Beverly
02.06.2008, 20:47
Hier der Entwurf eines Offenen Briefes von mir an Klaus Wowereit, der das Ergebnis einiger Frustrationen der letzten Zeit war. Ich habe den in meinem Berliner Freundes- und Bekanntenkreis zirkulieren lassen und das Echo war durchaus geteilt. Einige signalisierten Zustimmung, andere meinten "ist zwar richtig, aber bringt doch nichts" wieder andere ignorierten oder lehnten das ab.
Anlass für mich, mit diesem Entwurf eines Offenes Briefes trotz des geteilten Echos an die Öffentlichkeit zu gehen, war eine Talkshow auf 1extra, wo Berlin schön gelogen werden sollte. Ich bin zwar gegen die Berlin-Paranoia, wie sie auch manche Foristen hier kultivieren, aber die Misere hier mit Sätzen wie "Berlin ist auf dem EU-Innovationsindex mittlerweile an Platz 2" wegzureden, ist nur noch krank. Wo leben eigentlich Gestalten, die so etwas von sich geben? Auf "Bonnys Ranch" im Trakt für die unheilbaren Fälle, die sich für normal und erfolgreich halten?
OK, nun der Entwurf des Offenen Briefes:
================================================== =======
Der Regierende Bürgermeister von Berlin
Klaus Wowereit
- Senatskanzlei -
10871 Berlin
Betr.: Leben in Berlin
Sehr geehrter Herr Wowereit,
bevor ich zu den Gründen komme, aus denen ich mich an Sie persönlich wende, einige Worte zu meinem Leben. Ich bin eine transsexuelle Frau, 45 Jahre alt, habe an der FU Berlin Politik studiert und arbeite als Web-Entwicklerin. Ich komme aus der norddeutschen Provinz, lebte von 1983 bis 1999 in Berlin. Aus beruflichen Gründen ging ich 1999 nach München, kehrte jedoch 2006 wieder nach Berlin zurück, das ich als meine Heimatstadt betrachte. Hier möchte ich leben und mich als Schriftstellerin und Herausgeberin und kulturell auch dann engagieren, wenn es keinen materiellen Vorteil bringt.
Nicht enden wollende Vorfälle, Schikanen und Drangsalierungen, die nicht nur ich sondern auch Menschen aus meinem Umfeld erlebten, lassen mich jedoch daran zweifeln, dass Berlin überhaupt Heimat für irgend jemand sein will. Und da kommen Sie als Regierender Bürgermeister und politisch Verantwortlicher für das Geschehen in Berlin ins Spiel.
„Leben“ in Berlin spielt sich für mich so ab:
Als ich Sommer 2006 wieder nach Berlin kam, hatte ich einen 400-Euro-Job in einem kleinen Handelsunternehmen. Zunächst hoffte ich, durch einen weiteren derartigen Job ganz von Arbeitslosengeld II unabhängig zu werden, doch es kam anders: Nach kurzer Zeit verlor ich nicht nur den Job, sondern der Arbeitgeber gab Unterlagen zu meiner Kündigung, die das Jobcenter haben wollte, nicht heraus. Erst nachdem ich mit rechtlichen Schritten gedroht habe, bequemte sich der Arbeitgeber zur Übersendung der Unterlagen.
Neben dem Bezug von Arbeitslosengeld II arbeite ich gegen Honorar als Webentwicklerin. Selbstverständlich gebe ich den Nebenverdienst sowohl beim Finanzamt wie beim Jobcenter an. Wobei ich dem Jobcenter jeden Monat die Bilanzen einreiche, die auch Grundlage für meine Einkommenssteuererklärung sind.
Die Reaktion des Jobcenters darauf war, mir mitzuteilen, dass meine Bewilligungsbescheide für Arbeitslosengeld II nur unter Vorbehalt seien, solange kein Steuerbescheid des Finanzamtes vorliege. Als sich wegen eines Umzugs des zuständigen Finanzamtes die Ausstellung des Steuerbescheides verzögerte, hatte das Jobcenter nichts Besseres zu tun, als mir einen Brief mit einer Fristsetzung zu schicken. Woraufhin das Finanzamt notgedrungen die Bearbeitung meiner Steuererklärung vorgezogen hat.
Zweifellos wird mir das Jobcenter ungeachtet der von mir jeden Monat eingereichten Bilanzen auch dieses Jahr wieder einen Drohbrief schicken. Welchen „Respekt“ die Arbeitsagentur für Bemühungen, wenigstens ein bisschen Arbeitspraxis zu haben, hat, zeigt sich daran, dass es im „überarbeitetem“ Fortzahlungsantrag nun anstatt einer nicht weniger als vier eng bedruckte Formularseiten der Erfassung von Nebentätigkeit gibt. Damit auch noch so kleine „Unternehmer“ wissen, dass dieser Staat für sie vor allem bürokratische Schikanen übrig hat. Allerdings sollten die Kosten für Internet, Drucker und Verbrauchsmaterial (Papier, Patronen oder Toner) bei der Berechnung des AG II zugrundeliegenden Existenzminimums einbezogen werden – denn man muss sich Anlagen im Zweifelsfall aus dem Internet herunter laden. Um das kostenneutral zu gestalten, können die Erwerbslosen entsprechend den Vorschlägen von Finanzsenator Sarrazin zum „Speiseplan“ Gras in der Hasenheide fressen!
Ich will aber nicht nur von mir schreiben, sondern auch aus meinem Umfeld berichten. Als nach einmal wieder verheerenden Berichten über die Fähigkeiten deutscher Schüler eine Freundin von mir mit Lehramt-Studium fragte, ob sie nicht an Berliner Schulen eingesetzt werden könnte, kam von der Sachbearbeiterin die schnippische Antwort: „Sie glauben doch nicht, dass Sie in Berlin als Lehrerin arbeiten können.“ Grund: die Freundin hat ihr Studium in einem anderen Bundesland absolviert. Ist die Kleinstaaterei nicht seit der Reichseinigung von 1871 abgeschafft worden?
Einem Freund von mir, der Transvestit ist, haben Fahrgäste in der U-Bahn gesagt, man sollte seine Eltern umbringen. Bei einer Veranstaltung des LSVD zum Schwulenfeindlichkeit an Berliner Schulen sagte ein Schwuler, er sei wegen seiner Homosexualität noch nie so oft beleidigt worden wie in Berlin. Und das in einer Großstadt mit einem offen schwulen Bürgermeister.
Pöbeleien und Beleidigungen gehören nicht nur für mich zum traurigen Alltag in Berlin. Egal ob als Transsexuelle oder Afrikaner, als südländisch aussehende, dabei urdeutsche Frau oder deutscher Mann mit einer ausländischen Partnerin – jede und jeder, der nicht in das Weltbild bigotter Migranten oder verrohter Nazis passt, läuft in Berlin Gefahr, von ihnen drangsaliert und bedroht zu werden. Wenn nicht Migranten pöbeln, dann grölen deutsche „Fußballfans“ anlässlich eines Länderspiels Parolen wie „Tschechen sind nur zum Heizen gut“. Das nicht im Jahr 1936, sondern 2007!
Politik und Behörden schauen zu oder schauen weg, wie das Beispiel des „Café Positiv“ beweist. Muss ich Ihnen die traurigen Einzelheiten des von Schlägern aus einer Straße in Schöneberg gemobbten Cafés erklären? Sind Sie als offen schwuler Bürgermeister so ignorant, dass Sie nicht einmal etwas für die eigene Community unternehmen? Ersparen Sie mir bitte auch die scheinheiligen Erklärungsmuster von wegen „Kultur“, „unterschiedliche Auffassungen über das was richtig ist“ oder gar „Multikulti“. Das Treiben des Berliner Bodensatzes ist nach keinem Wertesystem richtig und die einschlägigen Gestalten gelten in jeder Kultur, welche diesen Namen verdient, als Abschaum.
Meine Bemühungen, Arbeit zu finden, endeten zuletzt damit, dass mir das Jobcenter mit Leistungskürzungen drohte, weil ich mich auf einen Vermittlungsvorschlag nicht beworben hatte. Die Pointe an der Angelegenheit ist, dass nicht das Jobcenter mir die Stelle angeboten hat, sondern ich die Stelle selbst recherchiert und mich auf sie beworben habe. Dem Jobcenter lagen die Informationen über meine aus Eigeninitiative erfolgte Bewerbung sogar vor. Das hinderte sie nicht daran, mir mit Sanktionen zu drohen.
Angesichts der schlechten beruflichen Aussichten als Web-Entwicklerin entschloss ich mich dazu, ein naturwissenschaftliches Studium in Erwägung zu ziehen. Neben meinen sozial- und geisteswissenschaftlichen Interessen haben mich Fragestellungen mit Bezug auf Naturwissenschaften immer fasziniert. Braucht nicht Deutschland als rohstoffarmes Land hochqualifizierte Fachkräfte? Sollen wir nicht nach dem Willen einer Bundesregierung, der auch ihre Partei SPD angehört, bis 67 arbeiten?
In Erwägung dieser Aspekte schrieb ich eine E-Mail an die für Studienberatung zuständigen Lehrkräfte der Fachbereiche Mathematik und Physik. In ihr schilderte ich auch in kurzen Worten meine Lebenssituation und berufliche Lage. Ich bekam alles auf die Mail – aber weder eine qualifizierte Antwort noch einen Termin für ein von mir gewünschtes persönliches Beratungsgespräch. Der Zuständige im Fachbereich Mathematik beglückte mich mit seinem Profil auf der Internetseite der FU Berlin. Da erführ ich viel über seine Veröffentlichungen, aber nichts zu den von mir gestellten Fragen. Der Verantwortliche beim Fachbereich Physik machte sich zunächst nicht einmal die Mühe, auf meine Mail zu antworten. Nur durch Zufall erreichte ich ihn telefonisch. Wobei er mir außer der Information, dass Physik ein schweres und zeitintensives Studium ist, nichts Konkretes sagen konnte oder wollte.
Die üblichen Ausflüchte der Protagonisten am Arbeitsmarkt, wo Leute nur so lange händeringend gesucht werden, bis sie da sind und etwas leisten wollen. Um dann zu erfahren, dass sie nicht mit denen gemeint sind, die so dringend gesucht werden.
Mein Fortzahlungsantrag für Arbeitslosengeld II besteht anstatt aus 4 nun aus 7 Seiten. Wenn man erwerbslos ist, hat man ja nichts besseres zu tun, als völlig sinnlose Fragen zu beantworten. Auf das wenigsten in der Bürokratie Stellen geschaffen und Pfründe nur nutzlose Amtsleiter eingerichtet werden. Dafür kann man dann ja zum Beispiel bei den Projekten der Jungenarbeit kürzen, streichen, sparen – Berlin ist ja nicht voller junger Männer, deren Gebaren nahe legt, dass sie mit ihrer Rolle so überfordert sind, dass sie nicht mal in der Lage sind, die öffentlichen Verkehrsmittel zu benutzen, ohne ihre Mitreisenden zu terrorisieren.
Damit dem Menschen nicht langweilig wird, wenn sie nach der Arbeit wieder arbeitslos werden, werden die ABM-Maßnahme eines Freundes von mir auf 11 Monate befristet. Nach 12 Monaten hätte er ja Anspruch auf Arbeitslosengeld I gehabt und wäre nicht in den Genuss der ebenfalls weiter aufgeblähten Anträge für AG II gekommen. An ein Bürgergeld, dass unbürokratisch z. B. vom Finanzamt ausgezahlt wird, welches über unsere Einnahmen informiert ist, ist natürlich nicht zu denken. Die Finanzverwaltung ist ja langweilig, alldieweil sich mit Vorschlägen zur „Arbeitsverwaltung“ angefangen bei dem Herrn Sarrazin jeder Dummkopf vor den anderen Dummköpfen profilieren kann.
Sollten Sie die Stirn haben, zu argumentieren, dass Sie für die genannten Missstände weder direkt durch Ihr Amt noch indirekt als Mitglied der SPD und Exponent ihrer neoliberalen Politik verantwortlich sind, dann treten Sie bitte zurück und feiern Ihre Partys in Zukunft bitteschön wieder als Privatmann. Das waren vielleicht für alle bessere Zeiten. Ihr Wirken und das Ihres Vorgängers Herrn Diepgen beweisen nur, dass Berlin auch gern auf einen Bürgermeister verzichten kann.
Wenn Sie oder andere neoliberale Meinungsführer die Ansicht vertreten, ich und die anderen Bürger und Bürgerinnen der Stadt sollen ihre Probleme eigenverantwortlich lösen und nicht immer nach dem Staat rufen, dann rennen Sie bei mir als bekennende Anarchistin damit offene Türen ein.
Schließlich sagte schon in den 1990er Jahren eine Ihrer Partei angehörende Senatorin in einer Talkshow, der Senat müsse viele Aufgaben den Bürgern zurück geben. Nun, der von Ihnen geleitete Senat erfüllt viele Aufgaben in der Tat gar nicht oder unzureichend. Befugnisse, Kompetenzen und Ressourcen dafür sind bei den Bürgern aber nicht angekommen. Das kann sich allerdings ändern.
Wenn der Ruf nach dem Staat besonders für die, die als Politiker, hohe Beamte, Professoren, Journalisten in den öffentlich-rechtlichen Medien und mit Politik und Verwaltung verflochtene Unternehmer am meisten von ihm profitieren so lästig ist, lassen Sie uns den Staat doch ganz abschaffen! Machen wir aus Berlin die Berliner Commune und verwirklichen den Traum der Anarchisten vom Leben ohne Chef und Staat!
In diesem Sinne und mit der Bitte, auf eine zweifellos zugleich zynische und weltfremde Antwort zu verzichten
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Anlass für mich, mit diesem Entwurf eines Offenes Briefes trotz des geteilten Echos an die Öffentlichkeit zu gehen, war eine Talkshow auf 1extra, wo Berlin schön gelogen werden sollte. Ich bin zwar gegen die Berlin-Paranoia, wie sie auch manche Foristen hier kultivieren, aber die Misere hier mit Sätzen wie "Berlin ist auf dem EU-Innovationsindex mittlerweile an Platz 2" wegzureden, ist nur noch krank. Wo leben eigentlich Gestalten, die so etwas von sich geben? Auf "Bonnys Ranch" im Trakt für die unheilbaren Fälle, die sich für normal und erfolgreich halten?
OK, nun der Entwurf des Offenen Briefes:
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Der Regierende Bürgermeister von Berlin
Klaus Wowereit
- Senatskanzlei -
10871 Berlin
Betr.: Leben in Berlin
Sehr geehrter Herr Wowereit,
bevor ich zu den Gründen komme, aus denen ich mich an Sie persönlich wende, einige Worte zu meinem Leben. Ich bin eine transsexuelle Frau, 45 Jahre alt, habe an der FU Berlin Politik studiert und arbeite als Web-Entwicklerin. Ich komme aus der norddeutschen Provinz, lebte von 1983 bis 1999 in Berlin. Aus beruflichen Gründen ging ich 1999 nach München, kehrte jedoch 2006 wieder nach Berlin zurück, das ich als meine Heimatstadt betrachte. Hier möchte ich leben und mich als Schriftstellerin und Herausgeberin und kulturell auch dann engagieren, wenn es keinen materiellen Vorteil bringt.
Nicht enden wollende Vorfälle, Schikanen und Drangsalierungen, die nicht nur ich sondern auch Menschen aus meinem Umfeld erlebten, lassen mich jedoch daran zweifeln, dass Berlin überhaupt Heimat für irgend jemand sein will. Und da kommen Sie als Regierender Bürgermeister und politisch Verantwortlicher für das Geschehen in Berlin ins Spiel.
„Leben“ in Berlin spielt sich für mich so ab:
Als ich Sommer 2006 wieder nach Berlin kam, hatte ich einen 400-Euro-Job in einem kleinen Handelsunternehmen. Zunächst hoffte ich, durch einen weiteren derartigen Job ganz von Arbeitslosengeld II unabhängig zu werden, doch es kam anders: Nach kurzer Zeit verlor ich nicht nur den Job, sondern der Arbeitgeber gab Unterlagen zu meiner Kündigung, die das Jobcenter haben wollte, nicht heraus. Erst nachdem ich mit rechtlichen Schritten gedroht habe, bequemte sich der Arbeitgeber zur Übersendung der Unterlagen.
Neben dem Bezug von Arbeitslosengeld II arbeite ich gegen Honorar als Webentwicklerin. Selbstverständlich gebe ich den Nebenverdienst sowohl beim Finanzamt wie beim Jobcenter an. Wobei ich dem Jobcenter jeden Monat die Bilanzen einreiche, die auch Grundlage für meine Einkommenssteuererklärung sind.
Die Reaktion des Jobcenters darauf war, mir mitzuteilen, dass meine Bewilligungsbescheide für Arbeitslosengeld II nur unter Vorbehalt seien, solange kein Steuerbescheid des Finanzamtes vorliege. Als sich wegen eines Umzugs des zuständigen Finanzamtes die Ausstellung des Steuerbescheides verzögerte, hatte das Jobcenter nichts Besseres zu tun, als mir einen Brief mit einer Fristsetzung zu schicken. Woraufhin das Finanzamt notgedrungen die Bearbeitung meiner Steuererklärung vorgezogen hat.
Zweifellos wird mir das Jobcenter ungeachtet der von mir jeden Monat eingereichten Bilanzen auch dieses Jahr wieder einen Drohbrief schicken. Welchen „Respekt“ die Arbeitsagentur für Bemühungen, wenigstens ein bisschen Arbeitspraxis zu haben, hat, zeigt sich daran, dass es im „überarbeitetem“ Fortzahlungsantrag nun anstatt einer nicht weniger als vier eng bedruckte Formularseiten der Erfassung von Nebentätigkeit gibt. Damit auch noch so kleine „Unternehmer“ wissen, dass dieser Staat für sie vor allem bürokratische Schikanen übrig hat. Allerdings sollten die Kosten für Internet, Drucker und Verbrauchsmaterial (Papier, Patronen oder Toner) bei der Berechnung des AG II zugrundeliegenden Existenzminimums einbezogen werden – denn man muss sich Anlagen im Zweifelsfall aus dem Internet herunter laden. Um das kostenneutral zu gestalten, können die Erwerbslosen entsprechend den Vorschlägen von Finanzsenator Sarrazin zum „Speiseplan“ Gras in der Hasenheide fressen!
Ich will aber nicht nur von mir schreiben, sondern auch aus meinem Umfeld berichten. Als nach einmal wieder verheerenden Berichten über die Fähigkeiten deutscher Schüler eine Freundin von mir mit Lehramt-Studium fragte, ob sie nicht an Berliner Schulen eingesetzt werden könnte, kam von der Sachbearbeiterin die schnippische Antwort: „Sie glauben doch nicht, dass Sie in Berlin als Lehrerin arbeiten können.“ Grund: die Freundin hat ihr Studium in einem anderen Bundesland absolviert. Ist die Kleinstaaterei nicht seit der Reichseinigung von 1871 abgeschafft worden?
Einem Freund von mir, der Transvestit ist, haben Fahrgäste in der U-Bahn gesagt, man sollte seine Eltern umbringen. Bei einer Veranstaltung des LSVD zum Schwulenfeindlichkeit an Berliner Schulen sagte ein Schwuler, er sei wegen seiner Homosexualität noch nie so oft beleidigt worden wie in Berlin. Und das in einer Großstadt mit einem offen schwulen Bürgermeister.
Pöbeleien und Beleidigungen gehören nicht nur für mich zum traurigen Alltag in Berlin. Egal ob als Transsexuelle oder Afrikaner, als südländisch aussehende, dabei urdeutsche Frau oder deutscher Mann mit einer ausländischen Partnerin – jede und jeder, der nicht in das Weltbild bigotter Migranten oder verrohter Nazis passt, läuft in Berlin Gefahr, von ihnen drangsaliert und bedroht zu werden. Wenn nicht Migranten pöbeln, dann grölen deutsche „Fußballfans“ anlässlich eines Länderspiels Parolen wie „Tschechen sind nur zum Heizen gut“. Das nicht im Jahr 1936, sondern 2007!
Politik und Behörden schauen zu oder schauen weg, wie das Beispiel des „Café Positiv“ beweist. Muss ich Ihnen die traurigen Einzelheiten des von Schlägern aus einer Straße in Schöneberg gemobbten Cafés erklären? Sind Sie als offen schwuler Bürgermeister so ignorant, dass Sie nicht einmal etwas für die eigene Community unternehmen? Ersparen Sie mir bitte auch die scheinheiligen Erklärungsmuster von wegen „Kultur“, „unterschiedliche Auffassungen über das was richtig ist“ oder gar „Multikulti“. Das Treiben des Berliner Bodensatzes ist nach keinem Wertesystem richtig und die einschlägigen Gestalten gelten in jeder Kultur, welche diesen Namen verdient, als Abschaum.
Meine Bemühungen, Arbeit zu finden, endeten zuletzt damit, dass mir das Jobcenter mit Leistungskürzungen drohte, weil ich mich auf einen Vermittlungsvorschlag nicht beworben hatte. Die Pointe an der Angelegenheit ist, dass nicht das Jobcenter mir die Stelle angeboten hat, sondern ich die Stelle selbst recherchiert und mich auf sie beworben habe. Dem Jobcenter lagen die Informationen über meine aus Eigeninitiative erfolgte Bewerbung sogar vor. Das hinderte sie nicht daran, mir mit Sanktionen zu drohen.
Angesichts der schlechten beruflichen Aussichten als Web-Entwicklerin entschloss ich mich dazu, ein naturwissenschaftliches Studium in Erwägung zu ziehen. Neben meinen sozial- und geisteswissenschaftlichen Interessen haben mich Fragestellungen mit Bezug auf Naturwissenschaften immer fasziniert. Braucht nicht Deutschland als rohstoffarmes Land hochqualifizierte Fachkräfte? Sollen wir nicht nach dem Willen einer Bundesregierung, der auch ihre Partei SPD angehört, bis 67 arbeiten?
In Erwägung dieser Aspekte schrieb ich eine E-Mail an die für Studienberatung zuständigen Lehrkräfte der Fachbereiche Mathematik und Physik. In ihr schilderte ich auch in kurzen Worten meine Lebenssituation und berufliche Lage. Ich bekam alles auf die Mail – aber weder eine qualifizierte Antwort noch einen Termin für ein von mir gewünschtes persönliches Beratungsgespräch. Der Zuständige im Fachbereich Mathematik beglückte mich mit seinem Profil auf der Internetseite der FU Berlin. Da erführ ich viel über seine Veröffentlichungen, aber nichts zu den von mir gestellten Fragen. Der Verantwortliche beim Fachbereich Physik machte sich zunächst nicht einmal die Mühe, auf meine Mail zu antworten. Nur durch Zufall erreichte ich ihn telefonisch. Wobei er mir außer der Information, dass Physik ein schweres und zeitintensives Studium ist, nichts Konkretes sagen konnte oder wollte.
Die üblichen Ausflüchte der Protagonisten am Arbeitsmarkt, wo Leute nur so lange händeringend gesucht werden, bis sie da sind und etwas leisten wollen. Um dann zu erfahren, dass sie nicht mit denen gemeint sind, die so dringend gesucht werden.
Mein Fortzahlungsantrag für Arbeitslosengeld II besteht anstatt aus 4 nun aus 7 Seiten. Wenn man erwerbslos ist, hat man ja nichts besseres zu tun, als völlig sinnlose Fragen zu beantworten. Auf das wenigsten in der Bürokratie Stellen geschaffen und Pfründe nur nutzlose Amtsleiter eingerichtet werden. Dafür kann man dann ja zum Beispiel bei den Projekten der Jungenarbeit kürzen, streichen, sparen – Berlin ist ja nicht voller junger Männer, deren Gebaren nahe legt, dass sie mit ihrer Rolle so überfordert sind, dass sie nicht mal in der Lage sind, die öffentlichen Verkehrsmittel zu benutzen, ohne ihre Mitreisenden zu terrorisieren.
Damit dem Menschen nicht langweilig wird, wenn sie nach der Arbeit wieder arbeitslos werden, werden die ABM-Maßnahme eines Freundes von mir auf 11 Monate befristet. Nach 12 Monaten hätte er ja Anspruch auf Arbeitslosengeld I gehabt und wäre nicht in den Genuss der ebenfalls weiter aufgeblähten Anträge für AG II gekommen. An ein Bürgergeld, dass unbürokratisch z. B. vom Finanzamt ausgezahlt wird, welches über unsere Einnahmen informiert ist, ist natürlich nicht zu denken. Die Finanzverwaltung ist ja langweilig, alldieweil sich mit Vorschlägen zur „Arbeitsverwaltung“ angefangen bei dem Herrn Sarrazin jeder Dummkopf vor den anderen Dummköpfen profilieren kann.
Sollten Sie die Stirn haben, zu argumentieren, dass Sie für die genannten Missstände weder direkt durch Ihr Amt noch indirekt als Mitglied der SPD und Exponent ihrer neoliberalen Politik verantwortlich sind, dann treten Sie bitte zurück und feiern Ihre Partys in Zukunft bitteschön wieder als Privatmann. Das waren vielleicht für alle bessere Zeiten. Ihr Wirken und das Ihres Vorgängers Herrn Diepgen beweisen nur, dass Berlin auch gern auf einen Bürgermeister verzichten kann.
Wenn Sie oder andere neoliberale Meinungsführer die Ansicht vertreten, ich und die anderen Bürger und Bürgerinnen der Stadt sollen ihre Probleme eigenverantwortlich lösen und nicht immer nach dem Staat rufen, dann rennen Sie bei mir als bekennende Anarchistin damit offene Türen ein.
Schließlich sagte schon in den 1990er Jahren eine Ihrer Partei angehörende Senatorin in einer Talkshow, der Senat müsse viele Aufgaben den Bürgern zurück geben. Nun, der von Ihnen geleitete Senat erfüllt viele Aufgaben in der Tat gar nicht oder unzureichend. Befugnisse, Kompetenzen und Ressourcen dafür sind bei den Bürgern aber nicht angekommen. Das kann sich allerdings ändern.
Wenn der Ruf nach dem Staat besonders für die, die als Politiker, hohe Beamte, Professoren, Journalisten in den öffentlich-rechtlichen Medien und mit Politik und Verwaltung verflochtene Unternehmer am meisten von ihm profitieren so lästig ist, lassen Sie uns den Staat doch ganz abschaffen! Machen wir aus Berlin die Berliner Commune und verwirklichen den Traum der Anarchisten vom Leben ohne Chef und Staat!
In diesem Sinne und mit der Bitte, auf eine zweifellos zugleich zynische und weltfremde Antwort zu verzichten
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