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Vollständige Version anzeigen : Wie entwickelte sich der Kommunismus aus dem Marxismus?



Aresetyr
13.09.2008, 14:49
Einen wundervollen schönen Samstagnachmittag liebe Community!

Obwohl ich mein(e) Matura/Abitur auch in Geschichte vor 3 Monaten erfolgreich bestanden habe und dort den Nationalsozialismus und dessen Entstehung besprechen sollte fiel mir damals in der Vorbereitung schon auf, wie komisch es eigentlich ist, dass wir "die Nazis" und ihre Ideen so genau besprachen, der Kommunismus, insbesondere die grundlegende Idee dahinter, also der Marxismus aber immer nur wenig und oberflächlich beleuchteten.

Gut, ich habe mich selbst ein wenig (derzeit viel zu tun bezüglich Studium, Umzug, Führerschein etc. ;) deshalb nur "ein wenig") über den Marxismus informiert um etwaige Lücken aufzufrischen und zu füllen, doch was mir dabei einfach nicht in den Kopf will.

Der Nationalsozialismus war von Anfang an als militärische Diktatur geplant, von der Idee her, der Kommunismus aber, hatte ja den Marxismus zum Vorbild und eigentlich wollte Karl Marx doch keinen militanten Kontrollstaat aufbauen, oder?

Wie konnte die Idee des Marxismus also zu einem Terrorregime wie dem Kommunismus führen, der nach erwiesen Angaben, weitaus mehr Menschen das Leben gekostet hat, als der Nationalsozialismus...

Vielleicht habt ihr ein paar Denkanstöße für einen jungen "Hupfer" ;).

Dankeschön im voraus,

Aresetyr

Aresetyr
15.09.2008, 09:23
Huch... vielleicht kommt die Frage etwas "dümmlich" rüber... mir ist schon klar, WIE sich das ganze zum Kommunismus entwickelte, nur verstehe ich irgendwie nicht "wieso"... das System an sich wäre nahezu perfekt und doch wurde es zu einem Terrorregime, wieso?

Ich weiß, die Frage ist mehr philosophischer Natur, doch es gibt hier kein Philosophieforum ;) und eure Meinung würde mich sehr interessieren, sonst würde ich nicht fragen!

Also bitte, strengt euch mal an *g*,


Aresetyr

Lichtblau
15.09.2008, 09:53
Ganz einfach, nachdem der Kommunismus an die Macht gekommen ist, wurden die theoretischen Grundlagen umgearbeitet um aus einer antikapitalistischen Bewegung eine Herrschaftsideologie zu machen, um die Herrschaft der Partei zu sichern.

-jmw-
15.09.2008, 10:00
Hmm, naja, hab jetzt ehrlich gesagt keine Lust, da gross was zu schreiben, daher nur soviel:

Erstens ist im Marx da schon viel drinne, was man später praktizierte.
Insbesondere die Idee objektiver Gesetzmässigkeiten in der Geschichte führt natürlich schnell dazu, dass diejenigen, die meinen, diese Gesetze erkannt zu haben, sie auch umsetzen wollen - zur Not gegen die, die (noch) ein "falsches Bewusstsein" haben.

Zwotens haben wir den Herrn Lenin, der den Schwerpunkt vom Proletariat auf die KP verlagerte.
Revolution geschah nicht mehr oder weniger einfach so, wenn's halt soweit war, sondern wurde gemacht von einer dazu gegründeten Organisation.
Geht man streng von Marx aus, konnte der Sozialismus in Osteuropa nicht funktionieren und also musste das System sehr repressiv sein.

(Man könnte hier den Vergleich ziehen zur Weimarer Republik: Es wäre eine enorme und permanente Präsenz von Polizei und Reichswehr in den Strassen notwendig gewesen, um nach '30 ein Verbot von KDP und NSDAP durchzusetzen und die Demokratie zu erhalten, kurz: massive Repression von Nichtdemokraten.)

Sauerländer
15.09.2008, 10:10
Geht man streng von Marx aus, konnte der Sozialismus in Osteuropa nicht funktionieren und also musste das System sehr repressiv sein.

Das ist ein wichtiger Punkt. Marx setzt einen Entwicklungsstand der Gesellschaft voraus, der in Russland gar nicht gegeben war, weshalb in einem geschichtlichen Gewaltakt der Kommunismus den Kapitalismus in kürzester Zeit sozusagen miterledigen musste - und sich damit naturgemäß mit der entfremdenden Macht gemein machen musste, gegen die er der Theorie nach hätte antreten sollen, so dass es im Grunde im letzten Punkt gegen sich selbst eine Revolution hätte führen müssen.
Auch eine Art, potentielle Angänger zu verwirren und abzustoßen.

Rowlf
15.09.2008, 10:35
Der Kommunismus in seiner "Endform" sollte nach Marx den Staat ja absterben lassen. Um diesen Zustand zu erreichen, wurde die Diktatur des Proletariats als Übergang geplant, bis die Gesellschaft soweit sein würde. Und genau hier liegt das Problem. Die Diktatur des Proletariats ermöglichte es einzelnen Menschen unheimlich viel Macht zu konzentrieren. Vor allem, weil Führerfiguren im "Kommunismus" seit jeher eine große Rolle spielten. Menschen, die einmal so große Macht innehaben, werden diese meistens nicht wieder abgeben, weswegen der Kommunismus von Anfang an zum Scheitern verurteilt war, weil er einfach zu autoritär war.

Sauerländer
15.09.2008, 10:43
Der Kommunismus in seiner "Endform" sollte nach Marx den Staat ja absterben lassen. Um diesen Zustand zu erreichen, wurde die Diktatur des Proletariats als Übergang geplant, bis die Gesellschaft soweit sein würde. Und genau hier liegt das Problem. Die Diktatur des Proletariats ermöglichte es einzelnen Menschen unheimlich viel Macht zu konzentrieren. Vor allem, weil Führerfiguren im "Kommunismus" seit jeher eine große Rolle spielten. Menschen, die einmal so große Macht innehaben, werden diese meistens nicht wieder abgeben, weswegen der Kommunismus von Anfang an zum Scheitern verurteilt war, weil er einfach zu autoritär war.
Gleichzeitig muss man aber auch festhalten, dass sich alternative Formen wie etwa die der Machnoisten (viel zu wenig bekanntes Kapitel übrigens) im Konfliktfall nicht durchgesetzt haben.
Zumindest für die Zeit des revolutionären Übergangs sind hierarchische Organisationsformen offenbar im Vorteil.

Rowlf
15.09.2008, 10:48
Gleichzeitig muss man aber auch festhalten, dass sich alternative Formen wie etwa die der Machnoisten (viel zu wenig bekanntes Kapitel übrigens) im Konfliktfall nicht durchgesetzt haben.
Zumindest für die Zeit des revolutionären Übergangs sind hierarchische Organisationsformen offenbar im Vorteil.

Nestor Machno trat ja ähnlich wie die Kronstädter Matrosen für einen freiheitlichen Kommunismus, man könnte sagen für einen anarchistisch angehauchten Kommunismus, ein. Das sie dann den militärischen Konflikt mit der Sowjetunion verloren hat wenig damit zu tun. Das hätten sie auch, wenn sie Monarchie, Demokratie oder sonst was gehabt hätten.

-jmw-
15.09.2008, 10:54
Die Ukraine hat schlechte Chancen, gegen Russland zu bestehen, ziemlich gleich, wie die Regime der beiden aussehen.

Sauerländer
15.09.2008, 10:59
Die Ukraine hat schlechte Chancen, gegen Russland zu bestehen, ziemlich gleich, wie die Regime der beiden aussehen.
Sicher, wenn Russland als geeinter, fester Block losmarschiert, ist das Ergebnis vorhersehbar.
Aber das war doch damals nicht die Lage. Man hatte Bürgerkrieg, ein alles andere als geeintes Russland, ein noch keineswegs endgültig gefestigtes bolschewistisches Regime, das zudem an allen Ecken und Enden beschäftigt war.

Rowlf
15.09.2008, 10:59
Die Ukraine hat schlechte Chancen, gegen Russland zu bestehen, ziemlich gleich, wie die Regime der beiden aussehen.

Meine Worte ;)

PS: Jetzt haben wir ja die drei üblichen Verdächtigen wieder beisammen. :)

Sauerländer
15.09.2008, 11:01
(...)
PS: Jetzt haben wir ja die drei üblichen Verdächtigen wieder beisammen. :)
Es gibt so Themenkomplexe...:D

Rowlf
15.09.2008, 11:06
Sicher, wenn Russland als geeinter, fester Block losmarschiert, ist das Ergebnis vorhersehbar.
Aber das war doch damals nicht die Lage. Man hatte Bürgerkrieg, ein alles andere als geeintes Russland, ein noch keineswegs endgültig gefestigtes bolschewistisches Regime, das zudem an allen Ecken und Enden beschäftigt war.

Ja, aber die Ukraine war doch militärisch ganz anders aufgestellt, als die (zwar geschwächte) aber immer noch haushoch überlegende Sowjetunion. Außerdem mussten sich die Revolutionäre ja nicht nur gegen die Bolschewisten verteidigen. Auch gegen die weißen Truppen, reaktionäre Ukrainischen Kräften, Polen usw.
Wie immer, wenn man einer egalitären, freiheitlichen Idee nachgeht. Alle sind gegen einen. Das war in Spanien nicht anders, oder während der Münchener Räterepublik.
Aber wie heißt es so schön. Viel Feind, viel Ehr'

-jmw-
15.09.2008, 11:06
Die SU stand noch nicht, das ist richtig.
Die Rote Armee hingegen stand nicht nur, sie hatte sich gegen die Weissen auch schon bewährt.
Macht ja nix.
Versuch macht kluch und irgendwann wird's schon klappen. :)

Sauerländer
15.09.2008, 11:27
Ja, aber die Ukraine war doch militärisch ganz anders aufgestellt, als die (zwar geschwächte) aber immer noch haushoch überlegende Sowjetunion. Außerdem mussten sich die Revolutionäre ja nicht nur gegen die Bolschewisten verteidigen. Auch gegen die weißen Truppen, reaktionäre Ukrainischen Kräften, Polen usw.
Wie immer, wenn man einer egalitären, freiheitlichen Idee nachgeht. Alle sind gegen einen. Das war in Spanien nicht anders, oder während der Münchener Räterepublik.
Aber wie heißt es so schön. Viel Feind, viel Ehr'
Wenn sich im anarchistischen Lager bereits derart reaktionäre Parolen breit machen, sind wir auf dem richtigen Weg.:D

Im Ernst: anarchistische Bewegungen haben ihre Gelegenheit in aller Regel in erheblichen Krisenzeiten. Das Problem besteht nun darin, dass der Durchschnittsmensch sich in Krisenzeiten vor allem eins ersehnt: Sicherheit. Ruhe, Ordnung, klare Führung. Und über Freiheit und dergleichen denken wir wieder nach, wenn man sich wieder auf die Straße trauen kann und satt zu essen hat.
Was die Frage aufwirft, ob eine revolutionär zu erreichende Anarchie überhaupt möglich ist, oder nicht letztlich doch nur am Ende eines evolutionären Prozesses stehen kann, in dem der letzte Umsturz im Grunde nur Verhältnisse bestätigt, die faktisch bereits mehr oder weniger herrschen.
Dann bedürfte die Anarchie institutioneller Vorbereitung, die zumindest eine Duldung durch das herrschende nichtanarchische System voraussetzt - und da wird es schwierig.

Bärwolf
15.09.2008, 11:32
Nestor Machno trat ja ähnlich wie die Kronstädter Matrosen für einen freiheitlichen Kommunismus, man könnte sagen für einen anarchistisch angehauchten Kommunismus, ein. Das sie dann den militärischen Konflikt mit der Sowjetunion verloren hat wenig damit zu tun. Das hätten sie auch, wenn sie Monarchie, Demokratie oder sonst was gehabt hätten.

Guter Hinweis. Wer sich für den Grundkonflikt interessiert, dem sei ein Blick auf die 1. Internationale empfohlen. Ich meine den Streit zwischen Bakunin und Marx.
Marx befürwortete einen autoritären Kommunismus, angeführt von einer Avantgarde (konkret einer Elite! Partei, Politbüro, wie auch immer), die die Macht in den Händen hält und die Massen lenkt. Stalin hat das perfekt umgesetzt. Ich sehe da eine kontinuität von Marx zu Stalin, die aus der Ideologie heraus zwingend war.
Bakunin stand für einen sog. antiautoritären Sozialismus, libertären Kollektivismus (Anarchismus), er lehnte die marxistische Diktatur ab, meinte, das Volk würde nach dem revolutionären Umsturz am besten wissen, wie man in Selbstorganisation den Sozialismus entwickelt. Eine Avantgarde sollte hier nur hilfreich zur Seite stehen und über Argumentation (Propaganda) ihren Einfluß geltend machen (sozusagen die Aufgabe der revolutionären Intellektuellen).
Bevor dieser Zustand überhaupt erreicht werden kann, wäre es die Aufgabe der revolutionären Avatgarde sich in kleinen konsperativen Gruppen zu organisieren
(Propaganda der Tat) und einerseits durch Propaganda (Flugblätter, Zeitungen, etc.) Aufklärung zu betreiben und andererseits durch Anschläge und Attentate (Terror) gegen den Feind vorzugehen, um so auch eine revolutionäre Situation herbeizuschaffen. Das hat wiederum Marx abgelehnt, weil er es für strategisch falsch hielt.

Bärwolf
15.09.2008, 11:39
Wenn sich im anarchistischen Lager bereits derart reaktionäre Parolen breit machen, sind wir auf dem richtigen Weg.:D

Im Ernst: anarchistische Bewegungen haben ihre Gelegenheit in aller Regel in erheblichen Krisenzeiten. Das Problem besteht nun darin, dass der Durchschnittsmensch sich in Krisenzeiten vor allem eins ersehnt: Sicherheit. Ruhe, Ordnung, klare Führung. Und über Freiheit und dergleichen denken wir wieder nach, wenn man sich wieder auf die Straße trauen kann und satt zu essen hat.
Was die Frage aufwirft, ob eine revolutionär zu erreichende Anarchie überhaupt möglich ist, oder nicht letztlich doch nur am Ende eines evolutionären Prozesses stehen kann, in dem der letzte Umsturz im Grunde nur Verhältnisse bestätigt, die faktisch bereits mehr oder weniger herrschen.
Dann bedürfte die Anarchie institutioneller Vorbereitung, die zumindest eine Duldung durch das herrschende nichtanarchische System voraussetzt - und da wird es schwierig.


Das grundlegende Dilemma des Anarchismus hat m. e Ernst Jünger sehr gut erfasst:


«... denn anarchisch ist jeder; das eben ist das Normale an ihm. Allerdings wird es vom ersten Tag an durch Vater und Mutter, durch Staat und Gesellschaft beschränkt. Das sind Beschneidungen, Anzapfungen der Urkraft, denen keiner entgeht. Man muss sich damit abfinden. doch das Anarchische bleibt auf dem Grunde als Geheimnis, meist selbst dem Träger unbewusst. Es kann als Lava aus ihm hervorbrechen, kann ihn vernichten, ihn befreien.

Hier ist zu differenzieren: die Liebe ist anarchisch, die Ehe nicht. Der Krieger ist anarchisch, der Soldat nicht. Der Totschlag ist anarchisch, der Mord nicht. Christus ist anarchisch, Paulus nicht. Da freilich das Anarchische das Normale, so ist es auch in Paulus vorhanden und bricht zuweilen mächtig aus ihm hervor. Das sind nicht Gegensätze, sondern Stufungen. Die Weltgeschichte wird durch Anarchie bewegt.

In summa: der freie Mensch ist anarchisch, der Anarchist nicht.

Wäre ich Anarchist und nichts weiter, so hätten sie mich mühelos entlarvt. Auf Existenzen, die sich in der Schräge. "den Dolch im Gewande", den Mächtigen zu nähern suchen, sind sie besonders geeicht. Der Anarch kann einsam leben; der Anarchist ist ein Sozialer und muss sich mit Gleichen zusammentun.»

«Der Anarchist ist abhängig — einmal von seinem unklaren Wollen, zweitens von der Macht. Er folgt dem Mächtigen als sein Schatten; der Fürst ist vor ihm immer auf der Hut ...
Der Anarchist ist der Gegenspieler des Monarchen, auf dessen Vernichtung er sinnt. Er trifft die Person und festigt die Erbfolge...

Die positive Entsprechung des Anarchisten ist der Anarch. Dieser ist nicht der Gegenspieler des Monarchen, sondern der am weitesten von ihm Entfernte, der von ihm Unberührte, wenngleich gefährlich auch er. Er ist nicht der Gegner des Monarchen, sondern sein Pendant.

Der Monarch will viele, ja alle beherrschen; der Anarch nur sich allein. Das gibt ihm ein objektives, auch skeptisches Verhältnis zur Macht, deren Figuren er an sich vorüberziehen lässt — wohl unberührt, jedoch im Inneren nicht unbewegt, nicht ohne historische Leidenschaft.» «Der Anarch ist ... souverän wie jener und dazu freier, da er nicht zu regieren braucht.»

«... Unterschied zum Anarchisten: das Verhältnis zur Herrschaft, zur gesetzgebenden Macht. Der Anarchist ist ihr Todfeind, während der Anarch sie nicht anerkennt. Er sucht sie weder zu ergreifen, noch zu stürzen, noch zu ändern — ihre Stoßrichtung geht an ihm vorbei. nur mit ihren Wirbeln muss er sich abfinden.»

«Der Anarch unterscheidet sich auch dadurch vom Anarchisten, dass er einen ausgesprochenen Sinn für Vorschriften besitzt. Insofern und in dem Maß, in dem er sie beachtet, fühlt er sich vom Denken dispensiert. Das entspricht dem normalen Verhalten: Jeder, der in die Eisenbahn steigt, rollt über Brücken und durch Tunnels, die Ingenieure für ihn ersonnen und an denen hunderttausend Hände gewerkt haben ... So auch der Anarch — nur dass ihm das Verhältnis stets bewusst bleibt und er sein Thema, das der Freiheit, was draußen auch an Berg und Tal vorüber fliege, nie aus den Augen lässt. Er kann jederzeit aussteigen, nicht nur aus dem Zuge, sondern aus jedem Anspruch, den Staat, Gesellschaft, Kirche an ihn stellen, auch aus der Existenz. Sie dem Sein zu spenden, nicht nur aus zwingenden Gründen, sondern nach Belieben, sei es aus Übermut oder Langeweile, steht ihm frei.»

«... der Anarchist erinnert an einen Fußgänger der [die Verkehrsregeln] nicht anerkennt und prompt überfahren wird. Ihm wird schon eine Passkontrolle verhängnisvoll. — "Noch keinen sah ich fröhlich enden", so weit ich auch in der Geschichte zurückblicke.»

«... was ist ihr Leiden? Ein unterentwickelter Freiheitsbegriff. Er wird durch Fakten korrigiert ... würden sie ... sich als Anarchen erkennen, so bliebe ihnen viel erspart. Sie würden die Freiheit in sich und nicht im Kollektiv suchen.»

«Wie in einem jeden, wie in uns allen, ist der Anarch auch im Anarchisten verborgen, der einem Bogenschützen gleicht, dessen Pfeil das Zentrum verfehlt.»

«Worauf beruht der Irrtum, dem Unzählige zum Opfer fielen und der endlos fortwirken wird? Wenn ich den Vater töte, falle ich dem Bruder in die Hand. Von der Gesellschaft ist ebenso wenig zu erhoffen wie vom Staat. Das Heil liegt im Einzelnen.»

«Zwei Klippen türmen sich vor dem Anarchisten auf: Die erste, die des Staates, ist zu überwinden, vor allem im Orkan, wenn die Wellen hoch gehen. Unfehlbar scheitert er an der zweiten, der Gesellschaft, an eben der, deren Bild ihm vorschwebte. Es gibt ein kurzes Intermezzo zwischen dem Sturz der legitimen Mächte und der neuen Legalität. Zwei Wochen nach Krapotkins Leichenzug hinter den Schwarzen Fahnen wurden die Kronstädter Matrosen liquidiert ...»

«Für den Anarchen ändert sich wenig, wenn er eine Uniform abstreift, die er teil als Narrenkittel, teils als Tarnanzug trug. Sie deckt seine innere Freiheit, die er bei solchen Übergängen versachlichen will. Das unterscheidet ihn vom Anarchisten, der, sachlich unfrei, zu toben beginnt, bis man ihn in eine Zwangsjacke steckt.»

«Der Anarch führt seine eigenen Kriege, selbst wenn er in Reih und Glied marschiert.»

«Obwohl Anarch, bin ich deshalb nicht antiautoritär. Ich bin im Gegenteil autoritätsbedürftig, wenn auch nicht autoritätsgläubig.»

«Der Anarch ist auch nicht Individualist. Er will sich weder als Großer Mensch noch als Freigeist vorstellen. Sein Maß genügt ihm; die Freiheit ist nicht sein Ziel; sie ist sein Eigentum. Er tritt nicht als Feind oder Veränderer auf: man wird in Hütten und Palästen gut mit ihm auskommen. Das Leben ist zu kurz und zu schön, um es für Ideen aufzuopfern, obwohl sich die Ansteckung nicht immer vermeiden lässt. Doch Hut ab vor den Märtyrern.»

«Der Anarch kann zwar jeden töten, darauf beruht sein Selbstbewusstsein, doch er tötet nur, wo und wann es ihm gefällt — — — immerhin viel seltener als der Verbrecher, der Chauffeur und der Staat. Ihm ist die archaische Figur des Söldners gemäßer als die des Eingezogenen, der sich zur Musterung stellt und husten muss, wenn der Arzt ihm an die Hoden greift.» «... unwichtig ist dagegen, ob er jemals die Tötung vollzieht. Vielleicht wird er sie nie in Tat umsetzen. Zu betonen ist auch, dass er sie jedem anderen zubilligt. Jeder ist Mittelpunkt der Welt, und seine unbedingte Freiheit schafft den Abstand, in dem sich Achtung und Selbstachtung abgleichen.»

(alle aus "Eumeswil")

Rowlf
15.09.2008, 11:42
Guter Hinweis. Wer sich für den Grundkonflikt interessiert, dem sei ein Blick auf die 1. Internationale empfohlen. Ich meine den Streit zwischen Bakunin und Marx.
Marx befürwortete einen autoritären Kommunismus, angeführt von einer Avantgarde (konkret einer Elite! Partei, Politbüro, wie auch immer), die die Macht in den Händen hält und die Massen lenkt. Stalin hat das perfekt umgesetzt. Ich sehe da eine kontinuität von Marx zu Stalin, die aus der Ideologie heraus zwingend war.
Bakunin stand für einen sog. antiautoritären Sozialismus, libertären Kollektivismus (Anarchismus), er lehnte die marxistische Diktatur ab, meinte, das Volk würde nach dem revolutionären Umsturz am besten wissen, wie man in Selbstorganisation den Sozialismus entwickelt. Eine Avantgarde sollte hier nur hilfreich zur Seite stehen und über Argumentation (Propaganda) ihren Einfluß geltend machen (sozusagen die Aufgabe der revolutionären Intellektuellen).
Bevor dieser Zustand überhaupt erreicht werden kann, wäre es die Aufgabe der revolutionären Avatgarde sich in kleinen konsperativen Gruppen zu organisieren
(Propaganda der Tat) und einerseits durch Propaganda (Flugblätter, Zeitungen, etc.) Aufklärung zu betreiben und andererseits durch Anschläge und Attentate (Terror) gegen den Feind vorzugehen, um so auch eine revolutionäre Situation herbeizuschaffen. Das hat wiederum Marx abgelehnt, weil er es für strategisch falsch hielt[/COLOR][/COLOR].


Bakunin wurde am Ende ja samt seiner Anhänger aus der Internationalen ausgeschlossen. Da zeigte sich bereits, wie es Marxisten mit der Meinungsfreiheit halten. Das Problem sehe ich darin, das der Marxismus dem menschlichen Wesen noch ein Stück weiter entgegenkommt. Es wird zwar von Freiheit geredet, aber so, dass sich niemand selbst darum kümmern muss, da es ja von der Partei erledigt wird.
Für mich ist das ein falsches Spiel mit dem menschlichen Wunsch nach Freiheit, der im Marxismus auf widerliche Weise missbraucht wird, um ein autoritäres System zu etablieren.

Ich finde es immer wieder Schade, dass die antiautoritären Ideen eines libertären Sozialismus jedes mal von den Marxisten niedergemacht wurden. Das zeugt von Angst, dass die Menschen gefallen finden könnten, an einem System, dass ohne Staat und ohne Autoritäten auskommt.

Rowlf
15.09.2008, 11:48
Das grundlegende Dilemma des Anarchismus hat m. e Ernst Jünger sehr gut erfasst:


«... denn anarchisch ist jeder; das eben ist das Normale an ihm. Allerdings wird es vom ersten Tag an durch Vater und Mutter, durch Staat und Gesellschaft beschränkt. Das sind Beschneidungen, Anzapfungen der Urkraft, denen keiner entgeht. Man muss sich damit abfinden. doch das Anarchische bleibt auf dem Grunde als Geheimnis, meist selbst dem Träger unbewusst. Es kann als Lava aus ihm hervorbrechen, kann ihn vernichten, ihn befreien.

Hier ist zu differenzieren: die Liebe ist anarchisch, die Ehe nicht. Der Krieger ist anarchisch, der Soldat nicht. Der Totschlag ist anarchisch, der Mord nicht. Christus ist anarchisch, Paulus nicht. Da freilich das Anarchische das Normale, so ist es auch in Paulus vorhanden und bricht zuweilen mächtig aus ihm hervor. Das sind nicht Gegensätze, sondern Stufungen. Die Weltgeschichte wird durch Anarchie bewegt.

In summa: der freie Mensch ist anarchisch, der Anarchist nicht.

Wäre ich Anarchist und nichts weiter, so hätten sie mich mühelos entlarvt. Auf Existenzen, die sich in der Schräge. "den Dolch im Gewande", den Mächtigen zu nähern suchen, sind sie besonders geeicht. Der Anarch kann einsam leben; der Anarchist ist ein Sozialer und muss sich mit Gleichen zusammentun.»

«Der Anarchist ist abhängig — einmal von seinem unklaren Wollen, zweitens von der Macht. Er folgt dem Mächtigen als sein Schatten; der Fürst ist vor ihm immer auf der Hut ...
Der Anarchist ist der Gegenspieler des Monarchen, auf dessen Vernichtung er sinnt. Er trifft die Person und festigt die Erbfolge...

Die positive Entsprechung des Anarchisten ist der Anarch. Dieser ist nicht der Gegenspieler des Monarchen, sondern der am weitesten von ihm Entfernte, der von ihm Unberührte, wenngleich gefährlich auch er. Er ist nicht der Gegner des Monarchen, sondern sein Pendant.

Der Monarch will viele, ja alle beherrschen; der Anarch nur sich allein. Das gibt ihm ein objektives, auch skeptisches Verhältnis zur Macht, deren Figuren er an sich vorüberziehen lässt — wohl unberührt, jedoch im Inneren nicht unbewegt, nicht ohne historische Leidenschaft.» «Der Anarch ist ... souverän wie jener und dazu freier, da er nicht zu regieren braucht.»

«... Unterschied zum Anarchisten: das Verhältnis zur Herrschaft, zur gesetzgebenden Macht. Der Anarchist ist ihr Todfeind, während der Anarch sie nicht anerkennt. Er sucht sie weder zu ergreifen, noch zu stürzen, noch zu ändern — ihre Stoßrichtung geht an ihm vorbei. nur mit ihren Wirbeln muss er sich abfinden.»

«Der Anarch unterscheidet sich auch dadurch vom Anarchisten, dass er einen ausgesprochenen Sinn für Vorschriften besitzt. Insofern und in dem Maß, in dem er sie beachtet, fühlt er sich vom Denken dispensiert. Das entspricht dem normalen Verhalten: Jeder, der in die Eisenbahn steigt, rollt über Brücken und durch Tunnels, die Ingenieure für ihn ersonnen und an denen hunderttausend Hände gewerkt haben ... So auch der Anarch — nur dass ihm das Verhältnis stets bewusst bleibt und er sein Thema, das der Freiheit, was draußen auch an Berg und Tal vorüber fliege, nie aus den Augen lässt. Er kann jederzeit aussteigen, nicht nur aus dem Zuge, sondern aus jedem Anspruch, den Staat, Gesellschaft, Kirche an ihn stellen, auch aus der Existenz. Sie dem Sein zu spenden, nicht nur aus zwingenden Gründen, sondern nach Belieben, sei es aus Übermut oder Langeweile, steht ihm frei.»

«... der Anarchist erinnert an einen Fußgänger der [die Verkehrsregeln] nicht anerkennt und prompt überfahren wird. Ihm wird schon eine Passkontrolle verhängnisvoll. — "Noch keinen sah ich fröhlich enden", so weit ich auch in der Geschichte zurückblicke.»

«... was ist ihr Leiden? Ein unterentwickelter Freiheitsbegriff. Er wird durch Fakten korrigiert ... würden sie ... sich als Anarchen erkennen, so bliebe ihnen viel erspart. Sie würden die Freiheit in sich und nicht im Kollektiv suchen.»

«Wie in einem jeden, wie in uns allen, ist der Anarch auch im Anarchisten verborgen, der einem Bogenschützen gleicht, dessen Pfeil das Zentrum verfehlt.»

«Worauf beruht der Irrtum, dem Unzählige zum Opfer fielen und der endlos fortwirken wird? Wenn ich den Vater töte, falle ich dem Bruder in die Hand. Von der Gesellschaft ist ebenso wenig zu erhoffen wie vom Staat. Das Heil liegt im Einzelnen.»

«Zwei Klippen türmen sich vor dem Anarchisten auf: Die erste, die des Staates, ist zu überwinden, vor allem im Orkan, wenn die Wellen hoch gehen. Unfehlbar scheitert er an der zweiten, der Gesellschaft, an eben der, deren Bild ihm vorschwebte. Es gibt ein kurzes Intermezzo zwischen dem Sturz der legitimen Mächte und der neuen Legalität. Zwei Wochen nach Krapotkins Leichenzug hinter den Schwarzen Fahnen wurden die Kronstädter Matrosen liquidiert ...»

«Für den Anarchen ändert sich wenig, wenn er eine Uniform abstreift, die er teil als Narrenkittel, teils als Tarnanzug trug. Sie deckt seine innere Freiheit, die er bei solchen Übergängen versachlichen will. Das unterscheidet ihn vom Anarchisten, der, sachlich unfrei, zu toben beginnt, bis man ihn in eine Zwangsjacke steckt.»

«Der Anarch führt seine eigenen Kriege, selbst wenn er in Reih und Glied marschiert.»

«Obwohl Anarch, bin ich deshalb nicht antiautoritär. Ich bin im Gegenteil autoritätsbedürftig, wenn auch nicht autoritätsgläubig.»

«Der Anarch ist auch nicht Individualist. Er will sich weder als Großer Mensch noch als Freigeist vorstellen. Sein Maß genügt ihm; die Freiheit ist nicht sein Ziel; sie ist sein Eigentum. Er tritt nicht als Feind oder Veränderer auf: man wird in Hütten und Palästen gut mit ihm auskommen. Das Leben ist zu kurz und zu schön, um es für Ideen aufzuopfern, obwohl sich die Ansteckung nicht immer vermeiden lässt. Doch Hut ab vor den Märtyrern.»

«Der Anarch kann zwar jeden töten, darauf beruht sein Selbstbewusstsein, doch er tötet nur, wo und wann es ihm gefällt — — — immerhin viel seltener als der Verbrecher, der Chauffeur und der Staat. Ihm ist die archaische Figur des Söldners gemäßer als die des Eingezogenen, der sich zur Musterung stellt und husten muss, wenn der Arzt ihm an die Hoden greift.» «... unwichtig ist dagegen, ob er jemals die Tötung vollzieht. Vielleicht wird er sie nie in Tat umsetzen. Zu betonen ist auch, dass er sie jedem anderen zubilligt. Jeder ist Mittelpunkt der Welt, und seine unbedingte Freiheit schafft den Abstand, in dem sich Achtung und Selbstachtung abgleichen.»

(alle aus "Eumeswil")

Natürlich ist der Anarchist nicht anarchisch in einem anomischen Sinne. Aber das behauptet er auch nicht. Er hat klare Vorstellungen, Ideen und handelt uneigennützig. Er will nicht nur Freiheit für sich, er will Freiheit für die Menschheit. Für egoistisches Denken ist da kein Platz.
Außerdem stimme ich Jünger nicht über ein, dass ein Motiv dem freien Leben entgegenwirkt. Denn wenn das Motiv das freie Leben an sich ist, wäre man quasi ein anarchischer Anarchist und das würde das Ganze Ad Absurdum führen

Sauerländer
15.09.2008, 11:50
Das Problem sehe ich darin, das der Marxismus dem menschlichen Wesen noch ein Stück weiter entgegenkommt. Es wird zwar von Freiheit geredet, aber so, dass sich niemand selbst darum kümmern muss, da es ja von der Partei erledigt wird.
Für mich ist das ein falsches Spiel mit dem menschlichen Wunsch nach Freiheit, der im Marxismus auf widerliche Weise missbraucht wird, um ein autoritäres System zu etablieren.
Offenbar, Du sprichst es ja selber an, gibt es doch aber nicht nur den Wunsch nach Freiheit, sondern auch den, sich um diverse Sachen nicht selbst kümmern zu müssen.
Insofern ist die Frage, ob das wirklich nur ein falsches Spiel ist, oder nicht viellleicht in Teilbereichen dem Menschen tatsächlich gemäß.

Rowlf
15.09.2008, 11:51
Im Ernst: anarchistische Bewegungen haben ihre Gelegenheit in aller Regel in erheblichen Krisenzeiten. Das Problem besteht nun darin, dass der Durchschnittsmensch sich in Krisenzeiten vor allem eins ersehnt: Sicherheit. Ruhe, Ordnung, klare Führung. Und über Freiheit und dergleichen denken wir wieder nach, wenn man sich wieder auf die Straße trauen kann und satt zu essen hat.
Was die Frage aufwirft, ob eine revolutionär zu erreichende Anarchie überhaupt möglich ist, oder nicht letztlich doch nur am Ende eines evolutionären Prozesses stehen kann, in dem der letzte Umsturz im Grunde nur Verhältnisse bestätigt, die faktisch bereits mehr oder weniger herrschen.
Dann bedürfte die Anarchie institutioneller Vorbereitung, die zumindest eine Duldung durch das herrschende nichtanarchische System voraussetzt - und da wird es schwierig.

Mehr gibt es dazu nicht zusagen. Treffend formuliert. Und eine Antwort weiß ich natürlich auch. Das Erste, was geschehen muss, ist das Bewusstsein der Menschen zu erreichen. Der Begriff Anarchie ist in unserer Gesellschaft völlig zu unrecht negativ belastet, während der Kommunismus immer noch salonfähig ist.
Das hängt damit zusammen, dass Medien und Menschen den Begriff Anarchie immer mit Anomie verwechseln.

Rowlf
15.09.2008, 11:54
Offenbar, Du sprichst es ja selber an, gibt es doch aber nicht nur den Wunsch nach Freiheit, sondern auch den, sich um diverse Sachen nicht selbst kümmern zu müssen.
Insofern ist die Frage, ob das wirklich nur ein falsches Spiel ist, oder nicht viellleicht in Teilbereichen dem Menschen tatsächlich gemäß.

Naja, dadurch, dass es Menschen gibt, die nach staatlicher Führung streben, bin ich der Ansicht, dass man die Menschen die Ideen einer freiheitlichen Gesellschaft "nur" Nahe bringen müsste. Denn der Wunsch nach Freiheit ist definitiv vorhanden. Was dem entgegensteht sind natürliche Abwehrmaßnahmen aus Selbsterhaltungstrieb seiten des Staats und das (im wahrsten Sinne des Wortes) fehlende Selbstbewusstsein der Menschen.

Aresetyr
15.09.2008, 12:44
Vielen herzlichen Dank für die rege Beteiligung, ich hab nun auch einiges mehr darüber von euch gelernt, danke, dass ihr meine Neugierde befriedigt habt, dass ein gewisser Entwicklungsstand vorausgesetzt wäre is mir zum beispiel von dem her neu gewesen, als dass wir diese Seite in Geschichte kaum beleuchtet haben...

überhaupt haben wir in den 7 Jahren Geschichte 6 Jahre immer wieder mal die Nazis zwischendurch eingestreut was bei "gewissen" Professoren die hälfte des Jahresstoffes ausmachte :rolleyes: wie auch immer, is ein anderes, ebenfalls trauriges Kapitel...

-jmw-
15.09.2008, 16:06
Zum Herrn Jünger: Anarch und Anarchist sind verschieden, vergleichen ist da schwierig.
Anarchismus ist ein politischer Begriff.
Wenn's nix mit Politik zu tun hat, hat's auch nix mit Anarchismus zu tun.
Der Anarch dagegen ist eine, naja... wie wollen wir's nennen? - eine moralische Figur.
Oder, kurz: Aussen hie, innen da.


Zu Begriff der "Führung": Völlig legitim!
Nur ist das Verhältnis zwischen Geiselnehmer und Geisel kaum als "Führung" zu bezeichnen.

Dazu schrieb ich irgendwo:

"(T)atsächlich besteht die Assoziations- und Organisationsfreiheit ja nicht nur aus Selbstverständlichkeiten (;)), wie sich aussuchen zu dürfen, bei welcher Polizei man Kunde wird;
sondern ohne Frage auch daraus, sich zu assoziieren, um sich von anderen organisieren zu lassen.
Darauf legen manche mehr, manche weniger wert.
Qualitativ unterscheidet sich das nicht!
Es ist nicht "besser", möglichst viel alleine zu machen, "unabhängig" zu sein;
und es ist nicht "schlechter", auf andere zu hören, sich einzuordnen.
Vielmehr ist anzuerkennen, dass die personalen Präferenzen in dieser Hinsicht aus soziokulturellen, genetischen / biologischen und zufälligen Gründen differieren.
Jeder ist anders! [...]"

Oder, kürzer: "What's right for most people in most situations isn't right for everyone in every situation!" (Portia Andrews)

"Führung" kommt in menschlichen Gemeinschaften und Gesellschaften vor, kam immer schon vor, hat einen Zweck und sollte gefördert werden dort, wo und soweit sie angemessen ist.

Sauerländer
19.09.2008, 15:29
Mehr gibt es dazu nicht zusagen. Treffend formuliert. Und eine Antwort weiß ich natürlich auch. Das Erste, was geschehen muss, ist das Bewusstsein der Menschen zu erreichen. Der Begriff Anarchie ist in unserer Gesellschaft völlig zu unrecht negativ belastet, während der Kommunismus immer noch salonfähig ist.
Das hängt damit zusammen, dass Medien und Menschen den Begriff Anarchie immer mit Anomie verwechseln.
In dem Sinne wäre der bewusstseinsbildungsmäßige Hauptfeind des Anarchisten der Punk.

Sauerländer
19.09.2008, 15:37
Naja, dadurch, dass es Menschen gibt, die nach staatlicher Führung streben, bin ich der Ansicht, dass man die Menschen die Ideen einer freiheitlichen Gesellschaft "nur" Nahe bringen müsste. Denn der Wunsch nach Freiheit ist definitiv vorhanden. Was dem entgegensteht sind natürliche Abwehrmaßnahmen aus Selbsterhaltungstrieb seiten des Staats und das (im wahrsten Sinne des Wortes) fehlende Selbstbewusstsein der Menschen.
Dass das, was Du hier Freiheitsdrang nennst, vorhanden ist, würde ich bejahen.
Man frage sich ernsthaft: Wer WILL ernsthaft einen Apparat, der ihm tausendundeine Vorschrift für sein Leben macht, ihm sagt, was er mit dem Geld, dass er für seine Arbeit bekommt, zu machen hat und vor allen Dingen was nicht, der ihm Verkehrskontrollen und Zensur beschert und ihn zu einer Aktennummer in einem riesigen Verwaltungsgefüge herabwürdigt, an jeder Ecke Kameras aufhängt, jeden Menschen durchleuchten kann?
NIEMAND will so leben, von ganz rechts bis ganz links.
Die Probleme gehen los bei der Frage nach der Alternative - und da mag mancher Mensch zu dem Ergebnis kommen, dass er Erwartungen an eine Gesellschaftsordnung hat, denen zu entsprechen er einer Ordnung OHNE diesen Apparat nicht zutraut.
Was ich mir als Sichtweise garnichtmal hundertprozentig zueigen machen will, aber in jedem Fall sehr gut verstehe.

Freiheit ist auch nur das eine. DIe Frage nach Gleichheit und Brüderlichkeit ist ebenso relevant.


Ich habe irgendwann mal die Feststellung getroffen, dass es kein Wunder ist, dass funktionierende Ansätze von Anarchie fast immer den Charakter von Landkommunen tragen. Hohe Siedlungsdichte ist Technik, System, Überwachung, Hierarchie. Wie auch anders angesichts der pluralistischen Ballung.
I

Gladius et Titulus
19.09.2008, 16:04
Der Kommunismus nach Marx wurde von verschiedenen Denkern der Weltgeschichte, nun, sagen wir es so "perfektioniert". Wobei vermutlich "erweitert" oder "umgedacht" eher treffender wären. Zu diesen Denkern zählen vor allem Lenin, Marx, Kim il Sung und andere. Deren Ideen wurden mehr oder minder umgesetzt, aber es gab auch Denker wie Luxemburg, Orwell und Bakunin, die bei der Umsetzung nicht so erfolgreich waren.
Diese einzelnen Denker hatten ganz eigene revolutionäre, ökonomische und staatstechnische Ideen. Jedoch kann man von all ihnen sagen, dass ihre Ideen auf "der Basis" des Marxismus beruhen.

Für mich persönlich muss ich eingestehen, dass ich hinter der leninschen Wirtschaftsvorstellung stehe. Allerdings nicht hinter der Vorstellung der Planwirtschaft, sondern hinter seiner NÖP (Neue Ökonomische Politik), die eigentlich dazu gedacht war die wirtschaftliche Misere nach Bürgerkrieg und Kriegskommunismus zu überwinden. Ich glaube allerdings, das gerade diese Form der Wirtschaft sich als sehr leistungsfähig und am besten den nationalen Interessen untergeordnet erwiesen hat. Allerdings glaube ich, dass man sie in Zeiten wie heute, in denen die internationalen Märkte noch stärker zusammenhängen als je zuvor noch ein wenig modifizieren und etwas (ich betone ETWAS) ökonomisch freier machen muss.

Bärwolf
19.09.2008, 17:02
Für mich persönlich muss ich eingestehen, dass ich hinter der leninschen Wirtschaftsvorstellung stehe. Allerdings nicht hinter der Vorstellung der Planwirtschaft, sondern hinter seiner NÖP (Neue Ökonomische Politik), die eigentlich dazu gedacht war die wirtschaftliche Misere nach Bürgerkrieg und Kriegskommunismus zu überwinden. Ich glaube allerdings, das gerade diese Form der Wirtschaft sich als sehr leistungsfähig und am besten den nationalen Interessen untergeordnet erwiesen hat. Allerdings glaube ich, dass man sie in Zeiten wie heute, in denen die internationalen Märkte noch stärker zusammenhängen als je zuvor noch ein wenig modifizieren und etwas (ich betone ETWAS) ökonomisch freier machen muss.

Das wäre dann das heutige chinesische Modell.

Gladius et Titulus
19.09.2008, 17:38
Das wäre dann das heutige chinesische Modell.

Nicht ganz - etwas strenger als bei den Chinesen sollte das schon sein. Wobei ich anmerken möchte, dass dieses System für China gerade am besten ist, da sie derzeit sehr davon profitieren.