Viktor Baranoff
28.10.2007, 16:09
Tagebuch des letzten Schweizers
Stellen wir die Uhr mal ein paar Jahre nach vorn, ins Jahr 2020, und lesen aus dem Tagebuch des letzten Schweizers.
Der Ruf des Muezzins, der über Lautsprecher von der benachbarten Moschee in mein Ohr dringt, weckt mich.
Ich habe mich längst daran gewöhnt. Früher stand dort mal eine Kirche, aber die wurde schon vor vielen Jahren, nachdem es der islamischen Gemeinde in unserem Viertel in ihrer alten Moschee zu eng wurde, zur Moschee umfunktioniert. Die wenigen verbliebenen Christen hatten keinen Einspruch gewagt.
Unser türkischer Bürgermeister, Herr Mehmet Özdemir meinte, es sei längst an der Zeit, der einzig wahren Religion mehr Platz zu schaffen. Die wenigen Schweizer, die noch in unserer Gegend wohnen, schicken ihre Kinder alle in die Koranschule damit sie es leichter haben, sich zu integrieren. In den Schulen wird in Türkisch unterrichtet, auch in Yugoslawisch oder Arabisch, je nach der Mehrheit. Die wenigen Schweizer Kinder müssen sich eben anpassen; Kinder haben ja wenig Mühe mit dem Erlernen von Fremdsprachen. Alex, unser 10-jähriger, spricht zu Hause meist gebrochen Deutsch, fällt aber immer wieder ins Türkische. Da wir das nicht können, schämen wir uns.
Alex ist in seiner Klasse das einzige Kind mit Schweizer Eltern. Er versucht sich aber so gut es geht anzupassen. Ich will die Nachrichten im Radio einschalten, finde aber erst nach langem Suchen einen deutschsprachigen Sender. Seit die Frequenzen nach dem Bevölkerungsanteil vergeben werden, müssen wir uns eben umstellen. Der Sprecher sagt, dass auf Druck der fundamentalistischen "Partei des einzig richtigen Weges" im Bundeshaus ein Kopftuchzwang für alle Frauen eingeführt wird. Meine Frau trägt auch eins, um weniger aufzufallen. Sie wird jetzt nicht mehr sofort als Schweizerin erkannt und freundlicher behandelt.
Ausserdem soll auf einstimmigen Beschluss ein "Tag der Schweizer Schande" eingeführt werden, der an die Intoleranz der Schweizer erinnern soll, insbesondere an die Ausländerfeindlichkeit. Ich sehe aus dem Fenster auf die Strasse. Die Barrikaden sind noch nicht weggeräumt und rauchen noch; aber die Kehrrichtabfuhr ist schon am Aufräumen. Gestern hatten sich serbische und kroatische Jugendliche in unserer Strasse eine Schlacht geliefert - oder waren es türkische und kurdische? Unsere Scheiben sind diesmal heil geblieben.
Meine Frau hat wieder Arbeit gefunden, in einem türkischen Restaurant, als Aushilfe. Da Ausländer bei der Arbeitsvergabe vorrangig behandelt werden, ist das ein grosses Glück. Ich muss nicht mehr zum Arbeitsamt. Mein Berater, Herr Hassan Mufluft, sagt, ich sei als Schweizer nicht mehr vermittelbar und hat mir einen Sprachkurs in Aussicht gestellt. Ich habe natürlich zugestimmt, so eine Chance bekommt man nicht alle Tage. Mein Vermieter, Herr Ali Yüksülül, erwähnte gestern beiläufig, dass er die Wohnung einem seiner Brüder und dessen Familie versprochen habe. Wir sollten uns schon mal nach etwas Anderem umsehen. Auf meinen schüchternen Einspruch meinte er nur, er habe gute Beziehungen zu den örtlichen Behörden. Nun müssen wir also raus, aber besonders schwer fällt uns der Abschied aus unserer Gemeinde nicht.
Wahrscheinlich werden wir, wie viele unserer alten Bekannten und Nachbarn, in die anatolische Steppe auswandern. Die «türkische Regierung» hat dort allen deutschsprachigen grosszügigerweise ein Stück Land angeboten. Es ist eine Art Reservat für uns. Wir wären dort unter uns und könnten unsere Sprache und Kultur pflegen. Diese Idee beschäftigt uns schon lange!...
Stellen wir die Uhr mal ein paar Jahre nach vorn, ins Jahr 2020, und lesen aus dem Tagebuch des letzten Schweizers.
Der Ruf des Muezzins, der über Lautsprecher von der benachbarten Moschee in mein Ohr dringt, weckt mich.
Ich habe mich längst daran gewöhnt. Früher stand dort mal eine Kirche, aber die wurde schon vor vielen Jahren, nachdem es der islamischen Gemeinde in unserem Viertel in ihrer alten Moschee zu eng wurde, zur Moschee umfunktioniert. Die wenigen verbliebenen Christen hatten keinen Einspruch gewagt.
Unser türkischer Bürgermeister, Herr Mehmet Özdemir meinte, es sei längst an der Zeit, der einzig wahren Religion mehr Platz zu schaffen. Die wenigen Schweizer, die noch in unserer Gegend wohnen, schicken ihre Kinder alle in die Koranschule damit sie es leichter haben, sich zu integrieren. In den Schulen wird in Türkisch unterrichtet, auch in Yugoslawisch oder Arabisch, je nach der Mehrheit. Die wenigen Schweizer Kinder müssen sich eben anpassen; Kinder haben ja wenig Mühe mit dem Erlernen von Fremdsprachen. Alex, unser 10-jähriger, spricht zu Hause meist gebrochen Deutsch, fällt aber immer wieder ins Türkische. Da wir das nicht können, schämen wir uns.
Alex ist in seiner Klasse das einzige Kind mit Schweizer Eltern. Er versucht sich aber so gut es geht anzupassen. Ich will die Nachrichten im Radio einschalten, finde aber erst nach langem Suchen einen deutschsprachigen Sender. Seit die Frequenzen nach dem Bevölkerungsanteil vergeben werden, müssen wir uns eben umstellen. Der Sprecher sagt, dass auf Druck der fundamentalistischen "Partei des einzig richtigen Weges" im Bundeshaus ein Kopftuchzwang für alle Frauen eingeführt wird. Meine Frau trägt auch eins, um weniger aufzufallen. Sie wird jetzt nicht mehr sofort als Schweizerin erkannt und freundlicher behandelt.
Ausserdem soll auf einstimmigen Beschluss ein "Tag der Schweizer Schande" eingeführt werden, der an die Intoleranz der Schweizer erinnern soll, insbesondere an die Ausländerfeindlichkeit. Ich sehe aus dem Fenster auf die Strasse. Die Barrikaden sind noch nicht weggeräumt und rauchen noch; aber die Kehrrichtabfuhr ist schon am Aufräumen. Gestern hatten sich serbische und kroatische Jugendliche in unserer Strasse eine Schlacht geliefert - oder waren es türkische und kurdische? Unsere Scheiben sind diesmal heil geblieben.
Meine Frau hat wieder Arbeit gefunden, in einem türkischen Restaurant, als Aushilfe. Da Ausländer bei der Arbeitsvergabe vorrangig behandelt werden, ist das ein grosses Glück. Ich muss nicht mehr zum Arbeitsamt. Mein Berater, Herr Hassan Mufluft, sagt, ich sei als Schweizer nicht mehr vermittelbar und hat mir einen Sprachkurs in Aussicht gestellt. Ich habe natürlich zugestimmt, so eine Chance bekommt man nicht alle Tage. Mein Vermieter, Herr Ali Yüksülül, erwähnte gestern beiläufig, dass er die Wohnung einem seiner Brüder und dessen Familie versprochen habe. Wir sollten uns schon mal nach etwas Anderem umsehen. Auf meinen schüchternen Einspruch meinte er nur, er habe gute Beziehungen zu den örtlichen Behörden. Nun müssen wir also raus, aber besonders schwer fällt uns der Abschied aus unserer Gemeinde nicht.
Wahrscheinlich werden wir, wie viele unserer alten Bekannten und Nachbarn, in die anatolische Steppe auswandern. Die «türkische Regierung» hat dort allen deutschsprachigen grosszügigerweise ein Stück Land angeboten. Es ist eine Art Reservat für uns. Wir wären dort unter uns und könnten unsere Sprache und Kultur pflegen. Diese Idee beschäftigt uns schon lange!...