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Vollständige Version anzeigen : Nietzsche über Kulturgenese



-SG-
09.01.2009, 22:28
Bitte alle lesen und lernen, wer es noch nicht wusste:


...es sind da Menschen beieinander und auf sich angewiesen, welche ihre Art durchsetzen wollen, meistens, weil sie sich durchsetzen müssen oder in furchtbarer Weise Gefahr laufen, ausgerottet zu werden. Hier fehlt jene Gunst, jenes Übermaß, jener Schutz, unter denen die Variation begünstigt ist; die Art hat sich als Art nötig, als etwas, das sich gerade vermöge seiner Härte, Gleichförmigkeit, Einfachheit der Form überhaupt durchsetzen und dauerhaft machen kann, im beständigen Kampfe mit den Nachbarn oder mit den aufständischen oder Aufstand drohenden Unterdrückten.

Die mannigfaltigste Erfahrung lehrt sie, welchen Eigenschaften vornehmlich sie es verdankt, daß sie, allen Göttern und Menschen zum Trotz, noch da ist, daß sie noch immer obgesiegt hat: diese Eigenschaften nennt sie Tugenden, diese Tugenden allein züchtet sie groß. Sie tut es mit Härte, ja sie will die Härte; jede aristokratische Moral ist unduldsam, in der Erziehung der Jugend, in der Verfügung über die Weiber, in den Ehesitten, im Verhältnisse von alt und jung, in den Strafgesetzen (welche allein die Abartenden ins Auge fassen) – sie rechnet die Unduldsamkeit selbst unter die Tugenden, unter dem Namen »Gerechtigkeit«. Ein Typus mit wenigen, aber sehr starken Zügen, eine Art strenger kriegerischer klug-schweigsamer, geschlossener und verschlossener Menschen (und als solche vom feinsten Gefühle für die Zauber und nuances der Sozietät) wird auf diese Weise über den Wechsel der Geschlechter hinaus festgestellt; der beständige Kampf mit immer gleichen ungünstigen Bedingungen ist, wie gesagt, die Ursache davon, daß ein Typus fest und hart wird.

Endlich aber entsteht einmal eine Glückslage, die ungeheure Spannung läßt nach; es gibt vielleicht keine Feinde mehr unter den Nachbarn, und die Mittel zum Leben, selbst zum Genusse des Lebens, sind überreichlich da. Mit einem Schlage reißt das Band und der Zwang der alten Zucht: sie fühlt sich nicht mehr als notwendig, als Dasein-bedingend – wollte sie fortbestehn, so könnte sie es nur als eine Form des Luxus, als archaisierender Geschmack. Die Variation, sei es als Abartung (ins Höhere, Feinere, Seltnere), sei es als Entartung und Monstrosität, ist plötzlich in der größten Fülle und Pracht auf dem Schauplatze, der einzelne wagt einzeln zu sein und sich abzuheben. An diesen Wendepunkten der Geschichte zeigt sich nebeneinander und oft ineinander verwickelt und verstrickt ein herrliches vielfaches urwaldhaftes Heraufwachsen und Emporstreben, eine Art tropisches Tempo im Wetteifer des Wachstums und ein ungeheures Zugrundegehn und Sichzugrunderichten, dank den wild gegeneinander gewendeten, gleichsam explodierenden Egoismen, welche »um Sonne und Licht« miteinander ringen und keine Grenze, keine Zügelung, keine Schonung mehr aus der bisherigen Moral zu entnehmen wissen. Diese Moral selbst war es, welche die Kraft ins Ungeheure aufgehäuft, die den Bogen auf so bedrohliche Weise gespannt hat – jetzt ist, jetzt wird sie »überlebt«.

(Jenseits von Gut und Böse, 9. Kapitel)

Klopperhorst
11.01.2009, 11:24
Kurz überflogen. Richtig. Es ist der fehlende Zwang zur Gemeinschaft, der uns auseinanderdriften lässt und die Sitten und Normen fragmentiert.



---

Florian
12.01.2009, 14:40
Würde Nietzsches letzte Schaffensphase in der Schule thematisiert, hätten wir weniger Probleme in diesem Land.

Allerdings kommt in diesen Versen auch ein gewisser Fatalismus zum Ausdruck: es soll so sein.

Alles was geschieht, ist schon vollendet.




Schild der Notwendigkeit!

Höchstes Gestirn des Seins!

– das kein Wunsch erreicht,

– das kein Nein befleckt,

ewiges Ja des Seins,

ewig bin ich dein Ja:

denn ich liebe dich, o Ewigkeit! – –

Ahab
14.01.2009, 22:07
Ok.

Wir sollten also Kriege führen und in Armut leben um unsere "Art" nicht verkommen zu lassen und sie vor den Verfallsprozessen zu bewahren...



Hm... Ne... Ich bleib lieber bei meinem Playstation 3, meinem Audi, Cocktails und Mäcces am Wochenende, offenen Grenzen, Urlaub in Tunesien, MP3-Player beim joggen, Denglisch als Umgangssprache, Abkürzungen in Internetforen und Chats, Onlinespielen am Nachmittag, Fertiggerichten zum Abend und all' den anderen Dingen.


Macht ihr doch den Anfang und zieht in eine urgermanische Aussteigerkommune, in der ihr euch von Feldarbeit und Viehzucht selbst ernährt und auf die Gelegenheit wartet euer Volk durch die, durch eure entbehrungsvolle Lebensweise gewonnene Abhärtung und der daraus resultierenden Stärke gegen andere durchzusetzen.


Ich zumindest sehe darin keine Notwendigkeit und bleibe lieber bei meinem Lotterleben... Einfach weil's mehr Spaß macht.

Ajax
14.01.2009, 22:19
Ok.

Wir sollten also Kriege führen und in Armut leben um unsere "Art" nicht verkommen zu lassen und sie vor den Verfallsprozessen zu bewahren...



Hm... Ne... Ich bleib lieber bei meinem Playstation 3, meinem Audi, Cocktails und Mäcces am Wochenende, offenen Grenzen, Urlaub in Tunesien, MP3-Player beim joggen, Denglisch als Umgangssprache, Abkürzungen in Internetforen und Chats, Onlinespielen am Nachmittag, Fertiggerichten zum Abend und all' den anderen Dingen.


Macht ihr doch den Anfang und zieht in eine urgermanische Aussteigerkommune, in der ihr euch von Feldarbeit und Viehzucht selbst ernährt und auf die Gelegenheit wartet euer Volk durch die, durch eure entbehrungsvolle Lebensweise gewonnene Abhärtung und der daraus resultierenden Stärke gegen andere durchzusetzen.


Ich zumindest sehe darin keine Notwendigkeit und bleibe lieber bei meinem Lotterleben... Einfach weil's mehr Spaß macht.

Und weil alle so denken, gehen wir unter.

EinDachs
14.01.2009, 22:26
Ok.

Wir sollten also Kriege führen und in Armut leben um unsere "Art" nicht verkommen zu lassen und sie vor den Verfallsprozessen zu bewahren...



Hm... Ne... Ich bleib lieber bei meinem Playstation 3, meinem Audi, Cocktails und Mäcces am Wochenende, offenen Grenzen, Urlaub in Tunesien, MP3-Player beim joggen, Denglisch als Umgangssprache, Abkürzungen in Internetforen und Chats, Onlinespielen am Nachmittag, Fertiggerichten zum Abend und all' den anderen Dingen.


Macht ihr doch den Anfang und zieht in eine urgermanische Aussteigerkommune, in der ihr euch von Feldarbeit und Viehzucht selbst ernährt und auf die Gelegenheit wartet euer Volk durch die, durch eure entbehrungsvolle Lebensweise gewonnene Abhärtung und der daraus resultierenden Stärke gegen andere durchzusetzen.


Ich zumindest sehe darin keine Notwendigkeit und bleibe lieber bei meinem Lotterleben... Einfach weil's mehr Spaß macht.


Ich denke, du hast Nietzsche falsch verstanden (wohl weniger den Threadersteller).
Es durchzieht sich wie ein roter Faden durch sein philosophisches Gesamtwerk die Feststellung, dass alle Moral menschengemacht ist. Das war dazumals ein recht revolutionärer Gedanke. Auch hier denke ich, ging es ihm eher um die Entstehung von Werten, als ihr Wert an sich.

(Obwohl man zweifelsohne nicht unrecht hätte, wenn man Nietzsche als Verfechter einen aristokratischen Ideals betrachtet. Es kommt in seinen Texten mehrmals überdeutlich raus. Gleichzeitig jedoch, verwirft er an anderen Stellen erbarmungslos mit jeglicher Moralvorstellung , incl. solch aristokratischen)

Ahab
14.01.2009, 22:34
Und weil alle so denken, gehen wir unter.

Wer ist "Wir"?

Ajax
14.01.2009, 22:39
Wer ist "Wir"?

Die Deutschen natürlich. Aber mann kann es auch gut auf alle anderen übersättigten, weißen Industrienationen übertragen.

Ahab
14.01.2009, 22:47
Die Deutschen natürlich. Aber mann kann es auch gut auf alle anderen übersättigten, weißen Industrienationen übertragen.

Wieso sollten wir auch unseren Lebensstandart aufgeben um "Den Deutschen" als Ethnie oder Kulturvolk oder was auch immer ein Überleben zu ermöglichen, wenn der Großteil unserer Bevölkerung garkein Interesse daran hat?


Dann ham' wir hier halt Kulturmischmach und dann kreuzen sich die Ethnien hier eben bis zum erbrechen.

Wenn kaum einer was dagegen hat... Wayne kümmert's?


Wer nicht will der muss auch nicht.

-25Grad
14.01.2009, 22:49
(...) Wer nicht will der muss auch nicht.Niemand lebt in einer Glaskugel. Jeder ,,muß" auch, sofern er sich nicht völlig isoliert, schließlich lebt er in diesem Land. Die Verfaßtheit des Landes ist somit sein natürliches Interesse.

Ahab
14.01.2009, 22:56
Niemand lebt in einer Glaskugel. Jeder ,,muß" auch, sofern er sich nicht völlig isoliert, schließlich lebt er in diesem Land. Die Verfaßtheit des Landes ist somit sein natürliches Interesse.

Das Land kommt mit Sicherheit auch mit einer neuen ethnischen oder kulturellen Bevölkerungsstrucktur zurecht.

Und die Tatsache, dass man sich isolieren müsste zeugt nur noch mehr davon, dass solche Interessen kaum vorhanden sind.


Eine Mehrheit kannst du halt auch nicht dazu zwingen nur deinedwegen den Erhalt durchzusetzen.

-25Grad
14.01.2009, 23:08
Das Land kommt mit Sicherheit auch mit einer neuen ethnischen oder Kulturellen Bevölkerungsstrucktur zurecht.Daran zweifel ich nicht. Die Frage ist bloß, was von dem, was dieses Land dereinst ausgezeichnet hat, noch erhalten bleibt - glaubst Du, die Alis und Aysches, oder auch die Kevins und Jacquelines werden die Kultur dieses Landes bewahren? Und wenn man zu der Ansicht gelangt, daß sie es nicht können, nicht wollen und nicht werden, dies aber erhaltenswürdig ist, dann ist man schon vor der Geschichte gezwungen, sich dagegen zu engagieren.
Und die Tatsache, dass man sich isolieren müsste zeugt nur noch mehr davon, dass solche Interessen kaum vorhanden sind.Das ist total irrelevant. Über das Rechte und das Unrechte wird nicht abgestimmt. Das Rechte und das Unrechte sind - hier bin ich dann wohl schon im krassen Gegensatz zu jenem Philosophen, dem wir diesen Thread zu verdanken habe - Größen, auf die wir keinen Einfluß haben; wir müssen uns aber trotzdem mit ganzem Einsatz für das Rechte einsetzen, soweit wir dies erkennen können.

Eine Mehrheit kannst du halt auch nicht dazu zwingen nur deinedwegen den Erhalt durchzusetzen.Nochmal : Mehrheiten sind im Hinblick auf den Einsatz absolut hinfällig. Ausserdem ziehe ich das Recht der Mehrheit aufgrund einer Wohlstandslaune, das ihnen von zig Generationen anvertraute Erbe dieses Landes verspielen zu dürfen, ausdrücklich in Zweifel.
Eine Generation, die heute die seelische Gesundheit eintauscht gegen eine Playstation, wird keine Generation in die Welt setzen, die diese Dekadenz beheben kann. Der Gedanke ist fortzuführen.
Nur weil es möglich ist, ist es nicht rechtens.

Ajax
14.01.2009, 23:13
Wieso sollten wir auch unseren Lebensstandart aufgeben um "Den Deutschen" als Ethnie oder Kulturvolk oder was auch immer ein Überleben zu ermöglichen, wenn der Großteil unserer Bevölkerung garkein Interesse daran hat?


Dann ham' wir hier halt Kulturmischmach und dann kreuzen sich die Ethnien hier eben bis zum erbrechen.

Wenn kaum einer was dagegen hat... Wayne kümmert's?


Wer nicht will der muss auch nicht.

Wir müssen nicht unseren Lebensstandard aufgeben, aber es sollte doch ein radikaler Gesinnungswechsel in der bevölkerung stattfinden. Man kann nicht einfach so vor sich hinleben und so tun, als würde hier nichts zu unseren Ungunsten geschehen. Der Bevölkerungsaustausch, und der damit einhergehende Niedergang der abendländischen Zivilisation und Kultur, findet derzeit statt.

Ich kann dich sogar teilweise verstehen. "Was geht es mich an, wenn in 50 Jahren kein Deutscher mehr hier lebt und nichts von diesem Land wiederzuerkennen ist? Da lebe ich sowieso nicht mehr."

Aber das ist Egoismus. Jeder Mensch sieht sich heute als Mittelpunkt der Welt, die freie Selbstentfaltung steht an erster Stelle. Aber das ist engstirnig und kleingeistig. Ich will nicht sagen "du bist nichts, dein Volk ist alles", aber jeder trägt eine gewisse Verantwortung für sein Volk und sein Heimatland.

Der weiße Mann ist heute zum geistigen Krüppel kastriert worden. Der einstige Stolz unserer Rasse ist dahin und mit ihr die kulturelle Blüte. Es ist bezeichnend, dass aufgrund dieser geistigen Armut heutzutage nichts Großes und Erhaltenswertes mehr geschaffen wird. Kein Mensch würde etwas vermissen, wenn die moderne Welt plötzlich zusammenbräche. Wenn man in 1000 Jahren evtl. archäologische Ausgrabungen macht, könnte ich mir vorstellen, dass aus unser Zeit wirklich nichts von Interesse wäre. Kein Kunstgegenstand aus dieser Zeit würde dort im Museum zu bewundern sein, weil alles so banal ist.

Der moderne Mensch ist einfach nur arm an Geist, der Wille etwas Großes zu vollbringen fehlt völlig. Wir begnügen uns mit materiellen Gütern und alltäglichen Dingen, den kurzen gegenwärtigen Genüssen, ziehen uns Talkshows rein, haben jegliche Tugenden und Werte fast völlig verloren und denken dabei noch, wir wären auf der höchsten Stufe der Zivilisation.

Dabei können gerade wir Menschen für höhere und größere Ziele leben und streben und ich denke, dass auch mehr zu einem erfüllten Leben gehört als nur für die Gegenwart alltäglich vor sich hin zu leben.

Ahab
14.01.2009, 23:18
Daran zweifel ich nicht. Die Frage ist bloß, was von dem, was dieses Land dereinst ausgezeichnet hat, noch erhalten bleibt - glaubst Du, die Alis und Aysches, oder auch die Kevins und Jacquelines werden die Kultur dieses Landes bewahren? Und wenn man zu der Ansicht gelangt, daß sie es nicht können, nicht wollen und nicht werden, dies aber erhaltenswürdig ist, dann ist man schon vor der Geschichte gezwungen, sich dagegen zu engagieren.Das ist total irrelevant. Über das Rechte und das Unrecht wird nicht abgestimmt. Das Rechte und das Unrechte sind - hier bin ich dann wohl schon im krassen Gegensatz zu jenem Philosophen, dem wir diesen Thread zu verdanken habe - Größen, auf die wir keinen Einfluß haben; wir müssen uns aber trotzdem mit ganzem Einsatz für das Rechte einsetzen, soweit wir dies erkennen können.
Nochmal : Mehrheiten sind im Hinblick auf den Einsatz absolut hinfällig. Ausserdem ziehe ich das Recht der Mehrheit aufgrund einer Wohlstandslaune, das ihnen von zig Generationen anvertraute Erbe dieses Landes verspielen zu dürfen, ausdrücklich in Zweifel.
Eine Generation, die heute die seelische Gesundheit eintauscht gegen eine Playstation, wird keine Generation in die Welt setzen, die diese Dekadenz beheben kann. Der Gedanke ist fortzuführen.
Nur weil es möglich ist, ist es nicht rechtens.



Und was rechtens und was korrekte seelische Gesundheit (oder eher ein "optimiertes" Bewusstsein) ist bestimmen dann einfach gegen unser aller Willen Leute wie du?


Wir geben einfach alles auf damit wir ein noch mehr durch Fremdbestimmung gezeichnetes Leben führen können? Hört sich für mich nach keinem besonders guten Deal an.

Herr K.
14.01.2009, 23:27
Kulturpessimistischer Sermon der deutschnationalen Untergeher, die Hundertste.


Ausgehend von Nietzsche pauschal Individualismus und Moderne zu verdammen, ist schon ein bißchen eigentümlich. Hast Du ihn gelesen?

Kritik an den herrschenden Zuständen ist kein Phänomen, welches genuin aus den heutigen Verhältnissen hervorgeht. Sie wurde immer geübt. Teils aus ernsthaftem Willen, den Gang der Dinge in eine verträglicher Richtung zu lenken, teils aus unwilliger Hybris, sich der Gegenwart auf eine ihr angemessene Art und Weise anzunähern. Zu welchem Lager zählst Du Dich?

-25Grad
14.01.2009, 23:30
Und was rechtens und was korrekte seelische Gesundheit (oder eher ein "optimiertes" Bewusstsein) ist bestimmen dann einfach gegen unser aller Willen Leute wie du?

Wir geben einfach alles auf damit wir ein noch mehr durch Fremdbestimmung gezeichnetes Leben führen können? Hört sich für mich nach keinem besonders guten Deal an.Nein. Natürlich bestimme ich das nicht. Woher sollte ich die Legitimation dazu nehmen?
Ich fordere auch kein fremdbestimmtes Leben, aber ich bemühe mich etwas Sympathie für die Einsicht zu gewinnen, daß das Leben an höheren Dingen als dem Spaß auszurichten ist. Spaß ist nämlich kein relevantes Kriterium. Weder vor Gott noch vor der Geschichte noch vor dem eigenen Gewissen. Relevant sind für die Person - und das wird spätestens dann offensichtlich, wenn genau dies benötigt wird - die Tugend und die Güte und die Vernunft.
Und weiter muß sich die Person fragen, was ihr lieber ist : Spaß, d.h. ein hedonistische Lebensentwurf oder das Teilwerden als einzelner an einer Sache, die sie selbst unendlich übersteigt wie beispielsweise das Fortführen jenes nationalen und kulturellen Bandes, das mich mit zahllosen Generationen verbindet?
Freilich läßt sich eine Teilnahme hieran nicht erzwingen. Ich wünsche das auch gar nicht.

Herr K.
14.01.2009, 23:38
Daran zweifel ich nicht. Die Frage ist bloß, was von dem, was dieses Land dereinst ausgezeichnet hat, noch erhalten bleibt - glaubst Du, die Alis und Aysches, oder auch die Kevins und Jacquelines werden die Kultur dieses Landes bewahren? Und wenn man zu der Ansicht gelangt, daß sie es nicht können, nicht wollen und nicht werden, dies aber erhaltenswürdig ist, dann ist man schon vor der Geschichte gezwungen, sich dagegen zu engagieren.

Inwiefern läßt sich Kultur überhaupt messen? Verfallstheorien sind so alt, wie die Menschheit selbst. Sicher gefällt mir nicht alles, was mir vor Augen tritt, betrachte ich die bundesdeutsche Wirklichkeit bei Licht. Ob es aber eine Zeit gegeben haben mag, in der ich mich nach meinen spezifischen Vorstellungen als von lauter geistreichen, kultivierten und hochgebildeten Menschen umgeben gefühlt hätte, wage ich doch sehr zu bezweifeln.

Ajax
14.01.2009, 23:40
Ausgehend von Nietzsche pauschal Individualismus und Moderne zu verdammen, ist schon ein bißchen eigentümlich. Hast Du ihn gelesen?


Ich beziehe mich weder auf ihn, noch bin ich ein Verfechter seiner Theorien. Das waren meine eigenen Gedanken dazu. Dabei verdamme ich den Individualismus nicht komplett, aber was wir heute erleben, ist eine Entartung desselben. Das Individuum, das Ich, der Mensch wird zum Mittelpunkt der Welt erklärt, um den sich alles dreht. Dabei vergessen wir bei diesem "Menschenkult" völlig, dass wir nur ein Teil der Natur und dieses Planeten sind und dass das Ziel nicht nur sein kann, unsere Triebe zu befriedigen.



Kritik an den herrschenden Zuständen ist kein Phänomen, welches genuin aus den heutigen Verhältnissen hervorgeht. Sie wurde immer geübt. Teils aus ernsthaftem Willen, den Gang der Dinge in eine verträglicher Richtung zu lenken, teils aus unwilliger Hybris, sich der Gegenwart auf eine ihr angemessene Art und Weise anzunähern. Zu welchem Lager zählst Du Dich?

Beides stimmt gewissermaßen.

Ich glaube nämlich nicht, dass wir uns gerade auf dem richtigen Weg befinden. Die heutigen Zustände sind wirklich desaströs. Alles traditionelle, alle Werte wurden komplett ins Gegenteil verkehrt für den Siegeszug des Konsums und des Individualismus. Die Gegenwart ist völlig pervertiert. Wir merken nicht, dass wir uns langsam aber sicher selbst zugrunde richten.

Herr K.
14.01.2009, 23:51
Nein. Natürlich bestimme ich das nicht. Woher sollte ich die Legitimation dazu nehmen?
Ich fordere auch kein fremdbestimmtes Leben, aber ich bemühe mich etwas Sympathie für die Einsicht zu gewinnen, daß das Leben an höheren Dingen als dem Spaß auszurichten ist. Spaß ist nämlich kein relevantes Kriterium. Weder vor Gott noch vor der Geschichte noch vor dem eigenen Gewissen. Relevant sind für die Person - und das wird spätestens dann offensichtlich, wenn genau dies benötigt wird - die Tugend und die Güte und die Vernunft.
Und weiter muß sich die Person fragen, was ihr lieber ist : Spaß, d.h. ein hedonistische Lebensentwurf oder das Teilwerden als einzelner an einer Sache, die sie selbst unendlich übersteigt wie beispielsweise das Fortführen jenes nationalen und kulturellen Bandes, das mich mit zahllosen Generationen verbindet?
Freilich läßt sich eine Teilnahme hieran nicht erzwingen. Ich wünsche das auch gar nicht.

Der Hedonismus ist keine neuzeitliche Erfassung irdischen Sinns. Nicht, das man ihn deshalb in seiner individuellen Betrachtung anders zu bewerten hätte, gebietet es doch die Fairness, das Hoch auf die Sinnesfreude und den Genuß spätestens seit Epikur als eine der Ausrichtung menschlicher Daseinsgestaltung anzuerkennen.

Wenn wir den wirklich in einer reinen Spaßgesellschaft leben würden, muß es doch sehr wundern, daß ein nicht unerheblicher Teil der Bevölkerung zumindest einmal im Leben mit einer schweren Depression zu kämpfen hat. Ich sehe hier weniger einen Kehrseiteneffekt, als vielmehr Ausdruck der Größe, die tatsächlich konstitutiv für unsere gegenwärtige gesell. Verfaßtheit ist. Namentlich einen massiven Druck, dem letzlich kaum entsprochen werden kann. Der zu verdienende Spaß ist letzlich nur ein Gaukelprodukt, um die zermürbende Maschinerie am Laufen zu halten.

-25Grad
14.01.2009, 23:58
Inwiefern läßt sich Kultur überhaupt messen? Verfallstheorien sind so alt, wie die Menschheit selbst. Sicher gefällt mir nicht alles, was mir vor Augen tritt, betrachte ich die bundesdeutsche Wirklichkeit bei Licht. Ob es aber eine Zeit gegeben haben mag, in der ich mich nach meinen spezifischen Vorstellungen als von lauter geistreichen, kultivierten und hochgebildeten Menschen umgeben gefühlt hätte, wage ich doch sehr zu bezweifeln.Kultur läßt sich natürlich überhaupt nicht messen oder : wahrscheinlich läßt sie sich messen, aber nicht von uns.
Mir ist es nicht möglich zu begründen, warum Joseph von Eichendorffs ,,Taugenichts" kulturell höherwertiger sein soll als Charlotte Roches ,,Feuchtgebiete" (,das ich nur als Beispiel nehme und gar nicht gelesen habe ;)) oder wieso irgend ein Rapsong seinem Wert nach ,,Faust" überragt. Das ist mir wirklich nicht möglich. Trotzdem, obschon ich das nicht begründen kann, setze ich mich natürlich für das ein, wovon ich mir verspreche, daß es jene Kultur trägt und erhält, die mir höherwertiger erscheint.
Eine Verklärung der Vergangenheit ist natürlich unsinnig. Es gibt wahrscheinlich gar keine Epoche, gar keine Zeit, die man realistischerweise als gut ( im Sinne von gut ) bezeichnen kann. Diese Welt liege im Machtbereich des Bösen steht schon in der Bibel und gerade der Blick auf die Geschichte legt die Richtigkeit dieser Feststellung nahe. Der Mensch neigt zu allen denkbaren Schlechtigkeiten. Trotzdem sollte diese Feststellung nicht davon abhalten, das Mögliche auszureizen und daß es ausgereizt würde, möchte wohl niemand behaupten.
Mir ist mein eigener Kulturpessimismus selbst oft zu billig, aber nichtsdestoweniger erkenne ich keinen klaren kulturellen und weltanschaulichen Leitfaden, der den Menschen dieses Landes selbstverständlich wäre. Unabhängig davon, daß diese - man könnte das auch Freiheit nennen - kulturelle Bindungslosigkeit zu einer Aufspaltung der Gesellschaft führen wird, bezeichnet das vor allem einen große geistige Armut. Es ist gewiß zu platt zu sagen, früher haben die Leute ihren Kindern Märchen vorgelesen und heute schauen eben diese Kinder die Teletubbies, aber fraglos ist es ja desöfteren sehr wohl so. Fakt ist - ich bin leider schon sehr müde - die klassischen Milieus, wie wir sie kannten und sogar die neueren ( z.B. die Arbeiterklasse ) brechen weg, selbst das nationale Band läßt unzweifelhaft an kultureller Bedeutsamkeit nach und an die Stelle tritt bis zu diesem Zeitpunkt nichts ( für mich ist nichts erkennbar ), das diesen Raum sinnhaft und kulturell hochwertig zu füllen vermöchte und - ich sehe das wirklich nicht als pessimistisch, sondern als realistisch an - das bezeichne ich als Niedergang.

Ahab
14.01.2009, 23:58
Nein. Natürlich bestimme ich das nicht. Woher sollte ich die Legitimation dazu nehmen?
Ich fordere auch kein fremdbestimmtes Leben, aber ich bemühe mich etwas Sympathie für die Einsicht zu gewinnen, daß das Leben an höheren Dingen als dem Spaß auszurichten ist. Spaß ist nämlich kein relevantes Kriterium. Weder vor Gott noch vor der Geschichte noch vor dem eigenen Gewissen. Relevant sind für die Person - und das wird spätestens dann offensichtlich, wenn genau dies benötigt wird - die Tugend und die Güte und die Vernunft.
Und weiter muß sich die Person fragen, was ihr lieber ist : Spaß, d.h. ein hedonistische Lebensentwurf oder das Teilwerden als einzelner an einer Sache, die sie selbst unendlich übersteigt wie beispielsweise das Fortführen jenes nationalen und kulturellen Bandes, das mich mit zahllosen Generationen verbindet?
Freilich läßt sich eine Teilnahme hieran nicht erzwingen. Ich wünsche das auch gar nicht.

Und nach welchen Kriterien soll der Wandel dann festgelegt werden wenn nicht nach der simplen freiheitlich-demokratischen Grundordnung und in der Folge nach dem Willen der Mehrheit unserer Bevölkerung?

Wir haben uns in der Masse einfach durch Desinteresse dagegen entschieden.

Passt mir auch nicht an jedem Punkt und ich versuche soweit es mir möglich ist meine ganz eigene Wertigkeit zu leben, aber so läuft eben der demokratische Wandel.


Außerdem verstehe ich auch nicht wieso Spaß kein ganz persönliches Kriterium für uns sein kann... Ich hab' meinen Spaß an sozialem oder Beruflichen Erfolg oder daran mir auf Lesbenpornos einen runterzuholen.

Andere an "Kulturpflege" und der gegenseitigen sozialisation mit anderen zu dem hier so oft breitgetretenen Thema der Migration und Ähnlichem.



Außerdem finde ich diese Standpunkte so merkwürdig die das sogenannte "egozentrische Weltbild" verdammen... Wenn jeder sich ordentlich um sich selbst kümmert geht es doch allen gut, oder nicht? (Nehmen wir mal diejenigen aus, die einfach nicht dazu in der Lage sind... Ihr wisste ja: Kranke, Behinderte, etc.)

Zumindest in einem Land wie diesem.

Ahab
15.01.2009, 00:00
Oh scheiße... Ich finde die Diskusion sehr schön, es hat mich gefreut, aber in vier Stunden muss ich Geld verdienen gehen.

Lasst uns morgen weitermachen.

-25Grad
15.01.2009, 00:06
Der Hedonismus ist keine neuzeitliche Erfassung irdischen Sinns. Nicht, das man ihn deshalb in seiner individuellen Betrachtung anders zu bewerten hätte, gebietet es doch die Fairness, das Hoch auf die Sinnesfreude und den Genuß spätestens seit Epikur als eine der Ausrichtung menschlicher Daseinsgestaltung anzuerkennen.Ja, ,,das große Schwein" Epikur ist mir wohl bekannt.
Der Hedonismus ist stets ein Eingeständnis der eigenen Bedeutungslosigkeit, immer Resultat des Verlustes jedweden höheren Sinnes, welchem zuliebe man die Lust eben zurückstellt und als solcher - in meinen Augen - eine der Verfallserscheinungen.
Davon ab läßt sich damit natürlich auch kein ,,Staat" machen, was Epikur ja selbst einsah und sich in seinem Garten vergrub.
Wenn wir den wirklich in einer reinen Spaßgesellschaft leben würden, muß es doch sehr wundern, daß ein nicht unerheblicher Teil der Bevölkerung zumindest einmal im Leben mit einer schweren Depression zu kämpfen hat. Ich sehe hier weniger einen Kehrseiteneffekt, als vielmehr Ausdruck der Größe, die tatsächlich konstitutiv für unsere gegenwärtige gesell. Verfaßtheit ist. Namentlich einen massiven Druck, dem letzlich kaum entsprochen werden kann. Der zu verdienende Spaß ist letzlich nur ein Gaukelprodukt, um die zermürbende Maschinerie am Laufen zu halten.Richtig, die wirtschaftliche Dimension, meine große ( klassisch rechte ) schwache Seite.
Ich habe von Wirtschaft keine Ahnung und darum auch keine ernsthafte Meinung zu ihr, die über eine diffuse Bejahung der katholischen Soziallehre hinaus ginge und ich bitte jede Einseitigkeit von mir in dieser Richtung mit meiner Unwissenheit zu entschuldigen, die natürlich nicht zu entschuldigen ist.
Ich fürchte, ich bin Moralist - und ein Moralist ohne Ahnung von Wirtschaft, der sich über wirtschaftliche Prozesse äussert kann sich wohl nur der Lächerlichkeit preisgeben.

Herr K.
15.01.2009, 00:09
Bin auch müde und verabschiede mich bis auf weiteres aus diesem von angenehmer Diskussionsatmosphäre getragenen Strang.

@-25 Grad: Schöner Beitrag, in weiten Teilen sehe ich es ganz ähnlich. Vielleicht ziehe ich nur andere Konsequenzen aus gewissen Gegenwartserscheinungen. Kommer gerne morgen darauf zurück-

Gute Nacht zusammen.

Ajax
15.01.2009, 00:15
Der Hedonismus ist keine neuzeitliche Erfassung irdischen Sinns. Nicht, das man ihn deshalb in seiner individuellen Betrachtung anders zu bewerten hätte, gebietet es doch die Fairness, das Hoch auf die Sinnesfreude und den Genuß spätestens seit Epikur als eine der Ausrichtung menschlicher Daseinsgestaltung anzuerkennen.

Wenn wir den wirklich in einer reinen Spaßgesellschaft leben würden, muß es doch sehr wundern, daß ein nicht unerheblicher Teil der Bevölkerung zumindest einmal im Leben mit einer schweren Depression zu kämpfen hat. Ich sehe hier weniger einen Kehrseiteneffekt, als vielmehr Ausdruck der Größe, die tatsächlich konstitutiv für unsere gegenwärtige gesell. Verfaßtheit ist. Namentlich einen massiven Druck, dem letzlich kaum entsprochen werden kann. Der zu verdienende Spaß ist letzlich nur ein Gaukelprodukt, um die zermürbende Maschinerie am Laufen zu halten.

Die Spaßgesellschaft ist der Grund dafür!
Warum sonst bringen sich die meisten Menschen in den Industrienationen um? Für die meisten Menschen entsteht eben ein sinnloses Vakuum in ihrer Existenz. Wir Menschen sind eben keine Tiere, die nur leben, um sich fortzupflanzen und rein ihren Trieben gehorchen. Wir sind auch nicht zum Konsumenten geschaffen, doch gerade in dieses Korsett aus Arbeit, Konsum und nihilistisch-hedonistischem Lebensstil will man uns hineinzwängen, ob wir wollen oder nicht. Der Mensch als reiner homo oeconomicus ist die größte Fehlentwicklung der Geschichte. Wir werden reduziert auf den bloßen Konsumenten, der bitte nichts anderes tun soll, als dieses klägliche Dasein zu fristen, um die herrschende Ordnung nicht zu gefährden (das klingt jetzt ein bisschen arg nach Fight Club, aber es ist so ;)).

Salazar
15.01.2009, 00:17
Und weil alle so denken, gehen wir unter.

Wenn alle so denken, muss man hinzufügen: Zu Recht.

-25Grad
15.01.2009, 00:18
Bin auch müde und verabschiede mich bis auf weiteres aus diesem von angenehmer Diskussionsatmosphäre getragenen Strang.
(...)Ja, mir ist sowieso aufgefallen, daß in diesem Forumsbereich selten beleidigt und gepöbelt wird. Ich vermute, es liegt daran, daß hier weniger klare ideologische Gruppen mit vorgefertigten Beiträgen und Emotionen, die diese Beiträge provozieren, aufeinander treffen als viel mehr eben die sicherlich auch weltanschaulich motivierten Ergebnisse von Denkprozessen einzelner.

@ Ahab : Ich schreibe dir auch morgen.

Ajax
15.01.2009, 00:36
Wenn alle so denken, muss man hinzufügen: Zu Recht.

Ja, leider. Die Weißen sind so unsagbar dumm, dass man ihnen eigentlich nur wünschen kann unterzugehen. Aber ich weiß zum Glück, dass es nur eine vorübergehende Phase ist, hervorgerufen durch das Gutmenschenpack an den Schalthebeln der Macht.

Das goldene Zeitalter wird noch kommen!

Leila
15.01.2009, 00:47
Im Evangelium nach Matthäus steht geschrieben: „An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen. Kann man auch Trauben lesen von den Dornen oder Feigen von den Disteln?“ – Diese Sätze liebe ich inniglich.

Das Schicksal wollte es, daß ich Leila heiße. Ich selbst hätte mich Ravenna genannt, meiner Liebe zu Mosaiken wegen. Ich bin es gewohnt, die Dinge von nah und von fern zu betrachten – nur einen Augenblick bitte, ich suche soeben meine Lupe.

„[…]in der Verfügung über die Weiber[…]“ – Wer hätte es nicht erraten, daß ich mein Augenmerk gleich auf dieses Steinchen richten würde!

Meine sämtlichen Bücher befinden sich in Basel, und somit auch der acht Bände starke Briefwechsel des Philosophen Friedrich Nietzsche. Ungeachtet dessen wage ich aus dem Stegreif zu behaupten, daß er es versäumte, mit den von ihm abgöttisch verehrten Damen Lou und Cosima für Nachwuchs zu sorgen. Vielleicht wollten die beiden Süßen ihm nicht hold sein – wer weiß das schon? Oder, was auch möglich sein könnte: das niemals gedichtete und darum niemals vertonte Lied mit dem Titel: „Die Rente ist des Rentners Lust!“ begleitete ihn auf seinen Abwegen bis an sein Lebensende.

Kant würde sich – darauf könnte ich wetten – niemals in Hollywood als Tarzan bewerben. Er würde, vermute ich, seinen Lehrling Schopenhauer vorausschicken, ahnend, welche Rolle diesem im Film Planet der Affen zugewiesen würde.

-SG-
15.01.2009, 09:15
Ok.

Wir sollten also Kriege führen und in Armut leben um unsere "Art" nicht verkommen zu lassen und sie vor den Verfallsprozessen zu bewahren...



Hm... Ne... Ich bleib lieber bei meinem Playstation 3, meinem Audi, Cocktails und Mäcces am Wochenende, offenen Grenzen, Urlaub in Tunesien, MP3-Player beim joggen, Denglisch als Umgangssprache, Abkürzungen in Internetforen und Chats, Onlinespielen am Nachmittag, Fertiggerichten zum Abend und all' den anderen Dingen.


Macht ihr doch den Anfang und zieht in eine urgermanische Aussteigerkommune, in der ihr euch von Feldarbeit und Viehzucht selbst ernährt und auf die Gelegenheit wartet euer Volk durch die, durch eure entbehrungsvolle Lebensweise gewonnene Abhärtung und der daraus resultierenden Stärke gegen andere durchzusetzen.


Ich zumindest sehe darin keine Notwendigkeit und bleibe lieber bei meinem Lotterleben... Einfach weil's mehr Spaß macht.
Klar, mir macht auch dies und jenes Spaß und ich bin nicht scharf auf Krieg oder Hungerleiden.

Nur was nützt es mir denn? Wenn ich glaube, dass ab 1990 für Westeuropa das in Ewigkeit konfliktfreie Paradies auf Erden begonnen hat, dann muss ich doch ziemlich naiv sein um nicht zu sagen blöde.

Also gelange ich zur Erkenntnis, dass eine spezifische Kultur mit ihren Werten, Traditionen usw., eine funktionale Angelegenheit ist, um eine Gesellschaft effizient zu organisieren, auch in Zeiten der Krise (da diese Strukturen sich dort herausgebildet und bewährt haben).
Dass in Zeiten des Überflusses diese Kultur zerfällt muss dann in der logischen Konsequenz abzulehnen sein, denn wenn wieder schwierigere Zeiten kommen ("wenn" nicht konditional sondern temporal verstanden), dann steht dieser Haufen, der sich so erfolgreich vom Muff von 1000 Jahren befreit hat, recht hilflos da.

Und so überlebt halt evolutionär stets die Gesellschaft, welche ihre Strukturen dementsprechend aufrecht erhalten kann - und NICHT die, welche am "fortgeschrittensten", humansten, oder was auch immer ist. Diese Kurzsichtigkeit tut schon fast weh manchmal.

-SG-
15.01.2009, 09:43
Ich denke, du hast Nietzsche falsch verstanden (wohl weniger den Threadersteller).

Auch wenn es Dir sicher schwer fällt zu glauben war die Absicht dieses Stranges tatsächlich lediglich das, was da im Eröffnungsposting steht (so krass revolutionär das klingen mag), und nicht die jedem "Rechten" ja bei allen seinen Aussagen impliziten kriegslüsternen ethnischen Säuberungsfantasien.

Es geht in erster Linie darum, mal für sich selbst zu reflektieren, wo seine eigenen Einstellungen und die des Zeitgeistes herkommen - eben nicht aus einer höheren moralischen Erkenntnis des fortschrittlichen postmodernen Menschen in seiner liberal-egalitären Gütenatur, sondern vor allem aus der Sozialisierung in einer Friedens- und Überflussepoche, die zeitlich und räumlich gesehen den wenigsten zu teil geworden ist und werden wird.

-25Grad
15.01.2009, 14:51
(...) Wir haben uns in der Masse einfach durch Desinteresse dagegen entschieden.

Passt mir auch nicht an jedem Punkt und ich versuche soweit es mir möglich ist meine ganz eigene Wertigkeit zu leben, aber so läuft eben der demokratische Wandel.


Außerdem verstehe ich auch nicht wieso Spaß kein ganz persönliches Kriterium für uns sein kann... Ich hab' meinen Spaß an sozialem oder Beruflichen Erfolg oder daran mir auf Lesbenpornos einen runterzuholen.

Andere an "Kulturpflege" und der gegenseitigen sozialisation mit anderen zu dem hier so oft breitgetretenen Thema der Migration und Ähnlichem.



Außerdem finde ich diese Standpunkte so merkwürdig die das sogenannte "egozentrische Weltbild" verdammen... Wenn jeder sich ordentlich um sich selbst kümmert geht es doch allen gut, oder nicht? (Nehmen wir mal diejenigen aus, die einfach nicht dazu in der Lage sind... Ihr wisste ja: Kranke, Behinderte, etc.)

Zumindest in einem Land wie diesem.Das egozentrische Weltbild ist verwerflich, weil es genau diese Ausnahmen gibt, die es unmoralisch werden lassen. Außerdem führt es nicht zum Ziel eines erfüllten Lebens. Der Mensch hat - und das ist kein frommer Pastorenspruch - das Bedürfnis geliebt zu werden und er hat fraglos auch das Bedürfnis zu lieben. Diese Liebe äussert sich immer auch im Überschreiten desjenigen, was ich als das meinige bezeichne. Ich kann mich noch so zwanghaft bemühen, mich auf mich selbst zu reduzieren, mich in lauter Zweckbündnissen mit anderen zu sehen, aber ohne daß ich das Gefühl habe, daß ich geliebt werde, verkümmert die Seele und ich werde nicht glücklich. Liebe ist eine existenzielle Notwendigkeit.
Daß die Liebe notwendig ist, fällt mir vielleicht nicht immer auf. Nein, es fällt mir gewiß nicht immer auf. Erhalte ich ,,Bestätigung" über beruflichen oder körperlichen Erfolg, also über den reinen Spaßfaktor, so kann man gewiß eine lange Zeit ohne ein Überschreiten der Egozentrik existieren. Ein solcher Lebensentwurf ist aber falsch und zwar aus zwei Gründen : zum einen bringt das schlichtweg keine Erfüllung. Zum anderen mache ich mich damit zum Sklaven eines bestimmten Zustandes, den ich nicht beeinflussen kann. Ich kann nämlich schlichtweg nicht sicherstellen, daß ich diese Bestätigung dauerhaft erhalte. Sie ist nicht in meinen Händen, diese ganze Spaßhaftigkeit ist unendlich brüchig, darauf verwies Chanan ja zurecht. Sie ist Auswurf einer Möglichkeit, die eine historische Ausnahmesituation ist, und die sicherlich eher früher als später versiegen wird. Es werden wieder Zustände eintreten ( und sie treten ja auch ein), in denen der Mensch, und mag er vorher noch so erfolgreich gewesen sein, auf das wenige, was er wirklich hat und ist ( auch jetzt! ), reduziert wird - und wenn ich dann mich selbst begutachten muß und erkenne, ich verfüge über keine Tugend, denn diese übte ich nie aus, da ich nicht bereit war den mir nun genommenen Spaß der Tugenderlernung zu opfern und bemerke, daß niemand vorhanden ist, der mich liebt, dann bin ich als Mensch gescheitert.
Wir müssen sicherstellen, daß wir in jeder Situation gute, anständige und auch glückliche Menschen sind und dabei ist der Spaß uns nicht behilflich, weswegen er kein Kriterium ist.

marc
15.01.2009, 15:27
Wenn wir den wirklich in einer reinen Spaßgesellschaft leben würden, muß es doch sehr wundern, daß ein nicht unerheblicher Teil der Bevölkerung zumindest einmal im Leben mit einer schweren Depression zu kämpfen hat. Ich sehe hier weniger einen Kehrseiteneffekt, als vielmehr Ausdruck der Größe, die tatsächlich konstitutiv für unsere gegenwärtige gesell. Verfaßtheit ist. Namentlich einen massiven Druck, dem letzlich kaum entsprochen werden kann. Der zu verdienende Spaß ist letzlich nur ein Gaukelprodukt, um die zermürbende Maschinerie am Laufen zu halten.

Nicht, weil ich behaupten wöllte, die BRD sei doch so schlimm wie das Dritte Reich fällt mir dieser alte Naziwitz hier ein: "In der Volksgemeinschaft darf keiner hungern und frieren! Wer's doch tut, kommt ins KZ!"

Aber ich stimme dir auch zu, wenn du nicht (nur) an den Druck der Vergnügungsindustrie gedacht hast, sondern eher an ökonomischen z.B.
Wobei man das natürlich nicht unbeding trennen müsste.

Allgemein:
Ich selber kann mit Nietzsche nicht soviel anfangen.
Die "traurige Wissenschaft" Adornos ist mir näher als die "Fröhliche Wissenschaft" Nietzsches. Christus ist mir lieber als sein "Antichrist" und sein "Übermensch", der dann "jenseits von Gut und Böse" dem "Willen zur Macht" nachgibt. Aber eigentlich rede ich im Internet nicht gerne über ihn, weil er meiner Erfahrung nach der am meisten mißbrauchte Philosoph überhaupt ist.

Das sich heutige Naturalisten und Atheisten auf ihn beziehen, ist ja noch irgendwie verständlich, immerhin gehört es auch zur Geschichte der Philosohie, nur bestimmte Aspekte eines Denkers zu übernehmen und weiterzuführen; und natürlich ist meine schlagwortartige Zusammenstellung nicht völlig fair -- aber dass sich so häufig "Gutmenschen" und Rechtsextreme, Kollektivisten usw. auf ihn beziehen, löst bei mir jedesmal einen gewissen Ärger aus.

Noch ärgerlich ist eigentlich nur, wenn von berühmten Philosophen dann nur einige frauenfeindliche Randnotizen zitiert werden, mit denen man eigene Ressentiments rechtfertigen will.

Kunstgriff Nummero 30 aus Schopenhauers eristischer Dialektik:
"Das argumentum ad verecundiam [an die Ehrfurcht gerichtete Argument]. Statt der Gründe brauche man Autoritäten nach Maßgabe der Kenntnisse des Gegners."



„[…]in der Verfügung über die Weiber[…]“ – Wer hätte es nicht erraten, daß ich mein Augenmerk gleich auf dieses Steinchen richten würde!


"Daß Nietzsches Insistenz davor Halt machte und das Bild weiblicher Natur ungeprüft und unerfahren von jener Zivilisation übernahm, der er sonst so gründlich mißtraute, hat die Anstrengung seines Gedankens schließlich doch der bürgerlichen Gesellschaft unterworfen. Er verfiel dem Schwindel, "das Weib" zu sagen, wenn er von Frauen spricht. Daher allein der perfide Rat, die Peitsche nicht zu vergessen: das Weib selber ist aber Effekt der Peitsche."
Adorno - Seit ich ihn gesehen

EinDachs
15.01.2009, 20:55
Auch wenn es Dir sicher schwer fällt zu glauben war die Absicht dieses Stranges tatsächlich lediglich das, was da im Eröffnungsposting steht (so krass revolutionär das klingen mag), und nicht die jedem "Rechten" ja bei allen seinen Aussagen impliziten kriegslüsternen ethnischen Säuberungsfantasien.

Ja, okay, glaub ich dir schon.

Ich bins nur eben sehr gewohnt, dass Nietzsche immer wieder mal ein wenig aus dem Zusammenhang gerissen wird. Ist bei ihm ja nicht nur leicht möglich, sondern fast sogar unumgänglich, war seine Philosophie ja absichtlich ein wenig inkonsequent.

Humer
15.01.2009, 22:15
Über den Philiosphen Niezsche zu sprechen lasse ich lieber, da bin ich nicht kompetent genug.
Die These aber, dass wir eine am Überfluss krankende, verfaulte, sittenlose degenerierte Gesellschaft sind, zweifle ich an.
Bekanntlich leben wir in einer Ellenbogengesellschaft, einer Leistungsgesellschaft, lebenslanges Lernen ist angesagt. Die herrschende Ideologie enthält bereits die Idee ums Überleben kämpfen zu müssen, man braucht sie nicht neu zu erfinden.
Die bekannte Scheere zwischen Arm und Reich, die sich gewaltig öffnet, produziert Verlierer ohne Ende. Deshalb ist der Ruf nach einer neuen Armut um die Werte zu befördern überflüssig, die Armut ist schon im Wachsen begriffen.
Der Hedonismus in Form von Konsum schwachsinniger Medien und dem Kauf von Modeartikeln aller Art ist eine Oberflächenerscheinung. Diese sollte uns nicht darüber hinwegtäuschen, dass fast alle Menschen, wenn sie es zulassen, dass du hinter ihre Fassade schaust, wissen, dass was schief läuft. Existenzangst und Konsum schließen sich nicht aus.

Erst kommt das Fressen, dann die Moral (und die Werte). Kultur blüht nicht in Notzeiten. Ich meine, den Kampf, was ja wohl Krieg bedeutet, herbei zu sehnen um wieder sog. höhere menschliche Werte zu ermöglichen, ist erstens krank und zweitens falsch, weil jeder der an einem Krieg teilgenommen hat einem erzählt, dass dabei alle, aber auch wirklich alle Werte ihre Geltung verlieren. Ja, natürlich, die Kameradschaft im Schützengraben, hätte ich fast vergessen. Der Schützengraben aber ist von gestern, das konnte Niezsche natürlich nicht wissen, Neutronenbomben, Biowaffen usw. waren ihm auch nicht bekannt.

Herr K.
16.01.2009, 00:43
Kultur läßt sich natürlich überhaupt nicht messen oder : wahrscheinlich läßt sie sich messen, aber nicht von uns.


Hierin besteht eben mein Hauptproblem, werde ich mit Thesen eines angeblich allerorts zu bemerkenden kulturellen Niedergangs konfrontiert. Es ist nämlich kein Instrumentarium bei der Hand, welches Kultur als messbare Einheit vergleichend erfassen könnte. Überhaupt hängt vieles davon ab, wie sich der jeweilige Kulturbegriff denn ausmacht. Einen weiter gefassten Begriff zugrundlegend, könnte man die heutige Zeit auch als als eine Epoche bisher unbekannter Blüte bezeichen. Nicht, daß dies unbedingt meine Auffassung ist, möglich wäre es aber durchaus. Geringe Kindersterblichkeit, hoher medizinischer Standard, weitgefächerte Bildungsangebote, unabhängige Justiz, eine bis dato unbekannte Dauer von Frieden etc.pp. Wohl alles eine Frage des Standpunkts.

Da wir, da hilft auch ein hintersinniges Zitat Davilas nicht wirklich weiter, nur unsere, menschlich beengte Sicht auf Kultur und deren Ausprägung zu Rate ziehen können, verhaften Antworten zum Wohl und Wehe der Kultur auf Sicht im Bereich des Relativen.



Mir ist es nicht möglich zu begründen, warum Joseph von Eichendorffs ,,Taugenichts" kulturell höherwertiger sein soll als Charlotte Roches ,,Feuchtgebiete" (,das ich nur als Beispiel nehme und gar nicht gelesen habe ;)) oder wieso irgend ein Rapsong seinem Wert nach ,,Faust" überragt. Das ist mir wirklich nicht möglich. Trotzdem, obschon ich das nicht begründen kann, setze ich mich natürlich für das ein, wovon ich mir verspreche, daß es jene Kultur trägt und erhält, die mir höherwertiger erscheint.

Über den Wert von Kunstwerken entscheiden zuerst die Kritiker, nachfolgend das nicht selten von ihnen abweichende Publikum und letztendlich der nicht nur in diesem Punkt recht unbestechliche Fortgang der Zeit. Ich bin zuversichtlich, daß man sich in hundert Jahren weder an Roche, noch an Massiv wird erinnern können. Sie wird das selbe Schicksal ereilen, welches auch einigen nicht minder erfolgreichen Zeitgenossen Eichendorffs oder Goethes zuteil wurde: Berechtigtes Absinken in die Vergessenheit.

Substantielles hat Bestand, dem grellen Effekt ist in der Regel dankenswerterweise eine nur geringe Lebensdauer beschieden.




Eine Verklärung der Vergangenheit ist natürlich unsinnig. Es gibt wahrscheinlich gar keine Epoche, gar keine Zeit, die man realistischerweise als gut ( im Sinne von gut ) bezeichnen kann. Diese Welt liege im Machtbereich des Bösen steht schon in der Bibel und gerade der Blick auf die Geschichte legt die Richtigkeit dieser Feststellung nahe. Der Mensch neigt zu allen denkbaren Schlechtigkeiten. Trotzdem sollte diese Feststellung nicht davon abhalten, das Mögliche auszureizen und daß es ausgereizt würde, möchte wohl niemand behaupten.

Hier triffst Du den für mich einen ganz wesentlichen Punkt. Abzüglich einer wie auch immer gearteten Sicht der Dinge ist am Ende nur relevant, wie Du der Welt begegnest. Schmutz, Gemeinheit, Abirrung und Dummheit allerorten? Unerfreulich, aber auch Ansporn, unbedingt dagegenzuhalten, sich den eigenen Werten als würdig zu erweisen. Sind meine Möglichkeiten als Einzelner auch bis zur Machtlosigkeit begrenzt, ist es noch lange keine Grund, mich auflehnungslos zu fügen. Bevor ich die Schlechtigkeit der Welt beklage, muß ich mich dreimal mehr des mir selbst innewohnenden Übels stellen. Hier finde ich Ansatz zur Veränderung, kann ich tatsächlich eingreifen. Scheitern wird man dabei immer wieder, ebenso ist äußerst zweifelhaft, ob die eigenen Mühen sonderlich abstrahlen; man hat es aber immerhin versucht.




Mir ist mein eigener Kulturpessimismus selbst oft zu billig, aber nichtsdestoweniger erkenne ich keinen klaren kulturellen und weltanschaulichen Leitfaden, der den Menschen dieses Landes selbstverständlich wäre. Unabhängig davon, daß diese - man könnte das auch Freiheit nennen - kulturelle Bindungslosigkeit zu einer Aufspaltung der Gesellschaft führen wird, bezeichnet das vor allem einen große geistige Armut. Es ist gewiß zu platt zu sagen, früher haben die Leute ihren Kindern Märchen vorgelesen und heute schauen eben diese Kinder die Teletubbies, aber fraglos ist es ja desöfteren sehr wohl so. Fakt ist - ich bin leider schon sehr müde - die klassischen Milieus, wie wir sie kannten und sogar die neueren ( z.B. die Arbeiterklasse ) brechen weg, selbst das nationale Band läßt unzweifelhaft an kultureller Bedeutsamkeit nach und an die Stelle tritt bis zu diesem Zeitpunkt nichts ( für mich ist nichts erkennbar ), das diesen Raum sinnhaft und kulturell hochwertig zu füllen vermöchte und - ich sehe das wirklich nicht als pessimistisch, sondern als realistisch an - das bezeichne ich als Niedergang.

Ich finde mich selbst immer wieder in der Lage wieder, angesichts des für mich oft unbegreiflichen Treibens um mich herum, in einen mehr oder minder weinerlichen Kulturpessimismus zu verfallen. Verflachung, Brutalität, Entkernung, Kalkül, Ignoranz, Kälte; der Verblendungszusammenhang wie er leibt und lebt. Niederschmetternd zwar, aber irgendwie auch wohlig. Überdies auch ungerecht, oder besser selbstgerecht. Man übergeht bei solcherlei Betrachtung nämlich einerseits, daß das menschliche Dasein zu keiner Zeit ein freudiger Tanz auf blumenduftender Wiese gewesen ist, andereseits, daß es eine Menge Menschen gibt, die sich ehrenamtlich engagieren, trotz prekärer Lage für ihre Familien aufopfern, ohne Aussicht auf Erfolg lustvoll mit ihren kreativen Ideen ringen, frühmorgens meine Brötchen backen oder auch nur generös einem Fremden ein Lächeln schenken. Eben einfach versuchen, auf ihre Weise dem Leben Sinn einzuhauchen.

Pessimismus hat sein Berechtigung und ist vielfach logische Folge des Unwillens zum Selbstbeschiss. Folgt ihm als Konsequenz im Sinne eines Camus aber keine trotzig-hoffnungslose Auflehnung in Richtung einer Verbesserung der menschlichen Bedingungen, bleibt er nicht mehr als eine eitle Pose.

Herr K.
16.01.2009, 11:01
Nicht, weil ich behaupten wöllte, die BRD sei doch so schlimm wie das Dritte Reich fällt mir dieser alte Naziwitz hier ein: "In der Volksgemeinschaft darf keiner hungern und frieren! Wer's doch tut, kommt ins KZ!"

Bissl zynisch, manchmal scheint es aber so, als würde in einer funktionalistisch ausgerichteten, sich hauptsächlich über eine fragwürdige Vorstellung von Leistung definierenden Gesellschaft, diejenigen in Verwahranstalten abgeschoben, die nach Maßgabe einer nützlichkeitsfixierten Effizienz an Ausfallserscheinungen kranken. Die Kranken geben den Ton an, die Gesunden müssen flugs in der Heilanstalt repariert und wieder in die Spur gebracht werden.

Andererseits stellt sich dann ehrlicherweise die Frage, ob überhaupt noch sinnvoll von Gesellschaft und einem sie durchweg dominierenden Geist gesprochen werden kann, bietet die in diesem Forum oft scharf attackierte Pluralität doch sehr wohl Möglichkeiten der Abweichung und des Sichentziehens. Jedenfalls dann, wenn man in gewisser Weise zum Verzicht bereit ist.

Auch, ich haben den Punkt steigender seelischer Erkrankungen ja selbst in die Debatte eingeworfen, darf man nicht vergessen, daß psychisch Kranke mittlerweile eine deutlich verbesserte Behandlungslandschaft vorfinden und zumindest in abnehmendem Maße nicht mehr mit einer zusätzlich belastenden Stigmatisierung zu kämpfen haben. Enttabuisiert ist dieses Feld gewiss noch nicht, im Vergleich zu den Verhältnissen vor noch wenigen Jahrzehnten hat sich aber einiges zum Guten gewendet.



Aber ich stimme dir auch zu, wenn du nicht (nur) an den Druck der Vergnügungsindustrie gedacht hast, sondern eher an ökonomischen z.B.
Wobei man das natürlich nicht unbeding trennen müsste.

Klar, in diesem Punkt besteht Einigkeit. Ausweitung der Kampfzone eben. Nicht nur, das von einer immer machtvolleren Industrie die Hechelei nach immer noch zu überbietenden und niemals letzte Befriedigung schaffenden Spaßerlebnissen marktschreierisch angepriesen wird, bringt vor allem die Ausbreitung ökonomischer Prinzipien in die Sphäre des Privaten die Schaffung eines enormen Frustrations- und Schmerzpotentials mit sich. Konkurrenzdruck auf hier, Attraktivitätsdiktat und Verknappungsmechanismen. Die Gefahr, sich als Verlierer oder Versager wiederzufinden, dehnt sich auch auf Lebensbereiche aus, die idealerweise von anderen, romantischeren Gesichtspunkten geprägt sein sollten.

Humer
16.01.2009, 14:49
Andererseits stellt sich dann ehrlicherweise die Frage, ob überhaupt noch sinnvoll von Gesellschaft und einem sie durchweg dominierenden Geist gesprochen werden kann, bietet die in diesem Forum oft scharf attackierte Pluralität doch sehr wohl Möglichkeiten der Abweichung und des Sichentziehens. Jedenfalls dann, wenn man in gewisser Weise zum Verzicht bereit ist.
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Das sitimmt. Es gibt eine Vielzahl von möglichen und auch gelebten Lebensentwürfen, neben der konsumorientierten Hauptströmung. Gesellschaftliche Gruppen, die Verzicht für unvermeidbar halten, haben wir auch bereits. Ich meine die ökologisch orientierten Menschen, Kritiker des Wirtschaftsystems und andere. Seltsamerwese scheinen die aber das Bedürfnis nach "Kampf" unserer ehr national eingestellten Mitstreiter im Forum nicht so recht zu befriedigen. Sie stellen sogar das Feindbild Nr. 1 in der langen Liste der Feindbilder dar.

-25Grad
16.01.2009, 16:00
Hierin besteht eben mein Hauptproblem, werde ich mit Thesen eines angeblich allerorts zu bemerkenden kulturellen Niedergangs konfrontiert. Es ist nämlich kein Instrumentarium bei der Hand, welches Kultur als messbare Einheit vergleichend erfassen könnte. Überhaupt hängt vieles davon ab, wie sich der jeweilige Kulturbegriff denn ausmacht. Einen weiter gefassten Begriff zugrundlegend, könnte man die heutige Zeit auch als als eine Epoche bisher unbekannter Blüte bezeichen. Nicht, daß dies unbedingt meine Auffassung ist, möglich wäre es aber durchaus. Geringe Kindersterblichkeit, hoher medizinischer Standard, weitgefächerte Bildungsangebote, unabhängige Justiz, eine bis dato unbekannte Dauer von Frieden etc.pp. Wohl alles eine Frage des Standpunkts. (...)Zu einem Gutteil ist das natürlich eine Frage des Standpunktes. Ich würde jedoch solche Dinge wie den medizinischen Standard, Bildungsangebote, vielleicht sogar eine unabhängige Justiz und gar den Frieden eben nicht als Selbstzweck ansehen, sondern immer nur als Vorraussetzung für etwas. Sie bieten uns Möglichkeiten, die wir genauso verspielen wie nutzen, vielleicht sogar eher verspielen als nutzen können.
Und das ist eben die Frage. Nutzen wir die modernen Freiheiten und den modernen Wohlstand für etwas? Ich habe den Eindruck (!), dies geschieht schlichtweg nicht. Vielleicht bin ich auch wirklich ungerecht, und ich ordne mir unliebsame Entwicklungen einfach als Zerfall ein, und das wäre in der Tat äussert ungerecht, aber eben die Tatsache, daß in vielen Familien - so sie denn überhaupt existieren - fast gar keine Märchen oder traditionellen Sagen etc. pp vermittelt werden ( ich habe darüber keine gesicherte Kenntnis, ich verallgemeinere, ausgehend von meinem Umfeld ), keine Volkslieder, keine nennenswerte kulturelle Prägung, ist für mich Ausdruck einer kulturellen Armut, die doch zweifellos das Resultat im Wohlstand geborener Möglichkeiten ist.
Ich mache das bewusst nicht an der Religion fest, denn Religion kann man nicht verlangen. Wenn die Leute nicht religiös sein möchten, schön. Das ist eine Sache, auf die hat selbst der einzelne wohl keinen Einfluß.
Aber : es besteht doch, wenn schon keine Verpflichtung, so doch der ( eigentlich ) natürliche Drang das kulturelle Erbe zu erhalten.
Eine Wandlung in diesen Dingen ist sicherlich normal, aber ich bin mir nicht einmal sicher, ob wir eine Wandlung erleben, dergestalt daß die einen Kulturgüter durch andere ersetzt werden, sondern eher ein langsames Aufbröseln aller Bindungen - denn man ist ja heutzutage nicht gebunden, seinem Kind die traditionellen Kulturgüter nahe zu legen, da jeder die Möglichkeit besitzt sich bei Amazon oder sonstwo etwas eigenes zusammen zu stellen. Das ist natürlich Ausdruck einer Freiheit, aber einer Freiheit, die - wie ich glaube zwei fatale Folgen hat, und zwar a. daß so etwas wie ein gemeinsames Band der Regionen und der Nation, das über die Sprache hinaus ginge, nicht mehr existiert, was dann gefährlich sein kann, wenn - warum auch immer - die Solidarität dieser Gruppe verlangt ist, b. daß viele selbst gar nichts ,,zusammenstellen" und das Resultat ist dann Blödheit.

(...)
Hier triffst Du den für mich einen ganz wesentlichen Punkt. Abzüglich einer wie auch immer gearteten Sicht der Dinge ist am Ende nur relevant, wie Du der Welt begegnest. Schmutz, Gemeinheit, Abirrung und Dummheit allerorten? Unerfreulich, aber auch Ansporn, unbedingt dagegenzuhalten, sich den eigenen Werten als würdig zu erweisen. Sind meine Möglichkeiten als Einzelner auch bis zur Machtlosigkeit begrenzt, ist es noch lange keine Grund, mich auflehnungslos zu fügen. Bevor ich die Schlechtigkeit der Welt beklage, muß ich mich dreimal mehr des mir selbst innewohnenden Übels stellen. Hier finde ich Ansatz zur Veränderung, kann ich tatsächlich eingreifen. Scheitern wird man dabei immer wieder, ebenso ist äußerst zweifelhaft, ob die eigenen Mühen sonderlich abstrahlen; man hat es aber immerhin versucht.Sehr richtig, ich habe das - glaube ich - bei Seneca gelesen, der in einem Brief an seinen Freund über die Tugendlehre der Stoa sprach und zwei Aspekte fand ich besonders bemerkenswert, zum einen sagte er, daß der Mensch sich über eine schlechte Anlage, d.h. einen Hang zur Untugendhaftigkeit, nicht ärgern müsse - ja, er solle diesen Hang sogar begrüssen, weil es ihm umso mehr erlaube, sich im Kampf um die Tugend besonders auszuzeichnen. Zum anderen stellten die Stoiker den interessanten Gedanken an, daß der Mensch Gott eines voraushabe, da Gott gut sei, der Mensch aber Böses und Gutes in sich vorfinde, und zwar die Möglichkeit der Entscheidung für das Gute und das Durchhalten dieser Entscheidungen widrigsten Umständen dabei trotzend.
Solch einen Stoizismus vorausgesetzt bietet unsere Zeit natürlich herrliche Chancen.
Wer pflegt heute schon das deutsche Volkslied? Wer lernt schon regelmäßig Gedichte auswendig und liest seinen Kindern Märchern vor und vermittelt ihnen und auch sich ein Gefühl für das, was das geistige Deutschland ausmacht.
Oder bezogen auf die Religion. Heute, da ja selbst jene, die sich als katholisch verstehen, mitunter mehr diffus an eine göttliche Kraft als an die Lehre der Kirche zu glauben pflegen, ist es sicherlich ein grösseres Verdienst Katholik zu sein als, sagen wir im Mittelalter.
In diesem Sinne bietet unsere Zeit also durchaus eine riesengroße Chance und zwar der allgemeinen Unverfänglichkeit und Ungebundenheit entgegen ein gefestigter und redlicher Mensch zu sein.
Aber wir dürfen nicht ausblenden, daß das trotz allem eine Mangelsituation ist, die irrsinnige Gefahren bietet. Man muß - denke ich - auch eben auf den eigentlich zweifelsfreien Umstand verweisen, daß dort, wo eine traditionelle Kultur zusammenbricht, ein Leerraum entsteht, der früher oder später von fremden Einflüssen ausgefüllt werden wird. Ein Gemeinwesen, das nichts bewahrt, wird nicht allzu lange bestehen. Das ist keine Schwarzmalerrei, sondern ein logischer Gedankengang, dessen Richtigkeit die Geschichte bereits bestätigt hat.
Ich finde es in diesem Zusammenhang immer besonders ulkig wie die Demokratie überhöht wird, die man ja sozusagen als neue Zivilreligion einsetzen, ein ,,demokratisches Bewusstsein" schaffen möchte, das eine Gemeinsamkeit stiften soll, obschon doch klar ist, daß die Demokratie dies nicht können wird, denn unabhängig davon wie man zu ihr steht, ist sie nichts weiter als ein Mittel zum Zweck. Und wenn nicht gewusst wird, wie dieser Zweck sinnvoll zu gebrauchen ist, dann ist er sogar ohne Nutzen.
Ich finde mich selbst immer wieder in der Lage wieder, angesichts des für mich oft unbegreiflichen Treibens um mich herum, in einen mehr oder minder weinerlichen Kulturpessimismus zu verfallen. Verflachung, Brutalität, Entkernung, Kalkül, Ignoranz, Kälte; der Verblendungszusammenhang wie er leibt und lebt. Niederschmetternd zwar, aber irgendwie auch wohlig. Überdies auch ungerecht, oder besser selbstgerecht. Man übergeht bei solcherlei Betrachtung nämlich einerseits, daß das menschliche Dasein zu keiner Zeit ein freudiger Tanz auf blumenduftender Wiese gewesen ist, andereseits, daß es eine Menge Menschen gibt, die sich ehrenamtlich engagieren, trotz prekärer Lage für ihre Familien aufopfern, ohne Aussicht auf Erfolg lustvoll mit ihren kreativen Ideen ringen, frühmorgens meine Brötchen backen oder auch nur generös einem Fremden ein Lächeln schenken. Eben einfach versuchen, auf ihre Weise dem Leben Sinn einzuhauchen.

Pessimismus hat sein Berechtigung und ist vielfach logische Folge des Unwillens zum Selbstbeschiss. Folgt ihm als Konsequenz im Sinne eines Camus aber keine trotzig-hoffnungslose Auflehnung in Richtung einer Verbesserung der menschlichen Bedingungen, bleibt er nicht mehr als eine eitle Pose.Das sehe ich eins zu eins genauso. Dem Pessimismus muß etwas entwachsen, dem Ungeist des Zerfalls muß etwas engegen gesetzt werden, schon alleine damit man vor sich selbst bestehen kann. Ein Pessimismus ohne Konsequenz wird - glaube ich - recht schnell zum Zynismus und nichts ist jämmerlicher als Zynismus.

marc
16.01.2009, 22:25
Auch, ich haben den Punkt steigender seelischer Erkrankungen ja selbst in die Debatte eingeworfen, darf man nicht vergessen, daß psychisch Kranke mittlerweile eine deutlich verbesserte Behandlungslandschaft vorfinden und zumindest in abnehmendem Maße nicht mehr mit einer zusätzlich belastenden Stigmatisierung zu kämpfen haben. Enttabuisiert ist dieses Feld gewiss noch nicht, im Vergleich zu den Verhältnissen vor noch wenigen Jahrzehnten hat sich aber einiges zum Guten gewendet.

Sicher hat es in der Psychologie auch Fortschritte gegeben, wie es sie ja auch in anderen Wissenschaften gab.
Nur hat die Geschichte, denke ich, gezeigt, dass diese technischen und wissenschaftlichen Fortschritte noch keinen Wert in sich tragen. Sie sind vielmehr abhängig von dem gesellschaftlichen Rahmen, der dann ihre Anwendung bestimmt.
Ich meine: Von der Steinschleuder zur Atombombe, das war ja auch ein Fortschritt - und mit Strom z.B. kann man seinen Weihnachtsbaum beleuchten, oder einen Menschen hinrichten. Mit der Psychologie dem Menschen helfen, oder ihn subtilen Foltermethoden aussetzen.

Alles in allem wird die Psychologie, meiner Meinung nach, einfach überbewertet und sie ist zu einer Art von Religionsersatz verkommen, zu der sie einfach nicht taugt. Wir bauen ja keine Kirchen mehr, sondern Psychiatrien. Wir gehen nicht mehr zum Priester, sondern zum Therapeuten. Wir nehmen keine Hostien mehr ein, sondern Xanax -- und die angriffslustigsten Atheisten besuchen (zumindest meiner ganz persönlichen Erfahrung nach) ihren Therapeuten mit einer Regelmäßigkeit und mit einer Entschlossenheit auch, mit der meine Uroma zur Beichte ging.

Aber das wirklich existentielle Leid, das kann man mit Psychologie, denke ich, nicht lindern. Dafür braucht es wohl doch die Religion. Auch Houellebecq scheint mir jedenfalls aktueller zu sein als Camus und sein Sisyphos, den man sich als glücklichen Menschen vorstellen solle.

Der Punkt, auf den ich hinauswill, ist aber eigentlich nur der: Freud wird ja heute oft belächelt. Ein Guru sei er gewesen, der eigentlich eine Form der Hermeneutik entwickelt hätte und dann einem "szientistischen Selbsmißverständnis" erlegen sein -- aber: er hat immerhin den Zusammenhang von Neurose und Kultur betont, das Unbehangen in und das Unbehagen durch die Kultur. Davon ist die moderne Psychologie aber immer mehr abgerückt.
Psychologie heute, das ist mehr und mehr Statistik und Pharmazie. "Seelenklempner" halt.
Den Kampf darum, als positive Wissenschaft anerkannt zu werden, hat sie zu einem hohen Preis gewonnen - der Aufgabe einer normativen Ausrichtung, die über das individuelle Leiden hinausgeht und den gesellschaftlichen Rahmen ganz grundsätzlich mitbedenkt. Jetzt droht sie zu einem Handlager des gegenwärtigen Systems zu verkommen, und Menschen zu reparieren -immer öfter mit Medikamenten- damit sie anschließend dem Markt wieder zur Verfügung stehen.

Die Medikamente sind ja noch so ein Thema: "Ein Milliliter erfrischt die Gemüter."
Oder um aus dem Zarathustra zu zitieren: "Ein wenig Gift ab und zu: das macht angenehme Träume. Und viel Gift zuletzt, zu einem angenehmen Sterben."

Aber dem Buben, der dem G8-Druck nicht standhält, kann man nur kurzfristig "helfen", wenn man ihn Medikamente gibt.
Dem pickligen Mädchen mit den schiefen Zähnen kann man nur kurzfristig "helfen", indem man ihr zu Selbstwertgefühl verhilft, wenn sie danach wieder gemobbt wird in der Schule, weil sie dem Schönheitsdiktat nicht standhalten kann.
Der Behinderte akzeptiert sich auch, wird aber hinterher in der U-Bahn verprügelt.
Der Arbeitslose, der in Depression verfällt, der Angestellte, der mit der permanenten Angst vor Entlassung und HartzIV seine Wohnung verlässt, die Oma, die in einer Altenheimzelle vegetiert und nur selten von einem Zivi gewaschen wird, "wie man Bänke wäscht" - die brauchen alle etwas anderes als Therapeuten. Ich will die Psychologie nicht abwerten, aber ihr eigentlicher Handlungsrahmen ist meiner Meinung nach viel enger gefasst, als es heute ("Die Opfer werden psychologisch betreut.") suggeriert wird.

Oder um ausnahmsweise noch einmal Adorno zu zitieren: "Psychologie reicht an das Grauen nicht heran."



Klar, in diesem Punkt besteht Einigkeit. Ausweitung der Kampfzone eben. Nicht nur, das von einer immer machtvolleren Industrie die Hechelei nach immer noch zu überbietenden und niemals letzte Befriedigung schaffenden Spaßerlebnissen marktschreierisch angepriesen wird, bringt vor allem die Ausbreitung ökonomischer Prinzipien in die Sphäre des Privaten die Schaffung eines enormen Frustrations- und Schmerzpotentials mit sich. Konkurrenzdruck auch hier, Attraktivitätsdiktat und Verknappungsmechanismen. Die Gefahr, sich als Verlierer oder Versager wiederzufinden, dehnt sich auch auf Lebensbereiche aus, die idealerweise von anderen, romantischeren Gesichtspunkten geprägt sein sollten.

Gut gesprochen, gut gedacht - leider nicht von mir geschrieben. :P



Andererseits stellt sich dann ehrlicherweise die Frage, ob überhaupt noch sinnvoll von Gesellschaft und einem sie durchweg dominierenden Geist gesprochen werden kann, bietet die in diesem Forum oft scharf attackierte Pluralität doch sehr wohl Möglichkeiten der Abweichung und des Sichentziehens. Jedenfalls dann, wenn man in gewisser Weise zum Verzicht bereit ist.

Der vielgeschmähte Ratzinger hatte meiner Meinung nach nicht Unrecht, als er von einer "Diktatur des Relativismus" sprach. Und natürlich stellt sich die Frage, wie pluralistisch unsere Gesellschaft überhaupt ist, wieviel Pluralismus sie zu dulden bereit ist - wenn du dich in der Uni als Rechten outest, oder beim Stammtisch als Grünen.
"Fragmentierung" scheint mir hier treffender zu sein als "Pluralismus".

Man könnte die These aufstellen: Pluralismus bedarf des übergeordneten Konzepts. Fällt dieses weg, resultiert daraus nicht noch mehr Pluralismus, sondern stattdessen eben Fragmentierung und die "Diktatur des Relativismus".

Aber wie gesagt - nur eine Hypothese. Jetzt hab ich soviel zur Psychologie geschrieben, jetzt lass ichs erstmal. ;)

Edit: Fraglich ist auch, inwiefern du wirklich "aussteigen" kannst aus diesem System. Bei Stanislaw Lec heißt es: "Sesam öffne dich - ich möchte hinaus!"

-SG-
17.01.2009, 13:11
Hierin besteht eben mein Hauptproblem, werde ich mit Thesen eines angeblich allerorts zu bemerkenden kulturellen Niedergangs konfrontiert. Es ist nämlich kein Instrumentarium bei der Hand, welches Kultur als messbare Einheit vergleichend erfassen könnte. Überhaupt hängt vieles davon ab, wie sich der jeweilige Kulturbegriff denn ausmacht. Einen weiter gefassten Begriff zugrundlegend, könnte man die heutige Zeit auch als als eine Epoche bisher unbekannter Blüte bezeichen. Nicht, daß dies unbedingt meine Auffassung ist, möglich wäre es aber durchaus. Geringe Kindersterblichkeit, hoher medizinischer Standard, weitgefächerte Bildungsangebote, unabhängige Justiz, eine bis dato unbekannte Dauer von Frieden etc.pp. Wohl alles eine Frage des Standpunkts.


Das mit dem Messen ist so eine Sache. Man sollte zunächst nicht sagen, wozu es kein intersubjektives Messinstrument gibt, das sei nicht existent (bzw relevant). Des Weiteren kann man das natürlich schon messen, mir ist bloß niemand bekannt, der das auf heutigem wissenschaftlichen Standard macht, d.h. nicht wie Spengler u.a. einfach autoritär konstatieren, diese Kultur sei soundso und jene soundso. Generell ist es so, dass ältere Bücher ohne die statistischen und wissenschaftlichen Standards von heute meist nicht als gescheiter Beweis für etwas herangezogen werden können. Andererseits sind die heutigen empirischen Studien meist qualitativ hoffnungslos verarmt und bestehen eigentlich nur aus irgendwelchen Regressionsanalysen, die eine Aussagekraft nahe 0 haben.

Nehmen wir mal die ganzen Studien, in welchem Land die Demokratie am leistungsfähigsten sei. Da werden von den Autoren meist völlig willkürliche Indikatoren herangezogen, z.B. Wirtschaftswachstum, Wahlbeteiligung, Einkommensverteilung usw. und dann die "beste" Demokratie gemessen. Diese Analysen haben aber keinen Bezugspunkt, der irgendwie schlüssig hergeleitet ist, sondern sagen einfach: Das ist gut und das ist gut und das muss erfüllt sein.

Mein eigener Bezugspunkt, wenn ich beurteilen will, ob sich eine Kultur im "Niedergang" oder im Aufschwung oder sonstwo befindet, ist das Fortbestehen der Kultur selbst. Eine Kultur entsteht aus Laune der Natur, zufällig, und ob nun jemand deutsch spricht oder swahili, ob man diese Werte und Tugenden vertritt oder jene, da gibt es keine objektive Bewertungsskala, was "besser" sei, aber Fakt ist, dass die Menschen der jeweiligen Kultur sich an die ihrigen Merkmale (Sprache, Werte...) gewöhnt haben und die Erhaltung ihrer Identität, ihrer Lebensweise usw. als Selbstzweck kann aus keiner höheren Logik abgeleitet werden. Aber das muss als Prämisse so gesetzt werden, genauso wie ein Tierschützer, der die arktischen Eisbären erhalten will, es zur Prämisse hat, dass deren Existenz irgendein Selbstzweck darstellt, auch wenn natürlich niemand einen objektiv nachvollziehbaren Grund hat, nicht zu sagen "Scheiß auf die Eisbären (Deutschen, Japaner, ...)".

Wenn also das Fortbestehen einer Kultur als Ausgangspunkt der Untersuchung festgesetzt ist, dann können daraus auch die Ausprägungen der verschiedenen Umstände abgeleitet werden, die diesen Ausgangspunkt begünstigen oder ihn nicht begünstigen.
Bei einigen Indikatoren liegt es natürlich auf der Hand, z.B. demographische Entwicklung oder so.
Bei anderen ist es schwieriger. Meine Meinung zu z.B. Traditionen, Normen, Tugenden usw. ist, dass eine allgemein geteilte Vorstellung von ihnen das Zusammenleben effizienter, da erwartbarer, macht (gerade in Zeiten der Krise, wie Nietzsche schreibt, und eine Krise kann immer kommen), und deshalb funktional für den Kulturerhalt gesehen werden kann, während eine Fragmentierung in dieser Hinsicht höhere Transaktionskosten (wie der VWL'er sagt) im gesellschaftlichen Handeln erfordert, diffuses Vertrauen sinkt, man bekommt die Ellenbogengesellschaft, die Humer angesprochen hat (und sie fälschlicherweise als Gegenbeweis für eine kulturelle Degeneration angesehen hat), und ist v.a. in Zeiten der Krise weniger handlungsfähig.

Humer
17.01.2009, 21:27
Chanan sieht unsere Kultur im Verfall begriffen. Das kann ich nachvollziehen, das Beispiel mit den Eisbären ist überzeugend. Ich möchte statt vom Verfall lieber von stetiger Veränderung sprechen.
Klar, die Verbreitung von USA- Essen, Musik, Filmen, Sprache usw. gefällt mir auch nicht.
Eine Politik, die das Ziel hat, dieser Entwicklung entgegen zu wirken, gefällt mir noch weniger. Das ginge nur durch strikte Abschottung nach außen, die ebenfalls nicht wünschenswert ist, von den Beleiterscheinungen bei ihrer Umsetzung mal abgesehen. Ich glaube, willentlich steuern lässt sich Kultur nur bedingt.
Traditionen die tragfähig sind, werden gelebt. Traditionspflege hingegen hat was museales an sich, so wie Trachtenumzüge an Festtagen.
Kultur kostet auch Geld, womit wir wieder bei der leidigen Ökonomie wären. Gute Schulen, Musikunterricht, Leseförderung, Filmförderung hilft Kultur zu bewahren und zu entwickeln. Wertevermittlung pur kann vermutlich nicht funktionieren, schon gar nicht, wenn sie im Widerspruch zu den tatsächlich gültigen, jedoch ungeschriebenen Gesetzen stehen. Zur Zeit sind es die des totalen Marktes.

Humanisieren wir das Wirtschftsystem, dann kommen die schönen Werte auch zurück. - Das war der utopische Teil.

-SG-
19.01.2009, 16:05
Chanan sieht unsere Kultur im Verfall begriffen. Das kann ich nachvollziehen, das Beispiel mit den Eisbären ist überzeugend. Ich möchte statt vom Verfall lieber von stetiger Veränderung sprechen.
Klar, die Verbreitung von USA- Essen, Musik, Filmen, Sprache usw. gefällt mir auch nicht.
Eine Politik, die das Ziel hat, dieser Entwicklung entgegen zu wirken, gefällt mir noch weniger. Das ginge nur durch strikte Abschottung nach außen, die ebenfalls nicht wünschenswert ist, von den Beleiterscheinungen bei ihrer Umsetzung mal abgesehen. Ich glaube, willentlich steuern lässt sich Kultur nur bedingt.
Traditionen die tragfähig sind, werden gelebt. Traditionspflege hingegen hat was museales an sich, so wie Trachtenumzüge an Festtagen.
Kultur kostet auch Geld, womit wir wieder bei der leidigen Ökonomie wären. Gute Schulen, Musikunterricht, Leseförderung, Filmförderung hilft Kultur zu bewahren und zu entwickeln. Wertevermittlung pur kann vermutlich nicht funktionieren, schon gar nicht, wenn sie im Widerspruch zu den tatsächlich gültigen, jedoch ungeschriebenen Gesetzen stehen. Zur Zeit sind es die des totalen Marktes.

Humanisieren wir das Wirtschftsystem, dann kommen die schönen Werte auch zurück. - Das war der utopische Teil.

Statt Verfall Veränderung zu sagen ist natürlich ein beliebter und trickreicher Ausweg. Da alle sozialen Phänomene durch unsere Sprache konstruiert werden und kein "Ding an sich" abbilden, ist es natürlich auch eine reine Definitionssache, ob irgendwas verfällt oder nicht.
Man kann auch alle Deutschen durch Chinesen ersetzen ohne dass damit notwendig die deutsche Kultur "untergegangen" wäre - Sprache und Zeichensystem hätten sich halt "geändert", genauso wie sonstige Gepflogenheiten, Traditionen usw. aber das tun sie ja immer, nichts bleibt für immer starr und verkrustet und ewiggestrig... Das römische Imperium schließlich ist auch nicht untergegangen, die Existenz der Römer hat sich vielmehr... verändert - statt materieller Existenz ist sie halt jetzt eher ideeller Art.

Aber vernünftigerweise wird jeder anerkennen, dass es zwischen den Extremen (nichts ändert sich mehr ab Zeitpunkt X, sonst hieße dies Verfall bzw. es gibt gar keinen Verfall, wenn alle Eisbären ausgestorben sind, dann haben sie sich bloß verändert, nämlich in ihrer Zahl von X>0 nach 0, und übrigens können wir doch zu Spatzen auch Eisbären sagen oder was hindert uns daran?) einen sinnvollen Mittelwert geben muss, dass "deutsch" (oder "japanisch" oder "türkisch") keine einheitliche Merkmalansammlung mit Varianz=0 ist, aber auch keine Beliebigkeit. Und es ist müßig, objektiv abgrenzen zu wollen, was nun "deutsch" (oder "japanisch" oder "türkisch") ist und was nicht.
Fakt ist aber, dass alle Verhaltensweisen, Werte usw., die eine bestimmte Kultur kennzeichnen, eine Gesellschaft effizient organisieren, wenn jeder sie mehr oder weniger internalisiert hat, und dass dies für die einzelnen Mitglieder eine Erwartbarkeit und somit vertraute Umgebung schafft (oder "Heimat", "Patriotismus" usw., um damit den Ursprung solcher affektiver Bindungen zu erkären).
Wenn diese Dinge überhastet pluralisiert und fragmentiert werden, dann gehen sowohl Effizienz als auch Vertrautheit verloren. Der Einzelne kann dagegen aber wenig machen, da er seine Sprache, Werte usw. i.d.R. nicht selbst erfindet und prägt, sondern gesamtgesellschaftliche Phänomene sind dafür verantwortlich (deshalb sind politische Akteure gefragt). Und ja, wenn diese Phänomene identifiziert sind, dann muss man sich halt auch u.U. dagegen "abschotten", ein Schlagwort, mit dem man gern irgendetwas als total blöd und reaktionär und unfreundlich darstellt, aber so wie Kanada nicht reaktionär-isolationistisch ist, wenn es sich gegen SARS-Importe "abschotten" will, so ist es auch nicht verwerflich, sich gegen andere, in anderem Maße schädlichen Entwicklungen "abzuschotten".

Und Dein Appell an eine humanere Wirtschaft ist an dieser Stelle recht wenig fruchtbar. Zum einen war vor 100 Jahren, als die sozialen Verhältnisse, wie ich finde, doch recht ungerechter waren, die Kultur trotzdem vitaler, kohärenter, nicht zuletzt auch erfolgreicher, vgl. Deutschlands Platz 1 bei den Nobelpreisträgern. Zum anderen ist hier im Strang ja vor allem auch der heikle Zusammenhang zwischen allzuguten wirtschaftlichen Umständen und Kulturverfall angesprochen, was die schwierige Erkenntnis nahelegt, dass eine "humanere" Wirtschaft, was die Verteilung angeht, bei gleichbleibendem hohem absoluten Niveau, die Ungerechtigkeit mindern aber den kulturellen Umständen eher unzuträglich sein könnten.

Florian
19.01.2009, 16:26
Ich denke, du hast Nietzsche falsch verstanden (wohl weniger den Threadersteller).
Es durchzieht sich wie ein roter Faden durch sein philosophisches Gesamtwerk die Feststellung, dass alle Moral menschengemacht ist. Das war dazumals ein recht revolutionärer Gedanke. Auch hier denke ich, ging es ihm eher um die Entstehung von Werten, als ihr Wert an sich.

Inwieweit deckt sich Deine Deutung mit diesem spezielle Nietzsche-Zitat?

Florian
19.01.2009, 16:42
Ich finde diesen Aphorismus für Nietzsches Rassenbegriff bezeichnend:



Friedrich Nietzsche
-
Morgenröte
Gedanken über die moralischen Vorurteile
(1881)

Die Reinigung der Rasse

272.

Die Reinigung der Rasse. — Es gibt wahrscheinlich keine reinen, sondern nur reingewordene Rassen, und diese in großer Seltenheit. Das Gewöhnliche sind die gekreuzten Rassen, bei denen sich immer, neben der Disharmonie von Körperformen (zum Beispiel wenn Auge und Mund nicht zu einander stimmen), auch Disharmonien der Gewohnheiten und Wertbegriffe finden müssen. (Livingstone hörte Jemand sagen: "Gott schuf weiße und schwarze Menschen, der Teufel aber schuf die Halbrassen".) Gekreuzte Rassen sind stets zugleich auch gekreuzte Kulturen, gekreuzte Moralitäten: sie sind meistens böser, grausamer, unruhiger. Die Reinheit ist das letzte Resultat von zahllosen Anpassungen, Einsaugungen und Ausscheidungen, und der Fortschritt zur Reinheit zeigt sich darin, dass die in einer Rasse vorhandene Kraft sich immer mehr auf einzelne ausgewählte Funktionen beschränkt, während sie vordem zu viel und oft Widersprechendes zu besorgen hatte: eine solche Beschränkung wird sich immer zugleich auch wie eine Verarmung ausnehmen und will vorsichtig und zart beurteilt sein. Endlich aber, wenn der Prozess der Reinigung gelungen ist, steht alle jene Kraft, die früher bei dem Kampfe der disharmonischen Eigenschaften daraufging, dem gesamten Organismus zu Gebote: weshalb reingewordene Rassen immer auch stärker und schöner geworden sind. — Die Griechen geben uns das Muster einer reingewordenen Rasse und Kultur: und hoffentlich gelingt einmal auch eine reine europäische Rasse und Kultur.

Florian
19.01.2009, 16:48
Klar, als Mischling interpretiert man sich in gegenwärtigen Verhältnissen als ersten Schritt auf dem Weg zu einem Fernziel. Aber als genetisch harmonisierter Mensch sieht man das Ziel eben nicht in allzu weiter Ferne oder man glaubt sogar allzu große Änderungen könnten einen wieder vom Ziel fortbringen.

-jmw-
19.01.2009, 16:59
Die Griechen geben uns das Muster einer reingewordenen Rasse

Hat den Nachteil, dass es nicht stimmt.

Florian
19.01.2009, 17:08
Die Griechen geben uns das Muster einer reingewordenen Rasse

Hat den Nachteil, dass es nicht stimmt.

Wie meinst Du das?

Ich las mal, dass die Spartaner z.B. blond waren und man an ihnen deutlich die nordische Abstammung ansehen konnte. Das deckt sich mit meinem, im Vergleich zu Nietzsches, sehr viel simpleren Rassebegriff.

-jmw-
19.01.2009, 17:18
Wenn Du mit "die Spartaner" die Spartiaten meinst, mit "blond" hellhaarig einschl. mittelbraun und mit "nordisch" einen dinarid-alpiniden Trend, dann stimmt das schon. ;)

Aber mal ernsthaft: Wir haben es im alten Hellas mit Mischbevölkerungen zu tun: von nordid bis orientalid war da alles bei, in der Hauptsache aber war man wohl wie heute mediterranid.

EinDachs
19.01.2009, 20:59
Inwieweit deckt sich Deine Deutung mit diesem spezielle Nietzsche-Zitat?

Da kommt man recht schnell drauf, wenn man den Rest von "Jenseits von Gut und Böse" gelesen hat.

Florian
21.01.2009, 10:16
Da kommt man recht schnell drauf, wenn man den Rest von "Jenseits von Gut und Böse" gelesen hat.

Habe ich, aber ich komme nicht drauf. Hier geht es doch um Kulturgenese, nicht um Entstehung von Moral..

Florian
21.01.2009, 10:18
[...]
Aber mal ernsthaft: Wir haben es im alten Hellas mit Mischbevölkerungen zu tun: von nordid bis orientalid war da alles bei, in der Hauptsache aber war man wohl wie heute mediterranid.

Das spricht aber doch nicht unbedingt gegen Nietzsches Rassenbegriff.

-jmw-
21.01.2009, 19:46
Nicht unbedingt, nein.
Nur dann, wenn er mit "rein" und "Rasse" ziemlich das meinte, was man gewöhlich darunter versteht. :)

EinDachs
21.01.2009, 21:35
Habe ich, aber ich komme nicht drauf. Hier geht es doch um Kulturgenese, nicht um Entstehung von Moral..

Da sähe Nietzsche wohl nicht viel Unterschied.
"Jenseits von Gut und Böse" behandelt in erster Linie wie jede Kultur sich ihre eigene Moral schreibt. Das ist die Quintessenz des Buches.

Florian
22.01.2009, 10:02
Da sähe Nietzsche wohl nicht viel Unterschied.
"Jenseits von Gut und Böse" behandelt in erster Linie wie jede Kultur sich ihre eigene Moral schreibt. Das ist die Quintessenz des Buches.

Aber wieso hat Chanan Deiner Ansicht nach diesen Ausschnitt falsch verstanden?

Hier nochmal Dein erster Beitrag:


Ich denke, du hast Nietzsche falsch verstanden (wohl weniger den Threadersteller).
Es durchzieht sich wie ein roter Faden durch sein philosophisches Gesamtwerk die Feststellung, dass alle Moral menschengemacht ist. Das war dazumals ein recht revolutionärer Gedanke. Auch hier denke ich, ging es ihm eher um die Entstehung von Werten, als ihr Wert an sich.

(Obwohl man zweifelsohne nicht unrecht hätte, wenn man Nietzsche als Verfechter einen aristokratischen Ideals betrachtet. Es kommt in seinen Texten mehrmals überdeutlich raus. Gleichzeitig jedoch, verwirft er an anderen Stellen erbarmungslos mit jeglicher Moralvorstellung , incl. solch aristokratischen)

Und warum war das "dazumal" ein revolutionärer Gedanke?

Problematisch ist doch, dasss aus Nietzsches Gedanken für die heutige Gesellschaft keinerlei praktische Konsequenzen gefolgt sind. Es ist alles nur noch viel schlimmer geworden. Die Menschen glauben nur noch unbegründeter an irgendeine höhere, gegebene Moral. Nicht mal mehr mit Religion wird diese gerechtfertigt. Dinge, die vielleicht unfreundlich sind, wenn man sie zu bestimmten Personen sagt, wie z.B. dass man in Deutschland ein Problem mit der Zuwanderung und mit der Vermischung mit anderen Kulturkreisen hat, dass uns, den Autochthonen, daraus insgesamt nur Nachteile entstehen, werden schon fast oder tatsächlich gesetzlich verboten. Zu Nietzsches Zeit gab es da noch eine weitaus größere Gedankenfreiheit.

Bei Nietzsche wird oft nur das herausgelesen, was einem angenehm erscheint. Alles andere wird als geistig rückständig oder als Symptom seiner Krankheit abgetan.

Hier noch ein anderes Nietzschezitat, das, wie ich finde, sehr gut zu dieser Konsensdiskussion "kultivierter" Leseratten hier passt, bei der niemand dem anderen weh tun und bloß nicht prollig erscheinen will:



Gesetzt daß es wahr wäre, was jetzt jedenfalls als »Wahrheit« geglaubt wird, daß es eben der Sinn aller Kultur sei, aus dem Raubtiere »Mensch« ein zahmes und zivilisiertes Tier, ein Haustier herauszuzüchten, so müßte man unzweifelhaft alle jene Reaktions- und Ressentiment-Instinkte, mit deren Hilfe die vornehmen Geschlechter samt ihren Idealen schließlich zuschanden gemacht und überwältigt worden sind, als die eigentlichen Werkzeuge der Kultur betrachten; womit allerdings noch nicht gesagt wäre, daß deren Träger zugleich auch selber die Kultur darstellten. Vielmehr wäre das Gegenteil nicht nur wahrscheinlich – nein! es ist heute augenscheinlich! Diese Träger der niederdrückenden und vergeltungslüsternen Instinkte, die Nachkommen alles europäischen und nichteuropäischen Sklaventums, aller vorarischen Bevölkerung insonderheit – sie stellen den Rückgang der Menschheit dar! Diese »Werkzeuge der Kultur« sind eine Schande des Menschen, und eher ein Verdacht, ein Gegenargument gegen »Kultur« überhaupt!

Aus "Zur Genealogie der Moral"