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Vollständige Version anzeigen : EU = Reich?



-SG-
13.02.2009, 12:24
Was genau die EU ist, kann keiner so genau sagen. Die BVerfG-Richter sahen sie 1993 noch als "Staatenverbund" an und rechtfertigten damit die GG-Konformität.

Was natürlich Unsinn ist, der supranationale Charakter ist natürlich Fakt. Nur über die terminologischen Implikationen wird noch gestritten. In welchen Bereichen besitzt die EU dafacto "Kompetenzkompetenzen", gibt es eine implizite Rechtspersönlichkeit (über die EGen), wie weit fortgeschritten kann man die de facto-Staatlichkeit angeben, 60%, 70%, 80%?

Mal abgesehen von diesen formalen Dingen will ich mal auf etwas anderes hinaus.

Vergleichen wir mal den klassischen Nationalstaat mit Reichen, z.B. Römisches, Habsburger, Zaren- oder Osmanisches Reich.

Während der Nationalstaat durch Zusammenfallen von Siedlungsgebiet einer Nation und Staatsgrenzen und damit nur geringen Unterschied und Abfall in der Durchsetzungskraft zwischen Zentrum und Peripherie ist, ist es beim Reich eher so, dass es sich von einem Zentrum aus expansiv erweitert hat, verschiedene Ethnien und Kulturen umfasst und die peripheren Gebiete weit weniger der Durchsetzungsmacht der Zentralmacht unterfallen als das Zentrum. Man sprach daher auch z.T. von der "Barbarengrenze". In einem Nationalstaat kann man prinzipiell überall im Staatsgebiet mit den gleichen administrativen Strukturen rechnen, während im Reich die Randgebiete meist weit weniger dicht kontrolliert, die Staatsmacht mit lokalen kulturellen und politischen Führern konkurriert usw.

Im Nationalstaat sind die Grenzen fix und eine Verletzung letzterer kann einen rechtlich gehegten Krieg unter Gleichen zur Folge haben. Die Reiche hingegen sind insbesondere an diesen Peripherien ständigen Spannungen ausgesetzt, Scharmützel und schwelende asymmetrische Konflikte sind dort die Normalität.

In diesem Sinne würde ich die EU eher als ein Reich als ein Staat ansehen. Von den 6 Gründungsstaaten aus expansiv in alle Richtungen erweitert, in den neuerworbenen Randgebieten nicht im geringsten die politische Durchsetzungskraft der Brüsselianer wie im Zentrum.
In der klassischen Nationalstaatskonfiguration war es nicht denkbar, dass Deutsche im Elsass randalieren und der französische Staat schaut zu. Die EU aber hat kaum Kontrolle über irgendwelche Vorgänge an der polnisch-weißrussischen Grenze, im tiefsten Rumänien oder irgendwo zwischen Mitgliedsstaaten auf dem Balkan und Nichtmitgliedsstaaten.

Kann man die EU als modernes Reich ansehen?

Frank3
13.02.2009, 12:33
Was genau die EU ist, kann keiner so genau sagen. Die BVerfG-Richter sahen sie 1993 noch als "Staatenverbund" an und rechtfertigten damit die GG-Konformität.

Was natürlich Unsinn ist, der supranationale Charakter ist natürlich Fakt. Nur über die terminologischen Implikationen wird noch gestritten. In welchen Bereichen besitzt die EU dafacto "Kompetenzkompetenzen", gibt es eine implizite Rechtspersönlichkeit (über die EGen), wie weit fortgeschritten kann man die de facto-Staatlichkeit angeben, 60%, 70%, 80%?

Mal abgesehen von diesen formalen Dingen will ich mal auf etwas anderes hinaus.

Vergleichen wir mal den klassischen Nationalstaat mit Reichen, z.B. Römisches, Habsburger, Zaren- oder Osmanisches Reich.

Während der Nationalstaat durch Zusammenfallen von Siedlungsgebiet einer Nation und Staatsgrenzen und damit nur geringen Unterschied und Abfall in der Durchsetzungskraft zwischen Zentrum und Peripherie ist, ist es beim Reich eher so, dass es sich von einem Zentrum aus expansiv erweitert hat, verschiedene Ethnien und Kulturen umfasst und die peripheren Gebiete weit weniger der Durchsetzungsmacht der Zentralmacht unterfallen als das Zentrum. Man sprach daher auch z.T. von der "Barbarengrenze". In einem Nationalstaat kann man prinzipiell überall im Staatsgebiet mit den gleichen administrativen Strukturen rechnen, während im Reich die Randgebiete meist weit weniger dicht kontrolliert, die Staatsmacht mit lokalen kulturellen und politischen Führern konkurriert usw.

Im Nationalstaat sind die Grenzen fix und eine Verletzung letzterer kann einen rechtlich gehegten Krieg unter Gleichen zur Folge haben. Die Reiche hingegen sind insbesondere an diesen Peripherien ständigen Spannungen ausgesetzt, Scharmützel und schwelende asymmetrische Konflikte sind dort die Normalität.

In diesem Sinne würde ich die EU eher als ein Reich als ein Staat ansehen. Von den 6 Gründungsstaaten aus expansiv in alle Richtungen erweitert, in den neuerworbenen Randgebieten nicht im geringsten die politische Durchsetzungskraft der Brüsselianer wie im Zentrum.
In der klassischen Nationalstaatskonfiguration war es nicht denkbar, dass Deutsche im Elsass randalieren und der französische Staat schaut zu. Die EU aber hat kaum Kontrolle über irgendwelche Vorgänge an der polnisch-weißrussischen Grenze, im tiefsten Rumänien oder irgendwo zwischen Mitgliedsstaaten auf dem Balkan und Nichtmitgliedsstaaten.

Kann man die EU als modernes Reich ansehen?


Das Reich fliegt aber wider auseinander , so ballt die Türken mit Vollmitgliedschaft bei sind und Forderungen haben die ! ! !


„ gott „ der nun weiss „ DIE Gott „ und damit leben kann und es lebt und heißt NICHT . . .
- der durch Volksentscheid Bundeskanzler wird und gegen „ DIE „ mit Volksentscheide regiert

Sauerländer
13.02.2009, 20:33
Kann man die EU als modernes Reich ansehen?
Ich würde es so formulieren: Die EU stellt einen Raum in einer Übergangssituation dar, die so, wie sie ist, auf Dauer nicht wird bleiben können. Nicht mehr Verbund an sich souveräner Nationalstaaten, aber noch nicht wirklich imperial integriert.
Dazu fehlen dann doch zu sehr einheitliche Streitkräfte, eine eindeutige Zentrale und nicht zuletzt auch ein imperialer Mythos, der verstanden und geglaubt wird, der auch auf die Führungselite rückwirkt.
Das zeigt auch die Problemlage auf: Es ist denkbar (um nicht zu sagen es sieht gegenwärtig danach aus), dass Europa, wenn diese imperialen Anforderungen keine befriedigende Lösung erfahren, seine alte Nationalstaatenstruktur verliert, ohne dass die durch etwas Sinnvolles ersetzt wird.

Rocko
13.02.2009, 20:57
Die EU als Staat wie die USA hätte ohnehin nur funktioniert, wenn man nach Frankreich, Deutschland, Österreich, Italien, Spanien, Portugal und den BeNeLux-Staaten aufgehört hätte, vielleicht noch Griechenland.

Eine EU 25 kann meiner Meinung nach als "Reich" schonmal gleich ausscheiden, die bringt man nicht auf denselben Nenner.

EinDachs
13.02.2009, 21:02
Was genau die EU ist, kann keiner so genau sagen. Die BVerfG-Richter sahen sie 1993 noch als "Staatenverbund" an und rechtfertigten damit die GG-Konformität.

Was natürlich Unsinn ist, der supranationale Charakter ist natürlich Fakt. Nur über die terminologischen Implikationen wird noch gestritten. In welchen Bereichen besitzt die EU dafacto "Kompetenzkompetenzen", gibt es eine implizite Rechtspersönlichkeit (über die EGen), wie weit fortgeschritten kann man die de facto-Staatlichkeit angeben, 60%, 70%, 80%?

Mal abgesehen von diesen formalen Dingen will ich mal auf etwas anderes hinaus.

Vergleichen wir mal den klassischen Nationalstaat mit Reichen, z.B. Römisches, Habsburger, Zaren- oder Osmanisches Reich.

Während der Nationalstaat durch Zusammenfallen von Siedlungsgebiet einer Nation und Staatsgrenzen und damit nur geringen Unterschied und Abfall in der Durchsetzungskraft zwischen Zentrum und Peripherie ist, ist es beim Reich eher so, dass es sich von einem Zentrum aus expansiv erweitert hat, verschiedene Ethnien und Kulturen umfasst und die peripheren Gebiete weit weniger der Durchsetzungsmacht der Zentralmacht unterfallen als das Zentrum. Man sprach daher auch z.T. von der "Barbarengrenze". In einem Nationalstaat kann man prinzipiell überall im Staatsgebiet mit den gleichen administrativen Strukturen rechnen, während im Reich die Randgebiete meist weit weniger dicht kontrolliert, die Staatsmacht mit lokalen kulturellen und politischen Führern konkurriert usw.

Im Nationalstaat sind die Grenzen fix und eine Verletzung letzterer kann einen rechtlich gehegten Krieg unter Gleichen zur Folge haben. Die Reiche hingegen sind insbesondere an diesen Peripherien ständigen Spannungen ausgesetzt, Scharmützel und schwelende asymmetrische Konflikte sind dort die Normalität.

In diesem Sinne würde ich die EU eher als ein Reich als ein Staat ansehen. Von den 6 Gründungsstaaten aus expansiv in alle Richtungen erweitert, in den neuerworbenen Randgebieten nicht im geringsten die politische Durchsetzungskraft der Brüsselianer wie im Zentrum.
In der klassischen Nationalstaatskonfiguration war es nicht denkbar, dass Deutsche im Elsass randalieren und der französische Staat schaut zu. Die EU aber hat kaum Kontrolle über irgendwelche Vorgänge an der polnisch-weißrussischen Grenze, im tiefsten Rumänien oder irgendwo zwischen Mitgliedsstaaten auf dem Balkan und Nichtmitgliedsstaaten.

Kann man die EU als modernes Reich ansehen?

Ja, das kann man in der Tat (persönlich bevorzuge ich den Begriffe Empire)

Allerdings ist es ein Reich, dass in dem Punkt anders ist als alle vorherigen, da es auf die Freiwilligkeit der Randbereiche setzt und tatsächlich ein striktes Gewalttabu einhält.
Aber zum Empirekonzept passt auch die unterschiedlich abgestufte Zugehörigkeit. Bei Schengen ist der eine Staat dabei, der andere nicht, Währungsunion und EU sind auch nicht im geringsten deckungsgleich, etc...

malnachdenken
13.02.2009, 21:02
so ballt


Heidewitzka, was für eine Schule hast Du eigentlich besucht? Daß Dir Deine Orthographie nicht peinlich ist :))

Odin
13.02.2009, 21:15
Das haben sie von der SS geklaut und dann den Spieß umgedreht.

malnachdenken
13.02.2009, 21:18
Das haben sie von der SS geklaut und dann den Spieß umgedreht.

Depp.

emire
13.02.2009, 21:20
Die EU ist eine Wirtschaftsmacht sonst nichts und dort ist sie von Rohstoffen und Energie abhängig.

Politisch sind 27 Staaten zuviel,die Türkei braucht noch nicht mal dazu zugehören. EU Politiker haben mühe wenigste etwas einheitlich auf die Beine zu stellen.Leider muß sich Deutschland sich fügen ob es nun paßt oder nicht,deswegen sind Reichsgelüßte ausgeschlossen.

Wer soll Europa führen ? Merkel ? Sarkozy ? Berlusconi ?

-jmw-
13.02.2009, 21:29
Das haben sie von der SS geklaut
Und die wiederum hat's "geklaut" von denen, die schon vorher drüber nachdachten.

-jmw-
13.02.2009, 21:30
Wer soll Europa führen ? Merkel ? Sarkozy ? Berlusconi ?
Na, ich natürlich!
Dumme Frage, aber echt...

malnachdenken
13.02.2009, 21:32
Wer soll Europa führen ? Merkel ? Sarkozy ? Berlusconi ?

Wieso sollte es nur einer sein?

Odin
13.02.2009, 21:47
Depp.

Stirb, du unwissendes Schwein.

malnachdenken
13.02.2009, 21:47
Stirb, du unwissendes Schwein.

Jaja ist gut.

Frank3
13.02.2009, 22:55
Heidewitzka, was für eine Schule hast Du eigentlich besucht? Daß Dir Deine Orthographie nicht peinlich ist :))

Englisch - Deutsch
agglomerates - ballt sich zusammen

-SG-
13.02.2009, 23:04
Ja, das kann man in der Tat (persönlich bevorzuge ich den Begriffe Empire)

Allerdings ist es ein Reich, dass in dem Punkt anders ist als alle vorherigen, da es auf die Freiwilligkeit der Randbereiche setzt und tatsächlich ein striktes Gewalttabu einhält.
Aber zum Empirekonzept passt auch die unterschiedlich abgestufte Zugehörigkeit. Bei Schengen ist der eine Staat dabei, der andere nicht, Währungsunion und EU sind auch nicht im geringsten deckungsgleich, etc...

In der Tat, ja, auch das Konzept des "Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten" usw. passt dazu.
Zum Punkt der Freiwilligkeit ist anzufügen, dass in den jeweiligen Ländern die öffentliche Zustimmung zur EU sehr fragil ist, es militante EU-Gegnerparteien gibt, und - zugespitzt gesagt - je nach dem, wie gerade die Wirtschaftslage und der perzipierte Anteil der EU daran ist, kann die Stimmung ganz schnell in die eine oder andere Richtung umschlagen.

Auch das ist typisch für ein Reich/Imperium. Bestimmte, v.a. äußere Teilbereiche, ziehen ihre Loyalität/Mitgliedsschaft nicht aus einem Prinzip, sondern aus den volatilen subjektiven Nutzenverhältnissen...

malnachdenken
13.02.2009, 23:07
Englisch - Deutsch
agglomerates - ballt sich zusammen

Jetzt red Dich doch nicht raus, Conni :))

-SG-
13.02.2009, 23:10
Ich würde es so formulieren: Die EU stellt einen Raum in einer Übergangssituation dar, die so, wie sie ist, auf Dauer nicht wird bleiben können. Nicht mehr Verbund an sich souveräner Nationalstaaten, aber noch nicht wirklich imperial integriert.
Dazu fehlen dann doch zu sehr einheitliche Streitkräfte, eine eindeutige Zentrale und nicht zuletzt auch ein imperialer Mythos, der verstanden und geglaubt wird, der auch auf die Führungselite rückwirkt.
Das zeigt auch die Problemlage auf: Es ist denkbar (um nicht zu sagen es sieht gegenwärtig danach aus), dass Europa, wenn diese imperialen Anforderungen keine befriedigende Lösung erfahren, seine alte Nationalstaatenstruktur verliert, ohne dass die durch etwas Sinnvolles ersetzt wird.

Zumindest auf dem Papier (Verträge) ist ja eine gemeinsame Sicherheits- und Außenpolitik existent. De facto natürlich von Fall zu Fall mehr oder weniger, siehe Irak.

Was den Mythos angeht, dieser ist die vielzitierte Phrase vom Raum der "Freiheit, der Sicherheit und des Rechts". Etwas dezidiert inhaltleeres also, welches überall auf der Welt auch zu verwirklicht versucht wird... Aber stagnierende, alternde, im Überfluss lebende, verdummende Gesellschaften brauchen keinen Mythus.
Wenn die EU als Erfolgsgeschichte für den Wohlstand, den Frieden etc. dargestellt wird, werden eigentlich Ursache und Wirkung vertauscht. Wohlstand und Frieden waren Voraussetzung für das Gelingen der EU.

EinDachs
13.02.2009, 23:44
In der Tat, ja, auch das Konzept des "Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten" usw. passt dazu.
Zum Punkt der Freiwilligkeit ist anzufügen, dass in den jeweiligen Ländern die öffentliche Zustimmung zur EU sehr fragil ist, es militante EU-Gegnerparteien gibt, und - zugespitzt gesagt - je nach dem, wie gerade die Wirtschaftslage und der perzipierte Anteil der EU daran ist, kann die Stimmung ganz schnell in die eine oder andere Richtung umschlagen.

Auch das ist typisch für ein Reich/Imperium. Bestimmte, v.a. äußere Teilbereiche, ziehen ihre Loyalität/Mitgliedsschaft nicht aus einem Prinzip, sondern aus den volatilen subjektiven Nutzenverhältnissen...

Ich denke, dass ist auch eine Folge der Tatsache, dass die EU noch ein sehr neues Gebilde ist, aber ohne Zweifel passt dies schon auch sehr stark zu Imperien im generellen.

Was meiner Meinung nach auch sehr schön zur These passt, die EU wäre ein Reich, ist dass auch die EU einen gewissen Missionierungsgedanken hat. Die Erweiterungsbegeisterung entspringt ja auch dem durchaus imperialen Gedanken, man könne über die Zugehörigkeit Wohlstand und Frieden schaffen, eine Idee die so alt ist wie Imperien selbst. Diesen Missionsgedanken haben Nationalstaaten ab und an auch, aber für Imperien ist er häufiger und typischer (wohl auch weil Nationalstaaten mit einer wie auch immer gearteten Mission dazu tendieren Imperien zu schaffen)

-SG-
14.02.2009, 00:19
Ich denke, dass ist auch eine Folge der Tatsache, dass die EU noch ein sehr neues Gebilde ist, aber ohne Zweifel passt dies schon auch sehr stark zu Imperien im generellen.

Was meiner Meinung nach auch sehr schön zur These passt, die EU wäre ein Reich, ist dass auch die EU einen gewissen Missionierungsgedanken hat. Die Erweiterungsbegeisterung entspringt ja auch dem durchaus imperialen Gedanken, man könne über die Zugehörigkeit Wohlstand und Frieden schaffen, eine Idee die so alt ist wie Imperien selbst. Diesen Missionsgedanken haben Nationalstaaten ab und an auch, aber für Imperien ist er häufiger und typischer (wohl auch weil Nationalstaaten mit einer wie auch immer gearteten Mission dazu tendieren Imperien zu schaffen)

Ja, den Missionierungsgedanken finden wir im Prinzip natürlich bei vielen Reichen/Imperien.
Nationalstaaten tendieren eher dazu, eine Unabänderlichkeit der Andersheit des Anderen zu unterstellen und daher im Zweifelsfall eher zu einem Konflikt unter Gleichen zu neigen, einem symmetrischen Konflikt, z.B. D-Fr 1870.

Imperien dagegen haben vom Grunde an eine asymmetrische Anlage gegenüber anderen Gebilden, die andern sind immer die Barbaren, Unzivilisierten, Minderwertigen, nicht mit der Herren-Ideologie erleuchteten etc.

Ob man nun die Heilslehre des Kommunismus den anderen beibringen will oder die einzige wahre Religion oder schlicht den Machtbereich des Monarchen ausweiten will, bei Imperien ist stets gewährleistet, dass man im Prinzip jeden anschließen kann.
Bei Nationalstaaten ist das nicht so, Ausnahme sind Hitlers Vernichtungskriege, die das Gebiet des anderen erst ausrotten und dann gleichfalls anschließen wollten, aber nicht umsonst hieß es damals "Reich", auch wenn das dt. Reich seit 1871 Nationalstaat und nicht wie 800-1806 klassisches Reich war.

Die EU ist eben auch so eine Sache. Demokratie und Menschenrechte sollen die neuen Mitgliedsländer zum Heil führen, mit dem Ergebnis dass man im Prinzip Australien, Argentinien und Japan aufnehmen könnte, da die bekanntermaßen gleichfalls die Kriterien erfüllen. Das ist auch das Problem - da die EU keine Identität im Sinne einer Nation o.ä. hat, beruft sie sich auf imperiale Kriterien und hat damit im Grunde genommen keine Grenze.

Biskra
14.02.2009, 01:41
Kann man die EU als modernes Reich ansehen?

Zunächst mal lässt sich das von dir Ausgeführte sinnvoller als Unterschied zwischen Föderalismus und Zentralismus begreifen.
Dann wäre die nächste Frage, was das "Reich" ausmacht. Ich vermute mal, hier wird die imperiale Variante gemeint sein.

Gibt es einen Reichsgedanken?
Nun, den könnte man konstruieren, incl. Gründungsmythos (wird ja auch mit Carolus Magnus schon ordentlich betrieben).

Gibt es einen Herrscher, der über allen anderen steht?
Den gibt es nicht und damit wäre die Reichsidee auch schon hinfällig. Es sei denn, wir sähen dieses Reich Europa als ein "Interregnum".
Dann hätten wir eine Reichsverwaltung (EU-Ministerien), ein Gericht, Wesire / Kanzler (Komission), einen Reichstag (Parlament) und ein Kurfürstenkollegium (bestehend aus den Regierungschefs).
Nur würde eben keiner der Kurfürsten einen über sich dulden oder einen der ihrigen über sich stellen. Damit hätten wir also kein Reich in diesem Sinne.
Ach ja, viel wichtiger noch: Die Außenpolitik macht jeder Kurfürst im Zweifelsfall im Alleingang.
Also irgendwie passt der Reichsgedanke nicht, selbst beim besten Willen.

Praetorianer
14.02.2009, 08:58
Die EU ist eine Wirtschaftsmacht sonst nichts und dort ist sie von Rohstoffen und Energie abhängig.

Politisch sind 27 Staaten zuviel,die Türkei braucht noch nicht mal dazu zugehören. EU Politiker haben mühe wenigste etwas einheitlich auf die Beine zu stellen.Leider muß sich Deutschland sich fügen ob es nun paßt oder nicht,deswegen sind Reichsgelüßte ausgeschlossen.

Wer soll Europa führen ? Merkel ? Sarkozy ? Berlusconi ?

Von den Genannten eindeutig Berlusconi, die beiden anderen sind völlig ungeeignet.

EinDachs
14.02.2009, 17:07
Ja, den Missionierungsgedanken finden wir im Prinzip natürlich bei vielen Reichen/Imperien.
Nationalstaaten tendieren eher dazu, eine Unabänderlichkeit der Andersheit des Anderen zu unterstellen und daher im Zweifelsfall eher zu einem Konflikt unter Gleichen zu neigen, einem symmetrischen Konflikt, z.B. D-Fr 1870.

Imperien dagegen haben vom Grunde an eine asymmetrische Anlage gegenüber anderen Gebilden, die andern sind immer die Barbaren, Unzivilisierten, Minderwertigen, nicht mit der Herren-Ideologie erleuchteten etc.

Ob man nun die Heilslehre des Kommunismus den anderen beibringen will oder die einzige wahre Religion oder schlicht den Machtbereich des Monarchen ausweiten will, bei Imperien ist stets gewährleistet, dass man im Prinzip jeden anschließen kann.
Bei Nationalstaaten ist das nicht so, Ausnahme sind Hitlers Vernichtungskriege, die das Gebiet des anderen erst ausrotten und dann gleichfalls anschließen wollten, aber nicht umsonst hieß es damals "Reich", auch wenn das dt. Reich seit 1871 Nationalstaat und nicht wie 800-1806 klassisches Reich war.

Nun, Hitler wollte aber eben auch ein Imperium schaffen. Sein Ziel war es, ganz Europa mehr oder weniger direkt von einem Großdeutschland mit quasi-Kolonialgebieten in Osteuropa abhängig zu machen. Letztlich ist er gescheitert, wohl sicher auch, weil sein geplantes Imperium zuviel Wert auf blanke militärische Macht legte und reichlich wenig "soft power" (der Begriff ist von Nye) vorzuweisen hatte. Ich find das insofern interessant, weil es bei der EU haargenau umgekehrt ist: Die EU hat keine Armee und würde wohl auch nicht versuchen irgendwelche Randgebiete zu unterwerfen, selbst wenn sie welche hätte. Einzig eine subtile Anziehungskraft und ein etwas vage gehaltener gemeinsamer Nutzen haben dieses Imperium erschaffen und lassen es fortbestehen.


Die EU ist eben auch so eine Sache. Demokratie und Menschenrechte sollen die neuen Mitgliedsländer zum Heil führen, mit dem Ergebnis dass man im Prinzip Australien, Argentinien und Japan aufnehmen könnte, da die bekanntermaßen gleichfalls die Kriterien erfüllen. Das ist auch das Problem - da die EU keine Identität im Sinne einer Nation o.ä. hat, beruft sie sich auf imperiale Kriterien und hat damit im Grunde genommen keine Grenze.

Auch ein klassisches Kennzeichen eines Imperiums. Ein klassischer Nationalstaat hat eben gewisse Grenzen. Die mag er zwar ab und an zu seinem Vorteil auslegen und umändern wollen, ein Reich erkennt höchstens eine Barbarengrenze, hinter der die "Wilden" noch nicht ganz reif für die Zugehörigkeit sind. Aber potentiell gehört jeder dazu, was man in der EU auch daran merkt, dass das "E" nicht ganz im geographischen Sinne genommen wird (und zugegebenermassen, im geographischen Sinne ist Europa auch reichlich willkürlich festgelegt worden).

Sauerländer
14.02.2009, 20:55
Wer soll Europa führen ? Merkel ? Sarkozy ? Berlusconi ?
Das Haus Habsburg. :)

Biskra
14.02.2009, 22:15
Das Haus Habsburg. :)

http://www.oe24.at/multimedia/archive/00203/Karl___Francesca_Ha_203731a.jpg

Au ja. :)):D

-SG-
15.02.2009, 11:48
Zunächst mal lässt sich das von dir Ausgeführte sinnvoller als Unterschied zwischen Föderalismus und Zentralismus begreifen.
Dann wäre die nächste Frage, was das "Reich" ausmacht. Ich vermute mal, hier wird die imperiale Variante gemeint sein.

Gibt es einen Reichsgedanken?
Nun, den könnte man konstruieren, incl. Gründungsmythos (wird ja auch mit Carolus Magnus schon ordentlich betrieben).

Gibt es einen Herrscher, der über allen anderen steht?
Den gibt es nicht und damit wäre die Reichsidee auch schon hinfällig. Es sei denn, wir sähen dieses Reich Europa als ein "Interregnum".
Dann hätten wir eine Reichsverwaltung (EU-Ministerien), ein Gericht, Wesire / Kanzler (Komission), einen Reichstag (Parlament) und ein Kurfürstenkollegium (bestehend aus den Regierungschefs).
Nur würde eben keiner der Kurfürsten einen über sich dulden oder einen der ihrigen über sich stellen. Damit hätten wir also kein Reich in diesem Sinne.
Ach ja, viel wichtiger noch: Die Außenpolitik macht jeder Kurfürst im Zweifelsfall im Alleingang.
Also irgendwie passt der Reichsgedanke nicht, selbst beim besten Willen.

Die Unterscheidung zentral-dezentral war ja nicht das einzige Kriterium. Deutschland ist auch föderal aber Du wirst in Ostfriesland, im Erzgebirge oder im Saarland nicht wesentlich andere/ schwächere Staatsstrukturen vorfinden als im Zentrum. Wie ich schon erwähnte ist das in Reichen oder der EU anders, vergleiche in dieser Hinsicht Holland oder Dänemark mit Rumänien.

Der Reichsgedanke ist der "Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts", der Gründungsmythos ist der 2. Weltkrieg und daraus resultierend der genannte Reichsgedanke als Gegenidee.
Die wahren Gründe sind zweifelsfrei (wie immer) andere. Die Idee der EGKS war, Deutschlands Industrie zu vergemeinschaften um Dtl. kriegsunfähig zu machen, nach und nach verselbstständigte sich die Idee und bediente sich dann moralischer Rhetorik als nachträglicher Legimitation.

Einen Alleinherrscher gibt es natürlich nicht. Mit dem Lissabonner Vertrag sollte ein formales Staatsoberhaupt (Ratspräsident) festgelegt werden, im Moment ist es ein de facto Staatsoberhaupt, wenn natürlich auch in die restliche Maschinerie eingebettet und mit wenig Handlungsspielraum, aber ich behaupte, dass gerade auf der Undurchsichtigkeit des Insitutionengefüges, der Kompetenzenverteilung, des mehrtausendseitigen gemeinschaftlichen Rechts usw. die Macht der EU beruht, da es keine "Accountability" gibt, niemand weiß, wer für was verantwortlich ist, und ich bin mir ganz sicher, dass es in einigen Mitgliedsstaaten nicht einen einzigen Menschen gibt, der das EU-Recht wirklich durchblickt. In Ländern wie Deutschland sind es vielleicht einige dutzend, vielleicht hundert. Ich meine, die Rechts- und Verfassungslage im HRR war auch nicht gerade durchsichtig, frag Rheinlaender, aber es ist zugegebenermaßen neu für ein Reich, dass es keine formale, symbolische und tatsächliche Herrschergewalt hat sondern eher durch ihre Komplexität Macht und Eigendynamik gewinnt, aber das schmälert die Reichsmerkmale nicht wirklich.

Biskra
15.02.2009, 17:13
Die Unterscheidung zentral-dezentral war ja nicht das einzige Kriterium. Deutschland ist auch föderal aber Du wirst in Ostfriesland, im Erzgebirge oder im Saarland nicht wesentlich andere/ schwächere Staatsstrukturen vorfinden als im Zentrum. Wie ich schon erwähnte ist das in Reichen oder der EU anders, vergleiche in dieser Hinsicht Holland oder Dänemark mit Rumänien.

Deutschland ist ja auch nur gezwungenermaßen föderal. Daher gibt es eben auch kaum Unterschiede. (Aber vergleiche doch mal Mecklenburg-Vorpommern mit Hessen.)
Echte Unterschiede gibt es z.B. in Nigeria, Russland, Irak, Kanada, Brasilien etc.


Der Reichsgedanke ist der "Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts", der Gründungsmythos ist der 2. Weltkrieg und daraus resultierend der genannte Reichsgedanke als Gegenidee.

Gut, einen Reichsgedanken & Gründungsmythos hast du somit konstruiert. Ist schlüssig, funktioniert aber z.B. nicht in Spanien, Portugal und Schweden.


Einen Alleinherrscher gibt es natürlich nicht. Mit dem Lissabonner Vertrag sollte ein formales Staatsoberhaupt (Ratspräsident) festgelegt werden, im Moment ist es ein de facto Staatsoberhaupt, wenn natürlich auch in die restliche Maschinerie eingebettet und mit wenig Handlungsspielraum

Der Präsident des EU-Rats ist jeweils ein anderer Minister des Landes, welches die Ratspräsidentschaft für 6 Monate innehat, abhängig vom behandelten Thema. Daraus kann man nun wirklich keinen Souverän konstruieren.



es ist zugegebenermaßen neu für ein Reich, dass es keine formale, symbolische und tatsächliche Herrschergewalt hat sondern eher durch ihre Komplexität Macht und Eigendynamik gewinnt, aber das schmälert die Reichsmerkmale nicht wirklich.

Ein Reich ohne Staatsoberhaupt und Oberbefehlshaber? Ein Reich, in dem Beschlüsse nur mit Zustimmung aller Teilstaaten getroffen werden? Ein Reich, in dem die Teilstaaten autonom Außenpolitik machen, in dem die Teilstaaten autonom Kriege führen?

Biskra
15.02.2009, 17:26
Ach ja, Chanan, deine These wird sehr ausführlich von Jan Zielonka vertreten. Für ihn ist die EU eine Art neues HRRDN.

http://www.sant.ox.ac.uk/people/zielonka/europeasempire.html

-SG-
15.02.2009, 18:31
Deutschland ist ja auch nur gezwungenermaßen föderal. Daher gibt es eben auch kaum Unterschiede. (Aber vergleiche doch mal Mecklenburg-Vorpommern mit Hessen.)
Echte Unterschiede gibt es z.B. in Nigeria, Russland, Irak, Kanada, Brasilien etc.


In diesen Ländern gibt es vielleicht in der Peripherie Minderheitenvölker und die sozioökonomischen Strukturen sind anders, das ist klar. Diese Staaten sind in der Tat ja auch historisch Teile von Reichen oder selbst Reiche gewesen oder Zerfallsprodukte anderer ehemaliger Reiche. Während sich anderswo Nationalstaaten aus derartigen Konstellationen entwickelt haben (z.B. Tschechien, Slowakei, Ungarn usw. usf. aus dem Habsburger Reich) ist das in den von Dir aufgezählten Ländern entweder gescheitert (Biafra), könnte erst noch passieren (Irak), oder war aufgrund der diffusen Gemengelage der Bevölkerung (Brasilien) nicht denkbar. Der Unterschied ist aber, dass Brasilien oder Kanada wie gesagt Überbleibsel ehemaliger Reiche sind. Bei der EU haben sich diese Strukturen durch die verschiedenen Erweiterungen ja erst ergeben, sie ist also eher ein Reich in der Entstehung.


Gut, einen Reichsgedanken & Gründungsmythos hast du somit konstruiert. Ist schlüssig, funktioniert aber z.B. nicht in Spanien, Portugal und Schweden.
Das (Reichsgedanke) hab nicht ich konstruiert, das steht in den Verträgen. Dass Portugal nicht im 2.WK. involviert war ändert ja nichts, die sind ja auch erst später dazugekommen, im Übrigen ist die Rhetorik eben so, dass der Kontinent von Krieg zerrüttet war und dann kam die EU und hat für Frieden usw. gesorgt und da man das ja wohl nur gutheißen kann, können auch nicht direkt am letzten Krieg beteiligte von diesen Wohltaten profitieren.


Der Präsident des EU-Rats ist jeweils ein anderer Minister des Landes, welches die Ratspräsidentschaft für 6 Monate innehat, abhängig vom behandelten Thema. Daraus kann man nun wirklich keinen Souverän konstruieren.
Du meinst den Rat der EU? Der Präsident des Europäischen Rats ist ein Staatschef, kein Minister, und der Zyklus ist festgelegt und orientiert sich nicht an Thematiken. Formell wäre das jedenfalls das Reichsoberhaupt. Dass der auch einem Nationalstaat vorsteht ist ja nichts neues, der deutsche Kaiser war ja auch zugleich König in Wien o.ä. Und über die Kompetenzen mag man sich streiten, die de facto Macht ist auch nicht ausschlaggebend hier. Im späten HRR hatte auch der deutsche Kaiser keine sonderliche Macht mehr wie noch im 12. Jh., zumal in der Konstellation mit dem König Preußens.


Ein Reich ohne Staatsoberhaupt und Oberbefehlshaber? Ein Reich, in dem Beschlüsse nur mit Zustimmung aller Teilstaaten getroffen werden? Ein Reich, in dem die Teilstaaten autonom Außenpolitik machen, in dem die Teilstaaten autonom Kriege führen?
Der Ratspräsident wäre laut EU-Verfassungsvertrag das Staatsoberhaupt, einen Außenminister gäbe es auch. Lissabon nennt das ganze halt jetzt nicht dezidiert so, aber jeder weiß, was z.B. der "Hohe Vertreter der Außen- und Sicherheitspolitik" sein soll. Beschlüsse können in allem, was die 1. Säule angeht, schon jetzt mit Mehrheitsprinzip und ohne Einstimmigkeit geschehen, und 2. u 3. Säule sollen ja noch folgen. Schon im Nizza-Vertrag ist die Richtlinie der gemeinsamen und kohärenten Außenpolitik festgelegt. Dass das in der Praxis abweicht wissen wir alle, auch weil der institutionelle Rahmen das erlaubt. Das soll sich in Zukunft ja auch noch ändern. Aber selbst wenn, wir hatten im HRR ja auch die schlesischen Kriege usw.

Edit: Das Buch von Zielonka kannte ich nicht, muss ich erst nachschauen.

-SG-
15.02.2009, 18:39
Auch ein klassisches Kennzeichen eines Imperiums. Ein klassischer Nationalstaat hat eben gewisse Grenzen. Die mag er zwar ab und an zu seinem Vorteil auslegen und umändern wollen, ein Reich erkennt höchstens eine Barbarengrenze, hinter der die "Wilden" noch nicht ganz reif für die Zugehörigkeit sind. Aber potentiell gehört jeder dazu, was man in der EU auch daran merkt, dass das "E" nicht ganz im geographischen Sinne genommen wird (und zugegebenermassen, im geographischen Sinne ist Europa auch reichlich willkürlich festgelegt worden).

Das ist es ja, da man sich kulturell, historisch usw. blind gibt und die Formalitäten Demokratie, Menschenrechte usw. als einzige Substanz vorgibt, würde eigentlich nichts dagegen sprechen, dass auch Japan und Australien und Argentinien beitreten. Eigentlich könnte man sich ja gleich "Demokratische Menschenrechtsunion" nennen und die ganze Welt missionieren.

Mcp
15.02.2009, 19:00
Das ist es ja, da man sich kulturell, historisch usw. blind gibt und die Formalitäten Demokratie, Menschenrechte usw. als einzige Substanz vorgibt, würde eigentlich nichts dagegen sprechen, dass auch Japan und Australien und Argentinien beitreten. Eigentlich könnte man sich ja gleich "Demokratische Menschenrechtsunion" nennen und die ganze Welt missionieren.
Ja. Genau deshalb ist beispielsweise der Verweis auf die christlichen Wurzeln Europas störend. Ein Imperium oder ein Reich verspricht allen Völkern, die sich ihm anschließen, den Wohlstand, den das Zentrum schon genießt. Rom hat es genauso gemacht. "Sie nennen es Freiheit und doch ist es Knechtschaft", sagt der römische Stadthalter Agricola im Angesicht der Tatsache, dass die barbarischen Briten römische Gewohnheiten annehmen.

Es war den analphabetischen und "kulturlosen" Barbaren vorbehaltenden das „aufgeklärte“ und „fortschrittliche“ römische Imperium zu zerstören und an seine Stelle eine christliche Welt zu setzen, die über fast tausend Jahre Europa in relativer Ruhe, Frieden und Gleichgewicht hielt. Alles, was nach Fünfzehnhundert geschah, ist schon der immerwährende, allgegenwärtige Schrecken der Neuzeit.

EinDachs
15.02.2009, 19:04
Zunächst mal lässt sich das von dir Ausgeführte sinnvoller als Unterschied zwischen Föderalismus und Zentralismus begreifen.
Dann wäre die nächste Frage, was das "Reich" ausmacht. Ich vermute mal, hier wird die imperiale Variante gemeint sein.

Persönlich seh ich das etwas anders.
"Reich" ist mir als Begriff etwas zu schwammig, am besten triffts meiner Ansicht nahc der Begriff "Imperium", der allerdings leider etwas negativ konnotiert ist.

Aber das Konzept unterscheidet


Gibt es einen Reichsgedanken?
Nun, den könnte man konstruieren, incl. Gründungsmythos (wird ja auch mit Carolus Magnus schon ordentlich betrieben).

Der Gedanke das Europa sich nach 2 verheerenden Weltkriegen friedlich geeint hat, ist so ein wenig der Reichsgedanke. Nimmt man es genau, basiert die viel gepriesene "europäische Identität" nicht auf sehr viel mehr als einigen Narrativen.


Gibt es einen Herrscher, der über allen anderen steht?

Nein, das ist das neue an der ganzen Sache, allerdings sehe ich darin kein so dringendes Kriterium. Genau genommen, war ja auch Rom schon ein Imperium, bevor es einen Alleinherrscher hatte. Ich würd sagen, interne Strukturen sind da nicht so der wichtige Faktor, essentiell wäre der Gesamtaufbau



Ach ja, viel wichtiger noch: Die Außenpolitik macht jeder Kurfürst im Zweifelsfall im Alleingang.

Das war im Heiligen römischen Reich deutscher Nation aber auch nie anders.


Also irgendwie passt der Reichsgedanke nicht, selbst beim besten Willen.

Nun, das eigentliche Problem an der EU ist, dass nichts so wirklich passt.
"Politisches Gebilde sui generis" klingt schön, ist aber nichtssagend, Staatenverbund hat das gleiche Problem.
Staatenbund und Bundesstaat triffts beides nicht, Nationalstaat am allerwenigsten. Vergleicht man es mit klassischen politischen Ordnungsmächten, bieten sich nur noch Imperien an, dann allerdings mit der Neuerung, dass es kein klar definiertes Zentrum und ein striktes Gewalttabu gibt. Ulrich Beck hat mal den Begriff "kosmopolitisches Empire" dafür vorgeschlagen, in einem relativ guten Essay.

Biskra
15.02.2009, 20:25
Du meinst den Rat der EU? Der Präsident des Europäischen Rats ist ein Staatschef, kein Minister, und der Zyklus ist festgelegt und orientiert sich nicht an Thematiken. Formell wäre das jedenfalls das Reichsoberhaupt.

Ich meine den "Rat der Europäischen Union", du meinst den "Europäischen Rat". Ersterer ist formell das wichtigste Entscheidungsorgan in der EU, letzterer ist noch nicht mal im EG-Vertrag erwähnt, formell also kein Organ der EU. Ja, das Thema EU ist verwirrend. ;)

-SG-
16.02.2009, 10:06
Ich meine den "Rat der Europäischen Union", du meinst den "Europäischen Rat". Ersterer ist formell das wichtigste Entscheidungsorgan in der EU, letzterer ist noch nicht mal im EG-Vertrag erwähnt, formell also kein Organ der EU. Ja, das Thema EU ist verwirrend. ;)

Ja, sag ich ja - de facto aber natürlich das wichtigste Entscheidungsorgan. Vielleicht kann man auch die Trojka (Ratspräsident, Kommissionspräsident, Hoher Vertreter...) als eine Art Reichsverweser-Trias ansehen. Aber wie gesagt, meiner Meinung nach ist die formelle Benennung eines Alleinherrschers auch nicht bedeutend. Das ist ja der Vorteil der EU: Wem sollte ein Revolutionär den Kopf abschlagen bei der Hydra EU?

Pandulf
28.02.2009, 19:53
Die EU ist ohne Frage ein Reich. Nur der Widerspruch, den die EU dem Zuschauer bietet - ein gewaltiger, organisierter Raum, aber ohne harte Gestaltungsmacht - liegt in der Reichsideologie der EU begründet. Jedes Reich hat eine solche. Beim Osmanischen Reich war es der Islam, beim Römischen Reich die griechische Zivilisation etc. Die EU basiert auf der Reichsideologie des Liberalismus. Der Liberalismus hat als Kernelement die Staatsfreindlichkeit. Für einen Liberalen gibt es nichts Schlimmeres als einen starker Staat, da dieser das Individuum unterdrückt. Mit dieser staatsfeindlichen Ideologie versuchen nun die Liberalen selbst ein Reich - die höchste Form des Staates - zu bauen. Darauf basiert der Widerspruch der EU. Dem Reich steht die Reichsfeindlichlichkeit der Reichsideologie entgegen. Diesen Widerspruch kann Europa nur überwinden, wenn Europa sich auf eine neue Reichideologie einigt. Die momentane Krise des Liberlismus (Finanzkrise) ist dazu ein geeigneter Moment.

dZUG
28.02.2009, 22:00
Im Prinzip so Handlungsunfähig wie das Deutsche Reich damals, bis, ja bis :D.
Genau, bis die Amis das Erfolgsmodel 1:1 kopierten :))

Pandulf
28.02.2009, 23:12
Im Prinzip so Handlungsunfähig wie das Deutsche Reich damals, bis, ja bis :D.
Genau, bis die Amis das Erfolgsmodel 1:1 kopierten :))

Das Model der EU ist aus US-Imperialer Sicht das gefesselte Deutsche Reich 1648, 1918 und 1945. Die USA haben einfach nur das französische geopolitische Model für Deutschland auf Europa projeziert um Europa als Ganzes zu fesseln und ewig ad absurdum zu führen. Nihilismus statt Politik.

Brutus
28.02.2009, 23:17
Das Model der EU ist aus US-Imperialer Sicht das gefesselte Deutsche Reich 1648, 1918 und 1945.

Klasse!



Die USA haben einfach nur das französische geopolitische Model für Deutschland auf Europa projeziert um Europa als Ganzes zu fesseln und ewig ad absurdum zu führen. Nihilismus statt Politik.

Ausgezeichnet!

Kreuzbube
01.03.2009, 14:50
Ob die EU ein Reich ist? Natürlich; ein FM-Reich!


Ich meine den "Rat der Europäischen Union", du meinst den "Europäischen Rat". Ersterer ist formell das wichtigste Entscheidungsorgan in der EU, letzterer ist noch nicht mal im EG-Vertrag erwähnt, formell also kein Organ der EU. Ja, das Thema EU ist verwirrend. ;)

Aber zum Glück haben wir Experten!:)

Eridani
01.03.2009, 17:35
Was genau die EU ist, kann keiner so genau sagen. Die BVerfG-Richter sahen sie 1993 noch als "Staatenverbund" an und rechtfertigten damit die GG-Konformität.

Was natürlich Unsinn ist, der supranationale Charakter ist natürlich Fakt. Nur über die terminologischen Implikationen wird noch gestritten. In welchen Bereichen besitzt die EU dafacto "Kompetenzkompetenzen", gibt es eine implizite Rechtspersönlichkeit (über die EGen), wie weit fortgeschritten kann man die de facto-Staatlichkeit angeben, 60%, 70%, 80%?

Mal abgesehen von diesen formalen Dingen will ich mal auf etwas anderes hinaus.

Vergleichen wir mal den klassischen Nationalstaat mit Reichen, z.B. Römisches, Habsburger, Zaren- oder Osmanisches Reich.

Während der Nationalstaat durch Zusammenfallen von Siedlungsgebiet einer Nation und Staatsgrenzen und damit nur geringen Unterschied und Abfall in der Durchsetzungskraft zwischen Zentrum und Peripherie ist, ist es beim Reich eher so, dass es sich von einem Zentrum aus expansiv erweitert hat, verschiedene Ethnien und Kulturen umfasst und die peripheren Gebiete weit weniger der Durchsetzungsmacht der Zentralmacht unterfallen als das Zentrum. Man sprach daher auch z.T. von der "Barbarengrenze". In einem Nationalstaat kann man prinzipiell überall im Staatsgebiet mit den gleichen administrativen Strukturen rechnen, während im Reich die Randgebiete meist weit weniger dicht kontrolliert, die Staatsmacht mit lokalen kulturellen und politischen Führern konkurriert usw.

Im Nationalstaat sind die Grenzen fix und eine Verletzung letzterer kann einen rechtlich gehegten Krieg unter Gleichen zur Folge haben. Die Reiche hingegen sind insbesondere an diesen Peripherien ständigen Spannungen ausgesetzt, Scharmützel und schwelende asymmetrische Konflikte sind dort die Normalität.

In diesem Sinne würde ich die EU eher als ein Reich als ein Staat ansehen. Von den 6 Gründungsstaaten aus expansiv in alle Richtungen erweitert, in den neuerworbenen Randgebieten nicht im geringsten die politische Durchsetzungskraft der Brüsselianer wie im Zentrum.
In der klassischen Nationalstaatskonfiguration war es nicht denkbar, dass Deutsche im Elsass randalieren und der französische Staat schaut zu. Die EU aber hat kaum Kontrolle über irgendwelche Vorgänge an der polnisch-weißrussischen Grenze, im tiefsten Rumänien oder irgendwo zwischen Mitgliedsstaaten auf dem Balkan und Nichtmitgliedsstaaten.

Kann man die EU als modernes Reich ansehen?

Eher nicht. Denn dann müßtest DU mir auch erklären können, in welchem Verhältnis das "Deutsche Reich" (1871 ....1918) oder die Sowjetunion (1922...1992) zu diesem EUROPA stand....

E:

EinDachs
01.03.2009, 17:58
Eher nicht. Denn dann müßtest DU mir auch erklären können, in welchem Verhältnis das "Deutsche Reich" (1871 ....1918)

Ahem, das "Deutsche Reich" war genau genommen nur dem Namen nach ein Reich, sondern ein Nationalstaat wie viele andere.


oder die Sowjetunion (1922...1992) zu diesem EUROPA stand....

E:

Hmm, sie haben es teilweise vordatiert, ich seh da aber kein großes Problem.
Beide "Reiche" gibt es nicht mehr und die Existenz vor allem von letzterem ändert nichts am prinzipiellen Charakter der EU.

-SG-
02.03.2009, 12:19
Die EU ist ohne Frage ein Reich. Nur der Widerspruch, den die EU dem Zuschauer bietet - ein gewaltiger, organisierter Raum, aber ohne harte Gestaltungsmacht - liegt in der Reichsideologie der EU begründet. Jedes Reich hat eine solche. Beim Osmanischen Reich war es der Islam, beim Römischen Reich die griechische Zivilisation etc. Die EU basiert auf der Reichsideologie des Liberalismus. Der Liberalismus hat als Kernelement die Staatsfreindlichkeit. Für einen Liberalen gibt es nichts Schlimmeres als einen starker Staat, da dieser das Individuum unterdrückt. Mit dieser staatsfeindlichen Ideologie versuchen nun die Liberalen selbst ein Reich - die höchste Form des Staates - zu bauen. Darauf basiert der Widerspruch der EU. Dem Reich steht die Reichsfeindlichlichkeit der Reichsideologie entgegen.

Interessante Überlegung.

Wir kennen das ja aus dem Kommunismus, da gab es auch de facto eine herrschende Klasse, die die klassenlose Gesellschaft autoritär herbeiregieren wollte.

In der EU ist es nun eben eine demokratisch unlegitimierte, supernationale Instanz, die Demokratie verbreiten möchte, die die rassische und ethnische Pluralität zum Dogma erhebt, damit Rasse und Ethnie keine Rolle mehr spielen mögen, und dergleichen Idiotien mehr.