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Vollständige Version anzeigen : Hoax und andere Merkwürdigkeiten



bernhard44
27.11.2008, 09:49
Hier ein aktuelles Beispiel, das es bis in die "Zeit" geschafft hat:

ein Gedicht, das Kurt Tucholsky zugeordnet wurde....

wenn die Börsenkurse fallen...

Wenn die Börsenkurse fallen,
regt sich Kummer fast bei allen,
aber manche blühen auf:
Ihr Rezept heißt Leerverkauf.

Keck verhökern diese Knaben
Dinge, die sie gar nicht haben,
treten selbst den Absturz los,
den sie brauchen - echt famos!

Leichter noch bei solchen Taten
tun sie sich mit Derivaten:
Wenn Papier den Wert frisiert,
wird die Wirkung potenziert.

Wenn in Folge Banken krachen,
haben Sparer nichts zu lachen,
und die Hypothek aufs Haus
heißt, Bewohner müssen raus.

Trifft’s hingegen große Banken,
kommt die ganze Welt ins Wanken -
auch die Spekulantenbrut
zittert jetzt um Hab und Gut!

Soll man das System gefährden?
Da muß eingeschritten werden:
Der Gewinn, der bleibt privat,
die Verluste kauft der Staat.

Dazu braucht der Staat Kredite,
und das bringt erneut Profite,
hat man doch in jenem Land
die Regierung in der Hand.

Für die Zechen dieser Frechen
hat der Kleine Mann zu blechen
und - das ist das Feine ja -
nicht nur in Amerika!

Und wenn Kurse wieder steigen,
fängt von vorne an der Reigen -
ist halt Umverteilung pur,
stets in eine Richtung nur.

Aber sollten sich die Massen
das mal nimmer bieten lassen,
ist der Ausweg längst bedacht:
Dann wird bisschen Krieg gemacht.

(Dieses Gedicht soll Kurt Tucholsky schon 1930 (nach dem Börsencrash 1929) geschrieben haben. - Aber gab es zu dieser Zeit schon Begriffe wie "Leerverkauf" und "Derivat"?) - gelesen in der Westdeutschen Zeitung vom 30.10.2008



und dann das.....................:)) http://blog.kurt-woerl.de/?p=860

kotzfisch
29.11.2008, 08:59
Ja.gab es.

Der Regisseur August Everding drehte 1966 unter dem Titel "Der Schwarze Freitag" ein Dokumentarspiel über Whitney mit Curd Jürgens in der Hauptrolle.

royona
29.11.2008, 09:53
Klasse

Und den hier finde ich auch gut:

Du kannst den Bankier werfen wie Du willst,
er fällt immer auf Dein Geld.

-Tucholsky-

politisch Verfolgter
29.11.2008, 09:58
Seit wann gibts eigentlich den Begriff "Arbeitnehmer"?
Das wollte ich schon öfter mal wissen.
Isaac Newton hat sich in Südseeaktien verspekuliert.
Wie wurden damals jene genannt, die dort das Kapital erwirtschaftet haben?
Ist beim Fehlspekulanten K. Marx von "Arbeitnehmer" und von "Marktwirtschaft" die Rede?
Mir kommt das alles reichlich merkwürdig vor.
Die Arbeitsgesetzgebung ist ein einziger Hoax zur SelbstVergackeierung.

politisch Verfolgter
29.11.2008, 10:32
Wikipedia liefert:
"Arbeitnehmer sind Menschen, die im rechtlichen Rahmen eines Arbeitsverhältnisses auf Grund eines privatrechtlichen Vertrags (Arbeitsvertrag) verpflichtet sind, ihre Arbeitskraft weisungsgebunden gegen Entgelt zur Verfügung zu stellen."
Drum ists ja zentral wichtig, keine sog. "Arbeitsverhältnisse" privatrechtlicher Verträge einzugehen, also keine Verpflichtungen, seine Leistungsfähigkeit weisungsgebunden gegen Entgelt zur Verfügung zu stellen.
Selbstverständlich darf es keine Gesetze geben, die einem sowas zuweisen, auch keine derartigen Wissenschaften, Institutionen und sowas bezweckende öffentl. Mittel.
Hier liegt sicher die Wurzel des Übels.
Das ist leider nicht nur merkwürdig, es ist sogar kriminell.

Beverly
05.12.2008, 10:50
Hier ein aktuelles Beispiel, das es bis in die "Zeit" geschafft hat:

ein Gedicht, das Kurt Tucholsky zugeordnet wurde....

wenn die Börsenkurse fallen...

Wenn die Börsenkurse fallen,
regt sich Kummer fast bei allen,
aber manche blühen auf:
Ihr Rezept heißt Leerverkauf.

Keck verhökern diese Knaben
Dinge, die sie gar nicht haben,
treten selbst den Absturz los,
den sie brauchen - echt famos!

Leichter noch bei solchen Taten
tun sie sich mit Derivaten:
Wenn Papier den Wert frisiert,
wird die Wirkung potenziert.

Wenn in Folge Banken krachen,
haben Sparer nichts zu lachen,
und die Hypothek aufs Haus
heißt, Bewohner müssen raus.

Trifft’s hingegen große Banken,
kommt die ganze Welt ins Wanken -
auch die Spekulantenbrut
zittert jetzt um Hab und Gut!

Soll man das System gefährden?
Da muß eingeschritten werden:
Der Gewinn, der bleibt privat,
die Verluste kauft der Staat.

Dazu braucht der Staat Kredite,
und das bringt erneut Profite,
hat man doch in jenem Land
die Regierung in der Hand.

Für die Zechen dieser Frechen
hat der Kleine Mann zu blechen
und - das ist das Feine ja -
nicht nur in Amerika!

Und wenn Kurse wieder steigen,
fängt von vorne an der Reigen -
ist halt Umverteilung pur,
stets in eine Richtung nur.

Aber sollten sich die Massen
das mal nimmer bieten lassen,
ist der Ausweg längst bedacht:
Dann wird bisschen Krieg gemacht.

(Dieses Gedicht soll Kurt Tucholsky schon 1930 (nach dem Börsencrash 1929) geschrieben haben. - Aber gab es zu dieser Zeit schon Begriffe wie "Leerverkauf" und "Derivat"?) - gelesen in der Westdeutschen Zeitung vom 30.10.2008



und dann das.....................:)) http://blog.kurt-woerl.de/?p=860

Die Finanzkrise war schon Satire vom Feinsten. Jetzt kommt die Satire zur Satire, also Satire^2. Spätestens wenn die Erben Tucholskys Tantiemen für das Gedicht oder die Verwendung des Namens Kurt Tucholsky verlangen, haben wir die Satire im Kubik, also Satire^3.

Beverly
05.12.2008, 10:54
Ja.gab es.

Der Regisseur August Everding drehte 1966 unter dem Titel "Der Schwarze Freitag" ein Dokumentarspiel über Whitney mit Curd Jürgens in der Hauptrolle.

Zu Weihnachten kommt eine Neuverfilmung der "Buddenbrooks" von Thomas Mann in die Kinos. Das Epos von Aufstieg und Fall einer Lübecker Kaufmannsfamilie passt wie die Faust aufs Auge zur Finanzkrise.

Zitat:
Du kannst den Bankier werfen wie Du willst,
er fällt immer auf Dein Geld.

Zum Schluss fällt in dem Film der "Bankier" aber der Länge nach in den Dreck :)

Beverly
05.12.2008, 11:01
Man sollte auch Ephraim Kishon (http://de.wikipedia.org/wiki/Ephraim_Kishon) nicht unerwähnt lassen. Der schrieb vor dreißig Jahren eine Satire, in der die Bewohner eines Mietshauses in Elefanten investieren. Richtig, Elefangen waren damals an der Börse angesagt :) ! Das ging aber nur so lange gut, bis die Kurse fielen und die Elefanten mit ihnen und das Haus und seine Bewohner unter sich begruben.

marc
05.12.2008, 17:47
So klingt Tucholsky: :D


Kurzer Abriß der Nationalökonomie

Nationalökonomie ist, wenn die Leute sich wundern, warum sie kein Geld haben. Das hat mehrere Gründe, die feinsten sind die wissenschaftlichen Gründe, doch können solche durch eine Notverordnung aufgehoben werden.

Über die ältere Nationalökonomie kann man ja nur lachen und dürfen wir selbe daher mit Stillschweigen übergehn. Sie regierte von 715 vor Christo bis zum Jahre 1 nach Marx. Seitdem ist die Frage völlig gelöst: die Leute haben zwar immer noch kein Geld, wissen aber wenigstens, warum.

Die Grundlage aller Nationalökonomie ist das sog. ›Geld‹.

Geld ist weder ein Zahlungsmittel noch ein Tauschmittel, auch ist es keine Fiktion, vor allem aber ist es kein Geld. Für Geld kann man Waren kaufen, weil es Geld ist, und es ist Geld, weil man dafür Waren kaufen kann. Doch ist diese Theorie inzwischen fallen gelassen worden. Woher das Geld kommt, ist unbekannt. Es ist eben da bzw. nicht da – meist nicht da. Das im Umlauf befindliche Papiergeld ist durch den Staat garantiert; dieses vollzieht sich derart, dass jeder Papiergeldbesitzer zur Reichsbank gehn und dort für sein Papier Gold einfordern kann. Das kann er. Die obern Staatsbankbeamten sind gesetzlich verpflichtet, Goldplomben zu tragen, die für das Papiergeld haften. Dieses nennt man Golddeckung.

Der Wohlstand eines Landes beruht auf seiner aktiven und passiven Handelsbilanz, auf seinen innern und äußern Anleihen sowie auf dem Unterschied zwischen dem Giro des Wechselagios und dem Zinsfuß der Lombardkredite; bei Regenwetter ist das umgekehrt. Jeden Morgen wird in den Staatsbanken der sog. ›Diskont‹ ausgewürfelt; es ist den Deutschen neulich gelungen, mit drei Würfeln 20 zu trudeln.

Was die Weltwirtschaft angeht, so ist sie verflochten.

Wenn die Ware den Unternehmer durch Verkauf verlassen hat, so ist sie nichts mehr wert, sondern ein Pofel, dafür hat aber der Unternehmer das Geld, welches Mehrwert genannt wird, obgleich es immer weniger wert ist. Wenn ein Unternehmer sich langweilt, dann ruft er die andern und dann bilden sie einen Trust, das heißt, sie verpflichten sich, keinesfalls mehr zu produzieren, als sie produzieren können sowie ihre Waren nicht unter Selbstkostenverdienst abzugeben. Daß der Arbeiter für seine Arbeit auch einen Lohn haben muß, ist eine Theorie, die heute allgemein fallen gelassen worden ist.

Eine wichtige Rolle im Handel spielt der Export, Export ist, wenn die andern kaufen sollen, was wir nicht kaufen können; auch ist es unpatriotisch, fremde Waren zu kaufen, daher muß das Ausland einheimische, also deutsche Waren konsumieren, weil wir sonst nicht konkurrenzfähig sind. Wenn der Export andersrum geht, heißt er Import, welches im Plural eine Zigarre ist. Weil billiger Weizen ungesund und lange nicht so bekömmlich ist wie teurer Roggen, haben wir den Schutzzoll, der den Zoll schützt sowie auch die deutsche Landwirtschaft. Die deutsche Landwirtschaft wohnt seit fünfundzwanzig Jahren am Rande des Abgrunds und fühlt sich dort ziemlich wohl. Sie ist verschuldet, weil die Schwerindustrie ihr nichts übrig läßt, und die Schwerindustrie ist nicht auf der Höhe, weil die Landwirtschaft ihr zu viel fortnimmt. Dieses nennt man den Ausgleich der Interessen. Von beiden Institutionen werden hohe Steuern gefordert, und muß der Konsument sie auch bezahlen.

Jede Wirtschaft beruht auf dem Kreditsystem, das heißt auf der irrtümlichen Annahme, der andre werde gepumptes Geld zurückzahlen. Tut er das nicht, so erfolgt eine sog. ›Stützungsaktion‹, bei der alle, bis auf den Staat, gut verdienen. Solche Pleite erkennt man daran, dass die Bevölkerung aufgefordert wird, Vertrauen zu haben. Weiter hat sie ja dann auch meist nichts mehr.

Wenn die Unternehmer alles Geld im Ausland untergebracht haben, nennt man dieses den Ernst der Lage. Geordnete Staatswesen werden mit einer solchen Lage leicht fertig; das ist bei ihnen nicht so wie in den kleinen Raubstaaten, wo Scharen von Briganten die notleidende Bevölkerung aussaugen. Auch die Aktiengesellschaften sind ein wichtiger Bestandteil der Nationalökonomie. Der Aktionär hat zweierlei wichtige Rechte: er ist der, wo das Geld gibt, und er darf bei der Generalversammlung in die Opposition gehn und etwas zu Protokoll geben, woraus sich der Vorstand einen sog. Sonnabend macht. Die Aktiengesellschaften sind für das Wirtschaftsleben unerläßlich: stellen sie doch die Vorzugsaktien und die Aufsichtsratsstellen her. Denn jede Aktiengesellschaft hat einen Aufsichtsrat, der rät, was er eigentlich beaufsichtigen soll. Die Aktiengesellschaft haftet dem Aufsichtsrat für pünktliche Zahlung der Tantiemen. Diejenigen Ausreden, in denen gesagt ist, warum die A.-G. keine Steuern bezahlen kann, werden in einer sogenannten ›Bilanz‹ zusammengestellt.

Die Wirtschaft wäre keine Wirtschaft, wenn wir die Börse nicht hätten. Die Börse dient dazu, einer Reihe aufgeregter Herren den Spielklub und das Restaurant zu ersetzen; die frommem gehn außerdem noch in die Synagoge. Die Börse sieht jeden Mittag die Weltlage an: dies richtet sich nach dem Weitblick der Bankdirektoren, welche jedoch meist nur bis zu ihrer Nasenspitze sehn, was allerdings mitunter ein weiter Weg ist. Schreien die Leute auf der Börse außergewöhnlich viel, so nennt man das: die Börse ist fest. In diesem Fall kommt – am nächsten Tage – das Publikum gelaufen und engagiert sich, nachdem bereits das Beste wegverdient ist. Ist die Börse schwach, so ist das Publikum allemal dabei. Dieses nennt man Dienst am Kunden. Die Börse erfüllt eine wirtschaftliche Funktion: ohne sie verbreiteten sich neue Witze wesentlich langsamer.

In der Wirtschaft gibt es auch noch kleinere Angestellte und Arbeiter, doch sind solche von der neuen Theorie längst fallen gelassen worden.

Zusammenfassend kann gesagt werden: die Nationalökonomie ist die Metaphysik des Pokerspielers.

Ich hoffe, Ihnen mit diesen Angaben gedient zu haben, und füge noch hinzu, dass sie so gegeben sind wie alle Waren, Verträge, Zahlungen, Wechselunterschriften und sämtliche andern Handelsverpflichtungen –: also ohne jedes Obligo.

Die Weltbühne, 15.09.1931, Nr. 37, S. 393.

http://www.textlog.de/tucholsky-nationaloekonomie.html