Van Moorrison
04.06.2008, 13:50
Bereits während ihrer Entstehungs- und Konstitutionsphase hat die kapitalistische Produktionsweise Widerstand und Kritik durch Menschen hervorgerufen, welche die Überwindung des Privateigentums als normatives Ziel gesetzt haben. Schon Thomas Morus vertrat in seinem Werk „Utopia“ 1517 die Ansicht, dass „die Geschicke der Menschen nur dann glücklich gestaltet werden können, wenn das Privateigentum aufgehoben worden ist“ . Was aber frühe „utopische Sozialisten“ wie Morus oder Campanella noch nicht sehen konnten war die gewaltige Produktivitätsentwicklung, welche mit der Entfaltung der kapitalistischen Produktionsweise einherging. Diese Entwicklung war nur möglich aufgrund der ökonomischen Rationalität der kapitalistischen Produktionsweise, welche über das dezentrale Preissystem der Märkte kommuniziert wird. Mit dem Sieg der Russischen Revolution wurde der marxistischen Arbeiterbewegung dann schlagartig klar, dass die Überwindung dieses Mechanismus eine fundierte Alternative erfordert, welche einerseits ökonomisch rational sein muß („formale Rationalität“) und andererseits die normativen Zielvorstellungen einer gerechten und ausbeutungsfreien Gesellschaft nicht verletzen darf („materiale Rationalität“). Diese Debatte dauert bis heute an und soll im Folgenden kurz zusammengefasst und bewertet werden.
1. Der Ausgangspunkt der klassischen Diskussion um Mises
Ludwig von Mises formulierte seine Gedanken zur sozialistischen Rechnungsführung erstmals 1920 und äußerte sich zwei Jahre später detaillierter in der Monographie "Gemeinwirtschaft", die 1932 neu aufgelegt wurde.
Mises’ grundlegende These ist sehr radikal und besagt, daß das Problem einer effektiven Allokation knapper Ressourcen ausschließlich im Rahmen einer marktwirtschaftlichen Preisbildung lösbar ist, da im kapitalistischen Preissystem alle Bedürfnisse, Knappheitsverhältnisse und Faktorgrenzleistungen optimal abgebildet werden. Wo diese dezentral sich selbst regulierende Methode der Informationsverarbeitung fehlt, gibt es für Mises keine Basis für eine rationale Wirtschaftsrechnung. Folglich kann eine sozialistische Wirtschaft gar nicht sinnvoll funktionieren bzw. nur auf das Risiko unberechenbarer Ineffektivität hin. Eine Alternative zur Marktwirtschaft sei somit prinzipiell undenkbar. Etwas abgeschwächt gegenüber Mises war die These des Mises-Schülers Friedrich August von Hayek die besagt, dass ein sozialistischer Grundplan zwar theoretisch konsistent formulierbar, praktisch aber aufgrund des Informationsproblems nicht realisierbar sei und da die Menge an Gleichungen für eine ganze Volkswirtschaft ein unüberwindliches Rechenproblem bedeute.
Wie reagierten nun Mises' sozialistische und nicht-sozialistische Gegner auf diese Herausforderung?
Links und Literatur zum Thema:
Ludwig von Mises (1932): Die Wirtschaftsrechnung im sozialistischen Gemeinwesen.
http://docs.mises.de/Mises/Mises_Wirtschaftsrechnung.pdf
Ludwig von Mises auf „wikipedia“:
http://de.wikipedia.org/wiki/Ludwig_von_Mises
Murray N. Rothbard (ein einflussreicher, rechtslibertärer Mises-Schüler):
The End of Socialism and the Calculation Debate Revisted:
http://www.mises.org/journals/rae/pdf/rae5_2_3.pdf
Friedrich August von Hayeks Kritik am Sozialismus:
http://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_August_von_Hayek#Kritik_am_Sozialismus
Einen Überblick über die Debatte gibt der Ökonom János Kornai hier:
http://www.bm.ust.hk/~ced/iea/Hong_Kong_Yingyinek_kikuldott_05june2.doc
2. Nicht-sozialistische Repliken auf Mises/Hayek
Mit Joseph Schumpeter widersprach Mises (und Hayek) interessanterweise ein anderer hoher, aber eigenwilliger Vertreter der "Österreichischen Schule". In seiner Monographie "Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie" zieht Schumpeter ein Mises komplett entgegen gesetztes Fazit: "Die reine Logik des Sozialismus ist durchaus in Ordnung" und er behauptet sogar "die Überlegenheit des sozialistischen Grundplans" gegenüber kapitalistischer Marktregulation. Wie sieht nun Schumpeters Begründung für diese Thesen aus?
Schumpeter konstatiert zunächst, daß der Neoklassiker Enrico Barone, Schüler des Neoklassikers Vilfredo Pareto (der Barones Thesen unterstützte), in seinem 1908 veröffentlichten Aufsatz "Il ministro della produzione nello stato colletivista“, der sich mit dem Problem einer effizienten Planwirtschaft eingehend beschäftigt, "die Frage in einer Weise entschied, die wenig mehr zu tun übrig ließ außer einiger Ausarbeitung und außer der Abklärung von Punkten nebensächlicher Bedeutung". Barone hat wie bereits 2 Jahre vor ihm sein Lehrer Pareto darauf verwiesen, daß die Allgemeine Gleichgewichtstheorie der Neoklassik auch für eine sozialistische Wirtschaftsrechnung einsetzbar ist. Wenn man nämlich wie die neoklassische Gleichgewichtstheorie "annimmt, daß der Mechanismus, mit dem der Markt die Wahlhandlung jedes Wirtschaftssubjektes bestimmt, nämlich der Mechanismus der Bildung der relativen Preise, sich durch ein System von Gleichungen ausdrücken läßt, räumt man auch ein, daß die Preise zumindest grundsätzlich anhand der Daten kalkulierbar sind, ohne daß ein Rekurs auf den Markt erforderlich ist. Die Daten sind bekanntlich die verfügbaren Ressourcen, der Stand der Technik und die Verbraucherpräferenzen" (Claudio Napoleoni) . Schumpeter sieht letztlich in einer sozialistischen Ökonomie ein analog zum Markt ablaufendes Schema rationaler Ressourcennutzung, das mit Buchungspreisen arbeitet, die aufgrund der verfügbaren Daten unschwer zu errechnen sind. Statt hier also unüberwindliche Probleme zusehen ist für Schumpeter einsichtig, dass „viel weniger Intelligenz zur Leitung eines solchen Systems nötig wäre, als es braucht, um einen Konzern von einiger Bedeutung durch die Wellen und –brecher der kapitalistischen See zu steuern“ .
Links zum Thema:
Enrico Barone auf „wikipedia“ englisch:
http://en.wikipedia.org/wiki/Enrico_Barone
Schumpeters Werk „Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie“ rezensiert und zusammengefasst auf „wikipedia“:
http://de.wikipedia.org/wiki/Kapitalismus,_Sozialismus_und_Demokratie
Manuela Mosca: Competition and Monopoly Power in Vilfredo Pareto and Enrico Barone (v.a. Seite 6 ff.):
http://www.dsems.unile.it/mosca/Tacomatradingl.pdf
3. Marktsozialistische Repliken auf Mises/Hayek
Der polnische Ökonom Oskar Lange hat Mises’ Argumente sehr ernst genommen und eine immanente Widerlegung der Misesschen Ideen formuliert . Der mit der Neoklassik sympathisierende Marxist Lange versucht das Problem effektiver Nutzung der Ressourcen durch eine begrenzte zentrale Preisplanung zu lösen. Er möchte den Konsumgüter- und Arbeitsmarkt nach dem Angebot-Nachfrage-Prinzip funktionieren lassen und sieht das sozialistische Produktionsprinzip auf den Einsatz der Produktionsmittel (die hier nicht Privateigentum sind) und folglich die Akkumulation begrenzt. Das Preisniveau der Produktionsmittel (sowie die Akkumulationsrate) wird vom Planungsministerium festgelegt und bei Ungleichgewichten variiert im Sinne einer Markträumung. Die von Mises geforderte "parametrische Funktion der Preise" wird hier also über ein gemischtes System erreicht, wobei die Preisvariationen des Planungsministerium ("trial and error"-Methode) aus Langes Sicht im Prinzip nichts anderes sind als auch in der Marktwirtschaft übliche Anpassungsprozesse. Dabei kann die kumulative Anpassungs-Methode der Planer nach Lange sogar dem Marktmechanismus überlegen sein, denn erstens hat die Planungsbehörde gegenüber jedem einzelnen Marktakteur einen weit überlegenen Wissensstand (Mises-Hayeks Argument wird hier gewissermaßen auf den Kopf gestellt) und zweitens kann die Anpassung bei Ungleichgewichten wesentlich schneller und effizienter statt finden durch die Planer. In seiner letzten Veröffentlichung "Computer und Markt" (1965) sah Lange bereits auf dem computertechnischen Stand des Jahres 1965 die Bedenken Hayeks als überwunden an und konstatierte in dessen Richtung:
"Worin besteht eigentlich die Schwierigkeit? Überlassen wir die Auflösung des Systems von simultanen Gleichungen dem Computer, und wir erhalten die Ergebnisse binnen weniger als einer Sekunde. Der Marktprozeß und seine mühsamen Anpassungsprozesse erweisen sich als veraltet. Im Grunde genommen könnte man ihn als spezifische Rechenmaschine aus der Vorzeit der Elektronik ansehen" .
Langes Modell wurde verschiedentlich erweitert, z.B. durch den polnischen Ökonomen Wlodzimierz Brus und den tschechischen Reformsozialisten Ota Sík . Besonders das 1979 sehr detailliert ausgearbeitete Modell von Sík versucht einen „Spagat“ zwischen Markt und Plan.
Sík schlägt vor die „Neutralisierung des Kapitals“ durch „Mitarbeitergesellschaften“ (MAG’s) in der Hand der Belegschaften (rein private Unternehmen sind begrenzt zugelassen). Diese von der arbeitenden Basis getragenen MAG’s stehen in Konkurrenz zueinander und schütten ihre Betriebsgewinne entsprechend einer gesetzlich geregelten maximalen Gewinnbeteiligungsquote an die Belegschaft aus. Diese Gewinnbeteiligungsquoten gelten auch für private Unternehmen. Die makroökonomische Verteilungsplanung schreibt Betrieben nicht vor, was sie in welcher Menge zu produzieren hätten, sondern reguliert die Aufteilung des Volkseinkommens auf Gewinne und Löhne und die staatliche bzw. kreditinduzierte Umverteilung. Es handelt sich hier also um eine eher keynesianisch orientierte Lenkung des Marktes durch Steuern, Geldpolitik, Flächentarif etc. Die grundlegende Zielrichtung des Makroplans wird demokratisch festgelegt über Wahlen und die daraus hervorgehende Willensäußerung der Bevölkerung.
Links zum Thema:
Egbert Scheunemann: Ota Šiks Modell einer Humanen Wirtschaftsdemokratie auf fünf Seiten:
http://www.egbert-scheunemann.de/Ota-Siks-Humane-Wirtschaftsdemokratie-auf-5-Seiten.pdf
Eintrag „Konkurrenzsozialismus“ auf „wikipedia“:
http://de.wikipedia.org/wiki/Konkurrenzsozialismus
Eintrag „market socialism“ auf „wikipedia“:
http://en.wikipedia.org/wiki/Market_socialism
4. Maurice Dobbs Replik auf Mises/Hayek
Im Gegensatz zu Oskar Lange bestritt der englische Cambridge-Ökonom und Marxist Maurice Dobb die Relevanz der Kritik von Mises und Hayek. Für Dobb betrifft Mises' Einwand lediglich den effektiven Einsatz gegebener Ressourcen, während eine geplante Ökonomie als Ziel die Steigerung der Ressourcen und damit des Wohlstandes verfolgt. Die Entscheidungslogik einer geplanten Ökonomie ist nämlich die einer Ex-Ante-Entscheidung für die Steigerung gesellschaftlicher Wohlfahrt mittels Planung. Ein Marktsystem dagegen funktioniert über die Ex-Post-Koordination des Preissystems. Wer kein Geld hat, kommt hierin nicht vor mit seinen Bedürfnissen und bei Disproportionalitäten zwischen den Produktionssektoren entstehen Überproduktions- und Unterkonsumtionskrisen, in denen den Menschen das fehlt, was produziert wurde, ihnen vom Ex-Post-Mechanismus also die Bedürfnisbefriedigung verweigert wird. Die Ex-Ante-Planung dagegen kann die Versorgung aller Gesellschaftsmitglieder sicherstellen und deshalb die Bedürfnisse aller Menschen ins Zentrum der Entscheidungslogik stellen. Eine sozialistische Planung hat für Dobb also zwei zentrale Vorteile: Planung macht es erstens möglich, die mit einer Marktproduktion verbundenen Unsicherheit zu überwinden (speziell bei Investitionsentscheidungen). Ein Planungssystem ermöglicht es zweitens, die sozialen Konsequenzen von Produktionsentscheidungen angemessener zu berücksichtigen. Für Dobb stellt also eine sozialistische Ökonomie ein gegenüber dem Kapitalismus prinzipiell überlegenes Gebilde dar, gerade weil sie geplant ist.
Links:
Eintragung „Maurice Dobb“ auf „wikipedia“ englisch:
http://en.wikipedia.org/wiki/Maurice_Dobb
5. Die Lösung des Problems bei Paul Cockshott und Allin Cottrell
Die wichtigsten neueren Beiträge zur Theorie eines modernen, demokratischen Sozialismus stammen von der "Schottischen Schule" des Sozialismus. Die beiden schottischen Wissenschaftler Paul Cockshott (Computerwissenschaftler) und Allin Cottrell (Ökonom) stellen ein mit demokratischen Institutionen problemlos vereinbares Modell vor, das auf der Arbeitswerttheorie, der Input-Output-Analyse und der linearen Programmierung basiert. Ein früher und von der Grundidee her ähnlicher Entwurf wurde bereits 1939 von dem russischen Mathematiker und Ökonom Leonid Kantorowitsch ausgearbeitet (erschienen 1965 in englischer Sprache unter dem Titel "The best use of economic ressource"), und für seine Entdeckung der linearen Optimierung erhielt der Kommunist Kantorowitsch 1975 sogar den Wirtschaftsnobelpreis. Seine Ideen kamen in der UdSSR nicht zur Anwendung. Ein überaus interessantes praktisches Experiment vollzog sich 1971 bis 1973 im sozialistischen Chile, wo der britische Kybernetiker Stafford Beer das Planungsmodell „Cybersyn“ entwickelte und in Grundzügen realisierte, welches beispielsweise in der Phase des Fuhrarbeiterstreiks half, den Einsatz der immer knapperen Ressourcen zu optimieren und so die negativen Effekte des Streiks zu begrenzen. Mit dem faschistischen Putsch am 11. September 1973 endete dieses Projekt sozialistischer Ressourcenplanung. Es wird auch von Cockshott und Cottrell in ihrem Buch „Alternativen aus dem Rechner. Für sozialistische Planung und direkte Demokratie“ aus dem Jahr 2006 besprochen (S. 128 ff.). Cockshott und Cottrell besprechen, und das ist gerade auch eine ihrer Stärken, das Scheitern des sowjetischen Gesellschaftsmodelles ausführlich.
Der Text von Cockshott und Cottrell ist komplett im Internet verfügbar: http://www.helmutdunkhase.de/haupt.pdf
Eine kurze Zusammenfassung des Buches von Paul Cockshott:
http://www.praxisphilosophie.de/cockshott.pdf
Sh. zur Schottischen Schule auch:
http://www.dcs.gla.ac.uk/~wpc/ (Homepage von Paul Cockshott) http://www.wfu.edu/~cottrell/ (Homepage von Allin Cottrell)
Zu Stafford Beer und "Cybersyn" sh.:
http://en.wikipedia.org/wiki/Anthony_Stafford_Beer
http://en.wikipedia.org/wiki/Project_Cybersyn
http://varnelis.net/blog/kazys/project_cybersyn
Van Moorrison
1. Der Ausgangspunkt der klassischen Diskussion um Mises
Ludwig von Mises formulierte seine Gedanken zur sozialistischen Rechnungsführung erstmals 1920 und äußerte sich zwei Jahre später detaillierter in der Monographie "Gemeinwirtschaft", die 1932 neu aufgelegt wurde.
Mises’ grundlegende These ist sehr radikal und besagt, daß das Problem einer effektiven Allokation knapper Ressourcen ausschließlich im Rahmen einer marktwirtschaftlichen Preisbildung lösbar ist, da im kapitalistischen Preissystem alle Bedürfnisse, Knappheitsverhältnisse und Faktorgrenzleistungen optimal abgebildet werden. Wo diese dezentral sich selbst regulierende Methode der Informationsverarbeitung fehlt, gibt es für Mises keine Basis für eine rationale Wirtschaftsrechnung. Folglich kann eine sozialistische Wirtschaft gar nicht sinnvoll funktionieren bzw. nur auf das Risiko unberechenbarer Ineffektivität hin. Eine Alternative zur Marktwirtschaft sei somit prinzipiell undenkbar. Etwas abgeschwächt gegenüber Mises war die These des Mises-Schülers Friedrich August von Hayek die besagt, dass ein sozialistischer Grundplan zwar theoretisch konsistent formulierbar, praktisch aber aufgrund des Informationsproblems nicht realisierbar sei und da die Menge an Gleichungen für eine ganze Volkswirtschaft ein unüberwindliches Rechenproblem bedeute.
Wie reagierten nun Mises' sozialistische und nicht-sozialistische Gegner auf diese Herausforderung?
Links und Literatur zum Thema:
Ludwig von Mises (1932): Die Wirtschaftsrechnung im sozialistischen Gemeinwesen.
http://docs.mises.de/Mises/Mises_Wirtschaftsrechnung.pdf
Ludwig von Mises auf „wikipedia“:
http://de.wikipedia.org/wiki/Ludwig_von_Mises
Murray N. Rothbard (ein einflussreicher, rechtslibertärer Mises-Schüler):
The End of Socialism and the Calculation Debate Revisted:
http://www.mises.org/journals/rae/pdf/rae5_2_3.pdf
Friedrich August von Hayeks Kritik am Sozialismus:
http://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_August_von_Hayek#Kritik_am_Sozialismus
Einen Überblick über die Debatte gibt der Ökonom János Kornai hier:
http://www.bm.ust.hk/~ced/iea/Hong_Kong_Yingyinek_kikuldott_05june2.doc
2. Nicht-sozialistische Repliken auf Mises/Hayek
Mit Joseph Schumpeter widersprach Mises (und Hayek) interessanterweise ein anderer hoher, aber eigenwilliger Vertreter der "Österreichischen Schule". In seiner Monographie "Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie" zieht Schumpeter ein Mises komplett entgegen gesetztes Fazit: "Die reine Logik des Sozialismus ist durchaus in Ordnung" und er behauptet sogar "die Überlegenheit des sozialistischen Grundplans" gegenüber kapitalistischer Marktregulation. Wie sieht nun Schumpeters Begründung für diese Thesen aus?
Schumpeter konstatiert zunächst, daß der Neoklassiker Enrico Barone, Schüler des Neoklassikers Vilfredo Pareto (der Barones Thesen unterstützte), in seinem 1908 veröffentlichten Aufsatz "Il ministro della produzione nello stato colletivista“, der sich mit dem Problem einer effizienten Planwirtschaft eingehend beschäftigt, "die Frage in einer Weise entschied, die wenig mehr zu tun übrig ließ außer einiger Ausarbeitung und außer der Abklärung von Punkten nebensächlicher Bedeutung". Barone hat wie bereits 2 Jahre vor ihm sein Lehrer Pareto darauf verwiesen, daß die Allgemeine Gleichgewichtstheorie der Neoklassik auch für eine sozialistische Wirtschaftsrechnung einsetzbar ist. Wenn man nämlich wie die neoklassische Gleichgewichtstheorie "annimmt, daß der Mechanismus, mit dem der Markt die Wahlhandlung jedes Wirtschaftssubjektes bestimmt, nämlich der Mechanismus der Bildung der relativen Preise, sich durch ein System von Gleichungen ausdrücken läßt, räumt man auch ein, daß die Preise zumindest grundsätzlich anhand der Daten kalkulierbar sind, ohne daß ein Rekurs auf den Markt erforderlich ist. Die Daten sind bekanntlich die verfügbaren Ressourcen, der Stand der Technik und die Verbraucherpräferenzen" (Claudio Napoleoni) . Schumpeter sieht letztlich in einer sozialistischen Ökonomie ein analog zum Markt ablaufendes Schema rationaler Ressourcennutzung, das mit Buchungspreisen arbeitet, die aufgrund der verfügbaren Daten unschwer zu errechnen sind. Statt hier also unüberwindliche Probleme zusehen ist für Schumpeter einsichtig, dass „viel weniger Intelligenz zur Leitung eines solchen Systems nötig wäre, als es braucht, um einen Konzern von einiger Bedeutung durch die Wellen und –brecher der kapitalistischen See zu steuern“ .
Links zum Thema:
Enrico Barone auf „wikipedia“ englisch:
http://en.wikipedia.org/wiki/Enrico_Barone
Schumpeters Werk „Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie“ rezensiert und zusammengefasst auf „wikipedia“:
http://de.wikipedia.org/wiki/Kapitalismus,_Sozialismus_und_Demokratie
Manuela Mosca: Competition and Monopoly Power in Vilfredo Pareto and Enrico Barone (v.a. Seite 6 ff.):
http://www.dsems.unile.it/mosca/Tacomatradingl.pdf
3. Marktsozialistische Repliken auf Mises/Hayek
Der polnische Ökonom Oskar Lange hat Mises’ Argumente sehr ernst genommen und eine immanente Widerlegung der Misesschen Ideen formuliert . Der mit der Neoklassik sympathisierende Marxist Lange versucht das Problem effektiver Nutzung der Ressourcen durch eine begrenzte zentrale Preisplanung zu lösen. Er möchte den Konsumgüter- und Arbeitsmarkt nach dem Angebot-Nachfrage-Prinzip funktionieren lassen und sieht das sozialistische Produktionsprinzip auf den Einsatz der Produktionsmittel (die hier nicht Privateigentum sind) und folglich die Akkumulation begrenzt. Das Preisniveau der Produktionsmittel (sowie die Akkumulationsrate) wird vom Planungsministerium festgelegt und bei Ungleichgewichten variiert im Sinne einer Markträumung. Die von Mises geforderte "parametrische Funktion der Preise" wird hier also über ein gemischtes System erreicht, wobei die Preisvariationen des Planungsministerium ("trial and error"-Methode) aus Langes Sicht im Prinzip nichts anderes sind als auch in der Marktwirtschaft übliche Anpassungsprozesse. Dabei kann die kumulative Anpassungs-Methode der Planer nach Lange sogar dem Marktmechanismus überlegen sein, denn erstens hat die Planungsbehörde gegenüber jedem einzelnen Marktakteur einen weit überlegenen Wissensstand (Mises-Hayeks Argument wird hier gewissermaßen auf den Kopf gestellt) und zweitens kann die Anpassung bei Ungleichgewichten wesentlich schneller und effizienter statt finden durch die Planer. In seiner letzten Veröffentlichung "Computer und Markt" (1965) sah Lange bereits auf dem computertechnischen Stand des Jahres 1965 die Bedenken Hayeks als überwunden an und konstatierte in dessen Richtung:
"Worin besteht eigentlich die Schwierigkeit? Überlassen wir die Auflösung des Systems von simultanen Gleichungen dem Computer, und wir erhalten die Ergebnisse binnen weniger als einer Sekunde. Der Marktprozeß und seine mühsamen Anpassungsprozesse erweisen sich als veraltet. Im Grunde genommen könnte man ihn als spezifische Rechenmaschine aus der Vorzeit der Elektronik ansehen" .
Langes Modell wurde verschiedentlich erweitert, z.B. durch den polnischen Ökonomen Wlodzimierz Brus und den tschechischen Reformsozialisten Ota Sík . Besonders das 1979 sehr detailliert ausgearbeitete Modell von Sík versucht einen „Spagat“ zwischen Markt und Plan.
Sík schlägt vor die „Neutralisierung des Kapitals“ durch „Mitarbeitergesellschaften“ (MAG’s) in der Hand der Belegschaften (rein private Unternehmen sind begrenzt zugelassen). Diese von der arbeitenden Basis getragenen MAG’s stehen in Konkurrenz zueinander und schütten ihre Betriebsgewinne entsprechend einer gesetzlich geregelten maximalen Gewinnbeteiligungsquote an die Belegschaft aus. Diese Gewinnbeteiligungsquoten gelten auch für private Unternehmen. Die makroökonomische Verteilungsplanung schreibt Betrieben nicht vor, was sie in welcher Menge zu produzieren hätten, sondern reguliert die Aufteilung des Volkseinkommens auf Gewinne und Löhne und die staatliche bzw. kreditinduzierte Umverteilung. Es handelt sich hier also um eine eher keynesianisch orientierte Lenkung des Marktes durch Steuern, Geldpolitik, Flächentarif etc. Die grundlegende Zielrichtung des Makroplans wird demokratisch festgelegt über Wahlen und die daraus hervorgehende Willensäußerung der Bevölkerung.
Links zum Thema:
Egbert Scheunemann: Ota Šiks Modell einer Humanen Wirtschaftsdemokratie auf fünf Seiten:
http://www.egbert-scheunemann.de/Ota-Siks-Humane-Wirtschaftsdemokratie-auf-5-Seiten.pdf
Eintrag „Konkurrenzsozialismus“ auf „wikipedia“:
http://de.wikipedia.org/wiki/Konkurrenzsozialismus
Eintrag „market socialism“ auf „wikipedia“:
http://en.wikipedia.org/wiki/Market_socialism
4. Maurice Dobbs Replik auf Mises/Hayek
Im Gegensatz zu Oskar Lange bestritt der englische Cambridge-Ökonom und Marxist Maurice Dobb die Relevanz der Kritik von Mises und Hayek. Für Dobb betrifft Mises' Einwand lediglich den effektiven Einsatz gegebener Ressourcen, während eine geplante Ökonomie als Ziel die Steigerung der Ressourcen und damit des Wohlstandes verfolgt. Die Entscheidungslogik einer geplanten Ökonomie ist nämlich die einer Ex-Ante-Entscheidung für die Steigerung gesellschaftlicher Wohlfahrt mittels Planung. Ein Marktsystem dagegen funktioniert über die Ex-Post-Koordination des Preissystems. Wer kein Geld hat, kommt hierin nicht vor mit seinen Bedürfnissen und bei Disproportionalitäten zwischen den Produktionssektoren entstehen Überproduktions- und Unterkonsumtionskrisen, in denen den Menschen das fehlt, was produziert wurde, ihnen vom Ex-Post-Mechanismus also die Bedürfnisbefriedigung verweigert wird. Die Ex-Ante-Planung dagegen kann die Versorgung aller Gesellschaftsmitglieder sicherstellen und deshalb die Bedürfnisse aller Menschen ins Zentrum der Entscheidungslogik stellen. Eine sozialistische Planung hat für Dobb also zwei zentrale Vorteile: Planung macht es erstens möglich, die mit einer Marktproduktion verbundenen Unsicherheit zu überwinden (speziell bei Investitionsentscheidungen). Ein Planungssystem ermöglicht es zweitens, die sozialen Konsequenzen von Produktionsentscheidungen angemessener zu berücksichtigen. Für Dobb stellt also eine sozialistische Ökonomie ein gegenüber dem Kapitalismus prinzipiell überlegenes Gebilde dar, gerade weil sie geplant ist.
Links:
Eintragung „Maurice Dobb“ auf „wikipedia“ englisch:
http://en.wikipedia.org/wiki/Maurice_Dobb
5. Die Lösung des Problems bei Paul Cockshott und Allin Cottrell
Die wichtigsten neueren Beiträge zur Theorie eines modernen, demokratischen Sozialismus stammen von der "Schottischen Schule" des Sozialismus. Die beiden schottischen Wissenschaftler Paul Cockshott (Computerwissenschaftler) und Allin Cottrell (Ökonom) stellen ein mit demokratischen Institutionen problemlos vereinbares Modell vor, das auf der Arbeitswerttheorie, der Input-Output-Analyse und der linearen Programmierung basiert. Ein früher und von der Grundidee her ähnlicher Entwurf wurde bereits 1939 von dem russischen Mathematiker und Ökonom Leonid Kantorowitsch ausgearbeitet (erschienen 1965 in englischer Sprache unter dem Titel "The best use of economic ressource"), und für seine Entdeckung der linearen Optimierung erhielt der Kommunist Kantorowitsch 1975 sogar den Wirtschaftsnobelpreis. Seine Ideen kamen in der UdSSR nicht zur Anwendung. Ein überaus interessantes praktisches Experiment vollzog sich 1971 bis 1973 im sozialistischen Chile, wo der britische Kybernetiker Stafford Beer das Planungsmodell „Cybersyn“ entwickelte und in Grundzügen realisierte, welches beispielsweise in der Phase des Fuhrarbeiterstreiks half, den Einsatz der immer knapperen Ressourcen zu optimieren und so die negativen Effekte des Streiks zu begrenzen. Mit dem faschistischen Putsch am 11. September 1973 endete dieses Projekt sozialistischer Ressourcenplanung. Es wird auch von Cockshott und Cottrell in ihrem Buch „Alternativen aus dem Rechner. Für sozialistische Planung und direkte Demokratie“ aus dem Jahr 2006 besprochen (S. 128 ff.). Cockshott und Cottrell besprechen, und das ist gerade auch eine ihrer Stärken, das Scheitern des sowjetischen Gesellschaftsmodelles ausführlich.
Der Text von Cockshott und Cottrell ist komplett im Internet verfügbar: http://www.helmutdunkhase.de/haupt.pdf
Eine kurze Zusammenfassung des Buches von Paul Cockshott:
http://www.praxisphilosophie.de/cockshott.pdf
Sh. zur Schottischen Schule auch:
http://www.dcs.gla.ac.uk/~wpc/ (Homepage von Paul Cockshott) http://www.wfu.edu/~cottrell/ (Homepage von Allin Cottrell)
Zu Stafford Beer und "Cybersyn" sh.:
http://en.wikipedia.org/wiki/Anthony_Stafford_Beer
http://en.wikipedia.org/wiki/Project_Cybersyn
http://varnelis.net/blog/kazys/project_cybersyn
Van Moorrison