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Vollständige Version anzeigen : "Bourgeois oder Bildungsbürger?" - ist die bürgerliche Gesellschaft Fluch oder SEgen?



Beverly
19.02.2009, 11:13
Hier geht es darum, wie ihr die bürgerliche Gesellschaft einschätzt, in der wir alle leben. Zum historischen und theoretischem Hintergrund der in der Neuzeit enstandenen "Bürgergesellschaft" hier zwei Links:

http://lexikon.meyers.de/wissen/b%C3%BCrgerliche+Gesellschaft
http://de.wikipedia.org/wiki/B%C3%BCrgertum

Als weitere Diskussionsgrundlage gibt es die Wirklichkeit und das Leben selbst :)

Sauerländer
19.02.2009, 11:20
Man könnte durchaus die Frage stellen, ob wir tatsächlich noch in einer bürgerlichen Gesellschaft leben. Mir jedenfalls kommen da gewisse Zweifel.

Beverly
19.02.2009, 11:43
Ich sehe in dem, was in den letzten halben Jahrtausend in bürgerlichen Gesellschaften und von Anhängern und Verfechtern "bürgerlicher" Ideale getan wurde, auch viel Gutes und Nachvollziehbares. Das Treiben von Adel und Klerus legten es nur zu oft nahe, sich gegen die zur Wehr zu setzen. Eine Welt, deren Infrastruktur bei Straßen und Kanalisation schlechter war als im Römisches Reich, legte es auch nahe, mehr Gewicht auf Wissenschaft und Technik zu legen. Systeme, die wie im China der Ming-Dynastie durch extreme Zentralisierung der politischen und wirtschaftlichen Macht das Land lähmten und das Potenzial seiner Menschen erstickten, legten es auch nahe, es mit "dezentralen" Formen politischer und wirtschaftlicher Macht zu versuchen. Weil die allemal flexibler sind. Systeme, in denen der Einzelne der schrankenlosen Willkür der Herrschenden ausgeliefert waren, legten es auch nahe, jedem Menschen unveräußliche Rechte zu geben. Ein Diskurs, wo immer nur alles aus den gleichen Büchern - Bibel oder Koran - abgeleitet werden durfte, legte es auch nahe, es wieder mit dem freien Denken zu versuchen.
Dass Menschen, die sich unter extremen Entbehrungen in Nordamerika ein neues Leben aufgebaut hatten, irgendwann keine Lust mehr auf Orders aus London hatten, ist auch verständlich. Was geht den "Amerikaner" schließlich der Zoff zwischen Großbritannien und Frankreich an? Der wurde auch in Nordamerika ausgefochten und soll die Unzufriedenheit in den Kolonien geschürt haben.
Dass anderen Menschen irgendwann die Schnauze von ihrem König, seiner Königin und den Hofschranzen voll hatten, die ein ganzes Land unterjochten, um in Versailles Party, Party, Party zu machen - wen wundert's. Schließlich sind Parties nur dann gut und geil, wenn man sich auch selbst da amüsieren darf. Ist man nicht eingeladen - naja :rolleyes: Soll man aber auch noch die Zeche für Parties vom Allerfeinsten zahlen, zu denen man keinen Zutritt hat, ist der Umsturz nicht mehr weit.

Soweit die Pro's für die bürgerliche Gesellschaft.

Da gibt es eine Menge Contras, der mich am Preis-Leistungsverhältnis zweifeln lässt.

Weil sich in allen bürgerlichen Projekten immer wieder die Schurken gegen die Idealisten durchgesetzt haben.
Nur zu oft agieren Menschen, die sich als Teil der bürgerlichen Gesellschaft begreifen, in sie aufgenommen werden oder in ihr vorankommen wollen, mit einer Hinterlist und einem Zynismus, der mich an der Menschheit verzweifeln lässt. "Bürgerlich" heißt:

1. für die bürgerliche Klasse lügen und betrügen, morden und morden lassen, Menschen ins Unglück stürzen, alles andere vernichten, wenn es dem Wohl der eigenen Klasse dient
2. innerhalb der bürgerlichen Klasse als Einzelkämpfer oder Teil einer Kamarilla so agieren wie als Teil des Bürgertums gegen den Rest der Welt

Nach 1918 halfen auch Juden in den Freikorps, die Aufstände der Linken niederzuschlagen. Sie sahen sich halt als nationale Deutsche und auch Teil des Bürgertums. So gesehen handelten sie nach Regel 1., übersahen aber Regel 2. Dieser Regel der Gnadenlosigkeit und Menschenverachtung auch innerhalb der eigenen Klasse führte dann dazu, dass Juden im Zeichen des Antisemitismus Opfer eine beispiellosen Verleumdungskampagne wurden. Weil ihnen ihre Rivalem im Bürgertum den Erfolg neideten. 500 000 entrechtete und enteignete Juden bedeuteten für das Bürgerpack eine Vielzahl an Positionen und Unternehmen, die sie unter sich verteilen konnten und viele rausgemobbte lästige Konkurrenten.

Weitere Contras:

Die Bürgerlichen hatten nur zu oft nichts Besseres zu tun, um selbst in die gerade frei gewordenen Positionen von Adel und Klleruns einzurücken. Da, wo der Umsturz nicht zustande kam, hatten sich die Bürgerlichen nur zu oft mit Adel und Klerus liierten. Das Projekt "bürgerliche Gesellschaft" hat für die Menschen im Großen und Ganzen nur folgende Botschaft:

Wir feiern eine Party und ihr seid nicht dabei!

Beverly
19.02.2009, 11:49
Man könnte durchaus die Frage stellen, ob wir tatsächlich noch in einer bürgerlichen Gesellschaft leben. Mir jedenfalls kommen da gewisse Zweifel.

Das hängt davon ab, was man unter "bürgerlicher Gesellschaft" versteht.

Ich meine, ihre schlechten Seiten - Hinterlist, gnadenloser Konkurrenzkampf, abgrundtiefer Zynismus - aus der Erinnerung schon bis in die 1970er Jahre zurück verfolgen zu können. Damals war es aber noch ausgewogener, es gab nicht nur den Bourgeois, sondern auch den Bildungsbürger und Bestrebungen, allen Schichten zumindest eine kleinbürgerliche Existenz zu ermöglichen.

Heute - naja. Wenn ich mir die "Bürgergesellschaft" in den letzten 200 Jahren so ansehen, ist der Zustand 2006 vielleicht für sie sogar typischer als der 1970.

Haspelbein
19.02.2009, 13:20
[...]

1. für die bürgerliche Klasse lügen und betrügen, morden und morden lassen, Menschen ins Unglück stürzen, alles andere vernichten, wenn es dem Wohl der eigenen Klasse dient
2. innerhalb der bürgerlichen Klasse als Einzelkämpfer oder Teil einer Kamarilla so agieren wie als Teil des Bürgertums gegen den Rest der Welt
[...]

Kann man das nicht fuer so gut wie alle bisher "real praktisierten" herrschenden Klassen verschiedener Gesellschaftsformen behaupten?

Beverly
19.02.2009, 14:11
Kann man das nicht fuer so gut wie alle bisher "real praktisierten" herrschenden Klassen verschiedener Gesellschaftsformen behaupten?

Damit bist du bei der gleichen Argumentationsstruktur wie die Nazis, die auch immer "die anderen auch" schreien, wenn man ihnen die Unmenschlichkeit und die Verbrechen Nazi-Deutschlands vorwirft.

Falls dir der Nazi-Vergleich nicht passt, hätte ich noch die Bolschewiken und andere autoritäre Sozialisten im Angebot :) Die können ihre Repression und ihre Unmenschlichkeit auch damit rechtfertigen, dass zuvor die Bürgerlichen ... :rolleyes:

Wobei das hier wie da witzlos ist. Für die Beurteilung von Verbrechen und Unmenschlichkeit ist es irrelevant, wie häufig oder selten es ist.

Aber du hast sogar recht damit, dass eine "herrschende Klasse" aufgrund ihres das Denken vergiftenden Klassencharakters Verbrechen an dem von ihr unterjochten Gemeinwesen begehen wird. Weil das für sie in erster Linie Beute ist. Daraus ziehe ich aber den Schluss, dass man Klassenstrukturen verhindern muss, selbst wenn es UNterschieder oder sogar Hierarchien gibt.

Sathington Willoughby
19.02.2009, 14:28
Einiges mag spießig sein an einer bürgerlichen Gesellschaft, sie ist aber die beste und freieste, die wir je hatten. Sie ist so ziemlich die einzige Gesellschaftsform, die Kritik gestattet, was heutzutage leider wie ein Krebsgeschwür wuchert und die Gesellschaft zu zerstören droht.
Nur in einer bürgerlichen Gesellschaft konnte ein erheblicher Fortschritt ermöglicht werden, nur in ihr KANN man sich zu einem Bildungsbürger, zu einem besseren Menschen, der nicht nur an fressen, saufen und *****denkt, heranreifen, nur in ihr kann der MEnsch frei leben, ohne Adel o.ä. über sich.
Was sind überhaupt die Alternativen?

Leila
19.02.2009, 14:50
Die Meinungsfreiheit
Die öffentlichen Bibliotheken
Die Niederlassungsfreiheit
Die Freiheit zu Reisen

Diese Dinge nenne ich nur, die zugunsten der bürgerlichen Gesellschaft sprechen.

Haspelbein
19.02.2009, 14:56
Damit bist du bei der gleichen Argumentationsstruktur wie die Nazis, die auch immer "die anderen auch" schreien, wenn man ihnen die Unmenschlichkeit und die Verbrechen Nazi-Deutschlands vorwirft.[...]

Ganz und gar nicht. Du willst hier etwas auflisten, was spezifisch fuer die Bourgeoisie sein sollte. Ich glaube, dass dies keinesfalls so ist, da die bisherigen "Alternativen" aehnliche Strukturen in der herrschenden Klasse aufwiesen.

Dies ist keinesfalls eine Entschuldigung fuer diese Strukturen. Die Frage ist jedoch durchaus berechtigt, ob sie wirklich typisch fuer die Gesellschaftsform, oder nicht wesentlich allgemeiner sind.

-jmw-
19.02.2009, 15:42
Das Bürgertum ist als Teil der Gesellschaft willkommen und als Staatsdoktrin abzulehnen.

(Mehr gibt's dazu von mir erstmal nicht.)

politisch Verfolgter
19.02.2009, 22:37
Bürgertum ist unabdingbar, weswegen man die Wirtschaft und das Kapital zu sein hat, indem man dazu eben goldene Netzwerke nutzt.
Wer kein Bürger sein will, kann ja den Affen schieben und auf Kapital verzichten.
Ist man damit kein Bürger, hat man in Betrieben nichts verloren.
Der Rechtsraum hat den Nutzen des gesamten Souveräns zu bezwecken, also der Bürger. Damit ist man Subjekt, also Zweck und somit Gegenstand seiner Wertschöpfung. Man steckt das damit generierte Kapital ein, man schöpft es ab.
Bürger benötigen Profit für Villa&Porsche.
Dazu muß die Arbeitsgesetzgebung weg.

Stechlin
19.02.2009, 23:01
Man könnte durchaus die Frage stellen, ob wir tatsächlich noch in einer bürgerlichen Gesellschaft leben. Mir jedenfalls kommen da gewisse Zweifel.

Das wirklich erschreckende ist, dass sich der bürgerliche Mob, im Gegensatz zur Aristokratie, als Totengräber jeglicher kultureller Ästhetik und Identität erwiesen hat.

Sauerländer
19.02.2009, 23:30
Das wirklich erschreckende ist, dass sich der bürgerliche Mob, im Gegensatz zur Aristokratie, als Totengräber jeglicher kultureller Ästhetik und Identität erwiesen hat.
Nicht von Anfang an und nicht in jeder Form. Solange das Ideal des Bürgers selbst noch der Aristokrat bzw die optimierte Vorstellung von ihm war, hatte der bürgerliche Ansatz durchaus das Potential, zumindest in Teilbereichen den eigentlichen Adel, nämlich den der Haltung, fortzuführen.
Erst als sich der Bürger vom Aristokraten emanzipierte, öffnete er das Tor zur Nichtigkeit.
Wie es eben praktisch immer der Fall ist, wenn das Verb "emanzipieren" Anwendung findet.

marc
20.02.2009, 00:02
Man könnte durchaus die Frage stellen, ob wir tatsächlich noch in einer bürgerlichen Gesellschaft leben. Mir jedenfalls kommen da gewisse Zweifel.

Ich selber bin mir eigentlich sehr sicher, dass wir in keiner "bürgerlichen Gesellschaft" mehr leben.

So wie ich das sehe, ist das klassische Bürgertum zum heutigen "Bildungsbürgertum" geworden: also zu Menschen, die zwar nicht mehr die ökonomische Potenz im Sinne Marx' besitzen, sich aber eine kulturelle - sagen wir ruhig: Überlegenheit bewahrt haben. Wenn du heute Musiker in einem Orchester wirst, verdienst du auch nicht mehr als bei McDonalds, hast keine festen Verträge mehr usw.

Andererseits rekrutiert sich die ökonomische Elite zusehends aus einem kulturlosen Pöbel: die Bänker, die in ihren schicken BMWs durch Frankfurt "cruisen" unterscheiden sich von ihrem Habitus ja kaum noch von irgendwelchen Clichee-Türken, der Unterschied ist lediglich, dass sich die einen die geilen Autos leisten können und die anderen nicht.

Sauerländer
20.02.2009, 00:09
Ich selber bin mir eigentlich sehr sicher, dass wir in keiner "bürgerlichen Gesellschaft" mehr leben.

So wie ich das sehe, ist das klassische Bürgertum zum heutigen "Bildungsbürgertum" geworden: also zu Menschen, die zwar nicht mehr die ökonomische Potenz im Sinne Marx' besitzen, sich aber eine kulturelle - sagen wir ruhig: Überlegenheit bewahrt haben. Wenn du heute Musiker in einem Orchester wirst, verdienst du auch nicht mehr als bei McDonalds, hast keine festen Verträge mehr usw.

Andererseits rekrutiert sich die ökonomische Elite zusehends aus einem kulturlosen Pöbel: die Bänker, die in ihren schicken BMWs durch Frankfurt "cruisen" unterscheiden sich von ihrem Habitus ja kaum noch von irgendwelchen Clichee-Türken, der Unterschied ist lediglich, dass sich die einen die geilen Autos leisten können und die anderen nicht.
Unwillkürlich kommt einem Oswald Spenglers Thematisierung des Geldes als des gewaltigen Abstrahierers und Umformers in den Sinn.

Nun könnten wir uns die Frage stellen, in was wir stattdessen leben.
Einfach ein post- vor die bürgerliche Gesellschaft zu setzen, scheint mir ein bischen billig.

marc
20.02.2009, 00:41
Nun könnten wir uns die Frage stellen, in was wir stattdessen leben.
Einfach ein post- vor die bürgerliche Gesellschaft zu setzen, scheint mir ein bischen billig.

:)) :top:
Ja: das ist immer sehr verlockend: Postmoderne, Postsäkularisierung, Postfeminismus, Postmaterialismus, Postmarxismus... es gibt sovieles!
Es gibt sovieles, was wir hinter uns gelassen haben, aber wo sind wir jetzt eigentlich angekommen?

In der "Diktatur des Relativismus" vielleicht, von der Papst Benedikt sprach?
Wenn ich so drüber nachdenke, fällt mir ein, dass Nietzsche sinngemäß meinte, dass die Aufklärer noch von dem Feuer des Christentums genommen hätten, weil sie immerhin an eine Wahrheit glaubten. Aber dieses Feuer der Wahrheit ist ja nun erloschen - stattdessen: ein Relativismus, der sich zusehends diktatorisch abschottet.


Ich glaube nicht, daß Adam Smith und Kant veraltet sind. Luhmann und Rorty haben in gewissen Gebieten Bedeutendes geleistet, gewiß, ich habe nichts gegen sie. Aber ich habe etwas gegen die postmodernen Philosophen, gegen Derrida, Lyotard, Baudrillard und all diese Leute. Deren Bücher haben etwas zutiefst Deprimierendes. Die Idee, daß man nicht mehr darauf vertrauen darf, daß Sprache die Realität zu beschreiben vermag, die Idee, daß alles relativ ist, daß es keine verbindlichen Autoritäten mehr gibt, all das hat etwas Niederschmetterndes. Dem setze ich die pluralistischen Konzeptionen der Aufklärung entgegen.
Ich glaube in der Tat, daß Diderot Derrida vorzuziehen ist.
http://www.kaindlstorfer.at/interviews/postman.html

Auch Robert Spaemann meinte, dass sich der Katholizismus eigentlich mit der Idee der Aufklärung verbinden sollte, statt mit dem vagen Spiritualismus der Gegenwart.
Und im Gegensatz zum christlichen Mathias Claudius und seinem Motto "Es gibt was bessres in der Welt als all ihr Schmerz und Lust." Gilt nun der Satz des von Postman genannten Richard Rorty: "Es gibts nichts wirklicheres als Schmerz und Lust."
(Und dann werden notfalls auch Menschen euthanasiert, weil es wichtiger ist, dass nicht gelitten wird, als das jemand exisitiert.)

Aber vielleicht kann man sagen: Jetzt, wo die kulturellen, nationalen und religiösen Gegenkräfte wegbrechen, offenbart sich erst, dass sich hinter der freundlichen Mimik des Liberalismus eine unglaublich ekelhafte Fratze verbirgt.

Btw:

Der Glaube ans Geld
Die Verwandtschaft zwischen Kapitalismus und Religion haben Soziologen und Philosophen schon lange erkannt. Sie offenbart sich bereits in der Sprache: Bei beiden geht es um den Glauben ("Kredit"), um Schuld und um (Wert-)Schöpfung. Der Soziologe Christoph Deutschmann geht aber noch sehr viel weiter: Der Kapitalismus ist selbst eine Religion, behauptet er.
http://www.handelsblatt.com/technologie/geisteswissenschaften/der-glaube-ans-geld;2149485;0

Beverly
20.02.2009, 10:29
@NITUP, Marc, Sauerländer,

jetzt muss ich doch wieder den französischen "Bürgerkönig" (!) Louis Philippe (regierte von 1830 bis 1848) zitieren. Seine bis heute überlieferte Parole: "Enrichez vous!" - "Bereichert euch!" Er war auch die erste regierende Birne der Weltgeschichte, so von Honore Daumier karikiert.

Jenes Bild des genusssüchtigen, raffgierigen, intriganten und kulturlosen bürgerlichen Mobs, das ihr erst in der Gegenwart seht, zeichneten kritische Zeitgenossen des "Bürgerkönigs" schon damals. Im "Graf von Monte Cristo", wo einer der Schurken zum Spekulanten geworden ist und von Monte Cristo mit gefälschten Börsennachrichten zur Strecke gebracht wird.
In den Romanen von Balzac wie "Glanz und Elend der Kurtisanen". Das ganze Gelumpe gab es schon damals, also hört endlich auf, immerzu die "gute alte Zeit" herauf zu beschwören.

Bei den "Buddenbrooks" war es auch nicht mehr ganz koscher und die USA zerfleischten sich von 1861-65 letzendlich aus polit-ökonomischen Gründen. Damals mögen die Bürger eine nettere Fassade gehabt haben als das Yuppie-*** von heute, aber hinter Anzug, Zylinder und Stehkragen nagten auch schon die Würmer.

Aus dem Deutschen Reich ist ein Roman überliefert, wo ein Hochstapler aus Ekel vor der bürgerlichen Gesellschaft, in die er sich einschleicht, sein kriminelles Treiben aufgibt.
Und dieser Kommentar von George Grosz zur bürgerlichen Gesellschaft ist zeitlos gültig:

http://clubhausia.fsrvv.de/images/grosz.jpg

Quelle (http://clubhausia.fsrvv.de/images/grosz.jpg)

Was wir bei dem Pack unserer Tage für etwas Neues halten mögen, hat es schon oft gegeben. Wobei ich aber nichts dagegen hätte, wenn wir die letzte Generation Pack mit erleben.

PAZIFIX
20.02.2009, 10:39
Hier geht es darum, wie ihr die bürgerliche Gesellschaft einschätzt, in der wir alle leben. Zum historischen und theoretischem Hintergrund der in der Neuzeit enstandenen "Bürgergesellschaft" hier zwei Links:

http://lexikon.meyers.de/wissen/b%C3%BCrgerliche+Gesellschaft
http://de.wikipedia.org/wiki/B%C3%BCrgertum

Als weitere Diskussionsgrundlage gibt es die Wirklichkeit und das Leben selbst :)

Ich habe zu 2. abgestimmt. Die heutige Gesellschaft ist in der Tat aber keine klassische Bürgerliche mehr, eher ein Irgendwasmischmasch. Den Neureichen fehlt die Bildung und BenimmKultur des alten Bürgertums, ihr Auftreten ist eher eine Mischung aus Gosse und Jachten und Klunkern und teuren Klamotten. Das Kleinbürgertum hat sich in diverse Schichten und Szenen aufgegliedert und dazu gehört wohl auch das klassische Arbeiter-und Angestelltendasein.
Naja und wir Alt-Hippies sind auch teilweise verkleinbürgerlicht, aber nostalgisch die Tradition warend :D

Kreuzbube
20.02.2009, 10:41
Kultur, Ethik und der Drang nach Bildung kommt immer von innen heraus. Entweder man hat diesen Drang und wünscht sich demzufolge auch eine geordnete Umgebung zum wohlfühlen, oder man hat ihn nicht und stört sich somit nicht am geistlosen Chaos um einen herum. So einfach ist das!

Beverly
20.02.2009, 11:06
:)) :top:
Ja: das ist immer sehr verlockend: Postmoderne, Postsäkularisierung, Postfeminismus, Postmaterialismus, Postmarxismus... es gibt sovieles!
Es gibt sovieles, was wir hinter uns gelassen haben, aber wo sind wir jetzt eigentlich angekommen?

Da wo wir schon seit 250 Jahren sind. Wann begreift ihr das endlich X( ?

Nun ja, ich habe auch 30 Jahre gebracht, um mir die Flausen vom linearen Fortschritt und der Epoche der Aufklärung aus dem Kopf zu schlagen.
Ihr habt allerdings Flausen von einer "guten alten Zeit", die ich für ebenso illusorisch halte.

In jener Epoche, die ökonomisch von Adam Smith und Ricardo begründet wurde. Smith Diskurs der allen ordnenden "unsichtbaren Hand" des Marktes begründete den Diskurs der Entfremdung und Anomie, der Existenzangst auch bei Vorhandensein von allem, was die Menschen zum Leben brauchen. Weil der Markt entscheidet und man in ihn weder eingreifen noch seine Entscheidungen in Frage stellen darf.
Ricardo hat seine Theorie der "komparativen Kosten" am Vergleich von England und Portugal dargelegt. Beide Länder können Wein bauen und Tuche herstellen.
Portugal kann sowohl Wein als auch Tuch billiger herstellen als England. Da jedoch wegen der klimatischen Bedingungen der Weinbau in Portugal sehr gut ist und in England nur Essig rauskäme, schlägt Ricardo Folgendes vor:

Portugal soll nur Wein anbauen
obwohl Portugal auch Tuche billiger herstellen kann als England, soll Portugal ganz auf die Produktion von Tuchen verzichten
da in Englang Weinbau nahezu unmöglich ist, soll England allein Tuche herstellen, obwohl es auch das schlechter kann als Portugal

ein Schelm, wer Arges dabei denkt :rolleyes: - denn

1. Portugal wird zur Wein-Monokultur und verliert die mit der Tuchproduktion verbundenen Fertigkeiten
2. Obwohl Englang an sich sowohl klimatisch als auch als Produktionsstandort für Tuche benachteiligt ist, gewinnt es das Monopol für Tuche
3. Das Tuchmonopol geht einher mit "Spin offs", die bei der Tuchproduktion größer sind als dem Weinbau.
4. Das Monopol gepaart mit den Spin Offs lässt Englang aufsteigen und Portugal absteigen. Irgendwann sagen die Briten: Höhö, Wein können wir von überall importieren, wo es warm und trocken ist, aber kein anderes Land hat (im 18. und 19. Jahrhundert) so eine Textilindustrie wie wir.

Ist es da ein Wunder, dass auf solche Meisterökonomen als Antwort kam:
"Entwicklung der Unterentwicklung"

Politisch wurde diese Epoche in Kontinentaleuropa von Napoleon Bonaparte begründet. Dessen Wirken ich für ein worst case szenario halte, wie es erst mit Hitler und Stalin übertroffen wurde.
Weil Napoleon verwaltungstechnisch, organisatorisch und militärisch wie ein Lehrmeister für all die kaputten und korrupten Herrschaften östlich von Rhein wirkte. Von den deutschen Fürsten bis zum Zaren haben die aber blitzschnell aus den Lektionen gelernt, die er ihnen vorzugsweise auf dem Schlachtfeld erteilte. Was aber Systemen, die am besten mit einem Winseln dahingegangen wären, neues und böses Leben einhauchte. Wobei die Bürgerlichen Napoleon heute noch so als großen Erneuerer feiern, weil er so nett war, sich nach St. Helena abschieben zu lassen. Damit begann der Prozess einer immer weiteren Aushöhlung von Staatlichkeit zugunsten der Verschiebung von immer mehr Macht zum Bürgertum. Zuerst schleichend und angesichts des Pomps etwa im Kaiserreich nicht wahrnehmbar, aber im Laufe der Geschichte immer stärker werdend. Heute mögen wir da den Endpunkt einer Entwicklung erleben, deren Ursrünge tief in die Geschichte reichen.

Geistig wurde die Epoche mit Hegel begründet, den alle immer feiern aber keiner versteht. Ich kenne ihn auch nur aus Sekundärliteratur und nehme mir die Freiheit, dafür den Fehler nicht bei mir sondern bei Hegel zu suchen. Weil er nicht zu verstehen ist. OK, er hat das Konzept des sich in der Welt verwirklichenden Absoluten entwickelt und daran ist vieles diskussionswürdig. Aber es war der "Star Maker" von Olaf Stapledon, der mir dieses Konzept nahe gebracht hat.

Und sonst? Es gibt da das böse Wort "Von Hegel zu Hitler" als Buchtitel. Angesichts der zutiefst enttäuschenden Art, wie sich Preußen-Deutschland im 19. und vor allem 20. Jahrhundert entwickelt haben, erlaube ich mir da Enttäuschung auch über einen seiner einflussreichsten Philosophen.
Berufen sich nicht auch Rechte, Liberale und Marxisten gleichermaßen auf Hegel? Nur Konservative sollen mit ihm nicht viel anfangen können. Ich erlaube mir, da die Anarchisten hinzuzufügen, weil die sich der "Hegelei" auch verweigert haben.
Haben nicht die drei ideologischen Richtungen, die sich auf Hegel zurückführen lassen, gleichermaßen viel Leid über die Menschen gebracht? Ist es da ein Wunder, die mal zu ihren Ursprüngen zurück verfolgen?
Weil mit Konzepten wie der "historischen Notwendigkeit" sich jedes Verbrechen und alles Elend schön reden und mit einem geschichtlichen Zweck versehen lässt. Und mit Sätzen wie "Freiheit ist die Einsicht in die Notwendigkeit" sind wir endgültig in der Knechtschaft angekommen.

politisch Verfolgter
20.02.2009, 11:09
Die mentale Verteilung hat schlicht mit der Eink./Verm.-Verteilung übereinstimmen zu können, wobei die Verteilungskurven per high tech und Vernetzungseffizienz erheblich entbiegbar sind.
Dann hat man eine bürgerlich freie marktwirtschaftliche Leistungsgesellschaft dadurch möglichst kaufkräftiger Nachfrager.
Dazu müssen die Arbeitsgesetzgebung und deren "Arbeitnehmer"-Konstrukt weg.
Ab 3 Jahren ist bis Schulabschluß das mentale Profil 3-5mal außerschulisch wiss. zu objektivieren, das sich in einen sog. "mentalen %Rang" zusammenfassen läßt.
Ihm gemäß haben goldene Entwicklungsumgebungen auszufallen, deren Ausbildungseffizienz mit goldenen Netzwerken zu Anbieterprofit umzumünzen ist.
Anbieterprofit ist Nachfragerkaufkraft gebildeter Besitzbürger.
Das ist Vorgabe an jeden Gesetzgeber, hat grundlegender politischer Wille zu werden.
Dabei gehts also um die materiellen Freiheitsgrade individueller Selbstverwirklichung, wozu wir uns derart die Naturgesetze immer dienstbarer zu bekommen haben.

Beverly
20.02.2009, 11:13
Das wirklich erschreckende ist, dass sich der bürgerliche Mob, im Gegensatz zur Aristokratie, als Totengräber jeglicher kultureller Ästhetik und Identität erwiesen hat.

Der "bürgerliche Mob" fungiert auch als Totengräber jedes politischen Projektes. So glaube ich, dass wir ihm das Scheitern und den Untergang des Deutschen Reiches von 1871-1945 zu verdanken haben. Das hat uns allen ungeachtet all unserer Unterschiede nur Leid gebracht. Unseren Elten und Großeltern, die das miterleben mussten. Uns selbst, weil so alle auf ein "Gemeinwesen Deutschland" bezogenen Handlungsoptionen weiter zunichte gemacht wurden. Denn das Nachfolgeprojekt hat aus den Fehlern nicht gelernt und in ihm ist wieder der "bürgerliche Mob" am Werk.

Beverly
20.02.2009, 11:16
Kultur, Ethik und der Drang nach Bildung kommt immer von innen heraus. Entweder man hat diesen Drang und wünscht sich demzufolge auch eine geordnete Umgebung zum wohlfühlen, oder man hat ihn nicht und stört sich somit nicht am geistlosen Chaos um einen herum. So einfach ist das!

bist du selbst für die Ordnung oder für das Chaos?

politisch Verfolgter
20.02.2009, 11:22
Goldene Anbieternetze verankern grundrechtskonforme RechtsraumsOrdnungen, womit Rechtsraumsbarrien immer weiter eingeebnet werden können.
Damit kommen wir zur Welt als ökonomisch und ökologisch intaktes high tech Generationenraumschiff.
Für die materiellen Freiheitsgrade individueller Selbstverwirklichung gibts prinzipiell keine obere Schranke.
Nur zur Seite hin ist sie im selben Grundrecht Aller begrenzt.
Doch genau das hat eben ihre gemeinschaftliche Beförderung zu bewirken, wozu goldene Netzwerke erforderlich sind.
Es geht um die techn.-wiss. Entwicklung für unsere individuellen materiellen Freiheitsgrade privater Selbstverwirklichung. Dazu braucht niemand Anderen den Deppen abzugeben. Die Naturgesetze sind nur immer umfassender umzusetzen, dienstbar zu bekommen.

Kreuzbube
20.02.2009, 11:25
bist du selbst für die Ordnung oder für das Chaos?

Ich bin für die Ordnung; oder besser gesagt für die Berechenbarkeit und Vorhersehbarkeit gesellschaftlicher Strukturen - zum Zwecke bzw. im Interesse des frühzeitigen, konstruktiven Aufbaus eines Lebensentwurfes für junge Menschen. Also einen sicheren Staat mit Zukunft, in dem sie - unabhängig von soz. Herkunft der Eltern - bei eigenem Willen&Leistung Abitur, Studium und Traumberuf realisieren können. In der DDR war dieses Ideal(weitgehend) Wirklichkeit - wenigstens dieses. Daß ich z.B. "nur" einen Beruf ohne Abi erlernt hab, lag nicht am System, sondern einzig an meiner eigenen(damaligen) Planlosigkeit bzw. Unentschlossenheit!

Beverly
20.02.2009, 11:55
Ich bin für die Ordnung; oder besser gesagt für die Berechenbarkeit und Vorhersehbarkeit gesellschaftlicher Strukturen - zum Zwecke bzw. im Interesse des frühzeitigen, konstruktiven Aufbaus eines Lebensentwurfes für junge Menschen. Also einen sicheren Staat mit Zukunft, in dem sie - unabhängig von soz. Herkunft der Eltern - bei eigenem Willen&Leistung Abitur, Studium und Traumberuf realisieren können.

wer wil so ein soziales Umfeld eigentlich nicht?

Kreuzbube
20.02.2009, 12:03
Wer will so ein soziales Umfeld eigentlich nicht?

Der Pöbel; und das ist nun mal die Mehrheit der sog. "Menschen" - 90% plus X. Denn wenn sie dieses Ideal wirklich wollten, hätten sie es längst. Es ist keine Utopie, sondern einfach nur eine gerechte Gesellschaft. Voraussetzung: Gebildete und kultivierte Leute!

Beverly
20.02.2009, 12:33
Der Pöbel; und das ist nun mal die Mehrheit der sog. "Menschen" - 90% plus X. Denn wenn sie dieses Ideal wirklich wollten, hätten sie es längst. Es ist keine Utopie, sondern einfach nur eine gerechte Gesellschaft. Voraussetzung: Gebildete und kultivierte Leute!

Nun ja, es gibt Pöbel, der lebt von Hartz IV und es gibt Pöbel, der hat im Monat mehr als ein Hartz IV-Empfänger im Jahr. Der arme Pöbel mach durch seine Zahl ein Problem sein, der reiche Pöbel ist es durch Macht und Einfluss gepaart mit Gier und Dummheit.

Mich nerven dumme Arme auch manchmal. Aber ich denke, es gäbe sehr viel weniger Dummheit und ARmut, wenn an der Spitze nicht die dummen Reichen wären.

Nachtrag: ich glaube aber auch nicht, dass 90 Prozent das Chaos wollen. Du hast die Sehnsüchter vieler einfacher Menschen ausgedrückt und die sind zusammen noch immer die Mehrheit.

Kreuzbube
20.02.2009, 12:43
Nun ja, es gibt Pöbel, der lebt von Hartz IV und es gibt Pöbel, der hat im Monat mehr als ein Hartz IV-Empfänger im Jahr. Der arme Pöbel mach durch seine Zahl ein Problem sein, der reiche Pöbel ist es durch Macht und Einfluss gepaart mit Gier und Dummheit.

Mich nerven dumme Arme auch manchmal. Aber ich denke, es gäbe sehr viel weniger Dummheit und ARmut, wenn an der Spitze nicht die dummen Reichen wären.

Nachtrag: ich glaube aber auch nicht, dass 90 Prozent das Chaos wollen. Du hast die Sehnsüchter vieler einfacher Menschen ausgedrückt und die sind zusammen noch immer die Mehrheit.

Ich vergaß zu sagen: Mit Pöbel meine ich nicht arm oder reich, sondern einzig und allein geistigen Pöbel; und dann stimmen die 90% plus X wieder. Ich setzte irrtümlich voraus, daß ich auch so verstanden werde. Hoffe, das ist jetzt angekommen!

politisch Verfolgter
20.02.2009, 13:44
Die Eink./Verm.-Verteilung hat schlicht mit der mentalen Verteilung übereinstimmen zu können.
Dazu kann das individuelle mentale Leistungsspektrum früh genug wiss. objektiviert werden, um es adäquat zu entwickeln.
Neurologen erklären, die mentale Befähigung entwickle sich bis zum 11. Lebensjahr durch das gezielte Absterben von Gehirnzellen im Dialog mit der Umwelt, wodurch überhaupt erst neuronale Vernetzungseffizienz entsteht.

Beverly
20.02.2009, 14:18
Ich vergaß zu sagen: Mit Pöbel meine ich nicht arm oder reich, sondern einzig und allein geistigen Pöbel; und dann stimmen die 90% plus X wieder.

Damit sind wir - unabhängig vom Einkommen - beim "Bildungsbürger" angelangt. Warum wird der nicht gefördert, sondern ist sogar auf dem Rückzug?

politisch Verfolgter
20.02.2009, 14:42
Der mentale %Rang soll nicht mit dem Eink.-%Rang in Übereinstimmung gebracht werden können, weil sich 10 % der Privathaushalte von weiten Teilen des Rests ihr Vermögen verzinseszinsen lassen, wovon einschlägige ÖD-Chargen zuhälterisch geiselnehmend zwangsfinanziert schmarotzen.
Ganz deutlich ist das an sog. "Hochbegabten" zu erkennen: jede(r) Fünfte dieser 250 000 Schulpflichtigen geht in Sonderschulen für Minderbegabte. Nur 14 % dieser 2 % werden überhaupt erkannt.
Analog zieht sich das durchs gesamte Begabungsspektrum.
Betriebserben benötigen sog. "Arbeitnehmer", die ihr mentales Profil nicht in dasselbe Eink./Verm.-Profil umsetzen, sondern teilleistungsreduziert kostenfaktor-marginalisiert "zumutbarkeitsrechtlich" umverteilen.

Humer
20.02.2009, 16:02
Einkommen nach geistiger Leistungfähigkeit ? Ich glaube dass die Geistesgaben nur bedingt mit Produktivität zusammenhängen. Super intelligent und stinkfaul geht auch sehr gut zusammen. Manch einer nutzt seine Intelligenz auch um andere für sich arbeiten zu lassen. Genau genommen ist das sogar die einzige art um reich zu werden.

Humer
20.02.2009, 16:16
Damit sind wir - unabhängig vom Einkommen - beim "Bildungsbürger" angelangt. Warum wird der nicht gefördert, sondern ist sogar auf dem Rückzug?

Ich glaube, es gibt da einen Zusammenhang mit dem Bestreben, die Bildung immer mehr in den Dienst ihrer Verwertbarkeit im Produktionsprozess zu stellen.
Deshalb gefällt es mir auch nicht, wenn die Industrie Einfluss auf die Bildung oder die Lehrpläne nimmt. wie dies bei Drittmittelfinanzierung von Studiengängen geschieht.
Der alte Humanistische Bildungsbegriff gilt als veraltet im globalen Wettbewerb.
Auf der Strecke bleiben z.B. zunehmend die Geisteswissenschaften. Nur die harten Fächer zählen wirklich. Auch das ist eine Form von Kulturverfall, wenn es nur noch Fachidioten gibt.

Beverly
20.02.2009, 16:21
Ich glaube, es gibt da einen Zusammenhang mit dem Bestreben, die Bildung immer mehr in den Dienst ihrer Verwertbarkeit im Produktionsprozess zu stellen.
Deshalb gefällt es mir auch nicht, wenn die Industrie Einfluss auf die Bildung oder die Lehrpläne nimmt. wie dies bei Drittmittelfinanzierung von Studiengängen geschieht.
Der alte Humanistische Bildungsbegriff gilt als veraltet im globalen Wettbewerb.
Auf der Strecke bleiben z.B. zunehmend die Geisteswissenschaften. Nur die harten Fächer zählen wirklich. Auch das ist eine Form von Kulturverfall, wenn es nur noch Fachidioten gibt.

So verfällt nicht nur die Kultur, sondern auch und gerade der Kern der technischen Zivilisation. Weil die eben nicht von Fachidioten verstanden und weiter entwickelt werden kann.

Leila
20.02.2009, 16:51
Lieber Humer,

wie gerne möchte ich Dir antworten, Dich in Deinen Gedanken bekräftigen und Dir meine Zustimmung wortreich bekunden! Doch läuft mir zur Zeit die Zeit davon, so daß mir nichts anderes übrigbleibt, als auf Allotria zu antworten.

Dich herzlich grüßend

Leila

D-Moll
20.02.2009, 16:59
Wech mit den unseligen (Juden)Kapitalimus und stattdessen einen nationalen Sozialismus.

marc
20.02.2009, 16:59
Ihr habt allerdings Flausen von einer "guten alten Zeit", die ich für ebenso illusorisch halte.

Ei, Beverly: diese Diskussion hatten wir doch schon öfter, und ich habe jedesmal auch gesagt, dass ich nicht an eine paradiesisch alte Zeit glaube, oder irgendein Utopia, das es vor "der" Moderne gegeben hätte.

Zum Beispiel wären sowohl meine Mutter als auch ich fast an einem Blinddarmdurchbruch gestorben, und vor 400 Jahren hätten wir uns unter dem lateinischen Gemurmel des Dorfpfarrers wohl schon als Kinder aus dem Diesseits verabschiedet.

Ich behaupte allerdings, dass vieles einfach auch schlechter geworden ist und viele Fortschritte auch eigentliche Rückschritte nur kaschieren, und vorallem: dass die Gegenkräfte weggebrochen sind und immer weiter wegbrechen.
Das die Ökonomisierung einen großen Anteil daran geleistet hat, will ich überhaupt nicht abstreiten, aber ich will auch darauf hinweisen, dass diese Fixiertheit nur auf das Kapital mir einfach zu wenig ist. Ich habe vorhin Richard Rorty erwähnt und sein zu Tode zitiertes Motto "Es gibt nichts wirklicheres als Lust und Schmerz." Ein pragmatischer Hedonismus eben.

Wenn wir uns jetzt als Gedankenexperiment vorstellen, dass die letzten sittlichen Gegenkräfte wegbrechen, dann hättest du einen Kannibalen von Rothenburg z.B. gar nicht erst verurteilen können, denn der eine will Menschen fressen, der andere will gefressen werden, und solange er es in seinem privaten Kellerchen macht - so what?

Und ja: ich halte auch die Religion für eine sittliche, sinnstiftende, tröstende und sinnliche Instanz - im Idealfall auch für eine Asylstätte. Das habe ich hierzuforum so oft zu umschreiben versucht, dass ich jetzt erstmal keine Lust habe, mich selber zu zitieren.



Geistig wurde die Epoche mit Hegel begründet, den alle immer feiern aber keiner versteht. Ich kenne ihn auch nur aus Sekundärliteratur und nehme mir die Freiheit, dafür den Fehler nicht bei mir sondern bei Hegel zu suchen. Weil er nicht zu verstehen ist.

Es gibt da das böse Wort "Von Hegel zu Hitler" als Buchtitel.

Und mit Sätzen wie "Freiheit ist die Einsicht in die Notwendigkeit" sind wir endgültig in der Knechtschaft angekommen.

Das Problem ist natürlich, dass man mit der "Hegelei", mit Scheinbeweisen, Dunkelheit und einer Sprache, die mir auch nicht besser erscheint als der "Jargon der Eigentlichkeit" sehr vieles und das Gegenteil behaupten kann. Es ist ja kein Wunder, dass zahlreiche Philosophen unter dem Druck der rotbraunen Diktaturen zu einer Art von hegelschen Dialektik übergelaufen sind.
Das Gegenteil: der blinde "Positivismus" ist mir aber auch nicht sympathischer.

"Freiheit als Einsicht in die Notwendigkeit" würde ich nicht lesen als Legitimation eines diktatorischen Leviathans (wobei auch die Frage ist, ob es gerechtfertigt ist, dass der Ausdruck des Leviathan immer so negativ besetzt wird), sondern als Ausdruck einer Freiheit, die nur dann auch wirklich walten kann, wenn sie die z.B. naturgesetzlichen Notwendigkeiten erkannt hat.

Der Satz ist meines Wissens nach auch nicht von Hegel selbst, sondern von Engels, der damit seine Lesart von ihm auf den Punkt brachte. ?(
(Glaube ich, keine Gewähr.)


Diese zweite Bestimmung der Freiheit, die der ersten ganz ungeniert ins Gesicht schlägt, ist wieder nichts als eine äußerste Verflachung der Hegelschen Auffassung. Hegel war der erste, der das Verhältnis von Freiheit und Notwendigkeit richtig darstellte. Für ihn ist die Freiheit die Einsicht in die Notwendigkeit. »Blind ist die Notwendigkeit nur, insofern dieselbe nicht begriffen wird.« Nicht in der geträumten Unabhängigkeit von den Naturgesetzen liegt die Freiheit, sondern in der Erkenntnis dieser Gesetze, und in der damit gegebnen Möglichkeit, sie planmäßig zu bestimmten Zwecken wirken zu lassen. Es gilt dies mit Beziehung sowohl auf die Gesetze der äußern Natur, wie auf diejenigen, welche das körperliche und geistige Dasein des Menschen selbst regeln - zwei Klassen von Gesetzen, die wir höchstens in der Vorstellung, nicht aber in der Wirklichkeit voneinander trennen können. Freiheit des Willens heißt daher nichts andres als die Fähigkeit, mit Sachkenntnis entscheiden zu können. Je freier also das Urteil eines Menschen in Beziehung auf einen bestimmten Fragepunkt ist, mit desto größerer Notwendigkeit wird der Inhalt dieses Urteils bestimmt sein; während die auf Unkenntnis beruhende Unsicherheit, die zwischen vielen verschiednen und widersprechenden Entscheidungsmöglichkeiten scheinbar willkürlich wählt, eben dadurch ihre Unfreiheit beweist, ihr Beherrschtsein von dem Gegenstande, den sie grade beherrschen sollte. Freiheit besteht also in der auf Erkenntnis der Naturnotwendigkeiten gegründeten Herrschaft über uns selbst und über die äußere Natur; sie ist damit notwendig ein Produkt der geschichtlichen Entwicklung. Die ersten, sich vom Tierreich sondernden Menschen waren in allem Wesentlichen so unfrei wie die Tiere selbst; aber jeder Fortschritt in der Kultur war ein Schritt zur Freiheit.
http://mitglied.lycos.de/volksbewegung/Texte/Marx/AD_Philiosophie9.html

Kreuzbube
20.02.2009, 17:46
Damit sind wir - unabhängig vom Einkommen - beim "Bildungsbürger" angelangt. Warum wird der nicht gefördert, sondern ist sogar auf dem Rückzug?

Was gibt`s da noch zu fördern? Jede Stadt hat eine Bibliothek und auf den Dörfern fährt der Bücherbus rum; bei uns jedenfalls. Nutzen nur die wenigsten. Dort muß das Volk anfangen. Ich war ab der ersten Klasse in der Kinderbibliothek und habe da ganze Regale leergelesen. Erst Märchen, später Geschichten, Abenteuer-Romane und Reiseberichte. Dort fängt die Bildung an und nicht beim Staat; und in dieser Zigeunerrepublik gleich gar nicht - die fördert eher die Doofheit!:))

politisch Verfolgter
20.02.2009, 19:11
Einkommen nach geistiger Leistungfähigkeit ? Ich glaube dass die Geistesgaben nur bedingt mit Produktivität zusammenhängen. Super intelligent und stinkfaul geht auch sehr gut zusammen. Manch einer nutzt seine Intelligenz auch um andere für sich arbeiten zu lassen. Genau genommen ist das sogar die einzige art um reich zu werden.

Ach Du lieber Himmel, na sowas ;-) Genau das selbstverständlich nicht!
Ne, vielmehr nach geistiger Leistungsfähigkeite anbieten und den daraus resultierenden Profit leistungsanteilig abschöpfen - das vernetzungsoptimieren.
Mittels mental adäquater Realabstraktion für ihr ebenbürtige hardware assembler Maschinen für sich arbeiten lassen.
Denn Einkommen hat aus den Taschen dadurch möglichst kaufkräftiger Nachfrager generiert werden zu können.
Wer niemandem den Affen schiebt, kann damit seine Leistungsfähigkeit optimal in sein Privatkapital ummünzen.
Kein Gesetz darf "andere für sich arbeiten zu lassen" zuweisen, das "Arbeitnehmer"-Konstrukt ist also zu entsorgen.
Wer nicht mit anbietet, obwohl er könnte, hat nix. Doch man hat mental leistungsadäquat mit anbieten und abschöpfen zu können. Dazu hat es flankierende Institutionen, Gesetze und Wissenschaften zu geben. Das fehlt immer noch komplett.
Produktivität resultiert aus mental adäquater Realabstraktion: man abstrahiert das Wesentliche aus der Realität, um es in high tech zu transferieren.
Realität auf komplexe Zusammenhänge reduzieren, um sie von Maschinen abarbeiten lassen zu können, um dafür geeignete Maschinen immer weiter zu entwickeln. Je anspruchsvoller das gelingt, desto produktiver ist man damit.
Damit erübrigt high tech immer mehr herkömml. menschl. Tätigkeiten zum Segen ihrer Entwickler, Erbauer und Anwender.
Es geht also darum, mit immer anspruchsvolleren Tätigkeiten immer bessere high tech zu bewirken, die unsere materiellen Freiheitsgrade individueller Selbstverwirklichung immer weiter vergrößern. Da gibts prinzipiell keine Grenze.
Ist ja absehbar, daß in wenigen Jahren ein Großteil heutiger Tätigkeiten entfallen kann, weil das Maschinen gottseidank effizienter erledigen.
Damit gehts also um immer anspruchsvollere Realabstraktion, um damit immer anspruchsvollere Maschinenarbeit zu nutzen.
Das kennt keine Grenze, ist immer weiter voranzubringen.

Leila
20.02.2009, 19:17
[Vollzitat]

Das war jetzt aber ein langer Text von Dir, politisch Verfolgter; und einmal mehr ist es Dir gelungen, Deine Verfolger abzuhängen.

Gruß von Leila :)

politisch Verfolgter
20.02.2009, 19:36
Leila, ich brauch das gegen Laaaangeweile ;-)
Bin froh über jede Gelegenheit, gegen den Schrott was los zu werden.

Leila
20.02.2009, 19:47
Leila, ich brauch das gegen Laaaangeweile ;-)
Bin froh über jede Gelegenheit, gegen den Schrott was los zu werden.

Grabinschrift:


DIE IHN VERFOLGTEN AUS POLITISCHEN GRÜNDEN
IRREN NOCH IMMER UMHER.
ER LITT AN UND STARB VOR LANGEWEILE
UND RUHET NUN IN FRIEDEN.

Humer
20.02.2009, 20:05
Ach Du lieber Himmel, na sowas ;-) Genau das selbstverständlich nicht!
Ne, vielmehr nach geistiger Leistungsfähigkeite anbieten und den daraus resultierenden Profit leistungsanteilig abschöpfen - das vernetzungsoptimieren.
Mittels mental adäquater Realabstraktion für ihr ebenbürtige hardware assembler Maschinen für sich arbeiten lassen.
Denn Einkommen hat aus den Taschen dadurch möglichst kaufkräftiger Nachfrager generiert werden zu können.
Wer niemandem den Affen schiebt, kann damit seine Leistungsfähigkeit optimal in sein Privatkapital ummünzen.
Kein Gesetz darf "andere für sich arbeiten zu lassen" zuweisen, das "Arbeitnehmer"-Konstrukt ist also zu entsorgen.
Wer nicht mit anbietet, obwohl er könnte, hat nix. Doch man hat mental leistungsadäquat mit anbieten und abschöpfen zu können. Dazu hat es flankierende Institutionen, Gesetze und Wissenschaften zu geben. Das fehlt immer noch komplett.
Produktivität resultiert aus mental adäquater Realabstraktion: man abstrahiert das Wesentliche aus der Realität, um es in high tech zu transferieren.
Realität auf komplexe Zusammenhänge reduzieren, um sie von Maschinen abarbeiten lassen zu können, um dafür geeignete Maschinen immer weiter zu entwickeln. Je anspruchsvoller das gelingt, desto produktiver ist man damit.
Damit erübrigt high tech immer mehr herkömml. menschl. Tätigkeiten zum Segen ihrer Entwickler, Erbauer und Anwender.
Es geht also darum, mit immer anspruchsvolleren Tätigkeiten immer bessere high tech zu bewirken, die unsere materiellen Freiheitsgrade individueller Selbstverwirklichung immer weiter vergrößern. Da gibts prinzipiell keine Grenze.
Ist ja absehbar, daß in wenigen Jahren ein Großteil heutiger Tätigkeiten entfallen kann, weil das Maschinen gottseidank effizienter erledigen.
Damit gehts also um immer anspruchsvollere Realabstraktion, um damit immer anspruchsvollere Maschinenarbeit zu nutzen.
Das kennt keine Grenze, ist immer weiter voranzubringen.

Hallo PV, du mentaler Leistungs Anbieter, brauchst aber auch einen Leistungsabnehmer- in jedem denkbaren System. Dazu müsstest Du wohl oder übel deine Intelligenz auch dafür einsetzen, dass du verstanden wirst, und dich auf das geistige Niveau dessen begeben bei dem Du mitarbeiten möchtest,- falls Du das überhaupt anstrebst.

politisch Verfolgter
20.02.2009, 20:15
Humer, wie gesagt, in ihrer Erwerbsphase Anbietende sind immer auch Nachfrager, also Abnehmer von Produkten, Gütern und Dienstleistungen. Diese marktwirtschaftl. Doppelrolle ist immer weiter zu optimieren und zu vernetzen.
Je profitabler, desto mehr Kaufkraft gibts.
Doch das ist politisch nicht angestrebt, deswegen gibts den Sozialstaat, damit das unterbunden ist.
Die Opfer zwangsfinanzieren damit ihre eigene Umverteilungs-Marginalisierung. Diese perverse Idiotenzwingerei bezeichnet das Regime als "sozial". Davon ist die Marktwirtschaft zu entlasten.

Stechlin
21.02.2009, 01:02
Nicht von Anfang an und nicht in jeder Form. Solange das Ideal des Bürgers selbst noch der Aristokrat bzw die optimierte Vorstellung von ihm war, hatte der bürgerliche Ansatz durchaus das Potential, zumindest in Teilbereichen den eigentlichen Adel, nämlich den der Haltung, fortzuführen.
Erst als sich der Bürger vom Aristokraten emanzipierte, öffnete er das Tor zur Nichtigkeit.
Wie es eben praktisch immer der Fall ist, wenn das Verb "emanzipieren" Anwendung findet.

Gut, diese Einschränkung ist berechtigt, vor allem ist der ursprüngliche Ansatz und das Potential des Bürgertums nicht von der Hand zu weisen. Problematisch wurde die Sache spätestens dann, als er sich dünkte, aus den legitimen Eigeninteressen ein politisches Mitspracherecht abzuleiten. Man nannte und nennt es Liberalität -Freiheitlichkeit. Nur was für eine Freiheit war gemeint? Nur die Freiheit, der eigenen Raffgier mögliches wenig Grenzen entgegenzusetzen. Das Bürgertum als zahlenmäßige Minderheit musste sich also mit dem Nimbus umgeben, Verfechter eines Humanismus zu sein. Im Theoretischen mag das ja durchaus gestimmt haben, und die Zahl der Ehrenwerten ist ebenfalls beachtlich. Aber die Radikalität, die Bereitschaft, über Jahrhunderte gewachsene nationalstaatliche Strukturen, im zunehmenden Maße auch kulturelle, dem Eigeninteresse zu opfern, und dazu in perfider Weise, um die zukünftige Politik dem Primat der Krämerseele beschleunigt zu unterstellen, einen übernationalen und künstlichen Rahmen zu erfinden, der sich "Deutsche Einheit" nannte, machte den Besitzbürger zur tickenden Zeitbombe, die irgendwann das Vaterhaus in Trümmern legte. Nur vermittels des Vehikels der "Deutschen Einheit" war es möglich gewesen, den Siegeszug des Liberalismus einzuleiten. Die erbärmliche und letztendlich fatale Rolle des Adels bestand darin, mit diesem immer mächtiger werdenden Besitzbürgertum einen mephistophlischen Pakt einzugehen, für die Gewährung ihrer unternehmerischen "Freiheiten" in Form von "Verfassung" und Parlament als Gegenleistung eine vaterländische Loyalität zu fordern.

Die 1848er Schreihälse in der Frankfurter Paulskirche mögen theatralisch gegen die Könige in den deutschen Landen geschimpft haben, aber ihre Vorstellung von einem zukünftigen "Deutschland" beruhten vor allem im eigenen Vorteil der Zentralisierung ihrer Interessen. Ein wirklicher vaterländischer Gedanke war zu diesem Zeitpunkt nur noch Resultat einer Selbstsuggestion, die sich zu Größenwahn und ungezügelter Kriegslüsternheit steigerte. Man denke nur an die Brandreden eines Heinrich von Gagern oder an die Beschlüsse dieses protofaschistischen Haufens, Posen zu besetzen, Rußland den Krieg zu erklären und Dänemark zu zerschlagen. So gebärdete sich der Liberalismus schon in seinem Wiegenbett. Der Erste Weltkrieg machte den bürgerlichen Krupp mit seinen Kanonenfabriken sehr reich, den Hohenzollern kostete es die Königs- und Kaiserkrone. Wie in Goethes "Faust" endete dieser Pakt zwischen Bürgertum und Herrschenden Adel tragisch, und dies sollte nicht der einzige Verrat bleiben, denn am Schluss dieser Entwicklung steht der Verrat am Vaterland schlechthin, der sich in der Aufhebung sämtlicher vaterländischer Prämissen im neuen Gewand, nämlich dem des Neoliberalismus, uns offenbart. Das Bürgertum verkauft uns das als Fortschrittsglaube, in Wirklichkeit ist es die unersättliche Gier, die sich in sinnlosen Konsumismus manifestiert und dabei in frivoler Tollkühnheit alles zu opfern bereit ist, was für Generationen Werte und Tugenden darstellte. Eine Art intellektuelle Bilderstürmerei. Emanzipation eben.

Es bewahrheitet sich eben, dass zu viel Freiheit zur Unersättlichkeit führt, und die Unersättlichkeit führt ins Verderben. Die Idee der christlichen Barmherzigkeit wurde in den Händen der verderbten Krämer zur Perversion des ursprünglichen Gedankens. Das Bürgertum hat alles zerstört. Der Jude kann für sich in Anspruch nehmen, einen Gottessohn getötet zu haben Der Besitzbürger jedoch hat "Gott" selbst auf dem Gewissen -wenn mir als Ungetauften diese Metaphorik gestattet ist.

"Nenn´s Glück! Herz! Liebe! Gott!" Goehte, "Faust"

Stechlin
21.02.2009, 01:25
@NITUP, Marc, Sauerländer,

jetzt muss ich doch wieder den französischen "Bürgerkönig" (!) Louis Philippe (regierte von 1830 bis 1848) zitieren. Seine bis heute überlieferte Parole: "Enrichez vous!" - "Bereichert euch!" Er war auch die erste regierende Birne der Weltgeschichte, so von Honore Daumier karikiert.

Jenes Bild des genusssüchtigen, raffgierigen, intriganten und kulturlosen bürgerlichen Mobs, das ihr erst in der Gegenwart seht, zeichneten kritische Zeitgenossen des "Bürgerkönigs" schon damals. Im "Graf von Monte Cristo", wo einer der Schurken zum Spekulanten geworden ist und von Monte Cristo mit gefälschten Börsennachrichten zur Strecke gebracht wird.
In den Romanen von Balzac wie "Glanz und Elend der Kurtisanen". Das ganze Gelumpe gab es schon damals, also hört endlich auf, immerzu die "gute alte Zeit" herauf zu beschwören.

Bei den "Buddenbrooks" war es auch nicht mehr ganz koscher und die USA zerfleischten sich von 1861-65 letzendlich aus polit-ökonomischen Gründen. Damals mögen die Bürger eine nettere Fassade gehabt haben als das Yuppie-*** von heute, aber hinter Anzug, Zylinder und Stehkragen nagten auch schon die Würmer.

Aus dem Deutschen Reich ist ein Roman überliefert, wo ein Hochstapler aus Ekel vor der bürgerlichen Gesellschaft, in die er sich einschleicht, sein kriminelles Treiben aufgibt.
Und dieser Kommentar von George Grosz zur bürgerlichen Gesellschaft ist zeitlos gültig:

Was wir bei dem Pack unserer Tage für etwas Neues halten mögen, hat es schon oft gegeben. Wobei ich aber nichts dagegen hätte, wenn wir die letzte Generation Pack mit erleben.

Ich stelle mir die ganze Zeit die Frage, was denn der treibende Keil, ja die Basis zur Unersättlichkeit gewesen, nein ist? Der Zins natürlich. Er ist der Gott der unersättlichen Krämerseele. Dieser Gott liefert den Schmierstoff für den erstickenden Reichtum, er ist das Pulver in den Musketen der bürgerlichen Macht. Die zwei großen Weltreligionen Islam und Christentum geißeln den Zins. Das Bubenstück des bürgerlichen Bazillus bestand darin, den Zins eben, wie erwähnt, gegen Gott zu tauschen. So läßt´s sich Sonntags in der Kirche gut beten.

Und wer hat uns den Zins gebracht? Wer gewährte den Platz im Reigen, der um das Goldene Kalb tanzt?

...

Stechlin
21.02.2009, 01:27
Der "bürgerliche Mob" fungiert auch als Totengräber jedes politischen Projektes. So glaube ich, dass wir ihm das Scheitern und den Untergang des Deutschen Reiches von 1871-1945 zu verdanken haben. Das hat uns allen ungeachtet all unserer Unterschiede nur Leid gebracht. Unseren Elten und Großeltern, die das miterleben mussten. Uns selbst, weil so alle auf ein "Gemeinwesen Deutschland" bezogenen Handlungsoptionen weiter zunichte gemacht wurden. Denn das Nachfolgeprojekt hat aus den Fehlern nicht gelernt und in ihm ist wieder der "bürgerliche Mob" am Werk.

Saß der gute alte Bismarck am Ende einer Lebenslüge auf?

Stechlin
21.02.2009, 01:31
Wech mit den unseligen (Juden)Kapitalimus und stattdessen einen nationalen Sozialismus.

Deine "Nationalsozialisten" sind die Sprößlinge des "Juden"-Kapitalismus. Erwache endlich aus Deiner Lebenslüge!

PAZIFIX
21.02.2009, 10:38
Nun ja, es gibt Pöbel, der lebt von Hartz IV und es gibt Pöbel, der hat im Monat mehr als ein Hartz IV-Empfänger im Jahr. Der arme Pöbel mach durch seine Zahl ein Problem sein, der reiche Pöbel ist es durch Macht und Einfluss gepaart mit Gier und Dummheit.

Mich nerven dumme Arme auch manchmal. Aber ich denke, es gäbe sehr viel weniger Dummheit und ARmut, wenn an der Spitze nicht die dummen Reichen wären.

Nachtrag: ich glaube aber auch nicht, dass 90 Prozent das Chaos wollen. Du hast die Sehnsüchter vieler einfacher Menschen ausgedrückt und die sind zusammen noch immer die Mehrheit.

Das sehe ich auch so. Und diese Sehnsüchte sind legitim! Aber leider wird mit diesen Sehnsüchten politisch-manipulativ-kriminell gespielt, d. h. Politiker aller Coleur geben Versprechungen ab, die sie nie halten können (und wollen), da nur ihr eigenes Interesse oder ihrer Lobbys zählt. Da wird dann auch sowas wie Demokratie zum absurden Theater. Und wenn sie Versprechungen einhalten, gegenüber bestimmten Wählergruppen, dann kann man davon ausgehen, dass es dem Rest der Gesellschaft zum Schaden reicht.

Beverly
21.02.2009, 11:34
Ei, Beverly: diese Diskussion hatten wir doch schon öfter, und ich habe jedesmal auch gesagt, dass ich nicht an eine paradiesisch alte Zeit glaube, oder irgendein Utopia, das es vor "der" Moderne gegeben hätte.

Zum Beispiel wären sowohl meine Mutter als auch ich fast an einem Blinddarmdurchbruch gestorben, und vor 400 Jahren hätten wir uns unter dem lateinischen Gemurmel des Dorfpfarrers wohl schon als Kinder aus dem Diesseits verabschiedet.

Ich behaupte allerdings, dass vieles einfach auch schlechter geworden ist und viele Fortschritte auch eigentliche Rückschritte nur kaschieren, und vorallem: dass die Gegenkräfte weggebrochen sind und immer weiter wegbrechen.
Das die Ökonomisierung einen großen Anteil daran geleistet hat, will ich überhaupt nicht abstreiten, aber ich will auch darauf hinweisen, dass diese Fixiertheit nur auf das Kapital mir einfach zu wenig ist. Ich habe vorhin Richard Rorty erwähnt und sein zu Tode zitiertes Motto "Es gibt nichts wirklicheres als Lust und Schmerz." Ein pragmatischer Hedonismus eben.

Wenn wir uns jetzt als Gedankenexperiment vorstellen, dass die letzten sittlichen Gegenkräfte wegbrechen, dann hättest du einen Kannibalen von Rothenburg z.B. gar nicht erst verurteilen können, denn der eine will Menschen fressen, der andere will gefressen werden, und solange er es in seinem privaten Kellerchen macht - so what?

Und ja: ich halte auch die Religion für eine sittliche, sinnstiftende, tröstende und sinnliche Instanz - im Idealfall auch für eine Asylstätte. Das habe ich hierzuforum so oft zu umschreiben versucht, dass ich jetzt erstmal keine Lust habe, mich selber zu zitieren.






Das Problem ist natürlich, dass man mit der "Hegelei", mit Scheinbeweisen, Dunkelheit und einer Sprache, die mir auch nicht besser erscheint als der "Jargon der Eigentlichkeit" sehr vieles und das Gegenteil behaupten kann. Es ist ja kein Wunder, dass zahlreiche Philosophen unter dem Druck der rotbraunen Diktaturen zu einer Art von hegelschen Dialektik übergelaufen sind.
Das Gegenteil: der blinde "Positivismus" ist mir aber auch nicht sympathischer.

"Freiheit als Einsicht in die Notwendigkeit" würde ich nicht lesen als Legitimation eines diktatorischen Leviathans (wobei auch die Frage ist, ob es gerechtfertigt ist, dass der Ausdruck des Leviathan immer so negativ besetzt wird), sondern als Ausdruck einer Freiheit, die nur dann auch wirklich walten kann, wenn sie die z.B. naturgesetzlichen Notwendigkeiten erkannt hat.

Der Satz ist meines Wissens nach auch nicht von Hegel selbst, sondern von Engels, der damit seine Lesart von ihm auf den Punkt brachte. ?(
(Glaube ich, keine Gewähr.)


http://mitglied.lycos.de/volksbewegung/Texte/Marx/AD_Philiosophie9.html

@Marc,

ich sehe das so:

1. Ein Zurück in die Vergangenheit kann es ohne Zeitmaschine nicht geben. Der Zug ist abgefahren!

2. Alle Bestrebungen, die Uhr doch zurück zu drehen, haben nur zu Leid geführt und den Nährboden für die nächste liberalistische, prowestliche "Demokratiebewegung" geschaffen. Ich denke da an die Politik des Ayatollah Chomeini seit 1980, die ich als Zeitzeuge und durch Berichte iranischer Flüchtlinge mitverfolgen "durfte". Das sind alles stramme Atheisten.

3. Auf die vorhandenen Religionen als Gegenkräfte vertraue ich nicht! Ich sehe in denen nur Teil des von den Protagonisten dieser Epoche betriebenen Spielchens "böser Bulle, guter Bulle". Wer vom bösen Bullen weichgeklopft wurde, bekommt falschen Trost vom guten Bullen - dabei arbeiten sie doch beide für die gleiche Firma. Wer wie du oder auch Sauerländer auf dem Höhepunkt des individuellen Extremismus sozialisiert wurde, mag sich dann dem Konservatismus und der Religion zuwenden. Für euch ist das, was sich selbst liberal nennt, worin ich aber repressiven Individualismus sehe, der böse Bulle und ihr flüchtet dann zum guten Bullen. Mit Verlaub, aber ich kann nicht glauben, dass etwa die katholische Kirche eine authentische und nicht ebenfalls korrumpierte Gegenmacht ist.
Bei mir und anderen haben die einschlägigen Kräfte das Spielchen aber andersrum gemacht. Wir haben als bösen Bullen den Konservatismus und die Religion (oder den DDR-Sozialismus) erlebt. Das hat uns in die Arme des gesellschaftlichen Liberalismus getrieben. Ich musste aber feststellen, dass das nur eine Spielart von Sozialdarwinismus ist, eben als repressiver Individualismus.

4. Ich habe mich gefragt, warum eigentlich jedes politische Projekt und von der Familie und dem Freundeskreis über Dorf und Stadtviertel und das eigene Volk bis zur Weltgesellschaft alle sozialen und gesellschaftlichen Entitäten für mich gleichermaßen enttäuschend sind. Die Familie ist heillos überfordert oder versagt, im Dorf gibt es anstatt Gemeinschaft nur Hinterlist, das Volk wird von den eigenen Eliten in den Untergang getrieben und die Weltgesellschaft bleibt auf beschämende Weise hinter ihren materiellen Möglichkeiten zurück.
Ich mag da voreingenommen und pathologisch sein, aber ich sehe auf allen Ebenen und überall den gleichen verlogenen und bigotten bürgerlichen Mob am Werk. Ich habe die Gestalten in der Familie erlebt, bei politischen Projekten, als Bürgermeister im Dorfkaff und der Hauptstadt, im SF-Forum ... tut mir Leid, aber die sind immer gleich: scheinheilig, verlogen, hinterlistig, unfähig und anmaßend. Sogar die Vsagen und die Art zu reden, scheint mir gleich.

5. Du schriebst davon, dass du und deine Mutter vor 400 Jahren an Blinddarmdurchbruch elend gestorben wären. So wäre es auch dem Priester und selbst dem Papst und dem Kaiser ergangen. Womit wir beim Sinn und Zweck dieser Epoche sind :)

Machtmittel, Besitz und Lebensstandard der Eliten zu steigern!

Von der Mehrheit der Menschheit ist da keine Rede. Die profitiert nur insoweit davon, wie es den Eliten angebracht erscheint, um zu sie auszubeuten und ruhig zu stellen.
Das betrifft vor allem die Menschen in Nordamerika und Europa, aber z. B. von Afrika hat keiner was gesagt. Werden nicht die Menschen dort seit 500 Jahren wegen ihrer Hautfarbe vom "nordischen" Dreck auf eine Art und Weise diskriminiert, die nur beschämend ist? Weil meines Wissens sogar der Islam - der nicht gerade eine Heile-Welt-Lehre ist - so einen Rassismus ablehnt. Da magst du Recht haben mit deiner Ausführung, dass Rückschritt als Fortschritt verkauft wird.

6. Rückschritt als Fortschritt zu verkaufen halte ich nicht für ein Merkmal unserer Epoche allein. Deswegen bin ich auch so ablehnend der Kirche gegenüber, weil ich deren Entwicklung seit der Spätantike auch für einen Rückschritt halte, der zum Heil umgemünzt wurde. Obwohl es um das römische Terrorreich, das von Gallien bis Judäa massakrierte, nicht schade ist, finde ich es erschreckend, wie viele einfache und sinnvolle zivilisatorische Errungenschaften mit ihm untergingen. Wasserleitungen und Kanalisation zum Beispiel. Die gab es über 1000 Jahre hier nicht mehr, alldiweil unsere blöden Könige nix Besseres zu tun hatten, als sich mit der Kaiserkrone selbst zur Karikatur zu machen.
Hätten sie in der Vormoderne weniger Unsinn gemacht und weniger eisernen Willen zum Rückschritt und zur Unwissenheit gehabt, wäre uns vieles erspart geblieben. Wissenschaft und Technik, deren Kern es in der Antike schon gab, wären nicht in der Neuzeit und Moderne wie eine Explosion gekommen, sondern in einem stetigen Prozess.
Abgesehen von dem Elend an sich ist auch das für mich ein Grund, die Vergangenheit ebenso zu verwerfen wie die akute Moderne.

Beverly
21.02.2009, 13:02
Gut, diese Einschränkung ist berechtigt, vor allem ist der ursprüngliche Ansatz und das Potential des Bürgertums nicht von der Hand zu weisen. Problematisch wurde die Sache spätestens dann, als er sich dünkte, aus den legitimen Eigeninteressen ein politisches Mitspracherecht abzuleiten. Man nannte und nennt es Liberalität -Freiheitlichkeit. Nur was für eine Freiheit war gemeint? Nur die Freiheit, der eigenen Raffgier mögliches wenig Grenzen entgegenzusetzen. Das Bürgertum als zahlenmäßige Minderheit musste sich also mit dem Nimbus umgeben, Verfechter eines Humanismus zu sein. Im Theoretischen mag das ja durchaus gestimmt haben, und die Zahl der Ehrenwerten ist ebenfalls beachtlich. Aber die Radikalität, die Bereitschaft, über Jahrhunderte gewachsene nationalstaatliche Strukturen, im zunehmenden Maße auch kulturelle, dem Eigeninteresse zu opfern, und dazu in perfider Weise, um die zukünftige Politik dem Primat der Krämerseele beschleunigt zu unterstellen, einen übernationalen und künstlichen Rahmen zu erfinden, der sich "Deutsche Einheit" nannte, machte den Besitzbürger zur tickenden Zeitbombe, die irgendwann das Vaterhaus in Trümmern legte. Nur vermittels des Vehikels der "Deutschen Einheit" war es möglich gewesen, den Siegeszug des Liberalismus einzuleiten. Die erbärmliche und letztendlich fatale Rolle des Adels bestand darin, mit diesem immer mächtiger werdenden Besitzbürgertum einen mephistophlischen Pakt einzugehen, für die Gewährung ihrer unternehmerischen "Freiheiten" in Form von "Verfassung" und Parlament als Gegenleistung eine vaterländische Loyalität zu fordern.

Die 1848er Schreihälse in der Frankfurter Paulskirche mögen theatralisch gegen die Könige in den deutschen Landen geschimpft haben, aber ihre Vorstellung von einem zukünftigen "Deutschland" beruhten vor allem im eigenen Vorteil der Zentralisierung ihrer Interessen. Ein wirklicher vaterländischer Gedanke war zu diesem Zeitpunkt nur noch Resultat einer Selbstsuggestion, die sich zu Größenwahn und ungezügelter Kriegslüsternheit steigerte. Man denke nur an die Brandreden eines Heinrich von Gagern oder an die Beschlüsse dieses protofaschistischen Haufens, Posen zu besetzen, Rußland den Krieg zu erklären und Dänemark zu zerschlagen. So gebärdete sich der Liberalismus schon in seinem Wiegenbett. Der Erste Weltkrieg machte den bürgerlichen Krupp mit seinen Kanonenfabriken sehr reich, den Hohenzollern kostete es die Königs- und Kaiserkrone. Wie in Goethes "Faust" endete dieser Pakt zwischen Bürgertum und Herrschenden Adel tragisch, und dies sollte nicht der einzige Verrat bleiben, denn am Schluss dieser Entwicklung steht der Verrat am Vaterland schlechthin, der sich in der Aufhebung sämtlicher vaterländischer Prämissen im neuen Gewand, nämlich dem des Neoliberalismus, uns offenbart. Das Bürgertum verkauft uns das als Fortschrittsglaube, in Wirklichkeit ist es die unersättliche Gier, die sich in sinnlosen Konsumismus manifestiert und dabei in frivoler Tollkühnheit alles zu opfern bereit ist, was für Generationen Werte und Tugenden darstellte. Eine Art intellektuelle Bilderstürmerei. Emanzipation eben.

Es bewahrheitet sich eben, dass zu viel Freiheit zur Unersättlichkeit führt, und die Unersättlichkeit führt ins Verderben. Die Idee der christlichen Barmherzigkeit wurde in den Händen der verderbten Krämer zur Perversion des ursprünglichen Gedankens. Das Bürgertum hat alles zerstört. Der Jude kann für sich in Anspruch nehmen, einen Gottessohn getötet zu haben Der Besitzbürger jedoch hat "Gott" selbst auf dem Gewissen -wenn mir als Ungetauften diese Metaphorik gestattet ist.

"Nenn´s Glück! Herz! Liebe! Gott!" Goehte, "Faust"

Du hast auf geniale Weise beschrieben, wie das Bürgertum zum Totengräber Deutschlands wurde.
Vergiss aber nicht, dass die immer ihre Sündenböcke hatten und haben: im Deutschen Reich waren es im Zeichen des Antisemitismus die Juden, nach 1945 waren es im Zeichen des "Antifaschismus" der A. H. und die Nazis. Heute sind es die Türken, deren Großeltern bezeichnenderweise vom Bürgertum selbst ins Land geholt wurden. Die haben auch im Laufe der Geschichte jede Menge Fortschrittsparolen abgesondert, können aber auch von jetzt auch gleich auf "Fortschrittskritik" umschalten. Und uns Atomkraftwerke als Mittel gegen den Treibhauseffekt verkaufen.
Sie haben nicht nur wesentlich zur Zerstörung des Alten - Deutsches Reich - begetragen, sondern auch dafür gesorgt, dass an seine Stelle nichts im konkreten oder gar positiven Sinne "Neues" treten kann.

Denn das "Alte und Morsche" war vielleicht so oder so zum Untergang verurteilt und wir haben und hatten in den letzten 250 Jahren ebenso unsere Schurken und Heroen, Helden und Narren wie die Menschen in den Epochen davor. Da ist mehr als genug Stoff für Mythen und Identitäten. Müssen Mythen eigentlich immer großartig sein? Wenn die ollen Griechen aus Zeus und Ganymed einen Mythos gestrickt haben, warum können wir es nicht aus der "Spinne in der Yuccapalme"? Ich hatte als Kind ein Erlebnis mit einer Spinne in der Badewanne, angesichts dessen ich in großen, haarigen und schwarzen Achtbeinern schon mythisches Potenzial vermute. Das "Wirken" von Adolf Hitler legt es nahe, in ihm auch eine Figur der Mythen unserer Zeit zu sehen. Weil auch Schurken zum Mythos gehören. Wir haben auch mehr als genug Helden, die Identität stiften könnten. Wenn Identität noch gewollt ist :rolleyes: Ich denke da an herausragende Wissenschaftler und Erfinder oder große Kulturschaffende. Gagarin, der als erster Mensch ins All flog. Gutenberg, der mit beweglichen Lettern hantierte und nicht ahnte, welche Lawine er damit ins Rollen brachte. Die Science Fiction und zum Teil auch Nicht-SF-Phantastik als ein wichtiger Strang der Mythologie der Moderne.
Das ist alles da. Es ist teils schlecht und destruktiv, teils schöpferisch und konstruktiv. Lächerlich und erhaben, Kosmos und Luftballon.

Ich selbst habe aber oft den Eindruck, dass so eine "moderne" Identität vom Bürgertum nicht gewollt ist. Ansätze zur ihrer Herausbildung werden IMHO sogar gezielt zerstört - auf eine "innovative" Phase folgt stets eine "konservative" Phase. Dem gesellschaftlichen Aufbruch in der WR folgten Nazi-Zeit und Adenauer-Regime. Dem erneuten Aufbruch der Nachkriegszeit folgte die Postmoderne. Die auch nur ein lächerlicher Aufguss des Biedermeiers nach 1815 ist.
Ich mag mich da täuschen, weil ich die Brut mittlerweile so hasse, dass ich sie für alles Übel im Universum verantwortlich mache. Aber ich habe auch immer wieder schlechte Erfahrungen gemacht, die weder auf Hass noch Einbildung beruhen.

So wie sie zum Leidwesen der Konservativen das Neue gegen das Alte ausspielen, so spielen sie zu meiner Frustration das Alte gegen das Neue aus. Glauben tun sie weder an das Alte noch an das Neue und deswegen mag in ihren Händen auch Wissenschaft und Technik so destruktiv sein. Wegen ihrer Macht mögen vielleicht gerade Wissenschaft und Technik eines besonderen und ihnen entsprechenden Diskurses oder "Mythos" bedürften. Um den sich IMHO die Science Fiction mit Dystopien und Utopien gleichermaßen redlich bemüht hat. Aber ohne so einen Mythos mag das Ganze früher oder später außer Kontrolle geraten.

Don
21.02.2009, 13:04
Die Meinungsfreiheit
Die öffentlichen Bibliotheken
Die Niederlassungsfreiheit
Die Freiheit zu Reisen

Diese Dinge nenne ich nur, die zugunsten der bürgerlichen Gesellschaft sprechen.

Naja, wenn ich so die ungestraften Ergüsse von BVeverly anschaue hat sie auch gewisse Nachteile. :smoke:

Stechlin
22.02.2009, 00:58
Du hast auf geniale Weise beschrieben, wie das Bürgertum zum Totengräber Deutschlands wurde.
Vergiss aber nicht, dass die immer ihre Sündenböcke hatten und haben: im Deutschen Reich waren es im Zeichen des Antisemitismus die Juden, nach 1945 waren es im Zeichen des "Antifaschismus" der A. H. und die Nazis. Heute sind es die Türken, deren Großeltern bezeichnenderweise vom Bürgertum selbst ins Land geholt wurden. Die haben auch im Laufe der Geschichte jede Menge Fortschrittsparolen abgesondert, können aber auch von jetzt auch gleich auf "Fortschrittskritik" umschalten. Und uns Atomkraftwerke als Mittel gegen den Treibhauseffekt verkaufen.
Sie haben nicht nur wesentlich zur Zerstörung des Alten - Deutsches Reich - begetragen, sondern auch dafür gesorgt, dass an seine Stelle nichts im konkreten oder gar positiven Sinne "Neues" treten kann.

Denn das "Alte und Morsche" war vielleicht so oder so zum Untergang verurteilt und wir haben und hatten in den letzten 250 Jahren ebenso unsere Schurken und Heroen, Helden und Narren wie die Menschen in den Epochen davor. Da ist mehr als genug Stoff für Mythen und Identitäten. Müssen Mythen eigentlich immer großartig sein? Wenn die ollen Griechen aus Zeus und Ganymed einen Mythos gestrickt haben, warum können wir es nicht aus der "Spinne in der Yuccapalme"? Ich hatte als Kind ein Erlebnis mit einer Spinne in der Badewanne, angesichts dessen ich in großen, haarigen und schwarzen Achtbeinern schon mythisches Potenzial vermute. Das "Wirken" von Adolf Hitler legt es nahe, in ihm auch eine Figur der Mythen unserer Zeit zu sehen. Weil auch Schurken zum Mythos gehören. Wir haben auch mehr als genug Helden, die Identität stiften könnten. Wenn Identität noch gewollt ist :rolleyes: Ich denke da an herausragende Wissenschaftler und Erfinder oder große Kulturschaffende. Gagarin, der als erster Mensch ins All flog. Gutenberg, der mit beweglichen Lettern hantierte und nicht ahnte, welche Lawine er damit ins Rollen brachte. Die Science Fiction und zum Teil auch Nicht-SF-Phantastik als ein wichtiger Strang der Mythologie der Moderne.
Das ist alles da. Es ist teils schlecht und destruktiv, teils schöpferisch und konstruktiv. Lächerlich und erhaben, Kosmos und Luftballon.

Ich selbst habe aber oft den Eindruck, dass so eine "moderne" Identität vom Bürgertum nicht gewollt ist. Ansätze zur ihrer Herausbildung werden IMHO sogar gezielt zerstört - auf eine "innovative" Phase folgt stets eine "konservative" Phase. Dem gesellschaftlichen Aufbruch in der WR folgten Nazi-Zeit und Adenauer-Regime. Dem erneuten Aufbruch der Nachkriegszeit folgte die Postmoderne. Die auch nur ein lächerlicher Aufguss des Biedermeiers nach 1815 ist.
Ich mag mich da täuschen, weil ich die Brut mittlerweile so hasse, dass ich sie für alles Übel im Universum verantwortlich mache. Aber ich habe auch immer wieder schlechte Erfahrungen gemacht, die weder auf Hass noch Einbildung beruhen.

So wie sie zum Leidwesen der Konservativen das Neue gegen das Alte ausspielen, so spielen sie zu meiner Frustration das Alte gegen das Neue aus. Glauben tun sie weder an das Alte noch an das Neue und deswegen mag in ihren Händen auch Wissenschaft und Technik so destruktiv sein. Wegen ihrer Macht mögen vielleicht gerade Wissenschaft und Technik eines besonderen und ihnen entsprechenden Diskurses oder "Mythos" bedürften. Um den sich IMHO die Science Fiction mit Dystopien und Utopien gleichermaßen redlich bemüht hat. Aber ohne so einen Mythos mag das Ganze früher oder später außer Kontrolle geraten.

Das ist wohl das größte Missverständnis der Neuzeit: der Fortschritt. Was ist Fortschritt? Victor von Bülow antwortete mal darauf, Fortschritt sei für ihn, dass es nicht mehr wehtut, wenn einem ein Zahn gezogen wird. Ich glaube, da steckt viel Wahrheit drin und führt drastisch vor Augen, dass "wir" die falschen Götzen anbeten. Der jeweilige Fortschritt wird als Etappenziel zum Schlaraffenland verstanden. Er soll das Leben erleichtern. Erleichtern? Was "erleichtert" wird, muss vorher eine Last gewesen sein. Das Leben als Last, und der Fortschritt ist das Opium, das uns die Qualen der Existenz betäubt. Und so verhalten sich die Menschen ja auch. Alles muss immer noch bunter, lauter, größer, schneller gesteigert werden, um das Vormalige noch zu übertreffen. Die Facetten sind dabei vielfältig, vom goldbestaubten Trüffel auf Singvogelpastete für die Milliardärsgattin bis hin zum fetttriefenden Fast-Food für den HarzIV-Pöbel findet jeder seine "gebratene Taube". Die Sucht nach Zerstreuung, Ablenkung und möglichst viel Spaß findet ihre Befriedigung in dem, was als Fortschritt verstanden wird. Die schmerzfreie Extraktion eines Zahnes wird damit gar nicht mehr in Verbindung gebracht.

Das ist die "Zivilisation" des Bürgertums. Eine Gesellschaft aus Zombis, Irren und intellektuellen Amokläufern ist das Ergebnis einer Ideologie, deren festes Fundament der Konsum um seiner Selbst willen ist. Er ist so schön profitabel und quasi unbegrenzt, und er bedient die schlimmste Todsünde von allen, die Gier. Die sinnlose Verschwendung von wertvollen Ressourcen spielt dabei keine Rolle, und so wird am Ende der Liberalismus und seine bürgerlichen Apologeten nicht nur der Totengräber von Kultur und Identität sein, sondern der Totengräber von allem.

Mich schaudert´s bei dem Gedanken, dass Guido Westerwelle bald Vizekanzler wird. Die derzeitige Wirtschaftskrise spült ausgerechnet den Abschaum in die Wählergunst nach oben, der das ideologische Rüstzeug für das globale Desaster der bürgerlichen Ideologie der Befreiung von allen ökonomischen "Fesseln" lieferte.

Gegen unsere Wirklichkeit mutiert die George-Orwell-Welt zum wahren Atlantis. Welch ein gewaltiges Elend...

Stechlin
22.02.2009, 01:17
Die Meinungsfreiheit

Es ist ein Irrglaube, die Freiheit der Meinung sei ein Segen. Sie befreit lediglich von der Notwendigkeit, den Quark, den ein jeder Narr stets und überall so von sich gibt, nicht begründen und durchdenken zu müssen. "Minuswachstum", "Humankapital", "25% Rendite" -nein, so etwas sollte man nicht frei "meinen" dürfen.


Die öffentlichen Bibliotheken

Eine Erfindeung des Bürgertums? Die Bibliothek von Alexandria war auch öffentlich.


Die Niederlassungsfreiheit

Für Unternehmen oder für den HarzIV-Empfänger?


Die Freiheit zu Reisen

Ergo die Freiheit, alle Naturdenkmäler niederzutrampeln, empfindliche Ökosysteme zu zerstören, Innenstädte mit häßlichen Hotelkomplexen und nicht enden wollenden Scharen von Touristen zu malträtieren, Strände zu betonieren und, so ganz nebenbei, auf dem Weg in unsere Urlaubs-Ghettos mit den Abgasfahnen unserer Autos und Flugzeuge die Umwelt zu ruinieren. Das alles im Namen der edlen Freiheit?


Diese Dinge nenne ich nur, die zugunsten der bürgerlichen Gesellschaft sprechen.

Da ist leider nichts brauchbares dabei, beste Peel.

PAZIFIX
22.02.2009, 11:31
Das ist wohl das größte Missverständnis der Neuzeit: der Fortschritt. Was ist Fortschritt? Victor von Bülow antwortete mal darauf, Fortschritt sei für ihn, dass es nicht mehr wehtut, wenn einem ein Zahn gezogen wird. Ich glaube, da steckt viel Wahrheit drin und führt drastisch vor Augen, dass "wir" die falschen Götzen anbeten. Der jeweilige Fortschritt wird als Etappenziel zum Schlaraffenland verstanden. Er soll das Leben erleichtern. Erleichtern? Was "erleichtert" wird, muss vorher eine Last gewesen sein. Das Leben als Last, und der Fortschritt ist das Opium, das uns die Qualen der Existenz betäubt. Und so verhalten sich die Menschen ja auch. Alles muss immer noch bunter, lauter, größer, schneller gesteigert werden, um das Vormalige noch zu übertreffen. Die Facetten sind dabei vielfältig, vom goldbestaubten Trüffel auf Singvogelpastete für die Milliardärsgattin bis hin zum fetttriefenden Fast-Food für den HarzIV-Pöbel findet jeder seine "gebratene Taube". ...

Ja, das ist gut gesagt. Der Fortschrittsglaube der Moderne ist auch ihr Totengräber.

Leila
22.02.2009, 11:53
Da ist leider nichts brauchbares dabei, beste Peel.

Ungeachtet Deiner Kommentare sage und schreibe ich so, wie Du, frank und frei meine Meinung. Ich bin froh, keinen Maulkorb tragen zu müssen.

Wer mich in der Stadt suchen müßte, würde mich mit großer Wahrscheinlichkeit in einer Bibliothek, in einem Buchantiquariat, in einer Buchhandlung, in einem Brockenhaus oder in einem Museum finden.

Ich könnte, wenn ich wollte, jederzeit nach Luzern oder nach München ziehen und mich dort niederlassen, da ich meine Berufstätigkeit zuhause ausüben kann. Unser Hauptbüro befindet sich in Deutschland. Wenn mein Mann sechzig Jahre alt wird und ich dann noch lebe, wollen wir für eine Zeit nach Island ziehen. Darauf freue ich mich schon heute.

Zu meinen schönsten Lebenserinnerungen gehören die vielen Reisen, die ich unternehmen durfte. Ich könnte mir ein Wanderleben sehr gut vorstellen. Aber ein Domizil müßte ich schon haben.

Gruß von Leila

Beverly
22.02.2009, 12:11
Das ist wohl das größte Missverständnis der Neuzeit: der Fortschritt. Was ist Fortschritt? Victor von Bülow antwortete mal darauf, Fortschritt sei für ihn, dass es nicht mehr wehtut, wenn einem ein Zahn gezogen wird. Ich glaube, da steckt viel Wahrheit drin und führt drastisch vor Augen, dass "wir" die falschen Götzen anbeten. Der jeweilige Fortschritt wird als Etappenziel zum Schlaraffenland verstanden. Er soll das Leben erleichtern. Erleichtern? Was "erleichtert" wird, muss vorher eine Last gewesen sein. Das Leben als Last, und der Fortschritt ist das Opium, das uns die Qualen der Existenz betäubt. Und so verhalten sich die Menschen ja auch. Alles muss immer noch bunter, lauter, größer, schneller gesteigert werden, um das Vormalige noch zu übertreffen. Die Facetten sind dabei vielfältig, vom goldbestaubten Trüffel auf Singvogelpastete für die Milliardärsgattin bis hin zum fetttriefenden Fast-Food für den HarzIV-Pöbel findet jeder seine "gebratene Taube". Die Sucht nach Zerstreuung, Ablenkung und möglichst viel Spaß findet ihre Befriedigung in dem, was als Fortschritt verstanden wird. Die schmerzfreie Extraktion eines Zahnes wird damit gar nicht mehr in Verbindung gebracht.

Das ist die "Zivilisation" des Bürgertums. Eine Gesellschaft aus Zombis, Irren und intellektuellen Amokläufern ist das Ergebnis einer Ideologie, deren festes Fundament der Konsum um seiner Selbst willen ist. Er ist so schön profitabel und quasi unbegrenzt, und er bedient die schlimmste Todsünde von allen, die Gier. Die sinnlose Verschwendung von wertvollen Ressourcen spielt dabei keine Rolle, und so wird am Ende der Liberalismus und seine bürgerlichen Apologeten nicht nur der Totengräber von Kultur und Identität sein, sondern der Totengräber von allem.

Mich schaudert´s bei dem Gedanken, dass Guido Westerwelle bald Vizekanzler wird. Die derzeitige Wirtschaftskrise spült ausgerechnet den Abschaum in die Wählergunst nach oben, der das ideologische Rüstzeug für das globale Desaster der bürgerlichen Ideologie der Befreiung von allen ökonomischen "Fesseln" lieferte.

Gegen unsere Wirklichkeit mutiert die George-Orwell-Welt zum wahren Atlantis. Welch ein gewaltiges Elend...

Hallo NITUP,

am Streben nach Erkenntnis, dem Verstehen und Beherrschen der Natur ist zunächst einmal nichts Schlechtes. Siehe Marcs Beispiel mit der Blinddarmoperation. Aber die vernünftige Herangehensweise ist:
`
1. Es gibt Probleme, Leid, Krisen, ungelöste Fragen und unerfüllte Wünsche.
2. Was ist zu tun?
3. Wie lösen wir Proble, verringern Leid, bewältigen Krisen, beantworten Fragen und erfüllen Wünsche?
4. Wie weit ermöglichen es uns unsere Fähigkeiten, das in 3. Gesagte zu tun?
5. Wie weit hindern uns von uns nicht beeinflussbare Faktoren, das in 3. Gesagte zu tun?
6. Beruhen die in 5. genannten Faktoren auf absoluten Hindernissen oder auf unserem begrenzten Verständnis der Welt?
7. Wenn wir absolute Macht und absolutes Wissen haben und 5. und 6. gegenstandslos geworden sind, wie weit sollen wir sie einsetzen?
Bis an ihre Grenzen ("Eroberung des Universums und Gott die Barhaare auszupfen") oder nur, um einen existenziellen Mindestandard zu sichern? Oder liegt das seinsmäßige Optimum irgendwo dazwischen?

Diese Herangehensweise sehe ich weder in vormodernen Zivilisationen realisiert noch in dem, was wir jetzt haben. Überspitzt formuliert: in der Vormoderne wurde den Menschen Stagnation als Schicksal verordnet, in der Moderne ist es der von dir genannte "Fortschritt", der zum Selbstzweck geworden ist. Egal, ob man das vormoderne zyklische Geschichtsbild oder das moderne Fortschrittsbild hat - heraus kommt nur ein perfides Auf-der-Stelle-treten.
Es ist fast egal, ob man da in seinem Dorfkaff hocken will und auch eine gottähnliche Macht zu nicht mehr als dem Bau von Kanalisation, sauberer Energie für landwirtschaftliche Maschinen und Haushaltsgeräte nutzen will und das Schlaraffenland ablehnt, weil die selbst geernteten Früchte besser schmecken oder ob man im Restaurant am Ende des Universums Fisch essen und den Blick auf den Quasar genießen will.
Verarscht werden IMHO beide. Weil es im Dorfkaff keine Ruhe gibt, sondern die Bauern irgendwann pleite machen, weil Nahrumgsmittel aus China billiger sind. Weil uns auch noch soviel Gerenne keinen Schritt vorwärts und nicht zum Restaurant am Ende des Universums bringen wird.
Weil wir immer im Kreis rennen sollen.

Humer
22.02.2009, 12:18
Das Bürgertum für die Misere der Gegenwart verantwortlich zu machen, ist nicht besonders ergiebig. Zum Bürgertum gehört der öko- bewegte Lehrer genau so wie der Investmentberater und der Mittelständische Unternehmer. Eine Schuldzuweisung an eine Klasse, die ja auch keine einheitliche Ideologie vertritt, ist vielleicht gut für den eigenen Seelenfrieden, aber das ist schon alles.
´
Der Turbokapitalismus hat in allen Klassen seine Vertreter, auch unter denen, die nichts davon haben, alle halten ihn für alternativlos, so wie ein Naturgesetz. Ja, wollt ihr denn die DDR zurück, schallt es jedem Kritiker entgegen. Dieser Mangel an Innovation und die Denkverbote sind grauenhaft primitiv. Im Gegensatz zur Technologie, die immer Grenzen überschreitet, ist das Wirtschaftssystem dogmatisch erstarrt. Die Rede vom wegbrechenden Mittelstand, lässt ja vermuten, dass diese Schicht gar nicht mehr wirklich mächtig ist, sondern zunehmend selbst zu den Opfern gehört. Ist vielleicht gar nicht schlecht, dann denken die endlich einmal nach.

Beverly
22.02.2009, 12:20
Ungeachtet Deiner Kommentare sage und schreibe ich so, wie Du, frank und frei meine Meinung. Ich bin froh, keinen Maulkorb tragen zu müssen.

Wer mich in der Stadt suchen müßte, würde mich mit großer Wahrscheinlichkeit in einer Bibliothek, in einem Buchantiquariat, in einer Buchhandlung, in einem Brockenhaus oder in einem Museum finden.

Ich könnte, wenn ich wollte, jederzeit nach Luzern oder nach München ziehen und mich dort niederlassen, da ich meine Berufstätigkeit zuhause ausüben kann. Unser Hauptbüro befindet sich in Deutschland. Wenn mein Mann sechzig Jahre alt wird und ich dann noch lebe, wollen wir für eine Zeit nach Island ziehen. Darauf freue ich mich schon heute.

Zu meinen schönsten Lebenserinnerungen gehören die vielen Reisen, die ich unternehmen durfte. Ich könnte mir ein Wanderleben sehr gut vorstellen. Aber ein Domizil müßte ich schon haben.

Gruß von Leila

Zeigt der Disput über die Errungenschaften des Bürgertums nur, dass das Bürgertum nun anstelle des Adels zur privilegierten Schicht geworden ist? Denn

Zugang zu Informationen ("Öffentliche Bibliotheken")
Meinungsfreiheit (besonders in dem Sinne, dass die Meinung auch Einfluss hatte)
Niederlassungsfreiheit
Reisefreiheit

hatten in allen Systemen nur die privilegierten Schichten, während sie den Massen verwerht wurden oder sie für sie keine Relevanz hatten.

Beverly
22.02.2009, 12:33
Das Bürgertum für die Misere der Gegenwart verantwortlich zu machen, ist nicht besonders ergiebig. Zum Bürgertum gehört der öko- bewegte Lehrer genau so wie der Investmentberater und der Mittelständische Unternehmer. Eine Schuldzuweisung an eine Klasse, die ja auch keine einheitliche Ideologie vertritt, ist vielleicht gut für den eigenen Seelenfrieden, aber das ist schon alles.
´
Der Turbokapitalismus hat in allen Klassen seine Vertreter, auch unter denen, die nichts davon haben, alle halten ihn für alternativlos, so wie ein Naturgesetz. Ja, wollt ihr denn die DDR zurück, schallt es jedem Kritiker entgegen. Dieser Mangel an Innovation und die Denkverbote sind grauenhaft primitiv. Im Gegensatz zur Technologie, die immer Grenzen überschreitet, ist das Wirtschaftssystem dogmatisch erstarrt. Die Rede vom wegbrechenden Mittelstand, lässt ja vermuten, dass diese Schicht gar nicht mehr wirklich mächtig ist, sondern zunehmend selbst zu den Opfern gehört. Ist vielleicht gar nicht schlecht, dann denken die endlich einmal nach.

@Humer,

tut mir Leid, aber du fällst auf den allerältesten Trick der bürgerlichen Diskurse herein: "Es ist ja alles wie ein Naturgesetz, die Krise kommt von selbst und wir können gar nichts dazu bla bla bla blah!" Dabei sind die, die davon profitieren und die - wie du selbst schreibst - keine Alternativen zulassen wollen, dafür sehr wohl verantwortlich. Groß und klein, in den Nachrichten und im Internet-Forum hat sich mir und anderen jeder einzelne Protagonist des bürgerlichen Diskurses der Diskussion über eine Lösung gesellschaftlicher Probleme konsequent verweigert. Stets wurde jedes Versagen, jede Schuld, jede Verantwortlich geleugnet. Alles Unrecht immer relativiert und Kritik diffamiert, ja mundtot gemacht. Durch diese Haltung gepaart mit unzähligen in der Neuzeit begangenen Verbrechen hat sich das Bürgertum schon sehr, sehr schuldig gemacht. Eine Vergebung kann es nicht geben, weil es bis zum heutigen Tag keinerlei Einsicht in Schuld und Versagen gibt. Es war ja immer alles ganz prima und toll und notwendig.
Wer da das Bürgertum von der moralischen und politischen Verantwortlichkeit für alles Elend freispricht, kann auch den Afghanen, der seine Schwester ermodert hat, wieder freilassen. Denn laut Verteidigung und Gutachter konnte der Arme nix dafür, er war ja bekloppt. Er sitzt aber trotzdem da, wo viele "Bürger" hingehören :)

PAZIFIX
22.02.2009, 13:32
Ungeachtet Deiner Kommentare sage und schreibe ich so, wie Du, frank und frei meine Meinung. Ich bin froh, keinen Maulkorb tragen zu müssen.

Wer mich in der Stadt suchen müßte, würde mich mit großer Wahrscheinlichkeit in einer Bibliothek, in einem Buchantiquariat, in einer Buchhandlung, in einem Brockenhaus oder in einem Museum finden.

Ich könnte, wenn ich wollte, jederzeit nach Luzern oder nach München ziehen und mich dort niederlassen, da ich meine Berufstätigkeit zuhause ausüben kann. Unser Hauptbüro befindet sich in Deutschland. Wenn mein Mann sechzig Jahre alt wird und ich dann noch lebe, wollen wir für eine Zeit nach Island ziehen. Darauf freue ich mich schon heute.

Zu meinen schönsten Lebenserinnerungen gehören die vielen Reisen, die ich unternehmen durfte. Ich könnte mir ein Wanderleben sehr gut vorstellen. Aber ein Domizil müßte ich schon haben.

Gruß von Leila

Das klingt doch gut, eine Frau mit einem erfüllten Leben, schön das es sowas noch gibt und jemand das auch so frei benennt!
Das mit den Reisen geht mir auch so...;)

Beverly
22.02.2009, 15:35
Wohin die "Bürger" groß und klein, Chef von Großkonzern und kleines Arschloch in der Bürokratie unser Land gebracht haben, zeigt folgendes Buch, das mir ein Freund empfahl:

Hans Herbert von Arnim: Die Deutschlandakte (http://www.randomhouse.de/book/edition.jsp?edi=264146)

Die Zusammenfassung


Parteienpatronage, überbordende Bürokratie, gleich geschaltete Medien, Justiz unter dem Einfluss der Politik sowie Großunternehmen, in denen Korruption zum alltäglichen Geschäft gehört: Es ist wirklich etwas faul in unserem Staate, und der Fisch stinkt vom Kopf her. Die politische und wirtschaftliche Klasse agiert zunehmend im kontrollfreien Raum und im Zweifel eher im eigenen als im öffentlichen Interesse. Hans Herbert von Arnim lässt anhand einer langen Reihe von Missbrauchsfällen aus Politik, Verwaltung, Justiz, Wirtschaft und Gesellschaft ein ganzes System von Auswüchsen und Defiziten sichtbar werden.

Mehr über den Autor auf Wikipedia (http://de.wikipedia.org/wiki/Hans_Herbert_von_Arnim)

Zitate von ihm:

„Es gilt als ganz normal und selbstverständlich, dass ein Abgeordneter neben seinem Einkommen, das er vom Steuerzahler bezieht, auch noch Einkommen von an der Gesetzgebung interessierten Unternehmen oder Verbänden bezieht, sich also quasi in die bezahlten Dienste eines Lobbyisten begibt, das gilt als ganz normal, obwohl es eigentlich ein Skandal ist."
„Wenn ein Politiker sich in die Dienste eines Interessenten begibt, sich von ihm bezahlen lässt, manchmal sehr hoch, ist das für mich eine Form der Korruption."
„Das ständige Patt zwischen Bundesrat und Bundestag sorgt heute für ein extremes Übergewicht der organisierten Interessen, die nur die Opposition für sich gewinnen müssen, um jede Reform zu blockieren. Das ist ein wunderbarer Nährboden für Lobbyisten."
„Das Grundübel unserer Demokratie liegt darin, dass sie keine ist. Das Volk, der nominelle Herr und Souverän, hat in Wahrheit nichts zu sagen."
„Jeder Deutsche hat die Freiheit, Gesetzen zu gehorchen, denen er niemals zugestimmt hat; er darf die Erhabenheit des Grundgesetzes bewundern, dessen Geltung er nie legitimiert hat; er ist frei, Politikern zu huldigen, die kein Bürger je gewählt hat, und sie üppig zu versorgen – mit seinen Steuergeldern, über deren Verwendung er niemals befragt wurde. Insgesamt sind Staat und Politik in einem Zustand, von dem nur noch Berufsoptimisten oder Heuchler behaupten können, er sei aus dem Willen der Bürger hervorgegangen.“
(aus Wikipedia)

Wobei ich mir die Ergänzung erlaube, dass sich diese Strukturen wie bei einem "selbstähnlichem" Fraktal auf allen Ebenen von der ganz kleinen bis zu den ganz Großen wiederholen. Die parakriminelle Migrantenfamilie und ihr deutsches Gegenstück der entsolidierten Familie spiegeln den Verfall vor Ort wieder, die globalisierte Welt auf der ganz großen Ebene.
Der große Fisch, der vom Kopfe her stinkt, besteht also aus vielen kleinen faulenden Fischen und ist selbst Bestandteil eines noch größeren und noch mehr stinkenden Fisches.

Wegen dieser "selbstähnlichen" Struktur dysfunktionaler, repressiver und korrupter Strukturen sind sie auf allen Ebenen außer Kontrolle geraten. Und keine Ebene kann die andere in die Schranken weisen, weil sie alle Teil des gleichen, universell gewordenen Macht- und Herrschaftssystems geworden sind.

politisch Verfolgter
22.02.2009, 22:13
Naom Chomsky: der Sozialstaat ist eingeführt, einer demokratischen Entwicklung das Wasser abzugraben.
Ich ergänze: dazu läßt ihn das Regime vom ÖD per Gesetz und mit öffentl. Mitteln als Waffe gegen die Grundrechte richten.
Resultat ist die deswegen permanent unterschlagene Eink./Verm.-Verteilung, die zudem mit der mentalen Verteilung nichts zu tun hat.

Ajax
23.02.2009, 00:11
Im Prinzip war die Herausbildung des Bürgertums eine gute Entwicklung. Damals.
Heute sieht die Sache jedoch anders aus. Unsere Gesellschaft ist mitnichten als bürgerliche Gesellschaft zu bezeichnen. Ich sehe vielmehr eine "Proletarisierung" sämtlicher Bevölkerungsschichten. Die Gleichmacherei der demokratischen Ideologie führt nicht zur Zucht einer Elite, sondern hat den gegenteiligen Effekt. War damals das Bürgertum noch bestrebt sich von den unteren Schichten abzugrenzen, vermischen diese Grenzen immer mehr. Eine aristokratische Elite, eine Oberschicht der Besten und Tugendhaften, wird zu Gunsten gleichmacherischer Ideale verworfen. Hierbei wird jedoch nach unten "gleichgemacht" und nicht nach oben. Den daraus resultierenden Werte- und Sittenverfall merken wir täglich und überall.

Beverly
23.02.2009, 09:53
Im Prinzip war die Herausbildung des Bürgertums eine gute Entwicklung. Damals.
Heute sieht die Sache jedoch anders aus. Unsere Gesellschaft ist mitnichten als bürgerliche Gesellschaft zu bezeichnen. Ich sehe vielmehr eine "Proletarisierung" sämtlicher Bevölkerungsschichten. Die Gleichmacherei der demokratischen Ideologie führt nicht zur Zucht einer Elite, sondern hat den gegenteiligen Effekt. War damals das Bürgertum noch bestrebt sich von den unteren Schichten abzugrenzen, vermischen diese Grenzen immer mehr. Eine aristokratische Elite, eine Oberschicht der Besten und Tugendhaften, wird zu Gunsten gleichmacherischer Ideale verworfen. Hierbei wird jedoch nach unten "gleichgemacht" und nicht nach oben. Den daraus resultierenden Werte- und Sittenverfall merken wir täglich und überall.

Du bringst da vieles durcheinander ;)

Denn die sozialen Gegensätze nehmen zu und das ist das Gegenteil von "Gleichmacherei". Es wird auch wieder von Eliten geredet, also was hast du eigentlich?

Bei der Arbeiterschaft, ihren Parteien und Organisationen ist eine zunehmende "Verbürgerlichung" sowohl der Kader als auch des Anhangs zu beobachten. Man tritt nach unten, buckelt nach oben und will selbst nach oben.

Die "Verproletarisierung" ist zu vage, weil es da zwei Entwicklungen gibt: eine massive Verarmung und eine massive geistige Degeneration. Letztere erfasst in der Tat alle Bevölkerunsgsschichten und die Eliten noch mehr als die Massen.

politisch Verfolgter
23.02.2009, 10:19
Alles ist ein Segen, was einem Villa&Porsche bezweckt.
Es erfordert goldene Anbieternetze für dadurch möglichst kaufkräftige Nachfrager. Damit ist der mentale in denselben Eink.-%Rang umzumünzen. Zudem lassen sich so die Verteilungskurven erheblich entbiegen, vor allem in unteren Bereichen massiv anheben.
Wer mit "Arbeiterschaft" daherkommt, hat ideologischen Hirnkrebs.
"Oben" ist da, wo das individuelle mentale Leistungsprofil liegt.
Dazu ist es umzusetzen.