John Donne
22.06.2004, 16:45
In einem früheren Strang ( Link (http://www.politikforen.de/showthread.php?t=3142) ) habe ich schon meine Ansichten zum Thema Chancengleichheit und ihr Verhältnis zur Gerechtigkeit, speziell der sozialen Gerechtigkeit, dargelegt. Leider beteiligten sich damals nur wenige andere Forenbenutzer an einer Diskussion zu dem Thema und so schlief ein. Vermutlich war vielen der Eingangsbeitrag zu lang, die Fragestellung und meine exemplarische Abhandlung des Themas zu eng und möglicherweise auch nicht konkret genug. Ich möchte also das Thema erweitern und allgemeiner Gerechtigkeit thematisieren. Da ich – schon vor einer Diskussion und also vorerst ohne Begründung – der Meinung bin, daß der Freiheitsbegriff aus diesem Feld nicht ausgeklammert werden sollte, mag auch er thematisiert werden. Ich bin der Meinung, daß dieses Themenfeld gerade in Zeiten, in denen die Themen Agenda 2010 sowie Globalisierung etliche Menschen zu Protesten bewegen, wieder sehr aktuell ist. Insbesondere interpretieren die meisten Ideologien diese Begriffe verschieden und priorisieren die Begriffe teilweise unterschiedlich. Mich interessiert dabei, wie die Benutzer von politikforen.de die Dinge grundsätzlich sowohl auf lokaler als auch auf globaler Ebene sehen – und ob eine Differenzierung hier überhaupt einen Unterschied macht.
Dazu möchte ich konkrete folgende Fragen stellen:
1.Was ist an der momentanen Verteilung von Vermögen, Einkommen und Bildungschancen in Deutschland ungerecht?
2.Wie könnte eine gerechte Verteilung aussehen?
3.Muß eine gerechte Verteilung dabei auf die globale Situation Rücksicht nehmen?
4.Ist eine Definition von Armut, die Armut als relative Armut definiert, in jedem Fall sinvoll?
5.Sind Reichtum und Armut nur zwei Seiten einer Medaille oder ist Reichtum auch ohne Armut möglich?
6.Darf die Freiheit, die als ein elementares Element die Vertragsfreiheit enthält, im Sinne der Gerechtigkeit eingeschränkt werden? Wenn ja, wie weit? Welche Kriterien sind dabei anzuwenden?
7.Ist das Erbrecht unmoralisch oder sogar ungerecht?
8.Warum nicht „Jeder nach seinen Fähigkeiten – jeder nach seinen Bedürfnissen“?
9.Inwieweit ist Vermögen und Einkommen moralisch zu gebrauchen? Wie weit darf die persönliche Freiheit eingeschränkt werden, um einen unmoralischen Gebrauch von Vermögen und Einkommen zu verhindern? Wann ist der Gebrauch dieser Güter überhaupt unmoralisch?
10.Wann kann man davon sprechen, daß ein Arbeitgeber seine Arbeitnehmer ausbeutet?
11.Ist es unmoralisch, sich als Selbständiger durch sehr lange Wochenarbeitszeit, Urlaubs- und Freizeitverzicht quasi selbst auszubeuten?
12.Ist Produktivität ein gerechtes Kriterium zur Verteilung von Einkommen?
Zu einigen Punkten möchte ich direkt etwas schreiben, zu anderen werde ich zunächst die Beiträge anderer Forumsbenutzer abwarten und dann darauf eingehen.
Ich beginne mit Punkten, die – vielleicht nur mir – am klarsten sind und hoffe, die Länge des Beitrags wird nicht als Zumutung empfunden.
Ad 4)
Aus der suggestiven Form der Fragestellung kann man sich den Tenor meiner Antwort vermutlich herleiten: Nein, Armut in jedem Fall als relative Armut zu definieren, halte ich nicht für sinnvoll.
Nach der Definition von relativer Armut ist derjenige arm, dem weniger als die Hälfte des durchschnittlichen Nettoeinkommens zur Verfügung steht. Würde man nun alle Einkommen verzehnfachen, wären nach einer relativen Definition exakt dieselben Personen arm. Geht man davon aus, das eine Erhöhung aller Einkommen sich auch tatsächlich in der (erhöhten) Kaufkraft aller niederschlägt, würden die ehemals und immer noch Armen nun einen Lebensstandard genießen, der vorher den Reichen vorbehalten war. Armut immer relativ zu definieren bedeuetete, Personen, die in unserer deutschen Gesellschaft als arm gelten, mit denen, die beispielsweise denen, die in Indien als arm gelten, in einen Topf zu werfen, wobei das Niveau der Armut in Indien – das bei weitem nicht das ärmste Land der Erde ist – doch ein gänzlich anderes ist als hier in Deutschland. Relative Armut hat also in gewissen Fällen zusätzlich zu der zeitlichen Begrenzung (wie aus der Definition ersichtlich, ändert sich das Armutsniveau mit der Zeit) den Nachteil, nur lokal anwendbar zu sein.
Nicht verschwiegen werden soll allerdings die Tatsache, daß auch eine absolute Armutsdefinition (arm ist, wer aus den ihm zur Verfügung stehenden Mittel seinen elementaren, lebensnotwendigen Unterhalt nicht bestreiten kann) nicht in allen Fällen vollauf befriedigen kann. Demnach gäbe es in Deutschland wesentlich weniger Armut als offiziell und auch als subjektiv wahrgenommen.
Ad 5)
Legt man eine durchgängig relativ Armutsdefinition an, ist dieses Frage fast schon unter Punkt vier beantwortet worden – und zwar mit „Ja“. Klar ist nämlich, daß nicht alle Mitglieder einer Gesellschaft überdurchschnittlich viel verdienen können: das widerspricht der Definition von Durchschnitt.
Legt man allerdings eine relative Armutsdefinition an und erkennt, daß die Grundlage für Reichtum, nämlich Produktion und Handel, kein Nullsummenspiel ist, stellt sich die Sache völlig anders dar. Durch Produktion findet bis zu einem gewissen Grad echte Wertschöpfung statt. Und Handel ist deshalb kein Nullsummenspiel, weil üblicherweise zu beiderseitigem Vorteil gehandelt wird. Dazu dürfen die Verhandlungspositionen bezogen auf ihre Stärke nicht völlig verschieden sein. Und um an dieser Stelle dem sechsten Punkt vorzugreifen: Um eine völlig ungleiche Verteilung der Stärke von Verhandlungspositionen, die in Knebelverträge münden können, einigermaßen auszugleichen, halte ich durchaus Eingriffe in die Vertragsfreiheit der beiden Handelspartner für zulässig – als einer von wenigen Punkten, in denen dies zulässig, hier quasi geboten ist.
Ein Nullsummenspiel bedeutet kurz gesagt „des einen Gewinn ist des anderen Verlust“. Das diese Betrachtungsweise bezüglich wirtschaftlichen Handels naiv und unzutreffend ist, zeigt sich beispielsweise darin, daß die reichen Länder diejenigen sind, die viel handeln (und dabei kaufen und verkaufen, vor allem untereinander). Auf der anderen Seite ist Autarkie der Tod allen Reichtums, wie die Erfahrung der letzten Jahrzehnte an den Ländern mit freiwilliger (Nordkorea, Albanien) oder auch unfreiwilliger Autarkie (Embargo genannt) zeigt.
Ist aber Handel kein Nullsummenspiel, muß Reichtum nicht zwangsläufig (absolute) Armut erzeugen.
Anhänger der These, Handel sei ein Nullsummenspiel und Armut die Kehrseite der Medaille von Reichtum, neigen dazu, zu behaupten, es sei genug Reichtum vorhanden, er müsse nur gerecht verteilt werden. Unklar ist dabei sowohl, was diejenigen unter gerecht verstehen als auch, sofern ein klarer Gerechtigkeitsbegriff vorhanden ist, wie eine Verteilung aussehen muß, um gerecht zu sein. Ich bin der Meinung, es ist einfacher einen größeren Kuchen zu backen als die vorhandenen Stücke des Kuchens zu verteilen, wenn man eine Verteilung anstrebt, deren Gerechtigkeit sowohl sozialen als auch rechtsstaatlichen Ansprüchen – also verschiedenen Aspekten der Gerechtigkeit – genügen soll.
Ich möchte an dieser Stelle kurz darauf eingehen, daß man das Recht auch als Instrument der Klassenherrschaft betrachten kann, wie beispielsweise Lenin es in seinem Werk „Staat und Revolution“ tut, wobei er sich explizit auf Marx und Engels beruft. Ich teile allerdings Lenins Auffassungen sehr selten und so auch hier nicht. Allen Absurditäten des Rechtswesens zum Trotz halte ich den Rechtsstaat für eine elementare Bedingung der Freiheit und für in Deutschland auch in ganz weiten Zügen verwirklicht. Erwähnen wollte ich dies deshalb, weil bei einer Ablehnung des Rechtsstaates eine Verteilung natürlich auf rechtsstaatliche Erfordernisse keine Rücksicht zu nehmen hat und sich einzig an dem orientieren kann, was man als gerecht verkauft.
Ad 7)
Das Erbrecht ermöglicht es einem, neben kulturellem Wissen, Erziehung und Moral auch finanzielle Vermögen an seine Nachkommen, seine Familie weiterzugeben. Klar ersichtlich ist, daß jede Weitergabe der oben genannten Güter Ungleichheit schafft oder verstärkt. Es ist nicht mit Verdienst verbunden, in einer Familie geboren zu werden, die einem eines oder mehrere dieser Güter in hohem Maße zukommen lassen kann. Allerdings bedeutet die Tatsache, daß gewisse Ungleichheiten auf Geburt und ererbtem Vermögen, letzlich also der menschlichen Einrichtung Familie beruhen, weder, daß eine Gesellschaft diese Vorteile allen bieten könnte (um die Vorteile durch angeborene Anlagen, zu denen ich hier auch zähle, in einer bestimmten Familie geboren zu sein, auszugleichen), noch daß sie anderen weggenommen werden, indem sie manchen gegeben sind. Ist man wie ich der Meinung, daß es wünschenswert ist, Eltern, die fast instinktbedingt für eine möglichst gute Vorbereitung ihrer nachkommenden Generation sorgen, zu unterstützen, ist kein rationaler Grund ersichtlich, diese Vorbereitung auf nichtmaterielle Vorteile zu beschränken. Ich bin davon überzeugt, daß das Erbrecht, das übrigens finanziell eine Streuung des Kapitalbesitzes bewirkt, sich für eine Gesellschaft positiv auswirkt.
Bedenklich ungerecht wirken sich derartige Vorteile und Ungleichheiten erst aus, wenn die Familie die einzige oder wichtigste Möglichkeit in einer Gesellschaft ist, Einkommen, Vermögen oder auch Wissen zu erlagen.
Im letzten Punkt hat in Deutschland gerade die PISA Studie gezeigt, daß der Bildungserfolg von Kindern stark von dem in ihrem Elternhaus vorherrschenden Bildungsgrad abhängt. Eigentlich hätte dies kaum jemanden verwundern dürfen. Wenn die öffentliche Hand ihrem Bildungsauftrag kaum noch nachkommt, bevorteilt dies diejenigen, denen andere Bildungsquellen zur Verfügung stehen, naturgemäß noch mehr. Das Niveau an den Schulen, der Wert der Abschlüsse, die personelle und finanzielle Ausstattung der Schulen, die Zahl der Lehrerkräfte bezogen auf die Zahl der Schüler und die Rechtssicherheit der Lehrer und Lehrerinnen bezüglich der – nach wie vor ungeklärten – Frage, ob sie lediglichen Wissen vermitteln oder auch erziehen sollen: All das ist im letzten Vierteljahrhundert mehr oder weniger schlechter geworden. Ironischerweise erweist sich m.E. gerade dadurch die vielfach egalitäre Schulpolitk der Sozialdemokraten als sozial ungerecht. (Viele Punkte – außer der Wertigkeit der Abschlüsse durch etwas höheres Niveau – hat oder hätte zugegebenermaßen auch die Opposition nicht wesentlich besser gemacht.)
Ich bin der Meinung, das Erbrecht selbst ist werder ungerecht noch unmoralisch. Gerechtigkeit kann nicht bedeuten, daß echte Chancengleichheit besteht. Unmoralisch kann jedoch die Art und Weise sein, mit einem geerbten Vermögen, das ja niemals auf eigenem Verdienst beruht, umzugehen.
Mit der Bitte um konstruktive Kritik
Grüße
John
Dazu möchte ich konkrete folgende Fragen stellen:
1.Was ist an der momentanen Verteilung von Vermögen, Einkommen und Bildungschancen in Deutschland ungerecht?
2.Wie könnte eine gerechte Verteilung aussehen?
3.Muß eine gerechte Verteilung dabei auf die globale Situation Rücksicht nehmen?
4.Ist eine Definition von Armut, die Armut als relative Armut definiert, in jedem Fall sinvoll?
5.Sind Reichtum und Armut nur zwei Seiten einer Medaille oder ist Reichtum auch ohne Armut möglich?
6.Darf die Freiheit, die als ein elementares Element die Vertragsfreiheit enthält, im Sinne der Gerechtigkeit eingeschränkt werden? Wenn ja, wie weit? Welche Kriterien sind dabei anzuwenden?
7.Ist das Erbrecht unmoralisch oder sogar ungerecht?
8.Warum nicht „Jeder nach seinen Fähigkeiten – jeder nach seinen Bedürfnissen“?
9.Inwieweit ist Vermögen und Einkommen moralisch zu gebrauchen? Wie weit darf die persönliche Freiheit eingeschränkt werden, um einen unmoralischen Gebrauch von Vermögen und Einkommen zu verhindern? Wann ist der Gebrauch dieser Güter überhaupt unmoralisch?
10.Wann kann man davon sprechen, daß ein Arbeitgeber seine Arbeitnehmer ausbeutet?
11.Ist es unmoralisch, sich als Selbständiger durch sehr lange Wochenarbeitszeit, Urlaubs- und Freizeitverzicht quasi selbst auszubeuten?
12.Ist Produktivität ein gerechtes Kriterium zur Verteilung von Einkommen?
Zu einigen Punkten möchte ich direkt etwas schreiben, zu anderen werde ich zunächst die Beiträge anderer Forumsbenutzer abwarten und dann darauf eingehen.
Ich beginne mit Punkten, die – vielleicht nur mir – am klarsten sind und hoffe, die Länge des Beitrags wird nicht als Zumutung empfunden.
Ad 4)
Aus der suggestiven Form der Fragestellung kann man sich den Tenor meiner Antwort vermutlich herleiten: Nein, Armut in jedem Fall als relative Armut zu definieren, halte ich nicht für sinnvoll.
Nach der Definition von relativer Armut ist derjenige arm, dem weniger als die Hälfte des durchschnittlichen Nettoeinkommens zur Verfügung steht. Würde man nun alle Einkommen verzehnfachen, wären nach einer relativen Definition exakt dieselben Personen arm. Geht man davon aus, das eine Erhöhung aller Einkommen sich auch tatsächlich in der (erhöhten) Kaufkraft aller niederschlägt, würden die ehemals und immer noch Armen nun einen Lebensstandard genießen, der vorher den Reichen vorbehalten war. Armut immer relativ zu definieren bedeuetete, Personen, die in unserer deutschen Gesellschaft als arm gelten, mit denen, die beispielsweise denen, die in Indien als arm gelten, in einen Topf zu werfen, wobei das Niveau der Armut in Indien – das bei weitem nicht das ärmste Land der Erde ist – doch ein gänzlich anderes ist als hier in Deutschland. Relative Armut hat also in gewissen Fällen zusätzlich zu der zeitlichen Begrenzung (wie aus der Definition ersichtlich, ändert sich das Armutsniveau mit der Zeit) den Nachteil, nur lokal anwendbar zu sein.
Nicht verschwiegen werden soll allerdings die Tatsache, daß auch eine absolute Armutsdefinition (arm ist, wer aus den ihm zur Verfügung stehenden Mittel seinen elementaren, lebensnotwendigen Unterhalt nicht bestreiten kann) nicht in allen Fällen vollauf befriedigen kann. Demnach gäbe es in Deutschland wesentlich weniger Armut als offiziell und auch als subjektiv wahrgenommen.
Ad 5)
Legt man eine durchgängig relativ Armutsdefinition an, ist dieses Frage fast schon unter Punkt vier beantwortet worden – und zwar mit „Ja“. Klar ist nämlich, daß nicht alle Mitglieder einer Gesellschaft überdurchschnittlich viel verdienen können: das widerspricht der Definition von Durchschnitt.
Legt man allerdings eine relative Armutsdefinition an und erkennt, daß die Grundlage für Reichtum, nämlich Produktion und Handel, kein Nullsummenspiel ist, stellt sich die Sache völlig anders dar. Durch Produktion findet bis zu einem gewissen Grad echte Wertschöpfung statt. Und Handel ist deshalb kein Nullsummenspiel, weil üblicherweise zu beiderseitigem Vorteil gehandelt wird. Dazu dürfen die Verhandlungspositionen bezogen auf ihre Stärke nicht völlig verschieden sein. Und um an dieser Stelle dem sechsten Punkt vorzugreifen: Um eine völlig ungleiche Verteilung der Stärke von Verhandlungspositionen, die in Knebelverträge münden können, einigermaßen auszugleichen, halte ich durchaus Eingriffe in die Vertragsfreiheit der beiden Handelspartner für zulässig – als einer von wenigen Punkten, in denen dies zulässig, hier quasi geboten ist.
Ein Nullsummenspiel bedeutet kurz gesagt „des einen Gewinn ist des anderen Verlust“. Das diese Betrachtungsweise bezüglich wirtschaftlichen Handels naiv und unzutreffend ist, zeigt sich beispielsweise darin, daß die reichen Länder diejenigen sind, die viel handeln (und dabei kaufen und verkaufen, vor allem untereinander). Auf der anderen Seite ist Autarkie der Tod allen Reichtums, wie die Erfahrung der letzten Jahrzehnte an den Ländern mit freiwilliger (Nordkorea, Albanien) oder auch unfreiwilliger Autarkie (Embargo genannt) zeigt.
Ist aber Handel kein Nullsummenspiel, muß Reichtum nicht zwangsläufig (absolute) Armut erzeugen.
Anhänger der These, Handel sei ein Nullsummenspiel und Armut die Kehrseite der Medaille von Reichtum, neigen dazu, zu behaupten, es sei genug Reichtum vorhanden, er müsse nur gerecht verteilt werden. Unklar ist dabei sowohl, was diejenigen unter gerecht verstehen als auch, sofern ein klarer Gerechtigkeitsbegriff vorhanden ist, wie eine Verteilung aussehen muß, um gerecht zu sein. Ich bin der Meinung, es ist einfacher einen größeren Kuchen zu backen als die vorhandenen Stücke des Kuchens zu verteilen, wenn man eine Verteilung anstrebt, deren Gerechtigkeit sowohl sozialen als auch rechtsstaatlichen Ansprüchen – also verschiedenen Aspekten der Gerechtigkeit – genügen soll.
Ich möchte an dieser Stelle kurz darauf eingehen, daß man das Recht auch als Instrument der Klassenherrschaft betrachten kann, wie beispielsweise Lenin es in seinem Werk „Staat und Revolution“ tut, wobei er sich explizit auf Marx und Engels beruft. Ich teile allerdings Lenins Auffassungen sehr selten und so auch hier nicht. Allen Absurditäten des Rechtswesens zum Trotz halte ich den Rechtsstaat für eine elementare Bedingung der Freiheit und für in Deutschland auch in ganz weiten Zügen verwirklicht. Erwähnen wollte ich dies deshalb, weil bei einer Ablehnung des Rechtsstaates eine Verteilung natürlich auf rechtsstaatliche Erfordernisse keine Rücksicht zu nehmen hat und sich einzig an dem orientieren kann, was man als gerecht verkauft.
Ad 7)
Das Erbrecht ermöglicht es einem, neben kulturellem Wissen, Erziehung und Moral auch finanzielle Vermögen an seine Nachkommen, seine Familie weiterzugeben. Klar ersichtlich ist, daß jede Weitergabe der oben genannten Güter Ungleichheit schafft oder verstärkt. Es ist nicht mit Verdienst verbunden, in einer Familie geboren zu werden, die einem eines oder mehrere dieser Güter in hohem Maße zukommen lassen kann. Allerdings bedeutet die Tatsache, daß gewisse Ungleichheiten auf Geburt und ererbtem Vermögen, letzlich also der menschlichen Einrichtung Familie beruhen, weder, daß eine Gesellschaft diese Vorteile allen bieten könnte (um die Vorteile durch angeborene Anlagen, zu denen ich hier auch zähle, in einer bestimmten Familie geboren zu sein, auszugleichen), noch daß sie anderen weggenommen werden, indem sie manchen gegeben sind. Ist man wie ich der Meinung, daß es wünschenswert ist, Eltern, die fast instinktbedingt für eine möglichst gute Vorbereitung ihrer nachkommenden Generation sorgen, zu unterstützen, ist kein rationaler Grund ersichtlich, diese Vorbereitung auf nichtmaterielle Vorteile zu beschränken. Ich bin davon überzeugt, daß das Erbrecht, das übrigens finanziell eine Streuung des Kapitalbesitzes bewirkt, sich für eine Gesellschaft positiv auswirkt.
Bedenklich ungerecht wirken sich derartige Vorteile und Ungleichheiten erst aus, wenn die Familie die einzige oder wichtigste Möglichkeit in einer Gesellschaft ist, Einkommen, Vermögen oder auch Wissen zu erlagen.
Im letzten Punkt hat in Deutschland gerade die PISA Studie gezeigt, daß der Bildungserfolg von Kindern stark von dem in ihrem Elternhaus vorherrschenden Bildungsgrad abhängt. Eigentlich hätte dies kaum jemanden verwundern dürfen. Wenn die öffentliche Hand ihrem Bildungsauftrag kaum noch nachkommt, bevorteilt dies diejenigen, denen andere Bildungsquellen zur Verfügung stehen, naturgemäß noch mehr. Das Niveau an den Schulen, der Wert der Abschlüsse, die personelle und finanzielle Ausstattung der Schulen, die Zahl der Lehrerkräfte bezogen auf die Zahl der Schüler und die Rechtssicherheit der Lehrer und Lehrerinnen bezüglich der – nach wie vor ungeklärten – Frage, ob sie lediglichen Wissen vermitteln oder auch erziehen sollen: All das ist im letzten Vierteljahrhundert mehr oder weniger schlechter geworden. Ironischerweise erweist sich m.E. gerade dadurch die vielfach egalitäre Schulpolitk der Sozialdemokraten als sozial ungerecht. (Viele Punkte – außer der Wertigkeit der Abschlüsse durch etwas höheres Niveau – hat oder hätte zugegebenermaßen auch die Opposition nicht wesentlich besser gemacht.)
Ich bin der Meinung, das Erbrecht selbst ist werder ungerecht noch unmoralisch. Gerechtigkeit kann nicht bedeuten, daß echte Chancengleichheit besteht. Unmoralisch kann jedoch die Art und Weise sein, mit einem geerbten Vermögen, das ja niemals auf eigenem Verdienst beruht, umzugehen.
Mit der Bitte um konstruktive Kritik
Grüße
John