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Vollständige Version anzeigen : Demokratietheoretische Sicht von MuKu



-SG-
23.10.2008, 10:49
Mal die "Basics" der demokratischen Lehre für diejenigen, die den Schuss noch nicht gehört haben.

1. Was ist Demokratie?
Etymologisch = Herrschaft des Volkes über sich selbst.

2. Wer ist dieses Volk?
Gemäß dem Ausspruch Ciceros nicht "jede beliebige Ansammlung von Menschen", sondern nach seit jeher vorherrschender, unstrittiger Lehre eine Ansammlung von Menschen, bei denen bestimmte Gemeinsamkeiten (Sprache, Geschichte, geogr. Lage, Kultur...) dafür sorgen, dass sie sich mit dem "Demos" identifizieren.

3. Wieso das jetzt überhaupt?
Die Begründung des Staates in der Demokratielehre, vor allem in der modernen liberalen Demokratie, erfolgt darüber, dass der Einzelne die Belange der Gesamtheit als seine eigenen Belange begreift und sich daher notfalls einer Mehrheitsenscheidung unterwirft, auch wenn sie seiner eigenen Meinung widerspricht. Nur so kann in der liberalen Demokratie gerechtfertigt werden, dass der Staat in die Belange des Einzelnen eingreift, notfalls gegen seinen Willen. Der Pluralismus der Meinungen und Weltanschauungen hat zur Basis die fundamentale Gleichheit der Zugehörigkeit zum Demos. Auf dieser Basis toleriert das Individuum, dass Mehrheiten womöglich gegen seine Ansichten sind, da er die Belange der Gesamtgesellschaft als Teil seiner eigenen Belange begreift.

4. Wie wird das garantiert?
Gar nicht. Mit den bekannten Worten des Staatsrechtlers Böckenförde beruht der moderne Verfassungsstaat auf der Grundlage dieser fundamentalen Gemeinsamkeiten, die er selbst nicht garantieren/schaffen kann. Wenn sich diese Gemeinsamkeiten auflösen, sei es durch wahnhaften Antikulturalismus der 68-er-Facon, sei es durch Pluralisierung der Gesellschaft durch Massenzuzug, hat die liberale Demokratie keine Mittel, die Voraussetzungen ihres Funktionierens wieder herzustellen.

5. Was ist die Folge daraus?
Schritt für Schritt delegitimiert sich das politische System, da Entscheidungen nicht mehr getragen werden. Wer sich nicht als Teil des Demos begreift, aus falsch verstandener Emanzipationsideologie heraus oder aufgrund der Identifikation mit einem anderen Demos (neudeutsch: Migrationshintergrund), kann auch die Entscheidungen nicht akzeptieren, die Repräsentanten in seinem Namen treffen. Umgekehrt sind auch diese Repräsentanten ohne jeden Anhaltspunkt für ein zu verwirklichendes Gemeinwohl und vertreten Partikularinteressen von Pressure Groups jeglicher Couleur. Die egozentrische Ellenbogengesellschaft ist entstanden, gleichzeitig besteht die Gefahr, dass sich größere Blöcke anhand ethnischer, kultureller oder anderer Merkmale gegeneinander abspalten.
All diese Merkmale können wir im Moment beobachten, zusammen mit der sinkenden Wahlbeteiligung als typischem Indikator.

Eine solche Gesellschaft driftet in einen Zustand hinein, in dem die mangelnden Konsensmöglichkeiten entweder zur völligen Unregierbarkeit oder aber zu einer autoritären Herrschaftsform führen müssen. Tertium non datur.

Die liberale Demokratie hat sich selbst entliberalisiert.

Als geistig umnachtet sind daher all diejenigen Psychopathen zu titulieren, die sowohl eine multikulturelle Gesellschaft als auch einen Ausbau liberaler und demokratischer Merkmale fordern. Das ist wie aus der Kuh mehr Milch herausbekommen zu wollen, indem man ihren Kopf dafür öfter mit dem Bolzenschussgerät traktiert. Aus demokratietheoretischer Sicht jedenfalls ein Wahnsinn.

-SG-
23.10.2008, 20:50
Nachtrag: Interessant in diesem Zusammenhang ist das Gerede von den "Stammtisch-Parolen".

Wer MK schwachsinnig findet vertrete diese bekanntlich, so die Einheitsmeinung in den Medien.

Aus wissenschaftlicher Perspektive stellt es sich genau andersherum dar: MK abzulehnen geht konform mit dem intersubjektiv nachvollziehbaren Stand der Wissenschaft. MK in einer Demokratie zu fordern ist dagegen üble Stammtischpolemik, null logisch durchdacht und einfach primitiv.

-jmw-
23.10.2008, 20:58
Ich schreib hier einfach mal 'n Satz rein, damit Du nicht so alleine bist. :D

-SG-
23.10.2008, 21:05
Ich schreib hier einfach mal 'n Satz rein, damit Du nicht so alleine bist. :D

Neinnein, ich sehe, dass es keine Diskussion darüber gibt, als Zeichen dafür an, dass es so klar ist, dass es keine geben muss ;)

-jmw-
23.10.2008, 21:08
Nu, gucken wir mal, wie's morgen aussieht. :)

-SG-
24.10.2008, 15:00
Nu, gucken wir mal, wie's morgen aussieht. :)

Eine Chance geb ich ihm noch :D

Ausonius
24.10.2008, 15:35
3. Wieso das jetzt überhaupt? Die Begründung des Staates in der Demokratielehre, vor allem in der modernen liberalen Demokratie, erfolgt darüber, dass der Einzelne die Belange der Gesamtheit als seine eigenen Belange begreift und sich daher notfalls einer Mehrheitsenscheidung unterwirft, auch wenn sie seiner eigenen Meinung widerspricht. Nur so kann in der liberalen Demokratie gerechtfertigt werden, dass der Staat in die Belange des Einzelnen eingreift, notfalls gegen seinen Willen. Der Pluralismus der Meinungen und Weltanschauungen hat zur Basis die fundamentale Gleichheit der Zugehörigkeit zum Demos. Auf dieser Basis toleriert das Individuum, dass Mehrheiten womöglich gegen seine Ansichten sind, da er die Belange der Gesamtgesellschaft als Teil seiner eigenen Belange begreift.

Das ist schon mal eine recht merkwürdige Demokratiesicht.

1. Die Demokratie ist die Staatsform, in der der Einzelne (wir gehen jetzt vom Durchschnittsbürger aus) überhaupt partizipieren kann.

2. Man kann durchaus Demokrat sein und nicht "die Belange der Gesamtheit als seine eigenen Belange begreifen." Deswegen lässt eine Demokratie bis zu einer gewissen Grenze (die gibts überall, machen wir uns nichts vor) Staatsfeinden die Möglichkeit, ihre Meinung zu sagen. Im übrigen ist es ja gerade nicht so, dass man in einer Demokratie die "fundamentale Gleichheit zum Demos" verspüren muss. Selbst wenn man konservative Staatszugehörigkeitsbegriffe angelegt, gibt es doch noch gewaltige individuelle Unterschiede - z.B. bin ich genauso "reindeutsch" wie Dieter Bohlen und doch verbindet mich eben kein Zusammengehörigkeitsgefühl mit ihm, hätte auch kein Problem mit seiner Ausweisung :).


4. Wie wird das garantiert?
Gar nicht. Mit den bekannten Worten des Staatsrechtlers Böckenförde beruht der moderne Verfassungsstaat auf der Grundlage dieser fundamentalen Gemeinsamkeiten, die er selbst nicht garantieren/schaffen kann. Wenn sich diese Gemeinsamkeiten auflösen, sei es durch wahnhaften Antikulturalismus der 68-er-Facon, sei es durch Pluralisierung der Gesellschaft durch Massenzuzug, hat die liberale Demokratie keine Mittel, die Voraussetzungen ihres Funktionierens wieder herzustellen.

Das Böckenförde-Diktum interpretiere ich sehr anders. Letztlich spricht er ja nur davon, dass internale gesellschaftliche Kräfte unter den Bürgern existieren müssen, um die Demokratie zu erhalten, nicht aber welche dass sind.
Stichwort Antikulturalismus: Ein gewisses Bilderstürmertum lässt sich zwar den 68ern bescheinigen. Tatsächlich aber haben sie einen kulturellen und geistigen Stillstand in Deutschland beendet. Geherrscht haben die Konservativen, aber wo waren in der Nachkriegszeit ihre Philosophen und Schriftsteller (die sie vor 1945 Feld führen konnten)? Die sog. "Gegenkultur" brachte hingegen einen reichen Fundus neuer Impulse.
Stichwort Zuzug: die Masse der Einwanderer wurde nun mal von konservativen Regierung geholt. Der Fehler besteht nicht darin, dass man sich heute um Integration bemüht, sondern darin, dass man es nicht 1965, 1975 oder 1985 getan hat.


Wer sich nicht als Teil des Demos begreift, aus falsch verstandener Emanzipationsideologie heraus oder aufgrund der Identifikation mit einem anderen Demos (neudeutsch: Migrationshintergrund), kann auch die Entscheidungen nicht akzeptieren, die Repräsentanten in seinem Namen treffen.

Bezeichnenderweise hast du dich bisher um die Definition des Demos-Begriffes herumgedrückt. Hier liest man, wer nicht dazu gehören soll: Menschen mit Migrationshintergrund, und diejenigen, die sich mit ihnen solidarisieren. Doch wichtiger als Abstammungslinien und Pässe sollte doch eine grundsätzliche Übereinstimmung mit den Menschenrechten und den hinter ihnen stehenden Werten sein.



Umgekehrt sind auch diese Repräsentanten ohne jeden Anhaltspunkt für ein zu verwirklichendes Gemeinwohl und vertreten Partikularinteressen von Pressure Groups jeglicher Couleur. Die egozentrische Ellenbogengesellschaft ist entstanden, gleichzeitig besteht die Gefahr, dass sich größere Blöcke anhand ethnischer, kultureller oder anderer Merkmale gegeneinander abspalten.
All diese Merkmale können wir im Moment beobachten, zusammen mit der sinkenden Wahlbeteiligung als typischem Indikator.

Ach, und das war im Dritten Reich, der Weimarer Republik oder dem Kaiserreich so anders? Die "Volksgemeinschaft" ist eine Schimäre, die bezeichnenderweise diverse diktatorische ("linke" wie "rechte") Staaten hervorgehoben haben.



Eine solche Gesellschaft driftet in einen Zustand hinein, in dem die mangelnden Konsensmöglichkeiten entweder zur völligen Unregierbarkeit oder aber zu einer autoritären Herrschaftsform führen müssen. Tertium non datur.

Entgegen medialer Klischees wird sehr viel mehr regiert, als man in der öffentlichen Stimmung wahrhaben will - in den letzten Jahren hat es nicht nur einmal fundamentale Gesetzesvorhaben gegeben. Das Problem ist eher, das viele Leute den Regierenden nicht mehr richtig auf die Finger schauen, und sich stattdessen unwichtigen Fragen widmen, wie der, ob nun Israel beser ist, oder die Palästinenser.

-SG-
24.10.2008, 16:18
Ich kann jetzt nicht mehr auf alles eingehen, muss gleich los. Danke für Deine Diskussionsanstöße schon mal.
Das ist schon mal eine recht merkwürdige Demokratiesicht.

1. Die Demokratie ist die Staatsform, in der der Einzelne (wir gehen jetzt vom Durchschnittsbürger aus) überhaupt partizipieren kann.

2. Man kann durchaus Demokrat sein und nicht "die Belange der Gesamtheit als seine eigenen Belange begreifen." Deswegen lässt eine Demokratie bis zu einer gewissen Grenze (die gibts überall, machen wir uns nichts vor) Staatsfeinden die Möglichkeit, ihre Meinung zu sagen. Im übrigen ist es ja gerade nicht so, dass man in einer Demokratie die "fundamentale Gleichheit zum Demos" verspüren muss. Selbst wenn man konservative Staatszugehörigkeitsbegriffe angelegt, gibt es doch noch gewaltige individuelle Unterschiede - z.B. bin ich genauso "reindeutsch" wie Dieter Bohlen und doch verbindet mich eben kein Zusammengehörigkeitsgefühl mit ihm, hätte auch kein Problem mit seiner Ausweisung :).


zu 1. Nein, partizipieren kannst Du grundsätzlich auch sonstwo, Du kannst auch in China in die KP eintreten oder sonstwas. Demokratien sind die Staatsformen, in denen der Souverän - direkt oder indirekt - das Volk darstellt. D.h. die Herrschaft wird von allen Individuen hergeleitet und hat keine höhere Legitimität. Dadurch aber braucht man eine Rechtfertigung dafür, dass es überhaupt sein kann, dass irgendeine Instanz Dinge entscheidet, die diesen Individuen möglicherweise zuwider gehen. Die Rechtfertigung leistet die Demoszugehörigkeit.

zu 2. Ja da hast Du schon recht, Du misverstehst wohl die "Belange der Gesamtheit", das sind keine Meinungen oder Bedürfnisse, das ist etwas fundamentaleres, da geht es darum, dass Du einsiehst, dass Du, Dein Nachbar, Dieter Bohlen usw. aufgrund Wohnort, Sprache usw. irgendwie eine Einheit darstellt, weshalb Du akzeptierst, dass gerade diese Einheit Entscheidungen über Dich fällen darf, und nicht z.B. die Russische Föderation oder die Alaska-Inuit. Du kannst in einem 80 Mio-Staat gar kein Zusammengehörigkeitsgefühl zu jedem einzelnen entwickeln, es geht nur darum dass Du Dich als Teil des Demos begreifst und daher auch akzeptierst, Objekt der gesamtverbindlichen Entscheidungen zu werden.


Stichwort Antikulturalismus: Ein gewisses Bilderstürmertum lässt sich zwar den 68ern bescheinigen. Tatsächlich aber haben sie einen kulturellen und geistigen Stillstand in Deutschland beendet. Geherrscht haben die Konservativen, aber wo waren in der Nachkriegszeit ihre Philosophen und Schriftsteller (die sie vor 1945 Feld führen konnten)? Die sog. "Gegenkultur" brachte hingegen einen reichen Fundus neuer Impulse.
Unter Kultur wird hier keine Marcuse-Abhandlungen oder Schlingensief-Inszenierunegn verstanden. Sondern gemeinsam geteilte Lebenswelt in Form von Sprache, Sitten, Traditionen usw. Hier haben wir heute ein absolutes Minimum erreicht, was die ges. Entfremdung erklärt.


Stichwort Zuzug: die Masse der Einwanderer wurde nun mal von konservativen Regierung geholt. Der Fehler besteht nicht darin, dass man sich heute um Integration bemüht, sondern darin, dass man es nicht 1965, 1975 oder 1985 getan hat.
Die Diskussion muss man nicht zum x-ten male führen. Vielleicht war es weltfremd zu glauben, dass die Gastarbeiter wieder gehen. Explizit zur dauerhaften "Anreicherung" wurden sie erst von der politischen Linken deklariert. Heute ist Multikulturalismus Staatsdoktrin, damals waren die Zuzügler nicht mit explizit kulturerodierender Intention geholt worden.


Bezeichnenderweise hast du dich bisher um die Definition des Demos-Begriffes herumgedrückt. Hier liest man, wer nicht dazu gehören soll: Menschen mit Migrationshintergrund, und diejenigen, die sich mit ihnen solidarisieren. Doch wichtiger als Abstammungslinien und Pässe sollte doch eine grundsätzliche Übereinstimmung mit den Menschenrechten und den hinter ihnen stehenden Werten sein.

Menschenrechte ist kein Abgrenzungsmerkmal, folglich nicht demos-konstituierend. "Dazu gehören" die, die rechtlich dürfen (Staatsbürgerschaft) und subjektiv wollen. Der Mig.hintergrund spielt also weniger eine Rolle, sondern vielmehr das, was ich vor der Klammer schrieb: Identifikation mit anderem demos (oder gar keinem).


Ach, und das war im Dritten Reich, der Weimarer Republik oder dem Kaiserreich so anders? Die "Volksgemeinschaft" ist eine Schimäre, die bezeichnenderweise diverse diktatorische ("linke" wie "rechte") Staaten hervorgehoben haben.
Noch in den 60ern und 70ern war die Allgemeinverbindlichkeit sozialer Normen viel höher. Darum geht es, nicht um eine fiktive Riesenkuschelgemeinschaft. Da gab es kein "Yo ich mach mein Ding, geh mein Weg, hab mein eigenen Stil" usw., diesen ganzen sinnentleerten Überindividualismus mit all seinen Auswüchsen, zu beobachten in der Fußgängerzone oder im Privatfernsehen.


Entgegen medialer Klischees wird sehr viel mehr regiert, als man in der öffentlichen Stimmung wahrhaben will - in den letzten Jahren hat es nicht nur einmal fundamentale Gesetzesvorhaben gegeben. Das Problem ist eher, das viele Leute den Regierenden nicht mehr richtig auf die Finger schauen, und sich stattdessen unwichtigen Fragen widmen, wie der, ob nun Israel beser ist, oder die Palästinenser.
Es wird klein-klein herumgedoktort, mehr nicht. Und die Gesetzesflut ist auch Ausdruck des weggebrochenen Wertekonsens. Heute muss man schon verfassungsrechtlich Kleidernormen auslegen (Kopftuchstreit). Armselig.
(Ok, hat doch noch gereicht... So viel für jetzt)