nur mit dieser " überleben " kann.
Wenn dieser " Zwang " nicht wäre, würden wir weiter wie die Nomaden durch die Weltgeschichte reisen.

Leila
17.04.2009, 11:38
Wenn man davon ausgeht, daß die Seßhaftigkeit irgendwann im Laufe der Zeit enstand, weil es die Gegebenheiten erforderten ist dies auch nicht weiter verwunderlich.
Die Gegebenheiten entstanden z.B. durch die Landwirtschaft, einen Acker bestellen kann man nicht, wenn man nach 3 Tagen weiterzieht.
Heute ist es die Arbeit, nichts anderes als seinerzeit die Feststellung, daß man nur mit dieser " überleben " kann.
Wenn dieser " Zwang " nicht wäre, würden wir weiter wie die Nomaden durch die Weltgeschichte reisen.

Lieber Henri!

Darum geht es mir nicht. Die Tatsache, daß die Nomaden dann weiterziehen, wenn ihr Vieh alles Gras aufgefressen hat, ist mir bekannt. Ich hätte besser eine Umfrage erstellen sollen. Vergessen wir diesen blöden Strang!

Gruß von Leila