PDA

Vollständige Version anzeigen : Marat, was ist aus unserer Revolution geworden?



marc
05.11.2008, 00:13
http://img147.imageshack.us/img147/2190/01020134569500bf1.jpg (http://imageshack.us)

Wenn ich in Hamburg wohnen würde, dann wüsste ich, was ich mir als nächstes ansehe:


Hartz-IV-Empfänger verlesen auf der Bühne intime Details zu Superreichen - und die Kritik stürzt sich auf diesen vermeintlichen Skandal. Zu Unrecht - denn das Hamburger Verarmungs-Oratorium "Marat, was ist aus unserer Revolution geworden" ist das erste relevante Theaterereignis der neuen Zeit.

Das Theater an diesem Abend ist ausnahmsweise mal nicht der Ort fabrizierter Surrogat-Skandale und kleinbürgerlicher Provokationen, sondern ein theatralisches Labor, eine kommunikative Utopie vollendeter Gleichheit, in der alle Fragen bewegt und begutachtet und beredet werden können.

Man spricht auch über die Kunst an diesem Abend im Schauspielhaus, wo Regisseur Volker Lösch das Stück "Marat, was ist aus unserer Revolution geworden" inszeniert hat, nach der Vorlage von Peter Weiss' Revolutionsdrama "Die Verfolgung und Ermordung Jean Paul Marats, dargestellt durch die Schauspielgruppe des Hospizes zu Charenton unter Anleitung des Herrn de Sade".

Das große Versagen der Theaterkritik im Umgang mit dem Stück von Lösch bestand ja darin, dass kaum etwas über den Inhalt berichtet wurde – immer nur über den Skandal. Dass dort, von der Bühne herab, eine Liste superreicher Hamburger verlesen wurde, samt Wohnanschrift und Vermögenshöhe.

Die parteilose Hamburger Kultursenatorin Karin von Welck hatte das als "populistisch" und "billig" gescholten, hatte bekannt, die ganze Inszenierung sei ihr "zuwider" - und sich deswegen mit Schauspielhaus-Intendant Friedrich Schirmer angelegt.

Die eine spricht von ihrer Magersucht, der andere von seinem Alkoholismus, der dritte davon, wie die Erbsensuppe von Penny im vergleich mit der von Lidl abschneidet, und dass sie 15 Cent teurer wurde und wie anstrengend und karg ein Leben ist, das ständig mit Rechenarbeiten zugestellt ist.

Achim Buch spielt den Marat in der Badewanne als pathetisches Revolutionsmonster, er ist aber auch Lenin als statuarischer Agitator, er ist der bettnässende Fidel Castro, er ist der Revolutionsrudi mit seinen selbstgestrickten Pullovern und Barrikaden-Animationen. Mit anderen Worten: Buch spielt alle Facetten einer revolutionären Biografie, einer revolutionären Leidensgeschichte, ja, einer revolutionären Klamotte durch.


http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,588410,00.html

McDuff
05.11.2008, 05:46
Oje, jetzt haben die Bonzen wohl Angst, daß sich die verarmte Masse bei ihnen persönlich vorstellt.

borisbaran
05.11.2008, 09:29
Marat, was ist aus unserer Revolution geworden?
Schau mal in den Gulags nach...

Brutus
05.11.2008, 10:41
Wenn ich in Hamburg wohnen würde, dann wüsste ich, was ich mir als nächstes ansehe: http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,588410,00.html

Ich auch!
Sollte das ein erstes Zeichen sein, daß sich das Volk nicht mehr alles gefallen läßt, und sich in Gedanken schon mal darauf vorbereitet, mit seinen Ausbeutern und Peinigern abzurechnen?

Der Kritiker DER ZEIT beginnt den Schwelbrand zu riechen:

"Ganz sacht wird im Theater die Fackel der Wut an die Kostüme der »Reichen und Mächtigen« gelegt, gerade so, als habe Volker Lösch während der Regiearbeit Poes Froschhüpfer gelesen, die Geschichte von dem zähneknirschenden Hofnarren, der den König, den er unterhalten soll, mitsamt seinen Höflingen bei lebendigem Leib in Brand steckt. Und eine zähneknirschende Wut liegt in der Art, mit der Lösch seinen Armenchor in Dienst nimmt."
http://www.zeit.de/2008/45/Theaterrevolution?page=3

Trotzdem springt das Stück zu kurz. Nicht nur den Reichen gehört mit der Fackel der Wut heimgeleuchtet, sondern mehr noch den Mächtigen, sagen wir denen, die ihre Macht daraus beziehen, daß sie die Interessen des großen Geldes bedienen, den Politikern.

Vor diesem letzten und wichtigsten Schritt schreckt Peter Lösch leider zurück. Denn dann würde sich für ihn und sein Publikum in aller Schärfe die Systemfrage stellen: Ob das, was sich Demokratie alias Volkssouveränität nennt, nicht ein riesengroßer Betrug ist, und ob man die Fackel der Wut nicht eher an den vollbesetzten Reichstag legen, oder die Damen und Herren Politiker bei nächster Gelegenheit einen Kopf kürzer machen sollte, wobei selbstverständlich auch an das parlamentarische Schmarotzerpack zu denken ist, das bereits im Ruhestand lebt.

Für menschgewordenen Dreck wie Walter Scheel, der Contergan-Kiinder betrogen hat, wäre eine Exekution angemessen, die ihn schrittweise in den Zustand des Behindertseins versetzt. Auch hierfür hält Frankreich wieder schöne Anregungen bereit, etwa in Form der Hinrichtung des Attentäters Ravaillac der öffentlich gevierteilt worden ist.

Brutus
05.11.2008, 11:15
Die parteilose Hamburger Kultursenatorin Karin von Welck hatte das als "populistisch" und "billig" gescholten, hatte bekannt, die ganze Inszenierung sei ihr "zuwider" - und sich deswegen mit Schauspielhaus-Intendant Friedrich Schirmer angelegt.

Fällt Dir was auf? Ich denke, Du hast sofort bemerkt, welche Inhalte für gewöhnlich von der politico-medialen Mafia reflexartig als *populistisch* etikettiert werden. Die beim Marat-Stück gemachte Beobachtung muß man nur noch auf andere Sachverhalte übertragen...