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Vollständige Version anzeigen : Zyklentheorie (Spengler) - Gegenargumente



-SG-
20.08.2008, 16:25
Durchlaufen Kulturen zwangsläufig nach ihrem Entstehen die Stadien Frühling, Sommer, Herbst und den das unwiederbringliche Verschwinden nach sich ziehenden Winter?

Oder ist es nicht eher so, wie ich mittlerweise denke, dass Kulturen einer stetigen Schwankung unterliegen, bedingt durch äußere Umstände wie Frieden/Krieg, Wohlstandsniveau, usw., welche ihr Innerstes vom "entschlossenen" Dasein (Heidegger) in die Dekadenz schwenken können, aber auch wieder zurück?

Die Schwankungen können letztendlich natürlich eine derartige Amplitude ins Negative bewirken, was dann letztlich den Untergang bedeutet. Zwischendurch können aber Negativphasen immer wieder durch "Auffrischungen" umgelenkt werden.

Ich will das festmachen an zwei Ausprägungen der gesitigen Disposition einer Kultur, die ich hier mal folgendermaßen umschreibe:
1.) Zum einen das Primat des Handels/der Wirtschaft vor der Politik bzw. der Beschränkung letzterer auf nebensächliche Administrationstätigkeiten sowie eine generell positive Weltsicht, anthropologischer Optimismus, Fortschrittsglaube, Weltbürgertum.
2.) Zum anderen das Primat der (Außen-/Macht-)Politik, Realismus, pessimistische Anthropologie...

Nehmen wir mal Beispiele aus der Geschichte:

Zu Beginn der Neuzeit gab es die ersten Handelsblüten, die die „Machtpolitik“ zu verdrängen schienen. Hanse, freie Reichsstädte, in Italien schon seit dem 13. Jahrhundert und früher, bestimmten die Lage, die „schöngeistige“ Wissbegierigkeit zeigte sich in Universitäten, Klostern usw. Mitten in die schöne neue Welt krachte der 30-jährige Krieg nach Europa und plötzlich zählten wieder die Wallensteins und Gustav Adolfs. Danach brauchte man erst mal ein expansives Bevölkerungswachstum, die harten Tatsachen hatten den Zeitgeist wieder ergriffen.

Der junge König Friedrich II. von Preußen dagegen war schon wieder ganz der weltbürgerliche Schöngeist. Er parlierte sowieso nur französisch, gab sich liberal, tolerant... wir wissen ja wie es weiterging. Irgendwann rannte er, entschlossen bis zum Untergang seines eigenen Volkes zu kämpfen, wie in Rage von Schlacht zu Schlacht durch das fast völlig besetzte Preußen.

Auch in den 1890ern-1910 und in den „goldenen 20ern“ scheint es solche Geisteserscheinungen gegeben zu haben. Immer ist der Mensch gut, der Handel der Selbstzweck und Maß aller Dinge, man ist aufgeklärt, weltbürgerlich, skepizistisch – und die Epoche der harten, brutalen Politik fegt das wieder weg.

Es ließen sich sicher noch unzählige Beispiele, auch aus anderen Kulturen, finden.

Meine These ist die, dass Friedens- und Wohlstandsperioden und abwechselnd dazu Krieg und Notstand die Antreiber dieser Schwankungen sind. Geburtenrate, Geisteshaltung, Pazifismus und dergleichen wandeln sich scheinbar nicht in einem einzigen Übergang Frühling bis Winter einer Kultur, sondern je nach den äußeren Umständen schwanken sie häufiger, bis eine extreme Schwankung dann das tatsächliche Ableben einleitet.

Ist das schlüssig? Erleben wir heute die extreme Schwankung, die den Untergang bringt, oder ist eine Auffrischung möglich?

-jmw-
20.08.2008, 16:46
Ist das schlüssig?
Ja.


Erleben wir heute die extreme Schwankung, die den Untergang bringt, oder ist eine Auffrischung möglich?
Ich fürchte, das weiss man erst, wenn's zu spät ist.

-SG-
20.08.2008, 19:00
Ich fürchte, das weiss man erst, wenn's zu spät ist.

Da hast Du wohl recht. Die Römer um 300-400 n.Chr. haben sich wohl auch keinstenfalls "im Untergang begriffen" gefühlt. Wohl eher im Gegenteil.

Mcp
20.08.2008, 21:13
Ist das schlüssig? Erleben wir heute die extreme Schwankung, die den Untergang bringt, oder ist eine Auffrischung möglich?
Nein, nicht zwingend. Empfehle Popper "Das Elend des Historismus (http://www.amazon.de/Das-Elend-Historizismus-Karl-Popper/dp/3169452916/ref=sr_1_20?ie=UTF8&s=books&qid=1219262103&sr=8-20)", der nimmt auch Spengler auseinander.

Die Voraussetzung für Zyklen irgendwelcher Art wäre das Wirken irgendwelcher historischen Gesetze. Die lassen sich nicht nachweisen, weil Geschichte kein reproduzierbarer Laborversuch ist. Was bleibt, ist die intellektuell unfruchtbare Was-Wäre-Wenn Diskussion. Das aber ist reine Spekulation, mithin unwissenschaftlich.

Die Historiker stehen zudem unter den Druck, die heutige Zeit aus der Vergangenheit heraus interpretieren zu müssen. Immer erscheint daher das gerade Moderne logische und zwingende Konsequenz einer historischen Entwicklung zu sein. Mit anderen Worten, jede Gegenwart muss sich aus der Vergangenheit rechtfertigen. Das verstellt nahezu zwangsläufig den objektiven Blick und führt bei jedem Paradigmawechsel zu einer radikalen Neuinterpretation der Historie. Das zeigt, dass es Gesetzte im naturwissenschaftlichen Sinne nicht gibt, weil beispielsweise die Mathematik von solchen Systembrüchen unberührt bleibt. Der Satz des Pythagoras gilt seit über 2000 Jahren unverändert fort.

Ausonius
20.08.2008, 21:23
Durchlaufen Kulturen zwangsläufig nach ihrem Entstehen die Stadien Frühling, Sommer, Herbst und den das unwiederbringliche Verschwinden nach sich ziehenden Winter?

Na ja - ich würde das mal nicht als generelle Gesetzmäßigkeit ansehen. Spinnt man deine Gedanken weiter, würde der Krieg als Selbstzweck zur Notwendigkeit. Und das wollen wir doch mal nicht hoffen....
Ansonsten ist das, was du vertrittst, natürlich eine sehr germanozentrische Geschichtsbetrachtung. In vielen Regionen der Welt wechselten sich Krisen und Blütezeiten nicht so rasch ab, gab es nicht so viele Kriege wie bei uns und in Mitteleuropa allgemein.
Um die These zu verifizieren und zu widerlegen, ist ein Blick auf die Einzelstaaten des deutschen Reiches sehr nützlich. Mit seinem komplizierten Recht "konservierte" es die frühneuzeitliche Staatenordnungen über Jahrhunderte. Und so gab es u.a. Reichsstädte, die ihre Blütezeit teils zu Barbarossas Zeiten erlebten und dann Jahrhunderte auf niedrigem Niveau dahindümpelten. Oder schwache Fürstentümer, die früh existierten, aber mit Geschick und Glück ihre Nachbarstaaten überlebten und erst im 19. Jahrhundert zu ihrer Blütezeit kamen. Sprich: so linear, wie es sich Spengler vorstellt, verläuft die Geschichte nicht.

Der kritische Denker
21.08.2008, 04:24
Die Weltgeschichte ist nicht zyklisch, sondern linear.

Rheinlaender
21.08.2008, 05:15
Durchlaufen Kulturen zwangsläufig nach ihrem Entstehen die Stadien Frühling, Sommer, Herbst und den das unwiederbringliche Verschwinden nach sich ziehenden Winter?

Oder ist es nicht eher so, wie ich mittlerweise denke, dass Kulturen einer stetigen Schwankung unterliegen, bedingt durch äußere Umstände wie Frieden/Krieg, Wohlstandsniveau, usw., welche ihr Innerstes vom "entschlossenen" Dasein (Heidegger) in die Dekadenz schwenken können, aber auch wieder zurück?

Die Schwankungen können letztendlich natürlich eine derartige Amplitude ins Negative bewirken, was dann letztlich den Untergang bedeutet. Zwischendurch können aber Negativphasen immer wieder durch "Auffrischungen" umgelenkt werden.

Ich will das festmachen an zwei Ausprägungen der gesitigen Disposition einer Kultur, die ich hier mal folgendermaßen umschreibe:
1.) Zum einen das Primat des Handels/der Wirtschaft vor der Politik bzw. der Beschränkung letzterer auf nebensächliche Administrationstätigkeiten sowie eine generell positive Weltsicht, anthropologischer Optimismus, Fortschrittsglaube, Weltbürgertum.
2.) Zum anderen das Primat der (Außen-/Macht-)Politik, Realismus, pessimistische Anthropologie...

Nehmen wir mal Beispiele aus der Geschichte:

Zu Beginn der Neuzeit gab es die ersten Handelsblüten, die die „Machtpolitik“ zu verdrängen schienen. Hanse, freie Reichsstädte, in Italien schon seit dem 13. Jahrhundert und früher, bestimmten die Lage, die „schöngeistige“ Wissbegierigkeit zeigte sich in Universitäten, Klostern usw. Mitten in die schöne neue Welt krachte der 30-jährige Krieg nach Europa und plötzlich zählten wieder die Wallensteins und Gustav Adolfs. Danach brauchte man erst mal ein expansives Bevölkerungswachstum, die harten Tatsachen hatten den Zeitgeist wieder ergriffen.

Bleiben wir mal bei diesen Beispiel, ist eine Zeit in der ich mich etwas auskenne. Das gesamte 16. Jahrundert war, wie wie auch das Jahrhundert zu vor ein Jahrhundert der Kriege und der Spannungen. Es war insbesondere ein Jahrundert der Machtpolitik, die natuerlich auf dem wirtschaftlichen Aufschwung basierte.

Es war das Jahrhundert der entstehenden Nationalstaaten. England, Frankreich und Spanien wurden zu Nationen. Im Heiligen Roemischen Reich prallte der Anspruch Karls V massive mit den Interessen der groesseren Reichstaende zusammen und fuehrte zu mehreren Kriegen.

Gleichzeitig waren die Machtpolitiker, insbesondere in Italien, aber auch Franz I on Frankreich, Henry VIII oder Elizabeth I, Foerderer des "Schoengeistigen" (wahrscheinlich ist zu keinem Zeitpunkt vorher oder nachher Europa von so gebildeten Herrschern dominiert worden wie im 16. Jahrhundert - friedlich waren die Zeiten dennoch nicht).

Die Machtpolitik stuerzte nicht 1618 schlagartig ueber Europa, sondern wurde geistig im 16. jahrhundert vorbereitet. Machiavelli stellte eine Theorie der Machtpolitk vor, die von Moral und Religion unabhaenig ist. Das Buendnis des kath. Frankreichs mit dem protestantischen England und den prostantischen Niederlande z. Zt. Elizabeth I gegen das kath. Haus Habsburg und spaeter das Buendnis Frnakreich mit dem protestantischen Schweden und prostantischen dt. Reichsfuersten ist ohne diese Emanzipation von der Religion in der Machtpolitik nicht denkbar.

Im 16. Jahrhundert zerbrach die mittelalterliche Einheit. Das 16. Jahrhundert war blutig und der Dreizigjaehrige Krieg war der Kumulationspunkt dieser Konflikte. Keine der Ursachen des Dreizigjaehrigen Krieges war nicht schon vorher Ursache fuer blutige Auseinandersetzungen - zwischen und innerhalb von Staaten.

Der Friede von Westfalen war in letzter Instanz die Antwort auf die Fragen, die spaetestens seit 1540 in Europa offen standen.

McDuff
21.08.2008, 05:50
Schon die alten Griechen stellten die Theorie des Verfassungskeirslaufs auf in dem Regierungsformen sich überholen und in andere übergehen.

http://de.wikipedia.org/wiki/Verfassungskreislauf

Wenn das stimmt dann ist unsere Demokratie zur Ochlokratie entartet.

-SG-
21.08.2008, 12:13
Bleiben wir mal bei diesen Beispiel, ist eine Zeit in der ich mich etwas auskenne. Das gesamte 16. Jahrundert war, wie wie auch das Jahrhundert zu vor ein Jahrhundert der Kriege und der Spannungen. Es war insbesondere ein Jahrundert der Machtpolitik, die natuerlich auf dem wirtschaftlichen Aufschwung basierte.

Es war das Jahrhundert der entstehenden Nationalstaaten. England, Frankreich und Spanien wurden zu Nationen. Im Heiligen Roemischen Reich prallte der Anspruch Karls V massive mit den Interessen der groesseren Reichstaende zusammen und fuehrte zu mehreren Kriegen.

Gleichzeitig waren die Machtpolitiker, insbesondere in Italien, aber auch Franz I on Frankreich, Henry VIII oder Elizabeth I, Foerderer des "Schoengeistigen" (wahrscheinlich ist zu keinem Zeitpunkt vorher oder nachher Europa von so gebildeten Herrschern dominiert worden wie im 16. Jahrhundert - friedlich waren die Zeiten dennoch nicht).

Die Machtpolitik stuerzte nicht 1618 schlagartig ueber Europa, sondern wurde geistig im 16. jahrhundert vorbereitet. Machiavelli stellte eine Theorie der Machtpolitk vor, die von Moral und Religion unabhaenig ist. Das Buendnis des kath. Frankreichs mit dem protestantischen England und den prostantischen Niederlande z. Zt. Elizabeth I gegen das kath. Haus Habsburg und spaeter das Buendnis Frnakreich mit dem protestantischen Schweden und prostantischen dt. Reichsfuersten ist ohne diese Emanzipation von der Religion in der Machtpolitik nicht denkbar.

Im 16. Jahrhundert zerbrach die mittelalterliche Einheit. Das 16. Jahrhundert war blutig und der Dreizigjaehrige Krieg war der Kumulationspunkt dieser Konflikte. Keine der Ursachen des Dreizigjaehrigen Krieges war nicht schon vorher Ursache fuer blutige Auseinandersetzungen - zwischen und innerhalb von Staaten.

Der Friede von Westfalen war in letzter Instanz die Antwort auf die Fragen, die spaetestens seit 1540 in Europa offen standen.

Verstehe nicht ganz, woraufhin Du hinauswillst, dass der Krieg nicht "plötzlich" über Europa hereinbrach, sondern die Ursachen langsam aber sicher in der Zeit davor sich schon entwickelten? Das ist klar. Das ist wohl immer so. Mit "plötzlich" meinte ich auch, wie es für den einfachen Menschen, für die Handeltreibenden, Künstler usw. dort gewirkt haben muss. In den 20ern konnte natürlich auch ein Blinder die Instabilität konstatieren und die Faktoren, die kriegsfördernd wirkten. Aber trotzdem tanzte man weltoffen auf irgendwelchen Bällen herum und was danach kam muss wohl für viele wie ein Paukenschlag gewirkt haben.

-SG-
21.08.2008, 12:25
Nein, nicht zwingend. Empfehle Popper "Das Elend des Historismus (http://www.amazon.de/Das-Elend-Historizismus-Karl-Popper/dp/3169452916/ref=sr_1_20?ie=UTF8&s=books&qid=1219262103&sr=8-20)", der nimmt auch Spengler auseinander.

Die Voraussetzung für Zyklen irgendwelcher Art wäre das Wirken irgendwelcher historischen Gesetze. Die lassen sich nicht nachweisen, weil Geschichte kein reproduzierbarer Laborversuch ist. Was bleibt, ist die intellektuell unfruchtbare Was-Wäre-Wenn Diskussion. Das aber ist reine Spekulation, mithin unwissenschaftlich.

Die Historiker stehen zudem unter den Druck, die heutige Zeit aus der Vergangenheit heraus interpretieren zu müssen. Immer erscheint daher das gerade Moderne logische und zwingende Konsequenz einer historischen Entwicklung zu sein. Mit anderen Worten, jede Gegenwart muss sich aus der Vergangenheit rechtfertigen. Das verstellt nahezu zwangsläufig den objektiven Blick und führt bei jedem Paradigmawechsel zu einer radikalen Neuinterpretation der Historie. Das zeigt, dass es Gesetzte im naturwissenschaftlichen Sinne nicht gibt, weil beispielsweise die Mathematik von solchen Systembrüchen unberührt bleibt. Der Satz des Pythagoras gilt seit über 2000 Jahren unverändert fort.

Es lassen sich aber sehr wohl auch in den Sozialwissenschaften Aussagen mit Gesetzescharakter treffen, auch wenn die natürlich keinen deterministischen Anspruch haben können. Dass mit steigendem Wohlstand z.B. die Kinderzahl abnimmt. Oder dass in Zeiten der demographischen und kulturellen Krise die "Toleranz" zunimmt. Diese Faktoren lassen sich identifizieren und sind dann erklärende Variablen für den Zustand eines Volkes.

Da kann es dann natürlich sein, dass Zyklentheorien zufällig mit der Realität übereinstimmen. Ich greife dazu mal dieses Argument auf:

In vielen Regionen der Welt wechselten sich Krisen und Blütezeiten nicht so rasch ab, gab es nicht so viele Kriege wie bei uns und in Mitteleuropa allgemein.
Da könnte es natürlich passieren, dass bestimmte Kulturen, Ägypter, Sumerer, Babylonier etc., in ihrer Zeit eine große Wohlstands- und Friedensperiode hatten, während der sie demographisch abflachten, ihre Selbstbindungen loser wurden, ihre "Toleranz" zunahm etc. etc., und sie schließlich verdrängt wurden.
Da könnte der Beobachter dann diesen Frühling-Sommer-Herbst-Winter-Zyklus verifiziert glauben.

Dass es eher nicht eine jedem Volk irgendwie immanente Neigung ist, irgendwann unterzugehen, sondern dass es eher die außerhalb des gesellschaftlichen Systems stehenden Kräfte sind, die innerhalb des Systems Aufstieg oder Niedergang beeinflussen, um das zu erörtern geht es hier ja.

-SG-
21.08.2008, 12:27
Na ja - ich würde das mal nicht als generelle Gesetzmäßigkeit ansehen. Spinnt man deine Gedanken weiter, würde der Krieg als Selbstzweck zur Notwendigkeit. Und das wollen wir doch mal nicht hoffen....

Was wir "wollen" steht leider nicht zur Debatte. Sollte sich herausstellen, dass man diese Zusammenhänge als stabil erachten kann, dann hat das natürlich für uns heute wohl unangenehme Konsequenzen, denn wer will schon Krise&Krieg absichtlich herbeiführen oder zumindest herbeiwünschen, um die Kultur wieder "aufzufrischen"?


So abwegig es uns aber erscheint, wage ich zu behaupten, dass eine gnadenlose, langfristig orientierte, rücksichtslos auf kulturellen Selbsterhalt ansinnende Politik das wollen könnte.

Sauerländer
21.08.2008, 13:18
Die Weltgeschichte ist nicht zyklisch, sondern linear.
Mit dem Zusatz "in Abwärtsrichtung" könnte man diesen Eindruck in der Tat gewinnen.

Ausonius
21.08.2008, 13:33
Sollte sich herausstellen, dass man diese Zusammenhänge als stabil erachten kann, dann hat das natürlich für uns heute wohl unangenehme Konsequenzen, denn wer will schon Krise&Krieg absichtlich herbeiführen

Leider scheust du die Indiziendebatte - vielleicht, weil dir die Hypothese so gut gefält. Es gibt Staaten, die hatten nie eine Blütezeit (DDR). Es gibt sogar Staaten, bei denen es bisher tatsächlich noch keinen Anlass gab, von ernsthaften Krisen zu sprechen (z.B. die Schweiz). Leider wird die Debatte darauf herauslaufen, dass du und andere sich ihren Kulturpessimismus bestätigen, anstatt ihn mal kritisch zu überprüfen, oder gar überhaupt in Frage zu stellen. Denn ich gehe wohl richtig in der Annahme, dass du die heutige bundesdeutsche Gesellschaft selbstverständlich im Herbst oder gar Winter siehst.

-SG-
21.08.2008, 13:43
Leider scheust du die Indiziendebatte - vielleicht, weil dir die Hypothese so gut gefält. Es gibt Staaten, die hatten nie eine Blütezeit (DDR). Es gibt sogar Staaten, bei denen es bisher tatsächlich noch keinen Anlass gab, von ernsthaften Krisen zu sprechen (z.B. die Schweiz). Leider wird die Debatte darauf herauslaufen, dass du und andere sich ihren Kulturpessimismus bestätigen, anstatt ihn mal kritisch zu überprüfen, oder gar überhaupt in Frage zu stellen. Denn ich gehe wohl richtig in der Annahme, dass du die heutige bundesdeutsche Gesellschaft selbstverständlich im Herbst oder gar Winter siehst.

Herbst, Winter usw. sind ja die Begriffe, die ich hier widerlegen will.

Ich will das Augenmerk eher auf die handfesten Faktoren richten, die "Aufstieg" oder "Niedergang" begünstigen könnten. Letztere werden auch nicht einfach mal so "konstatiert", sondern über Indikatoren operationalisiert, etwa demographische, kulturelle oder andere.

"Kulturpessimismus" wäre es, wenn ich mich hinstelle und ohne weitere Nachweise sage: Jede Kultur geht naturgemäß unter und wir sind gerade dabei.
Wenn ich mich aber hinstelle und sage: Jede Generation ist nur etwas mehr als halbsogroß wie die vorherige, dann ist das kein "Kulturpessimismus" sondern nüchterne Reflexion.

Um die Thesen zu widerlegen braucht es schon stichhaltigeres als Deine DDR/Schweiz-Beispiele. Wir reden ja nicht von Staaten (DDR), sondern von Völkern/Kulturen. 40 Jahre DDR sind nicht aussagekräftig. Die Schweiz ist sowieso Ausnahme in allen sozialwissenschaftlichen Hypothesen. Die Hypothesen wie etwa Wohlstand führt zu oben beschriebenen "Dekadenz"erscheinungen ließe sich dort trotzdem testen.

Rheinlaender
21.08.2008, 14:18
Verstehe nicht ganz, woraufhin Du hinauswillst, dass der Krieg nicht "plötzlich" über Europa hereinbrach, sondern die Ursachen langsam aber sicher in der Zeit davor sich schon entwickelten? Das ist klar. Das ist wohl immer so. Mit "plötzlich" meinte ich auch, wie es für den einfachen Menschen, für die Handeltreibenden, Künstler usw. dort gewirkt haben muss.

Ich vermute nicht sehr ueberraschend - die jahrzehnte vorher waren mit Kriegen gefuellt. Was die Leute sicher ueberrascht haben wird, ist der Umstand der Krieg so eskalierte, aber der Krieg selber? Nein.

miname
21.08.2008, 14:38
Bleiben wir mal bei diesen Beispiel, ist eine Zeit in der ich mich etwas auskenne. Das gesamte 16. Jahrundert war, wie wie auch das Jahrhundert zu vor ein Jahrhundert der Kriege und der Spannungen. Es war insbesondere ein Jahrundert der Machtpolitik, die natuerlich auf dem wirtschaftlichen Aufschwung basierte.

Es war das Jahrhundert der entstehenden Nationalstaaten. England, Frankreich und Spanien wurden zu Nationen. Im Heiligen Roemischen Reich prallte der Anspruch Karls V massive mit den Interessen der groesseren Reichstaende zusammen und fuehrte zu mehreren Kriegen.

Gleichzeitig waren die Machtpolitiker, insbesondere in Italien, aber auch Franz I on Frankreich, Henry VIII oder Elizabeth I, Foerderer des "Schoengeistigen" (wahrscheinlich ist zu keinem Zeitpunkt vorher oder nachher Europa von so gebildeten Herrschern dominiert worden wie im 16. Jahrhundert - friedlich waren die Zeiten dennoch nicht).

Die Machtpolitik stuerzte nicht 1618 schlagartig ueber Europa, sondern wurde geistig im 16. jahrhundert vorbereitet. Machiavelli stellte eine Theorie der Machtpolitk vor, die von Moral und Religion unabhaenig ist. Das Buendnis des kath. Frankreichs mit dem protestantischen England und den prostantischen Niederlande z. Zt. Elizabeth I gegen das kath. Haus Habsburg und spaeter das Buendnis Frnakreich mit dem protestantischen Schweden und prostantischen dt. Reichsfuersten ist ohne diese Emanzipation von der Religion in der Machtpolitik nicht denkbar.

Im 16. Jahrhundert zerbrach die mittelalterliche Einheit. Das 16. Jahrhundert war blutig und der Dreizigjaehrige Krieg war der Kumulationspunkt dieser Konflikte. Keine der Ursachen des Dreizigjaehrigen Krieges war nicht schon vorher Ursache fuer blutige Auseinandersetzungen - zwischen und innerhalb von Staaten.

Der Friede von Westfalen war in letzter Instanz die Antwort auf die Fragen, die spaetestens seit 1540 in Europa offen standen.

durchaus wahr.
aber kannst du mir mal erklaeren, warum ich als bekennender fdp-nicht-also-auf-gar-keine-fall-waehler, dein parteiprogramm so sympathisch finde ?

EinDachs
21.08.2008, 15:22
Ich finde nicht, dass die Weltgeschichte sonderlich zyklisch ist.
Es mag sein, dass verschiedene Abschnitte und Epochen sich immer wieder gleichen, dass liegt aber ganz einfach daran, dass Menschen bzw Kulturen unter ähnlichen Gesetzmäßigkeiten entscheiden müssen und es eben nur eine begrenzte Anahl an Alternativen gibt. Der 30jährige Krieg etwa "mußte" nicht ausbrechen.

Ich will noch einen anderen wichtigen Punkt einbringen.
Meiner Ansicht nach vergessen Advokaten eines zyklischen Weltbildes vor allem auch eines: Wissenschaftlichen Fortschritt. Der ist stark kumulativ, überhaupt seitdem man Wege gefunden hat Wissen auf Dauer zu speichern. Damit hat jede Kultur und Epoche die Möglichkeit auf den Erkenntnissen und Fehlern vorhergehender aufzubauen bzw daraus zu lernen... und tut es manches mal auch.
Dies gilt besonders auch für die Änderungen der Technik und sich daraus ergebenden Veränderungen der Art Politik zu betreiben. Gerade in Zeiten, in denen ein Weltkrieg aufgrund des Vernichtungspotentials atomarer Waffen recht unwahrscheinlich ist, kann man ja nicht wirklich erwarten, dass unsere Schöngeistige Periode überraschend von einer Neuauflage des 30jährigen Krieges bedroht wird.
Das heißt natürlich nicht, dass es nicht immer wieder Schwankungen des Wachstums geben wird, aber diese Schwankungen erinnern uns dann nur eher an vorhergehende, als dass sie tatsächlich irgendwelchen simplen Gesetzmäßigkeiten entsprechen.

Kurzfassung: Geschichte verläuft chaotisch, aber linear. Wir haben nur eine Vorliebe dafür im Chaos nach Gesetzen zu suchen. Und wenn man welche sucht, dann findet man sie immer.

-SG-
21.08.2008, 15:55
Ich will noch einen anderen wichtigen Punkt einbringen.
Meiner Ansicht nach vergessen Advokaten eines zyklischen Weltbildes vor allem auch eines: Wissenschaftlichen Fortschritt. Der ist stark kumulativ, überhaupt seitdem man Wege gefunden hat Wissen auf Dauer zu speichern. Damit hat jede Kultur und Epoche die Möglichkeit auf den Erkenntnissen und Fehlern vorhergehender aufzubauen bzw daraus zu lernen... und tut es manches mal auch.

Die Betonung liegt wohl auf "manchmal". Dass die Erde rund ist wussten die Griechen, die Deutschen 1000 Jahre später aber nicht mehr, die nigerianischen Moslems glauben heute noch dass Sonnenfinsternissen Strafen Allahs seinen und fackeln Kirchen dabei ab.


Gerade in Zeiten, in denen ein Weltkrieg aufgrund des Vernichtungspotentials atomarer Waffen recht unwahrscheinlich ist, kann man ja nicht wirklich erwarten, dass unsere Schöngeistige Periode überraschend von einer Neuauflage des 30jährigen Krieges bedroht wird.
Weder hat jemals die Erfindung einer noch tödlicheren Waffe davor abgeschreckt, sie zu gebrauchen, noch muss es gleich ein nuklearer Weltuntergang sein - im Irak sieht es auch ohne Atombomben ganz schön scheiße aus, auf dem Balkan wurde auch ohne ABC gewütet, und die angehenden Vielvölkerstaaten Westeuropas können sich schon mal darauf einstellen, dass ihre heile Welt auch nicht ewig ist.


Kurzfassung: Geschichte verläuft chaotisch, aber linear. Wir haben nur eine Vorliebe dafür im Chaos nach Gesetzen zu suchen.Chaotisch, aber linear? Leise, aber laut? Linearitäts"feststellungen" sind genauso Hineininterpretationen bei der Suche nach Gesetzen.

EinDachs
21.08.2008, 16:04
Die Betonung liegt wohl auf "manchmal". Dass die Erde rund ist wussten die Griechen, die Deutschen 1000 Jahre später aber nicht mehr, die nigerianischen Moslems glauben heute noch dass Sonnenfinsternissen Strafen Allahs seinen und fackeln Kirchen dabei ab.

Es mag sein, dass es immer wieder Gruppen und Menschen gibt, die ihrer Zeit echt weit hinterher sind... aber die Regel sind die eben nicht. Unterentwickelte Gebiete haben eben oft keinen Anschluss an die Wissensreserven der entwickelten Welt. Was soll aber deiner Ansicht nach diese Wissensreserven vernichten können?
Meinst du in 1000 Jahren haben wir alle das Lesen verlernt und halten die Erde wieder für eine Scheibe? Wie soll das vor sich gehen?


Weder hat jemals die Erfindung einer noch tödlicheren Waffe davor abgeschreckt, sie zu gebrauchen, noch muss es gleich ein nuklearer Weltuntergang sein

Weil auch nie eine Waffe erfunden wurde, die sowohl Angreifer als Angegriffenen gleichermaßen vernichten kann-mitsamt möglicherweise aller die neutral sind. Die Atombombe ist hier ein historisches Novum.


- im Irak sieht es auch ohne Atombomben ganz schön scheiße aus, auf dem Balkan wurde auch ohne ABC gewütet, und die angehenden Vielvölkerstaaten Westeuropas können sich schon mal darauf einstellen, dass ihre heile Welt auch nicht ewig ist.

Das heißt ja nicht, dass keine Kriege mehr möglich sind, die finden fast immer einen Weg. Aber große, totale Weltkriege zwischen den bedeutenden Mächte sind ohne Vernichtung der Menschheit nicht mehr möglich... was früher eben anders war. Dadurch kann man nicht wirklich mit einer zyklischen Wiederkehr früherer Zustände rechnen... schlimmstenfalls mit Situationen, die dank der menschlichen Vorliebe Muster zu erkennen, diesen geschichtlichen Umständen ähneln.


Chaotisch, aber linear? Leise, aber laut? Linearitäts"feststellungen" sind genauso Hineininterpretationen bei der Suche nach Gesetzen.

Linear nur in dem Sinne zu verstehen, dass die Vergangenheit immer die Vergangenheit bleiben wird, weil die Zeit bekanntlich nur in eine Richtung fließt. Das Wort in dem Zusammenhang bitte nicht überinterpretiern, ich wollte nur das nicht-zyklische betonen.

-SG-
21.08.2008, 16:56
Es mag sein, dass es immer wieder Gruppen und Menschen gibt, die ihrer Zeit echt weit hinterher sind... aber die Regel sind die eben nicht. Unterentwickelte Gebiete haben eben oft keinen Anschluss an die Wissensreserven der entwickelten Welt. Was soll aber deiner Ansicht nach diese Wissensreserven vernichten können?
Meinst du in 1000 Jahren haben wir alle das Lesen verlernt und halten die Erde wieder für eine Scheibe? Wie soll das vor sich gehen?


Siehe den berühmten Einstein-Spruch vom übernächsten Krieg.


Weil auch nie eine Waffe erfunden wurde, die sowohl Angreifer als Angegriffenen gleichermaßen vernichten kann-mitsamt möglicherweise aller die neutral sind. Die Atombombe ist hier ein historisches Novum.
Ich verstehe nicht ganz, die Abwürfe auf Hiroshima und Nagasaki haben weder "die Japaner" "vernichtet", noch auch nur einem Amerikaner ein Haar gekrümmt. Aber Du meinst wohl, dass heute, da ja jeder Hallodri in der Garage eine hat, ein Atomkrieg eine Spirale der atomaren Gewalt auslösen würde, die erst mit der Vernichtung der Menschheit endete. Nein, das ist nicht so. Die Menschen sind halt doch ziemlich zäh. Selbst 1000 Atombomben würden sie nicht "ausrotten". Und die moralischen Gewissensbisse, die Du oder ich dabei hätten, die haben andere nicht. Manche haben da im Gegenteil sogar strategische Überlegungen aus à la Von uns werden noch welche übrig bleiben, von denen nicht, da wir mehr sind/ein größeres Gebiet haben etc.
Weder hat die Erfindung der Atombombe ihren Einsatz verhindert, noch werden es zukünftige Waffensysteme.

ich wollte nur das nicht-zyklische betonen.
Ok, ich auch.

EinDachs
21.08.2008, 18:47
Siehe den berühmten Einstein-Spruch vom übernächsten Krieg.

Das ist eher eine polemische Überspitzung Einsteins gewesen, als ein wirklicher Fakt. Auch nach einem hypothetisch anzunehmenden Atomkrieg, beginnt die Menshcheit nicht bei 0 (ich nehm jetzt mal salopp an, dass es die Menschheit noch gibt, da die weitere Debatte sonst eher sinnlos wäre).
Es ist in diesem Krieg entweder jeder gestorben der lesen und schreiben kann, oder man könnte immer noch auf Reste früheren Wissens zurückgreifen.
Einen absoluten Reset des menschlichen Wissens ist selbst in solchen Extrembeispielen nicht gegeben.



Ich verstehe nicht ganz, die Abwürfe auf Hiroshima und Nagasaki haben weder "die Japaner" "vernichtet", noch auch nur einem Amerikaner ein Haar gekrümmt.

Das liegt daran, dass das 2 Atombomben waren und nicht die 26.000 die zur Zeit zur Verfügung stehen. Außerdem hatten die Japaner keine Möglichkeit zurückzuschlagen.
Bei einem neuen Weltkrieg, der auch den Namen als solchen verdient, wird es schwierig sein rein konventionell bewaffnete Kontrahenten aufzutreiben.


Aber Du meinst wohl, dass heute, da ja jeder Hallodri in der Garage eine hat, ein Atomkrieg eine Spirale der atomaren Gewalt auslösen würde, die erst mit der Vernichtung der Menschheit endete. Nein, das ist nicht so. Die Menschen sind halt doch ziemlich zäh. Selbst 1000 Atombomben würden sie nicht "ausrotten".

Der springende Punkt ist, das es jetzt technisch machbar ist, die Menschheit auszurotten und im Falle eines Weltkrieges hätten wir immer noch einen stattlichen Overkill.
Die von dir genannte Zahl der 1000 Atombomben reicht übrigens- bei angenommener durchschnittlicher Sprengkraft- mit ziemlicher Sicherheit aus um die Menschheit zu vernichten.


Und die moralischen Gewissensbisse, die Du oder ich dabei hätten, die haben andere nicht. Manche haben da im Gegenteil sogar strategische Überlegungen aus à la Von uns werden noch welche übrig bleiben, von denen nicht, da wir mehr sind/ein größeres Gebiet haben etc.

Unwahrscheinlich. Solch zynische Überlegungen gab es zur Zeit des Kalten Krieges bereits in Massen, alleine der Selbsterhaltungstrieb wird allerdings stark dagegensprechen, dass jemand den Knopf drückt.
Die Atombombe hat die Spielregeln der Geschichte einfach dauerhaft geändert.

Aber mal angenommen wir haben den Atomkrieg: Was spricht jetzt am Atomkrieg für ein zyklisches Weltbild? Sowas gabs in der bisherigen Geschichte nicht und es wird auch so ziemlich jede Parallelle dazu weit hergeholt wirken.


Weder hat die Erfindung der Atombombe ihren Einsatz verhindert, noch werden es zukünftige Waffensysteme.

Sobald die anderen auch welche haben, in der Praxis doch recht eindrucksvoll.
Der kalte Krieg hätte genug Momente gehabt, wo in früheren Zeiten ohne langes Überlegen der Krieg heiß geworden wäre. Allerdings ist die Aussicht, den Krieg selbst nicht zu überleben dann eine tolle Möglichkeit zur Selbstdisziplinierung.

Michel
21.08.2008, 19:06
Ganz Kurz.

Schau mal hier Chanan. Hab schon diverse Threads über diesen Themenbereich hier bei PF eingestellt.

Der demographische Übergang in den Untergang

http://www.volkmar-weiss.de/zyklisch.html

Karl August Wittfogel

Die potamische Despotie - Zerstörung der Zukunft

-SG-
21.08.2008, 19:17
Das ist eher eine polemische Überspitzung Einsteins gewesen, als ein wirklicher Fakt. Auch nach einem hypothetisch anzunehmenden Atomkrieg, beginnt die Menshcheit nicht bei 0 (ich nehm jetzt mal salopp an, dass es die Menschheit noch gibt, da die weitere Debatte sonst eher sinnlos wäre).
Es ist in diesem Krieg entweder jeder gestorben der lesen und schreiben kann, oder man könnte immer noch auf Reste früheren Wissens zurückgreifen.
Einen absoluten Reset des menschlichen Wissens ist selbst in solchen Extrembeispielen nicht gegeben.


Also ich gehe in die Fußgängerzone und suche wahllos 1500 Gestalten heraus und mit denen versuchst Du dann ein Dorf aufzubauen, ok?
Da hilft es auch nicht, dass irgendwo verstaubt noch ein Heimwerkerbuch rumliegt. Das kann von denen keiner lesen. Ich meine das ganz ernst. Lies mal was 120 Jahre altes. Satzlänge, Verschachtelung, Wortwahl usw. werden Dir eine liebe Mühe machen. So geht es den Kindern, die heute geboren werden, mit dem, was unsere Väter aufgeschrieben haben. Die geistige Degeneration ist heute derart fortgeschritten, dass wir bald nicht mehr nur die typische parasitäre Erscheinungsform jeder arbeitsteiligen Gesellschaft (jemand lebt von den Fähigkeiten anderer) haben, sondern diese sich ausweitet zu einem generellen Parasitentum derart, dass die heutige Generation von den Fähigkeiten der vorigen Generation lebt.

Sobald dieses Band zerschnitten ist, haben wir möglicherweise einen technischen Rückschritt. Du musst Dir das vorstellen wie eine Generation Ägypter, die mit den Pyramiden aufgewachsen sind, die ihre Väter und Großväter gebaut haben, dem Wissen entledigt, wie dies zustandekommen konnte. Irgendwann steht eine ganze Generation fragend da und begreift nicht, wie das funktioniert hat. In 20 Jahren wird eine verschwindende Minderheit überhaupt noch ein Computerprogramm schreiben können. Wenn dieser Verfall jetzt z.B. mit einem Krieg zusammentrifft, dann ist es nicht unwahrscheinlich, dass hinterher tatsächlich keine neuen PCs mehr entwickelt werden. Die alten gehen nach und nach kaputt und da haben wir den Rückschritt.


Die von dir genannte Zahl der 1000 Atombomben reicht übrigens- bei angenommener durchschnittlicher Sprengkraft- mit ziemlicher Sicherheit aus um die Menschheit zu vernichten.
Hast Du da einen Verweis? Hört sich für mich unrealistisch an. Ich torpediere die 1000 größten Städte der Welt, und, unabhängig davon, dass die auch nicht völlig ausradiert sind, leben doch in Neufundland oder im australischen Busch trotzdem noch Menschen?


Sobald die anderen auch welche haben, in der Praxis doch recht eindrucksvoll.
Der kalte Krieg hätte genug Momente gehabt, wo in früheren Zeiten ohne langes Überlegen der Krieg heiß geworden wäre. Allerdings ist die Aussicht, den Krieg selbst nicht zu überleben dann eine tolle Möglichkeit zur Selbstdisziplinierung.
Was ist die "Praxis", die wir haben? 60 Jahre? Das ist nichts. Was wird in 30 Jahren sein, in 80? Wenn unglaubliche Menschenmassen und versiegende Energiequellen zusammentreffen? Bedenke auch, dass das eigene Überleben nicht für alle unserer Spezies hinreichende Bedingung ist, einen Krieg zu führen.

Weiter_Himmel
26.08.2008, 12:40
Aber es gibt doch auch durchaus Kulturen die zwar viele verschiedene Staatsformen durchlebten ... jedoch ihre Identität halbwegs wahren konnten . Wie z.B: Japaner und Chinesen .

dr-esperanto
27.08.2008, 22:37
Habe gerade gelesen, dass die wenigsten Spanier in ihre neue Berufsarmee eintreten wollen - dafür drängen massenhaft Marokkaner in diese Marktlücke und verpflichten sich. Ähnlich war es bei den Arabern, die auch irgendwie nicht mehr kämpfen wollten, sodass nach und nach immer mehr Türken das nominell arabische Heer kontrollierten. Tja und dann haben die Türken geputscht und konnten sich so das arabische Reich aneignen. Dasselbe Spiel kennen wir aus dem Römischen Reich, nur dass es dort germanische Söldner waren, die nach geraumer Zeit das ganze Reich übernehmen konnten. Lange Rede, kurzer Sinn: ich denke, an Spenglers (und auch Toynbees) Theorie vom vitalen Aufbruch und degeneriert-verweichlichten Ende einer Zivilisation ist sehr viel dran.

Rheinlaender
27.08.2008, 22:49
Da hilft es auch nicht, dass irgendwo verstaubt noch ein Heimwerkerbuch rumliegt. Das kann von denen keiner lesen. Ich meine das ganz ernst. Lies mal was 120 Jahre altes. Satzlänge, Verschachtelung, Wortwahl usw. werden Dir eine liebe Mühe machen. So geht es den Kindern, die heute geboren werden, mit dem, was unsere Väter aufgeschrieben haben. Die geistige Degeneration ist heute derart fortgeschritten, ...

Das ist keine "Degeneration", sondern eine Veraenderung. Heute werden Saetze anders gebaut, man kann sich aber durchaus in alten Sprachstil einlesen. Ein Text wie dieser hier aus dem Jahr 1584 war auch vor 120 Jahren fremd - oder sollte man besser schreibt "frempt":

http://diglib.hab.de/drucke/alv-ga-5-1-2f/00173.jpg


dass wir bald nicht mehr nur die typische parasitäre Erscheinungsform jeder arbeitsteiligen Gesellschaft (jemand lebt von den Fähigkeiten anderer) haben, sondern diese sich ausweitet zu einem generellen Parasitentum derart, dass die heutige Generation von den Fähigkeiten der vorigen Generation lebt.

Das Kind heisst nicht "parasitaer", sondern "symbiotisch"; diese Generation baut auch auf; die Entwicklung der Computertechnik und der Gentechnologie schreitet mit einer Geschwindigkeit voran, dass es schwierig ist, auf dem Laufenden zu bleiben.

Natuerlich basieren die Faehigkeiten jeder Generation auf den der Vorgaengergeneration. Wir brauchen das Rad nicht mehr zu erfinden, nicht zu lernen wie man Feuer macht oder Bronze giesst oder wie man Proteine mit der Ablenkung von Roengtenstrahen in Strultur erkennen kann. Das ist eine Trivialitaet.



In 20 Jahren wird eine verschwindende Minderheit überhaupt noch ein Computerprogramm schreiben können.

Auch das ist Arbeitsteilung - heute kann auch nur noch eine verschwindende Minderheit von Programmierern Assembler schrieben. Es entwicklen immer weiter abstrahierte Programmiersprachen. Ein C++ Programmier, der wie ich noch mit Pointer auf char herumbaut ist eigentlich ein Museeumstueck, dass wegen bestimmter Anwendungen nich gehalten wird.

Aber heute baut auch keiner mehr Dampfmaschine fuer den grosstechnischen Einsatz.