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Vollständige Version anzeigen : Walter Kempowski



Kenshin-Himura
22.08.2007, 08:21
Walter Kempowski ist ein deutscher Schriftsteller und Lehrer (30 Jahre), der im Getümmel von Grass, Enzensberger & Co ziemlich wenig Beachtung bekommt. In letzter Zeit scheint er aber etwas mehr Aufmerksamkeit zu bekommen. Habt ihr vielleicht mal was ihm gelesen? Wie findet ihr sein Geschriebenes, oder auch ihn als Person?

Leider muss ich dazu gleich mitteilen, dass er momentan offenbar im Krankenhaus ist, und vielleicht bald stimmt. Bedauerlich, dass man ihn nicht mehr antreffen kann, er hat meiner Meinung nach interessante Gedanken.

Hier ein Interview mit ihm in der ,,FAZ" aus dem September 2006, wo er sich ziemlich bitter gegen seine Schriftsteller-Kollegen wendet, und m.E. ziemlich treffend über den ,,Humor der Deutschen" redet:
http://www.faz.net/s/RubCF3AEB154CE64960822FA5429A182360/Doc~E4E4688087C594AD3BCB7BB948E016598~ATpl~Ecommon ~Scontent.html

Und hier noch gleich ein zweites Interview, aus der ,,Frankfurter Rundschau", sehr viel aktueller, nämlich vom 04.August diesen Jahres:
http://fr-online.de/in_und_ausland/politik/reportage/?em_cnt=1185119&em_cnt_page=1

Was war eigentlich Ihr Verbrechen? Was haben Sie dem Literaturbetrieb angetan?
Ich bin konservativ und liberal, und das darf man in Deutschland nicht sein.
Warum nicht?
Man darf ja auch heute nicht seine Meinung sagen in Deutschland. Versuchen Sie das doch mal! Ein Schritt vom Wege, und Sie sind erledigt. Ein fröhliches Dahinplappern ist verboten. Selbst Ihnen gegenüber, verehrter Herr Teuwsen, muss ich mich vorsehen. Das ist doch erbärmlich.

Der ,,Focus" druckte dieses Zitat auf seiner Seite zu den allwöchentlichen Zitat-Sammlungen ab, allerdings nur den ersten Satz mit dem ,,konservativ" und dem ,,liberal", was danach kam hat man lieber (?) weggelassen. Bezeichnend?

Kenshin-Himura
22.08.2007, 09:11
Achja: Das Kempowski jetzt mehr Aufmerksamkeit erlangt liegt daran, dass er im Sterben liegt.

Das wird wohl so sein, daran habe ich auch schon gedacht.

Aber schonmal danke für deine interessante Antwort! Interessant ist ja, wenn ich es richtig beobachtet habe, findet er im ,,CPF" sowohl bei Linken als auch bei Konservativen/Liberalen Zustimmung. Ich frage mich ein bisschen, woran das liegt.

blues
22.08.2007, 19:26
tadellöser der waller


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Kenshin-Himura
22.08.2007, 20:24
Es kommt immer darauf an, wie Du "Links" definierst. Ich z.B. bin in Belangen der sozialen Fragen durchaus links eingestellt, habe aber als Patriot ein anderes Verhältnis zu Deutschland, als der Grossteil derjenigen, der sich "Links" nennt.

Insofern bezeichne ich mich persönlich lieber als "Konservativer Sozialdemokrat", Schumacherianer eben :]

Ich sehe das wahrscheinlich sehr ähnlich wie du. Ein Linker ist für mich primär Einer, der der Gerechtigkeit Vorrang vor der Freiheit gibt, sich besonders den Ärmsten der Gesellschaft und der Gerechtigkeit verpflichtet fühlt, liberal ist und bürgerlich. Dazu zähle ich Leute wie Schumacher, Severing, Apel, Schmidt, und auch dich. Daneben gibt es eine zweite Sorte von Linken, die mit dem Kern der linken Idee nichts mehr zu tun haben und eigentlich nur die linken Ideen beschmutzen. Diese sind heute leider in der Mehrheit. Ich meine z.Bsp. Jene, die heute in den 3 ,,linken" Parteien des Bundestages Fuß gefasst haben. Diese sind in meinen Augen zum großen Teil eine Pöbel-Bewegung ohne Fähigkeit zu ,,differenziertem" Denken und Fähigkeit zur Toleranz anderer Meinungen.


Die "Linken" an sich haben Kempowski ja meist verdammt. Und wenn man seine Tagebücher liest, kommt es einem so vor, als ob er wie ein kleines Kind bockig darüber sei.

Diesen Eindruck hatte ich hier nicht, deswegen hatte mich das gewundert. Kann aber auch sein dass das nur Zufall ist, war ja nur ein eher sehr flüchtiger Eindruck.

Ausonius
25.08.2007, 11:58
Ich halte viel von Walter Kempowski.

Das er nie die Aufmerksamkeit bekommen hätte, die ihm zusteht, gehörte in den letzten Jahren aber längstens auch zu seinem Image, und er hat damit auch oft herumkokettiert. Völlig uneitel ist eben kein Schriftsteller. Dazu gab es auch mal einen sehr lustigen Forenthread:



In einem ganzseitigen Interview der heutigen FAZ (22.09.06, p36), jener Zeitung, die auch sein neuestes Buch 'Hamit' vorabdruckte, klagt Walter Kempowski über den geringen Grad der öffentlichen Aufmerksamkeit für ihn und sein Werk. "Aber Sie sind doch Bestsellerautor?", fragt da selbst die FAZ. "Schön wärs", antwortet Kempowski. "Diese hermetische Eingeschlossenheit - daß es zum Beispiel nur drei Dissertationen über mein gesamtes Werk gibt. Ich habe fünfunddreißig Bücher geschrieben, und dies ist das ganze Echo auf mein Werk: in Tasmanien, Kairo und Amerika. Meine Bücher werden in keiner Schule gelesen, und Goethe-Institute laden mich nicht ein."

Nun bekommt Kempowski zwar Hauptseminare an deutschen Universitäten ("Universitäten und Akademien behandeln mich wie Luft", Interview mit der Wams); er hat eine Lesung am Goetheinstitut Amsterdam, sein Werk wird an der Deutschen Schule Singapur gelesen, der OPAC der FU Berlin meldet ein halbes Dutzend Kempowski-Bücher, die alle in Deutschland erschienen sind, er hat "das Große Bundesverdienstkreuz, einen Bambi und anderthalb Millionen Auflage" (stern)

Ließ hier weiter - der Thread ist etwas länger.

http://www.superlupo-magazin.de/viewtopic.php?f=8&t=923&p=39211&hilit=Kempowski#p39211

Fraglos wurde Kempowski erst im Alter berühmt, aber in den 1980er Jahren war er wohl doch schon in den Olymp der lebenden deutschen Schriftsteller aufgerückt. Was ihn von vielen Zeitgenossen abhebt, war seine ruhige, bedächtige Art - anders als bei Schriftstellern der Marke Grass/Walser/Handke, die - jetzt mal unabhängig von der Qualität ihres Werkes - förmlich darauf zu lauern scheinen, wann sie sich in der nächsten Polit- und Gesellschaftsdebatte zu Wort melden können. Dafür wurde er von den anderen Schriftstellern oft sehr geschätzt; auch die "Titanic", die oft die deutschen Literaten aufs Korn nimmt, verlor selten ein schlechtes Wort über Kempowski.

Kenshin-Himura
26.08.2007, 13:34
Das er nie die Aufmerksamkeit bekommen hätte, die ihm zusteht, gehörte in den letzten Jahren aber längstens auch zu seinem Image, und er hat damit auch oft herumkokettiert. Völlig uneitel ist eben kein Schriftsteller.

Schon richtig, aber ob das aus ,,Eitelkeit" passiert? Er erwähnt ja selbst soweit ich weiß, vor Allem finanzielle Probleme. :cool:

Kenshin-Himura
18.11.2009, 01:14
Der Thread sollte nicht so schnell verhungern...

http://www.welt.de/die-welt/politik/article5125800/Das-unbekannte-Tagebuch.html

Die "Welt am Sonntag" präsentiert eine literarische Sensation: Auszüge aus einem unveröffentlichten Manuskript des Schriftstellers Walter Kempowski: "Whispering. Ein kollektives Tagebuch von 1989"

(...)

Anders als beim "Echolot", dem kollektiven Tagebuch der Monate Januar und Februar des Jahres 1943, das vor allem die Stimmen "Namenloser" versammelt, handelt es sich bei "Whispering" um eine Collage von Notizen, die 30 Schriftsteller und Künstler im Wendejahr 1989 verfasst hatten.

http://www.dradio.de/dlf/sendungen/kulturheute/1071651/

Die Witwe des Schriftstellers Walter Kempowski, Hildegard Kempowski, hat die Veröffentlichung von Teilen einer bisher nicht publizierten Textsammlung mit dem Titel "Whispering" aus dem Nachlass des Autors in einer Zeitung verteidigt.

Die Publikation dieser Texte sei von Kempowski sehr wohl geplant gewesen, sagte Hildegard Kempowski am Dienstag im Deutschlandfunk.(...)

Auf die Frage, wie viele fertige Kisten es im Nachlass denn noch gebe, antwortete Hildegard Kempowski "Die kann ich gar nicht zählen."

http://www.welt.de/die-welt/kultur/article5227960/Die-Wahrheit-ueber-Kempowskis-Kollektives-Tagebuch-von-1989.html

Die im aktuellen Magazin "Focus" von Knaus-Verleger Wolfgang Ferchl vorgetragene Behauptung, "Welt am Sonntag" habe "jetzt nachträglich einen Text komponiert", ist falsch. Offenbar hat der Verlag sich bislang nicht der Mühe unterzogen, das Originalmanuskript einzusehen.

Es gilt nun - auch im Sinne von Walter Kempowski - diesen Schatz rasch und in Gänze ins Licht der Öffentlichkeit zu heben.

Hier Auszüge aus dem Buch:
http://www.welt.de/themen/Whispering/

http://www.welt.de/politik/20-jahre-mauerfall/article5142657/Kollektives-Tagebuch-Freitag-10-November-89.html

Und dann die Nationalhymne! Im Schusterbaß, es war schrecklich. Nicht zu verstehen ist es, daß man die Redner nicht auf den Balkon des Rathauses gestellt hat, und wenn man schon weiß, daß die Nationalhymne gesungen werden soll, warum war keine Blaskapelle zur Stelle? Entwürdigend, beschämend, widerlich.

http://www.welt.de/politik/20-jahre-mauerfall/article5156103/Kollektives-Tagebuch-Samstag-11-November-89.html



"Wahnsinn", rufen die Irren/bei Verlassen ihrer Anstalt. (...)


Nun fahre ich nach Lübeck. Will mal dort nach dem Rechten sehen. Im Zugabteil den alten Apotheker Ahrens von der Brunnengräber-Apotheke in Rostock getroffen. Die Reisenden, überwiegend Ossis, die von einer Westrentnerreise zurückkommen, sind ziemlich zurückhaltend, da kommt kein Gespräch in Gang. Von gemeinsamem Singen kann hier keine Rede sein. Thermoskannen und belegte Brötchen, Schweigen, nur ab und zu ein halblautes Wort. Es sind eben Norddeutsche, das muß man verstehen. - "Man kann nie wissen", nach dieser Devise schweigen sie. (...)

Ich ging aus Dankbarkeitsgründen schließlich in den Dom, der in seiner Renoviertheit gelassen und stumm dalag und in dem kein einziger Mensch zu sehen war, und danach in die Marienkirche, in der eine kleinere Gruppe von Zonis sich umschaute (offenbar sogenannte Gebildete). Ein Bedürfnis zu stillem Gebet bestand nicht. Auch die Orgel wurde nicht traktiert, das wäre vielleicht angebracht gewesen. Dafür traf ich Erenz mit einigen Herrschaften der öffentlichen Meinung, die sich arg zurückhielten mit derselben, als ob das gar nicht stattfand da draußen, das Weltgeschichtliche. (...)

Im Bahnhof eine Familie, ich vaterländete sie an, ob ich sie einladen dürfe zu einem Bier oder was. "Sie wollen uns einladen? Wo wollen wir denn hier Bier trinken?" (...)

Hier dann ein Glas Milch und Obstsalat und eine Sendung über Jenningers Fall. Er war exemplarisch für das, was bei uns täglich passiert.

Von Erenz die Mitteilung, daß Böhme nicht ganz freiwillig vom "Spiegel" weggegangen sei: "Ich will nicht wiedervereinigt werden", hat er gesagt, das war ja auch ein bißchen stark.

Sehr interessant. Immerhin gibt die nun erfolgte Veröffentlichung wieder ein bisschen Aufmerksamkeit für K.