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Vollständige Version anzeigen : Haus ohne Gott?



marc
11.02.2008, 14:57
salute, salute.
bin auch mal wieder hier, weil ich mich seit einigen tagen mit einer frage beschäftigen muss, bei der ich mir einerseits dachte, dass sie in dieses forum und dessen gemenge aus kreuzchristentum und christenfeindlichkeit, linken und rechten, liberalen und reaktionären, gut hineinpasst.

jedenfalls ist die frage, wie ethik ohne einen gottesbegriff aussehen kann, begründet werden kann und meine befürchtung ist, dass eine ethik / moral (zu den unterschieden später) ohne gottesbegriff nicht nur ihren orientierungspunkt verliert, was nicht per se schlecht seien muss, sondern schlimmer noch: ihre ursache und ihre legitimation.

da ich mich ganz schmutzig bei dieser aussage fühle, möchte ich kurz erklären, wie ich zu dem gedanken kam und einen kleinen streifzug zu denkern anbieten, die sich auch mit dieser frage beschäftigten.

jürgen habermas, der sich selbst bekanntermaßen als "religiös unmusikalisch" beschreibt, hielt 2001 in der paulskirche / ffm eine rede, in der er nicht nur dazu aufrief, dass religiöse bürger das recht haben müsste, auch aufgrund ihrer religiösen überzeugungen zu argumentieren, sondern vorallem - achtung: dass wie man es dreht und wendet, die grundsätzliche würde des menschen, die bei uns so fest verankert und angestrebt ist (inwiefern sie auch tatsächlich berücksichtigt wird, ist eine andere frage), nur dadurch zu rechtfertigen sei, wenn man von dem christlich-jüdischem verständnis der gottesebenbildlichkeit jedes menschen ausgeht.

wohin man gelangt, wenn man diese gottesebenbildlichkeit subtrahiert, hat wohl so konsequent wie kein anderer der australische philosoph peter singer deutlich gemacht: in seinem weltbild, das so konsequent wie erschütternd ist, gibt es menschliche tiere und nicht-menschliche tiere, die beide interessen haben, also leiden vermeiden wollen, und ziel allen handelns muss es sein, leiden so gering wie möglich zu halten. das führt allerdings dazu, dass eine leidensfähige ratte interessen und ein recht auf leben hat, ein embryo oder ein geistig-behinderter allerdings kein recht auf leben haben. (wobei man fairerweise sagen muss, dass für ihn "kein recht auf leben" haben nicht heisst, sie sollen getötet werden - sie sollen dann am leben bleiben, wenn es im interesse anderer "personen" -er unterscheidet zwischen personen und menschen blablabla- liegt, dass etwa geistig behinderte menschen am leben bleiben. hat allerdings niemand interesse an ihnen, könnten sie auch getötet werden, weil dadurch -so singer- kein leiden entstehen würde.)
peter singer ist konsequenterweise veganer und setzt sich dafür ein, dass auch die großen menschenaffen menschenrechte erhalten sollen.


wenn diese vorstellung nicht überzeugt, lohnt der blick in die geschichte. einer der größten und berühmtesten religionsfeinde der sog. aufklärung war voltaire. seine waffe war das argument genauso wie der spott und der hohn. heute hätte er mit sicherheit auch die beststellerlisten angeführt, und man muss fairerweise sagen, dass er viele kluge gedanken gehabt hat, und sich seine religionsfeindlichkeit nicht nur auf das christentum, sondern auf alle religionen bezieht. seine äusserungen gegenüber dem islam wären 100% fatwa-verdächtig. aber: wenn er seine adeligen kollegen in sein schloß einlud, und sie darüber redeten, wie doof es sei, an gott zu glauben, sorgte er nachweislich dafür, dass alle seine diener und angestellten davon nichts mitbekämen. warum? weil er befürchtete, dass sie -wenn sie erfahren würden, dass es keinen gott gibt- ihn, den reichen mann, in der nacht erstechen und sein vermögen rauben würden. atheismus und die loslösung von religiöser moral war für ihn also nur einer kleinen elite vergönnt. das fußvolk sollte von der kirche im zaum gehalten werden…

einer seiner kollegen marechal, sah eine andere lösung für dieses problem, nämlich: spitzel und geheimpolizei, überwachungsstaat. die seien letztlich auch wirkungsvoller als priester und gott...

fehlt noch friedrich nietzsche, der als konsequenz alle moral ablehnte, den übermenschen propagierte und alles schwache mit dem gleichen "holzhammer" abtöten wollte, mit dem er auch den tod gottes so wortgewaltig formulierte. allerdings müsste man hinzufügen, dass seine kritik am christentum teilweise für das christentum und gegen nietzsche spricht, dem die solidarität eben mit den schwachen und den zurückgebliebenen ekelhaft blieb.

wir haben also: lebensrecht für ratten, elitedünkel, geheimpolizei und übermensch.
= (

im "haus ohne gott" scheinen also ziemlich schreckliche spielregeln zu gelten,
aber - worauf schließlich gerne verwiesen wird, von michael schmidt-salomon, später auch von peter singer und anderen, ist so etwas wie ein "egoistischer altruismus" - auch ohne gott würden die menschen gutes tun, weil eine altruistische handlung egoistische bedürfnisse befriedige. berühmt ist die anekdote um thomas hobbes, der einem bettler einige münzen gab und von einem priester gefragt wurde, ob er das denn auch getan hätte, wenn jesus nicht die barmherzigkeit gelehrt hätte, es keinen gott gebe usw.
hobbes: klar, denn dadurch, dass ich das leid des bettlers verringert habe, habe ich auch mein eigenes unbehagen wegen der armut dieses mannes gelindert.

so schön das auch seien mag, hat die geschichte und auch die gegenwart wohl oft genug bewiesen, dass dieser "egoistische altruismus" oft nicht umgesetzt wird. man muss dem bettler kein geld geben, man kann auch schnell an ihm vorbei, oder ihn anfangen zu hassen.
die vorstellung, dass die menschen, wenn man sie nur darauf hinweist, schon sozial handeln würden, weil sie selbst das befriedigen würde, scheint mir dermassen naiv zu sein, dass ich kaum verstehen kann, wie zahlreichen philosophen immer an diesem punkt angelangen.
gerade jemand wie peter singer, der seitenlang bestechend scharf, konsequent und logisch argumentiert und eine seite später auf einmal von den "uralten weisheiten", die es "auch schon in asien" gab zu palavern anfängt, und von eben jenem altruismus aus egoistischen gründen spricht.

das erscheint mir die etwas primitivere version von kant zu sein, der durch sie allerdings auch eine art gottesbeweis formulierte. denn laut kant spüre jeder mensch, egal wie schwach, egal ob er sich daran hält oder nicht, diesen kategorischen imperativ in sich, das verlangen gut sein zu wollen, bzw: das gefühl, unrecht zu tun, und dass es besser wäre, etwas gutes zu tun.
das allerdings kann nur sein, wenn es freiheit, unsterblichkeit und gott gibt.
freiheit, um wählen und wissen zu können, unsterblichkeit (der seele), weil nur dadurch die gewissheit bestehen kann, dass man auch die todesstrafe in kauf nehmen würde (ob man sie dann wirklich in kauf nimmt, ist an der stelle nebensächlich, es geht nur darum zu wissen, dass es gut wäre, die todesstrafe auf sich zu nehmen, um -was weiß ich- den dritten weltkrieg zu vermeiden. daraus schlußfolgert er dann das "höchste gut", etwas allmächtiges und allgütiges - was man wohl als gott bezeichnen darf.

tja … was nun?
ich hab keine ahnung : (

dr-esperanto
11.02.2008, 19:55
Tja, wenn schon die großen Philosophen uneinig sind, werden wir kleinen Lichter die Frage auch nicht lösen können.
Voltaire war ein äußerst unmoralischer Mensch - was wohl auch an seinem Atheismus gelegen haben mag.
An Nietzsche stößt mich die Verachtung für Leute mit schlechten Genen ab,
von Peter Singer gar nicht erst zu reden.
Beim reaktionären Schwenk der Frankfurter Schule (Habermas) vermute ich eher Kontakte zu den Neo-Cohns und "Il Foglio", die ja auch "so tun, als ob es Gott gäbe, damit die Gesellschaft besser funktioniert".

Wolf
11.02.2008, 20:13
Wieso steht da nicht " Ich bin anderer Religion " oder so angehörig ?

marc
12.02.2008, 13:02
Wieso steht da nicht " Ich bin anderer Religion " oder so angehörig ?

es sollte -abgesehen von dem habermas-beispiel- gar nicht um eine konkrete religion gehen, sondern um einen gottesbegriff an sich.
ob du den jetzt JWHE nennst oder sonst wie, ist an der stelle nicht (so) wichtig.

ich persönlich bin da, wie gesagt, etwas hin und hergerissen. auf einer rein theoretisch-philosophischen ebene sehe ich schon eine gewisse notwendigkeit für eine "metaphysische option" - allerdings: die praxis hat jahrtausendelang und auch bis heute bewiesen, dass sich diese option nicht (nur) positiv ausgewirkt hat.

wir in west-europa leben ja seit geraumer zeit, sagen wir endgültig seit den 70ern, in einem quasi soziologischem experiment, wenn man so will, weil zum allerersten mal in der geschichte der gottesbezug weitgehend abgeschnitten wurde - das hat vermutlich positive als auch negative konsequenzen gehabt, aber ob dieses experiment gut ausgeht, dass steht in den sternen. vorallem da diese abkapselung eine wichtige säule für die völlige trennung von sexualität und fortpflanzung war, die bald zur fortpflanzung im labor unter sicheren genetischen bedingungen führen wird (auch das ist in der geschichte einmalig)
nur: jetzt sterben wir aus und sind deswegen gezwungen, mehr menschen aus anderen kulturen aufzunehmen, wie das ebenfalls noch nie eine gesellschaft in der geschichte versucht hat.
in preußen zb gab es ja eher eine mischung aus libertinage und militärischer funktionalität und die "neue welt" hatte von anfang an einen anderen ausgangspunkt.

dimu
12.02.2008, 13:06
salute, salute.
bin auch mal wieder hier ....................


ich hab keine ahnung : (
dann bleib mal dabei.
ist in deinem fall wohl das beste.
.

marc
12.02.2008, 13:08
dann bleib mal dabei.
ist in deinem fall wohl das beste.
.

huch.
wasn los?

dimu
12.02.2008, 13:11
huch.
wasn los?
eigentlich nichts, marc.
hatte nur eine zwingende eingebung, der ich nachgekommen bin. :cool2: :]
.

marc
12.02.2008, 13:13
eigentlich nichts, marc.
hatte nur eine zwingende eingebung, der ich nachgekommen bin. :cool2: :]
.

ich meine: was genau hat dich denn an dem gestört, was ich geschrieben habe?
*kopfkratz*

Skaramanga
12.02.2008, 13:51
Hallo. Habe gerade Gott getroffen (wir kaufen im selben Supermarkt). Er hat mir verraten, dass ihm das eigentlich alles scheißegal ist.

Chaos
12.02.2008, 14:13
In einer Gesellschaft ohne Gott besteht eine größere Notwendigkeit, selbst über Moral und Ethik nachzudenken. Man hat keine obere Instanz mehr, die sagt, was man tun soll, da muss man sich schon selbst entscheiden. Sollte also nicht zwingend schlechter laufen als mit Gottesbezug. Wäre interessant, zu sehen, wie es sich entwickeln würde. Wer weiß, was für Theorien sich da so entwickeln. Zumindest ist es ja klar, dass man moralische Grundsätze auch ohne Gottesbezug entwickeln kann.

Ernesto-Che
12.02.2008, 14:15
Hallo. Habe gerade Gott getroffen (wir kaufen im selben Supermarkt). Er hat mir verraten, dass ihm das eigentlich alles scheißegal ist.

Ich habe ihn auch getroffen - auf dem Markt mit Mohammed dem Pedophilen ... die sahen beide echt alt aus !!!

Teutone
12.02.2008, 15:31
salute, salute.
bin auch mal wieder hier, weil ich mich seit einigen tagen mit einer frage beschäftigen muss, bei der ich mir einerseits dachte, dass sie in dieses forum und dessen gemenge aus kreuzchristentum und christenfeindlichkeit, linken und rechten, liberalen und reaktionären, gut hineinpasst.

jedenfalls ist die frage, wie ethik ohne einen gottesbegriff aussehen kann, begründet werden kann und meine befürchtung ist, dass eine ethik / moral (zu den unterschieden später) ohne gottesbegriff nicht nur ihren orientierungspunkt verliert, was nicht per se schlecht seien muss, sondern schlimmer noch: ihre ursache und ihre legitimation.

Das wiederum führt zu der Frage, was genau Ursache und Legitimation einer Ethik mit Gottesbegriff sind.

Ein wichtiger Aspekt ist mit Sicherheit auch die Vorstellung von Gott als Richter also dass Verantwortung für das eigene Tun und Handeln daraus erwächst, dass man nicht umherkommt, hierfür früher oder später Rechenschaft abzulegen. Wer diesen Gedanken im Hinterkopf hat, wird es sich zweimal überlegen, bevor er - z.B. indem er aus Eigennützigkeit einem anderen Schaden zufügt - ein Unrecht, eine Sünde begeht. Nun muss man natürlich feststellen, dass dies auch nur geschieht um mögliche unangenehme Konsequenzen(drastisch ausgedrückt: Höllenfeuer etc.) zu vermeiden. Letztlich wäre die treibende Kraft beim Unterlassen dieser Untat der Egoismus. Die Entscheidung, es nicht zu tun somit lediglich ein Abwägen zwischen persönlichen Vorteilen, die man aus hieraus ziehen könnte und den Nachteilen, eben der Sanktionierung durch Gott.

Ebenso, könnte daraus gefolgert werden, dass scheinbare Wohltaten die man an seinem Nächsten vollbringt, keineswegs von wirklicher Güte oder Großmut herrühren, sondern lediglich den Zweck verfolgen, das eigene Seelenheil zu sichern.

Das Fundament einer Ethik mit Gottesbegriff also ausschließlich hierauf zu reduzieren, hieße dass Gott letztendlich kaum eine andere Funktion zukäme als der weltlichen Gerichtsbarkeit und Gesetzgebung auch, nämlich Anreize zu schaffen, sich regelkonform zu verhalten und andererseits abzuschrecken um der Nichtbeachtung dieser Regeln entgegenzuwirken.

Um auf die Vorstellung von der Gottesebenbildlichkeit des Menschen zu kommen, so soll diese zur besonderen Achtung des Menschen - seines Nächsten, wenn man so will - anhalten. Auch Achtung und Schutz von Tieren ließe sich darauf zurückführen, dass auch sie Geschöpfe Gottes sind. In beiden Fällen würde man sich durch ein etwaiges Unrecht gegen die Schöpfung auch gegen den Schöpfer versündigen.

Von daher könnte man natürlich argumentieren, dass ohne diese Gottesvorstellung eine wichtige Grundlage für die Rücksichtnahme auf Mitlebewesen fehlt. Andererseits muss man nicht unbedingt an Gott oder das Göttliche glauben um aus einer Mitleidsethik, wie z.B. der nach Schopenhauer, zu handeln.

Meiner bescheidenen Meinung nach hat die Metapher vom Gewissen, das jedem Menschen innewohnt, als Stimme Gottes durchaus einen wahren Kern. Ob man auch tatsächlich auf diese Stimme hört, steht wie gesagt auf einem anderen Blatt geschrieben.

Mütterchen
12.02.2008, 20:00
Ich schätze mal, meine Vorstellungen decken sich ziemlich mit denen von Teutone.

Sicher spielt dabei die eigene Erziehung eine große Rolle.
Ich hatte das schon einmal geschrieben- vor langer, langer Zeit hatte ich einmal im Religionsunterricht gelernt, dass der Mensch seine Gottesvorstellung je nach eigenen Erfahrungen entwickelt.
So erlebt der Säugling -als ersten, übermächtigen und ( im besten Falle) gütigen Gott seine Mutter: liebend, nährend, tröstend, wärmend - allgegenwärtig. Das hilfose Kleinkind, ganz abhängig von der übermächtigen Mutter, bildet die Erfahrung, dass seine Bedürfnisse bemerkt und befriedigt werden - sozusagen die Grunderfahrung eines gütigen Gottes.

Später wird der Vater ebenfalls ein wichtiges Bild vermitteln: Ich sage jetzt nicht, er ist der strafende Gott, aber für Kinder wirkt der Vater, der Mann, einfach anders: groß, stark, laut, mächtig.

Aus diesen Grunderfahrungen bildet der Mensch seine Vorstellung von Gott- sich ein allmächtiges Wesen vorzustellen, fällt ihm deswegen leicht- oder es ist sogar ein Bedürfnis, das durch religiöse Erziehung befriedigt wird.

Demnach wäre aber auch die Fähigkeit zur Nächstenliebe einfach abhängig von diesen Erfahrungen: liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Nur ein Kind, das geliebt wurde, kann sich selbst lieben- und nur wer sich selbst lieben kann, ist auch in der Lage, andere zu lieben.

Eine Gottesvorstellung ist wohl nicht notwendig, um altruistisch zu handeln. Man muss sicher kein Christ sein, um Nächstenliebe zu praktizieren, oder um Umwelt-oder Tierschützer zu werden.


Ich schätze mal, in früheren Jahrhunderten, als das Christentum einen ganz anderen Stellenwert hatte, genügte auch die drohende Vorstellung eines ewigen Fegefeuers nicht, die Leute an Mord und Totschlag zu hindern - eine weltliche Gerichtbarkeit war trotzdem immer notwendig. Wie das jetzt aber prozentual im Gegensatz zu heute aussah, weiß ich natürlich nicht.

Für mich selbst kann ich nur sagen: ich bin alles andere als ein frommer Christ, und trotzdem ist für mich Gott eine Gewissheit. Und die Schöpfung ist etwas Göttliches. Deswegen verlangt sie Respekt. Und ich denke mal, dass ich sowieso ein sehr harmloser Zeitgenosse bin - ziemlich gutmütig und voller Skrupel- auch ohne Gottesvorstellung würde aus mir kein Betrüger oder gar Mörder.

Da ich aber an Gott glaube, macht mir mein Seelenheil schon immer wieder mal Sorgen- und die eine oder andere Entscheidung hab ich durchaus unter dieser Berücksichtigung gefällt.