Der Sheriff
01.06.2007, 21:22
Istanbul - Der Auftritt war eine Kriegserklärung: Die Präsidentin des türkischen Verfassungsgerichts, Tülay Tugcu, kündigte öffentlich eine Strafanzeige ihres Gerichts gegen Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan an. Erdogan muss sich wegen angeblicher Beleidigung der Justiz auf eine Klage nach dem berüchtigten Paragrafen 301 einstellen, der die Verunglimpfung des „Türkentums“ und staatlicher Institutionen verbietet. Bei einer Verurteilung drohen ihm mehrere Jahre Haft. Mit der Klage gegen den Premier wird die Justiz in der Türkei nun auch formell zur Partei im türkischen Machtkampf.
Das Verfassungsgericht ist im Fall Erdogan Kläger und Richter in einem. Die Verfassungsrichter bilden bei Bedarf den „Staatsrat“, ein Spezialgericht, das für Prozesse gegen Regierungspolitiker zuständig ist. Sollte Erdogan wegen eines Amtsvergehens angeklagt werden, würde der Prozess vor dem „Staatsrat" stattfinden, bei dem die Richter gleichzeitig auch die Beschwerdeführer wären. Eine baldige Anklage gegen Erdogan ist aber unwahrscheinlich, weil das Parlament zustimmen müsste. Und dort hat Erdogans Partei die Mehrheit.
Anlass für Tugcus Klage sind Äußerungen Erdogans in einem Fernsehinterview. Der Premier beschwerte sich darin über die Entscheidung des Verfassungsgerichts vom 1. Mai, mit der die Wahl seines Außenministers Abdullah Gül zum Staatspräsidenten blockiert worden war. Erdogan nannte die Gerichtsentscheidung eine „Schande". Tugcu sieht darin eine Beleidigung des Gerichts.
Das Parlament von Ankara debattierte in zweiter und letzter Lesung über die Verfassungsänderung zur Einführung einer Direktwahl des Präsidenten. Mit Hilfe der Novelle will Erdogan seinen Kandidaten Gül doch noch durchsetzen, während die Kemalisten in Politik und Staatsapparat dies verhindern wollen. Da bei einer von neun Einzelabstimmungen im Plenum die Zweidrittelmehrheit verfehlt worden sei, müsse das gesamte Verfassungspaket als gescheitert gewertet werden, erklärte die Opposition – ein neuer Rechtsstreit vor dem Verfassungsgericht ist möglich. Susanne Güsten
Quelle: http://www.tagesspiegel.de/politik/archiv/01.06.2007/3303029.asp
Das Verfassungsgericht ist im Fall Erdogan Kläger und Richter in einem. Die Verfassungsrichter bilden bei Bedarf den „Staatsrat“, ein Spezialgericht, das für Prozesse gegen Regierungspolitiker zuständig ist. Sollte Erdogan wegen eines Amtsvergehens angeklagt werden, würde der Prozess vor dem „Staatsrat" stattfinden, bei dem die Richter gleichzeitig auch die Beschwerdeführer wären. Eine baldige Anklage gegen Erdogan ist aber unwahrscheinlich, weil das Parlament zustimmen müsste. Und dort hat Erdogans Partei die Mehrheit.
Anlass für Tugcus Klage sind Äußerungen Erdogans in einem Fernsehinterview. Der Premier beschwerte sich darin über die Entscheidung des Verfassungsgerichts vom 1. Mai, mit der die Wahl seines Außenministers Abdullah Gül zum Staatspräsidenten blockiert worden war. Erdogan nannte die Gerichtsentscheidung eine „Schande". Tugcu sieht darin eine Beleidigung des Gerichts.
Das Parlament von Ankara debattierte in zweiter und letzter Lesung über die Verfassungsänderung zur Einführung einer Direktwahl des Präsidenten. Mit Hilfe der Novelle will Erdogan seinen Kandidaten Gül doch noch durchsetzen, während die Kemalisten in Politik und Staatsapparat dies verhindern wollen. Da bei einer von neun Einzelabstimmungen im Plenum die Zweidrittelmehrheit verfehlt worden sei, müsse das gesamte Verfassungspaket als gescheitert gewertet werden, erklärte die Opposition – ein neuer Rechtsstreit vor dem Verfassungsgericht ist möglich. Susanne Güsten
Quelle: http://www.tagesspiegel.de/politik/archiv/01.06.2007/3303029.asp