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Vollständige Version anzeigen : 25 Jahre "geistig-moralische Wende" - war sie ein Erfolg



Beverly
15.06.2008, 20:01
Ich kann mich noch gut an die verlotterten und verkommenen 1970er Jahre erinnern. Das war meine Jugendzeit und da lag vieles im Argen ;)

Die Arbeitslosigkeit von einer Million Ende der 1970er Jahre prangerten die neu entstandenen Grünen zu Recht als Skandal an.

Franz Josef Strauß sprach von einem "Sauhaufen" ohnegleichen, den die sozialliberale Regierung damals angerichtet hatte. In diesem Sauhaufen stieg nicht nur die Arbeitslosigkeit, sondern

- bis zu 90 Prozent gingen zu den Wahlen und wählten vor dem Aufkommen der Grünen brav SPD, FDP und die Unionsparteien. Extremisten von rechts und links hatten keine Chance. Die NPD hatte ihre Zeit als "Wahlpartei" hinter sich und mehr oder weniger stalinistische linke Parteien kamen auf höchstens 1 Prozent.

- mit umfangreicher staatlicher Bildungsförderung sowie dem betrieblichen Ausbildungssystem - BAFÖG für Schüler und Studenten - konnten auch Kinder aus einfachen Schichten eine hochwertige Ausbildung erhalten.

- auch als Arbeitsloser ließ es sich leben. So war in meiner Heimatstadt, die zusammen mit Ostfriesland als Arbeitslosenhochburg galt, in der Teestube ein "Experte", der jammerte: "Ich lebe hier und bin ganz gern Arbeitslos. Aber Scheiße, ich bin beim Arbeitsamt in Berlin gemeldet und die da können mir leicht eine Stelle vermitteln." Ja das System war gemein - von Stütze halbwegs über die Runden kommen oder dafür malochen, wo bleibt das Recht auf Faulheit ;)

- zum "Saustall ohnegleichen", den FJS anprangerte, gehörte auch, dass sich die Menschen für Politik interessierten, engagierten und einmischten. Zu Demonstrationen gingen Zehn- manchmal Hunderttausende und krachte und kesselte im Wortsinne. Die RAF habe ich damals als entsetzlichen und mörderischen Spuk empfungen, aber für eine Bewohner der römischen Republik würde vielleicht sogar der von ihr propagierte politische Mord - solange er in Maßen bleibt und zwischen den Kontrahenten Waffengleichheit herrscht - zu einem gesunden Gemeinwesen gehören. FJS war da vielleicht nur sauer auf den Saustall, weil sich viel Engagement auch gegen ihn richtete.

- es gab noch kein Internet, aaaaber in Fernsehen und Zeitschriften wirkte noch eine heute ausgestorbene Spezies: der kritische, investigative Journalist mit eigener Meinung. Der Zeitschrift "Konkret" war die bürgerliche Presse trotzdem nicht konkret genug, aber sie war damals noch links.

- ach ja, Hoimar von Dithfurt zeigte damals im Fernsehen das Modell eines Marsraumschiffes und der Mars schien nach dem Mond der nächste Schritt. Irgendwann dann die Wega ;) - davon, die Probleme auf der Erde zu lösen, hatten die versauten 70er halt keine Ahnung.

Aber 1982/83 nahte die Rettung in Gestalt des Helmut Kohl. Der verkündete in Deutschland die

geistig-moralische Wende

und das Prinzip ist damaligen Presseberichten zufolge so:

Wenn dein Kühlschrank leer ist, gehe nicht etwa einkaufen, sondern behebe das Problem mit dem "Geistig-Moralischen".

Nun meine Frage: war die geistig-moralische Wende ein Erfolg? Hat sie uns vor der in den 1970ern drohenden Dekadenz und dem Niedergang bewahrt? Man denke nur an die eine Million Arbeitslosen, die auf staatlichen Gymnasien rumlungernden Arbeiterkinder, die doch lieber in der Fußgängerzone saufen sollen und das rausgeschmissene Geld für Marsraumschiffe, das im Stealth-Bomber sinnvoller angelegt ist :) Man denke doch nur am mich armes und drangsaliertes Gör der 1970er, dass in "Perry Rhodan" einen klugen und weisen Regenten der Menschheit sah, wo doch George W. Bush oder Ratzinger diesen Job viel, viel besser machen :rolleyes: Hat auch mich die geistig-moralische Wende aus dem Jammertal in eine lichte Zukunft mit Osama bin Laden, Angela Merkel und dem Jobcenter um die Ecke geführt?

Beverly
15.06.2008, 20:33
Kohls "geistig-moralische Wende" hat ein funktionierendes Gemeinwesen zerstört und die katastrophalen Auswirkungen werden nur durch den rasanten technischen Fortschritt kaschiert.

Lebten wir anstelle in einer Gesellschaft von "high tech, low life" in "low tech, low life", sähe es hier entschieden anders aus. Besser, sofern es zum reinigenden Gewitter gekommen wäre, viel schlechter, wenn der Knall ausgeblieben oder alles noch schlimmer gemacht hätte.

Als ich in den 1970ern aufwuchs, gab es zwar noch ein funktionierendes Gemeinwesen, aber es gab auch "Technik", die heute entweder auf dem Schrottplatz oder schon im Museum ist.

Die Züge - vor allem der Interzonenzug nach Berlin - waren oft katastrophal und krumpelig. Keine Lautsprecherdurchsagen und ich habe mir oft die Augen ausgeglotzt, um zu sehen, ob mein Fahrtziel schon erreicht war.

Als Rechenhilfe hatte ich den Rechenschieber, Taschenrechner kamen gerade erst auf und Computer füllten noch ganze Schrankwände und speicherten Daten auch fetten Mangnetspulen.

Das traditionelle "in Würde altern" durfte ich im Fall einer Großmutter als nicht enden wollenden Siechtum erleben, das mit offenen Beinen schon im Alter von 50 Jahren begann. Die Geschichte erzähle ich nur, um irgendwelchen alten Säcken mit selektiver Erinnerung oder Jungspunden mit zu viel Bücherwissen und zu wenig eigener oder überlieferter Lebenserfahrung die Flausen über "die gute alte Zeit" auszutreiben. Die Medizin mag auch heute ihre Mängel haben, vor einer Generation war sie oft Scheiße.

Die Technik war mies, die Technikgläubigkeit groß - siehe Atomkraft, wo erst in den 1970ern richtig klar wurde, dass es eine gefährliche Fehlentwicklung und Sackgasse ist.

Heute trösten uns die Segnungen der Technik und ein paar Freiheiten, die nichts kosten, darüber hinweg, wie schlecht alles geworden ist. Nicht zuletzt dank der "geistig-moralischen Wende" des Dr. Kohl.

dr-esperanto
15.06.2008, 21:16
Kohl konnte vor allem durchsetzen, dass "sich Leistung wieder lohnte". Auch eine Wende hin zum Konservativen ist definitiv eingetreten (wäre heute noch stärker, wenn nicht die Wiedervereinigung gewesen wäre).
Aber moralischer ist Deutschland nicht geworden. Vor allem auch, weil unter Kohl und auf Betreiben der CDU die privaten Fernsehsender die Moral des Volkes völlig untergraben haben.

Beverly
15.06.2008, 21:57
Auch eine Wende hin zum Konservativen ist definitiv eingetreten (wäre heute noch stärker, wenn nicht die Wiedervereinigung gewesen wäre).
Aber moralischer ist Deutschland nicht geworden. Vor allem auch, weil unter Kohl und auf Betreiben der CDU die privaten Fernsehsender die Moral des Volkes völlig untergraben haben.

Vielleicht habe ich nicht die geistigen Höhen des Konservatismus erklommen, wo sich die Zyniker und Menschenhasser mit jenen treffen, die glauben, dass Gott die Welt nur für sie gemacht hat.

Aber der Ersatz von 3 bis 5 - wenn man die beiden in vielen Teilen der BRD zu empfangenden DDR-Kanäle dazu rechnet - bei aller Biederkeit soliden und manchmal hochwertigen öffentlichen Kanäle durch 20mal Schrott der Privaten ist in seinem Wesen und vor allem seinen Auswirkungen so anti-konservativ wie nur irgendetwas.
Positive anti-konservative Wirkungen waren auch zu den besten Zeiten des Privatfernsehens eher selten - ich denke da an Böhmes Talk im Turm oder Lilo Wanders Wa(h)re Liebe. Jetzt sehe ich sie nicht mal mit der Lupe und der Schrott ist geblieben.

Ist das beispielhaft für Kohls "geistig-moralische Wende": vom Konservatismus wurde nur das genommen, was schlecht, dünkelhaft und repressiv war, während es da exakt 0 Prozent Positives gab. Wäre es anders, dann wäre nicht im Namen einer Weltanschauung, die auf das Bewährte setzt, ständigen Veränderungen kritisch gegenübersteht und zudem nicht glaubt, dass menschliche Gesellschaft ein Utopia sein kann, ein bei aller Kritik im Kern erhaltens- und verbesserungswürdiges Gemeinwesen einfach umgestülpt worden. Ohne, das viel Gutes dabei rauskam. Kohl und sein "Mädchen" Äinschie dürfte aber als bleibendes Verdienst die Schaffung der Querfront bleiben. Nicht der ideologischen Querfront, sondern der lebensmäßigen und nicht auf irgendwelchen Aufmärschen sondern über der Kloschüssel. Denn sie haben eine Gesellschaft geschaffen, die von ganz rechts bis ganz links viele oft nur noch zum Kotzen finden. Mahlzeit :kotz:

politisch Verfolgter
15.06.2008, 22:34
Sog. "Arbeitslosigkeit" ist Inhabern gesetzlich garantiertes Berufsverbot Betriebsloser, das Letztere auch noch per Sozialstaat zwangsfinanzieren.
Wir benötigen wiss. flankierte aktive Wertschöpfungspolitik für die vollwertige Marktteilnahme der betriebslosen Anbieter.
Die sowieso grundrechtswidrige Arbeitsgesetzgebung muß weg, der vernetzungseffiziente value dafür bezahlender Betriebsnutzer muß her.
Die Marktwirtschaft ist also vom modernen Feudalismus zu entlasten, womit wir zu einer freiheitlichen Leistungsgesellschaft kommen.

dr-esperanto
15.06.2008, 22:36
Naja, die CDU war ja damals für die privaten TV-Kanäle, weil sie sich dadurch ein Gegengewicht zur linkslastigen ARD erhoffte. Darüber, ob RTL und Sat1 zur sittlichen Besserung der Bevölkerung beitragen, brauchen wir glaube ich nicht zu diskutieren. Aber das war wohl auch nicht mit "geistig-moralischer Wende" gemeint. Gemeint war wohl ein Stück Rück-Verbiederung. Naja, jedenfalls haben die Kohl-Jahre erreicht, dass sich heute vor lauter Romanze und Spektakel im TV kein Schwein mehr für Politik interessiert. So spricht man ja heute ja auch nicht mehr von "Bürgern" und "Bürgerpflicht", sondern von zu versorgenden "Menschen".

Rocko
15.06.2008, 22:37
Mir gefallen die konservativen 80er-Jahre immer noch besser als die heutige Zeit.

Aldebaran
15.06.2008, 22:38
Kohls "geistig-moralische Wende" hat ein funktionierendes Gemeinwesen zerstört und die katastrophalen Auswirkungen werden nur durch den rasanten technischen Fortschritt kaschiert.

Lebten wir anstelle in einer Gesellschaft von "high tech, low life" in "low tech, low life", sähe es hier entschieden anders aus. Besser, sofern es zum reinigenden Gewitter gekommen wäre, viel schlechter, wenn der Knall ausgeblieben oder alles noch schlimmer gemacht hätte.

Als ich in den 1970ern aufwuchs, gab es zwar noch ein funktionierendes Gemeinwesen, aber es gab auch "Technik", die heute entweder auf dem Schrottplatz oder schon im Museum ist.

Die Züge - vor allem der Interzonenzug nach Berlin - waren oft katastrophal und krumpelig. Keine Lautsprecherdurchsagen und ich habe mir oft die Augen ausgeglotzt, um zu sehen, ob mein Fahrtziel schon erreicht war.

Als Rechenhilfe hatte ich den Rechenschieber, Taschenrechner kamen gerade erst auf und Computer füllten noch ganze Schrankwände und speicherten Daten auch fetten Mangnetspulen.

Das traditionelle "in Würde altern" durfte ich im Fall einer Großmutter als nicht enden wollenden Siechtum erleben, das mit offenen Beinen schon im Alter von 50 Jahren begann. Die Geschichte erzähle ich nur, um irgendwelchen alten Säcken mit selektiver Erinnerung oder Jungspunden mit zu viel Bücherwissen und zu wenig eigener oder überlieferter Lebenserfahrung die Flausen über "die gute alte Zeit" auszutreiben. Die Medizin mag auch heute ihre Mängel haben, vor einer Generation war sie oft Scheiße.

Die Technik war mies, die Technikgläubigkeit groß - siehe Atomkraft, wo erst in den 1970ern richtig klar wurde, dass es eine gefährliche Fehlentwicklung und Sackgasse ist.

Heute trösten uns die Segnungen der Technik und ein paar Freiheiten, die nichts kosten, darüber hinweg, wie schlecht alles geworden ist. Nicht zuletzt dank der "geistig-moralischen Wende" des Dr. Kohl.


Falsch: Kohl hat nichts anderes getan, als die "Errungenschaften" der 70er zu retten. Die BRD war in den 80ern durch und durch sozialdemokratisch. Wirkliche Reformen gab es in GB, das aber auch in einem tieferen Schlamassel steckte

Selbst der wirtschaftspolitische Schwenk in Frankreich unter Mitterand ab 1983 war in einigen Punkten radikaler als Kohls "Wende".

Woran erinnert man sich noch? Die Umstellung der BaföG-Hilfe auf Volldarlehen wurde 2005 wieder rückgängig gemacht und die Teildarlehensregelung ist selbst von Rot-Grün nicht angetastet worden.

Der Doppelbeschluss war nicht Kohls Werk gewesen. Unter Kohl wurde das letzte Kernkraftwerk fertiggestellt und der Plan einer Wiederaufarbeitungsanlage aufgegeben.

Der Anstieg der Arbeitslosigkeit wurde gebremst und ab 1985 gab es einen Rückgang. Die Gewerkschaften kämpften für die 35-Stunden-Woche und 1984 gab es einen großen Streik, wenn ich mich richtig erinnere.

Für die Stagnation der NASA kann man Kohl nicht verantwortlich machen. Immerhin schaffte es unter seiner Kanzlerschaft der erste Bundesdeutsche in die Erdumlaufbahn.

Es gab zwar eine Abwanderung von Ausländern bis 1985, unterstützt durch das Rückkehrhilfegesetz, aber danach stieg die Zahl schon wieder drastisch an.

Wo ist also Dein Problem?

Uri Gellersan
15.06.2008, 22:43
Die geistig-moralische-Wende Kohls hat zu dem Hauen und Stechen geführt, dass dieses Land heute so unsymphatisch macht. Jeder ist sich selbst der Nächste kann auf Dauer nicht gut für eine Gemeinschaft sein. Weder für Nachbarschaften, noch für Regionen, schon gar nicht für Völker; sie zerfallen. Wobei gerade das als Ziel einer Ellenbogengesellschaft durchaus gewollt war/ist. Ein zerstrittener Gegner, der sich selbst bekämpft (AN vs. Alos - Junge vs. Alte - Deutsche vs. Ausländer etc.) ist von der Obrigkeit viel leichter zu beherrschen als ein geeinter Feind, der seine Kräfte bündelt und aufbegehrt.
So gesehen war die g-m-W Kohls der Grundstein für die meisten gesellschaftlichen Probleme, die D heute hat. Aber das sage ich schon seit 1984. Traurig nur, dass sich meine damalige Befürchtung bis heute bestätigt hat.

Es wird Zeit umzulenken. Sonst kracht der Karren gegen die Wand. Und viel Zeit bleibt angesichts des faschistischen Treibens der EU (Maastricht, Lissabon-Vertrag, Irland) nicht mehr.
Ich hör meine Nachfahren schon vorwurfsvoll fragen: Warum habt ihr das zugelassen?
Es wären die gleichen Fragen, die ich schon meinen Großeltern gestellt habe.

UG

Beverly
15.06.2008, 22:53
(...)Wo ist also Dein Problem?

Es fängt damit an, dass sich manche Zeitgenossen immer rausreden. Und sich ihre liberale Welt schönlügen.

Konkret ist es so, dass Thatchers und Reagans Politik so abschreckend waren und die Ende der 1970er Jahre in den Giftküchen der Neoliberalen - sie hießen damals u. a. auch "Monetaristen" - zusammengebrauten "Konzepte" so verfehlt waren, dass sie eine Einladung waren, auch notwenige Reformen zu unterlassen.

Weil man dank der Demagogie der Neoliberalen etwa beim Sozialsystem nur die Wahl zwischen Beibehalten mitsamt Mängeln oder Zerstörung hatte, lief es auf das Beibehalten bei schrittweiser Zerstörung hinaus.
In toto kann das für die gesamte BRD gelten. Deren Kurs in den 1970ern war alles andere als unumstritten, sonst hätte es nicht die Grünen gegeben. Da aber auf der anderen Seite die Neoliberalen aufmarschieren und das Zerstören dem Verbessern vorzogen, erlebte und erlebt auch die BRD ihre schrittweise Zerstörung.

Rocko
15.06.2008, 22:55
Konkret ist es so, dass Thatchers und Reagans Politik so abschreckend waren und die Ende der 1970er Jahre in den Giftküchen der Neoliberalen - sie hießen damals u. a. auch "Monetaristen" - zusammengebrauten "Konzepte" so verfehlt waren, dass sie eine Einladung waren, auch notwenige Reformen zu unterlassen.

Immerhin hats zum Zusammenbruch der Sowjetunion und zur Liberalisierung Osteuropas gereicht.

Kittycat
15.06.2008, 23:18
Nun meine Frage: war die geistig-moralische Wende ein Erfolg? Hat sie uns vor der in den 1970ern drohenden Dekadenz und dem Niedergang bewahrt? Man denke nur an die eine Million Arbeitslosen, die auf staatlichen Gymnasien rumlungernden Arbeiterkinder, die doch lieber in der Fußgängerzone saufen sollen und das rausgeschmissene Geld für Marsraumschiffe, das im Stealth-Bomber sinnvoller angelegt ist :) Man denke doch nur am mich armes und drangsaliertes Gör der 1970er, dass in "Perry Rhodan" einen klugen und weisen Regenten der Menschheit sah, wo doch George W. Bush oder Ratzinger diesen Job viel, viel besser machen :rolleyes: Hat auch mich die geistig-moralische Wende aus dem Jammertal in eine lichte Zukunft mit Osama bin Laden, Angela Merkel und dem Jobcenter um die Ecke geführt?

Ich glaube, es war Campino von den "Toten Hosen", der einmal in einer von Peter Kloeppel moderierten RTL-Doku über die deutsche Nachkriegsgeschichte ätzte, man hätte sich doch nur einmal den unförmigen, lispelnden und für einen promovierten Philologen unterdurchschnittlich intellektuellen Helmut Kohl anschauen müssen um befinden zu können, was von dessen "geistig-moralischer Wende" zu halten gewesen sei :hihi:

Als Libertäre wechseln meine Front und meine Allianzen wenn es in einer politischen Diskussion richtig hoch hergeht buchstäblich minütlich, solange das Thema irgendwie unter eines der Schlagwörter "68(-er)", "Sittenverfall", "geistig-moralische Wende" o. dergl. zu subsumieren ist, streite ich jedoch stets Seit' an Seit' mit den Linken, Linksliberalen, Alternativen, Grünen, Bunten und Co.: ich assoziiere den Begriff "Freiheit" in der deutschen Zeitgeschichte mit 1968 ff. noch vor dem 8. Mai 1945, oder dem 23. Mai 1949 (auf den 5. Mai 1955 kommt in dem Zusammenhang sowieso keiner ;) ). Ich bin stolz, Tochter eines echten "Bilderbuch-68-ers" zu sein, ich weiß welchen Einfluss die Ideen, für welche mein Vater und viele andere damals junge Leute auf die Straße gegangen sind auf meine Lebensqualität heute haben, und ich schaue mit Kopfschütteln und Verachtung auf jene "Salonkonservativchen" herab, die sich in plakativem Wehklagen ob des "Werteverfalls" und dem vorgeblichen Bedürfnis der Gesellschaft nach einer "moralischen Restauration" suhlen, während sie bei Bedarf jederzeit, gern und selbstverständlich die gesellschaftlichen Errungenschaften der 68-er-Bewegung für sich in Anspruch nehmen :rolleyes:

Ich finde deine augenzwinkernde Charakterisierung der 70-er Jahre zutreffend und gelungen :] , kann mich nur anschließen, dass diese Zeit, ihre Menschen und deren Ideen die Welt - getreu dem Motto: "Nicht alles war gut, aber vieles wurde besser" - positiv beeinflusst haben, und frage mich, was der geschätze Altkanzler "Birne" eigentlich im Sinn hatte, als er die Phrase von der "geistig-moralischen Wende" drosch?

Zurück zu Autoritarismus, Klerikalismus und Bigotterie, Strafbarkeit des Ehebruchs, faktischem Verbot nichtehelicher Lebensgemeinschaften (nicht straf-, aber de facto zivilrechtlich, so durch die Unmöglichkeit für unverheiratete Paare, eine gemeinsame Wohnung anzumieten), Verfolgung Homosexueller, Totschweigen von Grundrechten und Ächtung ihrer Inanspruchnahme (etwa Kriegsdienstverweigerung; der Beschluss, dieses Grundrecht (!) im Staatsbürgerkundeunterricht zu thematisieren brachte dem niedersächsischen Schulminister Ende der 1960-er Jahre noch eine Strafanzeige wegen "Störpropaganda gegen die Bundeswehr" (vulgo: "Wehrkraftzersetzung") ein!), Tabuisierung der Sexualität mit allen katastrophalen gesellschaftlichen Folgen, Ehescheidung als gesellschaftliches Stigma nach einem zermürbenden Krieg vor Gericht namens "Verschuldensprinzip" (für die Nicht-Rechtshistoriker: der heutige Scheidungsgrund Nr. 1 - "wir haben uns auseinandergelebt" - zog damals nicht, wer geschieden werden wollte, musste seinem Partner eine schuldhafte Verletzung seiner ehelichen Pflichten nachweisen, z. B. durch Ehebruch, Gewalttätigkeit, Alkoholismus, Verweigerung des Geschlechtsverkehrs, Vernachlässigung häuslicher Pflichten etc. - man mag sich vorstellen, wie es vor dem Scheidungsrichter zuging, zudem die Schuldfrage auch über das Sorgerecht für die gemeinsamen Kinder sowie die nachehelichen Unterhaltsansprüche entschied!), Entmündigung und Entwürdigung der Frauen mittels eines noch brutalen § 218 StGB (Abtreibungsverbot) als er heute noch besteht? Eine Revision des Brandt'schen Diktums "Wir wollen mehr Demokratie wagen!", wieder hin zu einer hierarchischen, annähernd ständischen, auf Prinzipien von Befehl und Gehorsam beruhenden Gesellschaft, in welcher Kritik, Dissens und Individualismus mit Aufrührerei und Asozialität gleichgesetzt wurden?

Ich weiß nicht, was Helmut Kohl wirklich im Sinn hatte, und ich weiß auch nicht, was seine Anhänger sich von ihm und diesem seinem Spruch erhofft haben. Ich weiß nur, was daraus geworden ist, nämlich eine Gesellschaft in einem neuartigen Zustand der Scheinheiligkeit und Schizophrenie: Komasaufen mit fünfzehn, um sich rechtzeitig "auszutoben", weil man mit dreißig ja als braver Familienmensch im Reihenhäuschen auf der Couch sitzen "muss" ("müssen" ist ein von Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Zusammenhang mit Familiengründungsplänen mit fast ehrfürchtigem Ernst benutzes Wort...), wöchentlich wechselnde Sexualkontakte auf der Suche nach der großen Liebe, an die man wiederum glauben "muss", die man wenn gefunden dann aber doch nicht heiratet, denn das wäre auf einmal spießig, die gleichsam moderne und traditionalistische "Patchwork-Familie" (der Partner bringt ein Kind aus einer früheren Beziehung mit, man selbst hat eines von einem One-Night-Stand, als man zwanzig war) wird mit Schwarzarbeit über Wasser gehalten, während man am Stammtisch die Kasernierung von Hartz-IV-Empfängern fordert, die es wenigstens noch für ehrlicher halten, den Fürsorgerstaat nach seinen eigenen Anweisungen auszunehmen, anstatt sich jedesmal auf der Baustelle zu verstecken, wenn ein grüner VW vorbeifährt.

Allen gemein ist, dass sie über den Verlust einer angeblich "guten alten Zeit" klagen, in der in Wahrheit gar nichts besser war als heute, es nur all die doofen anderen, die jetzt an allem schuld sind, noch nicht gab. Man selbst wäscht seine Hände in Anstand und Unschuld, schließlich ist man ja geistig-moralisch gewendet...:hihi:

Aldebaran
15.06.2008, 23:24
Es fängt damit an, dass sich manche Zeitgenossen immer rausreden. Und sich ihre liberale Welt schönlügen.

Konkret ist es so, dass Thatchers und Reagans Politik so abschreckend waren und die Ende der 1970er Jahre in den Giftküchen der Neoliberalen - sie hießen damals u. a. auch "Monetaristen" - zusammengebrauten "Konzepte" so verfehlt waren, dass sie eine Einladung waren, auch notwenige Reformen zu unterlassen.

Weil man dank der Demagogie der Neoliberalen etwa beim Sozialsystem nur die Wahl zwischen Beibehalten mitsamt Mängeln oder Zerstörung hatte, lief es auf das Beibehalten bei schrittweiser Zerstörung hinaus.
In toto kann das für die gesamte BRD gelten. Deren Kurs in den 1970ern war alles andere als unumstritten, sonst hätte es nicht die Grünen gegeben. Da aber auf der anderen Seite die Neoliberalen aufmarschieren und das Zerstören dem Verbessern vorzogen, erlebte und erlebt auch die BRD ihre schrittweise Zerstörung.


Was für eine Zerstörung des Sozialsystems?

Meinst Du die ständige Ausweitung des Arbeitslosengeldes für Ältere und den Vorruhestand?

Die Einführung des Mutterschaftsgeldes?

Den gigantische Transfer von Sozialleistungen in die neuen Länder?


Mir will einfach keine Kürzung oder Abschaffung einer Sozialleistung einfallen bis auf die BAföG-Umstellung. Hilf' mir bitte auf die Sprünge!

An den Unis ging es recht ruhig zu in meiner Erinnerung. Gegenüber der Verschulung und dem Chaos im Gefolge des Bologna-Prozesses unter Rot-Grün war es eine idyllische Zeit.

Aldebaran
15.06.2008, 23:36
Ich finde deine augenzwinkernde Charakterisierung der 70-er Jahre zutreffend und gelungen :] , kann mich nur anschließen, dass diese Zeit, ihre Menschen und deren Ideen die Welt - getreu dem Motto: "Nicht alles war gut, aber vieles wurde besser" - positiv beeinflusst haben, und frage mich, was der geschätze Altkanzler "Birne" eigentlich im Sinn hatte, als er die Phrase von der "geistig-moralischen Wende" drosch?

Alles andere sehe ich im Prinzip genauso: Zurück in die 50er? Nein Danke!

Leider aber hat die Politik in den 70er zwei katastrophale, auch von Kohl nicht korrigierte und jetzt nicht wiedergutzumachende Fehler begangen: 1. hat sie nicht auf den Absturz der Geburtenrate reagiert und 2. ist der Familiennachzug für die nach dem Anwerbestopp nicht zurückkehrenden Gastarbeiter gewährt worden, was uns ohne Not ein dauerhaftes Minderheitenproblem beschert hat.

Den Einstieg in die großangelegte Staatsverschuldung und in die "Sockelarbeitslosigkeit", der auch auf die 70er datiert, darf ebenfalls nicht vergessen werden. An den Versäumnissen der 70er, die nach der Wiedervereinigung in vielem wiederholt wurden, kranken wir noch heute.

Kittycat
16.06.2008, 00:03
Leider aber hat die Politik in den 70er zwei katastrophale, auch von Kohl nicht korrigierte und jetzt nicht wiedergutzumachende Fehler begangen: 1. hat sie nicht auf den Absturz der Geburtenrate reagiert und 2. ist der Familiennachzug für die nach dem Anwerbestopp nicht zurückkehrenden Gastarbeiter gewährt worden, was uns ohne Not ein dauerhaftes Minderheitenproblem beschert hat.

Den Einstieg in die großangelegte Staatsverschuldung und in die "Sockelarbeitslosigkeit", der auch auf die 70er datiert, darf ebenfalls nicht vergessen werden. An den Versäumnissen der 70er, die nach der Wiedervereinigung in vielem wiederholt wurden, kranken wir noch heute.

Womit du zweifelsfrei Recht hast. Nicht umsonst, sondern mit Bedacht schrieb ich ja: "Nicht alles war gut..." ;)

Wirtschafts- und finanzpolitisch gerieten die 70-er Jahre leider zu einem mittleren Desaster, etwa mit Lohn- und Rentenerhöhungen von 10% und mehr. An dieser Stelle bin ich noch mehr als geneigt, den Gedanken für die Tat zu nehmen: man wollte das ständisch geprägte Adenauerregime, mit seiner überholten Strukturierung der Gesellschaft in Arbeiter als Unter-, kleine und mittlere Angestellte, Beamte und Unternehmer als Mittel-, und leitende Angestellte und Beamte sowie Großunternehmer als Oberschicht endlich aufbrechen, und jedem seinen verdienten Anteil an dem sensationellen Wiederaufbau, zu dem alle beigetragen hatten, zukommen lassen. "Jedem nach seiner durch Talent und Einsatz erbrachten Leistung", anstatt "jedem nach seinem durch Geburt erworbenen Stand" - nur gerecht.

Erschreckend ist und bleibt aber, mit welcher Ignoranz man sowohl den absehbaren Folgen des gesellschaftlichen Wandels (Stichwort: Geburtenwandel), als auch dem wirtschaftswissenschaftlich vorausschaubaren konjunkurellen Abschwung (diese verhält sich nun einmal zyklisch, und interessiert sich nicht dafür, dass die Große Koalition unter Kiesinger den Keysianismus gesetzlich snaktionieren wollte) begegnet ist. Es trübt diese herausragende Epoche der deutschen Zeitgeschichte, ihre gesellschaftlichen ERfolge bleiben aber so unbestritten, wie potenzielle strukturkonservative Kulgheit in ökonomischen Fragen zur gleichen Zeit spekulativ ;)

Sauerländer
16.06.2008, 09:21
Ich für meinen Teil bin nicht der Ansicht, dass Kohl ein funktionierendes Gemeinwesen zerstört hat, das hat das Gemeinwesen auch ohne ihn hinbekommen (und damit wesentlich früher angefangen).
Die Regierung Kohl jedoch hat dagegen auch nichts ausgerichtet, hat hingegen, ja, man ist fast versucht, zu sagen: jede sich bietende Gelegenheit ergriffen, das Elend zu potenzieren.

Beverly
16.06.2008, 11:10
Die geistig-moralische-Wende Kohls hat zu dem Hauen und Stechen geführt, dass dieses Land heute so unsymphatisch macht. Jeder ist sich selbst der Nächste kann auf Dauer nicht gut für eine Gemeinschaft sein. Weder für Nachbarschaften, noch für Regionen, schon gar nicht für Völker; sie zerfallen. Wobei gerade das als Ziel einer Ellenbogengesellschaft durchaus gewollt war/ist. Ein zerstrittener Gegner, der sich selbst bekämpft (AN vs. Alos - Junge vs. Alte - Deutsche vs. Ausländer etc.) ist von der Obrigkeit viel leichter zu beherrschen als ein geeinter Feind, der seine Kräfte bündelt und aufbegehrt.
So gesehen war die g-m-W Kohls der Grundstein für die meisten gesellschaftlichen Probleme, die D heute hat. Aber das sage ich schon seit 1984. Traurig nur, dass sich meine damalige Befürchtung bis heute bestätigt hat.

Wahre Worte, denen nichts hinzuzufügen ist, außer:

Die geistig-moralische Wende des Dr. Kohl ist eine der vielen um 1980 gegen den Einfluss von "1968" losgetretenen Gegenbewegungen, die

1. So "68" Schaden angerichtet hat, diesen Schaden noch vermehrt habem - im Sinne einer Gesellschaft lebensuntüchtiger Weicheier, guter Verlierer und politisch korrekter "Mistkratzer".

2. So "68ff." Nutzen gebracht hat, diesen Nutzen ganz oder teilweise wieder zunichte gemacht haben. Etwa in der Öffnung des Bildungswesens für die Unterschicht, bezüglich "mehr Demokratie wagen" ...

Alle die hier das Forum wg. "68" vollheulen und meine, da müsse - noch eine? - Gegenbewegung her, sollten sich mal die GMW und ihre Folgen ansehen. Die nackten Ärsche der Kommune 1 waren eher Volksbelustigung, auf die RAF-Killer hatten selbst die Linken keine Lust und der Staat hat die alle gekriegt - im Negativen hielt sich "68" in Grenzen und die gesellschaftliche Öffnung hätte es in jedem System geben müssen, egal ob da eine Pappnase, ein Führer oder ein Großadministrator das Sagen hat.
Die Rollbacks dagegen haben unendlichen Schaden angerichtet und beim Anblick des selbst verursachten Scherbenhaufens krähen ihre Protagonisten nur: "68 ist schuld"! Und schreien nach dem nächsten Rollback, weil sie Gift für ein Heilmittel halten und wenn der Patient an ihrer "Medizin" immer kräner wird, wird die Dosis erhöht. Bis zum Exitus.

nebula
16.06.2008, 11:23
Die so genannte "geistig-moralische Wende" hat in meinen Augen überhaupt nicht stattgefunden. Das sozialliberale Elend wurde - nur unter anderen Vorzeichen - fortgesetzt. Wie sollte es auch anders sein, da die FDP immer noch Koalitionspartner war und die 68er fröhlich weiter durch die Institutionen marschierten...

Beverly
16.06.2008, 11:33
(...)ich schaue mit Kopfschütteln und Verachtung auf jene "Salonkonservativchen" herab, die sich in plakativem Wehklagen ob des "Werteverfalls" und dem vorgeblichen Bedürfnis der Gesellschaft nach einer "moralischen Restauration" suhlen, während sie bei Bedarf jederzeit, gern und selbstverständlich die gesellschaftlichen Errungenschaften der 68-er-Bewegung für sich in Anspruch nehmen :rolleyes:

Ich finde deine augenzwinkernde Charakterisierung der 70-er Jahre zutreffend und gelungen :] , kann mich nur anschließen, dass diese Zeit, ihre Menschen und deren Ideen die Welt - getreu dem Motto: "Nicht alles war gut, aber vieles wurde besser" - positiv beeinflusst haben, und frage mich, was der geschätze Altkanzler "Birne" eigentlich im Sinn hatte, als er die Phrase von der "geistig-moralischen Wende" drosch?

Zurück zu Autoritarismus, Klerikalismus und Bigotterie, Strafbarkeit des Ehebruchs, faktischem Verbot nichtehelicher Lebensgemeinschaften (nicht straf-, aber de facto zivilrechtlich, so durch die Unmöglichkeit für unverheiratete Paare, eine gemeinsame Wohnung anzumieten), Verfolgung Homosexueller, Totschweigen von Grundrechten und Ächtung ihrer Inanspruchnahme (etwa Kriegsdienstverweigerung; der Beschluss, dieses Grundrecht (!) im Staatsbürgerkundeunterricht zu thematisieren brachte dem niedersächsischen Schulminister Ende der 1960-er Jahre noch eine Strafanzeige wegen "Störpropaganda gegen die Bundeswehr" (vulgo: "Wehrkraftzersetzung") ein!), Tabuisierung der Sexualität mit allen katastrophalen gesellschaftlichen Folgen, Ehescheidung als gesellschaftliches Stigma nach einem zermürbenden Krieg vor Gericht namens "Verschuldensprinzip" (für die Nicht-Rechtshistoriker: der heutige Scheidungsgrund Nr. 1 - "wir haben uns auseinandergelebt" - zog damals nicht, wer geschieden werden wollte, musste seinem Partner eine schuldhafte Verletzung seiner ehelichen Pflichten nachweisen, z. B. durch Ehebruch, Gewalttätigkeit, Alkoholismus, Verweigerung des Geschlechtsverkehrs, Vernachlässigung häuslicher Pflichten etc. - man mag sich vorstellen, wie es vor dem Scheidungsrichter zuging, zudem die Schuldfrage auch über das Sorgerecht für die gemeinsamen Kinder sowie die nachehelichen Unterhaltsansprüche entschied!), Entmündigung und Entwürdigung der Frauen mittels eines noch brutalen § 218 StGB (Abtreibungsverbot) als er heute noch besteht? Eine Revision des Brandt'schen Diktums "Wir wollen mehr Demokratie wagen!", wieder hin zu einer hierarchischen, annähernd ständischen, auf Prinzipien von Befehl und Gehorsam beruhenden Gesellschaft, in welcher Kritik, Dissens und Individualismus mit Aufrührerei und Asozialität gleichgesetzt wurden?

Ich weiß nicht, was Helmut Kohl wirklich im Sinn hatte, und ich weiß auch nicht, was seine Anhänger sich von ihm und diesem seinem Spruch erhofft haben. Ich weiß nur, was daraus geworden ist, nämlich eine Gesellschaft in einem neuartigen Zustand der Scheinheiligkeit und Schizophrenie: Komasaufen mit fünfzehn, um sich rechtzeitig "auszutoben", weil man mit dreißig ja als braver Familienmensch im Reihenhäuschen auf der Couch sitzen "muss" ("müssen" ist ein von Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Zusammenhang mit Familiengründungsplänen mit fast ehrfürchtigem Ernst benutzes Wort...), wöchentlich wechselnde Sexualkontakte auf der Suche nach der großen Liebe, an die man wiederum glauben "muss", die man wenn gefunden dann aber doch nicht heiratet, denn das wäre auf einmal spießig, die gleichsam moderne und traditionalistische "Patchwork-Familie" (der Partner bringt ein Kind aus einer früheren Beziehung mit, man selbst hat eines von einem One-Night-Stand, als man zwanzig war) wird mit Schwarzarbeit über Wasser gehalten, während man am Stammtisch die Kasernierung von Hartz-IV-Empfängern fordert, die es wenigstens noch für ehrlicher halten, den Fürsorgerstaat nach seinen eigenen Anweisungen auszunehmen, anstatt sich jedesmal auf der Baustelle zu verstecken, wenn ein grüner VW vorbeifährt.

Allen gemein ist, dass sie über den Verlust einer angeblich "guten alten Zeit" klagen, in der in Wahrheit gar nichts besser war als heute, es nur all die doofen anderen, die jetzt an allem schuld sind, noch nicht gab. Man selbst wäscht seine Hände in Anstand und Unschuld, schließlich ist man ja geistig-moralisch gewendet...:hihi:

Das wirklich Kranke daran ist, dass die "Salonkonservativen" meine manchmal recht starke Sehnsucht nach "Zucht und Ordnung" und klaren Strukturen, wo man eindeutig weiß, wann man top und wann man scheiße ist, zu exakt 0 Prozent befriedigen. Da kommen immer nur neue Drangsalierungen, an Zynismus nicht zu übertreffende Ausgrenzungen und an Verlogenheit und politökonomischer Zweckmäßigkeit nicht zu überbietende Identitätsdefinitionen. Wo eindeutige Werte vonnöten sind, gibt es nur den Willkür der Tradition - hier schreien die Scheißer nach dem Blut von Pädophilen, im Iran haben die konservativen Scheißer das Heiratsalter auf 12 Jahren herabgesetzt etc. etc. etc. etc.
Selbst die alten Bände von "Perry Rhodan" bringen da deutlich mehr als deren zynische Elaborate. Deren Weltanschauung hat schon Brecht bei seinem Kommentar zur Siegesfeier von Franco 1939 trefflich zusammengefasst: "Volk ist Pöbel und Gott ist ein Faschist."

Beverly
16.06.2008, 11:44
Womit du zweifelsfrei Recht hast. Nicht umsonst, sondern mit Bedacht schrieb ich ja: "Nicht alles war gut..." ;)

Wirtschafts- und finanzpolitisch gerieten die 70-er Jahre leider zu einem mittleren Desaster, etwa mit Lohn- und Rentenerhöhungen von 10% und mehr. An dieser Stelle bin ich noch mehr als geneigt, den Gedanken für die Tat zu nehmen: man wollte das ständisch geprägte Adenauerregime, mit seiner überholten Strukturierung der Gesellschaft in Arbeiter als Unter-, kleine und mittlere Angestellte, Beamte und Unternehmer als Mittel-, und leitende Angestellte und Beamte sowie Großunternehmer als Oberschicht endlich aufbrechen, und jedem seinen verdienten Anteil an dem sensationellen Wiederaufbau, zu dem alle beigetragen hatten, zukommen lassen. "Jedem nach seiner durch Talent und Einsatz erbrachten Leistung", anstatt "jedem nach seinem durch Geburt erworbenen Stand" - nur gerecht.

Erschreckend ist und bleibt aber, mit welcher Ignoranz man sowohl den absehbaren Folgen des gesellschaftlichen Wandels (Stichwort: Geburtenwandel), als auch dem wirtschaftswissenschaftlich vorausschaubaren konjunkurellen Abschwung (diese verhält sich nun einmal zyklisch, und interessiert sich nicht dafür, dass die Große Koalition unter Kiesinger den Keysianismus gesetzlich snaktionieren wollte) begegnet ist. Es trübt diese herausragende Epoche der deutschen Zeitgeschichte, ihre gesellschaftlichen ERfolge bleiben aber so unbestritten, wie potenzielle strukturkonservative Kulgheit in ökonomischen Fragen zur gleichen Zeit spekulativ ;)

In den 1970ern war in der BRD ein Zustand erreicht, wo die Menschen materiell alles hatten. Also eine Sättigung, angesichts derer zwar Innovationen wie der Übergang von der Schreibmaschine und dem Fernschreiber zu Computer und Internet noch Wachstumspotenziale boten, aber die weitere materielle Steigerung der Produktion eben nicht mehr. Da der Kapitalismus aber auch Wachstum angewiesen ist, hätte es so oder überhaupt mit ihm nicht mehr weitergehen können.
Entweder hätte man ein System aufsetzen müssen, was auch ohne Wachstum funktioniert oder die technologischen Innovationen in Luft- und Raumfahrt, bei den Schnellzügen, in IT, Meditzin und Biotechnologie forcieren müssen. Damit z. B. eine halbe Million Bauarbeiter an den Strecken für den Superschnellzug Hamburg-München buddelt, jeder Haushalt mit sanfter Gewalt einen kostenlosen Internetanschluss bekommt, sich jedes Jahr 50 000 Jugendliche für die Raumfahrtakademie bewerben etc. etc. Innovation einfach als Beschäftigungsprogramm und Futter fürs Kapital, das nun mal wachsen will.

Stattdessen wurde damals Stagnation im Kapitalismus eingeleitet. Das kann nicht gut gehen, meines Wissens hat schon Marx das Wesentliche zu den Folgen gesagt.

Beverly
16.06.2008, 11:45
die 68er

- ohne Worte -

Prokurist
16.06.2008, 11:52
Meiner Meinung nach hat der richtige Bruch, auch in Westdeutschland, 1990 stattgefunden. Mit dem Verschwinden der DDR verschwand auch die BRD. Was ist übriggeblieben? Ein Land welches verzweifelt Orientierung sucht.

Beverly
16.06.2008, 11:56
Ich für meinen Teil bin nicht der Ansicht, dass Kohl ein funktionierendes Gemeinwesen zerstört hat, das hat das Gemeinwesen auch ohne ihn hinbekommen (und damit wesentlich früher angefangen).[/B]

Ich habe die 1970er selbst erlebt und fand da sowohl persönlich als auch allgemein vieles im Argen. Die "Fettlebe" und "Nach uns die Sintflut"-Mentalität der Generation vor mir, die schon damals höhnisch die Lust am Untergang kultivierten. Zudem gab es damals noch die innerdeutsche Grenze, IMHO eine der größeren Perversionen der Weltgeschichte. Es war auch persönlich keine besonders glückliche Zeit. Doch damals hatte ich bewusst oder unbewusst die Hoffnung, dass sich die Übel "auswachsen" würden und dass die BRD erwachsen werden würde. Vielleicht zusammen mit der DDR und ohne den abartigen "Todesstreifen" zwischen beiden Staaten.


Die Regierung Kohl jedoch hat dagegen auch nichts ausgerichtet, hat hingegen, ja, man ist fast versucht, zu sagen: jede sich bietende Gelegenheit ergriffen, das Elend zu potenzieren.

Die Wiedervereinigung ist vollzogen aber sonst - Kohl hat einen Prozess eingeleitet und Schröder/Fischer und Frau Merkel ihn fortgesetzt und verschärft, der nur noch eine Hoffnung zulässt: dass der ganze Dreck rückstandslos verschwindet.

marc
16.06.2008, 12:03
Selbst die alten Bände von "Perry Rhodan" bringen da deutlich mehr als deren zynische Elaborate. Deren Weltanschauung hat schon Brecht bei seinem Kommentar zur Siegesfeier von Franco 1939 trefflich zusammengefasst: "Volk ist Pöbel und Gott ist ein Faschist."

Bei manchen Entgleisungen muss ich beizeiten auch an einen anderen Satz Brechts denken:

An einem grauen Vormittag
Mitten im Whisky
Kam Gott nach Mahagonny

Sauerländer
16.06.2008, 12:09
Ich habe die 1970er selbst erlebt und fand da sowohl persönlich als auch allgemein vieles im Argen. Die "Fettlebe" und "Nach uns die Sintflut"-Mentalität der Generation vor mir, die schon damals höhnisch die Lust am Untergang kultivierten. Zudem gab es damals noch die innerdeutsche Grenze, IMHO eine der größeren Perversionen der Weltgeschichte. Es war auch persönlich keine besonders glückliche Zeit. Doch damals hatte ich bewusst oder unbewusst die Hoffnung, dass sich die Übel "auswachsen" würden und dass die BRD erwachsen werden würde. Vielleicht zusammen mit der DDR und ohne den abartigen "Todesstreifen" zwischen beiden Staaten.
Ich würde dem durchaus die 68er hinzugesellen (jedenfalls hinsichtlich der Effekte, die sich durchgesetzt haben).
Die würde ich da auch nicht als Gegensatz zu Adenauer und Konsorten begreifen, sondern als deren konsequente Weiterentwicklung.
Die innerdeutsche Grenze, nunja...
Deutschland war schon so oft geteilt - das eigentliche Problem liegt darin, dass diese Grenze mit einer Imperiengrenze zusammenfiel.

Die Wiedervereinigung ist vollzogen aber sonst - Kohl hat einen Prozess eingeleitet und Schröder/Fischer und Frau Merkel ihn fortgesetzt und verschärft, der nur noch eine Hoffnung zulässt: dass der ganze Dreck rückstandslos verschwindet.
Ich würde nicht sagen, dass Kohl diesen Prozess eingeleitet hat. In gewissem Sinne wird hier nur fortgesetzt, was mit Adenauer begann, in gewissem Sinne werden sogar noch ältere Linien fortgeführt.
Die Wiedervereinigung ist vollzogen - aber ist das Kohls Verdienst? Vor allem im Hinblick auf deren konkrete Umsetzung...

Beverly
16.06.2008, 13:10
Ich würde dem durchaus die 68er hinzugesellen (jedenfalls hinsichtlich der Effekte, die sich durchgesetzt haben).
Die würde ich da auch nicht als Gegensatz zu Adenauer und Konsorten begreifen, sondern als deren konsequente Weiterentwicklung.
Die innerdeutsche Grenze, nunja...
Deutschland war schon so oft geteilt - das eigentliche Problem liegt darin, dass diese Grenze mit einer Imperiengrenze zusammenfiel.

Ich würde nicht sagen, dass Kohl diesen Prozess eingeleitet hat. In gewissem Sinne wird hier nur fortgesetzt, was mit Adenauer begann, in gewissem Sinne werden sogar noch ältere Linien fortgeführt.
Die Wiedervereinigung ist vollzogen - aber ist das Kohls Verdienst? Vor allem im Hinblick auf deren konkrete Umsetzung...

Ohne Adenauer und co. schön reden zu wollen, aber nach 1945 resp. ab 1949 ging es erstmal für eine Generation aufwärts. Irgendwann war dann ein "Plateau" erreicht, wo man es materiell schon sehr gut hatte. In den 1970ern nämlich. Mit Kohl fing dann der langsame Niedergang an ...

Sauerländer
16.06.2008, 13:20
Ohne Adenauer und co. schön reden zu wollen, aber nach 1945 resp. ab 1949 ging es erstmal für eine Generation aufwärts. Irgendwann war dann ein "Plateau" erreicht, wo man es materiell schon sehr gut hatte. In den 1970ern nämlich. Mit Kohl fing dann der langsame Niedergang an ...
Sicherlich, Frieden, Arbeit und Produktion, die mehr Konsumierbares hervorbrachte. Materiell eine deutliche Verbesserung verglichen mit zumindest dem späteren Teil des Hitlerismus oder Weimar.
Aber das ist eben zum einen nur ein kurzer Ausschnitt aus deutscher Geschichte, und zum anderen geht es nicht nur um Materielles.
"Geistig-moralische" Wende bezieht sich ja sogar explizit auf das Nichtmaterielle (was ihr Versagen in diesem Bereich eher schlimmer macht).
Und in nichtmaterieller Hinsicht sieht es für meine Begriffe unter vielen Gesichtspunkten seit 1932,das Mohler als Endpunkt der Konservativen Revolution setzt,reichlich finster aus.
Oder besser gesagt endgültig finster, den auch die ist ja nur eine (noch dankenswert lebhafte) Reaktion auf eine grundsätzliche Zivilisationskrise, die über rein politische Probleme weit hinausgeht.

Beverly
16.06.2008, 17:55
"Geistig-moralische" Wende bezieht sich ja sogar explizit auf das Nichtmaterielle (was ihr Versagen in diesem Bereich eher schlimmer macht).

Schon, als Helmut Kohl den Begriff prägte, nahm ihn keiner ernst. Das ist aber nicht untypisch für die "Wertepartei" CDU, die den Widerspruch zwischen ihren "Werten" und ihrer Wirklichkeit konsequent ausblendet. Wobei Helmut Kohl wohl selbst klar war, dass er da nur ein Etikett für eine Politik prägte, die von ganz anderen Interessen und Zielen bestimmt wurde.


(...)Und in nichtmaterieller Hinsicht sieht es für meine Begriffe unter vielen Gesichtspunkten seit 1932,das Mohler als Endpunkt der Konservativen Revolution setzt,reichlich finster aus.
Oder besser gesagt endgültig finster, den auch die ist ja nur eine (noch dankenswert lebhafte) Reaktion auf eine grundsätzliche Zivilisationskrise, die über rein politische Probleme weit hinausgeht.

Und das sprengt den zeitlichen Rahmen der Diskussion. Wenn Dr. Kohl nur einer von vielen in einer unrühmliche Reihe Protagonisten des Niedergangs ist, landen wir wieder bei der Frage nach der "deutschen Urkatastrophe".

Safrankova
16.06.2008, 23:10
Die "geistig-moralische" Wende gab es nie. Es war der verbale Versuch (den Schröder 2003-2005 dilettantisch wiederholte) eine prekäre Wirtschaftssituation durch eine Wiederbelebung eines nicht mehr vorhandenen weltanschaulichen Überbaus abzufedern (Beverly hat schon recht mit der sinngemäßen Formulierung "Der Kühlschrank war leer, aber man wurde dazu animiert das Beten wieder zu lernen, damit das Hungern erträglicher wurde"). Wobei dieses Hungern 1982/1983 noch auf gehobenem Niveau stattfand, die erste Hungerverschärfung fand 1992 statt, anschließend kam 2005 der Kühlenkübelreiter von Kafka zurück.

Beverly
17.06.2008, 08:00
Die "geistig-moralische" Wende gab es nie. Es war der verbale Versuch (den Schröder 2003-2005 dilettantisch wiederholte) eine prekäre Wirtschaftssituation durch eine Wiederbelebung eines nicht mehr vorhandenen weltanschaulichen Unterbaus abzufedern (Beverly hat schon recht mit der sinngemäßen Formulierung "Der Kühlschrank war leer, aber man wurde dazu animiert das Beten wieder zu lernen, damit das Hungern erträglicher wurde"). Wobei dieses Hungern 1982/1983 noch auf gehobenem Niveau stattfand, die erste Hungerverschärfung fand 1992 statt, anschließend kam 2005 der Kühlenkübelreiter von Kafka zurück.

Danke für den Hinweis: Frau Merkel und ihre Gruseltruppe versuchen seit 2005 ja auch die geistig-moralische Wende mit

"Deutschland wird wieder stolz" und in Billiglohnländern gefertigten Winkelementen bei internationalen Fußballturnieren.

Wir sind wieder gläubig, weil man nach der Verarschung der Mitmenschen unter der Woche nicht vergessen darf, am Sonntag auch den Herrgott zu betrügen. "Bürgerstolz und Gotteslob" als Echo auf Brechts "Volk ist Pöbel und Gott ist ein Faschist". Religion gemacht von Leuten, die sich sehr sicher sind, dass weder im Guten noch im Bösen es keine höhre, transzendente Instanz gibt. Die würde sie nämlich für ihr Tun so oder so durch den Wolf drehen.

Ein Pseudo-, ja Anti-Konservatismus im Gewande "neuer Bürgerlichkeit". Gestalten, die als Knallchargen und Chaoten nicht mehr steigerugsfähig sind, predigen Ordnung. Dabei vermutlich alle korrupt bis ins Mark.

Nur treten die Folgen diesmal so schnell und rabiat auf, dass der Schwindel nicht einmal richtig greifen kann. Was Kohl in 16 Jahren nicht geschafft hat, vollzieht Frau Merkel im Zeitraffertempo. Es wiederholt sich alles, nur viel schneller: die Reichen werden reicher, die Armen ärmer, es etabliert sich eine Partei links von der SPD, alldiweil Politik nur noch als Farce wahrgenommen wird und alles den Bach runter geht.

Sauerländer
17.06.2008, 13:37
Schon, als Helmut Kohl den Begriff prägte, nahm ihn keiner ernst. Das ist aber nicht untypisch für die "Wertepartei" CDU, die den Widerspruch zwischen ihren "Werten" und ihrer Wirklichkeit konsequent ausblendet. Wobei Helmut Kohl wohl selbst klar war, dass er da nur ein Etikett für eine Politik prägte, die von ganz anderen Interessen und Zielen bestimmt wurde.
Dem ist wenig hinzuzufügen.

Und das sprengt den zeitlichen Rahmen der Diskussion. Wenn Dr. Kohl nur einer von vielen in einer unrühmliche Reihe Protagonisten des Niedergangs ist, landen wir wieder bei der Frage nach der "deutschen Urkatastrophe".
Das Problem besteht tatsächlich. Gleichzeitig jedoch scheint es mir wichtig, nicht die Annahme im Raum stehen zu lassen, ohne Kohl wäre im Wesentlich alles brauchbar gewesen/geblieben.

Beverly
17.06.2008, 14:03
Gleichzeitig jedoch scheint es mir wichtig, nicht die Annahme im Raum stehen zu lassen, ohne Kohl wäre im Wesentlich alles brauchbar gewesen/geblieben.

Nach seiner Wiederwahl 1980 gab der Kanzler des letzten sozialliberalen Kabinetts seiner Regierungserklärung den Titel "Mut zur Zukunft". Der Grünen-Mitbegründer August Haußleiter legte damals in einer Parteizeitung IMHO überzeugend dar, warum diese Regierungserklärung witzlos war.

So gesehen ging der unsinnigen "geistig-moralischen Wende" des Helmut Kohl ein ebenso unsinniger "Mut zur Zukunft" des Helmut Schmidt voraus. Der dann nach 2 Jahren von Kohl abgelöst wurde, weil sich die sozialliberale Koalition schlicht tot gelaufen hatte.

Nur hat 1982 niemand geahnt, dass H. K. dann 16 Jahre Kanzler bleiben würde. Meines Wissens war (von der DDR abgesehen) seit 1871 nur Bismarck länger deutscher Regierungschef gewesen.

hardStyler
17.06.2008, 14:04
Sie wäre dringens nötig gewesen, blieb aber aus.

Beverly
20.06.2008, 11:01
Ich würde dem durchaus die 68er hinzugesellen (jedenfalls hinsichtlich der Effekte, die sich durchgesetzt haben).
Die würde ich da auch nicht als Gegensatz zu Adenauer und Konsorten begreifen, sondern als deren konsequente Weiterentwicklung.

In den Klammern hast du das Wichtigste an der leidigen Diskussion um die 68er geschrieben.
Weil meines Erachtens das System weder
- die 68er unterdrückt hat
noch
- selbst bei Ablehnung der 68er sich die Frage gestellt hat: "was war falsch, dass die uns die nackten Ärsche zeigten"
noch
- von ihnen gestürzt wurde
noch
- dauerhafte und substanzielle Zugeständnisse gemacht hat

Es hat im Wesentlichen

- taktische resp. befristete Zugeständnisse gemacht
- Impulse der 68er zu seiner Perfektionierung aufgenommen
- 68er durch Kooptierung dazu gebracht, ihre Überzeugungen aufzugeben
- gegen ihren Überzeugungen treu bleibende 68er schon in den 1970ern die Knute geschwungen hat (das hieß "Radikalenerlass für den öffentlichen Dienst" und im Volksmund "Berufsverbote")

Deshalb passt weder die schwarze Brille der Konservativen - "die 68er sind an allem schuld" - noch die rosarote Brille der Linksliberalen - "mit 68 wurde alles besser". Vorher war es nicht gut, nachher wurde es überall anders, aber nicht immer besser. Und manchmal auch schlechter :rolleyes:

krupunder
20.06.2008, 12:44
Die 80'er Jahre waren für ein Großteil der (West-)deutschen Bevölkerung die Jahre des Wohlstandes und der relativen Ruhe.
Mit dem Wechsel zu Rot/Grün ging es in allen Bereichen mit dem Land bergab.