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Vollständige Version anzeigen : "1776" und "1789" - genauso eine Katastrophe wie "1917" und "1933"?



Beverly
17.12.2007, 11:31
Die konventionelle Geschichtsschreibung zu den Revolutionen der Moderne sieht so aus:

Die bolschewistische Revolution von 1917 und die faschistische Revolution von 1933 werden als mehr oder weniger große Katastrophen betrachtet. Sie werden als der Beginn von Systemen angesehen, die den Tod von 'zig Millionen Menschen zu verantworten haben und die an ihren eigenen Widersprüchen zugrunde gegangen sind.
Selbst bei den Linken, deren Projekt "1917" war, und den Rechten/Konservativen, deren Projekt "1933" war, gibt es massive Kritik an diesen Projekten. Der Linke hätte gern den Sozialismus gehabt, aber keinen Tscheka-Terror und keinen Stalin. Der Konservative resp. Nationalist hätte gern das Deutsche Reich gehabt, aber nicht unbedingt einen Hitler. So gehen in beiden Lagern viele wegen ihrer gescheiterten Revolutionen mit gesenkten Häuptern. Der Konservative schimpft auf Hitler, der Linke auf Stalin - kenne ich beides persönlich und aus Büchern.

Kritik und Selbstkritik ist angesagt und das ist auch gut so.

Doch ganz anders ist es mit den bürgerlichen Revolutionen von 1776 - Amerika - und 1789. Sie werden von ihren Apologeten bis heute als Meilensteine und eindeutiger Fortschritt angepriesen. Dunkle Seiten wie die Sklaverei in den jugen USA oder die Ausrottung der Indianer und der Terror der Jakobiner oder Napoleons Kriege als Folge der Französischen Revolution werden bagatellisiert.

Kritik und Selbstkritik? Man ist doch schließlich der Sieger der Geschichte, nachdem Faschismus und Kommunismus gescheitert sind. Da hat man Kritik nicht nötig und seit 1776 ist bürgerlich-liberal-demokarisch-kapitalistische Geschichte eine einzige Erfolgsstory.

Die bei mir aber einen üblen Nachgeschmack hinterlässt. Denn der Glaube der Bürgerlichen, seit 250 Jahren alles richtig zu machen, führt IMHO eher in den nächsten Totalitarismus. Ich erlebe das bei Diskussionen so:

Mit Linken lässt sich in der Regel gut und konstruktiv über die Oktoberrevolution und den ihr folgenden Sozialismus diskutieren. Bei den meisten ist es Konsens, dass da schwere Fehler gemacht wurden. Die Diskussionen gehen dann um die Art der Fehler und welche Konsequenzen man darauf ziehen sollte.

Mit Rechten, Konservativen, Nationalisten ist das sehr gemischt. Viele von denen sehen in Hitler den Totengräber Deutschlands, manche wünschten sich ein "anderes" Drittes Reich, andere glauben, dass nur äußere Umstände das Projekt Dritte Reich zum Scheitern gebracht haben. Die Diskussionen erlebe ich zwar als sehr kontrovers, aber sie finden noch statt.

Bei den Bürgerlichen ... :rolleyes: ... derzeit habe ich das Gefühl, dass ihnen jede Kritikfähigkeit und Selbstkonstrolle abhanden gekommen ist. Dabei war das nicht immer so. So sehe ich in Poppers "kritischem Rationalismus" und seiner "offenen Gesellschaft" den Versuch einer Antwort auf Kommunismus und Faschismus aus bürgerlicher Sicht. Dieses Projekt scheint das "bürgerliche Lager" selbst fallen gelassen zu haben. Die "offene Gesellschaft" besteht für sie darin, gegen Mindestlöhne zu sein und anstelle "kritischen Rationalismus" ist Neoliberalismus angesagt.

Doch so viel Sturheit und Verblendung wirft bei mir eher die Frage auf, ob die bürgerlichen Revolutionen von 1776 und 1789 nicht ebenso der Beginn von bestenfalls widersprüchlichen, schlimmstenfalls katastrophalen Entwicklungen waren wie die roten und braunen Revolutionen :rolleyes:

Efna
17.12.2007, 13:47
Die konventionelle Geschichtsschreibung zu den Revolutionen der Moderne sieht so aus:

Die bolschewistische Revolution von 1917 und die faschistische Revolution von 1933 werden als mehr oder weniger große Katastrophen betrachtet. Sie werden als der Beginn von Systemen angesehen, die den Tod von 'zig Millionen Menschen zu verantworten haben und die an ihren eigenen Widersprüchen zugrunde gegangen sind.
Selbst bei den Linken, deren Projekt "1917" war, und den Rechten/Konservativen, deren Projekt "1933" war, gibt es massive Kritik an diesen Projekten. Der Linke hätte gern den Sozialismus gehabt, aber keinen Tscheka-Terror und keinen Stalin. Der Konservative resp. Nationalist hätte gern das Deutsche Reich gehabt, aber nicht unbedingt einen Hitler. So gehen in beiden Lagern viele wegen ihrer gescheiterten Revolutionen mit gesenkten Häuptern. Der Konservative schimpft auf Hitler, der Linke auf Stalin - kenne ich beides persönlich und aus Büchern.

Kritik und Selbstkritik ist angesagt und das ist auch gut so.

Doch ganz anders ist es mit den bürgerlichen Revolutionen von 1776 - Amerika - und 1789. Sie werden von ihren Apologeten bis heute als Meilensteine und eindeutiger Fortschritt angepriesen. Dunkle Seiten wie die Sklaverei in den jugen USA oder die Ausrottung der Indianer und der Terror der Jakobiner oder Napoleons Kriege als Folge der Französischen Revolution werden bagatellisiert.

Kritik und Selbstkritik? Man ist doch schließlich der Sieger der Geschichte, nachdem Faschismus und Kommunismus gescheitert sind. Da hat man Kritik nicht nötig und seit 1776 ist bürgerlich-liberal-demokarisch-kapitalistische Geschichte eine einzige Erfolgsstory.

Die bei mir aber einen üblen Nachgeschmack hinterlässt. Denn der Glaube der Bürgerlichen, seit 250 Jahren alles richtig zu machen, führt IMHO eher in den nächsten Totalitarismus. Ich erlebe das bei Diskussionen so:

Mit Linken lässt sich in der Regel gut und konstruktiv über die Oktoberrevolution und den ihr folgenden Sozialismus diskutieren. Bei den meisten ist es Konsens, dass da schwere Fehler gemacht wurden. Die Diskussionen gehen dann um die Art der Fehler und welche Konsequenzen man darauf ziehen sollte.

Mit Rechten, Konservativen, Nationalisten ist das sehr gemischt. Viele von denen sehen in Hitler den Totengräber Deutschlands, manche wünschten sich ein "anderes" Drittes Reich, andere glauben, dass nur äußere Umstände das Projekt Dritte Reich zum Scheitern gebracht haben. Die Diskussionen erlebe ich zwar als sehr kontrovers, aber sie finden noch statt.

Bei den Bürgerlichen ... :rolleyes: ... derzeit habe ich das Gefühl, dass ihnen jede Kritikfähigkeit und Selbstkonstrolle abhanden gekommen ist. Dabei war das nicht immer so. So sehe ich in Poppers "kritischem Rationalismus" und seiner "offenen Gesellschaft" den Versuch einer Antwort auf Kommunismus und Faschismus aus bürgerlicher Sicht. Dieses Projekt scheint das "bürgerliche Lager" selbst fallen gelassen zu haben. Die "offene Gesellschaft" besteht für sie darin, gegen Mindestlöhne zu sein und anstelle "kritischen Rationalismus" ist Neoliberalismus angesagt.

Doch so viel Sturheit und Verblendung wirft bei mir eher die Frage auf, ob die bürgerlichen Revolutionen von 1776 und 1789 nicht ebenso der Beginn von bestenfalls widersprüchlichen, schlimmstenfalls katastrophalen Entwicklungen waren wie die roten und braunen Revolutionen :rolleyes:

Selbst aus Marxistischer Sicht ist die Revolution von 1789 etwas Posetives und notwendig den sie war die Überwintung des Absolutismus und des Feudalismus und trug zum Sturz des Ancienregime bei. Man kann den Kapitalismus schlecht finden, tatsache ist das er ein ungemeiner Fortschritt gegenüber Feudalismus und Absolutismus ist und letztendlich auch notwendig ist.

Beverly
17.12.2007, 15:51
Selbst aus Marxistischer Sicht ist die Revolution von 1789 etwas Posetives und notwendig den sie war die Überwintung des Absolutismus und des Feudalismus und trug zum Sturz des Ancienregime bei. Man kann den Kapitalismus schlecht finden, tatsache ist das er ein ungemeiner Fortschritt gegenüber Feudalismus und Absolutismus ist und letztendlich auch notwendig ist.

Ich denke auch, dass die Zustände von vor 1789 nicht nur in Frankreich, sondern in ganz Europa unhaltbar waren. Überall hat sich im Zeichen des Absolutismus ein extrem zentralistisches System mit extremen sozialen Gegensätzen - hie Hofadel - da Leibeigene - und nicht zu unterschätzender Repression breit gemacht. Schon seit dem 15. Jahrhundert frönten die europäischen Staaten weltweit dem Imperialismus mit der Eroberung, Ausbeutung und Ausrottung fremder Völker.

So haben wir in Bezug auf "1789" die gleiche Situation wie in Bezug auf "1917": die alte Ordnung war repressiv, hatte versagt und fiel bei der ersten besten Krise in sich zusammen (so werden der strenge Winter 1788 und ihm folgende Missernten als Wegbereiter der französischen Revolution gehandelt).

Heißt "die alte Ordnung musste weg" aber automatisch "die neue Ordnung war besser"?

Und selbst wenn die Ordnung nach 1789 besser als vor 1789 war, so kann sie sich heute ebenso überlebt haben wie der Absolutismus. Es ist doch so:

1. Der Absolutismus war die Antwort auf die Kriege und Bürgerkriege, die Frankreich über Jahrhunderte zerrissen haben. Es fing an mit dem Hundertjährigen Krieg und hörte nach dessem Ende noch nicht auf. So sagten die "Absolutisten": ein starker Zentralstaat unter einem absoluten Monarchen muss her, damit die Kriege in Frankreich aufhören!
Die Geschichte gab ihnen zunächst Recht - Frankreich erstarkte unter Ludwig XIV., während Deutschland ohne zentrale Staatsgewalt im 30jährigen Krieg auseinander flog.

2. Doch der Absolutismus schuf so große Ungleichheiten und bürdete dem Volk so große Lasten auf, dass es zur Revolution von 1789 kam. Da hieß es: die Privilegien von Adel und Klerus abschaffen und eine auf juristischer Gleichheit basierende Bürgergesellschaft aufbauen!

3. Die haben wir nun seit über 200 Jahren und ich habe den Verdacht, dass sie sich - zumindest in ihrer jetzigen Form - längst ebenso überlegt hat wie einst die Herrschaft der Bourbonen. Tut mir Leid, aber "Köpfe" die mitten im 21. Jahrhundert in einer der reichsten Gesellschaften der Welt nicht einmal Postboten einen Lohn gönnen, von dem sie leben, scheint es geradezu nach der Guillotine zu verlangen. Und wer heute so einfachen Menschen unnötiges Leid aufbürdet, hat es vielleicht schon immer getan :rolleyes:

Aber währen die Beseitigung des absolutistischen Systems zwar blutig - eben wegen der Guillotine - aber noch vergleichsweise schnell über die Bühne ging, scheint uns das bürgerlich-kapitalistische Nachfolgesystem in einen langen, qualvollen und potenziell apokalyptischen Todeskampf ziehen zu wollen.
Das die Bürgerlichen nicht enden wollen wie die Bourbonen - nämlich ohne Kopf - kann ich gut verstehen. Aber sie wehren sich mit Händen und Füßen gegen eine Selbsreform und machen alle Ansätze dazu - kritischer Rationalismus, Soziale Marktwirtschaft - wieder rückgängig.

Efna
17.12.2007, 17:27
Ich denke auch, dass die Zustände von vor 1789 nicht nur in Frankreich, sondern in ganz Europa unhaltbar waren. Überall hat sich im Zeichen des Absolutismus ein extrem zentralistisches System mit extremen sozialen Gegensätzen - hie Hofadel - da Leibeigene - und nicht zu unterschätzender Repression breit gemacht. Schon seit dem 15. Jahrhundert frönten die europäischen Staaten weltweit dem Imperialismus mit der Eroberung, Ausbeutung und Ausrottung fremder Völker.

So haben wir in Bezug auf "1789" die gleiche Situation wie in Bezug auf "1917": die alte Ordnung war repressiv, hatte versagt und fiel bei der ersten besten Krise in sich zusammen (so werden der strenge Winter 1788 und ihm folgende Missernten als Wegbereiter der französischen Revolution gehandelt).

Heißt "die alte Ordnung musste weg" aber automatisch "die neue Ordnung war besser"?

Und selbst wenn die Ordnung nach 1789 besser als vor 1789 war, so kann sie sich heute ebenso überlebt haben wie der Absolutismus. Es ist doch so:

1. Der Absolutismus war die Antwort auf die Kriege und Bürgerkriege, die Frankreich über Jahrhunderte zerrissen haben. Es fing an mit dem Hundertjährigen Krieg und hörte nach dessem Ende noch nicht auf. So sagten die "Absolutisten": ein starker Zentralstaat unter einem absoluten Monarchen muss her, damit die Kriege in Frankreich aufhören!
Die Geschichte gab ihnen zunächst Recht - Frankreich erstarkte unter Ludwig XIV., während Deutschland ohne zentrale Staatsgewalt im 30jährigen Krieg auseinander flog.

2. Doch der Absolutismus schuf so große Ungleichheiten und bürdete dem Volk so große Lasten auf, dass es zur Revolution von 1789 kam. Da hieß es: die Privilegien von Adel und Klerus abschaffen und eine auf juristischer Gleichheit basierende Bürgergesellschaft aufbauen!

3. Die haben wir nun seit über 200 Jahren und ich habe den Verdacht, dass sie sich - zumindest in ihrer jetzigen Form - längst ebenso überlegt hat wie einst die Herrschaft der Bourbonen. Tut mir Leid, aber "Köpfe" die mitten im 21. Jahrhundert in einer der reichsten Gesellschaften der Welt nicht einmal Postboten einen Lohn gönnen, von dem sie leben, scheint es geradezu nach der Guillotine zu verlangen. Und wer heute so einfachen Menschen unnötiges Leid aufbürdet, hat es vielleicht schon immer getan :rolleyes:

Aber währen die Beseitigung des absolutistischen Systems zwar blutig - eben wegen der Guillotine - aber noch vergleichsweise schnell über die Bühne ging, scheint uns das bürgerlich-kapitalistische Nachfolgesystem in einen langen, qualvollen und potenziell apokalyptischen Todeskampf ziehen zu wollen.
Das die Bürgerlichen nicht enden wollen wie die Bourbonen - nämlich ohne Kopf - kann ich gut verstehen. Aber sie wehren sich mit Händen und Füßen gegen eine Selbsreform und machen alle Ansätze dazu - kritischer Rationalismus, Soziale Marktwirtschaft - wieder rückgängig.

Naja man sollte die franz. Revolution im Rahmen ihrer Zeit sehen und in dem Sinne das es eben die Ablösung des Geburtsprinzip durch das Prinzip der Marktwirtschaft doch ein erheblicher Fortschritt war. Wobei ich anmerken muss das die franz. Revolution nicht unbedingt als eine Kapitalistische Revolution(im gegensatz zur Amerikanischen Revolution die man als dies bezeichnen könnte) war sondern machte den weg frei für neue Ideen, Von der Sozialistischen, Kapitalistischen, faschistischen etc. Die Revolution von 1917 war etwas anderes, sie entartete letztendlich, der Kern der Revolution war sicherlich gut aber letztendlich war ihr resultat schlecht. Anstelle der Totalitären Zarenherrschaft trat eine totalitäre Bolschiwistenherrschaft vor allem ab Stalin. Aber die Jahre von 1917 bis 1922 war sehr bedeutsam zum mnindestens Sympolisch, die einzigsten Monarchien die sich in der 2000 Jährigen römischen TRadition orientierten in nur wenigen Jahren untergegangen sind. Einmal das Deutsche Kaisereich(das sicxh nach wievor als Nachfolger der römisch-deutschen Kaiser sahen), der Zar von Russland(der sich ab 1453 als Nachfolger der oströmischen Kaiser sah), das Osmanischen Reich(die sioch ebenfalls als nachfolger der Öströmischen Kaiser sahen und deren Sympolik weiterführten) und der letzte islamische Kalif starb ohne ein Nachfolger.

SteveFrontera
17.12.2007, 18:35
Der grausame, blutige Verlauf der französischen Revolution dürfte den meisten bekannt sein.
Die Bedeutung der franz. Revolution wird meiner Meinung nach von den Geschichtswissenschaftlern überschätzt.
Ich wage zu sagen, es wäre ohne die Revolution ähnlich gekommen. Zwanzig Jahre später hatten die Franzosen mit Napoleon wieder einen mächtigen Herrscher. Dieser hat mehr Unheil angerichtet als alle Könige vor ihm.

Das Bürgertum hätte dem Adel auch ohne Revolution das Wasser abgegraben.

EinDachs
17.12.2007, 20:03
Die konventionelle Geschichtsschreibung zu den Revolutionen der Moderne sieht so aus:

Die bolschewistische Revolution von 1917 und die faschistische Revolution von 1933 werden als mehr oder weniger große Katastrophen betrachtet. Sie werden als der Beginn von Systemen angesehen, die den Tod von 'zig Millionen Menschen zu verantworten haben und die an ihren eigenen Widersprüchen zugrunde gegangen sind.
Selbst bei den Linken, deren Projekt "1917" war, und den Rechten/Konservativen, deren Projekt "1933" war, gibt es massive Kritik an diesen Projekten. Der Linke hätte gern den Sozialismus gehabt, aber keinen Tscheka-Terror und keinen Stalin. Der Konservative resp. Nationalist hätte gern das Deutsche Reich gehabt, aber nicht unbedingt einen Hitler. So gehen in beiden Lagern viele wegen ihrer gescheiterten Revolutionen mit gesenkten Häuptern. Der Konservative schimpft auf Hitler, der Linke auf Stalin - kenne ich beides persönlich und aus Büchern.

Kritik und Selbstkritik ist angesagt und das ist auch gut so.

Doch ganz anders ist es mit den bürgerlichen Revolutionen von 1776 - Amerika - und 1789. Sie werden von ihren Apologeten bis heute als Meilensteine und eindeutiger Fortschritt angepriesen. Dunkle Seiten wie die Sklaverei in den jugen USA oder die Ausrottung der Indianer und der Terror der Jakobiner oder Napoleons Kriege als Folge der Französischen Revolution werden bagatellisiert.

Das hat im Falle Amerikas wohl damit zu tun, dass weder die Ausrottung der Indianer noch die Sklavenhaltung mit dem neuen Regime zu tun hatten. Diese Umstände gab es auch unter den Briten.

Bei der französischen Revolution ist das kniffliger. Unbestreitbar ist der Jakobinerterror ohne Revolution undenkbar. Das ändert nichts daran, dass sehr viele Entwicklungen die für uns heute selbstverständlich scheinen, damals vorweg genommen wurden. Deshalb sieht man in 1789 einen Meilenstein.


Kritik und Selbstkritik? Man ist doch schließlich der Sieger der Geschichte, nachdem Faschismus und Kommunismus gescheitert sind. Da hat man Kritik nicht nötig und seit 1776 ist bürgerlich-liberal-demokarisch-kapitalistische Geschichte eine einzige Erfolgsstory.

Da gibts schon einige dunkle Flecken, das wird kaum einer bestreiten.
Aber insgesamt hat sich das bürgerlich-liberal-demokratische Modell besser geschlagen als alle anderen.


Die bei mir aber einen üblen Nachgeschmack hinterlässt. Denn der Glaube der Bürgerlichen, seit 250 Jahren alles richtig zu machen, führt IMHO eher in den nächsten Totalitarismus. Ich erlebe das bei Diskussionen so:

Naja, alles richtig macht nur Gott und der ist auch schon tot.

Mit Linken lässt sich in der Regel gut und konstruktiv über die Oktoberrevolution und den ihr folgenden Sozialismus diskutieren. Bei den meisten ist es Konsens, dass da schwere Fehler gemacht wurden. Die Diskussionen gehen dann um die Art der Fehler und welche Konsequenzen man darauf ziehen sollte.

Mit Rechten, Konservativen, Nationalisten ist das sehr gemischt. Viele von denen sehen in Hitler den Totengräber Deutschlands, manche wünschten sich ein "anderes" Drittes Reich, andere glauben, dass nur äußere Umstände das Projekt Dritte Reich zum Scheitern gebracht haben. Die Diskussionen erlebe ich zwar als sehr kontrovers, aber sie finden noch statt.

Bei den Bürgerlichen ... :rolleyes: ... derzeit habe ich das Gefühl, dass ihnen jede Kritikfähigkeit und Selbstkonstrolle abhanden gekommen ist. Dabei war das nicht immer so. So sehe ich in Poppers "kritischem Rationalismus" und seiner "offenen Gesellschaft" den Versuch einer Antwort auf Kommunismus und Faschismus aus bürgerlicher Sicht. Dieses Projekt scheint das "bürgerliche Lager" selbst fallen gelassen zu haben. Die "offene Gesellschaft" besteht für sie darin, gegen Mindestlöhne zu sein und anstelle "kritischen Rationalismus" ist Neoliberalismus angesagt.

Doch so viel Sturheit und Verblendung wirft bei mir eher die Frage auf, ob die bürgerlichen Revolutionen von 1776 und 1789 nicht ebenso der Beginn von bestenfalls widersprüchlichen, schlimmstenfalls katastrophalen Entwicklungen waren wie die roten und braunen Revolutionen :rolleyes:[/QUOTE]

Wie gesagt nein.
Die Idee die alten Monarchen, Fürsten und Standesdünkel auf den Misthaufen der Geschichte zu kippen, kann man ja wohl nur als Fortschritt ansehen. Darüber werden wir uns wohl einigen können.
Die Französische wie auch die amerikanische Revolution haben darüber hinaus auch noch die allseits sehr beliebten Grundrechte (Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, etc.) sowie das recht erfolgreiche Konzept der gewählten und absetzbaren Regierung gebracht, sowie andere revolutionäre Ideen die heute altes Eisen sind (Gewaltenteilung).
Es ist ein wenig der Fluch einer gelungenen revolution, dass man nachher nicht erkennt, wieso sie notwendig war.

Beverly
17.12.2007, 22:11
(...)Es ist ein wenig der Fluch einer gelungenen revolution, dass man nachher nicht erkennt, wieso sie notwendig war.

Daran mag etwas dran sein, wenn auch nur aus dem Grund, dass in Europa und der Neuen Welt schon vor 1776 und 1789 Systeme mit einem großen destruktiven und repressiven Potenzial entstanden waren, die sich ohne die Revolutionen in einer noch schlimmere Richtung entwickelt hätten.

Oder Europa wäre ohne die technologische und industrielle Revolution früher oder später zum Opfer derjenigen asiatischen (vielleicht auch afrikanischen) Großmacht geworden, welche den Osmanen gefolgt wäre.

Aber der Fluch der Revolution besteht darin, dass selbst diejenigen, die sie für notwendig halten, hinterher wünschen, sie wäre anders verlaufen. Nachfolgende Generationen wünschen das oft, während sie mit dem Hintern im Warmen sitzen. Zeitzeugen wünschen es oft, weil sie selbst als überzeugte Revolutionäre der Revolution zum Opfer fallen. Welche Revolution frisst eigentlich nicht ihre Kinder? Welche Revolution dient eigentlich nicht als Sprungbrett für machtgeile Großverbrecher?

Was Fehler und anderen Verlauf betrifft, so kann ich das im Fall der Oktoberrevolution so skizzieren:

Bei aller Notwendigkeit zur Zentralisierung der Macht hätten von Anfang an Strukturen da sein müssen, die so eine unkontrollierte Machtkonzentration, wie sie dann Stalin ausnutzte, verhindert hätten. In dem Bestreben, die Macht zu erlangen und zu sichern, machten die Bolschewiki einschließlich rivalisierender linker Gruppen alles nieder was sich ihnen in den Weg stellte - nur um in den eigenen Reihen so ihren schlimmsten Feind - nämlich Stalin - den Boden zu bereiten. Das Einparteiensystem war IMHO dabei auch ein Griff ins Klo :rolleyes:

Makabererweise machten die Nationalsozialisten trotz andersartiger Ideologie die gleichen Fehler wie die Bolschewiki: Zentralisierung der Macht und Ausschaltung aller Kontrollen. Nur gingen sie dabei noch extremer vor als die Bolschewiki und die Umwandlung einer Weltanschauungspartei zum Machtinstrument eines Großverbrechers war im Falle der NSDAP schon vor der "Machtergreifung" abgeschlossen, alldiweil Stalin dafür in den 30er Jahren noch zahlreiche Säuberungen benötigte :rolleyes:

Naja, irgendwie legt der Aufstieg Napoleons zum Kaiser nahe, dass auch nach der Französischen Revolution die gleichen Fehler begangen wurden: ein zentralisiertes und unkontrolliertes System zu schaffen, dass wie geschaffen für eine Monokratie ist. Wobei ich Napoleon zwar nicht mit Hitler vergleichen möchte, aber es bei den Ambitionen Parallelen gab: Europa beherrschen und bei beiden gab es Adlerstandarten und ein "Tausendjähriges Reich", wo tausend Jahre recht schnell vergingen. Absurderweise war auch bei beiden ein Russlandfeldzug der Anfang vom Ende :rolleyes:

Die USA haben Machtzentralisierung und Ausschaltung aller Kontrollen vermieden. Gestalten wie Bush zeigen, warum es gut ist, die Amtszeiten von Präsidenten zu beschränken. 2008 werden da viele XXX - drei Kreuze - machen :rolleyes:
Aber andererseits habe ich bei denen den Eindruck, dass es eine üble Oligarchie ist und viele Formen der Machtausübung eher zu einer Diktatur passen. Ihre "Checks and Balances" sollen in erster Linie verhindern, dass in der Oberschicht jemand so Amok läuft, wie das Hitler getan hat oder der Regierungschef die Eliten so ausrottet, wie es Stalin machte. Schutz für einfache Menschen scheint nur nachrangig zu sein.

Beverly
18.12.2007, 12:52
Es gibt drei Möglichkeiten mit den bürgerlichen Revolutionen von 1776 und 1789 umzugehen:

1. Sie abzulehnen, die konservative Position.

Sie manifestierte sich nach 1815 in der so genannten "Heiligen Allianz" oder bei meinem Lieblingsreaktionär Donoso Cortes, der im 19. Jahrhundert lebte, aber am liebsten ein von der Kirche dominiertes System wie im Mittelalter hätte.

Der konservativen Position rinnt im Wortsinne die Zeit unter den Fingern weg - jetzt haben wir die bürgerlich-liberale Epoche schon über zwei Jahrhunderte und eine Rückkehr zu der Zeit davor ist schlichtweg unmöglich. Strafverschärfend kommt hinzu, dass spätestens die absolutistische Zeit ab dem 17. Jahrhundert sozusagen ein Prolog des bürgerlichen Zeitalters war und das mit Protagonisten, die eher noch schlimmer und despotischer waren als die Bürgerlichen, nur technisch nicht so weit.

2. Die bürgerliche Revolution als das Ende der Geschichte anzusehen

Diese Sichtweise hatten die Bürgerlichen selbst wohl schon im 19. Jahrhundert entwickelt. Doch sie selbst schufen damals mit der Industrialisierung eine Klasse, die das ganz anders sah auch weil für sie im bürgerlichem System kein Platz war (außer zu arbeiten): das Proletariat.
Selbst wenn die Bürgerlichen das Proletariat niederhalten, spalten, funktionslos machen konnten und können, haben sie sich mit einem Wirtschaftssystem eingelassen, dessen periodische Krisen den Traum von der beschaulichen Bürgergesellschaft zunichte machen: dem Kapitalismus.
Als ob soziale und wirtschaftliche Widersprüche noch nicht reichen, kultiviert das Bürgertum in seinen eigenen Reihen Verhaltensmuster, die bestens zur Selbstzerstörung geeignet scheinen. Der Traum vom sozial und politisch zugleich führenden und verantwortlichem Citoyen, Bildungsbürger und patriarchalischem Unternehmer scheint ausgeträumt zu sein. Von Ackermann bis Westerwelle gibt das Bürgertum groß und klein ein Erscheinungsbild erbärmlicher Spekulanten und Intriganten ab. Was es an roten und braunen Extremisten abgeneigten "Bildungsbürgern" noch geben mag, wendet sich von diesen Scharfmachern in den eigenen Reihen ebenfalls ab. Lustig, wenn da einer auf plumpe Weise gegen Lafontaine hetzt und von der eigenen Position des bürgerlichen Lagers fabuliert und Teile des bürgerlichen Lagers ihm antworten, dass sie mit seinen Aussagen auch nicht einverstanden sind.

3. Die bürgerliche Revolution leitete nur ein Zwischenspiel ein und es kommt noch etwas danach

Das "danach" haben sogar Teile des Bürgertums versucht. Eben die Soziale Marktwirtschaft oder den kritischen Rationalismus. Im Umfeld der Science Fiction auch technokratische Zukunftsvisionen, die zwar die Widersprüche nicht lösen, aber zu ihrer Lösung Zeit erkaufen und Lösungswege aufzeigen, die keine Apokalypsen beinhalten, sondern "evolutionär" sind.
Doch das akute bürgerliche Lager scheint sich dieser friedlichen Selbstaufhebung zu verweigern. Muss es wieder krachen? So wie hier:

1. Bolschewismus - die bürgerliche Gesellschaft wird liquidiert und auf ihren Trümmern die nachbürgerliche Ordnung errichtet
2. Faschismus - die bürgerliche Gesellschaft wird in einen starken, totalitären Staat eingegliedert. Das Privateigentum an Produktionsmitteln bleibt erhalten, doch dafür müssen die Bürgerlichen einem Führer huldigen :rolleyes:

Nach den roten und braunen Kataklysmen des 20. Jahrhunderts wie Phönix aus der Asche zu steigen, hilft der bürgerlichen Gesellschaft auch nichts. Lernt sie nicht aus ihren Fehlern, lässt der nächste gewaltsame Versuch zur Überwindung der bürgerlichen Gesellschaft nicht lange auf sich warten. Dann stellt sich nur die Frage, ob die Feinde der bürgerlichen Gesellschaft aus ihren Fehlern gelernt haben.

mabac
27.01.2008, 19:41
Doch so viel Sturheit und Verblendung wirft bei mir eher die Frage auf, ob die bürgerlichen Revolutionen von 1776 und 1789 nicht ebenso der Beginn von bestenfalls widersprüchlichen, schlimmstenfalls katastrophalen Entwicklungen waren wie die roten und braunen Revolutionen :rolleyes:

Zweifellos waren beide "Revolutionen" des 18. Jahrhunderts der Beginn einer katastrophalen Entwicklung, abgesehen davon, dass ohne der militärischen und finanziellen Unterstützung der amerikanischen Revolution durch die französische Monarchie diese wahrscheinlich gar nicht erfolgreich gewesen wäre.
Andererseits trug diese finanzielle Unterstützung wesentlich zur der desolaten Situation in der französischen Staatskasse bei.
Somit hat sich die Monarchie, zumindest zu einem Teil, das Grab selbst geschaufelt. :D

Zu den frühen "bürgerlichen" Kritikern der französischen Revolution gehörte Edmund Burke in "Reflections on the Revolution in France“.
Er verglich die französischen Revolutionäre mit einer Horde fanatischer Muslime zu Mohammeds Zeiten.

Reichsadler
27.01.2008, 23:12
Der Konservative kennte keine Revolution. Die Machtergreifung '33 sollte eine neue Ära einleiten, eine revolutionäre Ära, keinen verkorksten, konservativen Staatsapperat a'la Kaiserreich wiederbeleben.

mabac
28.01.2008, 14:55
Der Konservative kennte keine Revolution. Die Machtergreifung '33 sollte eine neue Ära einleiten, eine revolutionäre Ära, keinen verkorksten, konservativen Staatsapperat a'la Kaiserreich wiederbeleben.

Sicher will der Konservative keine Revolution.
Nun, die Machtergreifung nach 1933 wäre auch dann ein Desaster geworden, wenn sich die "Sozialisten" und "Revolutionäre" innerhalb des NS hätten durchsetzen können.
Nach Burke waren sie ebenso eine "Vereinigung bewaffneter Fanatiker" wie der frühe Isalm Mohammeds, die Jakobiner, die Bolschwisten und die Hitler - Nazis.

Gewiss war die Weimarer Ochlokratie "reif", aber nicht für eine Revolution.

Reichsadler
28.01.2008, 21:41
Sicher will der Konservative keine Revolution.
Nun, die Machtergreifung nach 1933 wäre auch dann ein Desaster geworden, wenn sich die "Sozialisten" und "Revolutionäre" innerhalb des NS hätten durchsetzen können.
Nach Burke waren sie ebenso eine "Vereinigung bewaffneter Fanatiker" wie der frühe Isalm Mohammeds, die Jakobiner, die Bolschwisten und die Hitler - Nazis.

Gewiss war die Weimarer Ochlokratie "reif", aber nicht für eine Revolution.

Ziemlich engstirnige Ansicht. Wo ziehst du die Grenze zwischen Fanatisch und Gemäßigt? 1776 stellt für viele US-Amerikaner sicherlich kein Desaster dar, auch wenn Washington fanatisch war in dem Bestreben, die Kolonien unabhängig vom Empire zu machen.
Desweiteren wird das immer subjektiv bleiben, was für die einen ein Desaster darstellt, stellt für die anderen das höchste Glück dar. Ich persönlich würde es geradezu fantastisch finden, hätten die Sozialisten unter Strasser den nationalsozialistischen Machtkampf und die Reichstagswahl gewonnen.

Rheinlaender
28.01.2008, 23:55
Der grausame, blutige Verlauf der französischen Revolution dürfte den meisten bekannt sein.
Die Bedeutung der franz. Revolution wird meiner Meinung nach von den Geschichtswissenschaftlern überschätzt.

Ja? Wie war der Zugang zu Aemtern fuer Buergerliche in den meisten europaeischen Staaten vor 1789 und nach 1815? Wie war die Vereteilung von Grund und Boden vor 1789 in Frankreich und anchher?

Selbst im UK war die Wirkung der Franz. Revolution nicht zu uebersehen. Die revolutinaere Ordnung von 1684 war ploetzlich nicht mehr revolutionaer und es brodelte im Land, was zu Reformen fuehrte, die schliesslich in der Parlamentsreform von 1832 gipfelten.

Schau Dir mal eine Karte Deutshclands 1789 an. Selbst ein kl. Bundesland wie das Saarland war in dreizig Herrshcaftsgebiete aufgeteilt.

Die Franz. Revolution startete in Europa ein Project, das heute noch nicht abegschlossen und erst langsam weltweit wirksam wird.


Ich wage zu sagen, es wäre ohne die Revolution ähnlich gekommen. Zwanzig Jahre später hatten die Franzosen mit Napoleon wieder einen mächtigen Herrscher.

Einen Herrscher, der den Code Napoleon hinterlassen hat, der bis heute in weiten Teilen Europas die Grundlage des Zivilrechts ist.


Das Bürgertum hätte dem Adel auch ohne Revolution das Wasser abgegraben.

Und wie?

Rheinlaender
29.01.2008, 00:03
Doch ganz anders ist es mit den bürgerlichen Revolutionen von 1776 - Amerika - und 1789. Sie werden von ihren Apologeten bis heute als Meilensteine und eindeutiger Fortschritt angepriesen. Dunkle Seiten wie die Sklaverei in den jugen USA oder die Ausrottung der Indianer und der Terror der Jakobiner oder Napoleons Kriege als Folge der Französischen Revolution werden bagatellisiert.

Kritik und Selbstkritik? Man ist doch schließlich der Sieger der Geschichte, nachdem Faschismus und Kommunismus gescheitert sind. Da hat man Kritik nicht nötig und seit 1776 ist bürgerlich-liberal-demokarisch-kapitalistische Geschichte eine einzige Erfolgsstory.

Du vergisst die erste buergerliche Revolution, die Umstuerze in England zwischen 1647 und 1684, die schliesslich zum britischen Verfassungkompromiss fuehrten, einem Monarchen in allen Prunk und Frilefanz und einem Parlament, das die Faeden in der Hand haelt und den Monarchen wie ein Marionette bedient.

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Aber zur Sache: Ist dieses Sorte regime nicht ungemein erfolgreich? Ermoeglichte sie nicht Staaten mit grosser Stabilitaet, dynamischen Wirtschaften? Garantiert sie nicht jedem einzeln Buerger ein Mass an Freiheit, wie es zuvor kaum gekannt wude?

Die Kriege, die Louis XIV fuehrte dienten seinem persoenlichen Ruhm und seiner persoenlichen Herrschaft, Napoleon verbreitete mit seinen Kriegen eine moderne staatliche Ordnung. Im schlepptau seiner Soldaten waren der Code Napoleon, die zivile Ehe, die Zivilgemeinde, der Meter, die Gleichheit aller vor dem Gesetz. Im Schlepptau Louis XIV war nur sein Wappen, dass das habsburgische oder das kurpfaelzer ersetzen sollte.

Rheinlaender
29.01.2008, 00:09
Es gibt drei Möglichkeiten mit den bürgerlichen Revolutionen von 1776 und 1789 umzugehen:

1. Sie abzulehnen, die konservative Position.

Sie manifestierte sich nach 1815 in der so genannten "Heiligen Allianz" oder bei meinem Lieblingsreaktionär Donoso Cortes, der im 19. Jahrhundert lebte, aber am liebsten ein von der Kirche dominiertes System wie im Mittelalter hätte.

Der konservativen Position rinnt im Wortsinne die Zeit unter den Fingern weg - jetzt haben wir die bürgerlich-liberale Epoche schon über zwei Jahrhunderte und eine Rückkehr zu der Zeit davor ist schlichtweg unmöglich. Strafverschärfend kommt hinzu, dass spätestens die absolutistische Zeit ab dem 17. Jahrhundert sozusagen ein Prolog des bürgerlichen Zeitalters war und das mit Protagonisten, die eher noch schlimmer und despotischer waren als die Bürgerlichen, nur technisch nicht so weit.

2. Die bürgerliche Revolution als das Ende der Geschichte anzusehen...

Sie ist nicht das Ende der Gechichte - ich weiss nicht, welche Gesellschaftsordnung in 100 Jahren die Welt dominieren wird. Ich bin aber sicher, dass die buergerliche Gesellschaft erst am Anfang ihrer Entwicklung steht.

Sie hat noch nicht alle ihre Moeglichkeiten ausgespielt. Sie befindet sich in Asien (China, Indien) gerade im Beginn, in Afrika sehen wir erst erste Ansaetze. Auch der Absolutismus brauchte von seinen Anfaengen im England und Spanien im fruehen 16. Jahrdt. mit der Zentralisierung der Macht bis zu seiner Bluethe im 18. Jahrhundert fast 300 Jahre.

mabac
29.01.2008, 14:24
Ziemlich engstirnige Ansicht. Wo ziehst du die Grenze zwischen Fanatisch und Gemäßigt? 1776 stellt für viele US-Amerikaner sicherlich kein Desaster dar, auch wenn Washington fanatisch war in dem Bestreben, die Kolonien unabhängig vom Empire zu machen.
Die Unabhängigkeit als "Revolution" darzustellen, ist sowieso schwierig. Burke meinte in dem Zusammenhang, dass die Unabhänigkeit der amerikanischen Kolonien legitim war.
"Vereinigung bewaffneter Fanatiker" bezog sich ausschlieslich auf die französische Revolution, und zu der wäre es ohne der Einflussnahme Frankreichs in den amerikanischen Unabhängigkeitskrieg vermutlich gar nicht gekommen.


Desweiteren wird das immer subjektiv bleiben, was für die einen ein Desaster darstellt, stellt für die anderen das höchste Glück dar. Ich persönlich würde es geradezu fantastisch finden, hätten die Sozialisten unter Strasser den nationalsozialistischen Machtkampf und die Reichstagswahl gewonnen.
Ob nun unter Hitler oder Strasser, eine Machtergreifung der NSDAP wäre auf jeden Fall auf die Herrschaft einer Partei hinausgelaufen.
Sie können natürlich darüber spekulieren, ob sich eine von Strasser geführte NSDAP in eine Querfront im Sinne Schleichers Plänen hätte einbinden lassen.
Ich bezweifele jedoch, ob eine sozialistische NSDAP die Massenbasis gefunden hätte, um ein tatsächlicher Machtfaktor zu sein.

Zu den gemäßigten Rechten zähle ich die Mehrheit der "konservativen Revolution".
Spengler drückte sich nach 1933 folgendermassen aus, sinngemäss:

'Wir wollten die Parteien loswerden, die Schlimmste ist geblieben.'

Beverly
30.01.2008, 21:23
Sicher will der Konservative keine Revolution.
Nun, die Machtergreifung nach 1933 wäre auch dann ein Desaster geworden, wenn sich die "Sozialisten" und "Revolutionäre" innerhalb des NS hätten durchsetzen können.
Nach Burke waren sie ebenso eine "Vereinigung bewaffneter Fanatiker" wie der frühe Isalm Mohammeds, die Jakobiner, die Bolschwisten und die Hitler - Nazis.

Gewiss war die Weimarer Ochlokratie "reif", aber nicht für eine Revolution.

Da muss ich widersprechen: der ganz spezielle "Charme" des Nazi-Systems kam daraus, dass Hitler innen- und außenpolitisch letztendlich das Bündnis mit den Bürgerlichen suchte und sich "brutalstmöglich" gegen alles "Linke" wandte. Da sponsorte man einen Irren und Amokläufer, stimmte als Bürgerlicher für das Ermächtigungsgesetz und duldete als westlicher Staat ein Bubenstück nach dem anderem. Nach '45 heulte man über seine Morde so viele Krokodilstränen, dass es für ein Meer reichen würde, doch vor '45 waren einem Juden oder gar Russen im Grunde sch...egal.

Da hätte auch im schlimmsten Fall ein Herr Strasser nicht mithalten können. Anstelle von Hitler, Ulbricht und Adenauer wäre er gekommen und irgendwann wieder gegangen.

Beverly
30.01.2008, 21:26
Spengler drückte sich nach 1933 folgendermassen aus, sinngemäss:

'Wir wollten die Parteien loswerden, die Schlimmste ist geblieben.'

Und bei den Bolschewiki riss zu jener Zeit gerade der Schlimmste von ihnen die Macht an sich. Das Prinzip der Negativauslese in der Politik also, das seine volle Wirkung dann zeigt, wenn alle Kontrollmechanismen beseitigt wurden.

mabac
31.01.2008, 15:28
Da muss ich widersprechen: der ganz spezielle "Charme" des Nazi-Systems kam daraus, dass Hitler innen- und außenpolitisch letztendlich das Bündnis mit den Bürgerlichen suchte und sich "brutalstmöglich" gegen alles "Linke" wandte.

Ach, werte Beverly, wenn es so wäre! :D
War es aber nicht, es gab eine Wanderungsbewegung, her und hin, hin und her.
Schauen Sie mal auf die Biographien von Hanns Ludin und Richard Scheringer!
Es war doch oft nur Zufall, wo man landete.

Oder Roland Freisler:

Im Unterschied zu fast allen anderen prominenten Figuren der nationalsozialistischen Führungselite ist über das Privatleben Roland Freislers bis heute nur wenig bekannt. Der Jurist Freisler diente im Ersten Weltkrieg als Leutnant, war 1915 in russischer Kriegsgefangenschaft in Sibirien und wurde nach Auflösung der Lager bolschewistischer Kommissar. (Hitler nannte ihn deshalb angeblich auch „den alten Bolschewiken“).
Wikipedia


Da sponsorte man einen Irren und Amokläufer, stimmte als Bürgerlicher für das Ermächtigungsgesetz und duldete als westlicher Staat ein Bubenstück nach dem anderem. Nach '45 heulte man über seine Morde so viele Krokodilstränen, dass es für ein Meer reichen würde, doch vor '45 waren einem Juden oder gar Russen im Grunde sch...egal.

Nun, niemand konnte 1933 in die Zukunft schauen, über die NS - Kampfschriften wurde damals noch gelacht.


Da hätte auch im schlimmsten Fall ein Herr Strasser nicht mithalten können. Anstelle von Hitler, Ulbricht und Adenauer wäre er gekommen und irgendwann wieder gegangen.

Wie hätte G. Strasser "an die Macht" kommen sollen?

Seit der Bamberger Führertagung und der Auflösung der Arbeitsgemeinschaft Nordwest war G. Strasse faktisch entmachtet.

Die Veranstaltungen von O. Strassers "Kampfgemeinschaft Revolutionärer Nationalsozialisten" mussten gar in einigen Fällen vom Rotfrontkämperbund als Saalschutz behütet werden, wie Schüddekopf in seinen "Linke Leute Von Rechts schreibt.


Das Prinzip der Negativauslese in der Politik also, das seine volle Wirkung dann zeigt, wenn alle Kontrollmechanismen beseitigt wurden.

Gibt es in der Demokratie Kontrollmechanismen, ist nicht Demokratie "Negativauslese"?

"Während die natürlichen Neigungen der Demokratie das Volk dazu bringen, die bedeutenden Männer von der Macht auszuschließen, veranlaßt eine nicht minder starke Neigung diese Männer, sich der politischen Laufbahn fernzuhalten, in der es so schwer ist, man selbst zu bleiben und voranzukommen, ohne sich billig zu machen."
Tocqueville, "Über die Demokratie in Amerika"

Und damals war die US Demokratie noch "gut in Schuss"! :D