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Vollständige Version anzeigen : Rationalität vs. Emotionalität - Beispiel Triebtäter



Klopperhorst
16.12.2008, 21:23
Der Strang über den gelynchten Kinderschänder wirft diese Frage auf. Wie weit kann man sich bei einem Sachverhalt oder Gegenstand emotional frei machen, um ihn vernünftig zu analysieren?

Zuerst ist es so, daß alles, mit dem man es zu tun hat, Emotionen hervorruft, also Willensaffekte, Gefühle, wie Behaglichkeit, Zuneigung, Angst und Abscheu ...

Auf Basis dieser emotionalen Affekte, die sich offenbar ohne das reflektierende Bewusstsein sofort einstellen, werden dann die jeweiligen Denkvorgänge, die den Gegenstand auch rational betrachten sollen, geleitet.

Man steht also bei jedem Thema gewissermaßen unter der Herrschaft eines zugrundeliegenden Gefühls. Diese geht so weit, daß man oftmals gar nicht mehr die Sichtweise anderer versteht, weil sie dem eigenen Empfinden zuwider sind und Abscheu erregen.

Ein Beispiel ist wie gesagt die Diskussion über Triebtäter:

Ich fasse folgende Denkschritte zusammen:

1. Die Tat löst Abscheu aus. Man identifiziert das geschändete Kind mit dem eigenen Kind und die Phantasie gaukelt vor, man müsste jetzt unmittelbar darauf reagieren, d.h. den Triebtäter abwehren, das eigene Kind schützen.

2. Dieser Schutz kann am Wirksamsten durch das Töten des Triebtäters erfolgen, was die logische Konsequenz für jeden sein dürfte, der ihn auf frischer Tat am eigenen Kind erwischen würde.

3. Hier trennen sich aber die Wege der Gedankensphären.

4. Der rationale Mensch gibt nun dem Intellekt Vorrang gegenüber der Emotion, welche durch die Phantasie angestachelt wurde. Er erkennt, daß es sich nicht um ein unmittelbares Verbrechen handelt, das sein eigenes Kind jetzt und hier bedroht.

5. Der emotionale Mensch beendet spätestens bei Punkt 4 jeden weiteren Gedankengang und läuft bei Erwiderung der Argumente immer im Kreis (d.h. von Punkt 1-4). Jedes Gegenargument im Sinne einer höheren Betrachtung facht wieder das durch die Phantasie geschürte Feuer in ihm, daß er jetzt unmittelbar sein Kind schützen müsste.

6. Der rationale Mensch lässt nun andere Gedanken zu, z.B. die Fragen nach der Strafe im gesellschaftlichen Sinne, das Für und Wider von Todesstrafe, Lynchjustiz und dergleichen.

7. Er steigt auf der Betrachtungsebene immer weiter hinauf und beleuchtet nun sogar seine eigenen Emotionen von Punkt 1-4. Es ist die philosophische Besonnenheit, d.h. Selbstreflektion, eingetreten.

8. Dieser Punkt ist nur etwas für jene, die sich völlig frei von der Gewalt ihrer Emotionen im Denken machen können. Sie können nun sogar die emotionalen Argumente beliebiger Diskussionsteilnehmer, ja sogar des Opfers, wie Täters zugleich nachvollziehen. Sie sind nun auf der Stufe, wo sie alles in allem erkennen, wo eine philosophische Weltsicht eingetreten ist und nicht mehr zwischen sich selbst und anderen getrennt wird.

Die letzte Ebene ist nur wirklichen Kennern vorbehalten, die nun durch die gesamtheitliche Betrachtung des ganzen Themenkomplexes in der Lage sind, die ewige Idee dahinter zu verstehen.

Laut Schopenhauer ist letztes dem Genie vorbehalten, der seinem Willen Zügel anlegen kann und zur reinen Kontemplation, d.h. zur reinen Betrachtung (ohne Willensaffekte) übergegangen ist.


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-jmw-
16.12.2008, 22:02
Gibt's solche?

borisbaran
17.12.2008, 09:32
Der Strang über den gelynchten Kinderschänder wirft diese Frage auf. Wie weit kann man sich bei einem Sachverhalt oder Gegenstand emotional frei machen, um ihn vernünftig zu analysieren?

Zuerst ist es so, daß alles, mit dem man es zu tun hat, Emotionen hervorruft, also Willensaffekte, Gefühle, wie Behaglichkeit, Zuneigung, Angst und Abscheu ...

Auf Basis dieser emotionalen Affekte, die sich offenbar ohne das reflektierende Bewusstsein sofort einstellen, werden dann die jeweiligen Denkvorgänge, die den Gegenstand auch rational betrachten sollen, geleitet.

Man steht also bei jedem Thema gewissermaßen unter der Herrschaft eines zugrundeliegenden Gefühls. Diese geht so weit, daß man oftmals gar nicht mehr die Sichtweise anderer versteht, weil sie dem eigenen Empfinden zuwider sind und Abscheu erregen.

Ein Beispiel ist wie gesagt die Diskussion über Triebtäter:

Ich fasse folgende Denkschritte zusammen:

1. Die Tat löst Abscheu aus. Man identifiziert das geschändete Kind mit dem eigenen Kind und die Phantasie gaukelt vor, man müsste jetzt unmittelbar darauf reagieren, d.h. den Triebtäter abwehren, das eigene Kind schützen.

2. Dieser Schutz kann am Wirksamsten durch das Töten des Triebtäters erfolgen, was die logische Konsequenz für jeden sein dürfte, der ihn auf frischer Tat am eigenen Kind erwischen würde.

3. Hier trennen sich aber die Wege der Gedankensphären.

4. Der rationale Mensch gibt nun dem Intellekt Vorrang gegenüber der Emotion, welche durch die Phantasie angestachelt wurde. Er erkennt, daß es sich nicht um ein unmittelbares Verbrechen handelt, das sein eigenes Kind jetzt und hier bedroht.

5. Der emotionale Mensch beendet spätestens bei Punkt 4 jeden weiteren Gedankengang und läuft bei Erwiderung der Argumente immer im Kreis (d.h. von Punkt 1-4). Jedes Gegenargument im Sinne einer höheren Betrachtung facht wieder das durch die Phantasie geschürte Feuer in ihm, daß er jetzt unmittelbar sein Kind schützen müsste.

6. Der rationale Mensch lässt nun andere Gedanken zu, z.B. die Fragen nach der Strafe im gesellschaftlichen Sinne, das Für und Wider von Todesstrafe, Lynchjustiz und dergleichen.

7. Er steigt auf der Betrachtungsebene immer weiter hinauf und beleuchtet nun sogar seine eigenen Emotionen von Punkt 1-4. Es ist die philosophische Besonnenheit, d.h. Selbstreflektion, eingetreten.

8. Dieser Punkt ist nur etwas für jene, die sich völlig frei von der Gewalt ihrer Emotionen im Denken machen können. Sie können nun sogar die emotionalen Argumente beliebiger Diskussionsteilnehmer, ja sogar des Opfers, wie Täters zugleich nachvollziehen. Sie sind nun auf der Stufe, wo sie alles in allem erkennen, wo eine philosophische Weltsicht eingetreten ist und nicht mehr zwischen sich selbst und anderen getrennt wird.

Die letzte Ebene ist nur wirklichen Kennern vorbehalten, die nun durch die gesamtheitliche Betrachtung des ganzen Themenkomplexes in der Lage sind, die ewige Idee dahinter zu verstehen.

Laut Schopenhauer ist letztes dem Genie vorbehalten, der seinem Willen Zügel anlegen kann und zur reinen Kontemplation, d.h. zur reinen Betrachtung (ohne Willensaffekte) übergegangen ist.


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Und was lernen wir daraus. Mit dem Kopf statt mit den Cojones denken, sonst löst sich die gesellschaft im Chaos auf.

Praetorianer
17.12.2008, 09:39
Völlig richtig erkannt.

Rowlf
17.12.2008, 09:59
Gut zusammengefasst

McDuff
17.12.2008, 10:07
Wenn die Gesetze konsequnt angewendet würden, bräuchte man sich keine Gedanken um Selbstjustiz zu machen. Aber solange Leute wie Riehe unrecht sprechen dürfen, wird das immer Thema bleiben.

Felidae
17.12.2008, 10:21
Gut definiert, Klopper.

-SG-
17.12.2008, 11:34
Die Frage ist, was "Rationalität" einschließt. In so einem Fall handelt es sich ja nicht um eine rein logisch-analytische Sache. Sondern sie schließt immer auch kulturelle Werte und Normen ein. Diese aber sind qua definitione irrational, da es noch niemandem gelungen ist, das Sollen durch die Logik vom Sein abzuleiten.

Gabriel
19.12.2008, 18:56
"Das Herz hat seine Gründe, die der Verstand nicht kennt" - Blaise Pascal.

Wir legen in unserer heutigen Zeit zuviel Wert auf das rationale Denken bzw. messen dem kritischen Rationalismus zuviel Wert bei, was in ein Denken mündet, das fernab jeglicher menschlicher Natur liegt. Ohne "menschlich" jetzt auf Ethik im Sinne der Humanität beziehen zu wollen, denn der Mensch wird von vielen verschiedenen Trieben und Emotionen gesteuert. Die Fixierung auf den Rationalismus ist nur selten zielführend, und dieser Sache liegen mehrere Gründe dar. Zum Einen ist der Rationalismus in der Form, wie er seit Descartes Zeit verstanden wird, eine Selbstverleugnung des Menschen im Sinne des Wunsches, sich über sich selbst stellen und dadurch eine höhere Ebene als die Ebene Mensch erreichen zu wollen. Dabei vergisst man jedoch, dass es für den Menschen als solchen keine höhere Ebene als die Ebene des Menschen geben kann. Und vermutlich auch nie geben wird, denn meist - und hier der nächste Kritikpunkt - mündet rationales Handeln und Denken in die emotionale und intuitionistische Ebene, und wenn es das tut, dann ist das Rationale wohl nicht viel mehr als der äußere Mantel um des Pudels Kern, und dieser Kern besteht aus Emotionen und Gefühlen. Anhand dieser - nennen wir es mal so - These würde sich auch eine Erklärung dafür finden lassen, warum bei Themen, wo Ethik mit rein spielt (etwa der Migration oder dem Islam), so selten ein gemeinsamer Nenner gefunden werden kann: Weil Gefühle wohl noch stärker in uns verankert sind als logische, rationale Schlüsse. Und in Hinsicht auf das obige Zitat möchte ich dies nicht als schlecht bezeichnen.

Die Gefahr des Rationalismus besteht für unsere heutige Zeit darin, dass wir durch ihn zur Bedeutungsminderung unserer Emotionen und Intuitionen beitragen und so den Verfall unserer nicht-rationalen Werte unserer Gesellschaft und Kultur herbeileiten. Die Folgen dieses Prozesses sind für mich persönlich nicht absehbar, aber irgendwann werden unseren Taten Konsequenzen folgen müssen, denn Selbstverleugnung im Sinne des Rationalismus der Neuzeit ist wider des Menschen.

Manfred_g
19.12.2008, 22:34
"Das Herz hat seine Gründe, die der Verstand nicht kennt" - Blaise Pascal.

Wir legen in unserer heutigen Zeit zuviel Wert auf das rationale Denken bzw. messen dem kritischen Rationalismus zuviel Wert bei, was in ein Denken mündet, das fernab jeglicher menschlicher Natur liegt. Ohne "menschlich" jetzt auf Ethik im Sinne der Humanität beziehen zu wollen, denn der Mensch wird von vielen verschiedenen Trieben und Emotionen gesteuert. Die Fixierung auf den Rationalismus ist nur selten zielführend, und dieser Sache liegen mehrere Gründe dar. Zum Einen ist der Rationalismus in der Form, wie er seit Descartes Zeit verstanden wird, eine Selbstverleugnung des Menschen im Sinne des Wunsches, sich über sich selbst stellen und dadurch eine höhere Ebene als die Ebene Mensch erreichen zu wollen. Dabei vergisst man jedoch, dass es für den Menschen als solchen keine höhere Ebene als die Ebene des Menschen geben kann. Und vermutlich auch nie geben wird, denn meist - und hier der nächste Kritikpunkt - mündet rationales Handeln und Denken in die emotionale und intuitionistische Ebene, und wenn es das tut, dann ist das Rationale wohl nicht viel mehr als der äußere Mantel um des Pudels Kern, und dieser Kern besteht aus Emotionen und Gefühlen. Anhand dieser - nennen wir es mal so - These würde sich auch eine Erklärung dafür finden lassen, warum bei Themen, wo Ethik mit rein spielt (etwa der Migration oder dem Islam), so selten ein gemeinsamer Nenner gefunden werden kann: Weil Gefühle wohl noch stärker in uns verankert sind als logische, rationale Schlüsse. Und in Hinsicht auf das obige Zitat möchte ich dies nicht als schlecht bezeichnen.

Die Gefahr des Rationalismus besteht für unsere heutige Zeit darin, dass wir durch ihn zur Bedeutungsminderung unserer Emotionen und Intuitionen beitragen und so den Verfall unserer nicht-rationalen Werte unserer Gesellschaft und Kultur herbeileiten. Die Folgen dieses Prozesses sind für mich persönlich nicht absehbar, aber irgendwann werden unseren Taten Konsequenzen folgen müssen, denn Selbstverleugnung im Sinne des Rationalismus der Neuzeit ist wider des Menschen.

Ich glaube, du irrst dich in einem wesentlichen Punkt: Rationalität steht nicht zwingend in Widerspruch zu Emotionen. Lediglich der zur Ideologie übersteigerte Rationalismus läuft Gefahr, dies zu tun. Der rationale Mensch wird "die Wahrheit" nicht zwingend kennen, aber er wird stets versuchen, sie zu finden und anzuerkennen. Die eigenen Gefühle dabei zu verleugnen hieße aber, genau dieses nicht zu tun.
Rationalität bedeutet daher nicht, Gefühle auszublenden, sondern lediglich, sie derart zu kontrollieren, daß sie dem Erreichen eines größeren, angestrebten Zieles nicht zuwider laufen.
So sehe ich das jedenfalls.

Klopperhorst
20.12.2008, 10:33
"Das Herz hat seine Gründe, die der Verstand nicht kennt" - Blaise Pascal....
Die Gefahr des Rationalismus besteht für unsere heutige Zeit darin, dass wir durch ihn zur Bedeutungsminderung unserer Emotionen und Intuitionen beitragen und so den Verfall unserer nicht-rationalen Werte unserer Gesellschaft und Kultur herbeileiten. Die Folgen dieses Prozesses sind für mich persönlich nicht absehbar, aber irgendwann werden unseren Taten Konsequenzen folgen müssen, denn Selbstverleugnung im Sinne des Rationalismus der Neuzeit ist wider des Menschen.

Ein Zurück zum emotional primitiven Menschentier kann es aber nicht geben, ohne, daß man vor der Welt kapituliert. Und Intuition ist nur eine Ausrede für den Mangel an Erkenntnis. Das Leben als Lustgewinn, ist sicher die Hauptsache der mensch. Natur, Lust an Erkenntnis ist ja gewissermaßen auch eine Art irrationales Prinzip. Der Bau eines Werkzeuges ist Lust, weil damit Bedürfnisse befriedigt werden können. Vernunft ist an einen Willen gebunden, völlig klar. Aber die Erkenntnis darf nicht zugunsten eines primitiven, unreflektierten Willens aufgegeben werden.


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Dubidomo
21.12.2008, 14:53
Der Strang über den gelynchten Kinderschänder wirft diese Frage auf. Wie weit kann man sich bei einem Sachverhalt oder Gegenstand emotional frei machen, um ihn vernünftig zu analysieren?

Zuerst ist es so, daß alles, mit dem man es zu tun hat, Emotionen hervorruft, also Willensaffekte, Gefühle, wie Behaglichkeit, Zuneigung, Angst und Abscheu ...

Auf Basis dieser emotionalen Affekte, die sich offenbar ohne das reflektierende Bewusstsein sofort einstellen, werden dann die jeweiligen Denkvorgänge, die den Gegenstand auch rational betrachten sollen, geleitet.

Man steht also bei jedem Thema gewissermaßen unter der Herrschaft eines zugrundeliegenden Gefühls. Diese geht so weit, daß man oftmals gar nicht mehr die Sichtweise anderer versteht, weil sie dem eigenen Empfinden zuwider sind und Abscheu erregen.

Ein Beispiel ist wie gesagt die Diskussion über Triebtäter:

Ich fasse folgende Denkschritte zusammen:

1. Die Tat löst Abscheu aus. Man identifiziert das geschändete Kind mit dem eigenen Kind und die Phantasie gaukelt vor, man müsste jetzt unmittelbar darauf reagieren, d.h. den Triebtäter abwehren, das eigene Kind schützen.

2. Dieser Schutz kann am Wirksamsten durch das Töten des Triebtäters erfolgen, was die logische Konsequenz für jeden sein dürfte, der ihn auf frischer Tat am eigenen Kind erwischen würde.

3. Hier trennen sich aber die Wege der Gedankensphären.

4. Der rationale Mensch gibt nun dem Intellekt Vorrang gegenüber der Emotion, welche durch die Phantasie angestachelt wurde. Er erkennt, daß es sich nicht um ein unmittelbares Verbrechen handelt, das sein eigenes Kind jetzt und hier bedroht.


Der rationale Mensch erkennt, dass mit der Tötung des einen Triebtäters die Gefahr für sein Kind nicht aus der Welt geschafft ist.
Er erkennt, dass die Verhinderung von wiss. Untersuchungen zu dieser Thematik den Tod weiterer Kinder zur Folge hat. Mitte der Siebziger beschloss der Bundesrat eine wiss. Untersuchung zu dieser Thematik. Was ist aus ihr geworden? Sie wurde nie durchgeführt. Wer hat sie verhindert? Die dafür Verantwortlichen sind die Mörder der danach ermordeten Kinder.