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Vollständige Version anzeigen : Herausforderung Konservatismus



Mcp
04.06.2007, 17:08
Unter dieser Überschrift antwortet Pater Niklaus Pfluger auf einen Artikel von Peter Kunze, der an gleicher Stelle für einen „aufgeklärten“ Konservatismus plädierte. Die Debatte schärft den Blick für das Wesen des Konservativen, deshalb sei eine kurze Zusammenfassung der Argumente versucht:

Der Konservative ist von der Existenz ewiger, unveränderlicher Wahrheiten überzeugt. Er erkennt in allen Epochen und Geistesströmungen dieselben wirkenden Prinzipien und abstrahiert diese von ihrer konkreten Form, ihrer historischen oder gegenwärtigen Realisation. Dieses Herangehen erfordert profunde Kenntnisse der Geistesgeschichte, von denen nach 40 Jahren Reformpädagogik nicht mehr viel übrig geblieben ist.

Konservatismus ist geschichtlich die Gegenbewegung zur Aufklärung, die Antwort auf die unermesslichen Verheerungen die nach 1789 über Europa und die Welt hereinbrachen. Nicht der Sturm auf die Bastille, sondern die Zerstörung von Cluny und das grausige Massenorden in der Vendee verbindet er als Menetekel für die Zukunft mit der Französischen Revolution.

Die Ablehnung der Moderne ist der „Grund-Impetus“, die Wurzel alles konservativen Denkens. Die Moderne propagiert der Autonomie: die des Menschen von Gott, die der Kultur von der Natur. Der Konservative will Autarkie und es ist hier auch der grundlegende Unterschied der Freiheitsauffassung festzumachen. Die Autonomie, verstanden als Selbstgesetzgebung im Sinne Kants, duldet keine äußeren Eingriffe, keine höhere Ethik, sondern ist vielmehr dazu verdammt, die selbst gegebenen Gesetze anderen aufzuzwingen. Menschenrechts-Imperialismus ist zwar ein linker Begriff, doch trifft er den Kern moderner Gleichmacherei, indem sich Kommunismus und Amerikanismus verblüffend ähneln.

Die Autarkie hingegen neigt zur Askese, zur Selbstbescheidung und die Betonung eines bewirtschafteten Eigentums als Grundlage unabhängiger, selbstbestimmter Existenz. Der Konservative vertritt das Naturrecht gegen den Positivismus, genauso wie die Existenz und Autorität einer übermenschlichen (göttlichen) Ethik, deren Grundlagen seit Aristoteles unverändert gelten, gegen den Subjektivismus. Das sind die geistigen Basics des Konservatismus, wer diese nicht teilt, so Pater Pfluger , ist vielleicht sogar ein netter Mensch, nur eben konservativ ist er mit Sicherheit nicht. Konservatives Denken beginnt mit Juan Donoso Cortés, wird fortgeführt bei Carl Schmitt, Leo Strauss und Nicolás Gómez Dávila .

Der Konservatismus braucht Institutionen, um die er sich formieren und reproduzieren kann. In Deutschland war konservatives Denken immer zwischen den katholisch-europäisch-abendländischen Ansatz und dem protestantisch-preußisch-deutschnationalen geteilt.

„Bei aller Sympathie für die kulturellen Leistungen des Preußentums wird ein neuer deutscher Konservatismus nicht umhinkönnen zu akzeptieren, dass der 8. Mai 1945 das Ende des kulturellen deutschen Sonderwegs gewesen ist. Es war das Finis Germaniae. Man kann dem nachtrauern, man kann es leugnen, ändern kann man es nicht.“ [1] Die Reformation, eine historische Besonderheit Deutschlands, ist praktisch und geistig beendet.

Ein neuer Konservatismus will er die linke Dominanz des Denkens brechen, muss sich folgerichtig der katholischen Kirche (nicht unbedingt im Glauben) öffnen, die geschichtlichen Leistungen Preußens und Deutschlands würdigen und den Staat zugunsten der Familie auf seine Kernkompetenzen zurückschneiden wollen. Er muss sich wohl transatlantisch absichern und partiell verbünden, sich aber zugleich auf jene Wurzeln und Werte besinnen, die das Abendland bis zum 14. Juli 1789 so unverwechselbar prägten.

[1] Junge Freiheit; Nr. 23/07; 1. Juni 2007; 22. Jahrgang; Seite 18

derNeue
04.06.2007, 17:44
Guter Text, überzeugende Definition. Bis auf die Sache mit dem "deutschen Sonderweg"-den hat es nie gegben, er ist eine Fiktion der Alliierten. Und das "finis germaniae" muß man auch nicht gleich einläuten.
Übrigens wird hier nicht klar: ist der ganze Artikel aus der JF oder nur das Zitat?

Salazar
04.06.2007, 17:53
Klasse. :) Den Text von Niklaus Pfluger habe ich soeben gelesen und wollte ihn hier reinstellen. Wirklich gut. Könnte bei dieser Konservatismusdefinition (mit ein paar Detailkorrekturen) gleich mit einsteigen - allerdings ist auch an den Einwänden vom Neuen etwas dran.

Mcp
04.06.2007, 18:06
Guter Text, überzeugende Definition. Bis auf die Sache mit dem "deutschen Sonderweg"-den hat es nie gegben, er ist eine Fiktion der Alliierten. Und das "finis germaniae" muß man auch nicht gleich einläuten.
Übrigens wird hier nicht klar: ist der ganze Artikel aus der JF oder nur das Zitat?

Das Zitat ist wörtlich, der Rest Zusammenfassung mit persönlichen Gewichtungen. Der gute Pater betont das Katholische zu sehr. Das könnte potentielle Interessenten anderer Konfessionen abschrecken. Ansonsten brauchen der Konservatismus die Kirche als Plattform für die Sammlung, Diskussion und Reproduktion heute genauso dringend, wie die ehemalige Opposition in der Ex-DDR.

Hexenhammer
04.06.2007, 18:12
Interessanter Text, nur:


Die Reformation, eine historische Besonderheit Deutschlands, ist praktisch und geistig beendet.

Das hoffe ich nicht.

SteveFrontera
04.06.2007, 18:16
Konservative können durchaus modern sein, vor allem wenn es um die Förderung der Technik und der Wissenschaft geht. Die Technik prägt immer stärker unser Leben. Von der Religion ist immer seltener die Rede, egal ob es sich um Protestanten oder Katholiken handelt.

Mcp
04.06.2007, 18:20
Klasse. :) Den Text von Niklaus Pfluger habe ich soeben gelesen und wollte ihn hier reinstellen. Wirklich gut. Könnte bei dieser Konservatismusdefinition (mit ein paar Detailkorrekturen) gleich mit einsteigen - allerdings ist auch an den Einwänden vom Neuen etwas dran.

Ich bin für alle Diskussionen offen. Das was Pluger geschrieben hat, ist die konsequenteste Form des Konservatismus. Alles andere ist das Hecheln nach dem Hegelschen Zeitgeist und schon im Ansatz opportunistisch. Ein Konservativer kann sich mit dem Zeitgeist nicht versöhnen, weil er sein eigentlicher Hauptfeind ist. Der Konservatismus von Pluger läßt sich zudem mit den klassischen Traditionalismus verbinden, was mir persönlich sehr zusagt. Zudem trifft er die Intentionen von Carl Schmitt politischer Theologie.

Efna
04.06.2007, 18:24
Wollt ihr wirklich ein Europa das wie vor 1789 ist? Sicherlich gab es viele Grausamkeiten während der franz. Revolution, aber das was davor war, war alles andere als besser. Man kann durch das Verharren nicht voran kommen....

Mcp
04.06.2007, 18:27
Das hoffe ich nicht.

Das hängt sehr von den Protestanten selber ab. Konservatismus ist jedenfalls das Letzte, was man dieser Kirche zur Zeit vorwerfen kann. Kürzlich bestimmten die Eheprobleme einer "Bischöfin" die Schlagzeilen der Presse. Bitte!

Mcp
04.06.2007, 18:34
Wollt ihr wirklich ein Europa das wie vor 1789 ist? Sicherlich gab es viele Grausamkeiten während der franz. Revolution, aber das was davor war, war alles andere als besser. Man kann durch das Verharren nicht voran kommen....

Sie sollten nicht so viel aufklärerische Propaganda konsumieren. Das Mittelalter war vieles, nur finster war es nicht. Schauen Sie sich die Bauwerke jener Zeit an und lernen sie wieder staunen. Alles was die Moderne hervorbrachte ist gemessen an dieser Kultur vom Grunde auf häßlich. Aber keine Angst, niemand will dorthin zurück oder die Inquisition wieder einführen. Obwohl ... :D

Efna
04.06.2007, 18:40
Sie sollten nicht so viel aufklärerische Propaganda konsumieren. Das Mittelalter war vieles, nur finster war es nicht. Schauen Sie sich die Bauwerke jener Zeit an und lernen sie wieder staunen. Alles was die Moderne hervorbrachte ist gemessen an dieser Kultur vom Grunde auf häßlich. Aber keine Angst, niemand will dorthin zurück oder die Inquisition wieder einführen. Obwohl ... :D

An Bauwerken kann man so etwas nicht messen. Die Traditionellen Monarchien in Europa waren am Ende besonders das Ancien Regim in Frankreich, Europa wäre ohne diese Revolution zum Stillstand verurteilt. Wie gesagt es ist richtig das sehr viele Grausamkeiten in der franz. Revolution gab aber sie hatt ein total veraltetes Gesellschaftsystem beseitigt was schon lange vorher am ende war. Hässlich und schjön sind Relative Begriffe.

Mcp
04.06.2007, 18:43
Konservative können durchaus modern sein, vor allem wenn es um die Förderung der Technik und der Wissenschaft geht. Die Technik prägt immer stärker unser Leben. Von der Religion ist immer seltener die Rede, egal ob es sich um Protestanten oder Katholiken handelt.

Das Bildungsideal wäre wirklich ein Thema. Nein gegen Wissen, Technik oder Wissenschaft lässt sich nichts einwenden, nur müsste nicht nur über die Definition derselben (Klimadebatte), ihre Zugänge und die Frage der unkontrollierten Wissensverbreitung nachgedacht werden. In Zeiten, in denen Atomwaffen in die Reichweite von Einzelpersonen geraten, muß man manche Fragen neu bewerten. Sowohl in der Antike, als auch im Mittelalter war Wissen stets geheim und der Zugang zu ihm streng selektiert.

Mcp
04.06.2007, 19:15
An Bauwerken kann man so etwas nicht messen. Die Traditionellen Monarchien in Europa waren am Ende besonders das Ancien Regim in Frankreich, Europa wäre ohne diese Revolution zum Stillstand verurteilt. Wie gesagt es ist richtig das sehr viele Grausamkeiten in der franz. Revolution gab aber sie hatt ein total veraltetes Gesellschaftsystem beseitigt was schon lange vorher am ende war. Hässlich und schjön sind Relative Begriffe.

Die Französische Revolution war genauso wenig zwangsläufig, wie die Englische unter Cromwell. Der Absolutismus war eine Besonderheit Frankreichs, er resultierte aus der Schwäche der Adelsfronde. Zum Schluss hatte der dämliche König den gesamten Hochadel zwangsweise am Hofe versammelt und so ihre Machtgrundlagen zerstört. Nur deshalb war die französische Revolution möglich. Im Übrigen gegen den harten Widerstand großer Teile der ländlichen Bevölkerung, die bis zum Ende königstreu blieb. In der Vendee gibt es Rathäuser auf denen bis heute noch keine Trikolore geweht hat. Die Revolution war eine Angelegenheit des Vorstadtpöbels.

Gemessen an den gewaltigen und blutigen Exzessen der Moderne, war das Mittelalter geradezu ein humanistisches Paradies. In weiten Teilen Europas herrschte jahrhundertelang Frieden. Im Dreißigjährigen Krieg kündigt sich ja schon die Moderne in Form der Reformation an. Hier schon werden Ideen geboren, die sich im Nachhinein als unmenschlich erweisen. Jeder verdammte Großideologie, verantwortlich für Millionen Tode, beruft sich auf die Aufklärung durch den Pariser Salonlöwen, Weiberheld und überführten Silberlöffeldieb Voltaire, der Prototyp eines schmierigen Gebrauchtwagenhändlers. Rousseaus Gesellschaftsvertrag ist eine dümmliche, intellektuell unterbelichtete Utopie und Kant hat sich vorzugsweise in seinen seitenlangen Schachtelsätzen verhaspelt, weil, wenn man sie haarklein auseinandernimmt, entweder auf unglaubliche Banalitäten (der Gute ist gut) oder logische Tautologien stößt.

Ich schreibe mich jetzt in Wut, deshalb breche ich an dieser Stelle ab. :))

derNeue
04.06.2007, 19:42
Ein neuer Konservatismus will er die linke Dominanz des Denkens brechen, muss sich folgerichtig der katholischen Kirche (nicht unbedingt im Glauben) öffnen, die geschichtlichen Leistungen Preußens und Deutschlands würdigen und den Staat zugunsten der Familie auf seine Kernkompetenzen zurückschneiden wollen.

Ein neuer Konservativismus müßte sich beiden Kirchen öffnen, auch der preußisch-evangelischen Tradition. Einige in der alten Generation der CDU und FDP haben diese Tradition ja noch vertreten, Lummer, Alexander von Stahl, Dregger. Aber auch für die Nicht-Christen unter den Konservativen muß die Kirche als wichtiger Bestandteil unserer Tradition geachtet werden. Ein Konservativer wird nie dem Egalitarismus des Zeitgeistes folgen und etwa den Islam als gleichberechtigt neben die christliche Kirche stellen.
Aber ist hier nicht in erster Linie die Kirche selbst gefordert? Vor allem (aber nicht nur!) die evangelische hat den Konservativismus (im Sinne des Bewahrens ihrer ursprünglichen Werte) doch verraten und läuft längst dem Zeitgeist hinterher. Genau wie es übrigens auch im dritten Reich vor allem die evangelische Kirche war, die dem damaligen Zeitgeist hinterhergelaufen war.

Mcp
04.06.2007, 20:04
Ein neuer Konservativismus müßte sich beiden Kirchen öffnen, auch der preußisch-evangelischen Tradition.
Die Frage ist nicht, ob er für diese Traditionen offen ist, sondern ob er dort willkommen ist und ein Dach findet. Die öffentliche Repräsentanz der protestantischen Geistlichkeit spricht dagegen. Ihre Anbiederungen an den Zeitgeist sind genauso widerlich, wie ihre willige Vereinnahmung im "Kampf gegen Rechts" zeigt. Zudem schweigen sie weite Teile ihres Erbes einfach weg. Auch bei der Verkündigung von Gottes Wort haben diese Herrschaften mehr Defizite als Vorzüge.
Nur in einem haben Sie recht, der neue Konservatismus ist weniger national, als es der Alte war. Das Deutsche Reich vom 1871 ist mit dem Dritten Reich endgültig untergangen. Die Macht des Faktischen muss hier endlich ankommen, eine Heilung dieser Katastrophe wird es nicht geben. Die Zukunft Deutschlands liegt in Europa, dass durchaus zum Nachfolger des HRRDN werden könnte. Nur sollten wir dort dringend dafür sorgen, dass sich unsere ökonomische Stärke auch im Politischen spiegelt.

Dyamond
04.06.2007, 20:24
Die Frage ist nicht, ob er für diese Traditionen offen ist, sondern ob er dort willkommen ist und ein Dach findet.


Womit das Kernproblem auf den Punkt gebracht wurde.
Kirchen und tradierte Vereine sind prädestiniert dafür, konservatives Gedankengut zu tragen, zu entwickeln und zu verbreiten. Leider hat eben gerade die evangelische Kirche im Versuch, dem Mitgliederschwund entgegenzuwirken, den genau entgegengesetzten Weg eingeschlagen und damit in völliger Verkennung der Diskrepanz zwischen Medien- und Volksmeinung den Mitgliederschwund wohl noch verstärkt.

Auch könnte ich mir eine Art studentisches "Gegen-68" und einen Marsch durch die Institutionen von konservativer Seite her vorstellen. Ob dies mit der heutigen bzw. der Studentenschaft der nahen Zukunft machbar ist, wage ich jedoch zu bezweifeln.

SteveFrontera
04.06.2007, 20:40
Die Französische Revolution war genauso wenig zwangsläufig, wie die Englische unter Cromwell. Der Absolutismus war eine Besonderheit Frankreichs, er resultierte aus der Schwäche der Adelsfronde. Zum Schluss hatte der dämliche König den gesamten Hochadel zwangsweise am Hofe versammelt und so ihre Machtgrundlagen zerstört. Nur deshalb war die französische Revolution möglich. Im Übrigen gegen den harten Widerstand großer Teile der ländlichen Bevölkerung, die bis zum Ende königstreu blieb. In der Vendee gibt es Rathäuser auf denen bis heute noch keine Trikolore geweht hat. Die Revolution war eine Angelegenheit des Vorstadtpöbels.

Gemessen an den gewaltigen und blutigen Exzessen der Moderne, war das Mittelalter geradezu ein humanistisches Paradies. In weiten Teilen Europas herrschte jahrhundertelang Frieden. Im Dreißigjährigen Krieg kündigt sich ja schon die Moderne in Form der Reformation an. Hier schon werden Ideen geboren, die sich im Nachhinein als unmenschlich erweisen. Jeder verdammte Großideologie, verantwortlich für Millionen Tode, beruft sich auf die Aufklärung durch den Pariser Salonlöwen, Weiberheld und überführten Silberlöffeldieb Voltaire, der Prototyp eines schmierigen Gebrauchtwagenhändlers. Rousseaus Gesellschaftsvertrag ist eine dümmliche, intellektuell unterbelichtete Utopie und Kant hat sich vorzugsweise in seinen seitenlangen Schachtelsätzen verhaspelt, weil, wenn man sie haarklein auseinandernimmt, entweder auf unglaubliche Banalitäten (der Gute ist gut) oder logische Tautologien stößt.

Ich schreibe mich jetzt in Wut, deshalb breche ich an dieser Stelle ab. :))


Eine wirklich interessante Geschichtsinterpretation. Ich zähle Voltaire trotzdem zur geistigen Elite der damaligen Zeit. Er war nicht nur philosophisch brillant, sondern auch ein guter Erzähler. "Candide" ist ein großartiger Roman, der viel über die Niedertracht des menschlichen Wesens offenbart.

Deine Kritik an Kant kann ich durchaus nachvollziehen.

Mcp
04.06.2007, 20:52
Womit das Kernproblem auf den Punkt gebracht wurde.
Kirchen und tradierte Vereine sind prädestiniert dafür, konservatives Gedankengut zu tragen, zu entwickeln und zu verbreiten. Leider hat eben gerade die evangelische Kirche im Versuch, dem Mitgliederschwund entgegenzuwirken, den genau entgegengesetzten Weg eingeschlagen und damit in völliger Verkennung der Diskrepanz zwischen Medien- und Volksmeinung den Mitgliederschwund wohl noch verstärkt.

Bei den Protestanten wirken vielerlei Ursachen. Eine ist ihre viel tiefere Verstrickung in die Nazizeit, eben aufgrund ihrer militaristischen und antisemitischen Traditionen. Aber man kann eine vernünftige Aufarbeitung dieser Vergangenheit nicht von außerhalb herbeireden. Das wird nur gehen, wenn sich Menschen innerhalb der Kirche finden. Aber die sind nicht in Sicht und die, die es tun, sind antinationale und deutschfeindliche Dummköpfe.


Auch könnte ich mir eine Art studentisches "Gegen-68" und einen Marsch durch die Institutionen von konservativer Seite her vorstellen. Ob dies mit der heutigen bzw. der Studentenschaft der nahen Zukunft machbar ist, wage ich jedoch zu bezweifeln.


Studenten gibt es schon, sowie Sascha Jung, dessen Fall ich in diesen Strang dokumentiert habe: Der Fall Sascha Jung (http://www.politikforen.de/showthread.php?t=43104). Aus dem aktiven Widerstand gegen solche staatlichen Dummheiten kann man schon Bewegungen formen. Und Beckstein ist für wirkliche Konservative ein Geschenk Gottes, weil er dabei ist, nicht nur den Hass der radikalen Linken, sondern auch den der konservativen Rechten zu entfachen.

Mcp
04.06.2007, 21:07
Eine wirklich interessante Geschichtsinterpretation.
Wenn ich richtig loslege, ernte ich immer ungläubige Blicke.



Ich zähle Voltaire trotzdem zur geistigen Elite der damaligen Zeit. Er war nicht nur philosophisch brillant, sondern auch ein guter Erzähler. "Candide" ist ein großartiger Roman, der viel über die Niedertracht des menschlichen Wesens offenbart.

Bitte, natürlich geistige Elite seiner Zeit. In gewisser Weise sogar Prototyp eines modernen "Denkers", vergleicht man Leben und Werk, beschleicht einen der nicht von der Hand zu weisende Verdacht, dass er an das, was er schrieb, selbst nicht glaubte. "Candide" zeugt davon, dass sich dieser Herr in der Niedertracht des Menschen bestens ausgekannt haben muss. Und, die Welschen sollen das philosophieren lassen, entweder kommen Katastrophen oder Dummheiten heraus.

Heinrich_Kraemer
04.06.2007, 21:13
Ein sehr schöner und wichtiger Strang. Denn eine klare Bestimmung des Konservativen ist heutzutage notwendiger denn je, aufgrund der dreisten Vermischung mit liberalen und gar sozialistischen Positionen.

Der Konservati(vi)smus ist die Reaktion auf die Aufklärung. Es wird eine Verbindung zwischen kirchlichen und liberalen, atheistischen Positionen hergestellt. Zwischen Adel und Bürgern.

Konservatismus ist insofern niemals altbackener Traditionalismus, sondern stets dynamisch revolutionär, weil er die ungedachten Konstanten beider Positionen freilegt und dadurch jegliche Theorie auf Beständigkeit abklopft. Darauf werden die freigelegten Positionen präzisiert und radikalisiert.

In der Kunst ist die Romantik Äquivalent zum konservativen Denken: Nicht der Mensch ist der Nabel der von ihm beherrschten Welt, sondern der Mensch wird als Individuum, eingebunden in die Natur, gesehen. Die Natur wird als überlegene, bedrohliche Gewalt dargestellt, die dem Menschen seine Begrenztheit und seinen Verfall vor Augen führt, aber auch insofern seine eigene Natur sinnbildlich freilegt. C.D. Friedrich hat excellente Studien dazu angefertigt. In der Spätromantik wird sich dann v.a. über das städtische Spießbürgertum belustigt, jedoch mit einer melancholischen Selbstironisierung und somit Selbstreflexion, wie bspw. bei Spitzweg.

Salazar
04.06.2007, 22:01
Die Französische Revolution war genauso wenig zwangsläufig, wie die Englische unter Cromwell. Der Absolutismus war eine Besonderheit Frankreichs, er resultierte aus der Schwäche der Adelsfronde. Zum Schluss hatte der dämliche König den gesamten Hochadel zwangsweise am Hofe versammelt und so ihre Machtgrundlagen zerstört. Nur deshalb war die französische Revolution möglich. Im Übrigen gegen den harten Widerstand großer Teile der ländlichen Bevölkerung, die bis zum Ende königstreu blieb. In der Vendee gibt es Rathäuser auf denen bis heute noch keine Trikolore geweht hat. Die Revolution war eine Angelegenheit des Vorstadtpöbels.

Gemessen an den gewaltigen und blutigen Exzessen der Moderne, war das Mittelalter geradezu ein humanistisches Paradies. In weiten Teilen Europas herrschte jahrhundertelang Frieden. Im Dreißigjährigen Krieg kündigt sich ja schon die Moderne in Form der Reformation an. Hier schon werden Ideen geboren, die sich im Nachhinein als unmenschlich erweisen. Jeder verdammte Großideologie, verantwortlich für Millionen Tode, beruft sich auf die Aufklärung durch den Pariser Salonlöwen, Weiberheld und überführten Silberlöffeldieb Voltaire, der Prototyp eines schmierigen Gebrauchtwagenhändlers. Rousseaus Gesellschaftsvertrag ist eine dümmliche, intellektuell unterbelichtete Utopie und Kant hat sich vorzugsweise in seinen seitenlangen Schachtelsätzen verhaspelt, weil, wenn man sie haarklein auseinandernimmt, entweder auf unglaubliche Banalitäten (der Gute ist gut) oder logische Tautologien stößt.

Ich schreibe mich jetzt in Wut, deshalb breche ich an dieser Stelle ab. :))

Mcp, grossartig! :]

Mcp
04.06.2007, 22:15
Ein sehr schöner und wichtiger Strang. Denn eine klare Bestimmung des Konservativen ist heutzutage notwendiger denn je, aufgrund der dreisten Vermischung mit liberalen und gar sozialistischen Positionen.
Gut es gibt Schnittmengen, mit beiden Ideologien. Das Zurückschneiden des Staates auf seine „Kernkompetenzen“ fordert wohl jeder Liberale, aber schon beim Freiheitsbegriff sehe ich erhebliche Unterschiede. Das Ideal des Liberalen ist die Autonomie, die des Konservativen gründet sich auf Autarkie. Mit dem Sozialismus verbindet die Konservativen alles, was unter dem Begriff der katholischen Soziallehre subsumiert wird. Vielleicht noch ein wenig Spengler. Die scharfe Ablehnung aller linken Sozialstaatstheorien ist der Eigentumsfrage geschuldet. Als Grundlage jeglicher Freiheit und Unabhängigkeit kann ein Konservativer aus meiner Sichtin Bezug auf das Eigentum niemanden Zugeständnisse machen, der Nutzungsrechte einschränken oder es gar vergesellschaften will.



Konservatismus ist insofern niemals altbackener Traditionalismus, sondern stets dynamisch revolutionär, weil er die ungedachten Konstanten beider Positionen freilegt und dadurch jegliche Theorie auf Beständigkeit abklopft. Darauf werden die freigelegten Positionen präzisiert und radikalisiert.


Traditionalismus muss nicht altbacken sein. Julius Evola hat mir einen völlig neuen Blick auf die Ideengeschichte beschert. Seine „Revolte gegen die moderne Welt“ ist anfangs gewöhnungsbedürftig, weil vollkommen fremd, aber, wer sich darauf einlässt, wird belohnt.



In der Kunst ist die Romantik Äquivalent zum konservativen Denken: Nicht der Mensch ist der Nabel der von ihm beherrschten Welt, sondern der Mensch wird als Individuum, eingebunden in die Natur, gesehen. Die Natur wird als überlegene, bedrohliche Gewalt dargestellt, die dem Menschen seine Begrenztheit und seinen Verfall vor Augen führt, aber auch insofern seine eigene Natur sinnbildlich freilegt. C.D. Friedrich hat excellente Studien dazu angefertigt. In der Spätromantik wird sich dann v.a. über das städtische Spießbürgertum belustigt, jedoch mit einer melancholischen Selbstironisierung und somit Selbstreflexion, wie bspw. bei Spitzweg.

An die Romantik anknüpfen und die losen Fäden wieder aufnehmen wäre eine wichtige Aufgabe, schon deshalb weil dieses unsere Fortschrittler am meisten nerven würde. Der verspießerte Weltstadtbürger hält sich heute selbst für cool, aufgeklärt, modern und fortschrittlich und pflegt einen Hyperhumanismus, der schon ans Lächerliche grenzt. Spengler karikiert diesen Typus sehr treffend in seinem Untergang. Wir bräuchten eine neue kopernikanische Wende, die den Menschen aus dem Zentrum des anthropogenen Weltbild verbannt. Statt dessen wird tatsächlich eine anthropologische These in der Kosmologie diskutiert. Der normale Mensch überschätzt die Möglichkeiten so maßlos, dass man stellenweise Größenwahn diagnostizieren muss.

Mcp
05.06.2007, 06:33
Edmund Burke gilt heute vielen als Vater des Konservatismus, weil er einer der ersten war, die sich entschieden gegen die Aufklärung und Französische Revolution gestellt haben. Seine wichtigsten Thesen seinen hier holzschnittartig zusammengefasst:

Man kann eine Gesellschaft nicht konstruieren, sie muss auf natürlichem Wege durch Versuch und Irrtum schrittweise entstehen. Der Mensch kann nicht an die Gesellschaft angepasst werden, sondern umgekehrt muss die Gesellschaft sich nach dem Menschen formen, sie muss sich auf natürlichem Wege durch Versuch und Irrtum von selbst entfalten. Über diesen Prozess häuft die Gesellschaft über die Jahrhunderte Wissen an, das sich in Tradition, Sitten und Gebräuchen wieder findet, deren Weisheit ein Einzelner nie erreichen kann. Eine effiziente Gesellschaft entwickelt sich auf dem Weg der sozialen Evolution, jede Revolution bedeutet einen Rückschritt, einen schwer heilbaren Bruch der historischen Kontinuität.

Nichts in der Natur ist demokratischer Art. Überall herrscht das Prinzip der Hierarchie. Sie ist die natürliche Ordnung der Welt. An der Spitze der Hierarchien stehen die Eliten. Ein jeder findet einen Platz, der seinen natürlichen Fähigkeiten gerecht wird. Sie (die Fähigkeiten, Talente, Begabungen) zu entfalten, sie zur Kunst zu entwickeln, ist ein Grundanliegen natürlicher Gesellschaften. Nicht Gleichmacherei, sondern in der Anerkennung natürlicher Ungleichheit liegt der Schlüssel zur Entfaltung des Individuums als wertvolles Mitglied der Gemeinschaft. Aus Ungleichheiten resultieren unvermeidlich natürliche soziale Schichtungen.

Das Staatverständnis Burkes hat Ludwig Windthorst einmal so zusammengefasst:
„Wir hören auf vielen Stellen die Lehren vom omnipotenten Staate. Der Staat soll alle Lebensverhältnisse der Menschen ordnen, außer ihm ist gar nichts ... Wenn wir die Sozialdemokratie mit Erfolg bekämpfen wollen, dann müssen wir zunächst diese Lehre vom omnipotenten Staate aufgeben, dann müssen wir vor allen Dingen anerkennen, dass es Rechte, Institutionen gibt, welche eine andere Basis haben als die des Staates, wir müssen anerkennen, dass es Rechte gibt, die älter sind als der Staat, dass der Staat nicht der allein Recht erzeugende ist, dass er vielmehr nur darum ist, um die gegebenen Rechte zu schützen, nicht aber um sie nach Willkür und nach Zweckmäßigkeitsgründen zu modeln."

Efna
05.06.2007, 09:23
Die Französische Revolution war genauso wenig zwangsläufig, wie die Englische unter Cromwell. Der Absolutismus war eine Besonderheit Frankreichs, er resultierte aus der Schwäche der Adelsfronde. Zum Schluss hatte der dämliche König den gesamten Hochadel zwangsweise am Hofe versammelt und so ihre Machtgrundlagen zerstört. Nur deshalb war die französische Revolution möglich. Im Übrigen gegen den harten Widerstand großer Teile der ländlichen Bevölkerung, die bis zum Ende königstreu blieb. In der Vendee gibt es Rathäuser auf denen bis heute noch keine Trikolore geweht hat. Die Revolution war eine Angelegenheit des Vorstadtpöbels.

Gemessen an den gewaltigen und blutigen Exzessen der Moderne, war das Mittelalter geradezu ein humanistisches Paradies. In weiten Teilen Europas herrschte jahrhundertelang Frieden. Im Dreißigjährigen Krieg kündigt sich ja schon die Moderne in Form der Reformation an. Hier schon werden Ideen geboren, die sich im Nachhinein als unmenschlich erweisen. Jeder verdammte Großideologie, verantwortlich für Millionen Tode, beruft sich auf die Aufklärung durch den Pariser Salonlöwen, Weiberheld und überführten Silberlöffeldieb Voltaire, der Prototyp eines schmierigen Gebrauchtwagenhändlers. Rousseaus Gesellschaftsvertrag ist eine dümmliche, intellektuell unterbelichtete Utopie und Kant hat sich vorzugsweise in seinen seitenlangen Schachtelsätzen verhaspelt, weil, wenn man sie haarklein auseinandernimmt, entweder auf unglaubliche Banalitäten (der Gute ist gut) oder logische Tautologien stößt.

Ich schreibe mich jetzt in Wut, deshalb breche ich an dieser Stelle ab. :))

Blutige Exzesse gab es in der Moderne wie in der ganzen Menscheitsgeschichte. Ich denke das du doch ein ziemlich verklärtes Bild von der Vormodernen Zeit hast. Sicherlich hatt die Moderne ihre Propleme, trotz alledem bin ich froh in ihr zu wohnen. Den wenn man sich die Zeiten in Europa vor der Moderne anschaut sieht man:
-Zwangsehe
-Standesgesellschaften und Feudalismus
-religiöser Fanatismus und Fundamentalismus
-Theokratische ausgerichtete Staaten
-keine Gleichberechtigung
-keine Menschenrechte und Demokratie
-Patriarchat
Ehrlich gesagt darauf habe ich kein Bock auf solche "Werte".

derNeue
05.06.2007, 09:41
Die Frage ist nicht, ob er für diese Traditionen offen ist, sondern ob er dort willkommen ist und ein Dach findet. Die öffentliche Repräsentanz der protestantischen Geistlichkeit spricht dagegen. Ihre Anbiederungen an den Zeitgeist sind genauso widerlich, wie ihre willige Vereinnahmung im "Kampf gegen Rechts" zeigt. Zudem schweigen sie weite Teile ihres Erbes einfach weg. Auch bei der Verkündigung von Gottes Wort haben diese Herrschaften mehr Defizite als Vorzüge.
Nur in einem haben Sie recht, der neue Konservatismus ist weniger national, als es der Alte war. Das Deutsche Reich vom 1871 ist mit dem Dritten Reich endgültig untergangen. Die Macht des Faktischen muss hier endlich ankommen, eine Heilung dieser Katastrophe wird es nicht geben. Die Zukunft Deutschlands liegt in Europa, dass durchaus zum Nachfolger des HRRDN werden könnte. Nur sollten wir dort dringend dafür sorgen, dass sich unsere ökonomische Stärke auch im Politischen spiegelt.

Genau das hatte ich ja geschrieben. Klingt fast, als hättest Du die zweite Hälfte meines Beitrages gar nicht gelesen. Leider hat gerade die evangelische Kirche immer die Tendenz gehabt, sich mehr dem Staat oder den Opportunitäten des Zeitgeistes unterzuordnen. Das war im dritten Reich so und das ist heute wieder so. Die Ursachen sind vielfältig, sie hängen auch mit der weniger zentralistischen Ordnung und der größeren Beliebigkeit der Glaubensinhalte (im Vergleich zur katholischen Kirche) zusammen.
Übrigens halte ich gerade das Nationale für ein wesentliches Element eines neuen Konservativismus. Ohne Nationalbewußtsein ist eine konservative Haltung nicht vorstellbar, denn gerade die Nation gehört ja zu dem, was in erster Linie "bewahrt" werden soll.
Auch das deutsche Reich ist 1945 nur faktisch untergegangen, als Vorstellung oder Ziel aber keineswegs. Für einen Konservativen ist es selbstverständlich, daß die zukünftigen Deutschen frei darüber entscheiden dürfen, in welcher Form der staatlichen Ordnung ihr Volk zusammenleben soll.
Schon um das nationale Element nicht aufzugeben, wird er einem Satz "Die Zukunft Deutschlands liegt in Europa" nicht übernehmen. Es ist eher die Vorstellung eines "Europas der Vaterländer", in dem die einzelnen Nationalstaaten friedlich zusammenleben, aber mit einer größeren staatlichen Souveränität als das heute der Fall ist. Denn der Konservative will die Traditionen, Eigenheiten und Kultur des eigenen Volkes erhalten und erkennt, daß dazu auch bis zu einem gewissen Grad die politische Unabhängigkeit des eigenen Staates gehört.

derNeue
05.06.2007, 09:49
Blutige Exzesse gab es in der Moderne wie in der ganzen Menscheitsgeschichte. Ich denke das du doch ein ziemlich verklärtes Bild von der Vormodernen Zeit hast. Sicherlich hatt die Moderne ihre Propleme, trotz alledem bin ich froh in ihr zu wohnen. Den wenn man sich die Zeiten in Europa vor der Moderne anschaut sieht man:
-Zwangsehe
-Standesgesellschaften und Feudalismus
-religiöser Fanatismus und Fundamentalismus
-Theokratische ausgerichtete Staaten
-keine Gleichberechtigung
-keine Menschenrechte und Demokratie
-Patriarchat
Ehrlich gesagt darauf habe ich kein Bock auf solche "Werte".

Du hast recht: Für mich bedeutet Konservativismus auch nicht, einfach an die Verhältnisse vor 1789 anzuknüpfen. Die positiven Werte der Aufklärung, Menschenrechte, Bildung usw, wie sie sich in Deutschland erst Mitte des 19. Jhr. durchgesetzt haben, gehören ebenso zur deutschen Tradition dazu wie das Mittelalter und der Absolutismus.
Aus dieser Forderung des Pfarrers spricht wohl eher der Vertreter der Kirche als der wirkliche Konservative. Die Kirche (vor allem die katholische) hat die mit der Aufklärung und überhaupt mit der ganzen Neuzeit verbundene Schwächung ihrer Machtstellung nie wirklich akzeptiert.

Mcp
05.06.2007, 10:41
Genau das hatte ich ja geschrieben. Klingt fast, als hättest Du die zweite Hälfte meines Beitrages gar nicht gelesen. Leider hat gerade die evangelische Kirche immer die Tendenz gehabt, sich mehr dem Staat oder den Opportunitäten des Zeitgeistes unterzuordnen. Das war im dritten Reich so und das ist heute wieder so. Die Ursachen sind vielfältig, sie hängen auch mit der weniger zentralistischen Ordnung und der größeren Beliebigkeit der Glaubensinhalte (im Vergleich zur katholischen Kirche) zusammen.
Übrigens halte ich gerade das Nationale für ein wesentliches Element eines neuen Konservativismus. Ohne Nationalbewußtsein ist eine konservative Haltung nicht vorstellbar, denn gerade die Nation gehört ja zu dem, was in erster Linie "bewahrt" werden soll.
Auch das deutsche Reich ist 1945 nur faktisch untergegangen, als Vorstellung oder Ziel aber keineswegs. Für einen Konservativen ist es selbstverständlich, daß die zukünftigen Deutschen frei darüber entscheiden dürfen, in welcher Form der staatlichen Ordnung ihr Volk zusammenleben soll.
Schon um das nationale Element nicht aufzugeben, wird er einem Satz "Die Zukunft Deutschlands liegt in Europa" nicht übernehmen. Es ist eher die Vorstellung eines "Europas der Vaterländer", in dem die einzelnen Nationalstaaten friedlich zusammenleben, aber mit einer größeren staatlichen Souveränität als das heute der Fall ist. Denn der Konservative will die Traditionen, Eigenheiten und Kultur des eigenen Volkes erhalten und erkennt, daß dazu auch bis zu einem gewissen Grad die politische Unabhängigkeit des eigenen Staates gehört.

Entschuldigung, den "Verrat der evangelischen Kirche" habe ich tatsächlich nicht bemerkt oder überlesen.

Das Nationale bleibt natürlich ein wichtiges Element, schon weil der Nationalstaat, da gebe ich ihnen recht, ohne jede Alternative ist. Wenn ich schreibe, dass die Zukunft in Europa liegt, dann meine ich persönlich ein "Europa der Vaterländer" mit dem HRRDN als (grobes) Vorbild und größtmöglicher Souveränität der Einzelstaaten.

Leider neigt auch die konservative Rechte dazu, sich im Anbetracht der deutschen Katastrophe, in sinnloser „Vergangenheitsbewältigung“, zu verschleißen. Ich bin der ewigen „was-wäre-wenn“ Diskussionen zutiefst überdrüssig, daher mögen einige Einlassungen meinerseits, etwas anders gewichtet sein. In der Sache stimme ich Ihren Ausführungen jedoch voll umfänglich zu.

Maximiliane
05.06.2007, 16:16
Wer sich heute als Konservativer bekennt oder als solcher bezeichnet wird, muss entweder mit mitleidigem Lächeln, vielleicht sogar Empörung rechnen oder gar ertragen, mitverantwortlich gemacht zu werden für einen möglichen zukünftigen Faschismus in Deutschland.
Als die Intellektuellen vom Marxismus noch begeistert waren, gab es für deren Kampf gegen den Konservativismus noch eine ideologische Begründung, man konnte ihn als Steigbügelhalter des Nazismus entlarven. Diese marxistische Verbannungsformel liegt im Grunde genommen unverändert der Einheitsideologie des Antifaschismus in Deutschland zu Grunde.

Für den Alltagsgebrauch aber genügt es schon, den Konservativismus unmodern oder gar antimodern zu nennen. Damit ist er nach dem, was in unserem Land als modern verbreitet wird, erledigt. Alle Konservativen sind heute hoffnungslos in der Defensive und ihre ehemaligen durchaus beachtlichen Formationen befinden sich intellektuell auf dem Rückzug oder sind gar in völliger Auflösung begriffen. In blindem Eifer hat sich die CDU von allen konservativen Elementen getrennt, um dem vorgegebenen Ziel nahe zu kommen, als moderne, vom Konservativismus gereinigte Partei anerkannt zu werden.

Im Verhältnis zum Konservativismus steht die Bundesrepublik, wenn wir uns den Rest der Welt ansehen, als Ausnahmefall da. Wir brauchen nur die Entwicklung in der Welt zur Kenntnis zu nehmen. Die Reden der Wahlkämpfer in Frankreich sind wahre nationale Erweckungspredigten, man beschwört die große Geschichte der Nation und denkt daran, ein Ministerium für nationale Identität einzurichten. Präsident Putin nennt als geistiges Fundament des neuen Russlands die Geschichte, die Nation und die Religion. In Amerika bekennen sich bald 50 Prozent aller Amerikaner zum Kampf gegen das, was sie als libertäre Dekadenz empfinden und fordern eine national-konservative fundamental-christliche Kulturrevolution. In Italien wählt fast die Hälfte aller Wähler Parteien der rechten Mitte. Polen wird so konservativ regiert, dass sich jeder Kommentar erübrigt.
...
Wo ist also das Problem? Es fehlt nur die Kraft, den Wandel der Epoche zu deuten, es fehlt eine Philosophie, die auf der Höhe der neuen geschichtlichen Herausforderungen ist und Konservativismus als Überlebensimperativ für die vor uns liegende Zukunft begreift. Dabei würde ein Blick auf unsere Familien, unsere Schulen, unsere Kirchen, die Wirtschaft und unsere öffentliche Kultur völlig ausreichen, um zu erkennen, wie unabdingbar ein neues kulturkonservatives Programm für das immer labiler werdende Gemeinwesen der Bundesrepublik geworden ist. Die Zerstörung und Auflösung unserer Kultur in eine linksliberale so genannte Konsensgesellschaft legt die Axt an die Wurzel unserer geschichtlichen Existenz.

Aus der Perspektive der übrigen Welt stellen sich die kulturellen Entwicklungen in Deutschland als Wiederkehr deutscher Pathologie dar. Man schüttelt in der Regel nur noch den Kopf über uns. Modische Berufung auf Modernität genügt längst nicht mehr, wenn man zur Kenntnis nimmt, was in der Welt geschieht. Es ist falsch zu glauben, dass modern und konservativ unvereinbar seien. Wenn Fortschritt das zu Verändernde verneint und verschwinden lässt, ist Fortschritt nicht mehr feststellbar. Jeder Begriff von Fortschritt setzt eine Antwort auf die Frage nach der Identität dessen voraus, was sich verändert hat. Ohne diese Antwort ist Modernität ein sinnloses Kreisen und Wirbeln des Nebels in fernen Horizonten, und in diesem Nebel bewegen wir uns mit dieser surrealistische Züge tragenden Diskussion um konservativ und modern heute. Die Moderne mag ihrer Vollendung entgegen streben, aber ihre Vollendung könnte auch der letzte Schritt auf dem Weg zu ihrer Selbstzerstörung sein. Darum und aus keinem anderen Grund ist, wie die übrige Welt längst erkannt hat, konservativ heute auch für uns ein Überlebensimperativ geworden.
URL: http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/signale/619870/

Mcp
05.06.2007, 21:42
Ich denke das du doch ein ziemlich verklärtes Bild von der Vormodernen Zeit hast.

Den wenn man sich die Zeiten in Europa vor der Moderne anschaut sieht man:
-Zwangsehe
-Standesgesellschaften und Feudalismus
-religiöser Fanatismus und Fundamentalismus
-Theokratische ausgerichtete Staaten
-keine Gleichberechtigung
-keine Menschenrechte und Demokratie
-Patriarchat

Ehrlich gesagt darauf habe ich kein Bock auf solche "Werte".



Konservatismus will nirgendwohin. Schon gar nicht zurück. Genau wie Sie oder warum sonst, sind Sie „froh in der Moderne zu wohnen“? Sie kennen keine andern Lebensentwürfe, Lebensweisen oder Kulturen und sie möchten in der Gesellschaft bleiben, in die Sie hineingeboren wurden. Das nenne ich konservatives Denken, Willkommen in Klub.

Die Französische Revolution ist ein blutiger Betriebsunfall, wie es etwa die Bolschewistische von 1917 in Russland oder die Nationalsozialistische in 1933 war. Wir „verdanken“ ihr die Massen: Massenmord, Massenvernichtungswaffen, Massenplünderung, Massenvergewaltigung, Massenheere. All dass werden Sie in der Vormoderne vergeblich suchen. Aber noch mehr aus der Büchse der Pandora hat sich seit dieser ominösen Revolution kübelweise über uns ergossen: Königsmord, Egalitarismus, Demokratie, Sozialismus, Kommunismus, KZ, Gaskammer, Genozid und der totale Krieg. Profitgier, Geldgier, Geiz, Habsucht, Niedertracht und Egoismus haben sich zu ehrbaren Tugenden für Pfeffersäcke und Halsabschneider erhoben. Ich könnte ihnen jetzt einfach Ihren Bock entgegenhalten, aber Sie werden zugeben müssen, wo Sie listenmäßig nur kleckern können, kann ich richtig klotzen. "Von dem Regen, in die Jauche", würde Wolf Biermann dazu sagen.

Was macht die Demokratie in meiner Liste? Die Demokratie, ach was, die Ochlokratie hat nichts mit Freiheit zu tun. Sie ist eine „von Demagogen angereizte und unsicher gesteuerte Herrschaft des Mobs. Insbesondere die deutsche Demokratie trägt Züge eines weichen, durch weitgehende und als solche oft kaum mehr wahrgenommene Selbstzensur gekennzeichneten Totalitarismus.“[1] Das Wesen der Demokratie ist die Umverteilung auf Kosten der Klientel, welche gerade nicht die herrschende Partei stellt. Sie schafft weder Gerechtigkeit, noch sichert sie Grundrechte, sie ist dem Eigentum überaus feindlich gesonnen. Da der Staat niemand gehört und niemand für ihn verantwortlich zeichnet, bleibt er hilflose Beute des nach immer mehr schreienden Pöbels (z. B. bedingungsloses Einkommen) und ist ihren periodischen Plünderungskampagnen hilf- und schutzlos ausgeliefert. Der Mob lebt auf Kosten seiner Kinder, sofern er überhaupt noch welche zeugt. Der proletarische Egoismus siegt über den humanistischen Erhaltungstrieb.


„Verfehlte Formen im genannten Sinne sind für das Königtum die Tyrannis, für die Aristokratie die Oligarchie und für die Politie die Demokratie. Denn die Tyrannis ist eine Alleinherrschaft zum Nutzen des Herrschers, die Oligarchie eine Herrschaft zum Nutzen der Reichen und die Demokratie eine solche zum Nutzen der Armen. Keine aber denkt an den gemeinsamen Nutzen aller.“ [2]

Da Schicksal der Demokratie ist die Selbstaufhebung durch Willensbildung, die immer dann auftritt, wenn die Demokraten in die Minderheit geraten. Die Gefahr ist permanent, weil die zunehmend ausgeplünderten Gruppen, das ewige Spiel wachsender und wechselnder Umverteilung, Neuverschuldung und Steuererhebung beenden wollen. Die Staatsform als Wert an sich, verlangt die Beseitigung derselben, unter der Vorgabe Sie retten zu wollen. Wenn die Große Koalition zur hauchdünnen Mehrheit wird, muss das Spiel von denen beendet werden, die es eigentlich weiterspielen möchten. Die Entwicklung mündet in einer Erziehungs- oder Verdummungsdiktatur, die nur noch dem Ziel der Selbstlegitimation verpflichtet ist und die in Pisa oder Rütli mündet. [3] Die Qualität des politischen Personals passt sich der Niedertracht der Erfordernisse an. Das ist, im Anbetrachte jammernswerter Wirklichkeit, erkennbar kein Sophismus.

Der Demokrat schwafelt von Freiheit und Bürgerrechten, beschneidet beide jedoch permanent, in dem er selbige dem willkürlichen Gutdünken relativer Mehrheiten überlasset, die abwechselnd unter großen demagogischen Geschrei erst Eigentum, dann Freiheit und später vielleicht Leben bedrohen. Die Kritik habe ich nicht selber erdacht, nur in Worte gekleidet, die meine Meinung getreulich spiegeln.

Im Übrigen habe ich kein verklärtes Bild der Vormoderne, sondern Sie keine Ahnung vom Alltag der Ahnen. Populärwissenschaftlich kann Ihnen [4] empfehlen. Mehr über das rege Liebesleben unter den Bedingungen angeblicher Zwangsehen und Frauen unterdrückenden Patriarchen erfahren Sie nicht aus der aktuellen Emma, sondern aus reichlich Originaltexten in [5]. Wenn der Staat Ihnen ordentliche Bildung verweigert, sollten sie wenigstens selber zum Buche greifen.

[1] Junge Freiheit; 26/05; 24. Juni 2005; Hans-Hermann Hoppe; Freiheit statt Demokratie
[2] Aristoteles; Politik; 3.Buch
[3] Vgl. hierzu Carl Schmitt; Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus; Duncker und Humblot, 1985; ISBN 3-428-01330-1
[4] Borst, Otto; Alltagsleben im Mittelalter (http://www.amazon.de/Alltagsleben-im-Mittelalter-Otto-Borst/dp/3458322132); Insel Verlag; Frankfurt am Main; 1983;
[5] Deutsche Lyrik des Mittelalters; Manesse Verlag Zürich; 2001 ISBN: 3-7175-1097-5

Mcp
06.06.2007, 07:48
Unmittelbar nach der Reichsgründung 1871 löste, unter Federführung der Liberalen, der preußische Landtag den so genannten Kulturkampf gegen die katholische Kirche im Reich aus. Unmittelbarer Anlass war der Syllabus errorum, eine von Pius IX. herausgegebener Katalog von 80 Zeitirrtümern, in denen unter anderen der Liberalismus und Laizismus verurteilt wurde. Die Liberalen verstanden dies als unmittelbare Kampfansage an die Moderne und drängten den eher zögerlichen Bismarck zum Kulturkampf.

Hier bekämpften sich zwei unterschiedliche politische Richtungen, die protestantisch-preußische, die für Bismarcks kleindeutsche Lösung unter der Vorherrschaft Preußens eintraten und eines politischen Katholizismus, vertreten durch die Zentrumspartei, die für eine föderale Lösung unter Einbeziehung aller deutschen Staaten eintraten. Für das Zentrum war das 1871 durch drei Kriege gegründete Reich, eine Lösung, die durch Kriege wieder untergehen würde. Eine prophetische Sicht, die sich historisch als richtig erweisen sollte.

Fest steht, dass viele Liberale einen abgrundtiefen Hass gegen den katholischen Klerus entwickelt hatten, da sie diesen als Hindernis für den kulturellen Fortschritt ansahen. Am 10. Dezember 1871 verabschiedete der Reichtag ein Gesetz, dass den so genannten Kanzelparagraph enthielt, der es Priestern unter Strafandrohung untersagte, in Ausübung ihres Berufes Angelegenheiten des Staates "in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise" zu behandeln. De facto bedeutete dieser Paragraf die Aufhebung der Meinungsfreiheit für den katholischen Klerus in Deutschland.

Es folgte 1872 das Jesuitengesetz, durch das der Orden im Deutschen Reich verboten wurde. Im selben Jahr wurde die Schulaufsicht eingeführt und die Kirche, trotz erheblicher Proteste, aus der Volksbildung entfernt. Um den sich versteifenden Widerstand der katholischen Bevölkerung zu brechen, erließ der preußische Landtag im Mai 1873 die so genannten Mai- Gesetze, die tief in das Selbstverwaltungsrecht der Kirche eingriffen. Als sich die katholischen Priester massenhaft weigerten, diese Gesetze anzuerkennen, reagierte der Staat mit offener Repression, massenhafter Amtsenthebungen, bis zu Verhaftungen und schließender Verurteilung. Anfang 1876 waren allen preußischen Bischöfe verhaftet oder im Exil. Der Papst reagierte auf die Verfolgungen 1875 in der Enzyklika Quod numquam mit der er die Kulturkampfgesetze für nichtig erklärte. Die Krise wurde erst nach dem Tod des Papstes 1878 in direkten Verhandlungen mit dem Vatikan entschärft, der in wesentlichen Punkten die Kulturkampfgesetze abmilderte.

derNeue
06.06.2007, 08:12
Unmittelbar nach der Reichsgründung 1871 löste, unter Federführung der Liberalen, der preußische Landtag den so genannten Kulturkampf gegen die katholische Kirche im Reich aus. Unmittelbarer Anlass war der Syllabus errorum, eine von Pius IX. herausgegebener Katalog von 80 Zeitirrtümern, in denen unter anderen der Liberalismus und Laizismus verurteilt wurde. Die Liberalen verstanden dies als unmittelbare Kampfansage an die Moderne und drängten den eher zögerlichen Bismarck zum Kulturkampf.

Hier bekämpften sich zwei unterschiedliche politische Richtungen, die protestantisch-preußische, die für Bismarcks kleindeutsche Lösung unter der Vorherrschaft Preußens eintraten und eines politischen Katholizismus, vertreten durch die Zentrumspartei, die für eine föderale Lösung unter Einbeziehung aller deutschen Staaten eintraten. Für das Zentrum war das 1871 durch drei Kriege gegründete Reich, eine Lösung, die durch Kriege wieder untergehen würde. Eine prophetische Sicht, die sich historisch als richtig erweisen sollte.

Fest steht, dass viele Liberale einen abgrundtiefen Hass gegen den katholischen Klerus entwickelt hatten, da sie diesen als Hindernis für den kulturellen Fortschritt ansahen. Am 10. Dezember 1871 verabschiedete der Reichtag ein Gesetz, dass den so genannten Kanzelparagraph enthielt, der es Priestern unter Strafandrohung untersagte, in Ausübung ihres Berufes Angelegenheiten des Staates "in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise" zu behandeln. De facto bedeutete dieser Paragraf die Aufhebung der Meinungsfreiheit für den katholischen Klerus in Deutschland.

Es folgte 1872 das Jesuitengesetz, durch das der Orden im Deutschen Reich verboten wurde. Im selben Jahr wurde die Schulaufsicht eingeführt und die Kirche, trotz erheblicher Proteste, aus der Volksbildung entfernt. Um den sich versteifenden Widerstand der katholischen Bevölkerung zu brechen, erließ der preußische Landtag im Mai 1873 die so genannten Mai- Gesetze, die tief in das Selbstverwaltungsrecht der Kirche eingriffen. Als sich die katholischen Priester massenhaft weigerten, diese Gesetze anzuerkennen, reagierte der Staat mit offener Repression, massenhafter Amtsenthebungen, bis zu Verhaftungen und schließender Verurteilung. Anfang 1876 waren allen preußischen Bischöfe verhaftet oder im Exil. Der Papst reagierte auf die Verfolgungen 1875 in der Enzyklika Quod numquam mit der er die Kulturkampfgesetze für nichtig erklärte. Die Krise wurde erst nach dem Tod des Papstes 1878 in direkten Verhandlungen mit dem Vatikan entschärft, der in wesentlichen Punkten die Kulturkampfgesetze abmilderte.

Nun ja, das scheint mir aber doch sehr auf die katholische Sicht verengt. Für mich als Konservativem gehört die ganze Neuzeit mit Humanismus, Aufklärung bis hin etwa zum Nihilismus Nietzsches ebenso zur erhaltenswerten nationalen (und überhaupt abendländischen) Tradition dazu wie die katholische Kirche, deren Anspruch, in alle Lebensbereiche des Menschen einzugreifen heute nicht mehr durchsetzbar ist.
Die katholische Kirche kann für sich und ihre Gläubigen diesen Anspruch natürlich erheben, aber eben nicht auf staatlicher Ebene. Die Trennung von Kirche und Staat, um die es im Kulturkampf des ausgehenden 19. Jhrh. ja letztlich ging, halte ich grundsätzlich für richtig.
Gleichzeitig wende ich mich als Konservativer aber auch gegen die Verteufelung des Mittelalters und lehne die Reduzierung dieser Zeit auf Hexenverbrennungen etc. ab. Die von der Linken verbreitete Legende, daß die abendländische Kultur erst mit der Neuzeit begonnen hat, resultiert aus ihrem Haß auf die Kirche und ist historisch falsch.

Mcp
06.06.2007, 09:00
Nun ja, das scheint mir aber doch sehr auf die katholische Sicht verengt. Für mich als Konservativem gehört die ganze Neuzeit mit Humanismus, Aufklärung bis hin etwa zum Nihilismus Nietzsches ebenso zur erhaltenswerten nationalen (und überhaupt abendländischen) Tradition dazu wie die katholische Kirche, deren Anspruch, in alle Lebensbereiche des Menschen einzugreifen heute nicht mehr durchsetzbar ist.
Die katholische Kirche kann für sich und ihre Gläubigen diesen Anspruch natürlich erheben, aber eben nicht auf staatlicher Ebene. Die Trennung von Kirche und Staat, um die es im Kulturkampf des ausgehenden 19. Jhrh. ja letztlich ging, halte ich grundsätzlich für richtig.
Gleichzeitig wende ich mich als Konservativer aber auch gegen die Verteufelung des Mittelalters und lehne die Reduzierung dieser Zeit auf Hexenverbrennungen etc. ab. Die von der Linken verbreitete Legende, daß die abendländische Kultur erst mit der Neuzeit begonnen hat, resultiert aus ihrem Haß auf die Kirche und ist historisch falsch.

Mir ging es bei diesem Text um Hintergrund und nicht um Meinung. Im Kulturkampf bekämpften sich zwei Strömungen des Konservatismus in Deutschland, ein Nachbeben der Reformationskriege sozusagen. Ein typische deutsche Besonderheit, aus der wohl auch die grundsätzliche Schwäche der Konservativen resultiert. Es gibt die katholische Sicht, es gibt oder gab die protestantische Interpretation und volens nolens mittlerweile auch eine "Aufklärerisch-Atheistische", obwohl diese Strömung die Antinomie schon im Begriffe hat. Konservatismus per Definition ist Antiaufklärung, da als Reflex auf jene entstanden und der ganzer logischer Apparat des Konservatismus zu Zwecke ihrer Widerlegung (der Aufklärung) entworfen wurde. Lesen die Burke. Alle, die Aufklärung vertreten, mögen nette Menschen sein, sie erinnern sich an den Pater im Eingangstext, nur Konservative sind sie eben nicht. Aber da der Begriff nicht geschützt, kann sich halt jeder so nennen. Das ist modern und offensichtlich wieder chic.

Im Übrigen ist der Konservatismus keine geschlossene Ideologie, die begriffliche oder sprachliche Reinheit verlangt, da eher selbst gewählter Lebensentwurf oder Lebensweise. Konservative können sich genauso gut streiten, wie die dafür berüchtigten Kesselflicker.

SteveFrontera
06.06.2007, 10:06
Mir ging es bei diesem Text um Hintergrund und nicht um Meinung. Im Kulturkampf bekämpften sich zwei Strömungen des Konservatismus in Deutschland, ein Nachbeben der Reformationskriege sozusagen. Ein typische deutsche Besonderheit, aus der wohl auch die grundsätzliche Schwäche der Konservativen resultiert. Es gibt die katholische Sicht, es gibt oder gab die protestantische Interpretation und volens nolens mittlerweile auch eine "Aufklärerisch-Atheistische", obwohl diese Strömung die Antinomie schon im Begriffe hat. Konservatismus per Definition ist Antiaufklärung, da als Reflex auf jene entstanden und der ganzer logischer Apparat des Konservatismus zu Zwecke ihrer Widerlegung (der Aufklärung) entworfen wurde. Lesen die Burke. Alle, die Aufklärung vertreten, mögen nette Menschen sein, sie erinnern sich an den Pater im Eingangstext, nur Konservative sind sie eben nicht. Aber da der Begriff nicht geschützt, kann sich halt jeder so nennen. Das ist modern und offensichtlich wieder chic.

Im Übrigen ist der Konservatismus keine geschlossene Ideologie, die begriffliche oder sprachliche Reinheit verlangt, da eher selbst gewählter Lebensentwurf oder Lebensweise. Konservative können sich genauso gut streiten, wie die dafür berüchtigten Kesselflicker.

Ich habe hier selten einen Strang gelesen, der soviel Niveau und geschichtliches Hintergrundwissen hat. Der Ausdruck „Nachbeben der Reformation“ in dieser Analyse ist genial. :)
Otto von Bismarck konnte sich in der Tat schlecht mit dem konservativen Zentrum arrangieren. Er stand zwischen dem Kaiser, den Junkern und dem Reichstag. Er musste sich mit dem Parlamentarismus auseinandersetzen. Der Parlamentarismus ist ein britischer „Exportschlager“ und setzte sich in den meisten Ländern durch.
Der Kaiser dagegen bezeichnete den Reichstag als „Reichsaffenhaus“.

Ganz besonders schlecht verstand sich Bismarck mit den Sozialdemokraten und führte dennoch die Sozialversicherung, etwas ausgesprochen Sozialdemokratisches, ein.
Das zweite Reich war einfach zu zentralistisch und zu stark vom großen, übermächtigen Preußen dominiert.

Wir in der Bundesrepublik haben die Chance, im Süden eine katholisch geprägte konservative und dennoch moderne demokratische Gesellschaft zu gestalten.
Angela Merkel ist, wenn man so will, preußisch konservativ. Aber sie bekennt sich ganz zur Demokratie. Sie ist fleißig und ehrlich und arrangiert sich gut mit den Sozialdemokraten. Auch das ist demokratisch, da sie für eine Koalition mit den Liberalen keine Mehrheit gefunden hat.

derNeue
06.06.2007, 10:09
.... Konservatismus per Definition ist Antiaufklärung, da als Reflex auf jene entstanden und der ganzer logischer Apparat des Konservatismus zu Zwecke ihrer Widerlegung (der Aufklärung) entworfen wurde. Lesen die Burke. Alle, die Aufklärung vertreten, mögen nette Menschen sein, sie erinnern sich an den Pater im Eingangstext, nur Konservative sind sie eben nicht. Aber da der Begriff nicht geschützt, kann sich halt jeder so nennen. Das ist modern und offensichtlich wieder chic.

Im Übrigen ist der Konservatismus keine geschlossene Ideologie, die begriffliche oder sprachliche Reinheit verlangt, da eher selbst gewählter Lebensentwurf oder Lebensweise. Konservative können sich genauso gut streiten, wie die dafür berüchtigten Kesselflicker.

Hier widersprechen Sie sich ein wenig selbst. Mir ging es weniger um die ideengeschichtliche Entstehung des Begriffs, sondern wie man ihn heute landläufig verwendet. Der Konservativismus mag ursprünglich als Reaktion auf die französische Revolution und Robepierre entstanden sein. Die französische Revolution hatte aber ja nicht nur Terror und Diktatur, sondern auch die Ideen und Formulierung der Menschenrechte zur Folge und die würde heute kein Konservativer in Frage stellen.
Der Konservativismus hat sich seit Burke sicher weiterentwickelt und das Wort conservare bedeutet ja nichts anderes als "bewahrend".
Bewahrt werden soll aus heutiger Sicht aber sicher nicht nur die Zeit vor 1789, sondern auch das, was später passiert ist. Insofern finde ich, daß der Pater, wenn er sagt "konservativ ist es sicher nicht" den Begriff auf die damalige Zeit verengt und quasi für sich, in dem Fall die katholische Kirche, in Beschlag nimmt.
Ich glaube nicht, daß es sinnvoll ist, den Begriff auf eine bestimmte Definition, die auf ihre Zeit bezogen war, zu beschränken. Schließlich hat auch Lenin oder gar Stalin etwas völlig anderes unter Kommunismus verstanden als noch Marx.
Und wie Sie selbst im letzten Abschnitt ja auch schreiben, handelt es sich nicht um eine geschlossene Ideologie, sondern es ist eher eine Lebensentwurf, der auf einer gewissen Lebensweisheit basiert. (Daher sind Konservative ja auch häufig schon im eher fortgeschrittenen Alter). Eine, wie ich finde, gute Formulierung.

Sauerländer
06.06.2007, 11:10
Der Konservatismus braucht Institutionen, um die er sich formieren und reproduzieren kann. In Deutschland war konservatives Denken immer zwischen den katholisch-europäisch-abendländischen Ansatz und dem protestantisch-preußisch-deutschnationalen geteilt.(...)
Möglicherweise lässt sich zukünftig das Nationale mit dem Katholischen in Einklang bringen, insofern das Nationale zunehmend nur noch als kulturelles Phänomen bestehen kann, dessen institutionelle Entsprechung an Bedeutung verliert.
Auch der Katholizismus kennt den Segen, ja die Notwendigkeit der Eingliederung des Individuums in jeweils ortsgebunde Gemeinschaften jeweils eindeutig NICHT welteinheitlicher Art.
Kann Europa als politische Größe von seinen zwangsvereinheitlichenden Tendenzen gesäubert und dadurch mit dem bewussten Erhalt kommunaler, regionaler und nationaler Partikularismen in Einklang gebracht werden (was gegenwärtig nicht der Fall zu sein scheint), besteht möglicherweise die Chance für einen deutschen Konservatismus, der im Zweiklang aus katholischer Bindung und deutscher Primus inter pares- Rolle Träger eines neuen Reichsideals sein kann, das uns eine Rückkehr des Mittelalters hinsichtlich seiner stärkeren Seiten beschert.
Geschieht das nicht und werden Nation und Europa (bzw Region und Europa) nicht miteinander vereinbart, sondern das eine durch das andere ersetzt (wie es gegenwärtig zu befürchten ist), und trifft der jeweilige Konservative diesbezüglich eine Entscheidung im Sinne der "Praktikabilität", macht er sich letztlich nur zum Helfershelfer einer vereinheitlichenden Großblockbildung, die -wenn überhaupt- nur über die Notwendigkeit der Gegenmacht gegen die bestehende Supermacht zu rechtfertigen ist.

dorbei
06.06.2007, 13:09
Möglicherweise lässt sich zukünftig das Nationale mit dem Katholischen in Einklang bringen...lieber nicht
:mf_popeanim: :dagegen:

Sauerländer
06.06.2007, 13:21
lieber nicht
:mf_popeanim: :dagegen:
Wenn das unterbleibt, könnte es sich letztlich für beide Seiten als negativ herausstellen.

Mcp
06.06.2007, 13:45
Möglicherweise lässt sich zukünftig das Nationale mit dem Katholischen in Einklang bringen, insofern das Nationale zunehmend nur noch als kulturelles Phänomen bestehen kann, dessen institutionelle Entsprechung an Bedeutung verliert.

Der Einwand ist berechtigt, der universelle Anspruch des Katholizismus dämpft Nationalismen genauso, wie die hierarchische Struktur der römischen Kirche. Doch gebe ich zu bedenken, dass der Nationalismus in Deutschland, im Gegensatz zu Frankreich, kaum institutionelle Wurzeln hatte und immer starke förderale Tendenzen vorweisen konnte. Ein Bayer ist immer erst Bayer, bevor er sein Deutschtum entdeckt. Interessanterweise sind noch heute die lokalen Identitäten in katholischen Bundesländern stärker ausgeprägt als in Protestantischen.


Kann Europa als politische Größe von seinen zwangsvereinheitlichenden Tendenzen gesäubert und dadurch mit dem bewussten Erhalt kommunaler, regionaler und nationaler Partikularismen in Einklang gebracht werden (was gegenwärtig nicht der Fall zu sein scheint), besteht möglicherweise die Chance für einen deutschen Konservatismus, der im Zweiklang aus katholischer Bindung und deutscher Primus inter pares- Rolle Träger eines neuen Reichsideals sein kann, das uns eine Rückkehr des Mittelalters hinsichtlich seiner stärkeren Seiten beschert.

Ein zentralistisches Europa wird es nicht geben. Die zentrifugalen Tendenzen werden die zentripetalen Kräfte übersteigen. Die Pleite mit der Verfassung war kein Zufall. Ich hoffe sehr, dass sich die Reichsidee letztlich durchsetzen wird. Gerade dann aber wird ein starker Nationalismus gebraucht, will man gemeinsame Interessen im Kanon der Vaterländer Gehör und Respekt verschaffen.



Geschieht das nicht und werden Nation und Europa (bzw Region und Europa) nicht miteinander vereinbart, sondern das eine durch das andere ersetzt (wie es gegenwärtig zu befürchten ist), und trifft der jeweilige Konservative diesbezüglich eine Entscheidung im Sinne der "Praktikabilität", macht er sich letztlich nur zum Helfershelfer einer vereinheitlichenden Großblockbildung, die -wenn überhaupt- nur über die Notwendigkeit der Gegenmacht gegen die bestehende Supermacht zu rechtfertigen ist.

Die paneuropäische Idee wird genauso scheitern, wie die ewige panhellenische Absicht der antiken Griechen.

Anarch
06.06.2007, 14:09
Die paneuropäische Idee wird genauso scheitern, wie die ewige panhellenische Absicht der antiken Griechen.

Wie ist ein Neues Europa dann vorzustellen? Klar ist, daß Nation und Staat nicht mehr deckungsgleich sein werden, allein schon deshalb, weil die Staatsnation zu groß ist - man siehe nur den gewaltigen Bürokratismus in der BRD - um sich den Alltagsproblemen des Volkes zu stellen, und andererseits zu klein, um den internationalen Problemen zu begegnen. Wir benötigen eine politische als auch ökonomische Regionalisierung der Institutionen, was keinesfalls die Auflösung der deutschen Kulturnation bedeuten muss.

Doch wie können wir eine starke Gegenmacht bilden, die in möglichst vielen Bereichen autark ist, und sich nicht von Übersee diktieren läßt wie wir zu leben haben? Ist ein Europäisches Reich demnach Illusion? Darüber hinaus bedarf es einer integrierenden Idee; die ich nicht im Christentum sehe, weder in Form des katholischen Ausläufers oder der protestantischen Strömung. Sind die Völker Europas nicht ewig Spielball anderer Großmächte und Imperien, wenn sie sich nicht auf Basis eines kontinentalen Bundes einigen? Wäre genehm Deine Vorschläge zu lesen.

Efna
06.06.2007, 14:29
Du hast recht: Für mich bedeutet Konservativismus auch nicht, einfach an die Verhältnisse vor 1789 anzuknüpfen. Die positiven Werte der Aufklärung, Menschenrechte, Bildung usw, wie sie sich in Deutschland erst Mitte des 19. Jhr. durchgesetzt haben, gehören ebenso zur deutschen Tradition dazu wie das Mittelalter und der Absolutismus.
Aus dieser Forderung des Pfarrers spricht wohl eher der Vertreter der Kirche als der wirkliche Konservative. Die Kirche (vor allem die katholische) hat die mit der Aufklärung und überhaupt mit der ganzen Neuzeit verbundene Schwächung ihrer Machtstellung nie wirklich akzeptiert.

Konservativismus hatt sich ständig geändert, Übrigens wusstest du das Patriotismus und Nation ursprünglich keine Konservativen Ideen waren?

derNeue
06.06.2007, 15:46
Konservativismus hatt sich ständig geändert, Übrigens wusstest du das Patriotismus und Nation ursprünglich keine Konservativen Ideen waren?
Das ist ganz sicher der Fall. Das Gegenteil von konservativ ist ja auch nicht antinational oder internationalistisch, sondern progressiv.
Um 1848 waren die Konservativen in Deutschland ja auch gerade nicht national und patriotisch eingestellt,sondern auf der Linie Metternichs. Damals hieß konservativ sein, die Macht der lokalen Fürsten zu sichern, die Nationalen waren dagegen gerade die Progressiven.
Heute ist genau das Gegenteil der Fall: die Konservativen sind die Bewahrer der Nation und der nationalen Kultur. Es kommt also immer auf die Verhältnisse an. Für mich persönlich bedeutet das Wort, daß ich etwas, das ich für schützenswert erkannnt habe, verteidige. Darum geht es im heutigen Deutschland.

In einem anderen Zusammenhang, etwa in der DDR, wäre ich wohl eher ein "Progressiver" gewesen, in dem Sinne, daß ich mich in Opposition zum Regime gestellt hätte. Konservativ zu sein ist für mich daher auch kein Wert an sich, sondern es ist nur das, was ich in der heutigen Situation für angebracht halte.

Mcp
06.06.2007, 17:02
Hier widersprechen Sie sich ein wenig selbst. Zur Lebensweise gehören Interpretationen. Dazu benutzt man Prinzipien. Meine sind konservativ. Ein Widerspruch wäre es, wenn sich Lebenswandel und gedachte Prinzipien widersprechen würden. Das aber können Sie im meinen Falle höchstens vermuten, aber nicht wissen.



Mir ging es weniger um die ideengeschichtliche Entstehung des Begriffs, sondern wie man ihn heute landläufig verwendet. Der Konservativismus mag ursprünglich als Reaktion auf die französische Revolution und Robepierre entstanden sein. Die französische Revolution hatte aber ja nicht nur Terror und Diktatur, sondern auch die Ideen und Formulierung der Menschenrechte zur Folge und die würde heute kein Konservativer in Frage stellen.
Der Konservativismus hat sich seit Burke sicher weiterentwickelt und das Wort conservare bedeutet ja nichts anderes als "bewahrend".

Wenn sie die Kritik des Aristoteles an der Demokratie, in zeitgemäßen Wortschatz kleiden, was nicht unbedingt ein Fortschritt ist, können Sie die Argumente unverändert übernehmen, ohne dass jemand bemerken würde, dass diese fast 2500 Jahre überdauert, derweil aber nicht verdorben sind. Jede Generation wiederholt die Dummheiten ihrer Väter, sie wechselt bloß die Benamung derselben. Konservatives Denken erkennt im Wechsel der Zeiten und Epochen die immer selben wirkenden Prinzipien. Der Mensch verhält und organisiert sich heute nicht anders, als am Beginn der Zivilisation, auch wenn wir uns heute vorwiegend auf vier Rädern, statt auf zwei Beinen fortbewegen mögen. Aus diesem Grunde ist Burke sowenig veraltet wie Platon, Sokrates oder Agrippa, weil jede geisteswissenschaftliche Erkenntnis genauso beständig ist, wie der Satz des Pythagoras.

Denn es deucht mich schon, und ich sehe allbereit für Augen den blutigen und gefährlichen Krieg, in welchen ich mich anjetzo einlasse, indem ich mit einem mächtigen und schrecklichen Heer vielwissender Leute umgeben bin, ei, mit was für Rüstungen werden sie mir entgegenkommen, wie werden sie auf mich lästern und schmähen? Da werden erstlich die superklugen Grammatici herfürtreten und mir Widerpart halten, auch mit ihren Etymologien meinen ehrlichen Namen vergessen; da werden die frechen Poeten mich für ein Lästermaul oder Ägyptischen Bock halten, und mich in ihren Versen durchziehen; die fabelhaftigen Historienschreiber werden mich über Pausaniam und Herostratum entheiligen und ausschreien; die grosssprecherischen Rhetores oder Redner werden mit zornigen Augen, schrecklichem Gesichte, markschreierischer Stimme und üblen Gebärden mich einer Verletzung der Majestät beschuldigen; die wundersame Memoriographi oder Gedächtnisschreiber werden mir mein Gehirne mit einer überzogenen Larve suchen stumpf zu machen; die zänkischen Dialectici oder Vernunftkünstler werden unzählige syllogistische Pfeile auf mich schiessen.
Agrippa von Nettesheim; Ungewissheit und Eitelkeit aller Künste und Wissenschaften; Vorrede

An was erinneren Sie die Sätze? Ans Mittelalter? Oder doch die Neuzeit? Nichts und niemand hat sich geändert.



Bewahrt werden soll aus heutiger Sicht aber sicher nicht nur die Zeit vor 1789, sondern auch das, was später passiert ist. Insofern finde ich, daß der Pater, wenn er sagt "konservativ ist es sicher nicht" den Begriff auf die damalige Zeit verengt und quasi für sich, in dem Fall die katholische Kirche, in Beschlag nimmt.
Ich glaube nicht, daß es sinnvoll ist, den Begriff auf eine bestimmte Definition, die auf ihre Zeit bezogen war, zu beschränken. Schließlich hat auch Lenin oder gar Stalin etwas völlig anderes unter Kommunismus verstanden als noch Marx.

Sie können natürlich einem albernen Vulgärkonservatismus huldigen, der unter dem Begriff alles subsumiert, was irgendjemand für erhaltenswert hält. Dann gibt es natürlich auch „konservative Kommunisten“, vulgo Betonköpfe. Es ist aber gerade diese Verschwurbelung des Konservatismusbegriffes, der ihm seine modernistische und relativistische Beliebigkeit verleiht und die ihm jede Strahlkraft nimmt. So benutzt können sie unter Konservatismus sogar den gleichen Unsinn verkaufen, den uns die Pseudo-Rechte, wie Turbo-Linke, seit dem Beginn ihrer Erziehungsdiktatur, aufschwatzen will. Mir hingegen geht es um die Wiederaufnahme einer geistigen Strömung, die Moderne grundsätzlich kritisiert, sie hat es bitter nötig, und nicht um eine fortgesetzte Beweihräucherung derselben unter neuen Namen. Außerdem ist es mitnichten so, dass Konservatismus die Vormoderne vorbehaltlos bejubelt, die meisten unserer Vorvordern waren mindestens schon genauso dämlich, wie wir es heute mit Sicherheit immer noch sind. Der Glaube daran, ist ein Prinzip konservativen Denkens.



Daher sind Konservative ja auch häufig schon im eher fortgeschrittenen Alter.
Woher, um Gottes willen, nehmen Sie denn diese Erkenntnis? Ist das Ihre Lebenserfahrung? Sascha (http://www.politikforen.de/showthread.php?t=43104) beispielsweise, ist noch ziemlich jung.

Efna
06.06.2007, 17:19
@MCP
Sorry aber irgendwie ist es doch total verträumter Idealismus an den du dich klammerst. Man kann die Vergangenheit nicht zur Zukunft machen das sehen auch die extremsten Konservativen ein. Sicherlich beruft sich ein Konservativer auf die Wurzel und versucht Vergangenes zu bewahren soweit es möglich ist, aber erkennt an das sich die Welt nunmal auch ändert und nicht auf einen Punkt verharrt. Sicherlich haben in der Vergangenheit und vor allem im 19. Jahrhundert gegen die Moderne und Aufklärung gewettert nur beddenkst du nicht das diese Leute in einer Zeit gelebt haben als franz. Revolution etc. nur Jahrzehnte und Jahre alt waren. Mittlerweile sind 200 Jahre vergangen und die kann man nunmal nicht ungeschehen machen.

Mcp
06.06.2007, 18:36
Wie ist ein Neues Europa dann vorzustellen? ... Wäre genehm Deine Vorschläge zu lesen.

Bei solcher Fragenstellung läuft der Antwortende immer in die Gefahr, für größenwahnsinnig gehalten zu werden. Also ich antworte mit meiner privaten Vorstellung von Europa, die ausdrücklich keinen Anspruch auf geheimbündlerische Planung, alleingültige Wahrheit oder "Wissenschaftlichkeit" erhebt. Sie ist privat, sie soll es bleiben. Man kann darüber diskutieren, muss es aber nicht. Vor allem gibt es keinen Grund, mir mit Schaum vor dem Mund, allerlei Unsinn zu unterstellen.

Karlheinz Weißmann hat ungefähr beschrieben, was auch mir angenhme Vorstellung wäre: Die jetzige EU ohne Frankreich und Großbritannien, ähnlich organisiert wie das Heilige Römische Reich Deutscher Nation. Ein jährlicher, um Gottes willen kein ständiger, Reichstag. Eine eigene, unabhängige Reichsjurisdiktion (Reichsgerichte), die Streitigkeiten von Staaten und Personen reichsübergreifend regelt. Bei Bedarf eine Reichswehr, gebildet aus den stehenden Berufsheeren der Einzelstaaten. Oberster Repräsentat ein Präsident oder/und ein Kanzler, deren Vollmachten so austariert sind, dass sie sich mit denen des Reichstages in Waage halten. Die Union, dass Reich also, ist selber streng förderal organisiert. Die Souveränität der Nationalstaaten bleibt weitgehend erhalten. Über den zulässigen Krümmungsradius der Spreewaldgurge entscheidet die lokale Bürokratie. Eine Reichsstaatsbürgerschaft gibt es nicht, wohl aber reichsunmittelbare Territorien, so dass unabhängige Einahmen für Reichskanzler und Verwaltung gewährleistet sind. Steuern werden nicht erhoben, wohl aber Mitgliedsbeiträge gezahlt, die eine relative Deckelungsgrenze nicht überschreiten. Eine unabhängige Unionsexekutive existiert nicht, wohl aber das Mittel der Reichsexekution, über die bei Bedarf der Reichstag entscheidet. Ob und mit welchen Kompetenzen die Union Nationalstaaten nach außen vertritt, wäre Angelegenheit der Signatare. Hoch wahrscheinlich wäre sie, ohne konkreten Reichsexekutionsauftrag, rein repräsentativ.

Vermutlich, blickt man nach Brüssel, existieren ganz andere Pläne.

Ach ja, warum ohne Franzosen und Briten? Weil mit ihnen eine solche Idee, wie vermutlich jede andere Idee von Europa überhaupt, nicht zu verwirklichen wäre, und nicht nur deshalb, weil ich beide nicht sonderlich leiden mag. :)

Hat Spaß gemacht. Danke für die Frage.

Sauerländer
06.06.2007, 18:52
Sorry aber irgendwie ist es doch total verträumter Idealismus an den du dich klammerst. Man kann die Vergangenheit nicht zur Zukunft machen das sehen auch die extremsten Konservativen ein. Sicherlich beruft sich ein Konservativer auf die Wurzel und versucht Vergangenes zu bewahren soweit es möglich ist, aber erkennt an das sich die Welt nunmal auch ändert und nicht auf einen Punkt verharrt. Sicherlich haben in der Vergangenheit und vor allem im 19. Jahrhundert gegen die Moderne und Aufklärung gewettert nur beddenkst du nicht das diese Leute in einer Zeit gelebt haben als franz. Revolution etc. nur Jahrzehnte und Jahre alt waren. Mittlerweile sind 200 Jahre vergangen und die kann man nunmal nicht ungeschehen machen.
Ungeschehen machen kann man gar nichts, das ist eine Binsenweisheit.Was aber durchaus möglich ist, ist eine grundsätzliche Kurskorrektur. Die wird nur deshalb von manchen Leuten für unmöglich erklärt, weil sie sie nicht wollen, und über die Unmöglichkeitserklärung vom Tisch zu wischen hoffen.
Nichts ist exakt wiederholbar - aber der Strom des Vergangenen kann Leitbild sein. Das hat dann natürlich nichts mit einem linearen qualitativen Fortschritt in der Geschichte zu tun, wie Progressivisten ihn erwarten.
Aber exakt darum geht es: Der Progressivismus hat bislang schon so vieles zerstört, immer mit dem Versprechen, es durch etwas substanziell besseres zu ersetzen. Diesen besseren Ersatz ist er beinahe durchgehend schuldig geblieben.

Man kann die Vergangenheit nicht zur Zukunft machen?
Versuchen wir es doch einfach - dann sehen wir ja, ob es unmöglich ist.

derNeue
06.06.2007, 18:55
Zur Lebensweise gehören Interpretationen. Dazu benutzt man Prinzipien. Meine sind konservativ. Ein Widerspruch wäre es, wenn sich Lebenswandel und gedachte Prinzipien widersprechen würden. Das aber können Sie im meinen Falle höchstens vermuten, aber nicht wissen.

Ich hatte hier eigentlich den logischen Widerspruch in Ihrem vorigen Beitrag gemeint. Was die Übereinstimmung zwischen Ihrem Lebenswandel und Ihren Prinzipien betrifft, maße ich mir kein Urteil an.



Wenn sie die Kritik des Aristoteles an der Demokratie, in zeitgemäßen Wortschatz kleiden, was nicht unbedingt ein Fortschritt ist, können Sie die Argumente unverändert übernehmen, ohne dass jemand bemerken würde, dass diese fast 2500 Jahre überdauert, derweil aber nicht verdorben sind. Jede Generation wiederholt die Dummheiten ihrer Väter, sie wechselt bloß die Benamung derselben. Konservatives Denken erkennt im Wechsel der Zeiten und Epochen die immer selben wirkenden Prinzipien. Der Mensch verhält und organisiert sich heute nicht anders, als am Beginn der Zivilisation, auch wenn wir uns heute vorwiegend auf vier Rädern, statt auf zwei Beinen fortbewegen mögen. Aus diesem Grunde ist Burke sowenig veraltet wie Platon, Sokrates oder Agrippa, weil jede geisteswissenschaftliche Erkenntnis genauso beständig ist, wie der Satz des Pythagoras.

Da haben Sie nur teilweise recht. Natürlich gibt es übergeordnete menschliche Prinzipien, die in jedem Zeitalter Geltung haben und auf die die einzelnen Philosophen sich immer wieder beziehen.
Nichtsdestoweniger sind auch Aristoteles oder Burke in ihrer Zeit zu sehen. Eine Demokratie in der Ausführung des 20. Jahrhunderts konnten sie sich nicht vorstellen und verstanden daher auch unter diesem Begriff etwas ganz anderes als wir heute.
Auch die römische Republik z.B. war keine Demokratie im heutigen Sinne, sondern viel eher eine Aristokratie. Burke gilt sicher mit Recht als der Vater des Konservativismus. Trotzdem ist seine Ablehnung der Demokratie und seine Vorstellung von der gottgegebenen Ordnung der gesellschaftlichen Unterschiede eben nicht meine Idealvorstellung und auch nicht die vieler heutiger Konservativer. Sie können das ja anstreben und vertreten, wenn es Ihnen und dem Pater, den Sie zitieren, als Ideal vorschwebt. Aber einen Alleinvetretungsanspruch auf den Begriff "konservativ" haben Sie damit nicht.



Sie können natürlich einem albernen Vulgärkonservatismus huldigen, der unter dem Begriff alles subsumiert, was irgendjemand für erhaltenswert hält. Dann gibt es natürlich auch „konservative Kommunisten“, vulgo Betonköpfe.

Nicht, was irgendwer für erhaltenswert hält, sondern das, was der status quo vorgibt, also das, was aktuell vorhanden ist.
Ansonsten könnten Sie ja jeden Zustand bzw. jede Staats und Gesellschaftsform, der zu irgendeiner Zeit vorgeherrscht hat, zum Ziel des Konservativismus erklären. Im strengen geschichtlichen Sinne können Sie das vielleicht auf Burke beziehen und vielleicht auch auf die Vor-Neuzeit eingrenzen, im landläufigen Wortsinn aber sicher nicht.
Mit "vulgär" hat das übrigens nichts zu tun, das ist einfach eine allgemeinere Definition des Begriffs.


Es ist aber gerade diese Verschwurbelung des Konservatismusbegriffes, der ihm seine modernistische und relativistische Beliebigkeit verleiht und die ihm jede Strahlkraft nimmt. So benutzt können sie unter Konservatismus sogar den gleichen Unsinn verkaufen, den uns die Pseudo-Rechte, wie Turbo-Linke, seit dem Beginn ihrer Erziehungsdiktatur, aufschwatzen will. Mir hingegen geht es um die Wiederaufnahme einer geistigen Strömung, die Moderne grundsätzlich kritisiert, sie hat es bitter nötig, und nicht um eine fortgesetzte Beweihräucherung derselben unter neuen Namen.

Ihr Eifer in allen Ehren, aber das sehe ich etwas anders. Das hat für mich nichts mit relativistischer Beliebigkeit zu tun, denn gerade die lehne ich als Konservativer auch ab.
Ich bin nur nicht, wie Sie, von der alleinigen "Strahlkraft" des Mittelalters oder der katholischen Kirche überzeugt, sondern die Neuzeit, mit all ihren Irrtümern und Errungenschaften gehört für mich auch zu dem, was "erhalten" werden soll.


Woher, um Gottes willen, nehmen Sie denn diese Erkenntnis? Ist das Ihre Lebenserfahrung? Sascha (http://www.politikforen.de/showthread.php?t=43104) beispielsweise, ist noch ziemlich jung.
Sie kennen doch sicher das Churchill Zitat: Wer als junger Mensch nicht links ist, hat kein Herz, wer aber als alter Mensch immer noch links ist, hat keinen Verstand.
Ja: ich würde sagen, es ist Lebensefahrung. Das gilt selbstverständlich nicht für jeden, es gibt auch viele junge Konservative und auch jede Menge unverbesserliche Alt-Linke, aber auf sehr viele Menschen trifft es doch zu.

Efna
06.06.2007, 19:05
Ungeschehen machen kann man gar nichts, das ist eine Binsenweisheit.Was aber durchaus möglich ist, ist eine grundsätzliche Kurskorrektur. Die wird nur deshalb von manchen Leuten für unmöglich erklärt, weil sie sie nicht wollen, und über die Unmöglichkeitserklärung vom Tisch zu wischen hoffen.
Nichts ist exakt wiederholbar - aber der Strom des Vergangenen kann Leitbild sein. Das hat dann natürlich nichts mit einem linearen qualitativen Fortschritt in der Geschichte zu tun, wie Progressivisten ihn erwarten.
Aber exakt darum geht es: Der Progressivismus hat bislang schon so vieles zerstört, immer mit dem Versprechen, es durch etwas substanziell besseres zu ersetzen. Diesen besseren Ersatz ist er beinahe durchgehend schuldig geblieben.

Man kann die Vergangenheit nicht zur Zukunft machen?
Versuchen wir es doch einfach - dann sehen wir ja, ob es unmöglich ist.

Konservativ und Progressiv sind sehr schwammige Begriffe und man kann viel verstehen. Nehmen wir doch einfach mal den "Kampf gegen den Terror" Auf der einen Seite der Islamismus und auf der anderen Seite die USA unter den Neocons. Beide Seiten haben eines Gemeinsam, sie sind beide Konservativ und trotzdem sind sie Gegner. Gehen wir in der Zeit etwas zurück, die Kubakrise auf der einen Seite die Sowjets auf der anderen Seite die USA unter J.F.K. und auch hier sind beide Seiten Progressiv.
Der versuch die Vergangenheit zur Zukunft zu machen gab es schon oft und er ist immer gescheitert.

Mcp
07.06.2007, 04:06
@MCP
Sorry aber irgendwie ist es doch total verträumter Idealismus an den du dich klammerst. Man kann die Vergangenheit nicht zur Zukunft machen das sehen auch die extremsten Konservativen ein. Sicherlich beruft sich ein Konservativer auf die Wurzel und versucht Vergangenes zu bewahren soweit es möglich ist, aber erkennt an das sich die Welt nunmal auch ändert und nicht auf einen Punkt verharrt. Sicherlich haben in der Vergangenheit und vor allem im 19. Jahrhundert gegen die Moderne und Aufklärung gewettert nur beddenkst du nicht das diese Leute in einer Zeit gelebt haben als franz. Revolution etc. nur Jahrzehnte und Jahre alt waren. Mittlerweile sind 200 Jahre vergangen und die kann man nunmal nicht ungeschehen machen.

„Alles Vergangene hat eine Wurzel, die in die Zukunft ragt und die Gegenwart bestimmt. („Man kann die Vergangenheit nicht zur Zukunft machen“, aber jede Vergangenheit hat eine Zukunft.) Wird die Wurzel durchtrennt, verdorrt der Baum. Langsam, aber unaufhaltsam. Die Moderne hat die Axt an die Wurzel gelegt. Seitdem stirbt nicht nur die Tradition. („Nur beddenkst du nicht das“, des „200 Jahre vergangen“ sind und man nichts „ungeschehen machen“ kann.) Was bleibt, ist unser Idealismus, unsere Träume.“

Solchen Stuss nennt man Allgemeinplätze. Sie klingen gut. Sie passen auf alles Mögliche. Sie sagen nichts. Man äußert Sie für gewöhnlich, wenn man einer Debatte intellektuell nicht mehr folgen will oder kann.

Ich sage es kürzer, inhaltsvoller und aussagekräftiger: tschüss. :wink:

Mcp
08.06.2007, 02:26
Ich hatte hier eigentlich den logischen Widerspruch in Ihrem vorigen Beitrag gemeint. Was die Übereinstimmung zwischen Ihrem Lebenswandel und Ihren Prinzipien betrifft, maße ich mir kein Urteil an.

Dann benennen Sie ihn, denn mir ist ein solcher offensichtlich entgangen.


Da haben Sie nur teilweise recht. Natürlich gibt es übergeordnete menschliche Prinzipien, die in jedem Zeitalter Geltung haben und auf die die einzelnen Philosophen sich immer wieder beziehen.
Nichtsdestoweniger sind auch Aristoteles oder Burke in ihrer Zeit zu sehen. Eine Demokratie in der Ausführung des 20. Jahrhunderts konnten sie sich nicht vorstellen und verstanden daher auch unter diesem Begriff etwas ganz anderes als wir heute.

Es ist ja gerade eine Stärke dieses Konservatismusansatzes, dass er Menschen und ihre Verhältnisse außerhalb ihrer Zeit betrachtet. Die Formen der Demokratie mögen wechseln, doch ihr Wesen wird davon nicht berührt. Gerade Carl Schmitt zeigt das in unnachahmlicher Weise in seiner Kritik am angelsächsischen Parlamentarismus.
Aristoteles, Platon oder Thomas von Aquin kannten weder Auto, noch Flugzeug, aber sie kannten den Menschen schon, der diese Dinge einst erschaffen würde. Auch der Mensch definiert sich über zeitlose Konstanten, die in jeder Kultur, in jeder Gesellschaft und zu jeder Zeit auftauchen. Er feiert gern, er trauert, er singt, er tanzt und er zelebriert die Nahrung, statt sie einfach als Biomasse zu betrachten. Die Formen der Feier (Weihnacht, Ramadan), Trauer (Totenkult), des Tanzes oder des Gesanges mögen wechseln oder sich unterscheiden, über ihr Wesen aber definiert sich der Mensch, außerhalb jeder Zeit oder Kultur.

Burke gilt sicher mit Recht als der Vater des Konservativismus. Trotzdem ist seine Ablehnung der Demokratie und seine Vorstellung von der gottgegebenen Ordnung der gesellschaftlichen Unterschiede eben nicht meine Idealvorstellung und auch nicht die vieler heutiger Konservativer. Sie können das ja anstreben und vertreten, wenn es Ihnen und dem Pater, den Sie zitieren, als Ideal vorschwebt.
Bei der Gründung der Deutschnationalen Volkspartei im November 1918, konnte man sich lange Zeit nicht auf einen Namen einigen. So lehnten die Deutschkonservativen unter Kuno Graf von Westarp den Begriff „Volkspartei“ als Ausdruck des „unehrlichen Buhlens um die Gunst der Massen“ vehement ab. Demokratie ist die Regierungsform der Habenichtse, der Tagediebe und Banausen (Aristoteles). Ihre Feindschaft zum Eigentum, macht Demokratie zum Feind des Eigentümers. Die soziale Stellung bestimmt die politische Haltung. Die CDU mag als Volkspartei um die Gunst der Massen buhlen, meine Interessen vertritt sie längst nicht mehr. Ich habe auch kein Ideal, mich kotzen nur die Zustände in dieser Republik an.



Nicht, was irgendwer für erhaltenswert hält, sondern das, was der status quo vorgibt, also das, was aktuell vorhanden ist.

Wenn sie den status quo von heute, morgen noch verteidigen wollen, dann tun Sie entweder morgen das, was Sie mir heute vorwerfen oder Sie sind bloß ein Opportunist. (Was ich nicht glaube.)



Ansonsten könnten Sie ja jeden Zustand bzw. jede Staats und Gesellschaftsform, der zu irgendeiner Zeit vorgeherrscht hat, zum Ziel des Konservativismus erklären. Im strengen geschichtlichen Sinne können Sie das vielleicht auf Burke beziehen und vielleicht auch auf die Vor-Neuzeit eingrenzen, im landläufigen Wortsinn aber sicher nicht.

Ich bin nur nicht, wie Sie, von der alleinigen "Strahlkraft" des Mittelalters oder der katholischen Kirche überzeugt, sondern die Neuzeit, mit all ihren Irrtümern und Errungenschaften gehört für mich auch zu dem, was "erhalten" werden soll.


Zeit- und raumlos ist das Bild von der natürlichen Ordnung der Welt. Die Summe aller Sitten und Gebräuche spiegelt eine natürlich gewachsene Gesellschaft treulich wieder, in der ein jeder mit seinen angeborenen Fähigkeiten und Fertigkeiten seinen natürlichen, wie frei und selbst bestimmten Platz findet. Die konkrete Ausformung dieser Verhältnisse (Gesellschaft) ist für den Konservativen belanglos, solange dabei grundlegenden Prinzipien wie beispielsweise die individuelle Freiheit und der durch Arbeit angeeignete Besitz unangetastet bleiben. Jede Epoche, jedes Zeitalter, jede Kultur oder Religion ist Gegenstand der Betrachtung, nicht aber Ziel irgendeiner abstrakten Sehnsucht oder Theorie. Erst die Moderne machte den Menschen zum Gegenstand von Theorien und degradierte das Individuum zum Versuchskaninchen aller möglichen Wissenschaften, indem sie über die Verhältnisse (die Form) das Individuum (das Wesen) zu ändern sucht erzeugt sie jenes Unbehagen, dass sich von Zeit zu eruptiv in Hass und Gewalt entlädt. Das Individuum soll in erdachte Verhältnisse passen, statt umgekehrt die Gesellschaft zu ihm.[1] Deshalb spricht die Moderne ausschließlich im Plural, wen sie „den“ oder „die Menschen“ beschreibt, und zwar in der doppelten Bedeutung des Begriffes, als bloße Verfügungsmasse, z. B. Konsument, genauso, wie als gedachter abstrakter, konstruierter, künftiger, idealer oder einfach als neuer Mensch, der aus dem Homo sapiens hervorgehen soll. Der Mensch gilt ihr als etwas, was überwunden werden muss (Nitzsche; Also sprach Zarathustra). Der Selbsthass des modernen Menschen wird im Humanismus manifest. Er beschreibt was Mensch werden soll, nicht aber, was er ist. Die Moderne nimmt die Verhältnisse wichtiger als den Menschen, den sie zu ändern, ja dadurch zu vernichten sucht, dass sie seine Kultur durch pervertierte Subkultur (Unkultur) ersetzt [2]. Aus diesem und aus keinem anderen Grund steht die Moderne im Zentrum der schonungslosen Kritik konservativen Denkens. Der Konservative will die natürliche Kultur bewahren (Bewahrung der Schöpfung), er kritisiert die Theorien, nicht den Menschen.

[1] Das Unbehagen des Menschen an den Verhältnissen beschreibt Ardono in seiner "Erziehung nach Auschwitz" so: „Man kann von der Klaustrophobie der Menschheit in der verwalteten Welt reden, einem Gefühl des Eingesperrtseins in einem durch und durch vergesellschaftlichten, netzhaft dich gesponnenen Zusammenhang. Je dichter das Netz, desto mehr will man heraus, während gerade seine Dichte verwehrt, dass man heraus kann. Das verstärkt die Wut gegen die Zivilisation. Gewalttätig und irrational wird gegen sie aufbegehrt.“ Die moderne Aufklärungsforschung (Hans Blumenberg) geht nicht vom einem grundsätzlichen Unbehagen des Menschen gegen Gesellschaft aus, sondern der Mensch rebelliert gegen die Zumutungen der Moderne, die für alle eruptiven Ausbrüche an Hass und Gewalt verantwortlich zeichnet.

[2] „Hinter den Kulissen der blendenden Leuchtreklame eines Konsumparadieses hatte sich eine zunächst mittelalterlich anmutende Mentalinquisition der Unkultur gegen die Kultur etabliert, um den Menschen - im Namen der Menschlichkeit – in den vorkulturellen (d. i. vormenschlichen) Zustand der Steinzeit, in den Zustand der Unmenschlichkeit, und eigentlich auf eine tierisch vormenschliche Stufe der Evolution, zu transformieren1, also um zu vernichten.“
Gabriel Foco; Der Unverstand der Moderne; Einführung; S.16ff ; Dissertation; Wien 2004; Theologische Fakultät;

Mcp
08.06.2007, 06:44
Unter dem Druck der revolutionäre Katastrophe, die 1918 über Deutschland hereinbrach und das Land dem Diktat des Versailler Vertrages auslieferte, mussten sich auch die konservativen Kräfte, bis dahin recht zersplittert, neu formieren. Am 24. November 1918 unterzeichneten Vertreter, der Deutschkonservativen Partei, der Deutschen Vaterlandspartei, des Alldeutschen Verbands, der Christlichsozialen sowie der Deutschvölkischen eine Absichtserklärung zur Gründung einer neuen rechtskonservativen Partei, der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP). Zu ihren bekanntesten Mitgliedern gehörten unter anderen Alfred von Tirpitz, Wolfgang Kapp, sowie der „Pressezar“ Alfred Hugenberg.

Politisch verfocht sie die Interessen der alten Eliten aus der Kaiserzeit, den Adel, die Beamten, die Offiziere, der Bauern und das Großbürgertum. Sie war das Seitenstück zur katholischen Zentrumspartei und vorwiegend protestantisch, was ihr große Sympathien bei den „Ostelbiern“, in Industrie und Handel und auch beim Stahlhelm einbrachte. Eines ihrer hervorstechenden Merkmale war ihre unversöhnliche Feindschaft zur Weimarer Republik, weil sie die Interessen derjenigen vertrat, die sich als Verlierer des Novemberverrates betrachteten.

Die Entwicklung lief zunächst sehr rasant und viel versprechend, wobei die große Pressemacht Hugenbergs half, bereits 1923 zählte die Partei stattliche 950.000 Mitglieder. Bemerkenswert ist, dass keine andere Partei in Deutschland so überproportional von der Einführung des Frauenwahlrechts profitierte, wie die DNVP. 1924 holte die Partei 19,5 Prozent aller Stimmen und wurde zur stärksten Fraktion. Allerdings zeigte sich bald, wie heterogen die Partei politisch war. Bereits 1922 hatten sich radikale völkische Kreise von der DVNP abgespalten und die Deutsch-Völkische Freiheitspartei gegründet, deren Mitglieder später zum großen Teil in die NSDAP überliefen.

Nach der erfolgreichen Stabilisierung der Weimarer Republik, an der auch und gerade die deutschen Freikorps nicht unerheblichen Anteil hatten, beteiligte sich die Partei erstmals, gegen starke innerparteiliche Vorbehalte, an der Regierung und stellte den Wirtschafts- und Finanzminister im Kabinett Luther, die jedoch schon im Oktober 1925 aus Protest gegen die Verträge von Locarno zurücktraten. Die fünf Minister die in das vierte Kabinett Luther eintraten, leisten zwar eine gute Arbeit, brachten der Partei aber erhebliche Stimmenverluste, weil die meisten ihrer potentiellen Anhänger das Weimarer System strikt ablehnte. Nach der, für die Partei, katastrophalen Wahl von 1928 übernahm Hugenberg den Parteivorsitz und brachte die DNVP wieder in Fundamentalopposition zum republikanischen System.

Unter Hugenberg bahnte sich eine enge Zusammenarbeit mit der NSDAP an, die erstmals in der Kampagne zur Ablehnung des Young-Planes zum Zuge kam. Diese gemeinsame Zusammenarbeit erwies sich letztlich deshalb als fatal, weil damit die Nationalsozialisten in der rechten Wählerschaft bekannt und akzeptabel gemacht wurden. In der Folgezeit verlor die DNVP immer mehr Stimmen und Bedeutung, wohl auch dadurch, dass Hugenberg gemäßigte Kräfte aus der Partei drängte. Durch eine Vielzahl von Abspaltungen verlor die Partei von 78 in 1928 Gewählten insgesamt 42 Abgeordnete.

Die DNVP unterstützte noch die Präsidialkabinette unter Brüning und von Papen und ermöglichte schließlich die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933. In völliger Verkennung der politischen Lage benannte sich die Partei im Mai in „Deutschnationale Front“ um, kam aber am 27. Juli durch Selbstauflösung einem drohenden Parteiverbot zuvor. Die DNVP unter Hugenberg wurde oft als „Steigbügelhalter“ der Nationalsozialisten denunziert. Dabei wird allzu gerne ausgeblendet, dass ein erheblicher Teil des Widerstandes gegen Hitler von ehemaligen Mitgliedern dieser Partei (z.B. Carl Friedrich Goerdeler) getragen wurde. Nicht wenige von ihnen wurden bereits unmittelbar nach der Machtübernahme verhaftet und einige kamen in Konzentrationslagern ums Leben.

Tomsax
08.06.2007, 12:52
Karlheinz Weißmann hat ungefähr beschrieben, was auch mir angenhme Vorstellung wäre: Die jetzige EU ohne Frankreich und Großbritannien, ähnlich organisiert wie das Heilige Römische Reich Deutscher Nation. Ein jährlicher, um Gottes willen kein ständiger, Reichstag. Eine eigene, unabhängige Reichsjurisdiktion (Reichsgerichte), die Streitigkeiten von Staaten und Personen reichsübergreifend regelt. Bei Bedarf eine Reichswehr, gebildet aus den stehenden Berufsheeren der Einzelstaaten. Oberster Repräsentat ein Präsident oder/und ein Kanzler, deren Vollmachten so austariert sind, dass sie sich mit denen des Reichstages in Waage halten. Die Union, dass Reich also, ist selber streng förderal organisiert. Die Souveränität der Nationalstaaten bleibt weitgehend erhalten. Über den zulässigen Krümmungsradius der Spreewaldgurge entscheidet die lokale Bürokratie. Eine Reichsstaatsbürgerschaft gibt es nicht, wohl aber reichsunmittelbare Territorien, so dass unabhängige Einahmen für Reichskanzler und Verwaltung gewährleistet sind. Steuern werden nicht erhoben, wohl aber Mitgliedsbeiträge gezahlt, die eine relative Deckelungsgrenze nicht überschreiten. Eine unabhängige Unionsexekutive existiert nicht, wohl aber das Mittel der Reichsexekution, über die bei Bedarf der Reichstag entscheidet. Ob und mit welchen Kompetenzen die Union Nationalstaaten nach außen vertritt, wäre Angelegenheit der Signatare. Hoch wahrscheinlich wäre sie, ohne konkreten Reichsexekutionsauftrag, rein repräsentativ.

Vermutlich, blickt man nach Brüssel, existieren ganz andere Pläne.

Ach ja, warum ohne Franzosen und Briten? Weil mit ihnen eine solche Idee, wie vermutlich jede andere Idee von Europa überhaupt, nicht zu verwirklichen wäre, und nicht nur deshalb, weil ich beide nicht sonderlich leiden mag. :)

Hat Spaß gemacht. Danke für die Frage.

Eine sehr interessante Darstellung einer Idee, die von einigen Seiten, mit natürlich immer kleinen Abweichungen, vertreten wird.
Jedenfalls dem Grundgedanke ist voll und ganz zuzustimmen.

derNeue
08.06.2007, 19:44
Es ist ja gerade eine Stärke dieses Konservatismusansatzes, dass er Menschen und ihre Verhältnisse außerhalb ihrer Zeit betrachtet. Die Formen der Demokratie mögen wechseln, doch ihr Wesen wird davon nicht berührt. Gerade Carl Schmitt zeigt das in unnachahmlicher Weise in seiner Kritik am angelsächsischen Parlamentarismus.

Nun ja, Demokratie ist letztlich nur ein Begriff und als solcher beliebig dehnbar. Die angelsächsische und die deutsche Demokratie des 20. Jhr. können Sie sicher noch als "vom Wesen her gleich" ansehen.
Für die Antike aber gilt das nicht mehr. Wenn Sie z.B. die römische "Demokratie" der Republikzeit nehmen: da durften nur die obersten Steuerklassen am politischen Geschehen teilnehmen und alle politischen Ämter waren Ehrenämter, so daß nur die römische Aristokratie dafür in Frage kam. Von der Masse der Unfreien mal ganz zu schweigen. In Griechenland war das nicht anders. Diese "Demokratien" waren also schlicht keine nach unseren heutigen Verständnis.
Wenn wir also heute einen Text von Aristoteles über die Demokratie lesen, oder etwa "de res publica" von Cicero, müssen wir natürlich erst mal die Begriffe klären und können sie nicht einfach im heutigen Sinne definieren.


Aristoteles, Platon oder Thomas von Aquin kannten weder Auto, noch Flugzeug, aber sie kannten den Menschen schon, der diese Dinge einst erschaffen würde. Auch der Mensch definiert sich über zeitlose Konstanten, die in jeder Kultur, in jeder Gesellschaft und zu jeder Zeit auftauchen. Er feiert gern, er trauert, er singt, er tanzt und er zelebriert die Nahrung, statt sie einfach als Biomasse zu betrachten. Die Formen der Feier (Weihnacht, Ramadan), Trauer (Totenkult), des Tanzes oder des Gesanges mögen wechseln oder sich unterscheiden, über ihr Wesen aber definiert sich der Mensch, außerhalb jeder Zeit oder Kultur.

Das ist unbestreitbar richtig. Aber gerade deswegen hat es mich ja auch etwas gewundert, daß Sie das ganze 19. Jahr. mit der französischen Revolution quasi als "Verirrung" vom allgemein Menschlichen dargestellt haben. Das kann ich so nicht nachvollziehen, denn auch in der französischen Revolution zeigen sich diese menschlichen Konstanten, von denen Sie reden.
Denn auch das gab es alles schon vorher, denken Sie z.B. an die Bauernkriege, den Spartakus-Aufstand usw. Ich sehe diese zeitlosen Konstanten eben auch in der Neuzeit, was Sie offenbar nicht tun, wenn ich Sie richtig verstehe.


Demokratie ist die Regierungsform der Habenichtse, der Tagediebe und Banausen (Aristoteles).

Das ist leider nicht zu bestreiten. Dennoch ist sie unter allen Übeln noch das kleinste.


Ihre Feindschaft zum Eigentum, macht Demokratie zum Feind des Eigentümers.

Es gibt gewisse Werte in Staat und Gesellschaft, die nicht zur demokratischen Disposition stehen dürfen.
Dazu gehört z.b. der Schutz des Eigentums. Solche Dinge werden in modernen Demokratien gewöhnlich durch die Verfassung des Staates und zunehmend auch durch internationale Organisationen geregelt.
Im Übrigen gilt Ihr Satz wohl auch nur dann, wenn Wenige im Staat viel oder fast alles besitzen. Sobald die Güter einigermaßen gleichmäßig (aber nicht gleich!) verteilt sind, wird die Mehrheit der stimmberechtigten Bürger den Schutz des Eigentums auch befürworten.


Die soziale Stellung bestimmt die politische Haltung. Die CDU mag als Volkspartei um die Gunst der Massen buhlen, meine Interessen vertritt sie längst nicht mehr. Ich habe auch kein Ideal, mich kotzen nur die Zustände in dieser Republik an.

Da haben wir etwas gemeinsam.:)


Wenn sie den status quo von heute, morgen noch verteidigen wollen, dann tun Sie entweder morgen das, was Sie mir heute vorwerfen oder Sie sind bloß ein Opportunist. (Was ich nicht glaube.)

Das ist ein schlaues Argument. Da haben Sie recht.
Wir können "konservativ" also nicht allgemeingültig definieren. Im historischen Sinne ist Ihre Definition richtig.
Im allgemeinen Sinn müssen wir sagen:
Konservativ ist jeder, der sich irgendeinen vergangenen historischen Zustand seiner Wahl zurückwünscht oder auch nur den Status quo erhalten will.


Erst die Moderne machte den Menschen zum Gegenstand von Theorien ..

was war denn mit den vielen Gesellschaftstheorien der Vormoderne?


..und degradierte das Individuum zum Versuchskaninchen aller möglichen Wissenschaften, indem sie über die Verhältnisse (die Form) das Individuum (das Wesen) zu ändern sucht erzeugt sie jenes Unbehagen, dass sich von Zeit zu eruptiv in Hass und Gewalt entlädt. Das Individuum soll in erdachte Verhältnisse passen, statt umgekehrt die Gesellschaft zu ihm.[1]

Das ist zwar richtig. Genausogut können Sie aber auch sagen: erst die Moderne hat es geschafft, dem Individuum ein Maß an persönlicher Freiheit zu gewährleisten, das in früheren Zeitaltern undenkbar gewesen wäre. Dafür mußten eben Opfer gebracht werden.


Deshalb spricht die Moderne ausschließlich im Plural, wen sie „den“ oder „die Menschen“ beschreibt, und zwar in der doppelten Bedeutung des Begriffes, als bloße Verfügungsmasse, z. B. Konsument, genauso, wie als gedachter abstrakter, konstruierter, künftiger, idealer oder einfach als neuer Mensch, der aus dem Homo sapiens hervorgehen soll. Der Mensch gilt ihr als etwas, was überwunden werden muss (Nitzsche; Also sprach Zarathustra). Der Selbsthass des modernen Menschen wird im Humanismus manifest. Er beschreibt was Mensch werden soll, nicht aber, was er ist. Die Moderne nimmt die Verhältnisse wichtiger als den Menschen, den sie zu ändern, ja dadurch zu vernichten sucht, dass sie seine Kultur durch pervertierte Subkultur (Unkultur) ersetzt [2]. Aus diesem und aus keinem anderen Grund steht die Moderne im Zentrum der schonungslosen Kritik konservativen Denkens. Der Konservative will die natürliche Kultur bewahren (Bewahrung der Schöpfung), er kritisiert die Theorien, nicht den Menschen.



Was meinen Sie eigentlich mit Moderne? Streng genommen ist es ja nur das 20. Jhr. oder meinen Sie im weiteren Sinn die ganze Neuzeit?
Was Sie hier kritisieren, sehe ich auch als Grundübel des 20. Jhr. Es ist der sozialistische oder besser: kollektivistische Denkansatz (den für den NS galt er ja ganz genauso).
Sie haben diese Theoriegläubigkeit, in deren Namen viele Millionen gestorben sind und die ihre späte Ausgeburt in Deutschland in der 68er Bewegung hatte, sehr gut beschrieben.
Die Verhältnisse wichtiger als den Menschen zu nehmen, wie Sie es gesagt haben, ist ein guter Satz. Das war (und ist in vielen Kreisen immer noch) tatsächlich die Geißel des vergangenen Jahrhunderts.
Nur würde ich doch bestreiten, daß das die einzige Denkrichtung war, Sie haben selbst Carll Schmitt erwähnt. Wir leben doch in einer pluralistischen Gesellschaft, in der es die unterschiedlichsten Denkansätze gibt und in der zum ersten Mal in der Geschichte diese unterschiedlichen Entwürfe nebeneinander bestehen dürfen und geduldet werden.
Was ist denn mit den Menschenrechten, die unveräußerlich für alle Individuen gelten sollen? Eine Errungenschaft der Moderne.

Mcp
11.06.2007, 03:40
Nun ja, Demokratie ist letztlich nur ein Begriff und als solcher beliebig dehnbar

Wenn wir also heute einen Text von Aristoteles über die Demokratie lesen, oder etwa "de res publica" von Cicero, müssen wir natürlich erst mal die Begriffe klären und können sie nicht einfach im heutigen Sinne definieren.
Jedes Ding ist zugleich ein Wesen, welches nicht beliebig ist. Es mag uns, wie Demokratie, in verschiedenen Ausformungen entgegentreten, doch am Wesen werden wir Demokratie auch in 2000 Jahren noch erkennen. Aristoteles beschreibt dieses Wesen und geht auf die politische Form (Athen) nur am Rande ein. [1] Aristoteles ist daher, nicht nur beim Theologiestudenten, sondern auch unter angehenden Politikwissenschaftlern (http://www.grin.com/de/preview/57056.html) ein hoch bekannter Mann. Mit Recht, wie ich finde.



Denn auch das gab es alles schon vorher, denken Sie z.B. an die Bauernkriege, den Spartakus-Aufstand usw. Ich sehe diese zeitlosen Konstanten eben auch in der Neuzeit, was Sie offenbar nicht tun, wenn ich Sie richtig verstehe.
Alle, wirklich alle Denker des antiken Griechenlands, haben, so weit ich blicken kann, die attischen Zustände nicht nur beschrieben, sondern lauthals beklagt. Der das denkende Griechenland vernichtende, 30jährige peloponnesische Krieg nahm hier seinen Ausgang. Demokratie und ihre "Errungenschaften" sind ein verhängnisvoller Irrweg. Damals, wie heute.


Dennoch ist sie unter allen Übeln noch das kleinste.
Nein.


Im Übrigen gilt Ihr Satz wohl auch nur dann, wenn Wenige im Staat viel oder fast alles besitzen. Sobald die Güter einigermaßen gleichmäßig (aber nicht gleich!) verteilt sind, wird die Mehrheit der stimmberechtigten Bürger den Schutz des Eigentums auch befürworten.
Heute konsumieren, morgen bezahlen. Die Kartoffel wird nicht gepflanzt, um langfristige Erträge zu erwirtschaften, aus jeder Kartoffel wächst eine Staude mit dem 10 fachen Ertrag, sondern kurzfristig verspeist, um nahe liegende Begierden zu befrieden[2]. Der Plebs kann nicht wirtschaften, er lehnt Eigentum auch deshalb ab, weil es Verantwortung für das eigene und mit ihm verbundene Leben (z.B. Kinder) verlangt. Das es nicht erst seit heute so ist, können Sie bereits in der Bergpredigt nachlesen. [3] Es wird nie eine freie Gesellschaft geben, in der jeder mindestens soviel besitzt, dass er seinen Unterhalt davon bestreiten kann. Nicht weil man es dem Menschen verweigert, sondern er es nicht will. La dolce vita ist ein Leben ohne Zukunft. Sie leben nicht anders als das Vieh auf der Weide (Aristoteles). Soziale Schichten entstehen nicht, weil irgendjemand sie will oder sie vorschreibt, sondern auf natürlichen Wege, allein durch unterschiedliche Lebensweisen und Lebenserwartungen. Eine Demokratie widerspricht mit ihren Wesen, in ihrem Drang die Gleichheit auch außerhalb des Politischen einzufordern, durch ihren omnipotenten Machtanspruch, einer natürlichen Ordnung der Gesellschaft. Sie war, ist und bleibt ein latenter Feind jeder Selbstbestimmung, da sich nichts und niemand ihren ausufernden Vorschriften, ihrer Regelungswut und ihren regelmäßigen Raubzügen entziehen kann.




Das ist zwar richtig. Genausogut können Sie aber auch sagen: erst die Moderne hat es geschafft, dem Individuum ein Maß an persönlicher Freiheit zu gewährleisten, das in früheren Zeitaltern undenkbar gewesen wäre. Dafür mußten eben Opfer gebracht werden.
Freiheit bedeutet vor allem Unabhängigkeit, Autarkie. Wenn Sie so viele Bundesschatzbriefe ihr eigen nennen, dass Sie ihr Leben allein aus einem Teil der Zinsen bestreiten können, dann sind Sie frei. Die Freiheit hat viele Gesichter, selbst Sklaven wähnen sich frei, wenn der Herr des Haus verlassen hat. Tacitus hätte für die heutigen Verhältnisse, unter der 90 Prozent aller Menschen gezwungen sind zu leben, nur einen verächtlichen Halbsatz übrig: "Sie nennen Freiheit, was doch Knechtschaft ist." [4]


Was meinen Sie eigentlich mit Moderne? Streng genommen ist es ja nur das 20. Jhr. oder meinen Sie im weiteren Sinn die ganze Neuzeit?
Ich weiß das meine Zeiteinteilung nicht für das Feuilleton taugt. Ich meine mit Moderne im engen Sinne alles, was seit 1789 passierte. Im weiten Sinne die Ideen, die hierzu führten, also auch die Renaissance.



Was ist denn mit den Menschenrechten, die unveräußerlich für alle Individuen gelten sollen? Eine Errungenschaft der Moderne.
Die Menschenrechte sind vieles, nur eben keine Errungenschaft. In gewisser Weise haben sie einfach die Zehn Gebote abgelöst. Menschenrechte sind, gemessen am verbrieften Bürgerrecht, sogar ein zivilisatorischer Rückschritt, weil sie eben nicht verbrieft, hoch schwammig, nicht einklagbar und sich nicht auf eine Executive stützen. Mittlerweile haben Sie sogar den Charakter einer Religion [5] angenommen, unter deren Behuf auf exakt den gleichen Schlachtfeldern gekämpft wird, wie Anno die Ritter unterem christlichen Kreuz.

Im Übrigen: Es gibt genauso viele konservative Richtungen, wie es Konservative gibt. Wäre es anders, gäbe es überhaupt keinen Konservatismus mehr.


[1] Sie brauchen keine „Begriffe“ zu klären, der Text ist auch nach 2500 Jahren lesbar und verständlich, er beschriebt das Wesen des Begriffes genauso zeitlich invariant, wie die Aussage, dass in allen ebenen rechtwinkligen Dreiecken die Summe der Flächeninhalte der Kathetenquadrate gleich dem Flächeninhalt des Hypotenusenquadrates ist.

„Grundlage der demokratischen Staatsform ist die Freiheit; man pflegt nämlich zu behaupten, daß die Menschen nur in dieser Staatsform an der Freiheit teilhaben, und erklärt, daß danach jede Demokratie strebe. Zur Freiheit gehört aber erstens, daß man abwechselnd regiert und regiert wird. Denn die demokratische Gerechtigkeit besteht darin, daß man nicht der Würde, sondern der Zahl nach die Gleichheit walten läßt; wo diese Gerechtigkeit herrscht, da muß die Menge Herr sein, und was die Mehrzahl billigt, das muß das Gültige und das Gerechte sein. Man sagt nämlich, es sei gerecht, daß jeder Bürger das Gleiche habe. So sind denn in den Demokratien die Armen mächtiger als die Reichen. Denn sie sind zahlreicher, und maßgebend ist die Meinung der Mehrzahl. Dies ist also das eine Zeichen der Demokratie, das alle Demokraten als Wesenszug dieser Verfassungsform angeben. Ein anderes ist, daß man leben kann, wie man will. Sie sagen, dies eben sei die Leistung der Demokratie; denn nicht zu leben, wie man wolle, sei charakteristisch für Sklaven. Dies ist also die zweite Eigenschaft der Demokratie. Von da her kommt denn, daß man sich nicht regieren läßt, am besten von überhaupt niemandem, oder dann doch nur abwechslungsweise. Auch dies trägt also zur Freiheit im Sinne der Gleichheit bei.“
Quelle: Aristoteles; Politik; 6. Buch

[2] vergl. Zeitpräferenz, auch Hoppe; "A theory of socialism and capitalism"; 1989.

[3] MATTHÄUS 6,26 Seht die Vögel unter dem Himmel an: sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch. Seid ihr denn nicht viel mehr als sie? Alle "revolutionären" Bewegungen bis ins hohe Mittelalter predigten einen christlichen Sozialismus, vulgo arbeitsloses Grundeinkommen, der sich nur wenig vom modernen unterscheidet und in dem diese Botschaft dieser Predigt eine entscheidende Rolle spielt. 6,24 Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon.

[4] Tacitus; Acricola; Leipzig; 1914

[5] vergl. Alain de Benoist; Die Religion der Menschenrechte; ISBN 3-929886-19-7

derNeue
11.06.2007, 18:49
Jedes Ding ist zugleich ein Wesen, welches nicht beliebig ist. Es mag uns, wie Demokratie, in verschiedenen Ausformungen entgegentreten, doch am Wesen werden wir Demokratie auch in 2000 Jahren noch erkennen. Aristoteles beschreibt dieses Wesen und geht auf die politische Form (Athen) nur am Rande ein. [1] Aristoteles ist daher, nicht nur beim Theologiestudenten, sondern auch unter angehenden Politikwissenschaftlern (http://www.grin.com/de/preview/57056.html) ein hoch bekannter Mann. Mit Recht, wie ich finde.

Zweifellos



Alle, wirklich alle Denker des antiken Griechenlands, haben, so weit ich blicken kann, die attischen Zustände nicht nur beschrieben, sondern lauthals beklagt. Der das denkende Griechenland vernichtende, 30jährige peloponnesische Krieg nahm hier seinen Ausgang. Demokratie und ihre "Errungenschaften" sind ein verhängnisvoller Irrweg. Damals, wie heute.

Nein, aber vielleicht das, was Aristoteles unter Demokratie verstand



Heute konsumieren, morgen bezahlen. Die Kartoffel wird nicht gepflanzt, um langfristige Erträge zu erwirtschaften, aus jeder Kartoffel wächst eine Staude mit dem 10 fachen Ertrag, sondern kurzfristig verspeist, um nahe liegende Begierden zu befrieden[2]. Der Plebs kann nicht wirtschaften, er lehnt Eigentum auch deshalb ab, weil es Verantwortung für das eigene und mit ihm verbundene Leben (z.B. Kinder) verlangt. Das es nicht erst seit heute so ist, können Sie bereits in der Bergpredigt nachlesen.

Das kann ich so nicht nachvolllziehen. Meiner Erfahrung nach lehnt niemand Eigentum ab, solange er es selbst besitzt, unabhängig von der Gesellschaftsschicht, der er angehört.
Der "Plebs" (das Wort ist problematisch für mich) neigt allerdings dazu, wenn er kein Eigentum hat, sehr gerne auf Kosten anderer (des Staates bzw. der übrigen Bürger)zu leben und das als sein Recht anzusehen. Hier muß der Staat auch erzieherisch einwirken.


[3] Es wird nie eine freie Gesellschaft geben, in der jeder mindestens soviel besitzt, dass er seinen Unterhalt davon bestreiten kann. Nicht weil man es dem Menschen verweigert, sondern er es nicht will. La dolce vita ist ein Leben ohne Zukunft. Sie leben nicht anders als das Vieh auf der Weide (Aristoteles). Soziale Schichten entstehen nicht, weil irgendjemand sie will oder sie vorschreibt, sondern auf natürlichen Wege, allein durch unterschiedliche Lebensweisen und Lebenserwartungen.

das stimmt


Eine Demokratie widerspricht mit ihren Wesen, in ihrem Drang die Gleichheit auch außerhalb des Politischen einzufordern, durch ihren omnipotenten Machtanspruch, einer natürlichen Ordnung der Gesellschaft. Sie war, ist und bleibt ein latenter Feind jeder Selbstbestimmung, da sich nichts und niemand ihren ausufernden Vorschriften, ihrer Regelungswut und ihren regelmäßigen Raubzügen entziehen kann.

Das stimmt nur, wenn man Demokratie als Gleichheit definiert und Gerechtigkeit mit Gleichmacherei verwechselt, eine typische Eigenschaft der Linken.
Aristoteles tut übrigens genau das in seinem Text, den Sie unten zitieren. Es ist nicht die heutige Vorstellung von Demokratie und sozialer Marktwirtschaft, von der er ausgeht.


Freiheit bedeutet vor allem Unabhängigkeit, Autarkie. Wenn Sie so viele Bundesschatzbriefe ihr eigen nennen, dass Sie ihr Leben allein aus einem Teil der Zinsen bestreiten können, dann sind Sie frei. Die Freiheit hat viele Gesichter, selbst Sklaven wähnen sich frei, wenn der Herr des Haus verlassen hat. Tacitus hätte für die heutigen Verhältnisse, unter der 90 Prozent aller Menschen gezwungen sind zu leben, nur einen verächtlichen Halbsatz übrig: "Sie nennen Freiheit, was doch Knechtschaft ist." [4]

Das mag sein, jedoch waren die Menschen in allen vergangenen Zeitaltern im Schnitt (bis auf wenige) wesentlich unfreier.


Die Menschenrechte sind vieles, nur eben keine Errungenschaft. In gewisser Weise haben sie einfach die Zehn Gebote abgelöst. Menschenrechte sind, gemessen am verbrieften Bürgerrecht, sogar ein zivilisatorischer Rückschritt, weil sie eben nicht verbrieft, hoch schwammig, nicht einklagbar und sich nicht auf eine Executive stützen. Mittlerweile haben Sie sogar den Charakter einer Religion [5] angenommen, unter deren Behuf auf exakt den gleichen Schlachtfeldern gekämpft wird, wie Anno die Ritter unterem christlichen Kreuz.

Der Unterschied zum Christentum und seinen Werten ist, daß die Menschenrechte viel allgemeiner gefaßt sind. Sie schreiben keine bestimmte Religion oder Weltanschauung vor. Sie gelten nur aus sich selbst.
Auch ein Moslem, solange er sich daran hält, wird respektiert.
Einklagbar und justiziabel sind sie noch nicht richtig, aber immerhin in zunehmender Weise, wie man auch am Schicksal von Diktatoren der neueren Zeit (Milosevic, Hussein) sehen kann. Das halte ich für eine Errungenschaft.


[1] Sie brauchen keine „Begriffe“ zu klären, der Text ist auch nach 2500 Jahren lesbar und verständlich, er beschriebt das Wesen des Begriffes genauso zeitlich invariant, wie die Aussage, dass in allen ebenen rechtwinkligen Dreiecken die Summe der Flächeninhalte der Kathetenquadrate gleich dem Flächeninhalt des Hypotenusenquadrates ist.

„Grundlage der demokratischen Staatsform ist die Freiheit; man pflegt nämlich zu behaupten, daß die Menschen nur in dieser Staatsform an der Freiheit teilhaben, und erklärt, daß danach jede Demokratie strebe. Zur Freiheit gehört aber erstens, daß man abwechselnd regiert und regiert wird. Denn die demokratische Gerechtigkeit besteht darin, daß man nicht der Würde, sondern der Zahl nach die Gleichheit walten läßt; wo diese Gerechtigkeit herrscht, da muß die Menge Herr sein, und was die Mehrzahl billigt, das muß das Gültige und das Gerechte sein. Man sagt nämlich, es sei gerecht, daß jeder Bürger das Gleiche habe. So sind denn in den Demokratien die Armen mächtiger als die Reichen. Denn sie sind zahlreicher, und maßgebend ist die Meinung der Mehrzahl. Dies ist also das eine Zeichen der Demokratie, das alle Demokraten als Wesenszug dieser Verfassungsform angeben. Ein anderes ist, daß man leben kann, wie man will. Sie sagen, dies eben sei die Leistung der Demokratie; denn nicht zu leben, wie man wolle, sei charakteristisch für Sklaven. Dies ist also die zweite Eigenschaft der Demokratie. Von da her kommt denn, daß man sich nicht regieren läßt, am besten von überhaupt niemandem, oder dann doch nur abwechslungsweise. Auch dies trägt also zur Freiheit im Sinne der Gleichheit bei.“
Quelle: Aristoteles; Politik; 6. Buch


Gerade dieser Text zeigt doch, daß Aristoteles eine völlig andere Vorstellung von Demokratie hatte, als wir heute. Für ihn ist Dermokratie=Gleichheit, was sich sogar bis hin zur abwechselnden Regierungsgewalt ausdrückt. Für uns heute ist es vielmehr eine Art Chancengleichheit, in der zwar jeder alles erreichen kann, aber nicht muß, und die Ungleichheiten ansonsten bestehen bleiben.
Die Definition des Aristoteles ähnelt sehr stark den Vorstellung der heutigen extremen Linken und von daher ist es nicht verwunderlich, daß er sie ablehnt, da er den Menschen besser kennt.
("Man sagt nämlich, es sei gerecht, daß jeder Bürger das Gleiche habe.")
Unsere heutige Demokratie beinhaltet ja, daß nicht sämtliche, sondern eben nur gewisse (nämlich politische) Fragen von der Mehrheit entschieden werden. Die Grenzen werden durch Grundgesetz, internationale geltende Menschenrechte oder in ähnlichen Zusammenhängen gesetzt und formuliert.
Demokratie im heutigen Sinn ist immer nur ein gradueller Zustand der Volksherrschaft.
Aristoteles dagegen schwebt eine Art Anarchie vor oder ein "Urzustand", wie ihn Hobbes oder Darwin beschrieben haben.
("Von da her kommt denn, daß man sich nicht regieren läßt, am besten von überhaupt niemandem, oder dann doch nur abwechslungsweise. Auch dies trägt also zur Freiheit im Sinne der Gleichheit bei.")
Die Vorstellung von der unterschiedlichen Wertigkeit von Menschen ist in der Antike noch selbstverständlich. Der Adlige ist "mehr wert" als der einfache Bürger-und der wiederum mehr als der Sklave, der vom Vieh praktisch nicht zu unterscheiden war.
Diese unterschiedliche Wertigkeit ist essentieller Art. Für Caesar war es keine Frage der Moral, einen Germanenstamm einfach komplett auszurotten, ganz einfach, weil sie für ihn nicht "Menschen" im Sinne der Römer waren, sondern bestenfalls potentielle Sklaven, die noch niemand eingefangen hatte.
Aristoteles war, ebenso wie z.B. auch Cicero, der Demokratie als "Pöbelherrschaft" gegenüber sehr ablehnend eingestellt, was eben auch aus dem antiken Menschenbild resultiert.
Ich sehe es als einen großen gedanklichen Fortschritt an, daß die Neuzeit und auch das Christentum jedem Menschen einen "Wert an sich" zuspricht, unabhängig von allen Unterschieden. Von daher halte ich es auch für richtig, daß sich dieses im demokratischen Grundsatz "one man one vote" ausdrückt. Politische Fragen betreffen alle Bürger eines Staates, daher müssen sie auch paritätisch entschieden werden.
Es wird aber eine nie endgültig zu entscheidende Frage bleiben, wo die Grenzen des demokratischen Prinzips liegen, denn unbestreitbar ist auch, daß nicht alles auf diese Weise entschieden werden kann.

Mcp
12.06.2007, 19:23
Das kann ich so nicht nachvolllziehen. Meiner Erfahrung nach lehnt niemand Eigentum ab, solange er es selbst besitzt, unabhängig von der Gesellschaftsschicht, der er angehört.

Ich meine bewirtschaftetes Eigentum als Grundlage für ein selbstbestimmtes Leben. Viele Menschen scheuen die Selbstständigkeit, weil sie das Risiko der Freiheit nicht ertragen wollen.


Der "Plebs" (das Wort ist problematisch für mich) neigt allerdings dazu, wenn er kein Eigentum hat, sehr gerne auf Kosten anderer (des Staates bzw. der übrigen Bürger)zu leben und das als sein Recht anzusehen. Hier muß der Staat auch erzieherisch einwirken. Weder darf der Staat "erzieherisch" wirken, dass verbitte ich mir sogar ausdrücklich, noch habe ich Probleme Plebs zu nennen, was sich als Plebejer, Proletarier oder Prekariat entpuppt. Die Unterschicht existiert und ist täglich im Fernsehen zu "bestaunen". Man sollte nicht um die politisch korrekte Suppe schleichen, auslöffeln muss man diese doch. Ich hasse den Gedanken, dass in einer Demokratie Menschen, die morgens um 8 Uhr schon ihr erstes Bier aufmachen, auch über mein Schicksal entscheiden wollen.


Das mag sein, jedoch waren die Menschen in allen vergangenen Zeitaltern im Schnitt (bis auf wenige) wesentlich unfreier.

Eine Auffassung, die ich nicht teile, aber im Raume stehen lasse.


Der Unterschied zum Christentum und seinen Werten ist, daß die Menschenrechte viel allgemeiner gefaßt sind. Sie schreiben keine bestimmte Religion oder Weltanschauung vor. Sie gelten nur aus sich selbst.
Auch ein Moslem, solange er sich daran hält, wird respektiert.
Einklagbar und justiziabel sind sie noch nicht richtig, aber immerhin in zunehmender Weise, wie man auch am Schicksal von Diktatoren der neueren Zeit (Milosevic, Hussein) sehen kann. Das halte ich für eine Errungenschaft.

Ein nur aus "sich selbst" geltendes Recht gibt es schon logisch nicht, es wäre ein verbotener Zirkelschluss. Aber seit Kant stören solche Sätze offensichtlich niemanden mehr.

Ein Robinson Crusoe, so er allein auf seiner Insel weilt, braucht weder Rechte, noch besitzt er welche. Der Begriff wäre, in diesem Zusammenhang gebraucht, vollkommen sinnlos. Es gibt also weder ein Recht "an sich", noch Rechte "aus sich" oder ein „Naturrecht“, sondern nur solche, die ich mit anderen, z. B. Freitag, vereinbare. Will ich des Nachts ruhig schlafen, werde ich mich so einigen müssen, dass es einigermaßen gerecht zugeht. Im anderen Fall brauche ich einen leichten Schlaf und stets eine geladene Waffe an meiner Seite. Aber in beiden Fällen kann ich keine über mir schwebenden Menschenrechte erkennen oder irgendwoher ableiten.

Jedes Recht resultiert allein aus dem Willen oder der Gewalt, die ich auszuüben in der Lage bin oder, die ich, um den Preis von Sanktionen, anerkennen muss. Das ich darüber hinaus dazu neige, anderen in der Not beizustehen, lieber kooperiere, als Krieg gegen alle führe*), hat wiederum nichts mit Rechten zu tun, sondern liegt in der Natur den Menschseins. Verhaltensweisen, welche sich im Laufe der Evolution als nutzbringend erwiesen, werden mit Glücksgefühlen belohnt, andere mit Angst oder schlechten Gewissen bestraft. Kultur und ihre Riten hat auch die Funktion positive Verhaltensweisen zu verstärken, negative zu sanktionieren. Recht, als grundlegendes Prinzip, gehört selbstverständlich dazu, nur eben nicht losgelöst von ihr, sondern eingebettet in die konkrete Kultur menschlichen Zusammenlebens.

Spätestens hier wird klar, dass die Menschenrechte eine nordatlantische Angelegenheit sind, die in Afghanistan nicht unbedingt Sinn machen. Will man ihnen dennoch, aufgrund ihrer angeblichen Universalität, dort Geltung verschaffen, weil man von ihrer moralischen Überlegenheit überzeugt ist, muss man die fremde Kultur und ihre geltenden Rechte vernichten oder einfach, sofern man dazu in Lage ist, verbieten, weil diese ihren Menschrechten widersprechen. Im Grunde machen Sie damit nichts anderes, als das, was der britische Kolonialherr aus seiner Sicht in der Vergangenheit tat: zivilisieren.

Die Idee eines Rechtes, was über dem Menschen steht, ist indes nicht neu, sondern religiös: Moses war zutiefst überzeugt, dass ihm Gott die Gebote höchstselbst in die Feder diktierte. Es war insofern ein Fortschritt, weil sich Menschen zum ersten Male auf etwas berufen konnten, was nicht auf fremder Willkür, sondern auf göttlichen Willen fußte. In ihrer Hochzeit hatte unsere "Heilige Mutter Kirche" noch den gleichen Anspruch wie unsere Menschenrechtler heute: Die Heiden gehören bekehrt oder ausgetrieben. Oder, wer nicht an Menschenrechte glaubt, kann nur ein Nazi sein, selbst wenn er in Wahrheit Saddam oder Ahmadinedschad heißt. Womit dann auch gleich festgelegt ist, für wen die Menschenrechte eigentlich gelten: Wie Abu Ghraib und Guantanamo beweist, nur für Menschen, die auch an sie glauben. Warum erinnern mich eifernde Menschenrechtler so sehr an mittelalterliche Mönche? Weil Menschenrechte im Grunde nur alter Wein in neuen Schläuchen ist.



Gerade dieser Text zeigt doch, daß Aristoteles eine völlig andere Vorstellung von Demokratie hatte, als wir heute.
Nein, hatte er nicht. Im Text beschreibt er die Argumente seiner Gegner (offenbar von Athenern), die er anschließend zerlegt. (Er verwendet ja nicht umsonst die Wendung: „man pflegt nämlich zu behaupten“) Aber allein die Tatsache, dass Sie ähnlich argumentieren, zeigt die ganze Aktualität des Textes. Aristoteles kannte im übrigen mehr als eine demokratische Form.

Wir haben ganz einfach unüberbrückbare Auffassungen zum Wesen der Demokratie und der Wirkungen, die aus diesem erwachsen. Noch nie in der Geschichte ist den Menschen ein Staat gegenübergetreten, der einem derartigen universellen Machtanspruch artikulierte, wie der heutige Demokratische. Die ungekannte Höhe der Abgaben in Form von direkten und indirekten Steuern, die unermessliche Regelungs- und Gesetzgebungswut, die tiefen Eingriffe in die Persönlichkeits- und Eigentumsrechte der Bürger, als das macht es mir schwer von Freiheit im Zusammenhang mit Demokratie zu reden. Hätte ich die Wahl, um Adenauer abzuwandeln, und müsste ich mich zwischen Freiheit und Demokratie entscheiden, wählte ich ohne zu zögern die Freiheit.

*)In diesem Zusammenhang sei angemerkt, dass ich den sogenannten Urzustand, verstanden als Kampf aller gegen alle, für großen Unsinn halte. Nirgendwo in der Natur finden wir einen solchen vor. Wenn Kämpfe, dann in quasirituellen, gehegten Formen, die das Verletzungsrisiko minimieren. Ich halte nicht Kampf, sondern soziale, intelligible Kooperation für das wesentliche Merkmal, dass den Menschen den Aufstieg zur dominanten Art ermöglichte.

Anarch
12.06.2007, 19:37
Alle, wirklich alle Denker des antiken Griechenlands, haben, so weit ich blicken kann, die attischen Zustände nicht nur beschrieben, sondern lauthals beklagt. Der das denkende Griechenland vernichtende, 30jährige peloponnesische Krieg nahm hier seinen Ausgang. Demokratie und ihre "Errungenschaften" sind ein verhängnisvoller Irrweg. Damals, wie heute.

Wir sollten beachten, daß Aristoteles die Volksherrschaft an sich nicht verachtete, nur ihre Degeneration, die er folglich als Demokratie betitelte. Vielmehr strebte er eine Mischform aus Aristokratie (=Herrschaft der Besten) und der Herrschaft des Volkes an; ein System das er Politie nannte.

Wir sollten beachten, daß das übrige Europa des Altertums weitestgehend "demokratisch" war. Als Beispiel nenne ich die germanischen Gemeindeversammlungen (Thing). Der König sollte einzig und allein für das Wohl des Volkes sorgen, wenn er dies nicht tat, wurde er gestürzt.

Die Hellenen waren übrigens der Ansicht, daß einzig eine Mischform aus den positiven Seiten aller Regierungssysteme (Aristokratie, Monarchie, Demokratie usw.) dazu führt, daß der Kreislauf der Degeneration durchbrochen wird. Ich teile diese Ansicht, und sehe im post-modernen Typus des Rätesystems jene Regierungsform.

Hinzufügend möchte ich festhalten, daß im Altertum die Freiheit nicht nach liberalem Muster als "tue was du willst, solange du niemanden störst", definiert wurde, sondern sich als "Freiheit-als-Anteilnahme" verstand. Das heißt, frei war derjenige, der die Möglichkeit besaß über sein Schicksal zu entscheiden, und sich in der Gemeinschaft einzubringen. Die Demokratie - von der es, wie richtig aufgezeigt mehrere Formen gibt - ist somit, wenn sie sich am antiken Ideal orientiert, das Regierungssystem der größtmöglichen Freiheit.

derNeue
12.06.2007, 21:05
Ich meine bewirtschaftetes Eigentum als Grundlage für ein selbstbestimmtes Leben. Viele Menschen scheuen die Selbstständigkeit, weil sie das Risiko der Freiheit nicht ertragen wollen.

Es hat nicht jeder das Zeug zum Unternehmer. Jeder aber möchte Reichtum, denn Reichtum ermöglicht ein schönes Leben und man kann seine Bewirtschaftung auch sehr gut anderen überlassen. Insofern glaube ich nicht an Ihre These, daß die Demokratie dem Eigentum feindlich gegenüber steht. Sie steht ihm nur dann feindlich gegenüber, wenn es sich in den Händen weniger befindet. Dann kommt es schnell zu Enteignung, was wirklich ein Problem werden kann.


Weder darf der Staat "erzieherisch" wirken, dass verbitte ich mir sogar ausdrücklich,

ich finde schon, daß der Staat durchaus seine Bürger auch erziehen sollte, und wenn die Erziehung nur darin besteht, daß sie lernen, dieser Staatsmacht und ihren Vertretern gegenüber kritisch zu bleiben.


noch habe ich Probleme Plebs zu nennen, was sich als Plebejer, Proletarier oder Prekariat entpuppt. Die Unterschicht existiert und ist täglich im Fernsehen zu "bestaunen". Man sollte nicht um die politisch korrekte Suppe schleichen, auslöffeln muss man diese doch. Ich hasse den Gedanken, dass in einer Demokratie Menschen, die morgens um 8 Uhr schon ihr erstes Bier aufmachen, auch über mein Schicksal entscheiden wollen.

sicher gibt es diese "Unterschicht"-heute wohl mehr noch als früher, trotzdem mag ich das Wort Plebs nicht, weil es etwas Wertendes hat.
Und bei aller berechtigten Kritik an gewissen Verhaltensweisen ist doch jeder Mensch im Grunde gleich viel wert.



Ein nur aus "sich selbst" geltendes Recht gibt es schon logisch nicht, es wäre ein verbotener Zirkelschluss. Aber seit Kant stören solche Sätze offensichtlich niemanden mehr.

Nun, wie man die Menschenrechte philosophisch begründet, bleibt jedem selbst überlassen. Ob man sie christlich ableitet oder z.B., wie Schopenhauer, aus dem natürlich empfundenen Mitleid- das bleibt bei deren Formulierung offen. Das meinte ich mit "aus sich selbst gelten".
Banal gesagt kommt es ja eigentlich nur darauf an, daß alle sich dran halten.


Ein Robinson Crusoe, so er allein auf seiner Insel weilt, braucht weder Rechte, noch besitzt er welche. Der Begriff wäre, in diesem Zusammenhang gebraucht, vollkommen sinnlos. Es gibt also weder ein Recht "an sich", noch Rechte "aus sich" oder ein „Naturrecht“, sondern nur solche, die ich mit anderen, z. B. Freitag, vereinbare. Will ich des Nachts ruhig schlafen, werde ich mich so einigen müssen, dass es einigermaßen gerecht zugeht. Im anderen Fall brauche ich einen leichten Schlaf und stets eine geladene Waffe an meiner Seite. Aber in beiden Fällen kann ich keine über mir schwebenden Menschenrechte erkennen oder irgendwoher ableiten.

Logisch gesehen, gibt es natürlich kein Recht "aus sich selbst heraus". Das sogenannte "Naturrecht" oder auch "Recht des Stärkeren" ist ja auch eine Formulierung, die eine gewisse Ironie besitzt, denn das wäre ja eigentlich gerade das Gegenteil von Recht: die nackte Gewalt.
Das ändert aber nichts daran, daß die Menschenrechte einfach postuliert werden müssen, und zwar ohne philosophische Ableitung oder Begründung. Wollte man so eine Begründung allgemeingültig formulieren, würde das schon viel zu sehr in Glaubens und Gewissensfreiheit des Einzelnen eingreifen und damit das Freiheitsprinzip untergraben. Freiheit aber hört genau da auf, wo Kant es mit seinem kategorischen Imperativ formuliert hat, nämlich wo sie die Freiheit des anderen beeinträchtigt. Ein Werkzeug, um dieses zu garantieren, sind die Menschenrechte.
Daher brauchen wir sie, ganz einfach um das menschliche Zusammenleben zu regeln.


Jedes Recht resultiert allein aus dem Willen oder der Gewalt, die ich auszuüben in der Lage bin oder, die ich, um den Preis von Sanktionen, anerkennen muss. Das ich darüber hinaus dazu neige, anderen in der Not beizustehen, lieber kooperiere, als Krieg gegen alle führe*), hat wiederum nichts mit Rechten zu tun, sondern liegt in der Natur den Menschseins. Verhaltensweisen, welche sich im Laufe der Evolution als nutzbringend erwiesen, werden mit Glücksgefühlen belohnt, andere mit Angst oder schlechten Gewissen bestraft. Kultur und ihre Riten hat auch die Funktion positive Verhaltensweisen zu verstärken, negative zu sanktionieren. Recht, als grundlegendes Prinzip, gehört selbstverständlich dazu, nur eben nicht losgelöst von ihr, sondern eingebettet in die konkrete Kultur menschlichen Zusammenlebens.

Hmm, werden nur die Verhaltensweisen mit Glücksgefühlen belohnt, die positiv im Sinne der Gemeinschaft und nutzbringend für die Evolution sind?
Das bezweifele ich. Es gibt Leute, die Glücksgefühle dabei empfinden, anderen zu schaden, ihre Macht auszuspielen. Auch das gehört zum Spektrum menschlicher Gefühle.


Spätestens hier wird klar, dass die Menschenrechte eine nordatlantische Angelegenheit sind, die in Afghanistan nicht unbedingt Sinn machen. Will man ihnen dennoch, aufgrund ihrer angeblichen Universalität, dort Geltung verschaffen, weil man von ihrer moralischen Überlegenheit überzeugt ist, muss man die fremde Kultur und ihre geltenden Rechte vernichten oder einfach, sofern man dazu in Lage ist, verbieten, weil diese ihren Menschrechten widersprechen. Im Grunde machen Sie damit nichts anderes, als das, was der britische Kolonialherr aus seiner Sicht in der Vergangenheit tat: zivilisieren.

Da haben Sie recht. Das ist hart, aber wahr. Kulturen oder Religionen, für die die Menschenrechte und das Völkerrecht nicht gelten, müssen letztendlich entweder kompatibel gemacht- oder bekämpft werden.
Da führt kein Weg dran vorbei. Daß Frauen unterdrückt und mißhandelt werden, dürfen wir nicht nur im eigenen Land nicht dulden, sondern letztendlich auch nicht in Afghanistan oder irgendwo sonst auf der Welt.
Dieser Konsequenz müssen wir uns stellen. Wenn jeder Mensch gleich viel wert ist, dann hat auch jeder Mensch die gleichen Grundrechte.
Die Menschenrechte müssen als universelles Prinzip überall auf der Welt durchgesetzt werden-und zwar mit dem gleichen Absolutheitsanspruch wie seinerzeit die Kreuzritter den christlichen Glauben ins Morgenland getragen haben. Wer diese logische Konsequenz nicht sieht (wie z.B. die deutsche Grün/Linke), der heuchelt, der lebt in seinem eigenen Wolckenkuckucksheim wie Claudia Roth mit ihrem "Islam ist Frieden".
Die westliche Gemeinschaft ist aber in einer Entwicklung, das zu erkennen und zu praktizieren, indem sie sich zunehmend in Konflikte einmischt, wo z.B. Völkermord stattfindet, wie z.B. in Afrika.
Einen gewissen nationalen Egoismus darf und sollte das einzelne Land dabei aber auch behalten.


Die Idee eines Rechtes, was über dem Menschen steht, ist indes nicht neu, sondern religiös: Moses war zutiefst überzeugt, dass ihm Gott die Gebote höchstselbst in die Feder diktierte. Es war insofern ein Fortschritt, weil sich Menschen zum ersten Male auf etwas berufen konnten, was nicht auf fremder Willkür, sondern auf göttlichen Willen fußte. In ihrer Hochzeit hatte unsere "Heilige Mutter Kirche" noch den gleichen Anspruch wie unsere Menschenrechtler heute: Die Heiden gehören bekehrt oder ausgetrieben. Oder, wer nicht an Menschenrechte glaubt, kann nur ein Nazi sein, selbst wenn er in Wahrheit Saddam oder Ahmadinedschad heißt. Womit dann auch gleich festgelegt ist, für wen die Menschenrechte eigentlich gelten: Wie Abu Ghraib und Guantanamo beweist, nur für Menschen, die auch an sie glauben.

Nein! Wer die Menchenrechte befürwortet, kann Guantanamo nicht unterstützen. Niemand hat behauptet, daß die westlichen Länder perfekt wären, schon gar nicht die USA. Sie achten die Menschenrechte aber vergleichsweise immer noch mehr als etwa die Taliban oder der iranische Staatschef, (dem ich allerdings auch eine gewisse Sympathie entgegenbringe.)


Warum erinnern mich eifernde Menschenrechtler so sehr an mittelalterliche Mönche? Weil Menschenrechte im Grunde nur alter Wein in neuen Schläuchen ist.

Die Idee ist sicher nicht neu. Der zumindest ansatzweise Versuch, sie weltweit durchzusetzen, allerdings schon.

Mcp
14.06.2007, 07:24
Da unsere wechselseitigen Postings immer länger werden, splittre ich die Antwort in verschiedene Themenkomplexe unter Auslassung bereits ausdiskutierter auf. Hier nun nochmals die These von der tendenziellen Eigentumsfeindlichkeit der Demokratie.


Es hat nicht jeder das Zeug zum Unternehmer. Jeder aber möchte Reichtum, denn Reichtum ermöglicht ein schönes Leben und man kann seine Bewirtschaftung auch sehr gut anderen überlassen. Insofern glaube ich nicht an Ihre These, daß die Demokratie dem Eigentum feindlich gegenüber steht. Sie steht ihm nur dann feindlich gegenüber, wenn es sich in den Händen weniger befindet. Dann kommt es schnell zu Enteignung, was wirklich ein Problem werden kann.

Ein freies, selbstbestimmtes Leben ohne soziales Netz oder doppelten Boden lehnen die meisten deshalb ab, weil sie die Freiheit, die Eigentum von ihnen verlangt, gar nicht ertragen können. Wären wir Volk von Unternehmern, Selbständigen und Freiberuflern stellte sich die Frage nach einem Sozialstaat nicht, jedenfalls nicht in seiner heutigen aufgeblähten, alles erstickenden Form. Deutschland lebt heute in einer Zweidrittelgesellschaft: ein Drittel ernährt den Rest.

„Die Existenz eines jeden Staates führt so zum einen zur Entwicklung und Förderung des Schmarotzertums. Als Steuerempfängern ist es den Inhabern des Staates möglich, zu leben, ohne zu arbeiten, d. h. ohne eine den Steuerzahlern annehmbar erscheinende Gegenleistung erbringen zu müssen. Entgegen der immer noch weitverbreiteten marxistischen Mythologie sind es nicht die Unternehmer, die ihre Arbeiter ausbeuten. Vielmehr sind es die Staatsinhaber: … der Präsident, das Parlament und der sogenannte öffentliche Dienst im Fall der Demokratie, d. h. diejenigen, die lauthals für das sogenannte »öffentliche Wohl« arbeiten, die tatsächlich auf Kosten anderer -ausbeuterisch, parasitär - leben. Je höher die Steuereinnahmen, umso besser geht es den Schmarotzern und/oder umso mehr Schmarotzer gibt es.“[1]

Die Demokratie aber hebelt das Privateigentum noch in anderer, indirekter, aber immer dreisteren Art und Weise aus. Sie belegt nicht nur die Erträge aus der Bewirtschaftung desselben mit immer höheren Abgaben und Steuern, sie schränkt auch die Verfügungsgewalt des Eigentümers über sein Eigentum mit politisch korrekten, scheinheilig moralischen Getöse unter Behuf auf den angeblichen Willen des Volkes immer mehr ein. Sowohl das „Anti-Raucher-Gesetz“, als auch dass „Antidiskriminierungsgesetz“ sind hier typische, keineswegs aber die schlimmsten Beispiele für indirekte Enteignung. Selbstverständlich hat ein Eigentümer das Recht Menschen den Gebrauch seines Eigentums zu erlauben oder zu verwehren, wann immer und aus welchen Gründen auch immer er will. Mit dem Antidiskriminierungsgesetz kann praktisch jeder den Zugang zum Eigentum anderer auf gesetzlichen Willen, auch gegen den ausdrücklichen Willen des Eigentümers, gerichtlich erzwingen. Stellen sie sich eine ähnliche Verfügung für ihren privaten PC in ihren eigenen vier Wänden vor, um die ganze Impertinenz solcher Gesetzgebung zu begreifen, ohne gleich die juristischen Feinheiten unserer Winkeladvokaten zu bemühen. Die Verfügungsgewalt des Eigentümers ist das Wesen des Eigentums. Wird die Verfügungsgewalt staatlich eingeschränkt, verliert Eigentum nicht nur seinen Sinn, sondern die Bewirtschaftung desselben wird, wie im Falle des Anti-Raucher-Gesetzes, erschwert oder sogar, wie im Falle diverser sinnlosen Umwelt- oder Produktionsauflagen, sogar unmöglich gemacht.

Die These von der latenten Eigentumsfeindlichkeit der Demokratie kann man wie folgt zusammenfassen:

1. „Das Wesen der Demokratie ist die Umverteilung, die sich entsprechend der Verteilung der politischen Macht vollzieht.“ Da die politische Klasse nur auf Zeit gewählte Verwalter (keine verantwortlichen Eigentümer) der Gesellschaft sind, versuchen diese, in der ihnen zur Verfügung stehenden Zeit, die Umverteilung ohne Rücksicht auf die Interessen der Eigentümer durchzusetzen, jener also, die durch Bewirtschaftung ihres privaten Eigentums den größten Teil des gesellschaftlichen Reichtums erst schaffen. Der politische Einfluss des so genannten Mittelstandes nimmt seit Jahrzehnten kontinuierlich ab. Er wird zerrieben zwischen den Interessen international agierenden Finanzkapitals und weitgehend anonymer, vom Eigentum entfremdeter Eigentümer einerseits und einer Sozialmafia andererseits, die vorgibt, die Interessen einer sich ausweitenden Unterschicht zu vertreten.

2. Durch die stetige Ausweitung der Umverteilungsansprüche wächst tendenziell die Zahl derjenigen, die von diesem System nur partizipieren, ohne die entsprechenden Gegenleistungen zu erbringen. In der BRD stellt diese Klientel mittlerweile die absolute Mehrheit und ist zunehmend in der Lage Leistungs- und Eigentumsfeindliche Gesetze durchzusetzen. Ihre Forderungen, sowie ihre Drohungen werden immer unverschämter.

3. Die ausufernde Reglungs- und Gesetzeswut der Demokratie, ihr omipotenter Machtanspruch, ihre Anmaßung alles regeln zu dürfen, schränkt die Nutzung des Eigentums soweit ein, dass der Eigentümer auf indirekte Weise enteignet und sich die Bewirtschaftung von Eigentum oder berufliche Leistung tendenziell immer weniger lohnt. Der bundesrepublikanische Legislative produziert täglich einen Berg neuer Gesetze und Verodnungen, die zu einen unübersichtlichen Dschungel heranwuchern, in dem die Rechtssicherheit von Eigentümern verschwindet oder er gar kriminalisiert wird.

[1] Hans-Hermann Hoppe; Demokratie - Der Gott der keiner ist; ISBN 3-933497-86-8

Mcp
14.06.2007, 09:20
Logisch gesehen, gibt es natürlich kein Recht "aus sich selbst heraus". Das sogenannte "Naturrecht" oder auch "Recht des Stärkeren" ist ja auch eine Formulierung, die eine gewisse Ironie besitzt, denn das wäre ja eigentlich gerade das Gegenteil von Recht: die nackte Gewalt.


Jedes Recht stützt sich auf das Recht des Stärkeren. Wer sonst sollte in der Lage sein es durchzusetzen? Den Unterschied zwischen Willkür und Recht bestimmt das Gesetz. In ihm sind die Regeln festgehalten, an welche sich der Stärkere zu halten gedenkt. Das verschafft der Gesellschaft den Unterschied zur blanken Willkür, nämlich die relative Rechtssicherheit. Das kann den Starken jedoch nicht darin hindern, dass Gesetz nach seinem Gutdünken zu ändern, wiewohl auch dies in zivilisierten Gesellschaften an Riten gebunden, trotzdem bleibt es Recht. Ich kann darin keinerlei Ironie entdecken. Recht ohne Mittel der Exekution desselben, ist kein Recht, sondern moralisches, deklaratorisches Gebot. Insofern vielleicht die Waffe der Schwachen, mehr aber in keinem Fall.

Anarch
14.06.2007, 12:07
@Mcp: In Bezug auf die bürgerliche Liberaldemokratie, mag dies zutreffen sein, ebenso auf den Wohlfahrtsstaat, der ohne Zerstörung der traditionellen sozialen Bindungen gar nicht hätte entstehen können. Er versucht in einer individualistischen Landschaft das soziale Netz aufzufangen, obwohl der Kapitalismus eifrig darum bemüht war, die soziale Bindung auf den Markt zu beschränken. Wir sollten jedoch davon wegkommen, wie ich schon einmal schrieb, die Demokratie als eindimensionales Wesen zu betrachten. Es gibt verschiedene Formen der Demokratie, und somit auch verschiedene Formen des Eigentumsrechts.

Das römisch-antike, das bürgerliche, und das germanische Recht unterscheiden sich hier beispielsweise in vielen Aspekten stark voneinander. Ich möchte nur nochmal darauf hinweisen, daß die repräsentative Demokratie, die Stellvertreter in ein Parlament sendet, keinesfalls die einzige Lösung ist. Es ist auch eine andere Form denkbar, nämlich die, in der es jedem Volksangehörigen möglich ist am politischen Prozess zu partizipieren, d.h. das Gemeinwesen die Möglichkeit erhält in jenen Sachen, die es betrifft, über sich selbst zu entscheiden.

Mcp
14.06.2007, 12:33
Hmm, werden nur die Verhaltensweisen mit Glücksgefühlen belohnt, die positiv im Sinne der Gemeinschaft und nutzbringend für die Evolution sind?
Das bezweifele ich. Es gibt Leute, die Glücksgefühle dabei empfinden, anderen zu schaden, ihre Macht auszuspielen. Auch das gehört zum Spektrum menschlicher Gefühle.
Sie können überall die einzelne Abweichung von der Regel finden, eine zufällig Abnormität, Varianz oder Variabilität kennt auch Genetik. Es geht bei solchen Betrachtungen aber nicht um vereinzelte Abweichungen, sondern im um die Beobachtung der großen Zahl (http://de.wikipedia.org/wiki/Gesetz_der_gro%C3%9Fen_Zahlen), weil man nur so die Richtung der Tendenz erkennen kann. Das es dabei auch immer mal wieder ein Sadist vorkommt, bei dem die Schalter falsch verdrahtet sind ist billig, vielleicht interessant, interessiert aber hier wirklich nur am Rande. Die Masse empfindet anders.

Salazar
14.06.2007, 15:25
Ein freies, selbstbestimmtes Leben ohne soziales Netz oder doppelten Boden lehnen die meisten deshalb ab, weil sie die Freiheit, die Eigentum von ihnen verlangt, gar nicht ertragen können.


Nur so ein kleiner Einwurf: Fernando Pessoa hierzu in seinem "anarchistischen Bankier":

"O grau de inteligência ou de vontade de um indivíduo é com ele e com a Natureza; as próprias ficções sociais não põem praí nem prego nem estopa. Por isso lhe digo: essas são já absolutamente as desigualdades naturais, e sobre essas ninguém tem poder nenhum, nem há modificação social que a modifique, [...]. Se um homem nasceu para escravo, a liberdade, sendo contrária à sua índole, será para ele uma tirania''.

Auf Deutsch: "Der Grad an Intelligenz oder an Willensstärke, den jemand hat, ist etwas, das ihn und die Natur angeht, die gesellschaftlichen Fiktionen mischen sich da nicht ein. [...] Lassen sie es sich gesagt sein: es handelt sich um absolut natürliche Ungleichheiten, und gegen die kann niemand an, keine gesellschaftliche Veränderung vermöchte da etwas zu tun, [...]. Wenn jemand zum Sklaven geboren wird, so wäre die Freiheit das Gegenteil seiner Anlage, sie wäre für ihn Tyrannei."

Ein überaus lesenswertes Büchlein ausserdem.

Mcp
14.06.2007, 15:54
Nur so ein kleiner Einwurf: Fernando Pessoa hierzu in seinem "anarchistischen Bankier":

"O grau de inteligência ou de vontade de um indivíduo é com ele e com a Natureza; as próprias ficções sociais não põem praí nem prego nem estopa. Por isso lhe digo: essas são já absolutamente as desigualdades naturais, e sobre essas ninguém tem poder nenhum, nem há modificação social que a modifique, [...]. Se um homem nasceu para escravo, a liberdade, sendo contrária à sua índole, será para ele uma tirania''.

Auf Deutsch: "Der Grad an Intelligenz oder an Willensstärke, den jemand hat, ist etwas, das ihn und die Natur angeht, die gesellschaftlichen Fiktionen mischen sich da nicht ein. [...] Lassen sie es sich gesagt sein: es handelt sich um absolut natürliche Ungleichheiten, und gegen die kann niemand an, keine gesellschaftliche Veränderung vermöchte da etwas zu tun, [...]. Wenn jemand zum Sklaven geboren wird, so wäre die Freiheit das Gegenteil seiner Anlage, sie wäre für ihn Tyrannei."

Ein überaus lesenswertes Büchlein ausserdem.

Ja, sie nehmen mir vorweg, was ich selbst gerade schreiben will. Das undurchführbare Gedankenexperiment sollte nur meine These stützen, dass eine Mehrheit der Menschen Eigentum ablehnt, resp. es lieber verkonsumiert, statt davon dauerhaft zu leben. Ihr Banker hat vollkommen recht.

Danke für den Buchtipp. Den kenne ich noch nicht. Unerträglich. Bestellt bei amazon. :)

Anarch
14.06.2007, 19:35
Wenn jemand zum Sklaven geboren wird, so wäre die Freiheit das Gegenteil seiner Anlage, sie wäre für ihn Tyrannei."

Das ist das Geseier einer sich an der Macht halten wollenden Oligarchie. Natürlich gibt es verschiedene menschliche Eigenschaften, die mit der Geburt feststehen, aber als Sklave wird man nicht geboren, zum Sklaven wird man gemacht. Eine Wertung der Stände ist ohnehin totaler subjektiver Schrott, weil in einer organischen Gemeinschaft jedes Teil dazu beiträgt, mehr als die Summe seiner Teile zu bilden (Holismus). Es bedarf keiner Hierarchie, die nur dazu dient eigennützige Herrschaft aufrecht zu erhalten, wohl aber eine subsidiarisch gegliederte Kompetenzhierarchie.

derNeue
14.06.2007, 22:07
Da unsere wechselseitigen Postings immer länger werden, splittre ich die Antwort in verschiedene Themenkomplexe unter Auslassung bereits ausdiskutierter auf. Hier nun nochmals die These von der tendenziellen Eigentumsfeindlichkeit der Demokratie.



Ein freies, selbstbestimmtes Leben ohne soziales Netz oder doppelten Boden lehnen die meisten deshalb ab, weil sie die Freiheit, die Eigentum von ihnen verlangt, gar nicht ertragen können. Wären wir Volk von Unternehmern, Selbständigen und Freiberuflern stellte sich die Frage nach einem Sozialstaat nicht, jedenfalls nicht in seiner heutigen aufgeblähten, alles erstickenden Form. Deutschland lebt heute in einer Zweidrittelgesellschaft: ein Drittel ernährt den Rest.

„Die Existenz eines jeden Staates führt so zum einen zur Entwicklung und Förderung des Schmarotzertums. Als Steuerempfängern ist es den Inhabern des Staates möglich, zu leben, ohne zu arbeiten, d. h. ohne eine den Steuerzahlern annehmbar erscheinende Gegenleistung erbringen zu müssen. Entgegen der immer noch weitverbreiteten marxistischen Mythologie sind es nicht die Unternehmer, die ihre Arbeiter ausbeuten. Vielmehr sind es die Staatsinhaber: … der Präsident, das Parlament und der sogenannte öffentliche Dienst im Fall der Demokratie, d. h. diejenigen, die lauthals für das sogenannte »öffentliche Wohl« arbeiten, die tatsächlich auf Kosten anderer -ausbeuterisch, parasitär - leben. Je höher die Steuereinnahmen, umso besser geht es den Schmarotzern und/oder umso mehr Schmarotzer gibt es.“[1]

Die Demokratie aber hebelt das Privateigentum noch in anderer, indirekter, aber immer dreisteren Art und Weise aus. Sie belegt nicht nur die Erträge aus der Bewirtschaftung desselben mit immer höheren Abgaben und Steuern, sie schränkt auch die Verfügungsgewalt des Eigentümers über sein Eigentum mit politisch korrekten, scheinheilig moralischen Getöse unter Behuf auf den angeblichen Willen des Volkes immer mehr ein. Sowohl das „Anti-Raucher-Gesetz“, als auch dass „Antidiskriminierungsgesetz“ sind hier typische, keineswegs aber die schlimmsten Beispiele für indirekte Enteignung. Selbstverständlich hat ein Eigentümer das Recht Menschen den Gebrauch seines Eigentums zu erlauben oder zu verwehren, wann immer und aus welchen Gründen auch immer er will. Mit dem Antidiskriminierungsgesetz kann praktisch jeder den Zugang zum Eigentum anderer auf gesetzlichen Willen, auch gegen den ausdrücklichen Willen des Eigentümers, gerichtlich erzwingen. Stellen sie sich eine ähnliche Verfügung für ihren privaten PC in ihren eigenen vier Wänden vor, um die ganze Impertinenz solcher Gesetzgebung zu begreifen, ohne gleich die juristischen Feinheiten unserer Winkeladvokaten zu bemühen. Die Verfügungsgewalt des Eigentümers ist das Wesen des Eigentums. Wird die Verfügungsgewalt staatlich eingeschränkt, verliert Eigentum nicht nur seinen Sinn, sondern die Bewirtschaftung desselben wird, wie im Falle des Anti-Raucher-Gesetzes, erschwert oder sogar, wie im Falle diverser sinnlosen Umwelt- oder Produktionsauflagen, sogar unmöglich gemacht.

Die These von der latenten Eigentumsfeindlichkeit der Demokratie kann man wie folgt zusammenfassen:

1. „Das Wesen der Demokratie ist die Umverteilung, die sich entsprechend der Verteilung der politischen Macht vollzieht.“ Da die politische Klasse nur auf Zeit gewählte Verwalter (keine verantwortlichen Eigentümer) der Gesellschaft sind, versuchen diese, in der ihnen zur Verfügung stehenden Zeit, die Umverteilung ohne Rücksicht auf die Interessen der Eigentümer durchzusetzen, jener also, die durch Bewirtschaftung ihres privaten Eigentums den größten Teil des gesellschaftlichen Reichtums erst schaffen. Der politische Einfluss des so genannten Mittelstandes nimmt seit Jahrzehnten kontinuierlich ab. Er wird zerrieben zwischen den Interessen international agierenden Finanzkapitals und weitgehend anonymer, vom Eigentum entfremdeter Eigentümer einerseits und einer Sozialmafia andererseits, die vorgibt, die Interessen einer sich ausweitenden Unterschicht zu vertreten.

2. Durch die stetige Ausweitung der Umverteilungsansprüche wächst tendenziell die Zahl derjenigen, die von diesem System nur partizipieren, ohne die entsprechenden Gegenleistungen zu erbringen. In der BRD stellt diese Klientel mittlerweile die absolute Mehrheit und ist zunehmend in der Lage Leistungs- und Eigentumsfeindliche Gesetze durchzusetzen. Ihre Forderungen, sowie ihre Drohungen werden immer unverschämter.

3. Die ausufernde Reglungs- und Gesetzeswut der Demokratie, ihr omipotenter Machtanspruch, ihre Anmaßung alles regeln zu dürfen, schränkt die Nutzung des Eigentums soweit ein, dass der Eigentümer auf indirekte Weise enteignet und sich die Bewirtschaftung von Eigentum oder berufliche Leistung tendenziell immer weniger lohnt. Der bundesrepublikanische Legislative produziert täglich einen Berg neuer Gesetze und Verodnungen, die zu einen unübersichtlichen Dschungel heranwuchern, in dem die Rechtssicherheit von Eigentümern verschwindet oder er gar kriminalisiert wird.

[1] Hans-Hermann Hoppe; Demokratie - Der Gott der keiner ist; ISBN 3-933497-86-8

Das ist in seiner Radikalität bestenfalls die halbe Wahrheit. Zunächst zur Zweidrittelgesellschaft: Diese ist ja Realität und wird oft beklagt. Jedoch sollte dabei nicht vergessen werden, daß auch das arbeitende Drittel wesentlich weniger Arbeitsleistung erbringt als die große Mehrheit der Menschen zu allen früheren Zeiten. Der wirkliche Versorger der Gesellschaft ist also weniger das arbeitende Drittel als vielmehr der technisch- innovative Fortschritt und die gestiegene Produktivität, die durch ihn ermöglicht wird.

Dann zu Ihrer These, daß die Mehrheit kein Eigentum verträgt. Das stimmt nur, wenn Sie Ihren eng gefaßten Eigentumsbegriff zugunde legen. Sie meinen anscheinend das selbst bewirtschaftete Eigentum des mittelständischen Unternehmers.
Es gibt aber noch viele andere Formen. Ich kann meine Millionen auch auf der Bank lassen und nur von den Zinsen leben. Eine solche "Verantwortung" wird jeder gerne tragen. Die Leute, die ihr Erbe oder ihre Lottogewinn gleich weiterverschenken, können Sie sicher mit der Lupe suchen.

Ihrer Einschätzung zum aufgeblähten Sozialstaat und zu dessen Tendenz zur Enteignung stimme ich im Grundsatz zu. Jedoch nicht in Ihren Schlußfolgerungen, die meiner Ansicht nach teilweise weit über das Ziel hinausschießen.
So ist z.B. nicht jeder Sozialhileempfänger einfach deswegen ein solcher, weil unfähig sei, "die Freiheit, die Eigentum von ihm verlangt, zu ertragen".
Genausogut kann es auch ein Schicksalsschlag gewesen sein, der ihn in diese Lage gebracht hat. Wie dem auch sei: der Staat hat die Pflicht, denen beizustehen, die sich nicht selbst helfen können. Und das Geld, das er dazu braucht, muß er sich von denen holen, die viel davon haben.
Das halte ich für logisch und richtig, andernfalls hätten wir Zustände wie im Frühkapitalismus des mittleren 19. Jahrhunderts.
Die Frage ist nur, ob er von denen, die Hilfe empfangen, auch eine Gegenleistung verlangt-und genau daran mangelt es in unserem Staat. Und die Demokratie hat tatsächlich die Tendenz, sobald die Empfänger mehr werden wie die Einzahler, daß dann die zweite Gruppe einfach überstimmt wird.
Ganz falsch finde ich übrigens, daß Sie die Mängel des überbordenden Sozialstaats einfach der Demokratie als solcher anlasten. Es gab und gibt schließlich Demokratien, wo solche Probleme nicht existieren. Auch in der BRD war es nicht immer so. Es kommt auf die Ausgestaltung an.
Eher müßten wir von einem Versagen der Jusitz sprechen, daß sie den Politikern in ihrem Umverteilungswahn nicht längst die rechtlichen Grenzen gesetzt hat. Womit wir bei der verhängisvollen Verfilzung von Justiz und Politik und wiederum Politik und Medien wären.
Wenn Sie sagen würden: unsere Demokratie hat abgewirtschaftet, so es seinerzeit Tacitus für das alte Rom beklagt hat, dann würde ich Ihnen recht geben. Sittenverfall, Verfilzung, Korruption, Machtmißbrauch: das sind alles Zeichen für eine Demokratie, die in die Jahre gekommen ist, die so viele Tabus und Regeln aufgebaut hat, daß sie sich nicht mehr selbst erneuern kann.
Das kann jedoch nichts daran ändern, daß die Demokratie als solche die einzige Form bleibt, die allen ihren Bürgen das größtmögliche Maß an Freiheit verschafft.

Salazar
15.06.2007, 17:13
Das ist das Geseier einer sich an der Macht halten wollenden Oligarchie.

Pessoas Bänker den ich dort zitiert habe, ist allerdings ein "Self-made man" und keineswegs Angehöriger eines höheren Standes.

Salazar
15.06.2007, 17:14
Ja, sie nehmen mir vorweg, was ich selbst gerade schreiben will. Das undurchführbare Gedankenexperiment sollte nur meine These stützen, dass eine Mehrheit der Menschen Eigentum ablehnt, resp. es lieber verkonsumiert, statt davon dauerhaft zu leben. Ihr Banker hat vollkommen recht.

Danke für den Buchtipp. Den kenne ich noch nicht. Unerträglich. Bestellt bei amazon. :)

Freut mich :]

Mcp
17.06.2007, 17:23
Dann zu Ihrer These, daß die Mehrheit kein Eigentum verträgt. Das stimmt nur, wenn Sie Ihren eng gefaßten Eigentumsbegriff zugunde legen. Sie meinen anscheinend das selbst bewirtschaftete Eigentum des mittelständischen Unternehmers.
Es gibt aber noch viele andere Formen. Ich kann meine Millionen auch auf der Bank lassen und nur von den Zinsen leben. Eine solche "Verantwortung" wird jeder gerne tragen. Die Leute, die ihr Erbe oder ihre Lottogewinn gleich weiterverschenken, können Sie sicher mit der Lupe suchen.
Ich unterscheide zwischen einfachen Eigentum zur Reproduktion, welches immer der Konsumtion anheim fällt und Eigentum zum Zwecke der erweiterten Reproduktion, die zum einen die Verluste aus der Konsumtion ausgleicht, zum anderen zur Akkumulation von Wohlstand eingesetzt wird. Beide Formen sind oft nicht zu unterscheiden, sie gehen ineinander über. Der Plebs kennt in der Regel nur die Konsumtion, meist sogar mehr, als er sich leisten kann. Ein Blick in die Sozialstatistik von Schufa-Schuldnern schafft diesbezüglich Klarheit. Jeder zwölfte deutsche Haushalt ist überschuldet, heißt es im „Schuldenreport 2006“ von Caritas und diese Schulden sind reine Konsumschulden. Die „Massen“ konsumieren, statt zu akkumulieren. Aber das scheidet Natur von Kultur. Tiere konsumieren nur.



Ihrer Einschätzung zum aufgeblähten Sozialstaat und zu dessen Tendenz zur Enteignung stimme ich im Grundsatz zu. Jedoch nicht in Ihren Schlußfolgerungen, die meiner Ansicht nach teilweise weit über das Ziel hinausschießen.
So ist z.B. nicht jeder Sozialhileempfänger einfach deswegen ein solcher, weil unfähig sei, "die Freiheit, die Eigentum von ihm verlangt, zu ertragen".
Genausogut kann es auch ein Schicksalsschlag gewesen sein, der ihn in diese Lage gebracht hat. Wie dem auch sei: der Staat hat die Pflicht, denen beizustehen, die sich nicht selbst helfen können. Und das Geld, das er dazu braucht, muß er sich von denen holen, die viel davon haben.
Das halte ich für logisch und richtig, andernfalls hätten wir Zustände wie im Frühkapitalismus des mittleren 19. Jahrhunderts.
Ein gesunder Mann ist auch dann kein Sozialfall, wenn er keine Arbeit hat. Arbeitslosigkeit ist keine Krankheit oder Behinderung, höchstens ein persönlicher Schicksalsschlag. Aber für das Schicksal ist der Staat nicht zuständig, selbst dann, wenn sich unsere prächtige Demokraten für zuständig erklären. Es sind nicht zufällig dieselben, die auch die Natur „schützen“ oder das Klima „retten“ wollen.

Keiner will in die Zeit britischer Barbarei zurück, die Friedrich Engels in seinem Artikel „Die Lage der arbeitenden Klasse in England (http://www.mlwerke.de/me/me02/me02_225.htm)“ vollkommen zu Recht anprangerte, aber Großbritannien war eine absolute historische Ausnahme. Nirgends sonst, abgesehen von einigen ähnlichen Tendenzen im Welschen, hat es diese brutalen Erscheinungen flächendeckend gegeben. Das Niederkartätschen der schlesischen Weber durch badische Truppen im Jahre 1844, seit Heine ein beliebtes Argument der Linken, war eine brutale Ausnahme, die selbst die reaktionären Junker Preußens erzürnte. Die katastrophale Auflösung mittelalterlicher Produktionsweisen in Form der Zünfte, war begleitet vom Niedergang ihrer feingliedrigen sozialen Sicherungssysteme, ohne das an ihre Stelle sofort neue traten. Keiner bestreitet die sozialen Verwerfungen jener Zeit, aber mit Enzyklika "Rerum novarum" von Papst Leo XIII. 1891, hat die katholische Kirche Maßstäbe gesetzt, denen sich die meisten politischen Kräfte in Europa willig angeschlossen haben.



Ganz falsch finde ich übrigens, daß Sie die Mängel des überbordenden Sozialstaats einfach der Demokratie als solcher anlasten. Es gab und gibt schließlich Demokratien, wo solche Probleme nicht existieren. Auch in der BRD war es nicht immer so. Es kommt auf die Ausgestaltung an.
Eher müßten wir von einem Versagen der Jusitz sprechen, daß sie den Politikern in ihrem Umverteilungswahn nicht längst die rechtlichen Grenzen gesetzt hat. Womit wir bei der verhängisvollen Verfilzung von Justiz und Politik und wiederum Politik und Medien wären.
Wenn Sie sagen würden: unsere Demokratie hat abgewirtschaftet, so es seinerzeit Tacitus für das alte Rom beklagt hat, dann würde ich Ihnen recht geben. Sittenverfall, Verfilzung, Korruption, Machtmißbrauch: das sind alles Zeichen für eine Demokratie, die in die Jahre gekommen ist, die so viele Tabus und Regeln aufgebaut hat, daß sie sich nicht mehr selbst erneuern kann.
Das kann jedoch nichts daran ändern, daß die Demokratie als solche die einzige Form bleibt, die allen ihren Bürgen das größtmögliche Maß an Freiheit verschafft.

Wo Sie funktionierende Demokratien verorten, die nicht an den gleichen Symptomen leiden, die sie oben so lebendig beschreiben, bleibt ebenso ihr Geheimnis, wie ihr merkwürdiger Freiheitsbegriff.

Freiheit erwächst allein aus Selbstbestimmung. Die erste Prämisse ihres Freiheitsbegriff hingegen ist die Unterwerfung unter einen fremden, anonymen Willen, Demokratie genannt. Das ist im Kern der gleiche Quark, den Marx als „Einsicht in Notwendigkeit“ verkündete. Nicht Einsicht sondern freier Wille‚ nicht Unterwerfung sondern Revolte, nicht Notwendigkeit sondern deren Abwesenheit ist Freiheit. Eine Macht aber, die sich politische, soziale und ökonomische Allmacht anmaßt, ist das genaue Gegenteil von Freiheit.

Anarch
17.06.2007, 22:06
Freiheit erwächst allein aus Selbstbestimmung. Die erste Prämisse ihres Freiheitsbegriff hingegen ist die Unterwerfung unter einen fremden, anonymen Willen, Demokratie genannt. Das ist im Kern der gleiche Quark, den Marx als „Einsicht in Notwendigkeit“ verkündete. Nicht Einsicht sondern freier Wille‚ nicht Unterwerfung sondern Revolte, nicht Notwendigkeit sondern deren Abwesenheit ist Freiheit. Eine Macht aber, die sich politische, soziale und ökonomische Allmacht anmaßt, ist das genaue Gegenteil von Freiheit.

Das Wort "Freiheit" bedeutet ursprünglich keineswegs eine "Befreiung" im Sinne einer Emanzipierung gegenüber einer bestimmten Gemeinschaft, sondern hebt vielmehr eine Zugehörigkeit hervor, die eben die Freiheit verleiht. Wenn die alten Griechen von Freiheit sprechen, meinen sie daher durchaus nicht das Recht, sich von der Abhängigkeit gegenüber dem Stadtstaat freizumachen oder sich den Zwängen zu entziehen, sondern vielmehr das Recht, die gesetzlich verbürgte politische Fähigkeit, unter anderem sich am Leben der Stadt beteiligen, in den Versammlungen abstimmen, die hohen Beamten wählen zu können.

Die Freiheit legitimiert nicht die Loslösung, sondern rechtfertigt deren Gegenteil: das Band nämlich, das die Person mit dem Stadtstaat verbindet. Es ist keine Freiheit-als-Autonomie, sondern eine Freiheit-als-Anteilnahme. Sie erstreckt sich nicht über die Gemeinschaft hinaus, sondern wird im Rahmen der polis ausgeübt. Die Freiheit setzt die Zugehörigkeit voraus. Die "Freiheit" eines Individuums-ohne-Zugehörigkeit, eines nicht-eingefügten Individuums ist völlig sinnlos.

Die Freiheit ist mit dem Begriff der Demokratie tatsächlich eng verknüpft; es muss aber betont werden, daß diese Freiheit in erster Linie die Freiheit des Volkes ist, von der dann die Freiheit der Bürger herrührt. Die Freiheit des Volkes (oder der Polis) begründet mit anderen Worten die Gleichheit der individuellen politischen Rechte, das heißt der Rechte, die die Individuen, sofern sie Bürger sind, ausüben. Die Freiheit setzt nämlich die Unabhängigkeit als deren unerlässliche Bedingung voraus. Nun aber lebt der Mensch in der Gesellschaft. Eine individuelle Freiheit ist ohne kollektive Freiheit also nicht möglich. Bei den Griechen sind die Individuen frei, weil (und in dem Maße wie) ihr Stadtstaat frei ist.

Und hierin steht er von vornherein der Auffassung des neuzeitlichen Liberalismus entgegen, wonach das Individuum vor der Gesellschaft existiert, und somit der Mensch als Individuum an sich automatisch etwas mehr ist als der Bürger. Indem Aristoteles die Freiheit als Grundprinzip der Demokratie (Politik, VII, 1) hinstellt, will er auch unterstreichen, daß diese Rolle nicht der Gleichheit zukommt. Bei den antiken Griechen ist die Gleichheit ein Mittel der Demokratie, und nicht deren Ursache.

Die politische Gleichheit leitet sich von der Staatsbürgerschaft, von der Volksangehörigkeit ab. Aus dieser Feststellung ergibt sich, daß die Menschen ein und desselben Volkes (bzw. Stadtstaats), so unterschiedlich sie auch sein mögen, wenigstens das eine gemeinsam haben: Sie sind alle Bürger, und das auf gleiche Weise. Diese Gleichberechtigung spiegelt also keineswegs den Glauben an eine natürliche Gleichheit wider.

derNeue
17.06.2007, 22:46
Ich unterscheide zwischen einfachen Eigentum zur Reproduktion, welches immer der Konsumtion anheim fällt und Eigentum zum Zwecke der erweiterten Reproduktion, die zum einen die Verluste aus der Konsumtion ausgleicht, zum anderen zur Akkumulation von Wohlstand eingesetzt wird. Beide Formen sind oft nicht zu unterscheiden, sie gehen ineinander über. Der Plebs kennt in der Regel nur die Konsumtion, meist sogar mehr, als er sich leisten kann. Ein Blick in die Sozialstatistik von Schufa-Schuldnern schafft diesbezüglich Klarheit. Jeder zwölfte deutsche Haushalt ist überschuldet, heißt es im „Schuldenreport 2006“ von Caritas und diese Schulden sind reine Konsumschulden. Die „Massen“ konsumieren, statt zu akkumulieren. Aber das scheidet Natur von Kultur. Tiere konsumieren nur.

Ihre These war aber, daß der "Plebs" wie Sie ihn nennen, deswegen arm sei, weil er "unfähig sei die Freiheit, die Eigentum von ihm verlangt, zu ertragen".
Das halte ich für falsch. Meiner Ansicht nach ist die Unterschicht deswegen arm, weil sie schlicht nicht genug Einkommen zur Verfügung hat, um ein Leben zu führen, das in unserer Gesellschaft als durchschnittlich gilt. D.H., die Frage, ihr Geld "reproduktiv" einzusetzen, stellt sich dieser Gruppe gar nicht.
Ihr Einkommen ist schlicht so gering, daß es gerade reicht, um den Konsum zu decken. Dieser wiederum ist nach den Maßstäben unserer Gesellschaft allerdings auch keineswegs hoch. Sie haben also von Vornherein gar keine Chance auf "reproduktives Geldvermehren", wie Sie das nennen.
Die Gründe, die dazu führen, sind sehr vielfältig. Sie aber reduzieren diese Gründe allein auf die von Ihnen behauptete Unfähigkeit der Unterschicht, Eigentum produktiv einzusetzen.
Unabhängig von den Gründen, warum es eine Unterschicht gibt, besteht aber sowieso eine soziale Verpflichtung des Staates, den Schwachen zu helfen. Ohne allerdings (was heute der Fall ist), sie aus ihrer Eigenverantwortung zu entlassen.


Ein gesunder Mann ist auch dann kein Sozialfall, wenn er keine Arbeit hat. Arbeitslosigkeit ist keine Krankheit oder Behinderung, höchstens ein persönlicher Schicksalsschlag. Aber für das Schicksal ist der Staat nicht zuständig, selbst dann, wenn sich unsere prächtige Demokraten für zuständig erklären. Es sind nicht zufällig dieselben, die auch die Natur „schützen“ oder das Klima „retten“ wollen.

Doch, der Staat (die übrigen Teilnehmer der Gesellschaft), sind durchaus für Shicksalsschläge zuständig. Es besteht eine Solidarverpflichtung der Starken gegenüber den Schwachen. Genau das ist es nämlich, was die menschliche Gesellschaft von der tierischen unterscheidet.
Auch wenn Sie sagen, Sie wünschen die Zeit des Frühkapitalismus nicht zurück: das wäre die logische Folge Ihrer Argumentation.



Wo Sie funktionierende Demokratien verorten, die nicht an den gleichen Symptomen leiden, die sie oben so lebendig beschreiben, bleibt ebenso ihr Geheimnis, wie ihr merkwürdiger Freiheitsbegriff.

Sehen Sie doch einfach z.B. in die USA: da können Sie nun wirklich nicht von einem überbordenden Sozialstaat oder Tendenzen zur Enteignung reden.
Trotzdem funktioniert die Demokratie dort wunderbar.
Die Krise der bundesdeutschen Demokratie ist kein Fehler der Demokratie an sich. Sie ist nur eine Folge der Tendenz in einigen mitteleuropäischen Ländern, den Einzelnen aus seine Selbstverantwortung zu entlassen und ihn gleichzeitig zu entmündigen und zu kontrollieren.
Es ist eine Krise in den Köpfen, nicht im politischen System und es liegt wesentlich daran, daß eine klare Abgrenzung von totalitären sozialistischen Enteignungstendenzen hier nie stattgefunden hat.


Freiheit erwächst allein aus Selbstbestimmung. Die erste Prämisse ihres Freiheitsbegriff hingegen ist die Unterwerfung unter einen fremden, anonymen Willen, Demokratie genannt.

Keineswegs. Selbstbestimmung wird gerade durch die Demokratie erst ermöglicht. Sie ist der äußere (staatliche) Rahmen, der Freiheit und Selbstbestimmung für die unterschiedlichsten Lebensentwürfe garantiert.


Das ist im Kern der gleiche Quark, den Marx als „Einsicht in Notwendigkeit“ verkündete. Nicht Einsicht sondern freier Wille‚ nicht Unterwerfung sondern Revolte, nicht Notwendigkeit sondern deren Abwesenheit ist Freiheit. Eine Macht aber, die sich politische, soziale und ökonomische Allmacht anmaßt, ist das genaue Gegenteil von Freiheit.
Das ist jetzt sehr wirr. Es geht nicht um eine anonyme Macht, sondern es geht um eine Staatsform, die die Freiheit des Einzelnen ermöglicht. Demokratie bedeutet gerade das Gegenteil von Unterwerfung da eben jeder Mensch ein kleines Stück an der politischen Macht teilhat.
In allen anderen Staatsformen ist es immer so, daß wenige über die Mehrheit herrschen. Diese wenigen mögen dann zwar eine größere Freiheit haben als sie in einem demokratischen Staat hätten. Dafür ist aber der Rest-die Mehrheit- unfrei und ausgeliefert.
Das kann nur jemand befürworten, der die grundsätzliche Gleichwertigkeit aller Menschen ablehnt.

Mcp
18.06.2007, 08:57
Ihre These war aber, daß der "Plebs" wie Sie ihn nennen, deswegen arm sei, weil er "unfähig sei die Freiheit, die Eigentum von ihm verlangt, zu ertragen".
Das halte ich für falsch. Meiner Ansicht nach ist die Unterschicht deswegen arm, weil sie schlicht nicht genug Einkommen zur Verfügung hat, um ein Leben zu führen, das in unserer Gesellschaft als durchschnittlich gilt. D.H., die Frage, ihr Geld "reproduktiv" einzusetzen, stellt sich dieser Gruppe gar nicht.
Ihr Einkommen ist schlicht so gering, daß es gerade reicht, um den Konsum zu decken. Dieser wiederum ist nach den Maßstäben unserer Gesellschaft allerdings auch keineswegs hoch. Sie haben also von Vornherein gar keine Chance auf "reproduktives Geldvermehren", wie Sie das nennen.
Die Gründe, die dazu führen, sind sehr vielfältig. Sie aber reduzieren diese Gründe allein auf die von Ihnen behauptete Unfähigkeit der Unterschicht, Eigentum produktiv einzusetzen.
Unabhängig von den Gründen, warum es eine Unterschicht gibt, besteht aber sowieso eine soziale Verpflichtung des Staates, den Schwachen zu helfen. Ohne allerdings (was heute der Fall ist), sie aus ihrer Eigenverantwortung zu entlassen.

Mehr Geld für Unterschichten und alles wird gut. Kann ich Ihre Einlassungen so zusammenfassen? Ähnlich argumentieren alle Linken.


Doch, der Staat (die übrigen Teilnehmer der Gesellschaft), sind durchaus für Shicksalsschläge zuständig. Es besteht eine Solidarverpflichtung der Starken gegenüber den Schwachen. Genau das ist es nämlich, was die menschliche Gesellschaft von der tierischen unterscheidet.
Auch wenn Sie sagen, Sie wünschen die Zeit des Frühkapitalismus nicht zurück: das wäre die logische Folge Ihrer Argumentation.
Sie verwechseln oder vermengen hier einfach Staat und Gesellschaft. Sie haben jenes üppige, totalitäre Staatsverständnis, in dem der Staat für jedes menschliche Wehwehchen ein Pflästerchen übrig haben muss, er die Gesellschaft ersetzt, sie entmündigt oder einfach zerstört. Die Behauptung, dass uns der Staat vom Tierreich trennt, indem er Schwache vor Starken schützt, ist historisch mehr als einmal widerlegt. Wo war ihr Staat als die Juden in die Gaskammern und die „Kulaken“ in den Gulags verschwanden? Der Staat hat die Vernichtung der Schwachen organisiert und die Gesellschaft hat entweder weggesehen oder sogar applaudiert.

Mein Großvater wurde im Kaiserreich geboren, zog unter Hitler in den Krieg, floh vor Verfolgung und Enteignung aus dem deutschen Osten und starb in der Bundesrepublik Deutschland. Immer als Mitglied einer Familie, als Oberhaut der Gens. Die Familie sicherte das Überleben ihrer Mitglieder auch in staatenlosen Zeiten. Staaten kommen und gehen, die Gesellschaft und ihre Traditionen bleiben, jenseits aller Staatlichkeit. Auf dem Wege der Selbstorganisation kann sich die Gesellschaft sehr wohl ohne Staat nicht nur behaupten, sondern auch entwickeln und das zumeist sogar wesentlich effizienter, als es ein Staat vermag. Das stellt nicht die Notwendigkeit des Staates an sich in Frage, sondern lediglich seinen omipotenten, gesellschaftszerstörerischen totalitären Anspruch.

Die soziale Frage wird nicht durch den Staat gelöst, sondern kann nur Aufgabe einer funktionierenden Gesellschaft sein. Zustände, wie der von Ihnen immer wieder angeführte Manchesterkapitalismus, treten immer dann auf, wenn sich Gesellschaften, nicht Staaten, auflösen, oder wenn ihre sozialen und kulturellen Strukturen vorsätzlich, wie in England geschehen, durch den Staat, zerstört werden. Die soziale Frage an den Staat abzutreten, mag in Anbetracht demokratischer Umverteilungsphantasien zunächst attraktiv sein, spätestes aber in der nächsten politischen oder ökonomischen Krise schreit derselbe demokratische Staat nach der Eigenverantwortung der Gesellschaft, weil er sich außerstande sieht, seine phantastischen Versprechen auf Dauer einzulösen.


Sehen Sie doch einfach z.B. in die USA: da können Sie nun wirklich nicht von einem überbordenden Sozialstaat oder Tendenzen zur Enteignung reden.
Trotzdem funktioniert die Demokratie dort wunderbar.
Die Krise der bundesdeutschen Demokratie ist kein Fehler der Demokratie an sich. Sie ist nur eine Folge der Tendenz in einigen mitteleuropäischen Ländern, den Einzelnen aus seine Selbstverantwortung zu entlassen und ihn gleichzeitig zu entmündigen und zu kontrollieren.
Es ist eine Krise in den Köpfen, nicht im politischen System und es liegt wesentlich daran, daß eine klare Abgrenzung von totalitären sozialistischen Enteignungstendenzen hier nie stattgefunden hat.
Gerade die USA sind ein Paradebeispiel, in Anbetracht der durch diesen Staat angehäuften Schulden. Er mag weniger Sozialausgaben haben, dafür wird sich anderweitig kräftig verschuldet, zugunsten der einen oder anderen Klientel. So funktioniert Demokratie, egal wo. Im Übrigen wird gerade in den USA der Griff des demokratischen Staates nach dem Eigentum seiner Bürger besonders heftig diskutiert. Von dort her schwappt der größte Teil der Diskussion über den großen Teich bis nach Europa.



Keineswegs. Selbstbestimmung wird gerade durch die Demokratie erst ermöglicht. Sie ist der äußere (staatliche) Rahmen, der Freiheit und Selbstbestimmung für die unterschiedlichsten Lebensentwürfe garantiert.
Selbstbestimmung braucht keine Demokratie und wird auch durch diese nicht ermöglicht. Selbstbestimmung fußt einzig allein auf dem freien Willen des Einzelnen, womit wir wieder bei Robinson und seiner Insel wären. Demokratie oder andere Herrschaftsformen ermöglichen nichts, schon gar nicht Selbstbestimmung. Weder als Voraussetzung, noch als Bedingung. Herrschaftsverhältnisse bilden lediglich den Rahmen für die Ausübung meines freien Willens. Sie sind der Rahmen für meine Handlungen, aber niemals deren Inhalt. Für meinen Willen ist es zudem vollkommen unerheblich, in welcher Form Herrschaft über mich ausgeübt werden soll. Einem Verbot sieht man die demokratische Herkunft nicht an und innerhalb einer funktionierenden Gesellschaft kann es auch ziemlich egal sein, wer die politische Herrschaft ausübt, solange er die Lebensinteressen der Gesellschaft nicht antastet. Die gesellschaftlichen Nischen in der Ex-DDR waren beispielsweise groß und oft gemütlich genug, wenn man sich dauernder staatlicher Bevormundung entziehen wollte. Der Staat hielt sich dort sogar bewusst heraus, weil er die Ventilfunktion der Gesellschaft genau abschätzen konnte. Das Beispiel zeigt, wo und wer Freiheit garantiert. Es ist wieder nicht der Staat oder eine seiner besonderen Formen.

Wenn sich der Staat auf seine Kernaufgaben konzentriert, der Gesellschaft Raum zur Entfaltung, zur Selbstorganisation und Selbstbestimmung bietet, dann erledigt sich die Frage nach einem politischen Herrschaftsverhältnis von selbst (sie werden zumindest unwichtiger), weil sich gesellschaftliche Strukturen fast immer unpolitisch organisieren.



Das ist jetzt sehr wirr. Es geht nicht um eine anonyme Macht, sondern es geht um eine Staatsform, die die Freiheit des Einzelnen ermöglicht. Demokratie bedeutet gerade das Gegenteil von Unterwerfung da eben jeder Mensch ein kleines Stück an der politischen Macht teilhat.
In allen anderen Staatsformen ist es immer so, daß wenige über die Mehrheit herrschen. Diese wenigen mögen dann zwar eine größere Freiheit haben als sie in einem demokratischen Staat hätten. Dafür ist aber der Rest-die Mehrheit- unfrei und ausgeliefert.
Das kann nur jemand befürworten, der die grundsätzliche Gleichwertigkeit aller Menschen ablehnt.

Nur weil sie etwas nicht verstehen, ist es deshalb nicht gleich wirr. Hitlers Macht war nicht anonym, sondern konkret. Wäre die Demokratie keine anonyme Macht, so wären ihre Abstimmungen nicht geheim, sondern offen. Wer wofür oder wogegen gestimmt hat, ist meist genau sowenig nachvollziehbar, wie Verantwortung nachweisbar ist. Wenn das nicht eine anonyme Macht ist, was ist sie dann? Demokratie ist das Musterbeispiel dafür, wie man wahre Machtverhältnisse respektive Herrschaftsverhältnisse effizient verschleiert und Verantwortlichkeiten verwischt. Nach einen geheimen Abstimmung kann sich jeder auf den Mehrheitswillen einer nicht bestimmbaren Masse berufen, ohne das er sich (in der Regel) für sein folgendes Handeln verantworten muss.

derNeue
18.06.2007, 12:33
Mehr Geld für Unterschichten und alles wird gut. Kann ich Ihre Einlassungen so zusammenfassen? Ähnlich argumentieren alle Linken.

Können Sie nicht. Sie sollten genauer lesen. Ich plädiere eher für weniger als für mehr Umverteilung. Vor allem aber für eine Forderung nach Gegenleistung der Empfänger. Daß Sie mich für einen Linken halten, entbehrt übrigens nicht einer gewissen Komik. Für die meisten hier bin ich ein "Braunbatz".
Ich schließe mal daraus, daß meine Einstellung wirklich liberal ist.


Sie verwechseln oder vermengen hier einfach Staat und Gesellschaft. Sie haben jenes üppige, totalitäre Staatsverständnis, in dem der Staat für jedes menschliche Wehwehchen ein Pflästerchen übrig haben muss, er die Gesellschaft ersetzt, sie entmündigt oder einfach zerstört. Die Behauptung, dass uns der Staat vom Tierreich trennt, indem er Schwache vor Starken schützt, ist historisch mehr als einmal widerlegt. Wo war ihr Staat als die Juden in die Gaskammern und die „Kulaken“ in den Gulags verschwanden? Der Staat hat die Vernichtung der Schwachen organisiert und die Gesellschaft hat entweder weggesehen oder sogar applaudiert.

Auch hier sollten Sie genauer lesen, anstatt mir irgendwelche plumpen Dinge zu unterstellen, die nur in Ihrer Fantasie existieren. Ich schrieb nicht, daß "der Staat" die Menschen vom Tierreich trennt, sondern die Verpflichtung der Starken gegenüber den Schwachen. Der Staat hat alledings dafür zu sorgen, daß diese Verpflichtung durchgesetzt wird, denn allein auf christliche Nächstenliebe oder mildtätige Organisationen zu bauen, hat sich bisher nie als sonderlich erfolgreich herausgestellt. Fahren Sie mal in ein südamerikanisches Entwicklungsland mit frühkapitalistischen Zuständen und sehen Sie sich an, wie die Armen dort leben.

Außerdem sollten Sie nicht einfach von "dem Staat" sprechen, so als müßte ich hier sämtliche Verbrechen irgendwelcher vergangenen diktatorischen Staatsformen rechtfertigen.
Es ging hier allein um die Frage, welche Form die staatliche Organisation haben soll: die einer Demokratie oder eine andere. Ich bin-im Gegensatz zu Ihnen- für die Demokratie.


Mein Großvater wurde im Kaiserreich geboren, zog unter Hitler in den Krieg, floh vor Verfolgung und Enteignung aus dem deutschen Osten und starb in der Bundesrepublik Deutschland. Immer als Mitglied einer Familie, als Oberhaut der Gens. Die Familie sicherte das Überleben ihrer Mitglieder auch in staatenlosen Zeiten. Staaten kommen und gehen, die Gesellschaft und ihre Traditionen bleiben, jenseits aller Staatlichkeit. Auf dem Wege der Selbstorganisation kann sich die Gesellschaft sehr wohl ohne Staat nicht nur behaupten, sondern auch entwickeln und das zumeist sogar wesentlich effizienter, als es ein Staat vermag. Das stellt nicht die Notwendigkeit des Staates an sich in Frage, sondern lediglich seinen omipotenten, gesellschaftszerstörerischen totalitären Anspruch.

Sind Sie gar Anarchist? Ich halte solche Vorstellungen für völlig irreal.



Die soziale Frage wird nicht durch den Staat gelöst, sondern kann nur Aufgabe einer funktionierenden Gesellschaft sein. Zustände, wie der von Ihnen immer wieder angeführte Manchesterkapitalismus, treten immer dann auf, wenn sich Gesellschaften, nicht Staaten, auflösen, oder wenn ihre sozialen und kulturellen Strukturen vorsätzlich, wie in England geschehen, durch den Staat, zerstört werden. Die soziale Frage an den Staat abzutreten, mag in Anbetracht demokratischer Umverteilungsphantasien zunächst attraktiv sein, spätestes aber in der nächsten politischen oder ökonomischen Krise schreit derselbe demokratische Staat nach der Eigenverantwortung der Gesellschaft, weil er sich außerstande sieht, seine phantastischen Versprechen auf Dauer einzulösen.

Sie wollen den sozialen Ausgleich tatsächlich "der Gesellschaft" allein überlassen? Daran glaube ich nicht, und die Geschichte sowie die Gegenwart gibt mir recht.



Gerade die USA sind ein Paradebeispiel, in Anbetracht der durch diesen Staat angehäuften Schulden. Er mag weniger Sozialausgaben haben, dafür wird sich anderweitig kräftig verschuldet, zugunsten der einen oder anderen Klientel.

Ihre These war aber, daß in Demokratien die "eigentumsunfähige" Unterschicht dazu neigen würde, die übrigen gesellschaftlichen Gruppen zu enteignen.
Dies wird durch das Beispiel USA widerlegt, denn dort gibt es keine Enteignung zugunsten der Armen und trotzdem haben wir eine funktionierende Demokratie.
Daß die US-Regierungen zu viele Schulden machen, weil sie Kriege in aller Welt führen, steht auf einem anderen Blatt und ist nicht das Thema.
Denn es ist nicht die amerikanische Unterschicht, die für diese Schulden verantwortlich ist.


Selbstbestimmung braucht keine Demokratie und wird auch durch diese nicht ermöglicht. Selbstbestimmung fußt einzig allein auf dem freien Willen des Einzelnen, womit wir wieder bei Robinson und seiner Insel wären. Demokratie oder andere Herrschaftsformen ermöglichen nichts, schon gar nicht Selbstbestimmung. Weder als Voraussetzung, noch als Bedingung. Herrschaftsverhältnisse bilden lediglich den Rahmen für die Ausübung meines freien Willens. Sie sind der Rahmen für meine Handlungen, aber niemals deren Inhalt. Für meinen Willen ist es zudem vollkommen unerheblich, in welcher Form Herrschaft über mich ausgeübt werden soll. Einem Verbot sieht man die demokratische Herkunft nicht an und innerhalb einer funktionierenden Gesellschaft kann es auch ziemlich egal sein, wer die politische Herrschaft ausübt, solange er die Lebensinteressen der Gesellschaft nicht antastet. Die gesellschaftlichen Nischen in der Ex-DDR waren beispielsweise groß und oft gemütlich genug, wenn man sich dauernder staatlicher Bevormundung entziehen wollte. Der Staat hielt sich dort sogar bewusst heraus, weil er die Ventilfunktion der Gesellschaft genau abschätzen konnte. Das Beispiel zeigt, wo und wer Freiheit garantiert. Es ist wieder nicht der Staat oder eine seiner besonderen Formen.

Die DDR ist ein gutes Beispiel. Vergleichen Sie doch einfach mal den Grad der Freiheit bzw. des selbstbestimmten Lebens eines DDR-Bürgers mit dem eines heutigen BRD-Bürgers. Fällt Ihnen da nichts auf? Dort konnte man noch nicht einmal das Land verlassen, ausländische Zeitungen lesen, Westfernsehen gucken. Wollen Sie das wirklich verniedlichen oder schönreden?
Dann sind Sie der unverbesserliche Ostalgiker, der sich seine Realität selbst zurecht bastelt (was ich aber nicht glaube).
Bei aller berechtigten und angebrachten Kritik am heutigen deutschen Staat: wir leben vielleicht in einer "DDR-light", aber eben doch nocht nicht ganz in einer DDR.


Wenn sich der Staat auf seine Kernaufgaben konzentriert, der Gesellschaft Raum zur Entfaltung, zur Selbstorganisation und Selbstbestimmung bietet, dann erledigt sich die Frage nach einem politischen Herrschaftsverhältnis von selbst (sie werden zumindest unwichtiger), weil sich gesellschaftliche Strukturen fast immer unpolitisch organisieren.

Keine Gesellschaft hätte auf dieser Erde heute die Chance, ohne eine staatliche Form auch nur kürzeste Zeit zu existieren, wenn wir einmal von irgendwelchen vielleicht noch unentdeckten Stämmen im tropischen Regenwald des Amazonas absehen.
Trotzdem haben Sie recht, daß der Staat sich auf seine Kernaufgaben konzentrieren sollte. Zu diesen gehört allerdings auch die soziale Vewrpflichtung gegenüber den Schwachen der Gesellschaft, die von den Linken immer leichtfertig als "soziale Gerechtigkeit" definiert wird.


Nur weil sie etwas nicht verstehen, ist es deshalb nicht gleich wirr. Hitlers Macht war nicht anonym, sondern konkret. Wäre die Demokratie keine anonyme Macht, so wären ihre Abstimmungen nicht geheim, sondern offen. Wer wofür oder wogegen gestimmt hat, ist meist genau sowenig nachvollziehbar, wie Verantwortung nachweisbar ist. Wenn das nicht eine anonyme Macht ist, was ist sie dann? Demokratie ist das Musterbeispiel dafür, wie man wahre Machtverhältnisse respektive Herrschaftsverhältnisse effizient verschleiert und Verantwortlichkeiten verwischt. Nach einen geheimen Abstimmung kann sich jeder auf den Mehrheitswillen einer nicht bestimmbaren Masse berufen, ohne das er sich (in der Regel) für sein folgendes Handeln verantworten muss.
Die freie geheime Wahl ist eine sehr sinnvolle Einrichtung, denn sie soll garantieren, daß der Einzelne bei seiner Stimmabgabe nicht Druck von außen ausgesetzt werden kann sondern nur nach seiner wirklichen Meinung entscheidet.
Deswegen wird aber doch die Demokratie an sich keine "anonyme Macht"!
Wer letztlich die Mehrheit erhält und wie die Mehrheitsverhältnisse aussehen, liegt ja offen und die gewählte Regierung muß sich für ihre Taten verantworten.
Nur der Einzelne bleibt anonym in seiner persönlichen Entscheidung und falls er das wünscht, kann er ja jederzeit sich zu einer Partei bekennen.
Gerade das ist in einer Dmokratie unverzichtbar, denn denken Sie z.B. daran, was heute für eine Stimmung gegen rechte Parteien gemacht wird, und was mit jemandem passieren würde, der eine solche Partei wählt und z.B. im öffentlichen Dienst beschäftigt ist.
Das wirkliche Wählermeinung würde nicht mehr zutage treten, wenn Wahlen nicht mehr geheim wären, und damit das Wahlergebnis extrem verfälscht. Die Tendenzen zur Abschaffung des Wahlgeheimnisses sind leider nicht zu übersehen und damit auch der Abbau der Demokratie.

Anarch
18.06.2007, 13:52
Anscheinend wird auf meine Argumente gar nicht eingegangen. :rolleyes: Schön, wie man aus einer Diskussion ausgeschlossen wird. :P Wenn wir uns den bisherigen Verlauf ansehen, ist zu erkennen, daß m.E. auf der einen Seite die leicht anarchistische Argumentation, und auf der anderen die etatistisch angehauchte Argumentationskette herangezogen wird. Meiner Meinung nach haben beide zum Teil recht, und liegen andererseits in manchen Punkten falsch.

Ich gebe Mcp recht, wenn er anführt, daß die Gesellschaft die soziale Frage zu lösen hat, nicht der Staat. Es war schließlich die Französische Revolution, die die moderne Epoche in Europa begründete, und die sozialen, sowie traditionellen Strukturen zerstörte. Sie begründete keinen Schlußstrich unter die absolutistische Herrschaftsdoktrin, sondern erweiterte diese auf die gesamte Staatsnation. Der totalitäre Kollektivismus konnte unter Voraussetzung des liberalen Individualismus erst geboren werden, die Auflösung der Zwischenkörperschaften und Genossenschaften führten geradewegs zur sozialen Frage.

Andererseits kritisiere ich die Ablehnung des Politischen. Die Kritik an der Moderne, die durchaus richtig ist, fällt auf sich selbst zurück, weil hier - vielleicht unbewusst - von einer liberalen Vorstellung der Freiheit ausgegangen wird. Noch einmal: Freiheit ist als Freiheit-als-Anteilnahme NICHT als totale Autonomie aufzufassen. Frei ist derjenige, der dabei mitwirken kann sein eigenes, und das Schicksal der Gemeinschaft mitzubestimmen. Wer den holistischen Charakter einer Gemeinschaft verneint, fällt geradewegs auf den liberalen Individualismus zurück, der selbst, wie sein Bruder, der Kollektivismus, ein Produkt der Moderne ist. Deshalb plädiere ich für die Wiedergeburt und Stärkung des Politischen, für eine postmoderne Form der Rätedemokratie.

Alle Macht den Räten!

-jmw-
18.06.2007, 14:28
Ich möchte das Gespräch nicht weiter stören, jedoch ist mir ein Satz aufgefallen, den ich so nicht stehen lassen kann.
derNeue schrieb: "Dies wird durch das Beispiel USA widerlegt, denn dort gibt es keine Enteignung zugunsten der Armen".

Angesichts einer vergleichsweise nicht ganz, absolut aber immernoch recht hohen Staatsquote, eines staatlichen Bildungssystems, vielfältigen staatlichen Gesundheits- und Wohlfahrtseinrichtungen und diversen (angeblich "sozialen") staatlichen Interventionen in die und Regulierungen der Wirtschaft halte ich die obige Aussage für schlichtweg falsch.

Mcp
18.06.2007, 18:35
Anscheinend wird auf meine Argumente gar nicht eingegangen.

Ich werde schon darauf eingehen, nur etwas später. Ihre Post, wie desNeuen, beantwortet man nicht nebenbei und ab und zu muss ich mich auch noch um die Familie kümmern. :)

Mcp
19.06.2007, 21:25
Können Sie nicht. Sie sollten genauer lesen. Ich plädiere eher für weniger als für mehr Umverteilung. Vor allem aber für eine Forderung nach Gegenleistung der Empfänger. Daß Sie mich für einen Linken halten, entbehrt übrigens nicht einer gewissen Komik. Für die meisten hier bin ich ein "Braunbatz".
Ich schließe mal daraus, daß meine Einstellung wirklich liberal ist.
Weder halte ich Sie für einen Linken, noch ihr Konzept für richtig. Die Probleme müssen gesellschaftlich gelöst und nicht staatlich verwaltet werden.


Auch hier sollten Sie genauer lesen, anstatt mir irgendwelche plumpen Dinge zu unterstellen, die nur in Ihrer Fantasie existieren. Ich schrieb nicht, daß "der Staat" die Menschen vom Tierreich trennt, sondern die Verpflichtung der Starken gegenüber den Schwachen. Der Staat hat alledings dafür zu sorgen, daß diese Verpflichtung durchgesetzt wird, denn allein auf christliche Nächstenliebe oder mildtätige Organisationen zu bauen, hat sich bisher nie als sonderlich erfolgreich herausgestellt. Fahren Sie mal in ein südamerikanisches Entwicklungsland mit frühkapitalistischen Zuständen und sehen Sie sich an, wie die Armen dort leben.

Außerdem sollten Sie nicht einfach von "dem Staat" sprechen, so als müßte ich hier sämtliche Verbrechen irgendwelcher vergangenen diktatorischen Staatsformen rechtfertigen.
Es ging hier allein um die Frage, welche Form die staatliche Organisation haben soll: die einer Demokratie oder eine andere. Ich bin-im Gegensatz zu Ihnen- für die Demokratie.
Er ging mitnichten darum, dass Sie die jakobinischen Verbrechen revolutionärer Demokratie rechtfertigen sollten, sondern um ihre These vom Schutz des Schwachen durch den Staat:


Doch, der Staat (die übrigen Teilnehmer der Gesellschaft), sind durchaus für Shicksalsschläge zuständig. Es besteht eine Solidarverpflichtung der Starken gegenüber den Schwachen. Genau das ist es nämlich, was die menschliche Gesellschaft von der tierischen unterscheidet.

Die historischen Beispiele belegen, dass der Staat niemanden schützt, weil er per Definition zum genauen Gegenteil ersonnen wurde. Der Staat exekutiert den politischen Willen jener, die sich im Besitz seiner Macht wähnen. Die ausübende Gewalt richtet sich, je nach Form mit unterschiedlichen Wirkungsgrad, gerade gegen die Schwachen, gegen jene, die vom Staat beherrscht werden. Die Existenz des Politischen, des inneren oder äußeren Feindes, bringt den Staat erst hervor. Trotz allem demokratischen Firlefanz, wie Gewaltenteilung oder Öffentlichkeit, bleibt das politische Wesen des Staates auch in der Demokratie unberührt. Er ist eine schlafende Furie.

Die südamerikanischen Staaten sind gar nicht Lage ein Sozialsystem aufzubauen, dass dem Standard entwickelter Industrienationen entspricht. Zu behaupten, die Ursache für die Armut wäre die Mildtätigkeit und Armenhilfe, weil sie nicht gut genug funktioniert, zeugt von absoluter Unkenntnis der Lage. Ohne das sich die Gesellschaft der sozialen Frage angenommen hätte, es ist schlicht niemand anders da, der es könnte, wäre die Lage dort vollkommen unerträglich. Ursache für Armut ist Unterentwicklung, nicht Mildtätigkeit.


Sind Sie gar Anarchist? Ich halte solche Vorstellungen für völlig irreal.

Sie wollen den sozialen Ausgleich tatsächlich "der Gesellschaft" allein überlassen? Daran glaube ich nicht, und die Geschichte sowie die Gegenwart gibt mir recht. An solchen Stellen frage ich mich wirklich, ob wir nicht einfach aneinander vorbeischreiben. Von der Antike bis zum Anfang der siebziger Jahre des vorigen Jahrhundert wurde die soziale Frage in der Gesellschaft gestellt und gelöst. Die Familie, die Sippe, trug die Hauptlast beider Versorgung, der Ausbildung Heranwachsender und kümmerte sich bei Krankheit und Gebrechen um die Angehörigen der Gens. Wo die Familie versagte, begann ein feingliedriger Organismus wohltätiger Milde zu wirken, der ausschließlich durch private Spenden am Leben erhalten wurde. Hospitäler, Speisungen, kleinere Renten, regelmäßige Kleidungs–und Speisespenden für Bedürftige und Arme, waren genauso wie Bünde, Verbindungen oder Zünfte dafür da, den Menschen gesellschaftlichen Halt und sinnvolle Aufgaben zu geben. Erst unter Bismark begann der Staat sich mit Sozialgesetzen zu befassen. Er ist also nicht nur möglich, dass die Gesellschaft die soziale Frage löst, sie hat es über 6000 Jahre lang tatsächlich und höchst erfolgreich, ohne es zu idealisieren, getan, sonst gäbe es weder Menschheit, noch Zivilisation.

Erst in den siebziger Jahren begann man den Sozialstaat so massiv aufzublähen, dass er mit den Leistungen der Gesellschaft nicht nur in Kongruenz trat, sondern diese auch massiv und aggressiv verdrängte. Die Folge war nicht nur der massive Kollaps gesellschaftlicher Sozialstrukturen, sondern auch massive Auflösungserscheinungen der wichtigsten gesellschaftlichen Struktur, der Familie. Sie wurden und werden begleitet von einem Gemenge übelster antikultureller Propaganda, wie Feminismus, Sexismus und Hedonismus, die jede neue Kulturzerstörung als längst überfälligen Tabubruch inszeniert und in der natürliche gesellschaftliche Strukturen als archaisch, überholt und unmodern verleumdet werden. Die Denunziation und schleichende Kriminalisierung bündischer Lebensweisen geht einher mit der Entfremdung von Gesellschaft und Individuum, die unweigerlich in massenhafter Vereinzelung und Vereinsamung mündet. Man kann dies alles jubelnd als Fortschritt begrüßen oder als individualistische Freiheit verklären, aber ich glaube, dass sich diese Entwicklung bei dem absehbaren Kollaps staatlicher Sozialsysteme, als außerordentlich verhängnisvoll erweisen wird, denn so schnell, wie über Jahrhunderte gewachsene Sitten, Bräuche und Strukturen zerstört sind, so schwierig und langwierig wird der Prozess der Heilung sein.


Ihre These war aber, daß in Demokratien die "eigentumsunfähige" Unterschicht dazu neigen würde, die übrigen gesellschaftlichen Gruppen zu enteignen.
Dies wird durch das Beispiel USA widerlegt, denn dort gibt es keine Enteignung zugunsten der Armen und trotzdem haben wir eine funktionierende Demokratie.
Daß die US-Regierungen zu viele Schulden machen, weil sie Kriege in aller Welt führen, steht auf
einem anderen Blatt und ist nicht das Thema.
Denn es ist nicht die amerikanische Unterschicht, die für diese Schulden verantwortlich ist.
Da ich die Besonderheiten des USA –Wahlsystems nicht sonderlich gut kenne, möchte ich dass so stehen lassen, weil sonst die Gefahr besteht, dass ich Unsinn schreibe.


Die DDR ist ein gutes Beispiel. Vergleichen Sie doch einfach mal den Grad der Freiheit bzw. des selbstbestimmten Lebens eines DDR-Bürgers mit dem eines heutigen BRD-Bürgers. Fällt Ihnen da nichts auf? Dort konnte man noch nicht einmal das Land verlassen, ausländische Zeitungen lesen, Westfernsehen gucken. Wollen Sie das wirklich verniedlichen oder schönreden?
Dann sind Sie der unverbesserliche Ostalgiker, der sich seine Realität selbst zurecht bastelt (was ich aber nicht glaube).
Bei aller berechtigten und angebrachten Kritik am heutigen deutschen Staat: wir leben vielleicht in einer "DDR-light", aber eben doch nocht nicht ganz in einer DDR.
Die DDR war ein Beispiel um zu zeigen, wo die Freiheit am hartnäckigsten verteidigt wird, wenn die staatliche Repression einen totalitären Anspruch erhebt. Nicht der Staat ist der Garant der Freiheit, sondern allein die organisierte und strukturierte Gesellschaft. Das heißt aber nicht, dass man diesem Besatzungsregime irgendetwas gutes abgewinnen kann.


Keine Gesellschaft hätte auf dieser Erde heute die Chance, ohne eine staatliche Form auch nur kürzeste Zeit zu existieren, wenn wir einmal von irgendwelchen vielleicht noch unentdeckten Stämmen im tropischen Regenwald des Amazonas absehen.
Trotzdem haben Sie recht, daß der Staat sich auf seine Kernaufgaben konzentrieren sollte. Zu diesen gehört allerdings auch die soziale Vewrpflichtung gegenüber den Schwachen der Gesellschaft, die von den Linken immer leichtfertig als "soziale Gerechtigkeit" definiert wird. Der Mensch ist ein staatenbildendes Wesen schreibt Aristoteles. Dem ist nicht hinzuzufügen. Ich betone die Rolle Gesellschaft, weil diese hierzulande darniederliegt und zugrunde gerichtet wird.


Die freie geheime Wahl ist eine sehr sinnvolle Einrichtung, denn sie soll garantieren, daß der Einzelne bei seiner Stimmabgabe nicht Druck von außen ausgesetzt werden kann sondern nur nach seiner wirklichen Meinung entscheidet.
Deswegen wird aber doch die Demokratie an sich keine "anonyme Macht"

416 vor Christus töten die Athener auf einen Volksbeschluss hin alle männlichen Einwohner auf Melos. Nach der Abstimmung und der Entsendung der Triere mit dem verhängnisvollen Befehl, schlug die Stimmung um und man hob den Volksbeschluss schließlich auf. Die nachgesandten Kriegsschiffe erreichten Melos nicht mehr rechtzeitig, um das Massaker zu verhindern. Hinterher wollte natürlich kein einziger Athener für den verhängnisvollen Beschuss gestimmt haben.

Mcp
20.06.2007, 16:19
Hans-Hermann Hoppe ist zur Zeit einer der wirkungsmächtigsten Denker der Antiaufklärung. Er lehrt und forscht seit 1986 als Professor an der University of Nevada in Las Vegas. In seinen Buch "Demokratie - Der Gott der keiner ist" übt er nicht massive Kritik an dem demokratischen Staat, sondern definiert auch den Begriff des Konservativen:

"Lassen Sie mich beginnen, indem ich zwei mögliche Bedeutungen des Ausdrucks konservativ diskutiere. Die erste Bedeutung ist die, jemanden als konservativ zu bezeichnen, der den Status quo unterstützt, d. h. eine Person, die die Gesetze, Regeln, Regulierungen, die moralischen und Verhaltenskodizes zu erhalten wünscht, die zu einem gegebenen Zeitpunkt existieren. Weil zu verschiedenen Zeiten und/oder an verschiedenen Orten unterschiedliche Gesetze, Regeln und politische Institutionen gelten, hängt das, was ein Konservativer unterstützt, von Ort und Zeit ab und verändert sich mit diesen. Ein Konservativer zu sein bedeutet nichts weiter, als die existierende Ordnung zu mögen, was immer sie sein mag.

Die erste Bedeutung kann daher verworfen werden. Der Begriff konservativ muß eine andere Bedeutung haben. Was er bedeutet und was er möglicherweise einzig bedeuten kann, ist folgendes: Konservativ bezieht sich auf jemanden, der an die Existenz einer natürlichen Ordnung glaubt, einen natürlichen Zustand, der dem Wesen der Dinge entspricht: der Natur und des Menschen. Diese natürliche Ordnung kann und wird durch Unfälle und Anomalien gestört: durch Erdbeben und Wirbelstürme, Krankheiten, Schädlinge, Monster und Bestien, durch zweiköpfige Pferde oder vierbeinige Menschen, Krüppel und Idioten und durch Krieg, Eroberung und Tyrannei. Aber es ist nicht schwer, das Normale von der Anomalie zu unterscheiden, das Wesentliche vom Zufälligen. Ein wenig Abstraktion beseitigt alles Durcheinander und ermöglicht es fast jedem zu »sehen«, was natürlich und in Übereinstimmung mit der Natur der Dinge ist und was nicht. Darüber hinaus ist das Natürliche gleichzeitig das Beständige. Die natürliche Ordnung ist uralt und immer gleich (nur Anomalien und Unfälle wandeln sich), und von daher kann sie von uns überall und zu allen Zeiten erkannt werden.

Konservativ bezieht sich auf jemanden, der das Alte und Natürliche durch das »Rauschen« der Anomalien und der Unfälle erkennt und der es gegen das Vorübergehende und Anomale verteidigt, unterstützt und zu erhalten hilft. Im Bereich der Geisteswissenschaften, insbesondere der Sozialwissenschaften, erkennt ein Konservativer Familien (Väter, Mütter, Kinder, Enkel) und Haushalte auf der Grundlage des Privateigentums und in Kooperation mit einer Gemeinschaft anderer Haushalte als die fundamentalsten, natürlichsten, wesentlichsten, ältesten und unverzichtbarsten sozialen Einheiten. Darüber hinaus repräsentiert der Familienhaushalt auch das Modell der Gesellschaftsordnung im Großen. Genauso wie in der Familie eine hierarchische Ordnung existiert, so gibt es innerhalb einer Gemeinschaft von Familien eine hierarchische Ordnung: der Lehrlinge, Diener und Meister, der Vasallen, Ritter, Herren, Oberherren und sogar der Könige - miteinander verknüpft durch ein ausgefeiltes und kompliziertes System verwandtschaftlicher Beziehungen - und der Kinder, Eltern, Priester, Bischöfe, Kardinäle, Patriarchen oder Päpste und letztlich des transzendenten Gottes. Von den zwei Schichten der Autorität ist die weltlich-physische Macht der Eltern, Herren und Könige naturgemäß der höheren geistig-intellektuellen Autorität der Väter, Priester, Bischöfe und letztendlich Gott unterworfen und steht unter ihrer Kontrolle.

Wenn Konservative (oder spezifischer, westliche griechisch-christliche Konservative) für irgend etwas stehen, stehen sie für die familiären und sozialen Hierarhien und die Schichten sowohl materieller als auch geistig-intellektueller Autorität auf der Grundlage von und erwachsend aus Familienbindungen und verwandtschaftlichen Beziehungen und wollen diese erhalten."

Quelle: Hans-Hermann Hoppe; Demokratie - Der Gott der keiner ist; Kap. 10; Über Konservatismus und Libertarismus; I.

-jmw-
20.06.2007, 21:58
Mir ist soweit nix darüber bekannt, dass der Herr Hoppe sich als anti-aufklärerisch sähe.
Wär dem so, müsste er sich wohl in absehbarer Zeit von den Libertarians trennen - denn wir sind mit Sicherheit ziemlich aufklärerisch!

Salazar
20.06.2007, 22:04
Mir ist soweit nix darüber bekannt, dass der Herr Hoppe sich als anti-aufklärerisch sähe.
Wär dem so, müsste er sich wohl in absehbarer Zeit von den Libertarians trennen - denn wir sind mit Sicherheit ziemlich aufklärerisch!

Anti-aufklärerisch geht tatsächlich nicht ganz in die richtige Richtung.
Die Ziele sind aber doch teilweise kompatibel - sofern ich informiert bin.

Ausserdem: Ein richtig guter Strang hier! Klasse Diskussion. Weiter so :]

-jmw-
20.06.2007, 22:26
Anti-aufklärerisch geht tatsächlich nicht ganz in die richtige Richtung.
Die Ziele sind aber doch teilweise kompatibel - sofern ich informiert bin.
Kompatibel ist, wer in Fragen des Politischen das friedliche gegenseitige Ignorieren als Metaregel anzuerkennen bereit ist.

Alle anderen sind eh Doofköppe. :D

Mcp
21.06.2007, 06:58
Mir ist soweit nix darüber bekannt, dass der Herr Hoppe sich als anti-aufklärerisch sähe.
Wär dem so, müsste er sich wohl in absehbarer Zeit von den Libertarians trennen - denn wir sind mit Sicherheit ziemlich aufklärerisch!

Na ja. Wie man es nimmt:


"Zurück zur Demokratie: Wenn die Demokratie nicht eine Form der Freiheit, sondern eine Form der Ausbeutung ist, was bedeutet das dann für den Gründungsmythos der Demokratie in Europa, die Französische Revolution?

Hoppe: Gewiß muß das Bild von der Französischen Revolution noch grundlegend berichtigt werden, wenngleich es in den letzten Jahren schon erhebliche Fortschritte in dieser Richtung gegeben hat. Die Französische Revolution gehört in dieselbe Kategorie von üblen Revolutionen wie die bolschewistische Revolution und die nationalsozialistische Revolution. Königsmord, Egalitarismus, Demokratie, Sozialismus, Religionshaß, Terror, Massenplünderung, -vergewaltigung und -mord, die allgemeine militärische Zwangsverpflichtung und den totalen, ideologisch motivierten Krieg - all das verdanken wir der Französischen Revolution."
© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.junge-freiheit.de 26/05 24. Juni 2005


Damit deckt schon wesentliche Positionen der „Gegenaufklärung“ und „Antimoderne“ ab. Wenn Hoppe in Ihren Augen Aufklärung betreibt, dann höchstens im Hegelschen Sinne von der Negation der Negation: als Aufklärung von der Aufklärung. Aber ich lasse natürlich gerne mit mir diskutieren.

Mcp
21.06.2007, 07:02
Anti-aufklärerisch geht tatsächlich nicht ganz in die richtige Richtung.
Die Ziele sind aber doch teilweise kompatibel - sofern ich informiert bin.



"Gegenaufklärung" und "Antimodern" sind in der Tat etwas unglückliche Begriffe.

-jmw-
21.06.2007, 07:09
Ich sehe weniger die Ereignisse der Gallischen Rebellion als vielmehr das in und von der Aufklärung geforderte Vernunftdenken als das bestimmende Merkmal.
Und eben dieses zeichnet auch den Libertarianism auch eines Herrn Hoppe aus.

Mcp
21.06.2007, 08:19
Ich sehe weniger die Ereignisse der Gallischen Rebellion als vielmehr das in und von der Aufklärung geforderte Vernunftdenken als das bestimmende Merkmal.
Und eben dieses zeichnet auch den Libertarianism auch eines Herrn Hoppe aus.
Ich weiß nicht so recht was Sie meinen, für Hoppe ist die Vernunft doch gar keine Kategorie menschlichen Denkens. Er nimmt zumindest, in dem was ich von ihm kenne, keinen direkten Bezug darauf. Zur Erkenntnistheorie hat er sich überhaupt nicht geäußert und ich würde mich sehr wundern, wenn er es täte oder getan hat. Aber ich lasse mich wirklich gerne belehren.

Zum „aufklärerischen Vernunftdenken“ habe ich indes eine eigene Meinung. Man kann zwar viel herumvernüfteln, aber man kann es auch ohne jeden Verstand tun, ohne jedes Wissen und ohne das geringste Verständnis von der Materie zu haben, über die man gerade diskutiert. Im Grundverständnis der Aufklärung soll jeder sich eine eigene Meinung bilden, auch und gerade wenn er nicht die geringste Ahnung vom Gegenstande seiner Meinung hat. Das reine „Mitreden“ ist Aufklärung Wert an sich. Daher wird breites, oberflächliches Wissen von allem und jeden präferiert und tiefes Verständnis als Fachidiotie denunziert. Kant hat zwar in seiner Schrift „Was ist Aufklärung“ von 1784 versucht, vermutlich in dunkler Vorahnung des nun aufkommenden Dummschwatzes, seine eigene Forderung ängstlich zu relativieren, indem er einen eher peinlichen Satz formulierte: „Räsoniert, soviel ihr wollt und worüber ihr wollt, aber gehorcht!“, nur hat die antiautoritäre Erziehung unserer reaktionären Systemlinge zumindest eine wesentliche Voraussetzung der Aufklärung zerstört: den Gehorsam. Dummschwätzerei und Demokratie bilden so schnell eine gefährliche Mischung, mit einer brisanten Neigung zur demagogischen Explosion.

Zudem sagt man ja nicht ohne Grund, dass der Mensch nur mit Vernunft begabt sei, was nicht impliziert, das jeder diese Gabe notwendigerweise auch besitzt. Homo sapiens heißt zudem nicht der "Vernünftelnde" sondern der "Verständige". So mangelt es unserer Zeit wohl weniger am "aufklärerischen Vernunftdenken" im Sinne Kants, sondern am gesunden Menschenverstand. :)

Anarch
21.06.2007, 10:48
Darüber hinaus repräsentiert der Familienhaushalt auch das Modell der Gesellschaftsordnung im Großen. Genauso wie in der Familie eine hierarchische Ordnung existiert, so gibt es innerhalb einer Gemeinschaft von Familien eine hierarchische Ordnung: der Lehrlinge, Diener und Meister, der Vasallen, Ritter, Herren, Oberherren und sogar der Könige - miteinander verknüpft durch ein ausgefeiltes und kompliziertes System verwandtschaftlicher Beziehungen - und der Kinder, Eltern, Priester, Bischöfe, Kardinäle, Patriarchen oder Päpste und letztlich des transzendenten Gottes. Von den zwei Schichten der Autorität ist die weltlich-physische Macht der Eltern, Herren und Könige naturgemäß der höheren geistig-intellektuellen Autorität der Väter, Priester, Bischöfe und letztendlich Gott unterworfen und steht unter ihrer Kontrolle.

Wenn Konservative (oder spezifischer, westliche griechisch-christliche Konservative) für irgend etwas stehen, stehen sie für die familiären und sozialen Hierarhien und die Schichten sowohl materieller als auch geistig-intellektueller Autorität auf der Grundlage von und erwachsend aus Familienbindungen und verwandtschaftlichen Beziehungen und wollen diese erhalten."

Quelle: Hans-Hermann Hoppe; Demokratie - Der Gott der keiner ist; Kap. 10; Über Konservatismus und Libertarismus; I.

Hoppe negiert die Autonomie des Politischen, und verfällt somit in eine nicht-politische Denkweise, die den Staat bzw. den Monarchen als "Vater seiner Untertanen", die hier mit Kinder gleichgesetzt werden, vergleicht. Im 20. Jahrhundert wurde eine solche Herangehensweise bereits von Carl Schmitt deutlich in die Schranken gewiesen, und widerlegt. Die Familie ist eine private und soziale Institution. Das Politische ist autonom, bildet daher einen eigenen Sektor. Hoppes antidemokratische Stoßrichtung, die in einem vormundschaftlichen Hierachismus, und nicht in einer organischen Gemeinschaft endet, ist somit als unpolitisch abzulehnen.

Mcp
25.06.2007, 11:24
Hoppe negiert die Autonomie des Politischen, und verfällt somit in eine nicht-politische Denkweise, die den Staat bzw. den Monarchen als "Vater seiner Untertanen", die hier mit Kinder gleichgesetzt werden, vergleicht. Im 20. Jahrhundert wurde eine solche Herangehensweise bereits von Carl Schmitt deutlich in die Schranken gewiesen, und widerlegt. Die Familie ist eine private und soziale Institution. Das Politische ist autonom, bildet daher einen eigenen Sektor. Hoppes antidemokratische Stoßrichtung, die in einem vormundschaftlichen Hierachismus, und nicht in einer organischen Gemeinschaft endet, ist somit als unpolitisch abzulehnen.


Weder Hoppe, noch Schmitt behaupten die "Autonomie des Politischen", versteckt sich doch dahinter nur die linke Uraltlosung vom "Primat der Politik" mit der sie allerlei willkürliche Eingriffe in andere unpolitische gesellschaftliche Sphären, wie der Ökonomie, zu rechtfertigen gedenkt. Gerade Carl Schmitt arbeitet in seiner Schrift "Der Begriff des Politischen" den grundlegenden Gegensatz von Staat und Gesellschaft, von politischer Hybris, die dem unpolitischen Streben der Menschen entgegenwirkt, heraus.


„In Jacob Burckhardts Weltgeschichtlichen Betrachtungen (etwa aus der Zeit um 1870) finden sich folgende Sätze über die »Demokratie, d.h. eine aus tausend verschiedenen Quellen zusammengeströmte, nach Schichten ihrer Bekenner höchst verschiedene Weltanschauung, welche aber in einem konsequent ist: insofern ihr nämlich die Macht des Staates über den Einzelnen nie groß genug sein kann, so daß sie die Grenzen zwischen Staat und Gesellschaft verwischt, dem Staat alles das zumutet, was die Gesellschaft voraussichtlich nicht tun wird, aber alles beständig diskutabel und beweglich erhalten will und zuletzt einzelnen Kasten ein spezielles Recht auf Arbeit und Subsistenz vindiziert«.“
Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen, 1. Kap.


Das Schmitt eine Entwicklung vom absoluten, über den neutralen bis zum totalen und schließlich totalitären Staat konstatiert, heißt nicht, dass er es als Stufen eines Aufstieges begreift, weil die stete, sich über die Etappen radikalisierende Feinddefinition (für Schmitt der Schlüssel alles Politischen) eher das Gegenteil nahe legt. Jedes mal sucht die Gesellschaft der zunehmenden Politisierung ihres täglichen Lebens, so Schmitt im Kapitel „Das Zeitalter der Neutralisierungen und Entpolitisierungen“, durch die Flucht in neue geistige Sphären zu entgehen: Vom Theologischen flüchtete man sich ins Metaphysische, von dort zum Moralischen, um schließlich im ökonomischen Denken anzukommen. Jede dieser geistigen Fluchten war nicht nur verbunden mit gesellschaftlichen Umbrüchen, sondern auch mit der trügerischen Hoffnung endlich in einer geistig neutralen, unpolitischen Sphäre angelangt zu sein. Indes hat jedes Mal nur das Schlachtfeld gewechselt, weil man dem Politischen, den inneren Neidern und ihrem Machtanspruch, wie dem äußeren Feind schwerlich entfliehen kann. Wer aber jede gesellschaftliche Frage, aus welchen Motiven auch immer, zu einer Politischen stilisiert, schafft oder radikalisiert nur neue oder schon bestehende Feindbilder und ruft eo ipso nach mehr Staat.

Anarch
25.06.2007, 22:30
@Mcp: Dann haben wir uns hier wohl falsch verstanden. Ich meinte nicht, daß das gesamte Alltagsleben politisiert werden soll; ich wehre mich nur gegen die Auflösung des Politischen, und dessen Bekämpfung durch die ökonomistischen Strömungen. Bekannt ist mir ebenso, daß sich das Politische über die Freund-Feind-Einteilung klassifiziert.

Wir sollten aber, wir ich bereits mehrfach schrieb, von einer eindimensionalen Auffassung der Demokratie abrücken. Die bürgerliche Liberaldemokratie dürfte mit der attischen Demokratie, oder einem Rätesystem, teilweise wenig, bis gar nichts gemeinsam haben. Konsens sollte m.E. ebenfalls darüber herrschen, daß Demokratie in erster Linie Mitwirkung, und nicht Mehrheitsentscheidung bedeutet.

"Demokratie ist die Selbstbestimmung des Volkes über sein Schicksal", wie Moeller van den Bruck es ausdrückte. Was wir also vielmehr brauchen ist eine "organische Demokratie" (Alain de Benoist), die von unten nach oben gestaffelt, und mit einer Neuen Volkselite gekoppelt ist. Daß Kultur und die sozialen Bindungen autonome Gebiete, und keine Politischen sind, darüber sind wir uns, denke ich, einig.

Was wir brauchen ist ein gesundes Gleichgewicht, eben einen organischen Lösungsansatz, aber keine völlige Entpolitisierung der Gesellschaft. Räteherrschaft, anti-monopolistische und geplante Ökonomie, auf Basis einer Wiedergeburt der Zwischenkörperschaften und Genossenschaften.

Mcp
27.06.2007, 10:00
Wir sollten beachten, daß Aristoteles die Volksherrschaft an sich nicht verachtete, nur ihre Degeneration, die er folglich als Demokratie betitelte. Vielmehr strebte er eine Mischform aus Aristokratie (=Herrschaft der Besten) und der Herrschaft des Volkes an; ein System das er Politie nannte.
Die "Politie" ist die Aristokratie, sie hat keinerlei demokratische oder volksherrschaftliche Elemente. Offensichtlich will jede Generation die Antike neu erfinden.


"Wir nennen nun von den Monarchien jene, die auf das Gemeinwohl schaut, das Königtum, von den Regierungen Einiger, also mehrerer als Eines, die entsprechende die Aristokratie (entweder weil die Besten regieren, oder weil sie zum Besten des Staates und der Gemeinschaft regieren). Wenn aber die Menge (an Aristokraten, also nicht Masse oder Volk A.d.A.) zum allgemeinen Nutzen regiert, so wird dies mit dem gemeinsamen Namen aller Verfassungen, nämlich Politie benannt. Dies mit Recht: denn daß sich Einer oder Einige an Tugend auszeichnen, ist wohl möglich, daß dagegen Viele in jeder Tugend hervorragen, schwierig; am ehesten noch in der kriegerischen, denn diese besitzt die Masse, und darum ist auch in einer solchen Verfassung das kriegerische Element das maßgebende, und es haben diejenigen an ihr teil, die Waffen tragen. Verfehlte Formen im genannten Sinne sind für das Königtum die Tyrannis, für die Aristokratie die Oligarchie und für die Politie die Demokratie. Denn die Tyrannis ist eine Alleinherrschaft zum Nutzen des Herrschers, die Oligarchie eine Herrschaft zum Nutzen der Reichen und die Demokratie eine solche zum Nutzen der Armen. Keine aber denkt an den gemeinsamen Nutzen aller. "

Quelle: Aristoteles; Politik; 3. Buch


Hinzufügend möchte ich festhalten, daß im Altertum die Freiheit nicht nach liberalem Muster als "tue was du willst, solange du niemanden störst", definiert wurde, sondern sich als "Freiheit-als-Anteilnahme" verstand. Das heißt, frei war derjenige, der die Möglichkeit besaß über sein Schicksal zu entscheiden, und sich in der Gemeinschaft einzubringen.

Nein. Freiheit wurde in der Antike im selben Kontext verstanden wie heute.


Die Freiheit aber wäre, daß jeder tun kann, was er will.
Quelle: ebenda; Buch 5



An andere gebunden zu sein und nicht alles tun zu dürfen, was man will, ist nämlich zuträglich; denn die Freiheit, zu tun, was man will, vermag nicht das Schlechte, das sich in jedem Menschen findet, zu zügeln.
Quelle: ebenda; Buch 6

Aristoteles schränkt den Freiheitsbegriff nicht ein, er sagt bloß, dass die Unterordnung unter eine Verfassung keine Knechtschaft ist, sondern Voraussetzung für Autarkie (Unabhängikeit), was den antiken Begriff der Freiheit nicht berührt, sondern nur sein Mass einschränkt. Sowohl Platon, wie auch Aristoteles stützen sich bei den Voraussetzungen für ihren Freiheitsbegriff eben nicht auf demokratische Autonomie, also Selbstgesetzgebung, sondern die Unabhängigkeit "der Häuser" (Familien) im Sinne von Autarkie. ("alles zu besitzen und nichts zu entbehren"; Quelle: ebenda; Buch VII.) Beide begreifen den Staat nur als Mittel zu Erringung größerer Unabhängikeit und lehnen alles ab, was die Unabhängkeit seiner Staatsbürger bedroht. Der Staat wird verstanden Zusammenschluss autarker Staatsbürger zum Zwecke der Autarkie, also Unabhängigkeit. Staatsbürger kann also nur werden, wer autark ist.


"Es zeigt sich noch in anderer Weise, daß es nicht gut ist, den Staat allzusehr vereinheitlichen zu wollen. Das Haus ist mehr autark als der Einzelne, der Staat mehr als das Haus; und er wird erst dann wirklich zu einem Staat, wenn die Gemeinschaft der Menge autark geworden ist. Wenn also die größere Autarkie das Wünschbarere ist, so ist auch die geringere Einheitlichkeit das Wünschbarere."
Quelle: ebenda; Buch 2


Zudem ist der kategorische Imperativ in Form der Freiheitsdefinition in der französischen Fassung der Menschenrechte in Bezug auf den definitorischen Wert des ursächlichen Begriffes sowieso unsinniger Neusprech von höchstens politischem Anspruch, aber fernab jedweder Realität.

Die Freiheit ist dort, wo die Möglichkeit ist. Die einzige Handlungsmaxime des Menschen ist und war nie Moralin, sondern die Wahl jener Entscheidung, die das Mass meiner/unserer gegenwärtigen Möglichkeiten in der Zukunft zu weitern verspricht.

Anarch
28.06.2007, 15:09
Die "Politie" ist die Aristokratie, sie hat keinerlei demokratische oder volksherrschaftliche Elemente. Offensichtlich will jede Generation die Antike neu erfinden.

Anhand daran, daß Aristoteles die Politie der Demokratie gegenüberstellt, und nicht der Aristokratie, weil er diese bereits mit ihrer entarteten Form, der Oligarchie, vergleicht, ist die Klassifizierung der Politie als reine Aristokratie nicht richtig.
Die Aristokratie ist die Herrschaft einiger Eliten, die Politie die Herrschaft Aller. Es wurde, wie ich schon mehrmals darauf hinwies, der Fehler begangen die Demokratie auf einen einzigen Inhalt, nämlich der Mehrheitsentscheidung, zu reduzieren. DIE Demokratie gibt es einfach nicht. Das sollten wir uns immer wieder vor Augen halten. Genauso wenig wie der Sozialismus auf den messianischen Marxismus-Leninismus bzw. den Bolschewismus reduziert werden kann.

Ich möchte das Thema anhand eines Schlenkers in die Geschichte vertiefen: Im Gegensatz zum Orient war die absolute Despotie in Europa ausgesprochen selten. Ob in Rom, in der Ilias, im wedischen Indien oder bei den Hethitern: Die Existenz einer Volksversammlung sowohl als militärischer wie auch als ziviler Organisation ist sehr früh nachweisbar. Ferner wird der König in der indoeuropäischen Gesellschaft meistens gewählt; alle früheren Monarchien waren Wahlmonarchien. Tacitus berichtet, wie bei den Germanen "die Führer wegen ihrer Tugend und die Könige wegen ihres Adels gewählt wurden". Daß seine Schriften anzuzweifeln sind, steht auf einem anderen Blatt.

In Frankreich blieb die Thronfolge lange Zeit elektiv und erblich zugleich. Erst nach Pippin dem Jüngeren wurde der König nur noch innerhalb derselben Familie gewählt; und erst nach Hugo Capet wurde das Prinzip der Erstgeburt angenommen. In Skandinavien ist der König der Gewählte eines provinzialen Things, und seine Wahl muß von den übrigen Volksversammlungen des Landes bestätigt werden. Bei anderen germanischen Völkern wird die Erhebung auf den Schild geübt. Der Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation wird ebenfalls gewählt, und die bedeutende Rolle der Kurfürsten in der deutschen Geschichte ist bekannt.

Fast überall in Europa wandelt sich die Wahlmonarchie erst seit dem 12. Jahrhundert zur Erbmonarchie. Und selbst dann regieren die Könige bis zur Französischen Revolution mit einem Parlament, dessen Befugnisse übrigens nicht unbedeutend sind. In allen früheren europäischen Gemeinschaften verleiht die Eigenschaft des freien Menschen politische Rechte (Freie, Fringlinge). Die "Bürger" bilden die Volksgemeinden und verfügen über kommunale Freibriefe usw. Die Monarchien sind von Räten umgeben, mit denen sie ihre Entscheidungen treffen. Der Einfluß des Gewohnheitsrechts auf die juristische Praxis ist auch ein Zeichen für die Anteilnahme des Volkes an der Gesetzgebung. Kurzum, man kann nicht sagen, daß die früheren Monarchien einer Legitimierung durch das Volk entbehrten.

Das älteste Parlament der westlichen Welt, das isländische Althing - eine Bundesversammlung, deren Mitglieder jedes Jahr in der stimmungsvollen Landschaft des Thingvellir zusammenkamen - tritt bereits im Jahre 930 ins Leben. Adam von Bremen schreibt um 1076: "Sie haben keinen König, sondern nur das Gesetz." Das Thing, oder die lokale Volksvertretung, bestimmt zugleich einen Ort und einen Sammelplatz, wo die Freien, die gleiche politischen Rechte innehaben, zu einem festgesetzten Zeitpunkt zusammen zukommen, um das Gesetz zu verkünden, pder Gericht zu halten.

In Island genießt der freie Mann zwei unveräußerliche Vorrechte: das Waffen tragen, und seinen Sitz im Thing. Frederic Durand schreibt darüber: "Die Isländer wußten ins Leben zu rufen und am Leben zu erhalten das, was wir als eine Art nordisches Hellas bezeichnen könnten, das heißt eine Art Gemeinschaft freier Bürger, die an der Verwaltung ihrer Gemeinde lebhaften Anteil nehmen, die erstaunlich kultiviert, geistig produktiv und mit den Banden der Achtung sowie des Respekts vereint sind".

Die skandinavische Demokratie ist sehr alt, sie reicht bis in die Wikingerzeit zurück. In ganz Nordeuropa stützt sich diese "demokratische" Tradition auf ein besonders starkes Gemeinschaftsgefühl, auf einen Hang zum Zusammenleben, kraft dessen der Gemeinnutz immer Vorrang hat. Sie hat aber gleichzeitig eine gewisse hierarchische Prägung und konnte deshalb als "Aristo-Demokratie" bezeichnet werden. Diese Tradition, die sich ebenfalls auf den gegenseitigen Beistand für den Sinn für gemeinsame Pflichten stützt, wirkt noch in zahlreichen Ländern fort, allen voran die Schweiz.

Die Vorstellung, wonach das Volk der ursprüngliche Machthaber ist, ist auch in der Geschichte des Mittelalters immer wieder feststellbar. Während der Klerus sich mit der Behauptung "Alle Herrschaft geht von Gott aus", begnügt, versichern manche Theoretiker, daß die Macht von Gott auf den Herrscher nur durch die Vermittlung des Volkes übertragen wird. Der Begriff des "Gottesgnadentum" wird nun auf eine mittelbare Weise aufgefaßt, die von der Realität des Volkes nicht absieht. Marsilius von Padua zögert nicht, den Begriff der Volkssouveränität zu verkünden, und er tut es bezeichnenderweise, um die Oberherrschaft des Kaisers (im vorliegenden Fall von Ludwig IV. 1314 - 1347) über die Kirche zu verteidigen. Die Idee einer prinzipiellen Nicht-Unterscheidung zwischen dem Volk und seinen Führungskräften wird ferner durch die Formel populus et proceres ("Das Volk und die Großen") hervorgehoben, die in den alten Texten immer wieder vorkommt.

Abschließend sollten die demokratischen Tendenzen Roms beachtet werden, sowie die der früheren italienischen Republiken, der französischen und flämischen Gemeinden, der hanseatischen Stadträte, der freistaatlichen Verfassungen der Schweizer Kantone usw. Man sollte sich jene uralten boerenvrijheid ("Bauernfreiheit") ins Gedächtnis zurückrufen, die im Mittelalter in den friesischen Provinzen herrschte, und die entsprechenden Formen an der Nordseeküste, in den Niederlanden, in Flandern, Skandinavien, Deutschland, Österreich, und der Schweiz erfuhr.

Ich räume aber gern ein, daß fast alle historisch belegten Regierungsformen in Wirklichkeit der Kategorie der "gemischten" Formen angehören. Alle antiken Demokratien wurden von einer erblichen oder persönlichen Aristokratie, wenn nicht vom monarchistischen Prinzip gemäßigt.

Aristoteles' Ansicht nach war die Verfassung Solons oligarchisch durch den Aeropag, aristokratisch durch die Wahl der hohen Beamten und demokratisch durch die Gründung von Gerichten, so daß sie die Vorzüge aller Staatsformen miteinander verband. Für Polybios wiederum war Rom in Anbetracht der konsularischen Befugnisse eine Wahlmonarchie, in Anbetracht der senatorischen Befugnisse eine Aristokratie, in Anbetracht der volklichen Rechte eine Demokratie. In De re publica ("Über den Staat") denke Cicero nicht anders.

"Die Monarchie selbst schließt nicht die Demokratie aus, wie die gegenwärtigen konstitutionellen oder parlamentarischen Monarchien es unter Beweis stellen. Die im erweiterten Sinne aufgefaßte Demokratie, läßt verschiedene Formen zu und kann sowohl in Monarchien als auch in Republiken verwirklicht werden", äußerte Pius XII. im Dezember 1944.

Schlußendlich: Klar, daß von vielen Seiten die attische Demokratie kritisiert wurde, wenn das Richteramt beispielsweise gelost, und die Entscheidung nicht per Wahl getätigt wurde; ein Manko, das gern eingeräumt werden kann. Außerdem wurde der Begriff Demokratie von den damaligen Zeitgenossen oftmals im Negativen verwendet, und ursprünglich wurde er aus einer negativen Bedeutung geboren. Begrifflichkeiten unterliegen dem epochalen Wandel, sie sind nicht statisch. Daß die heutige moderne Demokratie mit der damaligen Ausführung wenig zu tun hat, sollte klar sein. Es gibt Demokratien die positiv wirken (können), und jene die es abzulehnen gilt.


Zudem ist der kategorische Imperativ in Form der Freiheitsdefinition in der französischen Fassung der Menschenrechte in Bezug auf den definitorischen Wert des ursächlichen Begriffes sowieso unsinniger Neusprech von höchstens politischem Anspruch, aber fernab jedweder Realität.

Die liberale Freiheitsdefinition des "tue was du willst, solange es keinem anderen schadet", lehne ich ab. Sie ist ohnehin schwachsinnig. Im Griechischen wie im Lateinischen rührt die Freiheit von der Abkunft her. Der Freie Mensch (e)leudheros ist vor allem derjenige, der einer bestimmten Stammlinie angehört (vgl. lat. liberi, "die Kinder"). Einer guten Linie abzustammen und frei zu sein, bedeutete bei den Indoeuropäern ein und dasselbe.

Gleichermaßen zeugt die Verwandtschaft der Wörter frei und Freund im Germanischen, daß die Freiheit ursprünglich eine gegenseitige Zugehörigkeit bestätigt. Der indoeuropäische Wortstamm leudh-, aus dem sowohl das lateinische liber als auch das griechische eleutheros hervorgingen, bezeichnet schließlich auch die "Leute", sofern sie einem bestimmten Volk angehören (altslawisch ljudu "Volk", nhd. Leute), wobei das Ganze sich aus einer Wurzel ableiten läßt, die die Vorstellung von "Wachstum, Entwicklung" enthält.

Das Wort "Freiheit" bedeutet also ursprünglich keineswegs eine "Befreiung" im Sinne einer Emanzipierung gegenüber einer bestimmten Gemeinschaft, sondern hebt vielmehr die Zugehörigkeit hervor, die eben die Freiheit verleiht. Wenn die Griechen von Freiheit sprechen, meinen sie daher durchaus nicht das Recht, sich von der Abhängigkeit gegenüber dem Stadtstaat frei zu machen oder sich den Zwängen zu entziehen, denen jeder Bürger unterworfen ist, sondern vielmehr das Recht, die gesetzlich verbürgte politische Fähigkeit, unter anderem sich am Leben in der Stadt zu beteiligen, in den Versammlungen abzustimmen, die hohen Beamten wählen zu können.

Die Freiheit legitimiert nicht die Loslösung, sondern rechtfertigt deren Gegenteil: das Band nämlich, das die Person mit dem Stadtstaat verbindet. Es ist keine, wie bereits geschrieben wurde, Freiheit-als-Autonomie - wie es uns der Liberalismus weis machen will -, sondern eine Freiheit-als-Anteilnahme. Sie erstreckt sich nicht über die Gemeinschaft hinaus, sondern wird im Rahmen der polis ausgeübt. Die "Freiheit" eines Individuums ohne Zugehörigkeit, eines nicht-eingefügten Individuums, ist völlig sinnlos.

Wenn Aristoteles den Menschen als "politisches Tier", als soziales Wesen definiert, wenn er behauptet, daß die Stadt dem Individuum vorausgeht, und daß letzteres in der Gesellschaft alle seine Potentialitäten verwirklicht (Politik, 1253a 19 - 20), meint er damit, daß der Mensch nicht vom Bürger getrennt werden kann, von demjenigen, der im Rahmen einer organisierten Gemeinschaft, einer polis, oder einer civitas lebt; und hierin steht er von vornherein der Auffassung des neuzeitlichen Liberalismus entgegen, wonach das Individuum vor der Gesellschaft existiert und somit der Mensch als Individuum sich automatisch etwas mehr ist als der Bürger.

Daraus ergibt sich, daß in einer Gemeinschaft freier Menschen die eigenen Interessen nicht mehr gelten dürfen als der Gemeinnutz. "Soweit also die Verfassungen das Gemeinwohl berücksichtigen sind sie im Hinblick auf das schlechthin Gerechte richtig; wenn sie aber nur das Wohl der Regierenden im Auge haben, sind sie verfehlt und weichen durchaus von der richtigen Verfassung ab" (Politik, 1279a 17ff.).

Finley schreibt z.B: "In Griechenland meinte Freiheit Herrschaft des Gesetzes und Anteilnahme am Entscheidungsprozeß, nicht aber den Besitz unveräußerlicher Rechte."
Das Gesetz deckte sich mit dem Geist der Stadt, es zu achten hieß, sich eifrig dem Willen der Gruppe zu opfern. Die Freiheit ist es, die die Legalität fördert: Legum servi sumus ut liberi esse possismus ("Wir sind Diener der Gesetze, damit wir frei sein können", Oratio pro Cluentio, 53).


Die Freiheit ist dort, wo die Möglichkeit ist. Die einzige Handlungsmaxime des Menschen ist und war nie Moralin, sondern die Wahl jener Entscheidung, die das Mass meiner/unserer gegenwärtigen Möglichkeiten in der Zukunft zu weitern verspricht.

Fazit: Freiheit bedeutet die Möglichkeit haben etwas zu tun; die Möglichkeit besitzen etwas nicht zu tun, d.h. sich in die Sphäre des Privaten zurückzuziehen, ist keine Freiheit. Der Freie zeichnet sich dem Sklaven gegenüber dadurch aus, daß er souverän über sich selbst, und über das Gemeinwesen mit entscheiden kann. Freiheit ist somit ein politischer Begriff, und kein apolitischer, geschweige denn ein "Grundrecht der Natur", wie es uns die bürgerlich-liberale Schule gern weismachen möchte.

Maximiliane
30.07.2007, 18:04
Günter Rohrmoser sieht in den Leitgedanken des Konservativismus Rezepte aus dem gegenwärtigen Jammertal
Harald Seubert
Günter Rohrmoser begreift in seinem neuen Buch Geschichte als Gegenwart: Daher spitzt sich das Gespräch mit exemplarischen konservativen Denkern, von denen heute zu lernen ist und die sich dem Härtetest der Moderne aussetzten, auf die Grundfrage zu, ob eine einmal erreichte gesellschaftliche und kulturelle Dekadenz noch aufzuhalten ist.
Der zeitgenössische Horizont von Rohrmosers Untersuchungen wird einleitend knapp und eindeutig skizziert: im Blick auf die die Wahrnehmung der einfachsten Realitäten verstellende Political Correctness, in einer tiefgründigen Analyse des "Kampfs der Kulturen" und in einem kenntnisreichen Einblick in die geschichtlichen Prägungen des gegenwärtigen amerikanischen Konservativismus. Eine schöne Würdigung des "Modernitätstraditionalismus" von Rohrmosers maßgeblichem philosophischen Lehrer Joachim Ritter verweist auf die Notwendigkeit einer Bejahung der krisenhaften Moderne - die ihre geistigen Ressourcen nicht aus sich selbst schöpfen kann, sondern aus Geschichte, Kunst, Religion und der alteuropäischen Überlieferung gewinnen muß - als auf eine Magna Charta heutigen Konservativismus.

Es ist eine große Leistung, wie es Rohrmoser bei jedem der behandelten Denker des Konservativismus gelingt, in das Zentrum und die philosophische Mitte der Denkansätze einzudringen und in ihrem Licht Grundprobleme der Gegenwart zu interpretieren. Rohrmoser zeigt, wie eindrucksvoll die Hinterlassenschaft konservativen Denkens ist, gerade auch in seiner prognostischen Kraft. Vor allem aber wird deutlich, daß wir der politischen und geistigen Krise der Gegenwart nur geschichtlich, nicht in blindem Pragmatismus oder in Sozialtechnologien standhalten können.
Deshalb hat man allen Grund - gerade auch politische Entscheidungsträger hätten ihn -, Rohrmosers philosophische Einsichten über Europa und den Islam, Zuwanderungsbewegung, Institutionenzerfall, die Perzeptionsverweigerung, die von der Political correctness ausgeht, sehr genau zur Kenntnis zu nehmen.
Rohrmoser ist, wie die Einleitung des neuen Buches zeigt, der wohlbegründeten und von ihm seit langen Jahren mit Verve vertretenen Überzeugung, daß die großen Revolutionen und Umbrüche sich heute als Transformationen auf geistig kulturellem Feld abspielen und daß längst die Religion in ihrem Fokus steht. In diesem Buch, das durch Klarheit, Kenntnisreichtum und eine Fülle von neuen Einsichten glänzt, erweist sich Rohrmoser erneut in einer Person als konservativer Philosoph von europäischem Format, als eminent politischer Geist, deutscher Patriot aus besten Traditionen und couragierter Verteidiger des freiheitlich-demokratischen Gemeinwesens. Er hat eine Schneise in zum Teil sich verwirrende, im Sekundären versandende Konservativismus-Debatten geschlagen. Daher muß man dieses Buch lesen, ihm ist größte Verbreitung und Rezeption in Wissenschaft und interessierter Öffentlichkeit zu wünschen.
Günter Rohrmoser: Konservatives Denken im Kontext der Moderne. Gesellschaft für Kulturwissenschaft, Bietigheim 2006, gebunden, 325 Seiten
http://www.jf-archiv.de/archiv06/200641100686.htm
http://www.gfk-web.de/inhalt/buecher/buecher.html

Mcp
30.07.2007, 18:35
http://www.jf-archiv.de/archiv06/200641100686.htm
http://www.gfk-web.de/inhalt/buecher/buecher.html

Danke für die Verweise. :)