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Vollständige Version anzeigen : Asozialenparagraph



Mütterchen
16.10.2007, 20:15
Ich habe von diesem Paragraphen aus DDR-Zeiten gestern zum ersten Mal was gehört.
Wer hier im Forum kann mir etwas darüber sagen?
Wie und wann wurde er angewandt?
War er z.T sinnvoll oder lediglich ein Druckmittel?

Mahatma Germany
16.10.2007, 20:51
Na,ja DDR halt ;)

glaubensfreie Welt
16.10.2007, 21:00
Soweit ich mich erinnern kann wurde darauf geachtet das jeder einer Arbeit nachging. Was man mit Erwachsenen machte weis ich nicht. Als Jugendlichen wurde uns immer die Warnung gegeben, wenn Du das machst oder nicht machst kommst du in den Jugendwerkhof. Eine Art Jugendknast mit Arbeit und Agitation.
Delikte als Jugendlicher da hin zu kommen waren Arbeitsscheu, Diebstahl, Alkoholmissbrauch, Gewaltdelikte. Aber auch die Zugehörigkeit zu Punks oder Skinheads konnte Anlass sein. In der Regel bekamen die Personen nach dem Werkhof einen Arbeitsplatz zugewiesen. Unter Beobachtun wurden sie wieder in die Gesellschaft aufgenommen.

Sieht man vom Missbrauch dieses Systems gegen Regimkritiker ab find ich war das ne gute Sache. Im Prinzip wie die Bootcamps in den USA.

Drache
16.10.2007, 21:24
....
Sieht man vom Missbrauch dieses Systems gegen Regimkritiker ab find ich war das ne gute Sache. Im Prinzip wie die Bootcamps in den USA.
Wie kannst du so etwas sagen? Alles aus dem 3. Reich und der DDR war schlecht und verbrecherisch! Die einzigen, die unfehlbar die Wahrheit sagen, sind Claudia Fatima Roth und Hans Christian Memmeth Ströbele!

SAMURAI
16.10.2007, 21:30
Ich habe von diesem Paragraphen aus DDR-Zeiten gestern zum ersten Mal was gehört.
Wer hier im Forum kann mir etwas darüber sagen?
Wie und wann wurde er angewandt?
War er z.T sinnvoll oder lediglich ein Druckmittel?

An Asozialen ist etwas sozial. Jedenfalls kommt das Wort drin vor.

lumpi
16.10.2007, 21:53
§ 249 StGB der DDR


§ 249. Gefährdung der öffentlichen Ordnung durch asoziales Verhalten. (1) Wer das gesellschaftliche Zusammenleben der Bürger oder die öffentliche Ordnung dadurch gefährdet, daß er sich aus Arbeitsscheu einer geregelten Arbeit hartnäckig entzieht, obwohl er arbeitsfähig ist, oder wer der Prostitution nachgeht oder wer sich auf ändere unlautere Weise Mittel zum Unterhalt verschafft, wird mit Verurteilung auf Bewährung oder mit Haftstrafe, Arbeitserziehung oder mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren bestraft. Zusätzlich kann auf Aufenthaltsbeschränkung und auf staatliche Kontroll- und Erziehungsaufsicht erkannt werden.

(2) In leichten Fällen kann von Maßnahmen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit abgesehen und auf staatliche Kontroll- und Erziehungsaufsicht erkannt werden.

(3) Ist der Täter nach Absatz 1 oder wegen eines Verbrechens gegen die Persönlichkeit, Jugend und Familie, das sozialistische, persönliche, oder private Eigentum, die allgemeine Sicherheit oder die staatliche Ordnung bereits bestraft, kann auf Arbeitserziehung oder Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren erkannt werden.
Quelle (http://www.verfassungen.de/de/ddr/strafgesetzbuch68.htm)

Im Prinzip war das Ganze nur eine Farce, dass bestimmten staatlichen Organisationen eine legale Möglichkeit gab, verstärkte Kontrolle über diese Bevölkerungsschicht auszuüben. "...Zusätzlich kann auf Aufenthaltsbeschränkung und auf staatliche Kontroll- und Erziehungsaufsicht erkannt werden."
Ich kenne Fälle, in denen bei politisch brisanten Ereignissen (Staatsbesuchen, Messen, politischen Großveranstaltungen mit entsprechendem Medienzulauf, etc.) gewisse Leute aus der betreffenden Stadt "evakuiert" (weggesperrt) wurden. Grandlage hierfür waren die "Aufenthaltsbeschränkungen" im "Assieparagraphen".
Ebenfalls war es möglich "Asoziale" per Gesetz an ein gewisses Terretorium zu binden. (Meldepflichen etc.)

Ich bin mir nicht mehr ganz sicher (ist doch schon zu lange her ;)) aber ich glaube, dass "Asoziale" ebenso wie Straftäter auf Bewährung, zu jeder Tages- und Nachtzeit ohne Angabe von Gründen kontrolliert und ihre Wohnungen durchsucht werden durften. Das heißt, bei Straftätern auf Bewährung weiß ich es genau, beim § 249 müsste ich mich wieder schlau machen.

Auf der anderen Seite war es nicht sonderlich schwer, den "Assiparagrapen" zu umgehen. Es reichte, wenn man sich ein Mal im Monat auf seiner (zugewiesenen) Arbeitsstelle meldete, um nicht mehr "asozial" zu sein.

Ich will hier keine Diskussion über den Begriff "Asozial" vom Zaum brechen, bin aber der Meinung, dass in einem Rechtstaat ein derartiger Paragraph nichts zu suchen hat.


lumpi

Pascal_1984
16.10.2007, 22:49
Soweit ich mich erinnern kann wurde darauf geachtet das jeder einer Arbeit nachging. Was man mit Erwachsenen machte weis ich nicht. Als Jugendlichen wurde uns immer die Warnung gegeben, wenn Du das machst oder nicht machst kommst du in den Jugendwerkhof. Eine Art Jugendknast mit Arbeit und Agitation.
Delikte als Jugendlicher da hin zu kommen waren Arbeitsscheu, Diebstahl, Alkoholmissbrauch, Gewaltdelikte. Aber auch die Zugehörigkeit zu Punks oder Skinheads konnte Anlass sein. In der Regel bekamen die Personen nach dem Werkhof einen Arbeitsplatz zugewiesen. Unter Beobachtun wurden sie wieder in die Gesellschaft aufgenommen.

Sieht man vom Missbrauch dieses Systems gegen Regimkritiker ab find ich war das ne gute Sache. Im Prinzip wie die Bootcamps in den USA.

Oh ja, erzieht alle, die sich den unrechtssystem in irgendeiner Form widersetzen...

Mütterchen
17.10.2007, 06:47
Soweit ich mich erinnern kann wurde darauf geachtet das jeder einer Arbeit nachging. Was man mit Erwachsenen machte weis ich nicht. Als Jugendlichen wurde uns immer die Warnung gegeben, wenn Du das machst oder nicht machst kommst du in den Jugendwerkhof. Eine Art Jugendknast mit Arbeit und Agitation.
Delikte als Jugendlicher da hin zu kommen waren Arbeitsscheu, Diebstahl, Alkoholmissbrauch, Gewaltdelikte. Aber auch die Zugehörigkeit zu Punks oder Skinheads konnte Anlass sein. In der Regel bekamen die Personen nach dem Werkhof einen Arbeitsplatz zugewiesen. Unter Beobachtun wurden sie wieder in die Gesellschaft aufgenommen.

Sieht man vom Missbrauch dieses Systems gegen Regimkritiker ab find ich war das ne gute Sache. Im Prinzip wie die Bootcamps in den USA.

@glaubensfreie Welt: Hast du in Erinnerung, dass dieser Paragraph zumindest von der Grundidee her sinnvoll war? Dass er zB manchen Jugendlichen davor bewahrte, nur " rumzuhängen"?
Wie häufig wurde denn dieser Jugendwerkhof als Konsequenz eingesetzt?

Irmingsul
17.10.2007, 06:55
Ich finde es ansatzweise gut.

Mütterchen
17.10.2007, 06:58
§ 249 StGB der DDR


Quelle (http://www.verfassungen.de/de/ddr/strafgesetzbuch68.htm)

Im Prinzip war das Ganze nur eine Farce, dass bestimmten staatlichen Organisationen eine legale Möglichkeit gab, verstärkte Kontrolle über diese Bevölkerungsschicht auszuüben. "...Zusätzlich kann auf Aufenthaltsbeschränkung und auf staatliche Kontroll- und Erziehungsaufsicht erkannt werden."
Ich kenne Fälle, in denen bei politisch brisanten Ereignissen (Staatsbesuchen, Messen, politischen Großveranstaltungen mit entsprechendem Medienzulauf, etc.) gewisse Leute aus der betreffenden Stadt "evakuiert" (weggesperrt) wurden. Grandlage hierfür waren die "Aufenthaltsbeschränkungen" im "Assieparagraphen".
Ebenfalls war es möglich "Asoziale" per Gesetz an ein gewisses Terretorium zu binden. (Meldepflichen etc.)


Ich bin mir nicht mehr ganz sicher (ist doch schon zu lange her ;)) aber ich glaube, dass "Asoziale" ebenso wie Straftäter auf Bewährung, zu jeder Tages- und Nachtzeit ohne Angabe von Gründen kontrolliert und ihre Wohnungen durchsucht werden durften. Das heißt, bei Straftätern auf Bewährung weiß ich es genau, beim § 249 müsste ich mich wieder schlau machen.

Auf der anderen Seite war es nicht sonderlich schwer, den "Assiparagrapen" zu umgehen. Es reichte, wenn man sich ein Mal im Monat auf seiner (zugewiesenen) Arbeitsstelle meldete, um nicht mehr "asozial" zu sein.

Ich will hier keine Diskussion über den Begriff "Asozial" vom Zaum brechen, bin aber der Meinung, dass in einem Rechtstaat ein derartiger Paragraph nichts zu suchen hat.


lumpi

Ich möchte ja auch keine Diskussion über den Begriff ASOZIAL führen, mich interessiert, wie dieser Paragraph angewandt wurde und was er bewirkt hat.
Ob er überwiegend Druckmittel für politische Konformität usw war oder ob er auch tatsächlich "gegriffen" hat,

Ich habe von dem Paragraphen erst jetzt gehört, in einer Fernsehsendung, in der es eigentlich um die Rentenberechnung ehemaliger DDR-Flüchtlinge ging, da fiel ein Satz, der lautete ungefähr so: In der DDR gab es kaum Arbeitslose, dafür sorgte schon der sogenannte Asozialenparagraph!

Rheinlaender
17.10.2007, 07:40
Ich habe von dem Paragraphen erst jetzt gehört, in einer Fernsehsendung, in der es eigentlich um die Rentenberechnung ehemaliger DDR-Flüchtlinge ging, da fiel ein Satz, der lautete ungefähr so: In der DDR gab es kaum Arbeitslose, dafür sorgte schon der sogenannte Asozialenparagraph!


In einer zentralen Planwirtschaft ist Vollbeschaeftigung relativ leicht zu garanieren. Man schafft halt entsprechende Planstellen - bekommt die Sekretaerin halt noch vier Kolleginnen. Ob das wirtschaftlich ist, steht auf einem ganz anderen Blatt.

politisch Verfolgter
17.10.2007, 07:56
Asozialer Dreck ist die weitgehend vom NS übernommene Arbeitsgesetzgebung, womit user von value abgeschottet werden und wozu sich das Regime einer aktiven Wertschöpfungspolitik sträflich verweigert.
Asoziales Gesindel sind also die Gesetzgebungsverbrecher.
In der Marktwirtschaft gibts nur eins, was sozial ist: Profit der Anbieter.
Alles Andere ist (vor allem Zwangsverarmungs-)Alimentierung nicht Wertschöpfender.
Also: Sozial ist, was Profit schafft! Genau deswegen benötigen user value.

lumpi
17.10.2007, 07:58
I

Ich habe von dem Paragraphen erst jetzt gehört, in einer Fernsehsendung, in der es eigentlich um die Rentenberechnung ehemaliger DDR-Flüchtlinge ging, da fiel ein Satz, der lautete ungefähr so: In der DDR gab es kaum Arbeitslose, dafür sorgte schon der sogenannte Asozialenparagraph!


In der DDR gab es das Recht auf Arbeit und die Pflicht zur Arbeit. Dafür gab es verschiedene, meist ökonomische Gründe. Die DDR-Wirtschaft hatte immer einen Bedarf an Arbeitskräften. Arbeitslose, im Sinne von Menschen die arbeiten wollen, aber keine Arbeitsstelle bekommen, gab es nicht. Gearbeitet wurde bis zum 60 Lebensjahr bei Frauen und bis zum 65 Lebensjahr bei Männern.
Es gab jedoch Menschen, die aus gesundheitlichen Problemen nicht arbeiten konnten, und Menschen, die nicht arbeiten brauchten, weil sie finanziell so gut gestellt waren, dass sie ihren Lebensunterhalt aus eigener Kraft bestreiten konnten. Für solche Leute galt der „Assiparagraph“ natürlich nicht, und diese Menschen waren eher die Ausnahme.

In der DDR gab es, wie in jeder Gesellschaft, auch Menschen, die nicht arbeiten wollten und auch nicht in der Lage waren, ihren Lebensunterhalt legal zu bestreiten. Auf solche Menschen wurde der Asozialen-Paragraph angewendet.




Ob er überwiegend Druckmittel für politische Konformität usw war oder ob er auch tatsächlich "gegriffen" hat,

Grundsätzlich ist es so, dass es in der DDR keine Arbeitslose (so wie wir heute den Begriff definieren) gab. Der „Assiparagraph“ hat wohl auch dazu beigetragen. Wie groß dieser Beitrag tatsächlich war, vermag ich nicht zu sagen.


Ich möchte ja auch keine Diskussion über den Begriff ASOZIAL führen, mich interessiert, wie dieser Paragraph angewandt wurde und was er bewirkt hat.

Das lässt sich nicht so einfach beantworten, weil wir über ein System sprechen, dass zumindest du gar nicht kennst:
In der DDR arbeiten zu gehen, wurde von staatlicher Seite ziemlich leicht gemacht. Es gab eine Infrastruktur, die ausschließlich darauf hinaus lief, den Bürgern die Arbeit zu erleichtern. Es gab ausreichend Kindergarten und Kinderkrippenplätze und in der Schule einen so genannten „Früh-Hort“. Die gesamte staatliche Kinderbetreuung war so gut, dass Kinder im Arbeitsprozess „keine Last“ waren.
Auch die Betriebe hatten eine ganz andere Infrastruktur als heute. Es gab den „Arbeiterberufsverkehr“. Das waren Busse und Züge die ausschließlich dazu eingesetzt wurden, die Menschen pünktlich zur- und von der Arbeit zu bringen. Es gab betriebseigene medizinische Einrichtungen, die so genannten Ambulatorien, um eine medizinische Betreuung zu gewährleisten und die Menschen trotzdem an ihren Arbeitsplatz zu binden. Diese Einrichtungen lassen sich in etwa mit den heutigen Ärztehäusern vergleichen. Es gab Zahnärzte, Internisten, Chirurgen, Orthopäden unter einem Dach.
Es war völlig normal, dass jemand in der Arbeitszeit mal „schnell zum Arzt“ ging.
Große Betriebe hatten auch eigene Verkaufseinrichtungen, wie Lebensmittelgeschäfte, Textilgeschäfte, Schreibwarenläden, Bücherein etc. Der Einkauf konnte oft schon in der Pause erledigt werden.
Und dann war da noch die soziale Bindung über das „Arbeitskollektiv“. Diese Bindung war so eng, dass man sogar seine Freizeit miteinander verbrachte. Kegelabende, Weihnachtsfeiern etc.

Der Unterschied zwischen „asozial“ in der DDR und „asozial“ in der Bundesrepublik lässt sich am Besten folgendermaßen beschreiben: In der DDR war es furchtbar schwer, „asozial“ zu sein, in der BRD ist es fruchtbar leicht.

Ob der „Assiparagraph“ als staatliches Druckmittel gewirkt hat, wie es im Sinne des Erfinders eigentlich vorgesehen war, wage ich zu bezweifeln. Wer sich in der DDR dm lückenlosen „Pflicht-zur-Arbeit-System“ entziehen konnte, der ließ sich meist nicht von so einem blöden Paragraphen beeindrucken. Für mich war dieser Paragraph mehr ein Kontrollmittel.


lumpi

politisch Verfolgter
17.10.2007, 08:06
Der Arbeitsbegriff ist zu entfeudalisieren und in einen für die betriebslosen Anbieter profitmaximierenden Wertschöpfungsbegriff zu erweitern.
Arbeit bezweckt Wertschöpfung, wozu Betriebslose geeignete Betriebe investiv nutzen und diversif vernetzen.
Jeder Politiker hat die Verpflichtung, den betriebslosen Anbietern vollwertige Marktteilnahme zu bezwecken.

lumpi
17.10.2007, 08:08
In einer zentralen Planwirtschaft ist Vollbeschaeftigung relativ leicht zu garanieren. Man schafft halt entsprechende Planstellen - bekommt die Sekretaerin halt noch vier Kolleginnen. Ob das wirtschaftlich ist, steht auf einem ganz anderen Blatt.

Da hast du vollkommen recht!
Man wirtschaftete oft nach der "Chinesen-Methode": Tausend Mann, um einen Graben auszuheben, was ein Bagger in fünf Minuten erledigt hätte...
Schuld daran war eine katstrophale Wirtschaft: Mangel an Maschinen, Mangel an Technologien...
Über den wirtschaftlichen Sinn oder Unsinn brauchen wir uns nicht zu unterhalten. Die Geschichte hat es hinreichend bewiesen!

lumpi

Mütterchen
17.10.2007, 08:20
@Lumpi: Vielen Dank für die ausführliche Antwort!

Mütterchen
17.10.2007, 08:23
In einer zentralen Planwirtschaft ist Vollbeschaeftigung relativ leicht zu garanieren. Man schafft halt entsprechende Planstellen - bekommt die Sekretaerin halt noch vier Kolleginnen. Ob das wirtschaftlich ist, steht auf einem ganz anderen Blatt.

@ Rheinlaender: das ist mir schon klar, aber da gibt es doch einen Unterschied: Arbeitet man nicht, weil man keine Arbeit findet, ober arbeitet man nicht, weil man nicht arbeiten will und sich in der sozialen Hängematte wirklich gut aufgehoben fühlt?

mabac
19.10.2007, 20:11
Ich möchte ja auch keine Diskussion über den Begriff ASOZIAL führen, mich interessiert, wie dieser Paragraph angewandt wurde und was er bewirkt hat.
Ob er überwiegend Druckmittel für politische Konformität usw war oder ob er auch tatsächlich "gegriffen" hat,

Ich habe von dem Paragraphen erst jetzt gehört, in einer Fernsehsendung, in der es eigentlich um die Rentenberechnung ehemaliger DDR-Flüchtlinge ging, da fiel ein Satz, der lautete ungefähr so: In der DDR gab es kaum Arbeitslose, dafür sorgte schon der sogenannte Asozialenparagraph!


Wertes Mütterchen!

Goggel mal, da wirst du fündig.

http://www.mdr.de/nah_dran/3362600.html

Meines Wissens, Erzählungen von Zeitzeugen, wurde der § erst nach 1961, also nach dem Mauerbau, massiv angewendet.
Viele Ostdeutsche, die in Berlin (West) und Westdeutschland gearbeitet hatten, sollten auf diese Art und Weise gezwungen werden, eine Arbeit aufzunehmen.
Die damit verbundenen Zwangsmassnahmen, wie Zwangsansiedlungen und Aufenthaltsverbote, wären vor Mauerbau auch nicht möglich geworden.

Auf jeden Fall ist der Asozialenparagraph ein abartiges Stück ostdeutsche Geschichte.

MfG

mabac

klartext
19.10.2007, 23:37
Ich habe von diesem Paragraphen aus DDR-Zeiten gestern zum ersten Mal was gehört.
Wer hier im Forum kann mir etwas darüber sagen?
Wie und wann wurde er angewandt?
War er z.T sinnvoll oder lediglich ein Druckmittel?

Die Verfassung der DDR sah ein Recht auf Arbeit vor, jedoch auch die Pflicht zur Arbeit. Wer dem nicht nachkam, fiel unter diesen Paragraphen.

GnomInc
20.10.2007, 11:52
Ich möchte ja auch keine Diskussion über den Begriff ASOZIAL führen, mich interessiert, wie dieser Paragraph angewandt wurde und was er bewirkt hat.
Ob er überwiegend Druckmittel für politische Konformität usw war oder ob er auch tatsächlich "gegriffen" hat,

Ich habe von dem Paragraphen erst jetzt gehört, in einer Fernsehsendung, in der es eigentlich um die Rentenberechnung ehemaliger DDR-Flüchtlinge ging, da fiel ein Satz, der lautete ungefähr so: In der DDR gab es kaum Arbeitslose, dafür sorgte schon der sogenannte Asozialenparagraph!


Soweit meine persönliche Erinnerung reicht :

Der § 249 war ein mächtiges Terrorinstrument.

Einerseits angewandt gegen tatsächlich arbeitsscheue Bürger ( auch in der DDR
gab es welche , die sich von Krankschreibung zu Krankschreibung vor der
Arbeit drückten ) oder Alkoholiker, die der Arbeit fernblieben .
Jedoch wurde der § 249 wesentlich öfter bewusst gegen regimefeindliche Bürger
benutzt.

Ein mögliches Vorgehen sah so aus:

Wurde zB jemand wegen Ausreiseantrag aus dem Beruf gemobbt ( etwa ein
Wissenschaftler ) so musste er eine Beschäftigung mit Arbeitsplatzbindung
( etwa als Transportarbeiter ) annehmen. Dann warf man ihm einige Verfehlungen
vor ( Entfernung vom Arbeitsplatz während der Arbeitszeit , Unpünktlichkeit,
Schadensverursachung etc) und kündigte ihn erneut.
Nun sorgte das MfS gemeinsam mit dem örtlichen Amt für Arbeit ( gab es
tatsächlich auch in der DDR:hihi: ) dafür , das der Betreffende 1- 2
Monate keine neue Arbeit bekam.
Dann war die Zeit gekommen - das Arbeitsamt klagte auf § 249 - der
Betroffene wurde zu 1-2 Jahren Haft verurteilt
( im Wiederholungsfalle habe ich von bis zu 4 Jahren gehört) und
der arme Mensch wurde eingelocht.

Vorzugsweise wurden § 249 - Verurteilte in körperlich schweren und
gesundheitlich gefährlichen Bereichen zu harter 3- Schicht - Arbeit eingesetzt !
Ich weiss vom Einsatz im Braunkohlentagebau , der Kupfererzgewinnung
(Mansfelder Land ) oder in Eisengiessereien (Torgelow ).

Der Begriff des "Arbeitsscheuen" war insgesamt weit gespannt.
Auch Leute welche sich mit kleineren Handelgeschäften betätigten zb.
Autohandel , Antiquitätenhandel . kleinere Diebe etc. wurde durchaus
mal auf Grund § 249 verurteilt.

i

Mütterchen
20.10.2007, 16:01
Die Verfassung der DDR sah ein Recht auf Arbeit vor, jedoch auch die Pflicht zur Arbeit. Wer dem nicht nachkam, fiel unter diesen Paragraphen.

Grundsätzlich ist ja gegen eine Einstellung, dass jeder, der arbeiten kann, auch arbeiten soll, nichts einzuwenden. Es ist ja auch nicht für alle akzeptabel, dass manche Menschen die Solidargemeinschaft ausnutzen.
Da es einen ähnlichen §en in der BRD nicht gibt, wurde er vermutlich stark missbraucht? Oder sieht man darin eine Missachtung der Menschenwürde o.ä.?

Mütterchen
20.10.2007, 16:06
Wertes Mütterchen!

Goggel mal, da wirst du fündig.

http://www.mdr.de/nah_dran/3362600.html

Auf jeden Fall ist der Asozialenparagraph ein abartiges Stück ostdeutsche Geschichte.

MfG

mabac

Ja, den Artikel hatte ich gelesen, aber trotzdem Danke für den link.
Ich wollte aber mehrere Meinungen/Erfahrungen lesen... Dass der Paragraph auch missbraucht wurde, war mir klar.

Mütterchen
20.10.2007, 16:08
Soweit meine persönliche Erinnerung reicht :

Der § 249 war ein mächtiges Terrorinstrument.

Einerseits angewandt gegen tatsächlich arbeitsscheue Bürger ( auch in der DDR
gab es welche , die sich von Krankschreibung zu Krankschreibung vor der
Arbeit drückten ) oder Alkoholiker, die der Arbeit fernblieben .
Jedoch wurde der § 249 wesentlich öfter bewusst gegen regimefeindliche Bürger
benutzt.

Ein mögliches Vorgehen sah so aus:

Wurde zB jemand wegen Ausreiseantrag aus dem Beruf gemobbt ( etwa ein
Wissenschaftler ) so musste er eine Beschäftigung mit Arbeitsplatzbindung
( etwa als Transportarbeiter ) annehmen. Dann warf man ihm einige Verfehlungen
vor ( Entfernung vom Arbeitsplatz während der Arbeitszeit , Unpünktlichkeit,
Schadensverursachung etc) und kündigte ihn erneut.
Nun sorgte das MfS gemeinsam mit dem örtlichen Amt für Arbeit ( gab es
tatsächlich auch in der DDR:hihi: ) dafür , das der Betreffende 1- 2
Monate keine neue Arbeit bekam.
Dann war die Zeit gekommen - das Arbeitsamt klagte auf § 249 - der
Betroffene wurde zu 1-2 Jahren Haft verurteilt
( im Wiederholungsfalle habe ich von bis zu 4 Jahren gehört) und
der arme Mensch wurde eingelocht.

Vorzugsweise wurden § 249 - Verurteilte in körperlich schweren und
gesundheitlich gefährlichen Bereichen zu harter 3- Schicht - Arbeit eingesetzt !
Ich weiss vom Einsatz im Braunkohlentagebau , der Kupfererzgewinnung
(Mansfelder Land ) oder in Eisengiessereien (Torgelow ).

Der Begriff des "Arbeitsscheuen" war insgesamt weit gespannt.
Auch Leute welche sich mit kleineren Handelgeschäften betätigten zb.
Autohandel , Antiquitätenhandel . kleinere Diebe etc. wurde durchaus
mal auf Grund § 249 verurteilt.

i

Ja, das klingt wirklich eher nach reinem Staatsterror....nur eben in eine etwas andere Verpackung gesteckt. Danke für die Infos.