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Vollständige Version anzeigen : Die "Ewige Gerechtigkeit" bei Schopenhauer



Klopperhorst
27.02.2009, 09:34
Schopenhauer: Griesgrämer und Miesepeter für fortschrittsgläubige Lebemenschen. So denkt man jedenfalls.

Aber nun möchte ich der Forengemeinschaft die Idee der Ewigen Gerechtigkeit bei Schopenhauer vorstellen. Wenigen ist sie bekannt, aber für mich ist sie doch der Hauptkern seiner Lehre.

Ganz anders aber ist es mit der EWIGEN GERECHTIGKEIT, welche schon früher erwähnt wurde, und welche nicht den Staat, sondern die Welt beherrscht, nicht von menschlichen Einrichtungen anhängig, nicht dem Zufall und der Täuschung unterworfen, nicht unsicher, schwankend und irrend, sondern unfehlbar, fest und sicher ist.

Das Individalitätsprinzip der Natur bedeutet, daß sich jeder Mensch nur als einzelner Mensch sieht, als Individuum. Man begreift sich selbst als Kern der Welt und alles andere gilt als äusseres Objekt. Man spürt somit nicht unmittelbar die Freuden und Leiden anderer. Wenn man z.B. einen Schwerkranken betrachtet, dann meint man zu glauben, daß einen diese Krankheit nicht selbst betrifft, ebenso bei einem scheinbar Glücklichen, dessen Glück als unabhängig von der eigenen Lebenssituation erscheint. Man fühlt sich unglücklich, auch wenn um einen herum alle glücklich sind und umgekehrt.

Da erscheint ihm die Wollust als Eines, und die Quaal als ein ganz anderes, dieser Mensch als Peiniger und Mörder, jener als Dulder und Opfer, das Böse als Eines und das Uebel als ein Anderes.


Aber das Individualitätsprinzip ist eine Täuschung. Am einfachsten kann man sich das so verdeutlichen. Wenn Grausamkeiten und Glück möglich sind, könnten sie auch mich betreffen. Andere, ausser mir, sind zwar nicht ICH - aber ich könnte durchaus sie sein und sie ICH.

Dem wahren Wesen der Dinge nach hat Jeder alle Leiden der Welt als die seinigen, ja alle nur möglichen als für ihn wirklich zu betrachten ... Für die das [Individualitätsprinzip] durchschauende Erkenntnis ist ein glückliches Leben in der Zeit, vom Zufall geschenkt, oder ihm durch Klugheit abgewonnen, mitten unter den Leiden unzähliger Anderen, - doch nur der Traum eines Bettlers, in welchem er ein König ist, aber aus dem er erwachen muß, um zu erfahren, daß nur eine flüchtige Täuschung ihn von dem Leiden seines Lebens getrennt hat.


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Kreuzbube
27.02.2009, 10:06
Das ganze Textgestolper läßt sich in einem Zentralbegriff komprimieren: Sozial-Intelligenz. Wenn in einer Gesellschaft alle Übel(weitgehend) abgeschafft sind, muß ich selbst nicht mehr fürchten, davon betroffen zu werden. Dazu mußt Du aber nicht ständig antiquierte Philosophen bemühen. Das ist eine ganz einfache, zeitlose Überlegung; so einfach, daß der Pöbel sie nie begreifen wird - der freut sich nur, wenn es anderen dreckig geht bzw. ihm(noch) nicht!:)

Bärwolf
27.02.2009, 10:11
Schopenhauer: Griesgrämer und Miesepeter für fortschrittsgläubige Lebemenschen. So denkt man jedenfalls.

Aber nun möchte ich der Forengemeinschaft die Idee der Ewigen Gerechtigkeit bei Schopenhauer vorstellen. Wenigen ist sie bekannt, aber für mich ist sie doch der Hauptkern seiner Lehre.

Ganz anders aber ist es mit der EWIGEN GERECHTIGKEIT, welche schon früher erwähnt wurde, und welche nicht den Staat, sondern die Welt beherrscht, nicht von menschlichen Einrichtungen anhängig, nicht dem Zufall und der Täuschung unterworfen, nicht unsicher, schwankend und irrend, sondern unfehlbar, fest und sicher ist.

Das Individalitätsprinzip der Natur bedeutet, daß sich jeder Mensch nur als einzelner Mensch sieht, als Individuum. Man begreift sich selbst als Kern der Welt und alles andere gilt als äusseres Objekt. Man spürt somit nicht unmittelbar die Freuden und Leiden anderer. Wenn man z.B. einen Schwerkranken betrachtet, dann meint man zu glauben, daß einen diese Krankheit nicht selbst betrifft, ebenso bei einem scheinbar Glücklichen, dessen Glück als unabhängig von der eigenen Lebenssituation erscheint. Man fühlt sich unglücklich, auch wenn um einen herum alle glücklich sind und umgekehrt.

Da erscheint ihm die Wollust als Eines, und die Quaal als ein ganz anderes, dieser Mensch als Peiniger und Mörder, jener als Dulder und Opfer, das Böse als Eines und das Uebel als ein Anderes.


Aber das Individualitätsprinzip ist eine Täuschung. Am einfachsten kann man sich das so verdeutlichen. Wenn Grausamkeiten und Glück möglich sind, könnten sie auch mich betreffen. Andere, ausser mir, sind zwar nicht ICH - aber ich könnte durchaus sie sein und sie ICH.

Dem wahren Wesen der Dinge nach hat Jeder alle Leiden der Welt als die seinigen, ja alle nur möglichen als für ihn wirklich zu betrachten ... Für die das [Individualitätsprinzip] durchschauende Erkenntnis ist ein glückliches Leben in der Zeit, vom Zufall geschenkt, oder ihm durch Klugheit abgewonnen, mitten unter den Leiden unzähliger Anderen, - doch nur der Traum eines Bettlers, in welchem er ein König ist, aber aus dem er erwachen muß, um zu erfahren, daß nur eine flüchtige Täuschung ihn von dem Leiden seines Lebens getrennt hat.


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Ein sehr bedenkenswerter und kluger lebensphilosohischer Text.
Ich mag den alten Griesgram.;)

Klopperhorst
28.02.2009, 09:37
Das ganze Textgestolper läßt sich in einem Zentralbegriff komprimieren: Sozial-Intelligenz. ...

Sozialintelligenz dient aber letztendlich dem Egoismus. Unternehmen wollen sie, weil sie so die Motivation der Mitarbeiter und ihren Gewinn steigern. Niemand ist nett und kooperativ zum Selbstzweck.

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marc
28.02.2009, 09:47
Der zentrale Punkt in Schopenhauers Ethik ist für mich das Mitleid.


Das Mitleid hebt die Mauer zwischen du und ich auf.

PAZIFIX
28.02.2009, 10:13
Ein sehr bedenkenswerter und kluger lebensphilosohischer Text.
Ich mag den alten Griesgram.;)

Aber nur in kleinen Dosierungen, sonst wird man einfach zu sehr herniedergerissen:D

Klopperhorst
28.02.2009, 11:42
Aber nur in kleinen Dosierungen, sonst wird man einfach zu sehr herniedergerissen:D

Niedergerissen kann man ja nicht werden, wenn einem die Augen geöffnet werden. Ich würde es als Befreiung bezeichnen. Wenn man jedoch vollkommen von einer optimistischen und hedonistischen Lebensphilosophie bestimmt ist, ist das Erwachen umso schmerzvoller. Daneben glaube ich, daß niemand ein Hedonist sein kann, der nicht völlig stumpfsinnig durchs Leben geht.



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Kreuzbube
28.02.2009, 11:47
Sozialintelligenz dient aber letztendlich dem Egoismus. Unternehmen wollen sie, weil sie so die Motivation der Mitarbeiter und ihren Gewinn steigern. Niemand ist nett und kooperativ zum Selbstzweck.

Ja wenn jeder nur darauf wartet, daß die Anderen mal damit anfangen, wird es nie was!:rolleyes:

Gloorcy
29.01.2011, 14:29
Das Individualitätsprinzip der Natur basiert auf dem Partnerschaftschaftsprinzip und resultiert nach meinen Erkenntnissen einzig aus der Wahrnehmung von Energie und einem möglichst "gerechten" Management: MAL DER EINE, MAL DER ANDERE. RECHT und UNRECHT, AN und AUS, 0 und 1 ...

Verständigungschwierigkeiten komlexerer Erscheingungsformen mit entsprechend komplizierteren Kommunikationssystemen bedingen, daß Indviduen vorrangig ihre Bedürfnisse und ihre Aktivitäten intensiver wahrnehmen als die anderer, die sie brauchen, um Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit herzustellen.

Allein Wahrnehmungsstörungen beim "zufriedenstellenden Ausgleich partizipierender Interessen" sorgen für all den Mist, den wir in einer so erdrückenden Vielfalt erleben, daß uns die "Strukturen menschlich-unmenschlichen Handels" nicht bewußt werden.

Spiegelneuronen mildern übrigens unseren damit oft zu intensiv gelebten Egoismus.

Und weil die meisten von diesen wesentlichen Dingen nicht die geringste Ahnung haben, kann auch kaum jemand Gerechtigkeit definieren. Hinzu kommt, daß die meisten Wahrnehmung mit Wahrheit verwechseln.

Wunder über Wunder, Rätsel über Rätsel entstehen daraus. Und zu viel Angst und Schrecken in der Menschenwelt. Ich habe Hoffnung, daß sich das bald ändert, denn wir kommen heute so schnell an interessantes Wissen, wie nie zuvor. Damit lassen sich auch Wahrnehmungsfehler irgendwann eindämmen.

Kreuzbube
29.01.2011, 20:05
Ich habe Schopenhauer`s "Aphorismen zur Lebensweisheit" gelesen. Absolut zutreffend und genial, kann ich nur sagen!

Stechlin
29.01.2011, 20:34
Sozialintelligenz dient aber letztendlich dem Egoismus. Unternehmen wollen sie, weil sie so die Motivation der Mitarbeiter und ihren Gewinn steigern. Niemand ist nett und kooperativ zum Selbstzweck.

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Darauf kommt es aber doch gar nicht an. Hier muss doch die Frage gestellt werden, ab wann solch ein Verhalten moralisch ist? Und das ist es nur, wenn man eben nicht ob des Selbstzwecks handelt.

Klopperhorst
29.01.2011, 21:11
Darauf kommt es aber doch gar nicht an. Hier muss doch die Frage gestellt werden, ab wann solch ein Verhalten moralisch ist? Und das ist es nur, wenn man eben nicht ob des Selbstzwecks handelt.

Wobei ich abstreite, dass es selbstloses Handeln gibt. Selbst die Aufopferung des eigenen Lebens für andere dient doch dem Weiterleben der Gemeinschaft und damit auch von einem selbst, wenn man es genetisch betrachtet.

Aus diesem Grunde mögen Onkels ihre Nichten, Großväter ihre Enkel usw. Man opfert sich scheinbar moralisch nur für den eigenen Genpool auf.

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kotzfisch
29.01.2011, 22:20
Schopenhauer hebt ab zum großen Blabla!

Stechlin
30.01.2011, 00:57
Wobei ich abstreite, dass es selbstloses Handeln gibt. Selbst die Aufopferung des eigenen Lebens für andere dient doch dem Weiterleben der Gemeinschaft und damit auch von einem selbst, wenn man es genetisch betrachtet.

Aus diesem Grunde mögen Onkels ihre Nichten, Großväter ihre Enkel usw. Man opfert sich scheinbar moralisch nur für den eigenen Genpool auf.

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Handeln aus Vernunft ist selbstloses Handeln.

twoxego
30.01.2011, 14:41
dies ist aus zwei gründen unrichtig.

erstens sei einfach auf das helfersyndrom verwiesen.

zweitens täuschen sich menschen nicht selten, in hinblick auf die vernunft im allgemeinen und auf ihre eigene im besonderen.

ansonsten stimmt noch immer, dass die zivilisation von der barbarei allenfalls zwei mahlzeiten trennen.

Stechlin
30.01.2011, 16:01
dies ist aus zwei gründen unrichtig.

erstens sei einfach auf das helfersyndrom verwiesen.

zweitens täuschen sich menschen nicht selten, in hinblick auf die vernunft im allgemeinen und auf ihre eigene im besonderen.

ansonsten stimmt noch immer, dass die zivilisation von der barbarei allenfalls zwei mahlzeiten trennen.

Ich habe ja nicht behauptet, dass wir das täten. Doch wenn man aus purer Vernunft handelt, dann spielen die Gefühle ja keine Rolle, bzw. man ließe sich von selbigen nicht leiten. Das Helfersyndrom entspringt ja dem Wunsch, sich nach vollbrachter Tat gut zu fühlen.

Humer
30.01.2011, 16:58
Wenn mich jemand unter Einsatz seines Lebens vor dem Ertrinken rettet, kann es sein, er macht es weil:
1. er sich ob seiner Heldentat gut fühlen möchte
2. er sich darauf freut in der Zeitung erwähnt zu werden
3. ich ihm noch Geld schulde
4. er einem Impuls folgt und dabei gar nichts denkt.

Eigentlich kann mir in dieser Situation das Motiv egal sein, weil nur das Ergebnis zählt.
Ich halte übrigens 4. für die wahrscheinlichste Variante.

Stechlin
30.01.2011, 17:17
Wenn mich jemand unter Einsatz seines Lebens vor dem Ertrinken rettet, kann es sein, er macht es weil:
1. er sich ob seiner Heldentat Tat gut fühlen möchte
2. er sich darauf freut in der Zeitung erwähnt zu werden
3. ich ihm noch Geld schulde
4. er einem Impuls folgt und dabei gar nichts denkt.

Eigentlich kann mir in dieser Situation das Motiv egal sein, weil nur das Ergebnis zählt.
Ich halte übrigens 4. für die wahrscheinlichste Variante.

Gestatte mir eine Provokation: Nicht das Ergebnis zählt, sondern allein(!) der gute Wille.

Gloorcy
31.01.2011, 08:28
Wenn mich jemand unter Einsatz seines Lebens vor dem Ertrinken rettet, kann es sein, er macht es weil:
1. er sich ob seiner Heldentat Tat gut fühlen möchte
2. er sich darauf freut in der Zeitung erwähnt zu werden
3. ich ihm noch Geld schulde
4. er einem Impuls folgt und dabei gar nichts denkt.

Eigentlich kann mir in dieser Situation das Motiv egal sein, weil nur das Ergebnis zählt.
Ich halte übrigens 4. für die wahrscheinlichste Variante.

Auch unbewußte Ziele sind existent. Die Psychologie füllt ganze Bibilotheken mit dem Kampf zwischen Bewußtem und Unbewußtem. So könnte auch sein, daß der Lebensretter den Rest seines Lebens keine Schuldgefühle haben will und nicht gern mit dem Gefühl rumlaufen möchte, er könnte in einer lebesbedrohlichen Situation verrecken, weil sich andere aus dem Staub machen ...

Und weil wir uns vieles nicht bewußt machen möchten, auch vieles, was uns mit weniger Erwartungsdruck dazu bringen müßte, uns anderen gegenüber gerechter zu verhalten, kommen dann auch solche Sprüche zustande ...


Gestatte mir eine Provokation: Nicht das Ergebnis zählt, sondern allein(!) der gute Wille.

Humer
31.01.2011, 15:40
Gestatte mir eine Provokation: Nicht das Ergebnis zählt, sondern allein(!) der gute Wille.

Einverstanden, aber nur wenn daraus auch sinnvolles Handeln entsteht. Es würde mir wirklich nicht reichen, wenn mein Retter nur für mich betet.