bernhard44
31.07.2008, 20:12
Martin Johannes Walser (* 24. März 1927 in Wasserburg am Bodensee) ist ein bekannter deutscher Schriftsteller. Ein bis zu jenem Tag integerer Vorzeigeintellektueller.
Das Befremden der linken Szene, die Walser lange als einen der ihren betrachtet hat, wurde zum vehementen Protest, als Walser anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels am 11. Oktober 1998 in der Frankfurter Paulskirche eine Rede hielt, in der er eine „Instrumentalisierung des Holocaust” ablehnte.
Mit dieser Rede löste er eine kontroverse Diskussion von nicht geahntem (oder doch) Ausmass an, die an Schärfe und Polemik kaum zu überbieten war.
Wie sollten wir mit unserer Geschichte denn nun umgehen? Ist Walsers Denkanstoß (der ihn gesellschaftlich isolierte) in die richtige Richtung gedacht, was bringt uns Deutschen das? Dürfen wir das überhaupt....wie die Gegner dieser Denkschule gern fragen. Ich finde ja und zwar mit einer unaufgeregten Souveränität! Wir müssen es sogar, wenn wir den Blick für das Wesentliche nicht verlieren wollen. Nur selbstbewusst und mit aufrechten Gang werden wir die Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft erfolgreich annehmen und bestreiten können.
Hier die kritisierten Kernaussagen der Dankesrede von Martin Walser zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels:
Jeder kennt unsere geschichtliche Last, die unvergängliche Schande, kein Tag, an dem sie uns nicht vorgehalten wird. Könnte es sein, daß die Intellektuellen, die sie uns vorhalten, dadurch, daß sie uns die Schande vorhalten, eine Sekunde lang der Illusion verfallen, sie hätten sich, weil sie wieder im grausamen Erinnerungsdienst gearbeitet haben, ein wenig entschuldigt, seien für einen Augenblick sogar näher bei den Opfern als bei den Tätern? Eine momentane Milderung der unerbittlichen Entgegengesetztheit von Tätern und Opfern. Ich habe es nie für möglich gehalten, die Seite der Beschuldigten zu verlassen. Manchmal, wenn ich nirgends mehr hinschauen kann, ohne von einer Beschuldigung attackiert zu werden, muß ich mir zu meiner Entlastung einreden, in den Medien sei auch eine Routine des Beschuldigens entstanden. Von den schlimmsten Filmsequenzen aus Konzentrationslagern habe ich bestimmt schon zwanzigmal weggeschaut. Kein ernstzunehmender Mensch leugnet Auschwitz; kein noch zurechnungsfähiger Mensch deutelt an der Grauenhaftigkeit von Auschwitz herum; wenn mir aber jeden Tag in den Medien diese Vergangenheit vorgehalten wird, merke ich, daß sich in mir etwas gegen diese Dauerpräsentation unserer Schande wehrt. Anstatt dankbar zu sein für die unaufhörliche Präsentation unserer Schande, fange ich an wegzuschauen. Wenn ich merke, daß sich in mir etwas dagegen wehrt, versuche ich, die Vorhaltung unserer Schande auf Motive hin abzuhören und bin fast froh, wenn ich glaube, entdecken zu können, daß öfter nicht mehr das Gedenken, das Nichtvergessendürfen das Motiv ist, sondern die Instrumentalisierung unserer Schande zu gegenwärtigen Zwecken. Immer guten Zwecken, ehrenwerten. Aber doch Instrumentalisierung. Jemand findet die Art, wie wir die Folgen der deutschen Teilung überwinden wollen, nicht gut und sagt, so ermöglichten wir ein neues Auschwitz. Schon die Teilung selbst, solange sie dauerte, wurde von maßgeblichen Intellektuellen gerechtfertigt mit dem Hinweis auf Auschwitz. Oder: Ich stellte das Schicksal einer jüdischen Familie von Landsberg an der Warthe bis Berlin nach genauester Quellenkenntnis dar als einen fünfzig Jahre lang durchgehaltenen Versuch, durch Taufe, Heirat und Leistung dem ostjüdischen Schicksal zu entkommen und Deutsche zu werden, sich ganz und gar zu assimilieren. Ich habe gesagt, wer alles als einen Weg sieht, der nur in Auschwitz enden konnte, der macht aus dem deutsch-jüdischen Verhältnis eine Schicksalskatastrophe unter gar allen Umständen. Der Intellektuelle, der dafür zuständig war, nannte das eine Verharmlosung von Auschwitz. Ich nehme zu meinen Gunsten an, daß er nicht alle Entwicklungen dieser Familie so studiert haben kann wie ich. Auch haben heute lebende Familienmitglieder meine Darstellung bestätigt. Aber: Verharmlosung von Auschwitz. Da ist nur noch ein kleiner Schritt zur sogenannten Auschwitzlüge. Ein smarter Intellektueller hißt im Fernsehen in seinem Gesicht einen Ernst, der in diesem Gesicht wirkt wie eine Fremdsprache, wenn er der Welt als schweres Versagen des Autors mitteilt, daß in des Autors Buch Auschwitz nicht vorkomme. Nie etwas gehört vom Urgesetz des Erzählens: der Perspektivität. Aber selbst wenn, Zeitgeist geht vor Ästhetik.
.
In der Diskussion um das Holocaustdenkmal in Berlin kann die Nachwelt einmal nachlesen, was Leute anrichteten, die sich für das Gewissen von anderen verantwortlich fühlten. Die Betonierung des Zentrums der Hauptstadt mit einem fußballfeldgroßen Alptraum. Die Monumentalisierung der Schande. Der Historiker Heinrich August Winkler nennt das "negativen Nationalismus". Daß der, auch wenn er sich tausendmal besser vorkommt, kein bißchen besser ist als sein Gegenteil, wage ich zu vermuten. Wahrscheinlich gibt es auch eine Banalität des Guten.
.
Das möchte man den Meinungssoldaten entgegenhalten, wenn sie, mit vorgehaltener Moralpistole, den Schriftsteller in den Meinungsdienst nötigen. Sie haben es immerhin soweit gebracht, daß Schriftsteller nicht mehr gelesen werden müssen, sondern nur noch interviewt. Daß die so zustande kommenden Platzanweisungen in den Büchern dieser Schriftsteller entweder nicht verifizierbar oder haß widerlegt werden, ist dem Meinungs- und Gewissenswart eher egal, weil das Sprachwerk für ihn nicht verwertbar ist.
Gibt es außer der literarischen Sprache noch eine, die mir nichts verkaufen will? Ich kenne keine. Deshalb: Nichts macht so frei wie die Sprache der Literatur. Siehe Kleist.
Ganze Rede:http://www.dhm.de/lemo/html/dokumente/WegeInDieGegenwart_redeWalserZumFriedenspreis/
Ehrungen
* 1955 Preis der Gruppe 47
* 1957 Hermann-Hesse-Preis
* 1962 Gerhart-Hauptmann-Preis
* 1965 Schiller-Gedächtnis-Förderpreis
* 1967 Bodensee-Literaturpreis der Stadt Überlingen
* 1980 Schiller-Gedächtnispreis
* 1981 Georg-Büchner-Preis
* 1983 Ehrendoktorwürde der Universität Konstanz
* 1984 Ehrenbürgerschaft seiner Heimatgemeinde Wasserburg am Bodensee
* 1987 Großes Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland
* 1990 Großer Literaturpreis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste
* 1990 Carl-Zuckmayer-Medaille
* 1990 Ricarda-Huch-Preis
* 1992 Friedrich-Schiedel-Literaturpreis
* 1993 Franz-Nabl-Preis
* 1993 Aufnahme in den Orden Pour le Mérite
* 1994 Ehrendoktorwürde der Technischen Universität Dresden
* 1995 Ehrendoktorwürde der Universität Hildesheim
* 1996 Friedrich-Hölderlin-Preis der Stadt Bad Homburg
* 1998 Friedenspreis des deutschen Buchhandels
* 1998 Ehrendoktorwürde der Kath. Universität Brüssel
* 2002 Alemannischer Literaturpreis
* 2006 Finalist für den Deutschen Buchpreis: Angstblüte
Das Befremden der linken Szene, die Walser lange als einen der ihren betrachtet hat, wurde zum vehementen Protest, als Walser anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels am 11. Oktober 1998 in der Frankfurter Paulskirche eine Rede hielt, in der er eine „Instrumentalisierung des Holocaust” ablehnte.
Mit dieser Rede löste er eine kontroverse Diskussion von nicht geahntem (oder doch) Ausmass an, die an Schärfe und Polemik kaum zu überbieten war.
Wie sollten wir mit unserer Geschichte denn nun umgehen? Ist Walsers Denkanstoß (der ihn gesellschaftlich isolierte) in die richtige Richtung gedacht, was bringt uns Deutschen das? Dürfen wir das überhaupt....wie die Gegner dieser Denkschule gern fragen. Ich finde ja und zwar mit einer unaufgeregten Souveränität! Wir müssen es sogar, wenn wir den Blick für das Wesentliche nicht verlieren wollen. Nur selbstbewusst und mit aufrechten Gang werden wir die Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft erfolgreich annehmen und bestreiten können.
Hier die kritisierten Kernaussagen der Dankesrede von Martin Walser zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels:
Jeder kennt unsere geschichtliche Last, die unvergängliche Schande, kein Tag, an dem sie uns nicht vorgehalten wird. Könnte es sein, daß die Intellektuellen, die sie uns vorhalten, dadurch, daß sie uns die Schande vorhalten, eine Sekunde lang der Illusion verfallen, sie hätten sich, weil sie wieder im grausamen Erinnerungsdienst gearbeitet haben, ein wenig entschuldigt, seien für einen Augenblick sogar näher bei den Opfern als bei den Tätern? Eine momentane Milderung der unerbittlichen Entgegengesetztheit von Tätern und Opfern. Ich habe es nie für möglich gehalten, die Seite der Beschuldigten zu verlassen. Manchmal, wenn ich nirgends mehr hinschauen kann, ohne von einer Beschuldigung attackiert zu werden, muß ich mir zu meiner Entlastung einreden, in den Medien sei auch eine Routine des Beschuldigens entstanden. Von den schlimmsten Filmsequenzen aus Konzentrationslagern habe ich bestimmt schon zwanzigmal weggeschaut. Kein ernstzunehmender Mensch leugnet Auschwitz; kein noch zurechnungsfähiger Mensch deutelt an der Grauenhaftigkeit von Auschwitz herum; wenn mir aber jeden Tag in den Medien diese Vergangenheit vorgehalten wird, merke ich, daß sich in mir etwas gegen diese Dauerpräsentation unserer Schande wehrt. Anstatt dankbar zu sein für die unaufhörliche Präsentation unserer Schande, fange ich an wegzuschauen. Wenn ich merke, daß sich in mir etwas dagegen wehrt, versuche ich, die Vorhaltung unserer Schande auf Motive hin abzuhören und bin fast froh, wenn ich glaube, entdecken zu können, daß öfter nicht mehr das Gedenken, das Nichtvergessendürfen das Motiv ist, sondern die Instrumentalisierung unserer Schande zu gegenwärtigen Zwecken. Immer guten Zwecken, ehrenwerten. Aber doch Instrumentalisierung. Jemand findet die Art, wie wir die Folgen der deutschen Teilung überwinden wollen, nicht gut und sagt, so ermöglichten wir ein neues Auschwitz. Schon die Teilung selbst, solange sie dauerte, wurde von maßgeblichen Intellektuellen gerechtfertigt mit dem Hinweis auf Auschwitz. Oder: Ich stellte das Schicksal einer jüdischen Familie von Landsberg an der Warthe bis Berlin nach genauester Quellenkenntnis dar als einen fünfzig Jahre lang durchgehaltenen Versuch, durch Taufe, Heirat und Leistung dem ostjüdischen Schicksal zu entkommen und Deutsche zu werden, sich ganz und gar zu assimilieren. Ich habe gesagt, wer alles als einen Weg sieht, der nur in Auschwitz enden konnte, der macht aus dem deutsch-jüdischen Verhältnis eine Schicksalskatastrophe unter gar allen Umständen. Der Intellektuelle, der dafür zuständig war, nannte das eine Verharmlosung von Auschwitz. Ich nehme zu meinen Gunsten an, daß er nicht alle Entwicklungen dieser Familie so studiert haben kann wie ich. Auch haben heute lebende Familienmitglieder meine Darstellung bestätigt. Aber: Verharmlosung von Auschwitz. Da ist nur noch ein kleiner Schritt zur sogenannten Auschwitzlüge. Ein smarter Intellektueller hißt im Fernsehen in seinem Gesicht einen Ernst, der in diesem Gesicht wirkt wie eine Fremdsprache, wenn er der Welt als schweres Versagen des Autors mitteilt, daß in des Autors Buch Auschwitz nicht vorkomme. Nie etwas gehört vom Urgesetz des Erzählens: der Perspektivität. Aber selbst wenn, Zeitgeist geht vor Ästhetik.
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In der Diskussion um das Holocaustdenkmal in Berlin kann die Nachwelt einmal nachlesen, was Leute anrichteten, die sich für das Gewissen von anderen verantwortlich fühlten. Die Betonierung des Zentrums der Hauptstadt mit einem fußballfeldgroßen Alptraum. Die Monumentalisierung der Schande. Der Historiker Heinrich August Winkler nennt das "negativen Nationalismus". Daß der, auch wenn er sich tausendmal besser vorkommt, kein bißchen besser ist als sein Gegenteil, wage ich zu vermuten. Wahrscheinlich gibt es auch eine Banalität des Guten.
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Das möchte man den Meinungssoldaten entgegenhalten, wenn sie, mit vorgehaltener Moralpistole, den Schriftsteller in den Meinungsdienst nötigen. Sie haben es immerhin soweit gebracht, daß Schriftsteller nicht mehr gelesen werden müssen, sondern nur noch interviewt. Daß die so zustande kommenden Platzanweisungen in den Büchern dieser Schriftsteller entweder nicht verifizierbar oder haß widerlegt werden, ist dem Meinungs- und Gewissenswart eher egal, weil das Sprachwerk für ihn nicht verwertbar ist.
Gibt es außer der literarischen Sprache noch eine, die mir nichts verkaufen will? Ich kenne keine. Deshalb: Nichts macht so frei wie die Sprache der Literatur. Siehe Kleist.
Ganze Rede:http://www.dhm.de/lemo/html/dokumente/WegeInDieGegenwart_redeWalserZumFriedenspreis/
Ehrungen
* 1955 Preis der Gruppe 47
* 1957 Hermann-Hesse-Preis
* 1962 Gerhart-Hauptmann-Preis
* 1965 Schiller-Gedächtnis-Förderpreis
* 1967 Bodensee-Literaturpreis der Stadt Überlingen
* 1980 Schiller-Gedächtnispreis
* 1981 Georg-Büchner-Preis
* 1983 Ehrendoktorwürde der Universität Konstanz
* 1984 Ehrenbürgerschaft seiner Heimatgemeinde Wasserburg am Bodensee
* 1987 Großes Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland
* 1990 Großer Literaturpreis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste
* 1990 Carl-Zuckmayer-Medaille
* 1990 Ricarda-Huch-Preis
* 1992 Friedrich-Schiedel-Literaturpreis
* 1993 Franz-Nabl-Preis
* 1993 Aufnahme in den Orden Pour le Mérite
* 1994 Ehrendoktorwürde der Technischen Universität Dresden
* 1995 Ehrendoktorwürde der Universität Hildesheim
* 1996 Friedrich-Hölderlin-Preis der Stadt Bad Homburg
* 1998 Friedenspreis des deutschen Buchhandels
* 1998 Ehrendoktorwürde der Kath. Universität Brüssel
* 2002 Alemannischer Literaturpreis
* 2006 Finalist für den Deutschen Buchpreis: Angstblüte