opus111
12.10.2004, 15:44
„Der Untergang“ oder: Wieviele Perspektiven ermöglicht ein Kinofilm.
Ich bin entsetzt. Nicht über den Film.
Nachdem ich die meisten Kritiken – einige haarsträubend igorant – gelesen habe. Nachdem ich Äußerungen von Zuschauern unterschiedlicher Altersgruppen zur Kenntnis genommen habe.
Offenbar ermöglicht ein solcher Film das Eintauchen in subjektive Wahrnehmungswelten: Aber dies ist keineswegs etwas Neues. Sind doch die Rezeptionsvoraussetzungen der Zuschauer wie immer höchst unterschiedlich.
In den Urteilen mischt sich die Bezugnahme auf Künstlerisches und zeitkritisch Historisches. Darin liegt eine ungeheure Krux.
Künstlerisch ist dieser Film über alle üblichen Maßstäbe erhaben: Darauf möchte ich keineswegs eingehen. Fragwürdig ist jedoch, ob ein solcher Film, ein so großartiger, einzigartiger, seinem Gegenstand vollkommen angemessener, überhaupt gedreht und gezeigt werden sollte? Warum diese Frage? Eben weil die Jämmerlichkeit der nachträglichen Interpretation und die geistige Armseligkeit mancher Zeitgenossen der Bedeutung des Filmes nicht angemessen sind. Oder mit Lichtenberg: Wenn ich in einen Spiegel schaue und es schaut ein Affe – sprich: eine Hitlerfratze – heraus, dann muss es nicht an dem Spiegel liegen!
Da erdreistet sich ein Kritiker, zu monieren, der Film habe nicht genug gewagt, er habe zu wenig „gedeutet“. Was sich beispielweise darin erweise, dass der Schlussakt der hitlerschen Elendigkeit, der feige Selbstmord, inclusive einer schnulzigen Abschiedsszene zwischen Eva und Adolf eben nicht gezeigt worden sei. Welche Einfalt dieses Kritikerhirns! Nichts habe ich als wohltuender empfunden als diese scheinbare Auslassung.
Der Film lässt keine Deutung zu, denn er bedarf keiner Deutung. Die pathologische Jammergestalt des Bankrotteurs Hitlers erlaubt in der Darstellung Bruno Ganz nicht einmal andeutungsanweise irgendeine Art von Empathie. Es ist unbestreitbar, dass jede künstlerische Umsetzung einer historischen Person nicht ohne Vermenschlichung auskommen kann. Aber Vermenschlichung führt nicht notwendigerweise zu Empathie, sondern in der Darstellung eines Bruno Ganz zu einer Offenbarung des Antihumanen und psychologisch Widerwärtigen in einer absurden Person, die leider der Spezies „Mensch“ als eine ihrer bösartigsten Spielarten zuzurechnen ist. Wenn Bruno Ganz Adolf menschelt, dann in der Weise, dass das Unmenschliche – besser: Antimenschliche – als widerliche Persönlichkeit, als Adolf, der hysterische Lump daherkommt, der sich ausgerechnet in dem Elend seiner „banalen“ mörderischen Existenz übermenschliche Größe anmasst. Von einem klassisch tragischen überhöhten Helden, auf den das aristotelische Mitleiden zuträfe, ist da nicht das Geringste zu spüren.
Apropos banal: So manche Zeitgenossen haben Hannah Arendts großes Wort von der „Banalität des Bösen“ niemals verstanden. Gewiss: Das Böse ist niemals „banal“ in dem Sinne, es sei belanglos. Aber die seelische Grundlage des Bösen kann außerordentlich „banal“ sein, wie die Unterstützung der Nazis durch manche guten, redlichen, liebenswürdigen Kleinbürger so eindringlich gezeigt hat. (Je schwächer die eigene Persönlichkeit, desto wichtiger die Identifikation mit einer „überragenden“ Führerfigur).
Ein anderes Beispiel, wie wenig Identifikation mit dem Seelenleben der Nazi-Größen durch diesen Film ermöglicht wird: Martha Goebbels, gespielt von Corinna Harfouche. Dem Kindesmord geht eine Szene voraus, in der Martha hysterisch zusammenbrechend den Führer anfleht, sich nicht umzubringen. Denn ohne die Identifikationsfigur des pathologischen Verführers hat in Marthas verblendeter Weltsicht das Leben keinen Sinn mehr, auch nicht das ihrer Kinder. Eine solche Szene lässt keine empathische Identifikation aufkommen, sondern evoziert in der Folge des Kindsmords nur Abscheu.
Dies wird nicht der Lieblingsfilm der Neonazis werden, auch wenn ein paar solcher Jammergestalten bei Hitlerschen Schimpftiraden gegen die Juden, die an allem schuld seien, in Kinos „Heil Hitler“ gebrüllt haben. Neonazis werden vor dem Hitlerismus immer stramm stehen: Da spielt es überhaupt keine Rolle, welcher Film gegeben wird.
Traurig ist, dass einige Linke mit falschen Vorzeichen auf diesen Film eindreschen: Sie unterliegen einem grandiosen Missverständnis. Denn es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder gibt es die Möglichkeit einer künstlerischen Umsetzung, dann ist dieser Film der gelungenste seiner Art. Oder es gibt sie grundsätzlich nicht. Wenn es sie nicht gibt, dann wird letztendlich auch die Chance des Erinnerns vertan. Die Abstraktion gelehrter historischer Werke jedenfalls stellt keine Alternative dar, wenn Erinnern auch künftig ermöglicht sein soll.
Fazit: Die oben gestellte Frage, ob ein solcher Film überhaupt gedreht werden sollte, beantworte ich mit einem eindeutigen „Ja“. Die Gefahr möglicher pathologischer Rezeption ist in kauf zu nehmen, weil die Gefahr des Vergessens eine sehr viel größere ist.
Noch ein Vermerk: Erinnern bedeutet nicht Buße und permanente Zuweisung von Selbstschuld. Erinnern ist eine Schuldigkeit sich selbst gegenüber, um den Verführern und Verführungen – die es auch in unserer Zeit gibt – widerstehen zu können.
Ich bin entsetzt. Nicht über den Film.
Nachdem ich die meisten Kritiken – einige haarsträubend igorant – gelesen habe. Nachdem ich Äußerungen von Zuschauern unterschiedlicher Altersgruppen zur Kenntnis genommen habe.
Offenbar ermöglicht ein solcher Film das Eintauchen in subjektive Wahrnehmungswelten: Aber dies ist keineswegs etwas Neues. Sind doch die Rezeptionsvoraussetzungen der Zuschauer wie immer höchst unterschiedlich.
In den Urteilen mischt sich die Bezugnahme auf Künstlerisches und zeitkritisch Historisches. Darin liegt eine ungeheure Krux.
Künstlerisch ist dieser Film über alle üblichen Maßstäbe erhaben: Darauf möchte ich keineswegs eingehen. Fragwürdig ist jedoch, ob ein solcher Film, ein so großartiger, einzigartiger, seinem Gegenstand vollkommen angemessener, überhaupt gedreht und gezeigt werden sollte? Warum diese Frage? Eben weil die Jämmerlichkeit der nachträglichen Interpretation und die geistige Armseligkeit mancher Zeitgenossen der Bedeutung des Filmes nicht angemessen sind. Oder mit Lichtenberg: Wenn ich in einen Spiegel schaue und es schaut ein Affe – sprich: eine Hitlerfratze – heraus, dann muss es nicht an dem Spiegel liegen!
Da erdreistet sich ein Kritiker, zu monieren, der Film habe nicht genug gewagt, er habe zu wenig „gedeutet“. Was sich beispielweise darin erweise, dass der Schlussakt der hitlerschen Elendigkeit, der feige Selbstmord, inclusive einer schnulzigen Abschiedsszene zwischen Eva und Adolf eben nicht gezeigt worden sei. Welche Einfalt dieses Kritikerhirns! Nichts habe ich als wohltuender empfunden als diese scheinbare Auslassung.
Der Film lässt keine Deutung zu, denn er bedarf keiner Deutung. Die pathologische Jammergestalt des Bankrotteurs Hitlers erlaubt in der Darstellung Bruno Ganz nicht einmal andeutungsanweise irgendeine Art von Empathie. Es ist unbestreitbar, dass jede künstlerische Umsetzung einer historischen Person nicht ohne Vermenschlichung auskommen kann. Aber Vermenschlichung führt nicht notwendigerweise zu Empathie, sondern in der Darstellung eines Bruno Ganz zu einer Offenbarung des Antihumanen und psychologisch Widerwärtigen in einer absurden Person, die leider der Spezies „Mensch“ als eine ihrer bösartigsten Spielarten zuzurechnen ist. Wenn Bruno Ganz Adolf menschelt, dann in der Weise, dass das Unmenschliche – besser: Antimenschliche – als widerliche Persönlichkeit, als Adolf, der hysterische Lump daherkommt, der sich ausgerechnet in dem Elend seiner „banalen“ mörderischen Existenz übermenschliche Größe anmasst. Von einem klassisch tragischen überhöhten Helden, auf den das aristotelische Mitleiden zuträfe, ist da nicht das Geringste zu spüren.
Apropos banal: So manche Zeitgenossen haben Hannah Arendts großes Wort von der „Banalität des Bösen“ niemals verstanden. Gewiss: Das Böse ist niemals „banal“ in dem Sinne, es sei belanglos. Aber die seelische Grundlage des Bösen kann außerordentlich „banal“ sein, wie die Unterstützung der Nazis durch manche guten, redlichen, liebenswürdigen Kleinbürger so eindringlich gezeigt hat. (Je schwächer die eigene Persönlichkeit, desto wichtiger die Identifikation mit einer „überragenden“ Führerfigur).
Ein anderes Beispiel, wie wenig Identifikation mit dem Seelenleben der Nazi-Größen durch diesen Film ermöglicht wird: Martha Goebbels, gespielt von Corinna Harfouche. Dem Kindesmord geht eine Szene voraus, in der Martha hysterisch zusammenbrechend den Führer anfleht, sich nicht umzubringen. Denn ohne die Identifikationsfigur des pathologischen Verführers hat in Marthas verblendeter Weltsicht das Leben keinen Sinn mehr, auch nicht das ihrer Kinder. Eine solche Szene lässt keine empathische Identifikation aufkommen, sondern evoziert in der Folge des Kindsmords nur Abscheu.
Dies wird nicht der Lieblingsfilm der Neonazis werden, auch wenn ein paar solcher Jammergestalten bei Hitlerschen Schimpftiraden gegen die Juden, die an allem schuld seien, in Kinos „Heil Hitler“ gebrüllt haben. Neonazis werden vor dem Hitlerismus immer stramm stehen: Da spielt es überhaupt keine Rolle, welcher Film gegeben wird.
Traurig ist, dass einige Linke mit falschen Vorzeichen auf diesen Film eindreschen: Sie unterliegen einem grandiosen Missverständnis. Denn es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder gibt es die Möglichkeit einer künstlerischen Umsetzung, dann ist dieser Film der gelungenste seiner Art. Oder es gibt sie grundsätzlich nicht. Wenn es sie nicht gibt, dann wird letztendlich auch die Chance des Erinnerns vertan. Die Abstraktion gelehrter historischer Werke jedenfalls stellt keine Alternative dar, wenn Erinnern auch künftig ermöglicht sein soll.
Fazit: Die oben gestellte Frage, ob ein solcher Film überhaupt gedreht werden sollte, beantworte ich mit einem eindeutigen „Ja“. Die Gefahr möglicher pathologischer Rezeption ist in kauf zu nehmen, weil die Gefahr des Vergessens eine sehr viel größere ist.
Noch ein Vermerk: Erinnern bedeutet nicht Buße und permanente Zuweisung von Selbstschuld. Erinnern ist eine Schuldigkeit sich selbst gegenüber, um den Verführern und Verführungen – die es auch in unserer Zeit gibt – widerstehen zu können.