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Vollständige Version anzeigen : Grandiose Widerlegung des "freien Willens"



Klopperhorst
11.07.2008, 21:29
Ich bin zur Zeit wieder auf dem Schopenhauer-Tripp, und möchte der Forengemeinschaft folgende Passage aus der Abhandlung über die Freiheit des menschl. Willens (1839) darbieten.

Sie ist so grandios und ihrer Zeit so weit vorraus (wenn man an die heutigen Erkenntnisse der Hirnforschung denkt), daß man sich fragt, warum sie nicht viel mehr Leuten bekannt ist und man beim persönlichen Gespräch immer wieder auf so viel Unverstand dabei trifft.

Aber lest selbst:

---

„Um die Entstehung dieses für unser Thema so wichtigen Irrthums speciell und aufs deutlichste zu erläutern und dadurch die im vorigen Abschnitt angestellte Untersuchung des Selbstbewußtseyns zu ergänzen, wollen wir uns einen Menschen denken, der, etwan auf der Gasse stehend, zu sich sagte: „’Es ist 6 Uhr Abends, die Tagesarbeit ist beendigt. Ich kann jetzt einen Spatziergang machen; oder ich kann in den Klub gehn; ich kann auch auf den Thurm steigen, die Sonne untergehn zu sehn; ich kann auch ins Theater gehn; ich kann auch diesen, oder aber jenen Freund besuchen; ja, ich kann auch zum Thor hinauslaufen, in die weite Welt, und nie wiederkommen. Das Alles steht allein bei mir, ich habe völlige Freiheit dazu; thue jedoch davon jetzt nichts, sondern gehe ebenso freiwillig nach Hause, zu meiner Frau.’ Das ist gerade so, als wenn das Wasser spräche: ‚Ich kann hohe Wellen schlagen’ (ja! nämlich im Meer und Sturm), ‚ich kann reißend hinabeilen’ (ja! nämlich im Bette des Stroms), ‚ich kann schäumend und sprudelnd hinunterstürzen’ (ja! nämlich im Wasserfall), ‚ich kann frei als Strahl in die Luft steigen’ (ja! nämlich im Springbrunnen), ‚ich kann endlich gar verkochen und verschwinden’ (ja! bei 80° Wärme); ‚thue jedoch von dem Allen jetzt nichts, sondern bleibe freiwillig, ruhig und klar im spiegelnden Teiche.’ Wie das Wasser jenes Alles nur dann kann, wann die bestimmenden Ursachen zum Einen oder zum Andern eintreten; ebenso kann jeder Mensch was er zu können wähnt, nicht anders, als unter der selben Bedingung. Bis die Ursachen eintreten, ist es ihm unmöglich: dann aber muß er es, so gut wie das Wasser, sobald es in die entsprechenden Umstände versetzt ist. Sein Irrthum und überhaupt die Täuschung, welche aus dem falsch ausgelegten Selbstbewußtseyn hier entsteht, daß er jenes Alles jetzt gleich könne, beruht, genau betrachtet, darauf, daß seiner Phantasie nur ein Bild zur Zeit gegenwärtig seyn kann und für den Augenblick Alles Andere ausschließt. Stellt er nun das Motiv zu einer jener als möglich proponirten Handlungen sich vor; so fühlt er sogleich dessen Wirkung auf seinen Willen, der dadurch sollicitirt wird: dies heißt, in der Kunstsprache, eine Velleitas. Nun meint er aber, er könne diese auch zu einer Voluntas erheben, d.h. die proponirte Handlung ausführen: allein dies ist Täuschung. Denn alsbald würde die Besonnenheit eintreten und die nach andern Seiten ziehenden, oder die entgegenstehenden Motive ihm in Erinnerung bringen: worauf er sehen würde, daß es nicht zur That kommt. Bei einem solchen successiven Vorstellen verschiedener einander ausschließender Motive, unter steter Begleitung des innern ‚ich kann thun was ich will’, dreht sich gleichsam der Wille, wie eine Wetterfahne auf wohlgeschmierter Angel und bei unstätem Winde, sofort nach jedem Motiv hin, welches die Einbildungskraft ihm vorhält, successiv nach allen als möglich vorliegenden Motiven, und bei jedem denkt der Mensch, er könne es wollen und also die Fahne auf diesem Punkte fixiren; welches bloße Täuschung ist. Denn sein ‚ich kann dies wollen’ ist in Wahrheit hypothetisch und führt den Beisatz mit sich ‚wenn ich nicht lieber jenes Andere wollte’: der hebt aber jenes Wollenkönnen auf. - Kehren wir zu jenem aufgestellten, um 6 Uhr deliberirenden Menschen zurück und denken uns, er bemerke jetzt, daß ich hinter ihm stehe, über ihn philosophire und seine Freiheit zu allen jenen ihm möglichen Handlungen abstreite; so könnte es leicht geschehen, daß er, um mich zu widerlegen, eine davon ausführte: dann wäre aber gerade mein Leugnen und dessen Wirkung auf seinen Widerspruchsgeist das ihn dazu nöthigende Motiv gewesen. Jedoch würde dasselbe ihn nur zu einer oder der andern von den leichteren unter den oben angeführten Handlungen bewegen können, z.B. ins Theater zu gehen; aber keineswegs zur zuletzt genannten, nämlich in die weite Welt zu laufen: dazu wäre dies Motiv viel zu schwach. - Ebenso irrig meint Mancher, indem er ein geladenes Pistol in der Hand hält, er könne sich damit erschießen. Dazu ist das Wenigste jenes mechanische Ausführungsmittel, die Hauptsache aber ein überaus starkes und daher seltenes Motiv, welches die ungeheuere Kraft hat, die nöthig ist, um die Lust zum Leben, oder richtiger die Furcht vor dem Tode, zu überwiegen: erst nachdem ein solches eingetreten, kann er sich wirklich erschießen, und muß es; es sei denn, daß ein noch stärkeres Gegenmotiv, wenn überhaupt ein solches möglich ist, die That verhindere."


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kotzfisch
13.07.2008, 13:03
G E S C H W Ä T Z

Antiquierter Text,der uns heute nichts mehr mitzuteilen hat.
Aber natürlich sind alle, die Deinem Wahn von der Unfreiheit des Willens
nicht folgen wollen, ungebildete Idioten,die dem hellen Schein Schopenhauers nicht
zu verstehen vermögen.Ganz klar!

Klopperhorst
13.07.2008, 13:09
G E S C H W Ä T Z

Antiquierter Text,der uns heute nichts mehr mitzuteilen hat....

Doch, genau das wird von der modernen Hirnforschung bestätigt, nämlich, daß die Entscheidungsfreiheit des Menschen sehr gering ist und die sog. Willensfreiheit eine Illusion ist.

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kotzfisch
13.07.2008, 13:26
Die Bestätigung,die Du vorgibst,ist eine meßtechnische- ich weiß davon.

Klopperhorst
13.07.2008, 13:31
Die Bestätigung,die Du vorgibst,ist eine meßtechnische- ich weiß davon.

Nicht nur meßtechnisch, wenn du auf das Experiment der neuronalen Aktivität von 0,4 Sekunden vor der Bewusstwerdung von Handlungen eingehst.

Ich bitte dich mal, auf den Text einzugehen, anstatt hier wahllos Quark zu unterstellen.

Also welche konkrete Textstelle findest du denn unlogisch oder mit aktuellen Forschungsergebnissen nicht vereinbar?

Und welche Definition der Wilensfreiheit des Menschen hast du? Wie begründest du sie?

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kotzfisch
13.07.2008, 13:45
Du weißt doch sehr gut, dass die philosophische Konzeption der WF ganz anders ist ,als die psychologische oder strafrechtliche.Es ist also nicht möglich,hier jemals Einigung zu erzielen. Meine Sicht ist (berufsbedingt)die forensische:nach der die
WF entweder vorhanden war (keine Beeinträchtigung nach §20 etwa,erheblich eingeschränkte Steuerungsfähigkeit nach §21 etwa)oder eben nicht.

Die tatsächliche Annahme einer freien Wahl ist ein zentrales Konzept forensischer Psychiatrie.Philosophen können es anzweifeln-aber für den Pragmatiker ist ein solcher Gedankengang bedeutungslos.

miname
13.07.2008, 14:08
Ich bin zur Zeit wieder auf dem Schopenhauer-Tripp, und möchte der Forengemeinschaft folgende Passage aus der Abhandlung über die Freiheit des menschl. Willens (1839) darbieten.

Sie ist so grandios und ihrer Zeit so weit vorraus (wenn man an die heutigen Erkenntnisse der Hirnforschung denkt), daß man sich fragt, warum sie nicht viel mehr Leuten bekannt ist und man beim persönlichen Gespräch immer wieder auf so viel Unverstand dabei trifft.

Aber lest selbst:

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„Um die Entstehung dieses für unser Thema so wichtigen Irrthums speciell und aufs deutlichste zu erläutern und dadurch die im vorigen Abschnitt angestellte Untersuchung des Selbstbewußtseyns zu ergänzen, wollen wir uns einen Menschen denken, der, etwan auf der Gasse stehend, zu sich sagte: „’Es ist 6 Uhr Abends, die Tagesarbeit ist beendigt. Ich kann jetzt einen Spatziergang machen; oder ich kann in den Klub gehn; ich kann auch auf den Thurm steigen, die Sonne untergehn zu sehn; ich kann auch ins Theater gehn; ich kann auch diesen, oder aber jenen Freund besuchen; ja, ich kann auch zum Thor hinauslaufen, in die weite Welt, und nie wiederkommen. Das Alles steht allein bei mir, ich habe völlige Freiheit dazu; thue jedoch davon jetzt nichts, sondern gehe ebenso freiwillig nach Hause, zu meiner Frau.’ Das ist gerade so, als wenn das Wasser spräche: ‚Ich kann hohe Wellen schlagen’ (ja! nämlich im Meer und Sturm), ‚ich kann reißend hinabeilen’ (ja! nämlich im Bette des Stroms), ‚ich kann schäumend und sprudelnd hinunterstürzen’ (ja! nämlich im Wasserfall), ‚ich kann frei als Strahl in die Luft steigen’ (ja! nämlich im Springbrunnen), ‚ich kann endlich gar verkochen und verschwinden’ (ja! bei 80° Wärme); ‚thue jedoch von dem Allen jetzt nichts, sondern bleibe freiwillig, ruhig und klar im spiegelnden Teiche.’ Wie das Wasser jenes Alles nur dann kann, wann die bestimmenden Ursachen zum Einen oder zum Andern eintreten; ebenso kann jeder Mensch was er zu können wähnt, nicht anders, als unter der selben Bedingung. Bis die Ursachen eintreten, ist es ihm unmöglich: dann aber muß er es, so gut wie das Wasser, sobald es in die entsprechenden Umstände versetzt ist. Sein Irrthum und überhaupt die Täuschung, welche aus dem falsch ausgelegten Selbstbewußtseyn hier entsteht, daß er jenes Alles jetzt gleich könne, beruht, genau betrachtet, darauf, daß seiner Phantasie nur ein Bild zur Zeit gegenwärtig seyn kann und für den Augenblick Alles Andere ausschließt. Stellt er nun das Motiv zu einer jener als möglich proponirten Handlungen sich vor; so fühlt er sogleich dessen Wirkung auf seinen Willen, der dadurch sollicitirt wird: dies heißt, in der Kunstsprache, eine Velleitas. Nun meint er aber, er könne diese auch zu einer Voluntas erheben, d.h. die proponirte Handlung ausführen: allein dies ist Täuschung. Denn alsbald würde die Besonnenheit eintreten und die nach andern Seiten ziehenden, oder die entgegenstehenden Motive ihm in Erinnerung bringen: worauf er sehen würde, daß es nicht zur That kommt. Bei einem solchen successiven Vorstellen verschiedener einander ausschließender Motive, unter steter Begleitung des innern ‚ich kann thun was ich will’, dreht sich gleichsam der Wille, wie eine Wetterfahne auf wohlgeschmierter Angel und bei unstätem Winde, sofort nach jedem Motiv hin, welches die Einbildungskraft ihm vorhält, successiv nach allen als möglich vorliegenden Motiven, und bei jedem denkt der Mensch, er könne es wollen und also die Fahne auf diesem Punkte fixiren; welches bloße Täuschung ist. Denn sein ‚ich kann dies wollen’ ist in Wahrheit hypothetisch und führt den Beisatz mit sich ‚wenn ich nicht lieber jenes Andere wollte’: der hebt aber jenes Wollenkönnen auf. - Kehren wir zu jenem aufgestellten, um 6 Uhr deliberirenden Menschen zurück und denken uns, er bemerke jetzt, daß ich hinter ihm stehe, über ihn philosophire und seine Freiheit zu allen jenen ihm möglichen Handlungen abstreite; so könnte es leicht geschehen, daß er, um mich zu widerlegen, eine davon ausführte: dann wäre aber gerade mein Leugnen und dessen Wirkung auf seinen Widerspruchsgeist das ihn dazu nöthigende Motiv gewesen. Jedoch würde dasselbe ihn nur zu einer oder der andern von den leichteren unter den oben angeführten Handlungen bewegen können, z.B. ins Theater zu gehen; aber keineswegs zur zuletzt genannten, nämlich in die weite Welt zu laufen: dazu wäre dies Motiv viel zu schwach. - Ebenso irrig meint Mancher, indem er ein geladenes Pistol in der Hand hält, er könne sich damit erschießen. Dazu ist das Wenigste jenes mechanische Ausführungsmittel, die Hauptsache aber ein überaus starkes und daher seltenes Motiv, welches die ungeheuere Kraft hat, die nöthig ist, um die Lust zum Leben, oder richtiger die Furcht vor dem Tode, zu überwiegen: erst nachdem ein solches eingetreten, kann er sich wirklich erschießen, und muß es; es sei denn, daß ein noch stärkeres Gegenmotiv, wenn überhaupt ein solches möglich ist, die That verhindere."


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in der neurologie ist es tatsache, dass man eine entscheidung bis zu 6 sekunden früher trifft als es einem bewusst wird.
wenn man also wirklich spontan sein will, hilft nur ne münze werfen.

Stechlin
18.07.2008, 21:55
Unser Wille heißt Vernunft. Wer sie nicht besitzt, wird immer der Getriebene eines fremden "Willens" sein. Der Mensch sollte nicht wider seiner Natur handeln. Das sieht der göttliche Bauplan nicht vor.

Freier Wille klingt für mich nach Mentalliberalismus. Nein, der Mensch sollte nur "wollen", was er auch muß! Das Leben ist kein Wunschkonzert, sondern Bestandteil eines viel größeren Räderwerkes, welches nur dann läuft, wenn wir uns entsprechend unserer Bestimmung verhalten. Insofern ist der "freie Wille" eine Chimäre, egal, was die Neurologen dazu sagen.

Frei-denker
18.07.2008, 22:19
Stimme da dem Startartikel zu. Ähliche Gedanken kamen mir auch schon.

Ich würde es jedoch eher einen "Determinismus des Handelns" bezeichnen.

Unsere Entscheidung sehe ich als die Summe von Impulsen, die aus verschiedenen Bereichen unseres Körpers kommen: Aus Gefühl, Unterbewußtsein, Verstand (was nur eine Kombination von mehr oder weniger zufälligen Nervenverknüpfungen ist), Erfahrungswerten, emotionalen Prägungen usw.

Bildlich ausgedrückt:
Eine Anzahl von Vektoren in unserem Gehirn summiert sich wie in der Vektoraddition in der Mathematik zu einem Gesamtvektor, der die Richtung der Entscheidung bestimmt.

Der Wille ist gleich Null. Der Wille ist nur eine ungenaue Bezeichnung obig beschriebener Vektorensummen.

Im Grunde ist diese Sichtweise auch rein logisch.
Denn macht man sich klar, dass das Gehirn aus einer großen Anzahl von Nervenleitungen und wechselwirkender Chemikalien, Botenstoffen ist, so kann jeder Gedanke, jede Überlegung nur ein gesetzmäßig- bzw. deterministisch festgelegter biochemischer/bioelektrischer Vorgang sein. Nur die Stromkreise und Chemikalien können ablaufen, die im Kopf existieren - alles andere ist schlicht nicht da.

Eine andere Entscheidung würde andere Chemikalienmengen oder Chemikalien-Kombinationen erfordern.

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Die Konsequenzen dieser Erkenntnis sind jedoch dramatisch:

Das bedeutet, dass unser Denken und Handeln gleich einem programmierten Roboter abläuft.

Unser Bewußtsein als Form der Selbstständigkeit und geistigen Unabhängigkeit ist nur eine Selbsttäuschung. Eine Selbsttäuschung, die dadurch entsteht, dass unser Gehirn ein Denken ablaufen läßt, welches seine Abhängigkeit von Nervenbahnen nicht wahrzunehmen in der Lage ist. So gesehen ist unser Denken/Bewußtsein ausgesprochen beschränkt.

Desweiteren ergibt sich daraus, dass hier im Forum keiner seine Meinung ändern kann, wenn es ihm nicht seine gehirnmäßigen Nerven- und Chemie-Kombinationen zulassen. Das erklärt wohl einiges hier. Wir sind die Opfer unseres eigenen persönlichen Determinismusses.

Schade, ich hatte gedacht, ich bin, weil ich denke.
Doch ich denke, weil ich gedacht werde.

Klopperhorst
18.07.2008, 23:18
...

Der Wille ist gleich Null. Der Wille ist nur eine ungenaue Bezeichnung obig beschriebener Vektorensummen.

Konkret ist der Wille immer auf etwas ganz bestimmtes gerichtet, hat ein bestimmtes Begehren, seien es einfache körperliche Instinkte, wie Schlaf, Hunger oder hohe idealistische Lebensziele.

Man muss sich fragen, warum man so und nicht anders will.

Hier kommt man an den schwarzen Punkt im Selbstbewusstsein, an den Anfang der Welt, wo es keine Frage nach einem Warum mehr gibt. Der Wille ist letztendlich unbegründbar, und das eigene Streben kann man nur im Leben erklären, nicht aber den Ursprung dieses Willens selbst.

Viele machen die Umwelt für den eigenen Willen verantwortlich, es wird bis vor die befruchtetete Eizelle zurück verfolgt.

Die SCHULD für das eigene Wesen wird immer anderen gegeben, den Naturgesetzen, den Umständen, der Gesellschaft, den Vorfahren usw.


Aber irgendwann kommt man an einen Punkt und erkennt, daß es keine weitere Frage nach dem Warum mehr gibt, und keine weitere Entschuldigung. Denn wenn niemand Schuld hat, kann auch niemand Entschuldigen.


Die Konsequenzen dieser Erkenntnis sind jedoch dramatisch:

Das bedeutet, dass unser Denken und Handeln gleich einem programmierten Roboter abläuft.

Unser Bewußtsein als Form der Selbstständigkeit und geistigen Unabhängigkeit ist nur eine Selbsttäuschung. Eine Selbsttäuschung, die dadurch entsteht, dass unser Gehirn ein Denken ablaufen läßt, welches seine Abhängigkeit von Nervenbahnen nicht wahrzunehmen in der Lage ist. So gesehen ist unser Denken/Bewußtsein ausgesprochen beschränkt.

Desweiteren ergibt sich daraus, dass hier im Forum keiner seine Meinung ändern kann, wenn es ihm nicht seine gehirnmäßigen Nerven- und Chemie-Kombinationen zulassen. Das erklärt wohl einiges hier. Wir sind die Opfer unseres eigenen persönlichen Determinismusses.

Schade, ich hatte gedacht, ich bin, weil ich denke.
Doch ich denke, weil ich gedacht werde.

Sorry, das ist genau jene Entschuldigung für das eigene Wesen, das ich oben anprangerte.

Jeder ist selbst für das verantwortlich, was er tut, denn er kann tun, was er will ... aber eben nicht wollen, was er will.

D.h. er kann kein besserer Mensch sein wollen, wenn er keiner ist.


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Klopperhorst
18.07.2008, 23:37
Unser Wille heißt Vernunft. Wer sie nicht besitzt, wird immer der Getriebene eines fremden "Willens" sein. Der Mensch sollte nicht wider seiner Natur handeln. Das sieht der göttliche Bauplan nicht vor.

Man weiss heute, daß das Primäre im Menschen eben nicht die Vernunft ist ,sondern das Unbewusste, der Triebapparrat, das Animalische.

Die Vernunft ist eine entwicklungsgeschichtlich sehr junge Erscheinung, zumal bei nur wenigen Menschen zur Vollendung gereift und nur in einer kurzen Lebensspanne auf der Höhe.

Die Vernunft ist nur ein Werkzeug zum Liefern der Motive für den Willen.

Daher weiss man oft immer erst nach reiflicher Überlegung, was man wirklich will, weil die Vernunft es beleuchtet hat und dem Willen klar verdeutlicht.

Aber der Wille hat das letzte Wort! Und er kann nur seinem eigentlichen Wesen nach handeln.

Daher kann Vernunft dem Verbrecher, wie dem Samariter gleichermaßen dienen, seine Ziele im Leben zu erreichen. Die Vernunft wird aus einem Verbrecher jedoch keinen guten Menschen machen, niemals!


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FranzKonz
18.07.2008, 23:47
Die tatsächliche Annahme einer freien Wahl ist ein zentrales Konzept forensischer Psychiatrie.
Was nicht zwangsläufig bedeutet, daß es ein richtiges Konzept ist. Ich tendiere zu Schopenhauer.

Sauerländer
19.07.2008, 00:14
Das Konzept der Willensfreiheit steht und fällt mit der Annahme eines vom Rest der Welt inklusive dem eigenen Leib unabhängigen Selbst, letztlich einer Seele. Wer ein eigentliches Selbst des Menschen annimmt, das sich vom materiellen Part abgrenzen lässt und zu diesem nicht in einem Verhältnis des Bedingtseins steht, der kann Freiheit verfechten.
Wer kein eigentliches Selbst anerkennt bzw nur eines, das als Ergebnis eines materiellen Prozesses zu sehen ist, wird zwar unter Umständen immer noch einen Kampf für "den Geist" führen, am Ende aber nicht umhinkönnen, anzuerkennen, dass damit das Selbst wie alles andere in der Welt Kausalitäten unterliegt, vor denen es nicht zu retten, gegen die es nicht abzugrenzen ist. Dann ist alles nur eine Kombination aus Genen und Prägung. Auch die "Vernunft" als Triebunterdrückung bzw -kanalisierung setzt ja entfreiheitlichende Erziehung als Prägung voraus.

Frei-denker
19.07.2008, 00:24
Konkret ist der Wille immer auf etwas ganz bestimmtes gerichtet, hat ein bestimmtes Begehren, seien es einfache körperliche Instinkte, wie Schlaf, Hunger oder hohe idealistische Lebensziele.

Man muss sich fragen, warum man so und nicht anders will.

Hier kommt man an den schwarzen Punkt im Selbstbewusstsein, an den Anfang der Welt, wo es keine Frage nach einem Warum mehr gibt. Der Wille ist letztendlich unbegründbar, und das eigene Streben kann man nur im Leben erklären, nicht aber den Ursprung dieses Willens selbst.
Wie ich schon beschrieb, denke ich, dass der Wille deshalb in die bestimmte Richtung geht, weil diese Richtung der beste Kompromiß aller im Menschen eine Rolle spielenden Verlangen ist. Praktisch die Schnittmenge aller Einzelbedürfnisse.

Ein Beispiel:
Im Menschen herrscht das durch Hormone, also Chemikalien bedingte Verlangen, mit möglichst vielen Frauen zu schlafen. Dieses Verlangen verlangt, dass der Mensch über jede Frau herfällt. Andererseits ist im Kopf die Erinnerung als chemische Substanz abgespeichert, dass so ein Verhalten Repressalien durch die Gesellschaft bedingt. An diesem Punkt unterdrückt ein Angsthormon vor diesen Repressalien das Fortpflanzungsverlangen.

Die Schnittmenge dieser Substanzen ist ein Verhalten, was auf repressionsvermeidendem Weg nach Fortpflanzungsmöglichkeiten sucht.

Der Wille als Chemiecocktail.

Auch denke ich nicht, dass man weiter als bis zum Entstehen des Embryios zurückgehen muß. Die DNAs kann man als Basis eines beginnenden Determinismus ansehen, der zusammen mit äußeren Einflüssen zu den zu beobachtenden Ergebnissen führt.




Viele machen die Umwelt für den eigenen Willen verantwortlich, es wird bis vor die befruchtetete Eizelle zurück verfolgt.

Die SCHULD für das eigene Wesen wird immer anderen gegeben, den Naturgesetzen, den Umständen, der Gesellschaft, den Vorfahren usw.


Aber irgendwann kommt man an einen Punkt und erkennt, daß es keine weitere Frage nach dem Warum mehr gibt, und keine weitere Entschuldigung. Denn wenn niemand Schuld hat, kann auch niemand Entschuldigen.

Sorry, das ist genau jene Entschuldigung für das eigene Wesen, das ich oben anprangerte.

Jeder ist selbst für das verantwortlich, was er tut, denn er kann tun, was er will ... aber eben nicht wollen, was er will.

D.h. er kann kein besserer Mensch sein wollen, wenn er keiner ist.
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"Schuld" ist ein Dogma. Eine Erfindung.

Im Grunde widerlegst du die Schuld bereits selbst, wenn du sagst, dass er tut, was er will, aber nicht wollen kann, was er will.

Denn wenn sein Wille nicht wählbar ist, so ist er in einem Determinismus gefangen. Eine Schuld setzt aber eine Wahlfreiheit voraus, zumindestens Kants Definition von Schuld nach.

So die Wahlfreiheit aber durch einen nicht freien Willen ausgeschlossen ist, so kann er auch nicht schuldig werden. An dem Punkt kippt übrigens auch die Theologie des Sündenfalls.

Klopperhorst
19.07.2008, 09:53
...

Ein Beispiel:
Im Menschen herrscht das durch Hormone, also Chemikalien bedingte Verlangen, mit möglichst vielen Frauen zu schlafen. Dieses Verlangen verlangt, dass der Mensch über jede Frau herfällt. Andererseits ist im Kopf die Erinnerung als chemische Substanz abgespeichert, dass so ein Verhalten Repressalien durch die Gesellschaft bedingt. An diesem Punkt unterdrückt ein Angsthormon vor diesen Repressalien das Fortpflanzungsverlangen.

Die Schnittmenge dieser Substanzen ist ein Verhalten, was auf repressionsvermeidendem Weg nach Fortpflanzungsmöglichkeiten sucht.

Der Wille als Chemiecocktail.


Auch hier suchst du dir Entschuldigung in etwas äusserem. Natürlich kannst du gar nicht anders, da der Verstand immer einen Grund finden muss, das ist in der Natur des Denkens.

Aber das analysierte Gehirn, die chemischen Vorgänge sind ja nur die Erscheinungen dessen, was WILL! Würde da nämlich nichts WOLLEN, dann würde auch kein unheimlich kompliziertes Gebilde aus Neuronen und chemischen Stoffen diesen Willen verkörpern und ausführen.

Die Frage nach der Ursache des Selbst ist nur hinausgeschoben, denn genausogut könnte man fragen, warum wirkt gerade so ein chemischer Stoff auf das Triebverhalten, warum Triebverhalten überhaupt usw. usf.!



"Schuld" ist ein Dogma. Eine Erfindung.

Anscheinend nicht, denn sonst würde nicht alles im Menschen mit äusseren und inneren Notwendigkeiten entschuldigt.



Im Grunde widerlegst du die Schuld bereits selbst, wenn du sagst, dass er tut, was er will, aber nicht wollen kann, was er will.

Denn wenn sein Wille nicht wählbar ist, so ist er in einem Determinismus gefangen. Eine Schuld setzt aber eine Wahlfreiheit voraus, zumindestens Kants Definition von Schuld nach.

So die Wahlfreiheit aber durch einen nicht freien Willen ausgeschlossen ist, so kann er auch nicht schuldig werden. An dem Punkt kippt übrigens auch die Theologie des Sündenfalls.

Wahlfreiheit (richtiger Wahlentscheidung) hat jeder, d.h. jeder kann verschiedene Motive durch die Vernunft seinem Willen vorlegen. Aber was der Wille daraus macht, wie er sich letztendlich entscheidet, das kann er nicht bestimmen.

Dadurch ist aber nicht gefolgert, daß er auch unschuldig an seinen Handlungen ist, denn er hat sie ja selbst gewollt!


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Stechlin
19.07.2008, 15:01
Die Vernunft ist nur ein Werkzeug zum Liefern der Motive für den Willen.

Daher weiss man oft immer erst nach reiflicher Überlegung, was man wirklich will, weil die Vernunft es beleuchtet hat und dem Willen klar verdeutlicht.

Aber der Wille hat das letzte Wort! Und er kann nur seinem eigentlichen Wesen nach handeln.

Daher kann Vernunft dem Verbrecher, wie dem Samariter gleichermaßen dienen, seine Ziele im Leben zu erreichen. Die Vernunft wird aus einem Verbrecher jedoch keinen guten Menschen machen, niemals!


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Die Vernunft folgt nur einem einzigen Motiv, nämlich dem Willen(!), nicht wider unsere naturgegebene Bestimmung zu handeln. Sie dient dem natürlichen Zweck, den Menschen moralisch zu vervollkommnen, ihn innerhalb der Natur zu dem zu erheben, was den Menschen vom Tier unterscheidet: Die ihn umgebene Welt zu analysieren, sie zu nutzen und daraus ethische und eben moralische Grundsätze nicht(!) neu zu definieren, sondern selbige als Erkenntnis aus dem Wechselspiel zwischen Mensch und Natur abzuleiten und jene zum Fundament unserer Vernunft zu machen.

Das Motiv eines Verbrechers kann niemals die Vernunft sein, da selbige so zur Beliebigkeit verkäme. Die Vernunft dient mitnichten dem Zweck, einem egozentrischen Willen Vollzug zu verschaffen, sondern kann stets nur die Wahrheit in ihrer Unbestechlichkeit und Schönheit zum Ziele besitzen.

Schiller schrieb: "Die Natur fängt mit dem Menschen nicht besser an, als mit ihren übrigen Werken: sie handelt für ihn, wo er als freye Spontaneität noch nicht selbst handeln kann. Aber eben das macht ihn zum Menschen, daß er bey dem nicht stille steht, was die blosse Natur aus ihm machte, sondern die Fähigkeit besitzt, die Schritte, welche jene mit ihm anticipierte, durch Vernunft wieder rückwärts zu tun, das Werk der Not in ein Werk seiner freyen Wahl umzuschaffen, und die physische Nothwendigkeit zu einer moralischen zu erheben." (Aus: Die Horen, Ausgabe 1/1795; Über die die ästhetische Erziehung des Menschen)

Dies alles setzt natürlich ein hohes Maß an Selbsterkenntnis, Disziplin und empathischen Fähigkeiten voraus, das einerseits Ergebnis einer dem humanen Geist verpflichteten Erziehung ist, andererseits die Beschwerlichkeit bedingt, aus dem "seelischen Schlummer" (Schiller) zu erwachen, auf daß sich der Mensch selbst als solcher auch erkennt. Daß dies in unserer antiaufklärerischen Zeit immer weniger Menschen gelingt, ja diese Tugend dem Zeitgeist diametral ist und eher als belächeltes "Laster" verspottet wird, bedeutet nicht die Unmöglichkeit, die Vernunft als Idee zum Motiv unseres Willens zu erheben. Die Vernunft darf nie Werkzeug sein, sondern muß uns als Ideal dienen, uns selbst zu erkennen und unserer Bestimmung als ein nach der Wahrheit suchendes Wesen gerecht zu werden. Erst die Vernunft öffnet uns die Tore zum Reich der absoluten, zur wahren Freiheit. Der Schlüssel dazu liegt im Selbstdenken, oder, wie Kant es formulierte, im Herausarbeiten aus der ihm "beinahe zur Natur gewordenen" Unmündigkeit.

Der freie, vernunftgeleitete Wille existiert. Gäbe es ihn nicht, wäre der Mensch nicht das, was die Natur aus ihn machte: Ein sich selbst erkennendes Wesen, das sich und die ihn umgebene Natur in den richtigen Kontext setzen kann -wenn er denn will.

Und immer wieder behält der alte Kant am Ende Recht: "Ich kann, weil ich will, was ich muß."

Klopperhorst
20.07.2008, 10:40
Die Vernunft folgt nur einem einzigen Motiv, nämlich dem Willen(!)

Ja, eben :))

Der Wille hat das letzte Wort, er kann nicht der Vernunft gehorchen.

Schön, daß du es selbst zugibtst.

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Sauerländer
20.07.2008, 11:03
WIr sehen mal wieder, wie unklug es von Schopenhauer war, die Urkraft ausgerechnet "Wille" zu nennen und damit unabsichtlich Missverständnisse aller Art zu ermöglichen.

Rikimer
20.07.2008, 11:28
Natürlich funktioniert der Mensch automatisch, nachdem das Erlernte bzw. eine Handlung ins Unterbewußte gegangen ist. Aber daraus den Willen an sich zu negieren, halte ich für zu weit gegangen.

Es gibt immerhin noch die Möglichkeit der Einflußnahme auf das Unterbewußte mittels Trance- und Meditationstechniken, Klartraumtechniken, Hypnose u. ä.

Das die Mehrheit der Menschen kein Interesse an solchem hat und eher vor sich hinfunktioniert bzw. vegetiert negiert den freien Willen nicht.

MfG

Rikimer

Klopperhorst
20.07.2008, 11:32
WIr sehen mal wieder, wie unklug es von Schopenhauer war, die Urkraft ausgerechnet "Wille" zu nennen und damit unabsichtlich Missverständnisse aller Art zu ermöglichen.

Nein, es war sehr klug, weil er die deutsche Sprache eben zur Perfektion beherrschte.

Viele verwechseln Wille mit Wunsch oder gar der Phantasie. Letztere Begriffe gehören aber zum Intellekt, nicht zum Willen.

Nitup stellt sich unter Wille eben den reinen Begriff des Denkens vor, ohne zu ahnen, daß dieses Denken selbst einem Willen gehorcht, den er nicht bestimmen kann.

Der Wille treibt das Denken an, nicht umgekehrt.


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Klopperhorst
20.07.2008, 11:40
Natürlich funktioniert der Mensch automatisch, nachdem das Erlernte bzw. eine Handlung ins Unterbewußte gegangen ist. Aber daraus den Willen an sich zu negieren, halte ich für zu weit gegangen.

Es gibt immerhin noch die Möglichkeit der Einflußnahme auf das Unterbewußte mittels Trance- und Meditationstechniken, Klartraumtechniken, Hypnose u. ä.

Das die Mehrheit der Menschen kein Interesse an solchem hat und eher vor sich hinfunktioniert bzw. vegetiert negiert den freien Willen nicht.

MfG

Rikimer

Automatisch angelernte Handlungen begleiten uns ja permanent. Die Freiheit liegt meist nur in der Reflektion, der Analyse der Handlungen. Das heißt, man wird sich über die Motive klar, die dazu führen.

Sicher ist der Mensch das einzige Tier, das einstudierte Handlungen und sogar angeborene Instinkte unterdrücken kann.

Das ist aber nicht so zu verstehen, daß dies frei wäre. Z.B. den Geschlechtstrieb oder den Hunger zu unterdrücken, gelingt nur, wenn ein starkes Gegenmotiv vorhanden ist, das auf den Willen wirkt.

Diese Motive können durch den Intellekt bereit gestellt werden und je besser der Intellekt, umso klarer können Motive auf den Willen wirken, das meint Nitup mit der Freiheit der Vernunft.


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Stechlin
20.07.2008, 14:41
Ja, eben :))

Der Wille hat das letzte Wort, er kann nicht der Vernunft gehorchen.

Schön, daß du es selbst zugibtst.

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Du solltest meine Zitate nicht aus dem Zusammenhang reißen. Schade um die an sich spannende Diskussion.

Herr K.
21.07.2008, 23:27
Das Konzept der Willensfreiheit steht und fällt mit der Annahme eines vom Rest der Welt inklusive dem eigenen Leib unabhängigen Selbst, letztlich einer Seele. Wer ein eigentliches Selbst des Menschen annimmt, das sich vom materiellen Part abgrenzen lässt und zu diesem nicht in einem Verhältnis des Bedingtseins steht, der kann Freiheit verfechten.
Wer kein eigentliches Selbst anerkennt bzw nur eines, das als Ergebnis eines materiellen Prozesses zu sehen ist, wird zwar unter Umständen immer noch einen Kampf für "den Geist" führen, am Ende aber nicht umhinkönnen, anzuerkennen, dass damit das Selbst wie alles andere in der Welt Kausalitäten unterliegt, vor denen es nicht zu retten, gegen die es nicht abzugrenzen ist. Dann ist alles nur eine Kombination aus Genen und Prägung. Auch die "Vernunft" als Triebunterdrückung bzw -kanalisierung setzt ja entfreiheitlichende Erziehung als Prägung voraus.

So ist es, ohne irgendeine aufrechterhaltende Form des Geist-Körper Dualismus läßt sich der Beweis einer absoluten Willensfreiheit nicht führen. Sehen wir unser Selbst nicht als eine jenseits irdischer Bedingtheiten auf sich selbst, oder vermittels einer übernatürlichen - uns Freiheit einhauchender - Wesenheit gründende Größe an, sondern verstehen es als eine, wenn auch hochkomplexe, gesetzmäßige Gegebenheit physiologischer Funktionsweise, bleibt kaum Raum für die Annahme, der Mensch sei in seiner Willensbildung frei. Verfluchte Kausalitätsketten, elende Begrenztheiten.

Führt man sich die Tatsache vor Augen, dass es kaum gute Gründe für die Willensfreiheit geben kann, ergeben sich weitreichende Konsequenzen. Unsere Rechtsauffassung - kein Strafe ohne Schuld - gerät ins Wanken, der auf generelle Einsichts - und Veränderungsmöglichkeiten basierende Sinn psychotherapeutischer Maßnahmen - Süchte, habitualisiertes Fehlverhalten - schwindet, der sich aus einem Vernunftsegalitarismus speisende Anspruch einer sittlichen Vervollkommnung aller erscheint als kühner Traum. Düstere Aussichten.

Praetorianer
21.07.2008, 23:39
Führt man sich die Tatsache vor Augen, dass es kaum gute Gründe für die Willensfreiheit geben kann, ergeben sich dramatische Konsequenzen. Unsere Rechtsauffassung - kein Strafe ohne Schuld - gerät ins Wanken, der auf generelle Einsichts - und Veränderungsmöglichkeiten basierende Sinn psychotherapeutischer Maßnahmen - Süchte, habitualisiertes Fehlverhalten - schwindet, der sich aus einem Vernunftsegalitarismus speisende Anspruch einer sittlichen Vervollkommnung aller erscheint als kühner Traum. Düstere Aussichten.


Strafe wäre demnach zwar kein geeignetes Mittel, Fehlverhalten zu sühnen, aber hätte immer noch eine gesellschaftliche Funktion.

Auch in einem deterministischen Weltbild, sind es nicht nur Erbfaktoren, sondern auch Einflüsse der Umwelt, die jemanden prägen. Strafe oder Psychotherapie können genau so ein prägender Umwelteinfluss sein.

Gärtner
22.07.2008, 00:11
Wozu Schopenhauer, wenn doch schon die oberflächliche Beschäftigung mit den Ergebnissen der Hirnforschung die meisten Theorien über den freien Willen und das Gewissen in die Rumpelkammer verweist.

Herr K.
22.07.2008, 00:19
Strafe wäre demnach zwar kein geeignetes Mittel, Fehlverhalten zu sühnen, aber hätte immer noch eine gesellschaftliche Funktion.

Auch in einem deterministischen Weltbild, sind es nicht nur Erbfaktoren, sondern auch Einflüsse der Umwelt, die jemanden prägen. Strafe oder Psychotherapie können genau so ein prägender Umwelteinfluss sein.

Stimmt schon. Die Einflußfaktoren auf die individuelle Persönlichkeitsbildung sind nicht schroff einseitig abzugrenzen. Gehen wir von eingrenzenden Vorbedingungen (genetische Dispositionen) aus, kommen den Wirkungsweisen externer Faktoren ausprägende/ unterbindende Funktionen zu. Die Frage, wie sich das Anlage-Umwelt Verhältnis genau darstellt, ist nicht von ungefähr eine der heftigst beackerten der Erziehungswissenschaft. Nur kippt die idealtypische Vorstellung des kritisch-emanzipatorischen Erziehungsverständnis, die Rahmenbedingungen einer geglückten Entwicklung hätten nur angst - , gewalt - und bevormundungsfrei zu sein, schon bevölkerten lauter sittlich autonome Glücksbärchis unseren Planeten, sichtbar in die Richtung, dass der Macht persönlichkeitskonstituierender Vorfaktoren deutlich mehr Gewicht eingeräumt werden muß. Erziehung erscheint da weniger als Hilfestellung zur Selbstwerdung, als häufig bloße Unterbindung des Ärgsten. Nicht als erhoffte Befreiung, sondern notwendige Reglementierung.

Zur Strafe. Auch hier wird man, zieht man bsp. jüngste Erkenntnisse der Hirnforschung in Betracht, nicht umhin kommen, den Schuldbegriff bzgl. bestimmter Tätergruppen neu zu überdenken. Ebenso den Umgang mit ihnen. Nicht etwa, um sie künftig, da im klass. Sinne unschuldig, in die Freiheit zu entlassen, sondern um frühzeitig die von ihnen ausgehende Gefährdung zu erkennen und auf diese zu reagieren. Zeitlich befristete Bestrafung, die nicht zuletzt auch auf die Schuldeinsicht des Bestraften abzielt, verliert ihren Sinn, wenn die jeweiligen Tatgründe nicht in der Entscheidungsfreiheit, sondern den neurologischen Bedingtheiten des Täters zu finden sind. Was natürlich nicht heißen soll, dass eine Verhaltensumkehr bei allen Straftätern als von vornherein ausgeschlossen anzusehen ist. Der absolute Anspruch eines Verantwortlichkeitsprinzips, welches die Grundlage unseres bisherigen Schuldbegriffs ist, wird aber in der gegenwärtigen Form nicht aufrechtzuerhalten sein.

Herr K.
22.07.2008, 00:23
Wozu Schopenhauer, wenn doch schon die oberflächliche Beschäftigung mit den Ergebnissen der Hirnforschung die meisten Theorien über den freien Willen und das Gewissen in die Rumpelkammer verweist.

Warum umständlich, wenn es auch einfach zu haben ist. Recht hast Du.

Die Gedanken Schopenhauers zur Frage der Willensfreiheit, lange vor den Erkenntnissen der Hirnforschung, bleiben aber trotzdem bemerkenswert. Zudem stellt er eine sprachlich ansprechende Lektüre dar.

Herr K.
22.07.2008, 00:45
Die Vernunft folgt nur einem einzigen Motiv, nämlich dem Willen(!), nicht wider unsere naturgegebene Bestimmung zu handeln. Sie dient dem natürlichen Zweck, den Menschen moralisch zu vervollkommnen, ihn innerhalb der Natur zu dem zu erheben, was den Menschen vom Tier unterscheidet: Die ihn umgebene Welt zu analysieren, sie zu nutzen und daraus ethische und eben moralische Grundsätze nicht(!) neu zu definieren, sondern selbige als Erkenntnis aus dem Wechselspiel zwischen Mensch und Natur abzuleiten und jene zum Fundament unserer Vernunft zu machen.

Das Motiv eines Verbrechers kann niemals die Vernunft sein, da selbige so zur Beliebigkeit verkäme. Die Vernunft dient mitnichten dem Zweck, einem egozentrischen Willen Vollzug zu verschaffen, sondern kann stets nur die Wahrheit in ihrer Unbestechlichkeit und Schönheit zum Ziele besitzen.

Schiller schrieb: "Die Natur fängt mit dem Menschen nicht besser an, als mit ihren übrigen Werken: sie handelt für ihn, wo er als freye Spontaneität noch nicht selbst handeln kann. Aber eben das macht ihn zum Menschen, daß er bey dem nicht stille steht, was die blosse Natur aus ihm machte, sondern die Fähigkeit besitzt, die Schritte, welche jene mit ihm anticipierte, durch Vernunft wieder rückwärts zu tun, das Werk der Not in ein Werk seiner freyen Wahl umzuschaffen, und die physische Nothwendigkeit zu einer moralischen zu erheben." (Aus: Die Horen, Ausgabe 1/1795; Über die die ästhetische Erziehung des Menschen)

Dies alles setzt natürlich ein hohes Maß an Selbsterkenntnis, Disziplin und empathischen Fähigkeiten voraus, das einerseits Ergebnis einer dem humanen Geist verpflichteten Erziehung ist, andererseits die Beschwerlichkeit bedingt, aus dem "seelischen Schlummer" (Schiller) zu erwachen, auf daß sich der Mensch selbst als solcher auch erkennt. Daß dies in unserer antiaufklärerischen Zeit immer weniger Menschen gelingt, ja diese Tugend dem Zeitgeist diametral ist und eher als belächeltes "Laster" verspottet wird, bedeutet nicht die Unmöglichkeit, die Vernunft als Idee zum Motiv unseres Willens zu erheben. Die Vernunft darf nie Werkzeug sein, sondern muß uns als Ideal dienen, uns selbst zu erkennen und unserer Bestimmung als ein nach der Wahrheit suchendes Wesen gerecht zu werden. Erst die Vernunft öffnet uns die Tore zum Reich der absoluten, zur wahren Freiheit. Der Schlüssel dazu liegt im Selbstdenken, oder, wie Kant es formulierte, im Herausarbeiten aus der ihm "beinahe zur Natur gewordenen" Unmündigkeit.

Der freie, vernunftgeleitete Wille existiert. Gäbe es ihn nicht, wäre der Mensch nicht das, was die Natur aus ihn machte: Ein sich selbst erkennendes Wesen, das sich und die ihn umgebene Natur in den richtigen Kontext setzen kann -wenn er denn will.

Und immer wieder behält der alte Kant am Ende Recht: "Ich kann, weil ich will, was ich muß."

Einen hohen Grad an Vernunftsoptimismus, den Du hier an den Tag legst. Sehr emphatisch, fast wie ein Glaubensbekenntnis. Könnte ich ihn nur teilen.

Wie versuchst Du denjenigen, der, auf Grundlage eines tiefempfundenen Nihilismus, die ungeschmälerte Umsetzung seiner individuellen Impulse als vernünftig betrachtet, davon zu überzeugen, dass er grob fahrlässig wider der eigenen Bestimmung handelt. Wie möchtest Du ihn für eine höhere Wahrheit gewinnen, fehlt doch jeder universelle Bezugspunkt, der diese zu begründen in der Lage wäre.

Klopperhorst
22.07.2008, 09:27
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Führt man sich die Tatsache vor Augen, dass es kaum gute Gründe für die Willensfreiheit geben kann, ergeben sich weitreichende Konsequenzen. Unsere Rechtsauffassung - kein Strafe ohne Schuld - gerät ins Wanken, der auf generelle Einsichts - und Veränderungsmöglichkeiten basierende Sinn psychotherapeutischer Maßnahmen - Süchte, habitualisiertes Fehlverhalten - schwindet, der sich aus einem Vernunftsegalitarismus speisende Anspruch einer sittlichen Vervollkommnung aller erscheint als kühner Traum. Düstere Aussichten.

Gerade die Konsequenz, daß ein Mensch nicht für seine Taten schuldig wäre, lehnt Schopenhauer ab.

Allerdings sieht er im Staat, wie es heute unsere Überzeugung ist, nur ein Schutzinstrument, um den sich selbst zerfleischenden Willen aller zu bändigen. Die Gesellschaft muss vor Verbrechern geschützt werden. Verbrecher können nicht zu besseren Menschen erzogen werden usw.

Insofen brauchen wir gar keine andere Rechtssprechung, ausser vielleicht eine Verschärfung des Strafvollzuges, da man davon ausgehen kann, daß sich Menschen eben nicht grundsätzlich ändern können.


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Zu der metaphysischen Frage der Verantwortung.

Er sagt: Die Freiheit liegt im esse und nicht im operati, was soviel bedeutet wie, man ist frei im SEIN aber nicht im HANDELN.

Wie ist das zu verstehen?

Er nimmt aus dem ganzen Konzept der idealistischen Philosophie einen blinden Willen an, der bereits vor der Geburt eines Menschen existierte und aus dem dieser Mensch in seiner ganz konkreten Form, mit seinen körperlichen und charakterlichen Anlagen entstanden ist und nun unfrei diesen Anlagen in der Welt der Vorstellung/Erscheinung Folge zu leisten hat.

Die Freiheit wird also vor die Geburt verlegt, in den Urgrund des Seins, den metaphysischen Willen.

Meine Interpretation

Ich habe schon manchmal versucht, Schopenhauer mit modernen Feldern der Wissenschaft zu verbinden (u.a. hier der Hirnforschung). Ich habe dies auch mit der Quantenphysik getan.

Der Wille ist insofern frei, daß er auf der Ebene der Elementarteilchen nicht der strengen Notwendigkeit gehorcht, nur einer statistischen Wahrscheinlichkeit.

Aber gerade bei der Zeugung eines Menschen laufen die wesentlichen Prozesse auf Quantenebene ab, also wie sich z.B. die Chromosomen der Eltern teilen, ob und wo Mutationen in den Gegen stattfinden etc. pp. Hier bestimmt also die ursprüngliche Freiheit des Willens, wie die Anlagen konkret ausgebildetet werden. (Natürlich ist auch diese Freiheit nicht absolut sondern wird von der Notwendigkeit der Elterngene, der Umwelt und gewissermaßen ihres Willens überlagert).

Aber sie ist doch viel freier als im späteren Leben, nach der körperlichen, geistigen Entwicklung.

Hier sieht man auch schön, daß Freiheit nichts mit Vernunft zu tun hat, denn wir konnten vor unserer Geburt die unendlichen Zufallsumstände, die zu uns führten, nicht bewusst bestimmen. Wir sind aus dem dunklen Urgrund des Seins, der eigentlichen Freiheit, ins Licht der Erkenntnis gekommen, wo wir die Unfreiheit unserer eigenen Erscheinung in der Welt verstehen.

Ein Zurück zur eigentlichen Freiheit gibt es also nur durch den Tod.

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Stechlin
25.07.2008, 14:26
Einen hohen Grad an Vernunftsoptimismus, den Du hier an den Tag legst. Sehr emphatisch, fast wie ein Glaubensbekenntnis. Könnte ich ihn nur teilen.

Wie versuchst Du denjenigen, der, auf Grundlage eines tiefempfundenen Nihilismus, die ungeschmälerte Umsetzung seiner individuellen Impulse als vernünftig betrachtet, davon zu überzeugen, dass er grob fahrlässig wider der eigenen Bestimmung handelt. Wie möchtest Du ihn für eine höhere Wahrheit gewinnen, fehlt doch jeder universelle Bezugspunkt, der diese zu begründen in der Lage wäre.

Einer allein wird das nie schaffen. Das muß stets eine gesellschaftliche Aufgabe bleiben. Der Schlüssel dazu liegt in der ästhetischen Erziehung des Menschen. Ich weiß, klingt alles sehr idealistisch, aber irgendwo muß man ja ansetzen.

Schillers Aufsätze "Über die ästhetische Erziehung des Menschen" und "Über Belebung und Erhöhung des reinen Interesse für Wahrheit" haben mich da sehr überzeugt. Selbige kann ich nur wärmstens empfehlen.

Herr K.
26.07.2008, 14:03
Einer allein wird das nie schaffen. Das muß stets eine gesellschaftliche Aufgabe bleiben. Der Schlüssel dazu liegt in der ästhetischen Erziehung des Menschen. Ich weiß, klingt alles sehr idealistisch, aber irgendwo muß man ja ansetzen.

Schillers Aufsätze "Über die ästhetische Erziehung des Menschen" und "Über Belebung und Erhöhung des reinen Interesse für Wahrheit" haben mich da sehr überzeugt. Selbige kann ich nur wärmstens empfehlen.

Gewiss. Würde wir uns unkommentiert in den Lauf der Dinge fügen, die immer weiter um sich greifende Verflachung und Mechanisierung des Daseins ungerührt über uns ergehen lassen, bliebe nur Ekel und Bitterkeit. Wir wären lebendige Tote. Es braucht, bei aller Zweifelhaftigkeit eigenen Tuns, immer noch das trotzige "Dennoch", das Festhalten an als wahrhaft erkannter Ideale. Schillers Gedanken zu spielerisch-ernsten Selbstwerdung, seine Betonung der notwendigen Versöhnung der urmenschlichen Grundaspekte des Natürlichen und Vernünftigen, die Identifikation der Schönheit als Erkenntnisschlüssel zum Tor wirklicher Freiheit, können da sicher als Inspirationsquelle dienen. Weniger, um aus ihnen einen glaubhaften gesellschaftlichen Gesamtanspruch abzuleiten - dieser wäre angesichts der gegenwärtigen Verfaßheit, als auch des historischen Verlaufs der westlichen Zivilisation nicht mehr als glatter Selbstbetrug -, als durch sie in aufrichtiger Selbstbeschäftigung und deren Ausfluß auf die konkrete Nahwelt einen Veränderungsansatz zu finden.

Mahatma Germany
01.08.2008, 17:11
Klopperhorst for Jesus