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Vollständige Version anzeigen : Von deutscher Seele



derNeue
18.10.2007, 11:29
Ein Raunen geht durch den gutmenschlichen Blätterwald: Da wagt es doch tatsächlich ein junger Dirigent, Ingo Metzmacher, Chef beim DSO Berlin, in der neuen Spielzeit dem "Typisch deutschen in der Musik" nachzuspüren.

Die irritierten bis empörten Reaktionen, angefangen wie immer beim ZDJ, lassen nicht lange auf sich warten:
http://www.deutschlandpuls.de/ingo-metzmacher-und-die-deutsche-seele-3
http://www.rundschau-online.de/html/artikel/1190991953324.shtml
http://images.zeit.de/text/2007/40/Interview-Metzmacher

Dann sagt er auch noch "Ich bin eine deutsche Seele" und führt Pfitzners gleichnamige Kantate nach Eichendorff, eines der schönsten spätromantischen Werke, auf.
Ja liebe gutmenschlichen Kunstwächter: Ihr müßt jetzt ganz tapfer sein. Denn solches wird Euch in Zukunft immer häufiger begegnen. Bravo, Ingo.:)

Klopperhorst
18.10.2007, 11:46
Musik ist das direkte Abbild des Willens zum Leben. Je nachdem, welche Musik einer mag, kann man sehr viel über seinen Charakter, d.h. seinen Willen zum Leben, aussagen.


---

derNeue
18.10.2007, 13:34
Musik ist das direkte Abbild des Willens zum Leben. Je nachdem, welche Musik einer mag, kann man sehr viel über seinen Charakter, d.h. seinen Willen zum Leben, aussagen.


---

Ja, und man kann auch viel über eine Gesellschaft daran erkennen, welche Musik gespielt wird, und welche nicht.
Hier eine selbsterklärende Frage des ZEIT-Redakteurs im Gespräch mit Ingo Metzmacher:



ZEIT: Ist es wirklich eine gute Idee, ausgerechnet am Tag der deutschen Einheit, den politisch völlig inakzeptablen Pfitzner aufzuführen?

Rikimer
18.10.2007, 15:40
Genug geschwafelt. Genug der Theorie. Ich brauche konkrete Angaben zu Musik, welche die deutsche Seele bestmöglich abbildet.

MfG

Rikimer

Mütterchen
18.10.2007, 15:54
das hört sich tatsächlich ziemlich gewagt an...auf alle Fälle wagt sich der Mann an etwas heran und versteckt sich nicht hinter einer sicheren Unverfänglichkeit!

Ich drücke ihm die Daumen, dass er schafft, was er sich vorgenommen hat!

Krabat
18.10.2007, 16:00
Musik ist das direkte Abbild des Willens zum Leben. Je nachdem, welche Musik einer mag, kann man sehr viel über seinen Charakter, d.h. seinen Willen zum Leben, aussagen.


---

Was sagt es denn über den Willen zum Leben aus, wenn man unterschiedliche Musik mag?

Klopperhorst
18.10.2007, 16:46
Was sagt es denn über den Willen zum Leben aus, wenn man unterschiedliche Musik mag?

Z.B. ein Moll-Akkord drückt eine dramatische Stimmung aus. Wer Moll-Akkorde mag, ist sicher ein sehr tiefsinniger und nachdenklicher Mensch. Trommeln hingegen drücken den Willen zum Rhythmus aus, solche Menschen sehnen sich nach Sicherheit, da der Rhythmus ein Haltepunkt im Fluss der Zeit bedeutet. Der strömende Klang der Streichinstrumente hingegen verkörpert das Loslösen und Eintauchen der individuellen Existenz in eine höhere Idee. Blasinstrumente und die damit einhergehende Musik stehen für gesteigerte Aufmerksamkeit usw.


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Walter Hofer
18.10.2007, 18:11
Ich brauche konkrete Angaben zu Musik, welche die deutsche Seele bestmöglich abbildet.

MfG

Rikimer

kein Problem:

"Weine nicht, kleine Eva!" :)

http://snipurl.com/1sbz1

derNeue
18.10.2007, 23:13
Genug geschwafelt. Genug der Theorie. Ich brauche konkrete Angaben zu Musik, welche die deutsche Seele bestmöglich abbildet.

MfG

Rikimer

Wenn Du so fragst: typisch deutsche komponisten sind Bach, Schumann, Pfitzner, Brahms.
Nicht so sehr die Klassiker Mozart und Beethoven. Die sind universaler.
Aber die oben genannten drücken schon sehr gut das in Tönen aus, was man in der Welt unter deutscher Tiefsinnigkeit versteht.

Mcp
18.10.2007, 23:34
Z.B. ein Moll-Akkord drückt eine dramatische Stimmung aus. Wer Moll-Akkorde mag, ist sicher ein sehr tiefsinniger und nachdenklicher Mensch. Trommeln hingegen drücken den Willen zum Rhythmus aus, solche Menschen sehnen sich nach Sicherheit, da der Rhythmus ein Haltepunkt im Fluss der Zeit bedeutet. Der strömende Klang der Streichinstrumente hingegen verkörpert das Loslösen und Eintauchen der individuellen Existenz in eine höhere Idee. Blasinstrumente und die damit einhergehende Musik stehen für gesteigerte Aufmerksamkeit usw.


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Ich mag Wagner. Wer bin ich?

Salazar
18.10.2007, 23:47
Musik ist das direkte Abbild des Willens zum Leben. Je nachdem, welche Musik einer mag, kann man sehr viel über seinen Charakter, d.h. seinen Willen zum Leben, aussagen.


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Charakter und schopenhauerscher Wille sind aber unterschiedliche Dinge. Oder was verstehst du unter dem Willen?

Roter Sturm
18.10.2007, 23:49
Z.B. ein Moll-Akkord drückt eine dramatische Stimmung aus. Wer Moll-Akkorde mag, ist sicher ein sehr tiefsinniger und nachdenklicher Mensch. Trommeln hingegen drücken den Willen zum Rhythmus aus, solche Menschen sehnen sich nach Sicherheit, da der Rhythmus ein Haltepunkt im Fluss der Zeit bedeutet. Der strömende Klang der Streichinstrumente hingegen verkörpert das Loslösen und Eintauchen der individuellen Existenz in eine höhere Idee. Blasinstrumente und die damit einhergehende Musik stehen für gesteigerte Aufmerksamkeit usw.


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Mein Lieblingsstück ist der Winterauszug aus Vivaldis 4 Jahreszeiten. Was sagt das aus?

Klopperhorst
20.10.2007, 11:09
Ich mag Wagner. Wer bin ich?

Wagnerische Musik ist geboren "aus dem Geist der Tragödie". Die Tragödie bzw. der Tod ist der inspirierende Genius jeder guten Musik, daher sehnt sich der Musikliebhaber von Wagner nach dem Ende, weil er diese Welt überwinden will, die Dramatik der Handlung und der Musik ist, als wolle er über den Abgrund sehen, die Lust daran ist die Lust am Untergang.


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Mcp
20.10.2007, 11:58
Wagnerische Musik ist geboren "aus dem Geist der Tragödie". Die Tragödie bzw. der Tod ist der inspirierende Genius jeder guten Musik, daher sehnt sich der Musikliebhaber von Wagner nach dem Ende, weil er diese Welt überwinden will, die Dramatik der Handlung und der Musik ist, als wolle er über den Abgrund sehen, die Lust daran ist die Lust am Untergang.


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Sie sollten Psychologe werden. :))

Der kritische Denker
20.10.2007, 13:23
Mein Lieblingsstück ist der Winterauszug aus Vivaldis 4 Jahreszeiten. Was sagt das aus?

Das du für meine Vorstellung einen guten Geschmack bezüglich Musik hast.
__________

Kultur ist Privatsache und jeder hat das Recht so zu musizieren wie es ihm beliebt und auch das zu hören was er will. Andere wegen ihrem Musikgeschmack politisch zu diskreditieren ist armselig. Anderen seinen geschmack per Gesetz oder auch durch gesellschaftliche Ausgrenzung aufzuzwingen ist faschistisch und Naziniveau.

derNeue
20.10.2007, 14:05
Mein Lieblingsstück ist der Winterauszug aus Vivaldis 4 Jahreszeiten. Was sagt das aus?

Vivaldis Musik ist klar, schön aber nicht tiefsinnig wie die von Bach. Das typisch Deutsche in der Musik, hast Du noch nicht gefunden, aber vielleicht findest Du es noch.;)

Humer
20.10.2007, 17:13
kein Problem:

"Weine nicht, kleine Eva!" :)

http://snipurl.com/1sbz1

Volltreffer !
... und den Musikantenstadl nicht vergessen.

marc
21.10.2007, 17:16
Ein Raunen geht durch den gutmenschlichen Blätterwald: Da wagt es doch tatsächlich ein junger Dirigent, Ingo Metzmacher, Chef beim DSO Berlin, in der neuen Spielzeit dem "Typisch deutschen in der Musik" nachzuspüren.

Die irritierten bis empörten Reaktionen, angefangen wie immer beim ZDJ, lassen nicht lange auf sich warten:
http://www.deutschlandpuls.de/ingo-metzmacher-und-die-deutsche-seele-3
http://www.rundschau-online.de/html/artikel/1190991953324.shtml
http://images.zeit.de/text/2007/40/Interview-Metzmacher

Dann sagt er auch noch "Ich bin eine deutsche Seele" und führt Pfitzners gleichnamige Kantate nach Eichendorff, eines der schönsten spätromantischen Werke, auf.
Ja liebe gutmenschlichen Kunstwächter: Ihr müßt jetzt ganz tapfer sein. Denn solches wird Euch in Zukunft immer häufiger begegnen. Bravo, Ingo.:)

er lässt aber auch kurt weills silbersee spielen. weill (linker jude, dessen werke der bücherverbrennung zum opfer fielen) arbeitete eng mit brecht zusammen und emigrierte in die usa etc etc.
das wirklich interessante an seinem projekt ist ja, dass er auch die widersprüche, die gegensätze der "deutschen seele" (beim wort "seele" werde ich aber ohnehin immer skeptisch). dh: erst den antisemiten pfitzner und seine deutsche seele - dann weill, auch den sommernachtstraum mendelssohn-bartholdys (schon wieder n jud ; ))

marc
21.10.2007, 17:23
Z.B. ein Moll-Akkord drückt eine dramatische Stimmung aus.

[klugscheißermodus:ein]
naja, so grundsätzlich stimmt das aber auch nicht. die chorfantasie von beethoven zb steht in c-moll, ist aber ein werk, das durch eine simple, triumphierende eingängigkeit gekennzeichnet ist - und die ist jedenfalls alles andere als dramatisch. also ... das ist immer so ein bisschen ein clichee, womit jeder musiklehrer seine schüler gern mal reinlegt, wenn er etwas vorspielt und sie sollen raushören, in welcher tonart es steht und er spielt irgendwas trauriges, das aber in dur steht, oder irgendwas heiteres, das in moll steht ; ))
[klugscheißermodus:aus]
;)

edit: übrigens: wenn du dem link meiner signatur folgst, landest du bei einer symphone in e-moll ; )

derNeue
21.10.2007, 19:12
er lässt aber auch kurt weills silbersee spielen. weill (linker jude, dessen werke der bücherverbrennung zum opfer fielen) arbeitete eng mit brecht zusammen und emigrierte in die usa etc etc.
das wirklich interessante an seinem projekt ist ja, dass er auch die widersprüche, die gegensätze der "deutschen seele" (beim wort "seele" werde ich aber ohnehin immer skeptisch). dh: erst den antisemiten pfitzner und seine deutsche seele - dann weill, auch den sommernachtstraum mendelssohn-bartholdys (schon wieder n jud ; ))

Zweifellos gehört auch die deutsch-jüdische Musik zur "deutschen Seele" dazu.
Das sind nicht nur die Spätromantiker, sondern auch die Expressionisten, die "Linken" (Eisler, Weill) usw.
Gerade die jüdischen Musiker in Deutschland waren ja keine stilistisch homogene Gruppe: zwischen Mahler und Weill z.B. liegen Welten.
Brauchst übrigens nicht gleich nachzuplappern, Pfitzner sei "Antisemit" gewesen, nur weil das gerade in die Schublade der ZEIT-Redakteure paßt. Stimmt so nicht, er hat nachweislich vielen Juden geholfen und war z.B. mit Mahler befreundet.
Er hat ebenso wie andere Künstler dem Nationalsozialismus gute Seiten abgewinnen können und war ein nationalbewußtser Komponist, was nichts Schlechtes ist. Da gab es viele, z.B. auch der Dichter Knut Hamsun.

Ich denke schon, Daß Metzmacher wohl absichtlich ein paar "unverfängliche" Komponisten eingestreut hat, um sich nicht gleich wieder mit der Nazikeule konfrontiert zu sehen. Das muß man wohl so machen, und trotzdem gibt es schon wieder genug, die ihn in diese Ecke stellen wollen.
Es ist eben bei uns schon verdächtig. überhaupt dem "Deutschen in der Musik" nachspüren zu wollen, wenn es z.B. "das Russische" wäre: kein Problem.
Ich glaube, Metzmacher will durchaus provozieren, weiß aber genau, wie wei er gehen darf.

marc
21.10.2007, 19:28
Gerade die jüdischen Musiker in Deutschland waren ja keine stilistisch homogene Gruppe: zwischen Mahler und Weill z.B. liegen Welten.
da würd ich dir recht geben. ich würde ohnehin nie von DEN juden als biologisch-rassisch-kulturellem oder sonstigen kollektiv zu reden beginnen.
(genausowenig, wie ich von DEN katholiken als kollektiv sprechen würden: zwischen mozart und messiaen liegen ja ebenfalls die vielzitierten welten)



Brauchst übrigens nicht gleich nachzuplappern, Pfitzner sei "Antisemit" gewesen, nur weil das gerade in die Schublade der ZEIT-Redakteure paßt.
Brauchst übrigens nicht gleich die Biertisch-Propaganda all derjenigen nachzuplappern, die jedem, der irgendwen als Antisemiten bezeichnet, bezichtigen, er würde doch nur diesen oder jenen PC-Redakteuren nach dem Munde reden.

zitat pfitzner:
"vielleicht ist das die richtige stelle, an der ich erwähnen kann, dass ich mich hier in berlin ganz besonders als antisemit ausgebildet habe; man hat hie die gefahr und die macht so nah vor augen (...) es ist schon beinahe krankhaft bei mir"
-p. an paul cossmann 1898

derNeue
21.10.2007, 20:23
da würd ich dir recht geben. ich würde ohnehin nie von DEN juden als biologisch-rassisch-kulturellem oder sonstigen kollektiv zu reden beginnen.
(genausowenig, wie ich von DEN katholiken als kollektiv sprechen würden: zwischen mozart und messiaen liegen ja ebenfalls die vielzitierten welten)

Hast recht, wobei der Vergleich Mozart/Messian doch wohl etwas hinkt. Die europäischen bzw. deutschen Juden waren als Minderheit schon eine etwas geschlossenere Gruppe (vor allem ethnisch, denn in der Musik waren es meistens "Reformjuden") als z.B. die Katholiken.



Brauchst übrigens nicht gleich die Biertisch-Propaganda all derjenigen nachzuplappern, die jedem, der irgendwen als Antisemiten bezeichnet, bezichtigen, er würde doch nur diesen oder jenen PC-Redakteuren nach dem Munde reden.

zitat pfitzner:
"vielleicht ist das die richtige stelle, an der ich erwähnen kann, dass ich mich hier in berlin ganz besonders als antisemit ausgebildet habe; man hat hie die gefahr und die macht so nah vor augen (...) es ist schon beinahe krankhaft bei mir"
-p. an paul cossmann 1898

Entschuldigung, ich wollte Dir nicht zu nahe treten. Wenn Du heute jemanden als Antisemiten bezeichnest, kommt das eben immer schon fast einem Todesurteil gleich. Man denke nur an Wagner. Und das wird bei bestimmten Medien in richterhafter Manier sehr oft und gerne getan.
Was Pfitzner 1898 mit 27 Jahren im 19 Jahrhundert unter Antisemit verstand, war sicher etwas völlig anderes, als was wir heute darunter verstehen. Das war wohl damals so, wie wenn heute jemand sagt: "Ich mag keine Amis".
Der Erfahrungshintergrund war ja ein ganz anderer. Außerdem sollte man nicht alles auf die Goldwaage legen, was jemand irgendwann mal äußert. Tatsache ist nämlich, daß Pfitzner im dritten Reich vielen Juden geholfen hat- und das zählt für mich. :)

Brutus
21.10.2007, 20:45
Tatsache ist nämlich, daß Pfitzner im dritten Reich vielen Juden geholfen hat- und das zählt für mich. :)

Trotzdem ist er von Alfred Einstein mit schäbiger Rachsucht bedacht worden.

http://www.nmz.de/nmz/2005/12/magazin-einstein.shtml
Seine Verbitterung über die Rehabilitierung „gewesener Nazis“ treibt Einstein in den Nachkriegsjahren in besonderem Maße um. Mit einer ans pathologisch grenzenden Gründlichkeit verfolgt er die Entnazifizierungsprozesse von Musikern und Fachkollegen und wird nicht müde, Freunden sein Leid zu klagen. (...)

Besonders erbost zeigt sich Einstein über die Entnazifizierung Hans Pfitzners, mit dem er 1929 zusammengestoßen war, nachdem dieser in seinem Buch „Werk und Wiedergabe“ gegen Einstein polemisiert hatte. Im Mai 1948 nun äußert sich Einstein über den, so seine Worte, „giftigsten unter allen componierenden Gifthafen“ gegenüber Kroll: „Inzwischen ist er [Pfitzner] ja, trotz der Freundschaft mit Gauleiter Greiser, ‚denazifiziert‘ worden, und wie man hier liest, dank den Zeugnissen von Bruno Walter und Wilhelm Furtwängler: der eine ein sentimentaler Jämmerling der die Schuhsohlen von Leuten leckt die ihn bespuckt haben, und der andere der Schwachkopf, der ‚Deutschland in seiner tiefsten Not nicht den Rücken kehren wollte‘ und selber dringend noch der Entlastung bedarf. Es ist schon so: Nazis denazifizieren Nazis.“

derNeue
21.10.2007, 21:09
Trotzdem ist er von Alfred Einstein mit schäbiger Rachsucht bedacht worden.

http://www.nmz.de/nmz/2005/12/magazin-einstein.shtml
Seine Verbitterung über die Rehabilitierung „gewesener Nazis“ treibt Einstein in den Nachkriegsjahren in besonderem Maße um. Mit einer ans pathologisch grenzenden Gründlichkeit verfolgt er die Entnazifizierungsprozesse von Musikern und Fachkollegen und wird nicht müde, Freunden sein Leid zu klagen. (...)

Besonders erbost zeigt sich Einstein über die Entnazifizierung Hans Pfitzners, mit dem er 1929 zusammengestoßen war, nachdem dieser in seinem Buch „Werk und Wiedergabe“ gegen Einstein polemisiert hatte. Im Mai 1948 nun äußert sich Einstein über den, so seine Worte, „giftigsten unter allen componierenden Gifthafen“ gegenüber Kroll: „Inzwischen ist er [Pfitzner] ja, trotz der Freundschaft mit Gauleiter Greiser, ‚denazifiziert‘ worden, und wie man hier liest, dank den Zeugnissen von Bruno Walter und Wilhelm Furtwängler: der eine ein sentimentaler Jämmerling der die Schuhsohlen von Leuten leckt die ihn bespuckt haben, und der andere der Schwachkopf, der ‚Deutschland in seiner tiefsten Not nicht den Rücken kehren wollte‘ und selber dringend noch der Entlastung bedarf. Es ist schon so: Nazis denazifizieren Nazis.“

Danke für die Information. Da hat sich wohl eine persönliche Feindschaft über Jahre hinweg fortgesetzt. Einsteins Verbitterung gegenüber den Künstlern, die in Deutschland geblieben waren, kann ich subjektiv schon verstehen.
Ist ja heute auch alles nicht mehr wichtig. Pfitzners Bedeutung als großer Komponist ebenso wie die Einsteins auf anderem Gebiet ist ja heute unumstritten.
Der Russe Schostakowitsch äußert sich z.B in seinen Memoiren auch sehr kritisch über den Kollegen Prokoview, weil der sich mit der Sowjetdiktatur so gut arrangiert hatte. Trotzdem sind heute beide gleich anerkannt.

Brutus
21.10.2007, 21:13
Danke für die Information. Da hat sich wohl eine persönliche Feindschaft über Jahre hinweg fortgesetzt. Einsteins Verbitterung gegenüber den Künstlern, die in Deutschland geblieben waren, kann ich subjektiv schon verstehen.

Selbstverständlich. Ich wollte klarmachen, daß die Anti-Ressentiments nicht immer nur von einer Seite ausgehen.

Wie meistens im Leben sind Schuld und Unschuld ziemlich gleichgewichtig verteilt, was insbesondere für unsere geschätzten jüdischen Freunde gilt.

marc
21.10.2007, 22:21
Was Pfitzner 1898 mit 27 Jahren im 19 Jahrhundert unter Antisemit verstand, war sicher etwas völlig anderes, als was wir heute darunter verstehen. :)

ja, klar: da würd ich dir auch wieder recht geben. es gibt halt auch nicht DEN antisemiten. ich finde das beispiel wagner übrigens ohnehin vielviel interessanter als den "fall pfitzner"

und ich -ganz persönlich- mache mir weder aus den politischen einstellungen von musiker was, noch was aus den auf- oder abwertungen aufgrund der politik. ich find zb die alexander newskij kantate (erhebt euch russen, auf zum kampf, zum kampf um ruhm zum kampf um tod!) ganz großartig, da du grad das beispiel prokofieff brachtest, oder die kantate "lenin mit uns" von andrej eshpai :D

derNeue
22.10.2007, 11:55
ja, klar: da würd ich dir auch wieder recht geben. es gibt halt auch nicht DEN antisemiten. ich finde das beispiel wagner übrigens ohnehin vielviel interessanter als den "fall pfitzner"

und ich -ganz persönlich- mache mir weder aus den politischen einstellungen von musiker was, noch was aus den auf- oder abwertungen aufgrund der politik. ich find zb die alexander newskij kantate (erhebt euch russen, auf zum kampf, zum kampf um ruhm zum kampf um tod!) ganz großartig, da du grad das beispiel prokofieff brachtest, oder die kantate "lenin mit uns" von andrej eshpai :D

Danke für den Tipp. Diesen Komponisten kenne ich nicht.
Generell gibt es unter den großen russischen Komponisten des 20. Jhrh. wohl nicht einen, der nicht auch kommunistische Jubelwerke für Stalin und den Kommunismus geschrieben hat. Man denke z.B. an einiges von Schostakowitsch, Chatchaturjan, Mjaskowsky, Prokoview usw. Außer sie sind schon vor der Revolution ausgewandert wie z.B. Rachmaninow.
Trotzdem sagt man über diese Kompnisten merkwürdigerweise nie, sie seien "vorbelastet". Man führt sie selbstverständlich auf, gerade auch die Propagandawerke. Höchstens lächelt man über die Aussage, aber ansonsten handelt es sich ja nur um den "harmlosen" Kommunismus.
Die 100 Millionen Toten Stalins spielen da keine Rolle. Z.B. Schostakowitsch war während des WK2 durchaus vom Kommunismus überzeugt, er spielte an der Front zur Erbauung der Soldaten der roten Armee.
Das hat sich dann später ins Gegenteil gewandelt, weil er selber von Stalin verfolgt wurde.

Aber warum sollte man einem Pfitzner dann nicht das gleiche Recht zugestehen? Von ihm wüßte ich kein Werk, das er "für die Nazis" geschrieben hat. Trotzdem ist er heute bei vielen verpönt, verschrien als Antisemit, man spricht vom "Fall Pfitzner".
Diese Doppelmoral ist eben überall spürbar, auch im Kulturbetrieb, und solche Redakteure wie die von der ZEIT im Interview mit Metzmacher heizen diese Stimmung ständig an.

Brutus
22.10.2007, 13:45
ja, klar: da würd ich dir auch wieder recht geben. es gibt halt auch nicht DEN antisemiten. ich finde das beispiel wagner übrigens ohnehin vielviel interessanter als den "fall pfitzner"

Wer weiß schon, ob Richard Wagner nicht der Sohn des jüdischen Schauspielers Ludwig Geyer gewesen ist? Bis zu seiner Konfirmation hieß der bekannte R. Wagner Richard Geyer. http://www.dhm.de/lemo/html/biografien/WagnerRichard/index.html

Hat schon mal jemand die Totenmasken Wagners und Mendelssohns miteinander verglichen? Sie sehen aus wie Zwillingsbrüder, sogar der Bart ist gleich.

marc
22.10.2007, 15:24
Danke für den Tipp. Diesen Komponisten kenne ich nicht. Generell gibt es unter den großen russischen Komponisten des 20. Jhrh. wohl nicht einen, der nicht auch kommunistische Jubelwerke für Stalin und den Kommunismus geschrieben hat.
ja - und das wirklich interessante bei denen ist ja, dass es ihnen zumindest teilweise gelungen ist, inhaltlich-simple propaganda mit "komplexer" musik zu kombinieren. der esphai ist natürlich eingängige, rhytmisch-melodische propagandamusik allererster sahne, aber ... ganz großartig ist n andere lenin-kantate, die den schönen titel "lenin lebt im herzen der völker" trägt :D :D
von mh ... rodion schtscchendrin. scht-scht-endrin. argh, ich kann mir die korrekte schreibweise nie merken - jedenfalls gibts da aleatorik drin (also "zufallsmomente", ums vage zu sagen) cluster wie bei ligeti usw usf.



Aber warum sollte man einem Pfitzner dann nicht das gleiche Recht zugestehen? Von ihm wüßte ich kein Werk, das er "für die Nazis" geschrieben hat. Trotzdem ist er heute bei vielen verpönt, verschrien als Antisemit, man spricht vom "Fall Pfitzner".
Diese Doppelmoral ist eben überall spürbar, auch im Kulturbetrieb, und solche Redakteure wie die von der ZEIT im Interview mit Metzmacher heizen diese Stimmung ständig an.

naja, den "fall pfitzner" hab ich ja absichtlich in anführungszeichen geschrieben und ich selber lass die politischen ansichten eines musikers nicht einfließen, wenn ich mir ein urteil bilde, wobei ich verstehen kann, wenn das andere leute nicht so leicht trennen können. soweit ich weiss, ich müsste auch nochmal nachgucken, hat pfitzner wirklich nie etwas direkt zum feierlichen anlass für die nazis, oder eine geburtstagskantate für hitler oder irgendetwas vergleichbares geschrieben, insofern wäre er daran gemessen natürlich weniger schlimm als ein russicher komponist, der feierlich-verherrlichende musik für den massenhenker stalin schreibt.

derNeue
01.11.2007, 12:35
von mh ... rodion schtscchendrin. scht-scht-endrin. argh, ich kann mir die korrekte schreibweise nie merken - jedenfalls gibts da aleatorik drin (also "zufallsmomente", ums vage zu sagen) cluster wie bei ligeti usw usf.

Den kenne ich. Fand ich bisher ziemlich schrecklich. Eigentlich untypisch für einen Russen, so zu schreiben.:)



naja, den "fall pfitzner" hab ich ja absichtlich in anführungszeichen geschrieben und ich selber lass die politischen ansichten eines musikers nicht einfließen, wenn ich mir ein urteil bilde, wobei ich verstehen kann, wenn das andere leute nicht so leicht trennen können. soweit ich weiss, ich müsste auch nochmal nachgucken, hat pfitzner wirklich nie etwas direkt zum feierlichen anlass für die nazis, oder eine geburtstagskantate für hitler oder irgendetwas vergleichbares geschrieben, insofern wäre er daran gemessen natürlich weniger schlimm als ein russicher komponist, der feierlich-verherrlichende musik für den massenhenker stalin schreibt.
Ist schon auffallend, nicht wahr: Der Bildhauer A. Breker: verpönt.
Strauß und Hindemith oder Pfitzner: genau auf etwaige Nähe zum NS untersucht und unter Verdacht gestellt.

Dagegen werden z.B. Schostakowitschs Sinfonien selbstverständlich komplett regelmäßig gespielt:
Beispiele nur aus den Sinfonien:
Nr.2 "Für die Oktoberrevolution"
Nr.3 "Zum ersten Mai"

Nr.7 Leningrader
Nr. Im Andenken an Stalingrad

Nr. 12 Zum Gedenken an Lenin
Nr13. Chorsinfonie zum Gedenken an Babi Jar


Und das ist gerade mal der "ideologische Gehalt" nur seiner Sinfonien.
Nicht, daß ich Schostakowitsch deswegen kritisiere: der mußte das machen so wie jeder andere sowjetische Komponist.
Mir fälllt nur der Unterschied in der heutigen Behandlung von Künstlern auf, die unter Hitler oder unter Stalin gelebt und gearbeitet haben.

Rheinlaender
01.11.2007, 12:46
Wenn Du so fragst: typisch deutsche komponisten sind Bach

Nun, bei Bach meine etwas mitreden zu koennen - dessen Musik basiert auf vier Quellen: der fruhen Barockmusik von Schuetz, der Orgelmusik von Buxtehude und auf der franzoesichen Hofmusik von Lully und der Musik Vivaldi. Sie ist international wg, ihrer starken theoretischen Ausrichtung.

NB: Ich wuerde keinen Gegensatz von Bach und Mozart konstruieren. Auch Mozart schrieb Fugen und gehoerte zu den ganz grossen Bewundern Bachs, obwohl er zu Mozarts Zeit als hofnungslos altmodisch galt.

Rheinlaender
01.11.2007, 12:47
Wagnerische Musik ist geboren "aus dem Geist der Tragödie". Die Tragödie bzw. der Tod ist der inspirierende Genius jeder guten Musik

Der Genius der Musik ist die Mathematik, die Abstraktion.

Brutus
01.11.2007, 13:57
Der Genius der Musik ist die Mathematik, die Abstraktion.

"Musik ist die zeitliche Ordnung klanglicher Phänomene", Igor Strawinsky.

marc
01.11.2007, 18:42
Mir fälllt nur der Unterschied in der heutigen Behandlung von Künstlern auf, die unter Hitler oder unter Stalin gelebt und gearbeitet haben.

klar, das phänomen beschränkt sich ja nicht nur auf die musik: ddr-t-shirts sind cool, gelegentlich sieht man sogar linke mit "udssr"-shirts, kneipen, in denen bilder von mao hängen etc.

nur: das beispiel shostakovich ist ... da nicht ganz passend, finde ich, weil der auch genug probleme mit stalin hatte und der den leuten hintergründig mti seiner musik eins ausgewischt hat, was dann unterschiedlich erkannt wurde.

derNeue
01.11.2007, 19:24
Nun, bei Bach meine etwas mitreden zu koennen - dessen Musik basiert auf vier Quellen: der fruhen Barockmusik von Schuetz, der Orgelmusik von Buxtehude und auf der franzoesichen Hofmusik von Lully und der Musik Vivaldi. Sie ist international wg, ihrer starken theoretischen Ausrichtung.

Du hast mit allem was Du hier schreibst, recht. Ohne die italienische Barocktradition wäre die norddeutsche-evangelische nie entstanden.
Bach ist international, wie übrigens alle guten Komponisten, aber gleichzeitig kann man seine Musik als typisch deutsch bezeichnen.
Er hat eben die Tradition aufgegriffen und gleichzeitig etwas hinzugefügt, was man als tiefsinnig und typisch deutsch sehen kann, und zwar mehr als ein Schütz, Buxtehude, Schein oder Telemann. Auch mehr als Händel, der sich dem englischen Operngeschmack sehr stark angepaßt hat.
Das ist jetzt nicht meine Privatmeinung, sondern als Berufsmusiker begegne ich dieser Meinung sehr häufig. Ich kenn z.B. viele russische Künstler, die die Liebe der Deutschen zu Bach nicht unbedingt verstehen können.
Die Musikauffassung der Russen ist im Durchschnitt, würde ich sagen, melodieseliger (russische Seele"), für den mathematischen Aufbau von Bachs Werken fehlt ihnen manchmal die Begeisterungsfähigkeit.
Mein russischer Lehrer sagte z.B., wahrscheinlich mit Recht, daß die Deutschen Tschaikowsky nie so ganz verstehen könnten, sondern ihn immer eher als leicht kitschig oder sentimental empfinden.
So gibt es durchaus Komponisten, die den Nationalcharaktter eines Volkes deutlicher wiederspiegeln, andere weniger.


NB: Ich wuerde keinen Gegensatz von Bach und Mozart konstruieren. Auch Mozart schrieb Fugen und gehoerte zu den ganz grossen Bewundern Bachs, obwohl er zu Mozarts Zeit als hofnungslos altmodisch galt.

Die Fugen bei Mozart kannst Du aber an einer Hand abzählen. Das Ideal der Klasssik war Einfachheit und Allgemeinverständlichkeit. Da paßte die Fuge nicht mehr rein. Mozrt sagte, Musik müsse immer "schön" sein. Fugen zu schreiben war für ihn eher eine Spielerei. Bei Beethoven ist das schon etwas anders.

derNeue
01.11.2007, 19:29
klar, das phänomen beschränkt sich ja nicht nur auf die musik: ddr-t-shirts sind cool, gelegentlich sieht man sogar linke mit "udssr"-shirts, kneipen, in denen bilder von mao hängen etc.

nur: das beispiel shostakovich ist ... da nicht ganz passend, finde ich, weil der auch genug probleme mit stalin hatte und der den leuten hintergründig mti seiner musik eins ausgewischt hat, was dann unterschiedlich erkannt wurde.

"Die Memoiren des Dimitrij Schostakowitsch" habe ich mehrmals gelesen und weiß genau, wie schwer er es hatte. Ein ergreifendes Buch, seinerzeit übrigens zuerst im SPIEGEL erschienen. Von daher würde ich auch nie Schostakowitsch für seine Auftragswerke kritisieren, er spielte unter Stalin ja den "Gottesnarren", zum Schluß leider erfolglos.
Nur finde ich, deutschen Komponisten in der Nazizeit steht das gleiche Recht zu.