marc
09.01.2009, 10:07
http://www.darwin-jahr.de/
http://img301.imageshack.us/img301/13/darwinffmue5.jpg (http://imageshack.us)
Anlässlich des Darwin-Jahres 2009 listen wir die elf populärsten Irrtümer auf.
Wer den gesamten Artikel lesen will: http://dasmagazin.ch/index.php/was-darwin-wirklich-meinte/
Erster Irrtum: Darwin ist der Vater der Evolutionstheorie
Darwin war der entscheidende Mann.Aber der erste war er nicht.
Wir feiern in diesem Jahr also gleich drei Jubiläen: 200 Jahre Evolutionstheorie (Lamarck, 1809), 200 Jahre Darwin (geboren 1809) und 150 Jahre «Die Entstehung der Arten» (Darwin, 1859).
Lamarck wird heute oft belächelt – zu Unrecht. Seine Theorie war mutig und einleuchtend. Sein Pech war, dass er auf den falschen Mechanismus setzte: auf Training. Tiere könnten ihren Körper durch «tätigen Gebrauch ihrer Organe» verbessern und diese Verbesserungen würden an die Nachkommen vererbt, glaubte Lamarck.
Charles Darwin hat Lamarcks Theorie dann entscheidend verbessert. Seine «Entstehung der Arten» enthält eigentlich ein ganzes Bündel von Theorien. Die wichtigsten sind: 1. Es gibt eine Evolution – das heisst, die Arten verändern sich. 2. Alle Arten stammen von gemeinsamen Vorfahren ab. 3. Der hauptsächliche Mechanismus der Evolution ist die natürliche Selektion.
Einzig der Mechanismus der Evolution blieb noch Jahrzehnte umstritten, was daran lag, dass im 19. Jahrhundert die Funktionsweise der Vererbung noch völlig im Dunkeln lag. Heute wissen wir: Die Giraffe kann ihren Hals noch so strecken – die Gene, die sie ihrem Kalb vererbt, werden davon unberührt bleiben.
Zweiter Irrtum: der Stärkste überlebt
Darwin sah selber ein, dass seine Wortwahl nicht so geschickt war, und benutzte statt «natürliche Selektion» später manchmal den Ausdruck «survival of the fittest». Das birgt ein weiteres Missverständnis: Das englische «fit» bedeutet «geeignet» – «survival of the fittest» also «Überleben der Geeignetsten». Die Geeignetsten können aber je nach Umweltbedingungen auch einmal die Kleinsten oder Dicksten sein.
Doch auch «Überleben der Geeignetsten» ist kein sehr glücklicher Begriff. Viele Biologen sind der Meinung, dass «Eliminierung der Ungeeigneten» den Evolutionsmechanismus treffender beschreibt: Wer mit seiner Umwelt nicht zurechtkommt, der stirbt – die anderen überleben. Häufig ist die Situation nämlich nicht so eindeutig wie bei der Giraffe während der Dürre; es gibt verschiedene gute Strategien – entsprechend vielfältig ist die Natur.
«Niemals hätten sich die Pfauen mit ihren hinderlichen Schwänzen in der Evolution entwickelt, wenn zum Überleben immer nur die ‹Besten› ausgewählt worden wären», schrieb der Evolutionsbiologe Ernst Mayr (1904–2005).
Dritter Irrtum: Es gibt keine Beweise für die Evolution
Evolution findet statt – dies ist eine Tatsache. Dass sich Arten verändern, wird heute kaum mehr jemand bestreiten. Sie verändern sich hier und jetzt: Mikroorganismen etwa werden zum Leidwesen des Menschen relativ rasch resistent, wenn man sie allzu sorglos mit Antibiotika bekämpft. Der Kabeljau ist im Atlantik infolge des starken Drucks der Fischerei deutlich kleiner und früher geschlechtsreif als noch vor wenigen Jahrzehnten. Der Heilige Pippau, ein gelber Korbblütler, hat laut einer Untersuchung in Montpellier heute auf Stadtgebiet deutlich schwerere Samen als noch vor zwölf Jahren. Hier zeigt sich exemplarisch die Wirkungsweise der natürlichen Selektion: In einer Stadt können vornehmlich schwere Samen keimen, die in der Nähe der Mutterpflanze bleiben. Die leichten, weit fliegenden Samen hingegen landen mit grosser Wahrscheinlichkeit auf dem Asphalt – sie stammen also von einem «ungeeigneten» Pflanzentypus, der auf diese Weise automatisch eliminiert wird. Auf dem Land hingegen gibt es keinen Trend zu schwereren Samen.
Auch neue Arten entstehen hier und jetzt: In den USA ist die Population der Hagebuttenfliege in Spaltung begriffen – es entsteht gerade eine neue Art, die Apfelfruchtfliege, die ihre Eier in Äpfel statt Hagebutten legt. In der Nähe von Bonn spaltet sich derzeit eine Feuersalamander-Population: Die eine Gruppe pflanzt sich in Bächen fort, die andere in stehenden Gewässern. Die genetischen Unterschiede sind bereits deutlich.
Vierter Irrtum: die Evolutionstheorie ist nur eine Theorie
Falsch an der Aussage ist jedoch das Wörtchen «nur». Eine wissenschaftliche Theorie ist keine beliebige Mutmassung, sondern, so definiert es die Nationale Wissenschaftsakademie der USA, eine «gut belegte Erklärung für einen Aspekt der Natur, die Tatsachen, Gesetzmässigkeiten, Schlussfolgerungen und überprüfte Hypothesen beinhalten kann». Das gesamte Wissen der Physik steckt in Theorien. Die Gravitationstheorie ist auch «nur» eine Theorie, aber offensichtlich halten sich die Planeten daran.
Bereits Darwin hat auf die Verwandtschaft im Bauplan der Wirbeltiere hingewiesen: «Was kann es Sonderbareres geben, als dass die Greifhand des Menschen, der Grabfuss des Maulwurfs, das Rennbein des Pferdes, die Ruderflosse der Seeschildkröte und der Flügel der Fledermaus sämtlich nach demselben Modell gebaut sind und gleiche Knochen in derselben gegenseitigen Lage enthalten?»
Ein weiterer starker Hinweis auf die gemeinsame Abstammung kommt aus der DNA-Analyse.
Fünfter Irrtum: Etwas so Kompliziertes wie das Auge kann nicht durch Zufall entstanden sein
Hinter dieser oft geäusserten Behauptung steckt die falsche Vorstellung, die Evolution sei ein rein zufälliger Prozess. Der Evolutionsmechanismus besteht jedoch aus zwei unabhängigen Stufen: Variation und Selektion. Unter Variation versteht man alle Vorgänge, die dafür sorgen, dass die Individuen genetisch verschieden sind – zum Beispiel Mutationen im Erbgut. Alle an der Variation beteiligten Prozesse geschehen rein zufällig. Bei der anschliessenden Selektion hingegen entscheidet sich im Konkurrenzkampf, welches dieser Individuen sich fortpflanzen kann und welches nicht. Wenn dieser Vorgang auch nicht rein deterministisch ist, so ist er doch keineswegs zufällig.
Der Evolutionsbiologe Ernst Mayr hat es einmal so formuliert: «Auf die alte Frage: ‹Zufall oder Notwendigkeit?› fand Darwin eine brillante Antwort: Beides trifft zu! Bei der Variation, der Entstehung von Neuem, dominiert der Zufall – bei der Selektion, wo sich entscheidet, wer überlebt, überwiegt die Notwendigkeit.»
Die Biologen verstehen den Prozess mittlerweile ziemlich genau: Das Ur-Auge bestand aus lediglich zwei Zellen und konnte nur hell und dunkel unterscheiden. Man findet es heute noch, beispielsweise bei bestimmten Ringelwurmlarven. Aus diesen einfachen Anfängen haben sich Schrittchen für Schrittchen ausgereifte Augen entwickelt. Dass jede noch so kleine Verbesserung der Sehfähigkeit einen Selektionsvorteil bedeutete, ist kaum zu bestreiten.
Sechster Irrtum: Die Zeit hat nicht gereicht
Ein berühmtes Beispiel ist der Birkenspanner – ein Schmetterling, den es in einer hellen und einer dunklen Variante gibt. Als sich im 19. Jahrhundert in Manchester wegen der Luftverschmutzung die Birken verdunkelten, hatten die dunklen Spanner plötzlich eine höhere Überlebenswahrscheinlichkeit. In nur fünfzig Jahren schnellte ihr Anteil an der ganzen Population von unter zehn auf über neunzig Prozent hoch. Genauso rasch ging es mit den dunklen Birkenspannern wieder abwärts, als sich im 20. Jahrhundert die Luft wieder verbesserte.
Computersimulationen haben gezeigt, dass die Entwicklung von einfachen Vorstufen zu einem hochdifferenzierten Linsenauge innerhalb von 500 000 Jahren möglich ist.
Siebter Irrtum: Es gibt unerklärliche Lücken bei den Fossilien
So hat ein «Intelligent Design»-Vertreter 1994 moniert, man kenne keine Übergangs-stadien zwischen den Walen und ihren an Land lebenden Vorfahren. Dann wurden jedoch innerhalb eines Jahres die fossi-len Überreste von gleich drei derartigen Mischwesen gefunden. Eines davon ist Ambulocetus («laufender Wal»), der tatsächlich aussah wie ein Wal mit Beinen und sowohl gehen als auch schwimmen konnte. Wie anders könnte man diese Erscheinung erklären als eben mit der Theorie der gemeinsamen Abstammung?
Das wohl eindrücklichste Fossil der letzten Jahre fand die Forschungsgruppe des amerikanischen Paläontologen Neil Shubin 2004 in Nordkanada: Sie stiess auf den Missing Link zwischen Meeres- und Landwirbeltieren. Der Fund beruhte gewissermassen auf einer Vorhersage. Shubin hatte vermutet, dass so ein Tier vor etwa 375 Millionen Jahren in einem urzeitlichen Fluss gelebt haben musste. Als er in entsprechendem Gestein suchte, fand er prompt Überreste eines Fisches mit Hals, Armen und Handgelenken.
Achter Irrtum: Evolution bedeutet Fortschritt
«Verwende niemals die Worte ‹höher› oder ‹niedriger› », hatte sich Darwin gemäss einer privaten Notiz einmal vorgenommen.
Oft genug läuft die Evolution rückwärts. Mehr als 99 Prozent aller Arten, die jemals existiert haben, sind ausge-storben – die meisten erwischts schon nach wenigen Millionen Jahren. Gewiss, wunderbare Augen haben sich entwickelt, doch sie verkümmern auch wieder (Maulwurf, Grottenolm). Aus mancher einst stolzen Art ist ein simpler Parasit geworden. Libellen haben schon vor 330 Millionen die Flugkunst bis zur Perfektion entwickelt, doch die vergleichsweise simplen Fliegen, die sich hundert Millionen Jahre später von ihnen abspalteten, haben ihnen dennoch den Rang abgelaufen. Unser Geruchssinn ist auf schmerzliche Weise degeneriert; mehr als die Hälfte der dafür zuständigen Gene sind funktionsunfähig – wir machen jetzt alles mit den Augen. Was muss das für ein Riechen gewesen sein, früher!
Er muss aber erstens wissen, dass gerade die besonders komplexen Arten meistens nicht sehr lange überdauern (das wird auch beim Menschen nicht anders sein).
«Nach allen vernünftigen und fairen Kriterien sind Bakterien die vorherrschende Lebensform auf der Erde – und sie sind es auch immer gewesen.»
Neunter Irrtum: Darwin war ein Sozialdarwinist
Charles Darwins Lehre ist wie kaum eine andere politisch missbraucht worden. Am übelsten trieben es die Sozialdarwinisten, welche die Selektion selber in die Hand nehmen und über angeblich «wertes» und «unwertes» menschliches Leben entscheiden wollten. Darwin deswegen aber für Hitlers Ausmerzungsprogramme verantwortlich zu machen, wäre absurd. Umgekehrt haben es viele Theoretiker geschafft, aus der Evolutionstheorie eine humanistische Lehre herauszulesen.
Darwins eigene Haltung war aus heutiger Sicht ambivalent. Niemals hat er eugenische Programme gefordert oder gar unterstützt. Doch hat er einmal sein Bedauern darüber geäussert, dass «auch die schwächeren Glieder der zivilisierten Gesellschaft ihre Art fortpflanzen». Umgekehrt hat er Zeit seines Lebens gegen die Sklaverei gekämpft («ein monströser Schandfleck auf unserer gerühmten Freiheit»). Es sei bloss eine «künstliche Grenze», schrieb Darwin, die den Menschen davon abhalte, «seine Sympathie auf alle Menschen aller Nationen und Rassen auszudehnen».
Zehnter Irrtum: Der Mensch stammt vom Affen ab
Diese Formulierung ist nicht falsch, aber seltsam. Würden wir denn auch sagen: «Der Schimpanse stammt vom Affen ab»? Biologisch gesehen, sind wir unseren nächsten Verwandten derart ähnlich, dass, wie es der Autor Jared Diamond ein-mal formulierte, «ein Zoologe von einem fremden Stern nicht zögern würde, den Menschen als dritte Schimpansenart zu klassifizieren» – neben Zwerg- und Gewöhnlichem Schimpansen.
Namhafte Forscher plädieren aus diesem Grund dafür, den Menschen in die Schimpansen-gattung Pan umzuteilen. Aus dem Homo sapiens würde dann der Pan sapiens, was ja auch nicht schlecht klingt.
Die einzige natürliche Formulierung kann daher nur lauten: «Der Mensch ist ein Affe.» Wer Mühe hat, diesen Satz über die Lippen zu bringen, der hat Darwin letztlich immer noch nicht ganz verdaut.
Elfter Irrtum: Evolution und Religion widersprechen sich
Die Evolutionstheorie kommt ohne über-natürliche Prozesse aus, und vermutlich glauben die meisten ihrer Verfechter nicht an Gott. Dennoch gibt es auch den Typus des gläubigen Evolutionsbiologen. Theodosius Dobzhansky (1900–1975) war der führende amerikanische Evolu-tionist des 20. Jahrhunderts – von ihm stammt der Satz: «Nichts in der Biologie ergibt einen Sinn, wenn man es nicht im Lichte der Evolution betrachtet.» Gleichzeitig war Dobzhansky ein tief religiöser Christ und hat jeden Abend gebetet. «Die Schöpfung», schrieb er, sei «ein an-haltender Prozess, nicht ein Ereignis einer fernen Vergangenheit.»
So sind auch längst nicht alle Vertreter der Kirchen gegen die Evolution. Schon Frederick Temple (1821–1902), der spätere Erzbischof von Canterbury, konnte in der Vorstellung eines Gottes, der eine Welt gemacht hat, die sich selber macht, etwas Wunderbares erkennen. Und sogar der Vatikan hat sich mittlerweile mit der Evolution versöhnt: «Recht verstandener Schöpfungsglaube und recht verstandene Evolutionslehre stehen sich nicht im Wege», erklärte Papst Johannes Paul II. (1920–2005)
Doch auch von der Minimalversion eines Urheber-Gottes, der das ganze Weltenspektakel wenigstens in Fahrt brachte, hat sich Darwin später distanziert: «Das Geheimnis des Anfangs aller Dinge ist für uns unlösbar; und ich für meinen Teil muss mich bescheiden, ein Agnostiker zu bleiben.»
http://img301.imageshack.us/img301/13/darwinffmue5.jpg (http://imageshack.us)
Anlässlich des Darwin-Jahres 2009 listen wir die elf populärsten Irrtümer auf.
Wer den gesamten Artikel lesen will: http://dasmagazin.ch/index.php/was-darwin-wirklich-meinte/
Erster Irrtum: Darwin ist der Vater der Evolutionstheorie
Darwin war der entscheidende Mann.Aber der erste war er nicht.
Wir feiern in diesem Jahr also gleich drei Jubiläen: 200 Jahre Evolutionstheorie (Lamarck, 1809), 200 Jahre Darwin (geboren 1809) und 150 Jahre «Die Entstehung der Arten» (Darwin, 1859).
Lamarck wird heute oft belächelt – zu Unrecht. Seine Theorie war mutig und einleuchtend. Sein Pech war, dass er auf den falschen Mechanismus setzte: auf Training. Tiere könnten ihren Körper durch «tätigen Gebrauch ihrer Organe» verbessern und diese Verbesserungen würden an die Nachkommen vererbt, glaubte Lamarck.
Charles Darwin hat Lamarcks Theorie dann entscheidend verbessert. Seine «Entstehung der Arten» enthält eigentlich ein ganzes Bündel von Theorien. Die wichtigsten sind: 1. Es gibt eine Evolution – das heisst, die Arten verändern sich. 2. Alle Arten stammen von gemeinsamen Vorfahren ab. 3. Der hauptsächliche Mechanismus der Evolution ist die natürliche Selektion.
Einzig der Mechanismus der Evolution blieb noch Jahrzehnte umstritten, was daran lag, dass im 19. Jahrhundert die Funktionsweise der Vererbung noch völlig im Dunkeln lag. Heute wissen wir: Die Giraffe kann ihren Hals noch so strecken – die Gene, die sie ihrem Kalb vererbt, werden davon unberührt bleiben.
Zweiter Irrtum: der Stärkste überlebt
Darwin sah selber ein, dass seine Wortwahl nicht so geschickt war, und benutzte statt «natürliche Selektion» später manchmal den Ausdruck «survival of the fittest». Das birgt ein weiteres Missverständnis: Das englische «fit» bedeutet «geeignet» – «survival of the fittest» also «Überleben der Geeignetsten». Die Geeignetsten können aber je nach Umweltbedingungen auch einmal die Kleinsten oder Dicksten sein.
Doch auch «Überleben der Geeignetsten» ist kein sehr glücklicher Begriff. Viele Biologen sind der Meinung, dass «Eliminierung der Ungeeigneten» den Evolutionsmechanismus treffender beschreibt: Wer mit seiner Umwelt nicht zurechtkommt, der stirbt – die anderen überleben. Häufig ist die Situation nämlich nicht so eindeutig wie bei der Giraffe während der Dürre; es gibt verschiedene gute Strategien – entsprechend vielfältig ist die Natur.
«Niemals hätten sich die Pfauen mit ihren hinderlichen Schwänzen in der Evolution entwickelt, wenn zum Überleben immer nur die ‹Besten› ausgewählt worden wären», schrieb der Evolutionsbiologe Ernst Mayr (1904–2005).
Dritter Irrtum: Es gibt keine Beweise für die Evolution
Evolution findet statt – dies ist eine Tatsache. Dass sich Arten verändern, wird heute kaum mehr jemand bestreiten. Sie verändern sich hier und jetzt: Mikroorganismen etwa werden zum Leidwesen des Menschen relativ rasch resistent, wenn man sie allzu sorglos mit Antibiotika bekämpft. Der Kabeljau ist im Atlantik infolge des starken Drucks der Fischerei deutlich kleiner und früher geschlechtsreif als noch vor wenigen Jahrzehnten. Der Heilige Pippau, ein gelber Korbblütler, hat laut einer Untersuchung in Montpellier heute auf Stadtgebiet deutlich schwerere Samen als noch vor zwölf Jahren. Hier zeigt sich exemplarisch die Wirkungsweise der natürlichen Selektion: In einer Stadt können vornehmlich schwere Samen keimen, die in der Nähe der Mutterpflanze bleiben. Die leichten, weit fliegenden Samen hingegen landen mit grosser Wahrscheinlichkeit auf dem Asphalt – sie stammen also von einem «ungeeigneten» Pflanzentypus, der auf diese Weise automatisch eliminiert wird. Auf dem Land hingegen gibt es keinen Trend zu schwereren Samen.
Auch neue Arten entstehen hier und jetzt: In den USA ist die Population der Hagebuttenfliege in Spaltung begriffen – es entsteht gerade eine neue Art, die Apfelfruchtfliege, die ihre Eier in Äpfel statt Hagebutten legt. In der Nähe von Bonn spaltet sich derzeit eine Feuersalamander-Population: Die eine Gruppe pflanzt sich in Bächen fort, die andere in stehenden Gewässern. Die genetischen Unterschiede sind bereits deutlich.
Vierter Irrtum: die Evolutionstheorie ist nur eine Theorie
Falsch an der Aussage ist jedoch das Wörtchen «nur». Eine wissenschaftliche Theorie ist keine beliebige Mutmassung, sondern, so definiert es die Nationale Wissenschaftsakademie der USA, eine «gut belegte Erklärung für einen Aspekt der Natur, die Tatsachen, Gesetzmässigkeiten, Schlussfolgerungen und überprüfte Hypothesen beinhalten kann». Das gesamte Wissen der Physik steckt in Theorien. Die Gravitationstheorie ist auch «nur» eine Theorie, aber offensichtlich halten sich die Planeten daran.
Bereits Darwin hat auf die Verwandtschaft im Bauplan der Wirbeltiere hingewiesen: «Was kann es Sonderbareres geben, als dass die Greifhand des Menschen, der Grabfuss des Maulwurfs, das Rennbein des Pferdes, die Ruderflosse der Seeschildkröte und der Flügel der Fledermaus sämtlich nach demselben Modell gebaut sind und gleiche Knochen in derselben gegenseitigen Lage enthalten?»
Ein weiterer starker Hinweis auf die gemeinsame Abstammung kommt aus der DNA-Analyse.
Fünfter Irrtum: Etwas so Kompliziertes wie das Auge kann nicht durch Zufall entstanden sein
Hinter dieser oft geäusserten Behauptung steckt die falsche Vorstellung, die Evolution sei ein rein zufälliger Prozess. Der Evolutionsmechanismus besteht jedoch aus zwei unabhängigen Stufen: Variation und Selektion. Unter Variation versteht man alle Vorgänge, die dafür sorgen, dass die Individuen genetisch verschieden sind – zum Beispiel Mutationen im Erbgut. Alle an der Variation beteiligten Prozesse geschehen rein zufällig. Bei der anschliessenden Selektion hingegen entscheidet sich im Konkurrenzkampf, welches dieser Individuen sich fortpflanzen kann und welches nicht. Wenn dieser Vorgang auch nicht rein deterministisch ist, so ist er doch keineswegs zufällig.
Der Evolutionsbiologe Ernst Mayr hat es einmal so formuliert: «Auf die alte Frage: ‹Zufall oder Notwendigkeit?› fand Darwin eine brillante Antwort: Beides trifft zu! Bei der Variation, der Entstehung von Neuem, dominiert der Zufall – bei der Selektion, wo sich entscheidet, wer überlebt, überwiegt die Notwendigkeit.»
Die Biologen verstehen den Prozess mittlerweile ziemlich genau: Das Ur-Auge bestand aus lediglich zwei Zellen und konnte nur hell und dunkel unterscheiden. Man findet es heute noch, beispielsweise bei bestimmten Ringelwurmlarven. Aus diesen einfachen Anfängen haben sich Schrittchen für Schrittchen ausgereifte Augen entwickelt. Dass jede noch so kleine Verbesserung der Sehfähigkeit einen Selektionsvorteil bedeutete, ist kaum zu bestreiten.
Sechster Irrtum: Die Zeit hat nicht gereicht
Ein berühmtes Beispiel ist der Birkenspanner – ein Schmetterling, den es in einer hellen und einer dunklen Variante gibt. Als sich im 19. Jahrhundert in Manchester wegen der Luftverschmutzung die Birken verdunkelten, hatten die dunklen Spanner plötzlich eine höhere Überlebenswahrscheinlichkeit. In nur fünfzig Jahren schnellte ihr Anteil an der ganzen Population von unter zehn auf über neunzig Prozent hoch. Genauso rasch ging es mit den dunklen Birkenspannern wieder abwärts, als sich im 20. Jahrhundert die Luft wieder verbesserte.
Computersimulationen haben gezeigt, dass die Entwicklung von einfachen Vorstufen zu einem hochdifferenzierten Linsenauge innerhalb von 500 000 Jahren möglich ist.
Siebter Irrtum: Es gibt unerklärliche Lücken bei den Fossilien
So hat ein «Intelligent Design»-Vertreter 1994 moniert, man kenne keine Übergangs-stadien zwischen den Walen und ihren an Land lebenden Vorfahren. Dann wurden jedoch innerhalb eines Jahres die fossi-len Überreste von gleich drei derartigen Mischwesen gefunden. Eines davon ist Ambulocetus («laufender Wal»), der tatsächlich aussah wie ein Wal mit Beinen und sowohl gehen als auch schwimmen konnte. Wie anders könnte man diese Erscheinung erklären als eben mit der Theorie der gemeinsamen Abstammung?
Das wohl eindrücklichste Fossil der letzten Jahre fand die Forschungsgruppe des amerikanischen Paläontologen Neil Shubin 2004 in Nordkanada: Sie stiess auf den Missing Link zwischen Meeres- und Landwirbeltieren. Der Fund beruhte gewissermassen auf einer Vorhersage. Shubin hatte vermutet, dass so ein Tier vor etwa 375 Millionen Jahren in einem urzeitlichen Fluss gelebt haben musste. Als er in entsprechendem Gestein suchte, fand er prompt Überreste eines Fisches mit Hals, Armen und Handgelenken.
Achter Irrtum: Evolution bedeutet Fortschritt
«Verwende niemals die Worte ‹höher› oder ‹niedriger› », hatte sich Darwin gemäss einer privaten Notiz einmal vorgenommen.
Oft genug läuft die Evolution rückwärts. Mehr als 99 Prozent aller Arten, die jemals existiert haben, sind ausge-storben – die meisten erwischts schon nach wenigen Millionen Jahren. Gewiss, wunderbare Augen haben sich entwickelt, doch sie verkümmern auch wieder (Maulwurf, Grottenolm). Aus mancher einst stolzen Art ist ein simpler Parasit geworden. Libellen haben schon vor 330 Millionen die Flugkunst bis zur Perfektion entwickelt, doch die vergleichsweise simplen Fliegen, die sich hundert Millionen Jahre später von ihnen abspalteten, haben ihnen dennoch den Rang abgelaufen. Unser Geruchssinn ist auf schmerzliche Weise degeneriert; mehr als die Hälfte der dafür zuständigen Gene sind funktionsunfähig – wir machen jetzt alles mit den Augen. Was muss das für ein Riechen gewesen sein, früher!
Er muss aber erstens wissen, dass gerade die besonders komplexen Arten meistens nicht sehr lange überdauern (das wird auch beim Menschen nicht anders sein).
«Nach allen vernünftigen und fairen Kriterien sind Bakterien die vorherrschende Lebensform auf der Erde – und sie sind es auch immer gewesen.»
Neunter Irrtum: Darwin war ein Sozialdarwinist
Charles Darwins Lehre ist wie kaum eine andere politisch missbraucht worden. Am übelsten trieben es die Sozialdarwinisten, welche die Selektion selber in die Hand nehmen und über angeblich «wertes» und «unwertes» menschliches Leben entscheiden wollten. Darwin deswegen aber für Hitlers Ausmerzungsprogramme verantwortlich zu machen, wäre absurd. Umgekehrt haben es viele Theoretiker geschafft, aus der Evolutionstheorie eine humanistische Lehre herauszulesen.
Darwins eigene Haltung war aus heutiger Sicht ambivalent. Niemals hat er eugenische Programme gefordert oder gar unterstützt. Doch hat er einmal sein Bedauern darüber geäussert, dass «auch die schwächeren Glieder der zivilisierten Gesellschaft ihre Art fortpflanzen». Umgekehrt hat er Zeit seines Lebens gegen die Sklaverei gekämpft («ein monströser Schandfleck auf unserer gerühmten Freiheit»). Es sei bloss eine «künstliche Grenze», schrieb Darwin, die den Menschen davon abhalte, «seine Sympathie auf alle Menschen aller Nationen und Rassen auszudehnen».
Zehnter Irrtum: Der Mensch stammt vom Affen ab
Diese Formulierung ist nicht falsch, aber seltsam. Würden wir denn auch sagen: «Der Schimpanse stammt vom Affen ab»? Biologisch gesehen, sind wir unseren nächsten Verwandten derart ähnlich, dass, wie es der Autor Jared Diamond ein-mal formulierte, «ein Zoologe von einem fremden Stern nicht zögern würde, den Menschen als dritte Schimpansenart zu klassifizieren» – neben Zwerg- und Gewöhnlichem Schimpansen.
Namhafte Forscher plädieren aus diesem Grund dafür, den Menschen in die Schimpansen-gattung Pan umzuteilen. Aus dem Homo sapiens würde dann der Pan sapiens, was ja auch nicht schlecht klingt.
Die einzige natürliche Formulierung kann daher nur lauten: «Der Mensch ist ein Affe.» Wer Mühe hat, diesen Satz über die Lippen zu bringen, der hat Darwin letztlich immer noch nicht ganz verdaut.
Elfter Irrtum: Evolution und Religion widersprechen sich
Die Evolutionstheorie kommt ohne über-natürliche Prozesse aus, und vermutlich glauben die meisten ihrer Verfechter nicht an Gott. Dennoch gibt es auch den Typus des gläubigen Evolutionsbiologen. Theodosius Dobzhansky (1900–1975) war der führende amerikanische Evolu-tionist des 20. Jahrhunderts – von ihm stammt der Satz: «Nichts in der Biologie ergibt einen Sinn, wenn man es nicht im Lichte der Evolution betrachtet.» Gleichzeitig war Dobzhansky ein tief religiöser Christ und hat jeden Abend gebetet. «Die Schöpfung», schrieb er, sei «ein an-haltender Prozess, nicht ein Ereignis einer fernen Vergangenheit.»
So sind auch längst nicht alle Vertreter der Kirchen gegen die Evolution. Schon Frederick Temple (1821–1902), der spätere Erzbischof von Canterbury, konnte in der Vorstellung eines Gottes, der eine Welt gemacht hat, die sich selber macht, etwas Wunderbares erkennen. Und sogar der Vatikan hat sich mittlerweile mit der Evolution versöhnt: «Recht verstandener Schöpfungsglaube und recht verstandene Evolutionslehre stehen sich nicht im Wege», erklärte Papst Johannes Paul II. (1920–2005)
Doch auch von der Minimalversion eines Urheber-Gottes, der das ganze Weltenspektakel wenigstens in Fahrt brachte, hat sich Darwin später distanziert: «Das Geheimnis des Anfangs aller Dinge ist für uns unlösbar; und ich für meinen Teil muss mich bescheiden, ein Agnostiker zu bleiben.»