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Vollständige Version anzeigen : Weimar und Du



Sauerländer
26.05.2007, 15:15
Wir hatten einen solchen Strang garantiert schon mal, aber seine Grundlage ist ja auch eher daueraktuell.
Insofern die Frage an die Teilnehmerschaft:

Wo hättet Ihr zu Weimarer Zeiten (die sind lang, ist mir klar, aber da kann man ja auch auf den Werdegang schauen) politisch gestanden?
Die Frage macht eigentlich nur Sinn unter der Annahme, wir wären charakterlich die Selben, die wir auch so sind, hätten aber kein Wissen um das zukünftige Geschehen.
Also, werte Teilnehmer: In welches Lager hätte es euch verschlagen und warum?
Oder wärt Ihr gar ausgewandert? Und wenn: Wohin?
Wie hättet Ihr unter diesen Prämissen den Hitlerismus überstanden? Widerstand, Innere Emigration, Gleichgültigkeit, Arrangieren mit dem System, aktives Partizipieren? Oder hätte sich die Frage gar nicht gestellt, weil das Regime euch zügig... entfernt hätte?
Berücksichtigt die Umstände der Zeit. Der Weltkrieg liegt noch nicht so lange zurück, mit allem, was das impliziert. Die Republik wird von der Bevölkerung eher geduldet als getragen (und auch das bei einigen nur unwillig), die materiellen Verhältnisse sind verheerend, die kommunistische Revolution erscheint als reale Option, die Ruhe und Sicherheit stabiler Verhältnisse sind dem Land nicht gegeben, ganz Europa ist im Umbruch.

Klopperhorst
26.05.2007, 16:44
Irgendein rechtes Freikorps. Später hätte ich mich von Hitler distanziert, weil ich nicht gerne in der Masse schwimme.


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Ausonius
26.05.2007, 17:41
Wo hättet Ihr zu Weimarer Zeiten (die sind lang, ist mir klar, aber da kann man ja auch auf den Werdegang schauen) politisch gestanden?

Vom persönlichen Werdegang hätte die DDP gut zu mir gepasst. Da ich durchaus einer ähnlichen sozialen Schicht angehöre wie meine Vorfahren, die dazu noch stramme Preußen waren, hätte es aber auch sein können, dass es wie bei ihnen gewesen wäre: Im Grunde war Politik verpönt, eine Parteimitgliedschaft wäre gar nicht in Frage gekommen und es war bei ihnen auch nicht sehr schicklich, sich mit der konkreten Tagespolitik überhaupt zu beschäftigen (stattdessen befasste man sich eher abstrakt mit Werten etc.).

-jmw-
26.05.2007, 18:01
Hmm...
Kann ich so garnicht sagen, muss ich drüber nachdenken.
Auf Anhieb mein ich, ich hätt mich da nicht sehr wohl gefühlt.

Stechlin
26.05.2007, 18:07
Eine gute Frage, die man so ohne weiteres gar nicht beantworten kann. Wenn ich meine heutige ideologische Ausrichtung als Basis nehme, dann wäre es ganz klar die KPD gewesen - mit der Nation hatten die Kommunisten ja damals keine Probleme.

Aber das hängt sicherlich immer mit den Verhältnissen zusammen, in denen man aufwächst. "Das Sein bestimmt das Bewußtsein." Marx.

Unbelehrbar
26.05.2007, 19:23
Damals ganz klar DVP! Ev. später als Straßenkampf gewesen ist im Freikorps und DNVP gelaufen. Später dann wohl der NXDAP angeschlossen und je nach Stellung .u. wissen mehr oder weniger zwiespältig ihm gegenübergestanden.

derNeue
26.05.2007, 21:58
Ich wäre wohl wie viele andere von der Demokratie enttäuscht und hätte möglicherweise anfangs die Nationalsozialisten gewählt. Vor allem in der Hoffnung, sie würden die Ergebnisse des Versailler Vertrages rückgängig machen. Nach 33 hätte ich früher oder später meine Meinung wahrscheinlich geändert. Wie weit der Widerstand gegangen wäre-schwer zu sagen, wenn man nie in einer ähnlichen Situation war. Bei mir wäre es wohl eher eine Art "innerer Emigration" gewesen. Aber viel zum Nachdenken wäre man sowieso nicht gekommen. Man zieht in den Krieg, hat keine Wahl, und versucht irgendwie zu überleben, das ist alles.

Volkov
26.05.2007, 22:09
Ich als Weimarer ? Hm, hätte mich niemanden angeschlossen ! Ich bin dazu zu sehr einer der ständig aus der Reihe tanzen muss. Ich passe einfach nirgendwo rein.
Freier Weimarer ! Und ich wäre es auch geblieben, trotz NSDAP.

hermann
26.05.2007, 23:04
Ich hätte genauso gehandelt wie mein Vater der schon 1928 in der NSDAP war.

Narn Resistance
27.05.2007, 05:53
KPD. Auch wenn es Lager und Tod bedeuten würde.

Walter Hofer
27.05.2007, 07:28
Wo hättet Ihr zu Weimarer Zeiten (die sind lang, ist mir klar, aber da kann man ja auch auf den Werdegang schauen) politisch gestanden?

Das kommt auf das Alter 1919 an, Bildung, Ausbildung und das prägende Elternhaus vor dem Krieg!

Du kannst genauso gut fragen, wie hättest du dich in der DDR verhalten?



Die Frage macht eigentlich nur Sinn unter der Annahme, wir wären charakterlich die Selben, die wir auch so sind, hätten aber kein Wissen um das zukünftige Geschehen.

Die Beantwortung macht keinen Sinn.



Wie hättet Ihr unter diesen Prämissen den Hitlerismus überstanden?

Gar nicht: mit hoher Wahrscheinlichkeit auf einem Soldatenfriedhof in Russland.

Lichtblau
27.05.2007, 15:07
Ganz klar KPD, 33 wäre ich dann in die Sowjetunion emigriert.

Rowlf
27.05.2007, 15:43
Wohl in der FAUD (http://de.wikipedia.org/wiki/Freie_Arbeiter-Union_Deutschlands)

Frei-denker
27.05.2007, 16:05
Man versetzte sich in die damalige Lage: Auf den Straßen kämpften politische Gruppierungen um die Vorherrschaft, die Siegermächte saugten das Land aus und die Regierung glänzte mit Rückrat- und Konzeptlosigkeit. Massenarbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit und Armut.

Und dann kommt ein Politiker, der lauter effektive Konzepte hat, die Aliierten Blutsauger aus dem Land wirft, für deutsche Ideale eintritt, für Arbeit sorgt, den VW-Käfer erfinden und produzieren läßt, mit KdF-Programmen den Lebenstandart der Bevölkerung anhebt, Standesunterschiede abschafft und für Jugendliche spannende Jugendorganisationen gründet.

Wer von uns wäre nicht von so einem Konzept begeistert gewesen? Ich denke, die Meißten.

Und was dann später tatsächlich in den KZs gelaufen ist, stand natürlich nicht auf den Plakaten seiner Partei. Im Gegenteil, Goebbels ließ Filme zeigen, wo Juden in KZs Musikgruppen bildeten und in Sauberkeit und Luxus lebten. Die Wahrheit zu erzählen, hätte die Bevölkerung auf die Barrikaden gebracht.

Ich denke, wir wären fast alle darauf reingefallen. Und die sich heute, wo Antirechts in Mode ist, als die Reinkarnation der Geschwister Scholl gefallen, wären mit ziemlicher Sicherheit damals die größten Mitläufer gewesen.

Fuchs
27.05.2007, 23:32
Interessante Frage!
Ich denke mal ich wäre enttäuscht von der SPD
bei Spartakus gelandet und im Januar "auf der
Flucht" erschossen worden

Kenshin-Himura
28.05.2007, 00:49
Wir hatten einen solchen Strang garantiert schon mal, aber seine Grundlage ist ja auch eher daueraktuell.
Insofern die Frage an die Teilnehmerschaft:

Wo hättet Ihr zu Weimarer Zeiten (die sind lang, ist mir klar, aber da kann man ja auch auf den Werdegang schauen) politisch gestanden?
Die Frage macht eigentlich nur Sinn unter der Annahme, wir wären charakterlich die Selben, die wir auch so sind, hätten aber kein Wissen um das zukünftige Geschehen.
Also, werte Teilnehmer: In welches Lager hätte es euch verschlagen und warum?
Oder wärt Ihr gar ausgewandert? Und wenn: Wohin?
Wie hättet Ihr unter diesen Prämissen den Hitlerismus überstanden? Widerstand, Innere Emigration, Gleichgültigkeit, Arrangieren mit dem System, aktives Partizipieren? Oder hätte sich die Frage gar nicht gestellt, weil das Regime euch zügig... entfernt hätte?
Berücksichtigt die Umstände der Zeit. Der Weltkrieg liegt noch nicht so lange zurück, mit allem, was das impliziert. Die Republik wird von der Bevölkerung eher geduldet als getragen (und auch das bei einigen nur unwillig), die materiellen Verhältnisse sind verheerend, die kommunistische Revolution erscheint als reale Option, die Ruhe und Sicherheit stabiler Verhältnisse sind dem Land nicht gegeben, ganz Europa ist im Umbruch.

Hätte wohl dem Zentrum nahegestanden. Möglicherweise wär ich auch durch die Nazis umgekommen, aber drauf angelegt hätte ich es nie darauf, weil ich sehr an meinem Leben hänge.

Koslowski
28.05.2007, 01:12
Das ist äußerst schwierig zu sagen. Möglicherweise der Strasserflügel der NSDAP, vielleicht auch die KPD. Die Hitleristen hätten mit Sicherheit versucht, mich um die Ecke zu bringen. Wäre ich entkommen, wäre ich in ein (scheinbar) ruhigeres germanisches Land geflüchtet. In Schweden wäre mir wohl nichts passiert; in Norwegen oder Dänemark hätten mich die "Deutschen" aufgeknüpft, in Island die Briten und Amerikaner. Was auf den Färöern war, weiß ich nicht.

Beverly
04.06.2007, 15:21
Wir hatten einen solchen Strang garantiert schon mal, aber seine Grundlage ist ja auch eher daueraktuell.
Insofern die Frage an die Teilnehmerschaft:

Wo hättet Ihr zu Weimarer Zeiten (die sind lang, ist mir klar, aber da kann man ja auch auf den Werdegang schauen) politisch gestanden?
Die Frage macht eigentlich nur Sinn unter der Annahme, wir wären charakterlich die Selben, die wir auch so sind, hätten aber kein Wissen um das zukünftige Geschehen.
Also, werte Teilnehmer: In welches Lager hätte es euch verschlagen und warum?
Oder wärt Ihr gar ausgewandert? Und wenn: Wohin?

Unter der Voraussetzung, dass ich als dieselbe auf die Welt gekommen wäre, hätte es mich - wie in meinem richtigen Leben auch - zweifellos nach Berlin gezogen. Mehr als eine Bruchbude mit Ofenheizung (habe ich noch in den 1980ern und 1990ern erdulden müssen) wäre damals wohl nicht drin gewesen. Aber das avantgardistische geistige Klima hätte mir sicher zugesagt, möglicherweise mehr als der postmoderne Blah unserer Tage. Raumfahrt-Visionen, sexuelle Emanzipation und andere Konzepte der Moderne wurden schließlich damals entwickelt.
Politisch wäre ich am linken Rand von SPD oder KPD gelandet, vielleicht bei der Stalinisierung der KPD ausgeschlossen worden.



Wie hättet Ihr unter diesen Prämissen den Hitlerismus überstanden? Widerstand, Innere Emigration, Gleichgültigkeit, Arrangieren mit dem System, aktives Partizipieren? Oder hätte sich die Frage gar nicht gestellt, weil das Regime euch zügig... entfernt hätte?
Berücksichtigt die Umstände der Zeit. Der Weltkrieg liegt noch nicht so lange zurück, mit allem, was das impliziert. Die Republik wird von der Bevölkerung eher geduldet als getragen (und auch das bei einigen nur unwillig), die materiellen Verhältnisse sind verheerend, die kommunistische Revolution erscheint als reale Option, die Ruhe und Sicherheit stabiler Verhältnisse sind dem Land nicht gegeben, ganz Europa ist im Umbruch.

Ich wäre vielleicht durch einen intelligenten und rabiaten Technokraten "verführbar" gewesen, aber nicht durch das Würstchen Hitler. Von Seiten der Nazis wäre die Abneigung sogar noch größer gewesen. Nicht nur ich, sondern ein Großteil von Familien- und Freundeskreis wäre aus den unterschiedlichsten, oft trivialen Gründen im KZ gelandet - homosexuell, zu christlich, philosemitisch, Zweifel am Endsieg etc. Für diese kranken Geister war es schließlich schon Feindbegünstigung, einem Zwangsarbeiter etwas zu essen zu geben. KZ hätte ich allerdings keine drei Tage ausgehalten.

Hätte ich die 12 braunen Jahre überständen, wäre ich nach 1945 wohl ausgewandert, weil ich - anders als das braune Geschmeiß, das sich in der BRD wieder häuslich einrichtete - den Absturz von einer Kulturnation zu einem bis in die 1960er reaktionären US-Protektorat nicht ertragen hätte. Die USA mögen **** sein, aber New York hätte gelockt und ich hätte an den Krawallen in der Christopher Street teilnehmen können.

Gärtner
04.06.2007, 16:11
Wo hättet Ihr zu Weimarer Zeiten (die sind lang, ist mir klar, aber da kann man ja auch auf den Werdegang schauen) politisch gestanden?
Zentrum. In Preußen wie im Reich.


Wie hättet Ihr unter diesen Prämissen den Hitlerismus überstanden? Widerstand, Innere Emigration, Gleichgültigkeit, Arrangieren mit dem System, aktives Partizipieren? Oder hätte sich die Frage gar nicht gestellt, weil das Regime euch zügig... entfernt hätte?
Nicht unwichtig zur Beantwortung dieser Frage wäre das Alter, das man sich für diese Zeit gibt. Als junger Mensch ist man Neuem gegenüber i.d.R. sehr viel aufgeschlossener. Zweifellos hätte die Hitlerbewegung wegen ihrer jugendlichen Kraft eine große Faszination auch auf mich ausgeübt. Wie weit? Nun, ich denke, das wäre vom Grad meiner katholischen Sozialisation abgehangen, die ja einen gewissen Grad der Imprägnierung geboten hätte. Was mich sicherlich sehr abgeschreckt und die NSDAP für mich auch unwählbar gemacht hätte, wären die vulgären Schlägerbanden der SA und der absurde Judenhass des österreichischen Migranten gewesen.

Dyamond
04.06.2007, 16:22
Höchstwahrscheinlich DVP oder DNVP.

Beverly
04.06.2007, 18:33
Zweifellos hätte die Hitlerbewegung wegen ihrer jugendlichen Kraft eine große Faszination auch auf mich ausgeübt. Wie weit?

So etwas haben in dem Strang schon viele geschrieben. Aber ich glaube, sie wären entweder enttäuscht gewesen bzw. hätten innerparteiliche Säuberungen in der Art von 1934 nicht überlebt, hätten im Krieg gegen Hitler konspiriert, um Deutschlands Zusammenbruch zu verhindern, oder wären total korrumpiert geworden.
Wobei ich mit "korrumpiert" nicht allein das Mittun beim Streben nach Weltherrschaft um jeden Preis und das Ignorieren oder gar Unterstützen der dabei begangenen Verbrechen meine. So manche reale Nazi-Karriere hat ihr schimpfliches Ende für mich darin gefunden, dass sie nach dem Krieg in der BRD fortgesetzt wurde. Leute, die vor 1945 die Superdeutschen mimten und das Deutsche Reich bis zum Ural ausdehnen wollten, um dann nach Kriegsende in Restdeutschland wieder obenauf zu sein, kann ich nicht mehr verstehen. Es sei denn, sie wollten Deutschland vorsätzlich gegen die Wand fahren :rolleyes:

senchi
06.06.2007, 10:48
Man versetzte sich in die damalige Lage: Auf den Straßen kämpften politische Gruppierungen um die Vorherrschaft, die Siegermächte saugten das Land aus und die Regierung glänzte mit Rückrat- und Konzeptlosigkeit. Massenarbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit und Armut.

Und dann kommt ein Politiker, der lauter effektive Konzepte hat, die Aliierten Blutsauger aus dem Land wirft, für deutsche Ideale eintritt, für Arbeit sorgt, den VW-Käfer erfinden und produzieren läßt, mit KdF-Programmen den Lebenstandart der Bevölkerung anhebt, Standesunterschiede abschafft und für Jugendliche spannende Jugendorganisationen gründet.

Wer von uns wäre nicht von so einem Konzept begeistert gewesen? Ich denke, die Meißten.

Und was dann später tatsächlich in den KZs gelaufen ist, stand natürlich nicht auf den Plakaten seiner Partei. Im Gegenteil, Goebbels ließ Filme zeigen, wo Juden in KZs Musikgruppen bildeten und in Sauberkeit und Luxus lebten. Die Wahrheit zu erzählen, hätte die Bevölkerung auf die Barrikaden gebracht.

Ich denke, wir wären fast alle darauf reingefallen. Und die sich heute, wo Antirechts in Mode ist, als die Reinkarnation der Geschwister Scholl gefallen, wären mit ziemlicher Sicherheit damals die größten Mitläufer gewesen.

Dem könnte ich mich anschließen.

Sauerländer
06.06.2007, 12:05
(...)Ich wäre vielleicht durch einen intelligenten und rabiaten Technokraten "verführbar" gewesen, aber nicht durch das Würstchen Hitler.(...)
Wie hat man sich diesen rabiaten Technokraten vorzustellen?
Mussolini etwa hat (und das lange ohne antisemitische oder übermäßig rassistische Beiklänge) Italien quasi im Gewaltstreich zu einem modernen, technisierten Staat gezimmert. Da zehren die bis heute von, deshalb ist er ja auch keineswegs übermäßig unpopulär dort.
Wie ja überhaupt der Italofaschismus nicht zuletzt durch den starken Einfluss der Futuristen einen ganz anderen Charakter hatte als der Nationalsozialismus.
Zudem konnte man im mussolinischen Italien auch als Oppositioneller recht gut überleben, wenn man bereit war, die Klappe zu halten.

Sauerländer
06.06.2007, 12:15
Zentrum. In Preußen wie im Reich.
Wie hättest Du etwa zu von Papen gestanden?

Nicht unwichtig zur Beantwortung dieser Frage wäre das Alter, das man sich für diese Zeit gibt.
Zweifellos. Das beeinflusst auch solche rerlevanten Fragen wie "Kriegsteilnehmer oder nicht". Denn ohne das Erlebnis der Blutmühle ist die Gleichgültigkeit, ja Verachtung gegenüber jeglichen Humanitätsvorstellungen kaum zu begreifen.

Als junger Mensch ist man Neuem gegenüber i.d.R. sehr viel aufgeschlossener. Zweifellos hätte die Hitlerbewegung wegen ihrer jugendlichen Kraft eine große Faszination auch auf mich ausgeübt. Wie weit? Nun, ich denke, das wäre vom Grad meiner katholischen Sozialisation abgehangen, die ja einen gewissen Grad der Imprägnierung geboten hätte.
Eines der wenigen Milieus, in die massiv einzubrechen den Hitleristen nie gelungen ist, nebenbei bemerkt.
Das kann der Protestantismus in diesem Umfang nicht von sich behaupten.

Drosselbart
06.06.2007, 12:19
Ganz klar KPD, 33 wäre ich dann in die Sowjetunion emigriert.

Dort hättest du dann im Moskauer Hotel Lux ein lustiges All-inclusive-Leben geführt. Inklusive Denunziationen durch spätere DDR-Nomenklaturisten und nächtlicher Verhaftungen mit anschließender Folter und Genickschuß.

Gärtner
06.06.2007, 12:41
Wie hättest Du etwa zu von Papen gestanden?
Mir ist entfallen, von wem die nachfolgende Einschätzung Papens stammt, aber ich habe sie gerne übernommen: "Preußischer Herrenreiterverschnitt". Sein Botschafterposten in Ankara entsprech in etwa seinen Begabungen.


Eines der wenigen Milieus, in die massiv einzubrechen den Hitleristen nie gelungen ist, nebenbei bemerkt.
Das kann der Protestantismus in diesem Umfang nicht von sich behaupten.

Der Protestantismus krankt bis auf den heutigen Tag daran, daß er eigentlich fast immer eine Staatskirche war und sich stets über den Staat definiert hat- etweder in geradezu hündischer Anlehnung oder grundsätzlicher Kritik.

Eine wirkliche eigene Mitte hat er zu keiner Zeit gefunden.

Sauerländer
06.06.2007, 12:53
Mir ist entfallen, von wem die nachfolgende Einschätzung Papens stammt, aber ich habe sie gerne übernommen: "Preußischer Herrenreiterverschnitt".
Womit er als katholischer Preuße übrigens als der lebende Selbstwiderspruch zu benennen wäre. Andererseits ist das ein Schicksal, das seit der Eingliederung in Preußen alle Westfalen teilten.

Der Protestantismus krankt bis auf den heutigen Tag daran, daß er eigentlich fast immer eine Staatskirche war und sich stets über den Staat definiert hat- etweder in geradezu hündischer Anlehnung oder grundsätzlicher Kritik.
Eine wirkliche eigene Mitte hat er zu keiner Zeit gefunden.
Das hat er sich letztlich selbst zuzuschreiben.
Nach dem Abfall vom Papsttum blieb als institutioneller Bezugspunkt ja praktisch keine Alternative.
Das Prinzip, Hierarchie und Tradition durch Debatte und Neuerung zu ersetzen, lässt eine Festigkeit im Glauben nunmal schwerlich entstehen.
Wenn mit dem Althergebrachten aufgeräumt wird, ist zunächstmal ALLES möglich.
Das beweist der Protestantismus immer wieder - sei er im lutherschen Uranliegen im Sinne einer Reform des Katholizismus von innen heraus auch berechtigt.

Beverly
06.06.2007, 13:07
Wie hat man sich diesen rabiaten Technokraten vorzustellen?
Mussolini etwa hat (und das lange ohne antisemitische oder übermäßig rassistische Beiklänge) Italien quasi im Gewaltstreich zu einem modernen, technisierten Staat gezimmert. Da zehren die bis heute von, deshalb ist er ja auch keineswegs übermäßig unpopulär dort.
Wie ja überhaupt der Italofaschismus nicht zuletzt durch den starken Einfluss der Futuristen einen ganz anderen Charakter hatte als der Nationalsozialismus.
Zudem konnte man im mussolinischen Italien auch als Oppositioneller recht gut überleben, wenn man bereit war, die Klappe zu halten.

Jemand in der Art von Mussolini oder vorzugsweise Lenin. Lenin hätte ich neben seinem rabiaten Umgang mit abweichenden Linken (Anarchisten, Kronstadt-Revolte) v. a. sein zu frühes Ableben 1925 vorzuwerfen. Temperaturmäßig wäre Italien besser, aber das geistige Klima in der SU der 1920er Jahre hätte mir auch zugesagt. Die gleiche Aufbruchsstimmung wie in der WR ohne reaktionäres Bürgertum und als Intellektueller konnte man sich noch Abweichungen von der Parteilinie erlauben.

Sauerländer
06.06.2007, 13:16
Jemand in der Art von Mussolini oder vorzugsweise Lenin. Lenin hätte ich neben seinem rabiaten Umgang mit abweichenden Linken (Anarchisten, Kronstadt-Revolte) v. a. sein zu frühes Ableben 1925 vorzuwerfen. Temperaturmäßig wäre Italien besser, aber das geistige Klima in der SU der 1920er Jahre hätte mir auch zugesagt. Die gleiche Aufbruchsstimmung wie in der WR ohne reaktionäres Bürgertum und als Intellektueller konnte man sich noch Abweichungen von der Parteilinie erlauben.
Man kam aber bereits auf Listen, die wiederum in Schubladen landeten, die wiederum nur wenige Jahre später wieder geöffnet wurden, was wiederum für die auf den Listen genannten Personen... Konsequenzen hatte. Und ich bin mir nicht sicher, ob man Lenin so einfach aus der Verantwortung dafür entlassen kann.
Der auch intern eingesetzte "Rote Terror" ist jedenfalls keine Erfindung Stalins.
Man kann der Sowjetunion manches zugute halten - intern "gesäubert" hat sie wesentlich militanter als viele der faschistischen Systeme. Schließlich sogar völlig unabhängig von inhaltlichen Erwägungen, sondern nach vordefinierter Quote.
Aus Deutschland kommend hättest Du da vermutlich von Anfang an doppelt schlechte Karten.
Italien hingegen...
Je mehr ich mich mit Mussolini befasse, desto mehr ist in meinen Augen festzustellen, dass der Mann ursprünglich ein Linker gewesen ist. Schon immer konfliktorientiert, ja auf Krawall gebürstet, aber dennoch.
Andererseits hättest Du dich da natürlich aufs Privatleben beschränken müssen und dich öffentlich zu wenig Dingen äussern dürfen. Auf die Dauer wahrscheinlich auch nicht das Wahre.

Beverly
06.06.2007, 13:27
(...)Auf die Dauer wahrscheinlich auch nicht das Wahre.

Trifft das nicht auf alle zu, die zwischen 1918 und 1945 "Geschichte machten"?

Sauerländer
06.06.2007, 13:33
Trifft das nicht auf alle zu, die zwischen 1918 und 1945 "Geschichte machten"?
Zumindest auf die, die sich letztlich in ihren jeweiligen Lagern durchgesetzt haben, ja.
Betrachtet man sie als geschlossene Gebilde und simplifiziert bei der personellen Zuordnung, haben sowohl der faschistische als auch der kommunistische Block ihre positiven Köpfe gehabt.
Aber die Welt entwickelt sich eben so, wie sie es tut, womit wir bei Heidegger wären:
"Nur ein Gott kann uns noch retten."

Beverly
06.06.2007, 21:52
Zumindest auf die, die sich letztlich in ihren jeweiligen Lagern durchgesetzt haben, ja.
Betrachtet man sie als geschlossene Gebilde und simplifiziert bei der personellen Zuordnung, haben sowohl der faschistische als auch der kommunistische Block ihre positiven Köpfe gehabt.
Aber die Welt entwickelt sich eben so, wie sie es tut, womit wir bei Heidegger wären:
"Nur ein Gott kann uns noch retten."

Im Politikforum habe ich das mal als "Deppensystem" geschildert, wobei der Ausdruck selbst nicht von mir, sondern von Hellmann ist. Die Mechanik ist im Prinzip simpel: die dumme Masse folgt einem dummen Führer und die Mechanik von Vorplappern und Nachplappern funktioniert nicht verstandes- sondern auf allen Ebenen instinktgeleitet. Beim Deppensystem kann nicht mal ein Gott helfen, der ist viel zu klug als das die Deppen ihm folgen würden. Eher schon ein Teufel, der sie ihr eigenes Grab schaufeln lässt.

Reichsadler
06.06.2007, 23:27
Hätt´ mich wohl Strasser angeschlossen. Da ich aus einer Arbeiterfamilie komme, ist für mich der Sozialismus kein Schreckgespenst. Internationalismus hingegen wäre trotzdem etwas gewesen, was mein Geist nicht mitgemacht hätte. Der Nationalsozialismus wäre meine Wahl gewesen.

Beverly
07.06.2007, 08:51
Nachdem Deutschland sowohl von Rechts - Drittes Reich - als auch von links - DDR - Versuche erleben "durfte", etwas Besseres als die von Krisen und Elend gebeutelte Weimarer Republik hinzukriegen (und die BRD trotz mehr Freiheit und Wohlstand keine wirkliche Verbesserung ist), frage ich mich, ob ein Fortbestand der WR nicht das Beste gewesen wäre.

Die antidemokratischen Alternativmodelle ihrer Zeit - SU, Italien - sind schließlich an der zu großen Zentralisierung und fehlenden Kontrolle der Macht zugrunde gegangen.

Dazu hätte es wohl eines weniger drögen Führungspersonals bedurft als des schon diskutierten Herrn von Papen oder auch Hindenburgs. Vielleicht Regierungen radikaler Kräfte, die aber die Institutionen der WR nicht so zerstören, wie das Hitler und seine Hintermänner gemacht haben.
Das komischerweise sowohl bei Rechten wie bei Apologeten der BRD beliebte Argument, die Weimarer Republik sein an "zu viel Demokratie" gescheitert, halte ich jedenfalls für grundfalsch. Direktwahl des Reichspräsidenten, Verhältniswahlrecht ohne 5-Prozent-Hürde und Volksabstimmungen zeugen für mich von einem fortschrittlichen System. Die diesbezüglich popelige BRD hätten auch 5-Prozent-Hürde, die krude Mischung aus Personen- und Verhältniswahl, Entmündigung der Wähler durch fehlendes Plebiszit unter den gleichen elenden Bedigungen wie "Weimar" nicht vor dem Untergang retten können. So sehr ich auch die Wahl Hindenburgs zum Reichspräsidenten für ein Unglück halte, so muss ich andererseits feststellen, dass Hitler sich bei der Wahl zum Reichspräsidenten eine Abfuhr holte. Und ist eine Merkel, die dem Volk gegen seinen Willen aufgezwungen wurde, nicht noch unterirdischer als Hindenburg?

Tolgosch
07.06.2007, 10:32
Nachdem Deutschland sowohl von Rechts - Drittes Reich - als auch von links - DDR - Versuche erleben "durfte", etwas Besseres als die von Krisen und Elend gebeutelte Weimarer Republik hinzukriegen (und die BRD trotz mehr Freiheit und Wohlstand keine wirkliche Verbesserung ist), frage ich mich, ob ein Fortbestand der WR nicht das Beste gewesen wäre.

Die antidemokratischen Alternativmodelle ihrer Zeit - SU, Italien - sind schließlich an der zu großen Zentralisierung und fehlenden Kontrolle der Macht zugrunde gegangen.

Dazu hätte es wohl eines weniger drögen Führungspersonals bedurft als des schon diskutierten Herrn von Papen oder auch Hindenburgs. Vielleicht Regierungen radikaler Kräfte, die aber die Institutionen der WR nicht so zerstören, wie das Hitler und seine Hintermänner gemacht haben.
Das komischerweise sowohl bei Rechten wie bei Apologeten der BRD beliebte Argument, die Weimarer Republik sein an "zu viel Demokratie" gescheitert, halte ich jedenfalls für grundfalsch. Direktwahl des Reichspräsidenten, Verhältniswahlrecht ohne 5-Prozent-Hürde und Volksabstimmungen zeugen für mich von einem fortschrittlichen System. Die diesbezüglich popelige BRD hätten auch 5-Prozent-Hürde, die krude Mischung aus Personen- und Verhältniswahl, Entmündigung der Wähler durch fehlendes Plebiszit unter den gleichen elenden Bedigungen wie "Weimar" nicht vor dem Untergang retten können. So sehr ich auch die Wahl Hindenburgs zum Reichspräsidenten für ein Unglück halte, so muss ich andererseits feststellen, dass Hitler sich bei der Wahl zum Reichspräsidenten eine Abfuhr holte. Und ist eine Merkel, die dem Volk gegen seinen Willen aufgezwungen wurde, nicht noch unterirdischer als Hindenburg?

Also ich würde sagen so einfach ist es auf keinen Fall, weder "zuviel Demokratie" noch das was du schreibst treffen wirklich auf die damaligen Verhältnisse zu...

Also was das dröge Führungspersonal betraf...dröge waren die sicher nicht...nur ausgesprochene Gegner der Demokratie, mit der Absicht diese zu beenden ohne einen Volksaufstand auszulösen...

Ein Fehler der Weimarer Demokratie war auf jeden Fall die Machtfülle des Reichspräsidenten, der nach belieben Grundrechte und Verfassung ausser Kraft setzen konnte, was man an den Präsidialregierungen, die ohne Legitimation des Reichstags mit Hilfe von Notverordnungen schaltete, ansehn konnte...

5% Hürde ist für eine Demokratie wirklich keine Notwendigkeit...aber wenn du dir mal die Länder anschaust wo es sowas nicht gibt, wirst du merken das Regierungsbildungen sehr viele Partner benötigt was das Arbeiten und auch die Stabilität der Regierung negativ beeinträchtigt...

Die Volksabstimmungen damals wurden von den zahlreichen demokratiefeindlichen Gruppen gerne benutzt um ihre Polemik in die Öffentlichkeit zu tragen...nicht immer mit Erfolg, der Schaden für das Ansehn der Institutionen war aber nicht zu vermeiden.

->Entmündigung der Wähler durch fehlendes Plebiszit unter den gleichen elenden Bedigungen wie "Weimar"<-hier versteh ich leider nicht was du sagen möchtest...

"Und ist eine Merkel, die dem Volk gegen seinen Willen aufgezwungen wurde"

wie du darauf kommst entzieht sich mir leider vollkommen...

und zur Reichspräsidentenwahl mit Hitler....

das wurde nur deswegen verhindert, weil die SPD ihre Anhänger dazu aufrief Hindenburg zu wählen um Hitler zu verhindern...das haben damals viele nicht mehr verstanden und zu einem enormen Schaden für die Glaubwürdigkeit dieser Partei gesorgt hatte...

Beverly
07.06.2007, 17:05
->Entmündigung der Wähler durch fehlendes Plebiszit unter den gleichen elenden Bedigungen wie "Weimar"<-

Schon in den "goldenen Zwanzigern" sollen sich Leute aufgehängt haben, wenn sie den Job verloren und der Vater eines Freundes überlebte damals nur, weil er als kleiner Junge Verwandte in Ostpreußen hatte, bei dener er Gänse hüten konnte. Im Berliner Hinterhof wäre er wohl verhungert.

Solche Zustände würde die BRD nicht überleben und die fehlenden demokratischen Mitwirkungsmöglichkeiten würden den Untergang noch beschleunigen.

Die Gegner "von außen" würden auf die nur formale Demokratie hinweisen.

Kräfte im System selbst hätten bei der Errichtung einer offenen Diktatur noch leichteres Spiel als in Weimar, weil sie nicht Gefahr laufen, dass ihre Marionette etwa die Reichspräsidentenwahl verliert. Schau dir den Köhler an, über den der SPIEGEL titelte "Merkels Präsident". Eine so große Macht wie in Weimar braucht und sollte der Präsident zwar nicht haben, aber eine Direktwahl wie in Österreich halte ich für sinnvoll.

Dass Volksabstimmungen dem Ansehen der Deutschen geschadet haben, ist mir neu. Über die Ereignisse, die das sehr gründlich bewirkt haben, durfte das Volk meines Wissens nicht abstimmen.

Sauerländer
07.06.2007, 20:20
Nachdem Deutschland sowohl von Rechts - Drittes Reich - als auch von links - DDR - Versuche erleben "durfte", etwas Besseres als die von Krisen und Elend gebeutelte Weimarer Republik hinzukriegen (und die BRD trotz mehr Freiheit und Wohlstand keine wirkliche Verbesserung ist), frage ich mich, ob ein Fortbestand der WR nicht das Beste gewesen wäre. (...)
Ich habe schon mehr als einmal geschrieben, dass ich die WRV für dem GG um einiges überlegen halte. Und ich wage zu behaupten, dass es nur das so häufig als Problem angegangene Amt des Reichspräsidenten war, dass die Republik überhaupt so lange hat leben lassen.
Hindenburg ist da mit steigendem Alter sicherlich nicht die glücklichste Wahl gewesen - aber es stellt sich die Frage nach der Alternative.

Die Weimarer Republik sah sich letztlich zu vielen existenziellen Problemen gegenüber, als dass der Staat als demokratischer hätte überleben können. Um die Diktatur im einen oder anderen Sinne führte meines Erachtens aufgrund der Gesamtlage kein Weg herum. Daher hätte es eher darum gehen müssen, die am wenigsten zerstörerische und möglicherweise konstruktivste Diktatur zu wählen.
Ich tendiere mittlerweile dazu, davon auszugehen, dass ein heilsamer Ausgang der Dinge möglich gewesen wäre, wenn Hindenburg von Schleicher gestützt hätte - keineswegs nur, weil das seinen Nachfolger verhindert hätte.
Aber auch Schleicherdeutschland wäre autoritär noch und nöcher gewesen.
Was ja für sich genommen nicht einmal zwingenderweise schlecht sein muss.
Die Diktatur als solche ist ja zunächstmal wertneutral.

Beverly
08.06.2007, 07:51
(...)Aber auch Schleicherdeutschland wäre autoritär noch und nöcher gewesen.
Was ja für sich genommen nicht einmal zwingenderweise schlecht sein muss.
Die Diktatur als solche ist ja zunächstmal wertneutral.

Das Grundproblem ist, dass eine konstruktive Diktatur ein Widerspruch in sich selbst ist.
Wenn die Diktatur konstruktiv ist, wird sie auch ohne Parlament, Mehrparteiensystem und Wahlen eine Mehrheit haben. Sie bräauchte also gar nicht Diktatur zu sein, sondern könnte sich etwa qua Volksbefragung demokratisch legitimieren. Wozu auch jeden Kritiker mundtot oder ganz tot machen wenn das eh nur eine Minderheit wäre?
Entzieht sich die Diktatur aber jeder Kontrolle, gibt sie damit zu, nicht konstruktiv zu sein und im Zweifelsfall doch keine Mehrheit hinter sich zu haben. Irgendwann wird sie ebenso selbstrerenziell wie die von ihr beseitigte parlamentarische Demokratie.

Sauerländer
08.06.2007, 09:29
Das Grundproblem ist, dass eine konstruktive Diktatur ein Widerspruch in sich selbst ist.
Wenn die Diktatur konstruktiv ist, wird sie auch ohne Parlament, Mehrparteiensystem und Wahlen eine Mehrheit haben. Sie bräauchte also gar nicht Diktatur zu sein, sondern könnte sich etwa qua Volksbefragung demokratisch legitimieren. Wozu auch jeden Kritiker mundtot oder ganz tot machen wenn das eh nur eine Minderheit wäre?
Entzieht sich die Diktatur aber jeder Kontrolle, gibt sie damit zu, nicht konstruktiv zu sein und im Zweifelsfall doch keine Mehrheit hinter sich zu haben. Irgendwann wird sie ebenso selbstrerenziell wie die von ihr beseitigte parlamentarische Demokratie.
Es geht ja nicht bei der Diktatur nicht nur um das Vorhandensein der Opposition und deren Möglichkeit, sich zu äußern. Entscheidend ist auch der Zug, Entscheidungsprozesse abzukürzen, indem der Widerstand etwaiger Opposition übergangen wird.
Das kann unter Bedingungen einer hoffnungslos zerfallenen politischen Landschaft (wie wir sie etwa in Weimar hatten. Die "Weimarer Koalition" als einzige Möglichkeit der Mehrheitsfindung war in ihrer Zusammenstellung ja eigentlich bereits ein Unding) bisweilen sogar die einzige Möglichkeit sein.
Faktisch herrschte zum Ende hin ohnehin Präsidialdiktatur - aber anders wäre das Land gar nicht mehr zu führen gewesen.
Natürlich wohnt der Diktatur immer auch die Tendenz zur Selbstzweckhaftigkeit inne, aber über welche Organisationsform politischer Herrschaft lässt sich das nicht sagen?

Tolgosch
08.06.2007, 18:24
Schon in den "goldenen Zwanzigern" sollen sich Leute aufgehängt haben, wenn sie den Job verloren und der Vater eines Freundes überlebte damals nur, weil er als kleiner Junge Verwandte in Ostpreußen hatte, bei dener er Gänse hüten konnte. Im Berliner Hinterhof wäre er wohl verhungert.

Solche Zustände würde die BRD nicht überleben und die fehlenden demokratischen Mitwirkungsmöglichkeiten würden den Untergang noch beschleunigen.

Hierbei ist darauf hinzuweisen das sich soziale Absicherungen damals noch in den Kinderschuhen befanden und die Weimarer Republik aufgrund der Kriegsfolgen auch nicht mehr in dieser Hinsicht hätte erlauben können. Das solche Zustände eine Demokratie gefährden können bestreite ich nicht, nur verstehe ich weder wieso du hier Weimar mit der Brd vergleichst noch ieso du meinst das solche Zustände hier möglich seien...



Die Gegner "von außen" würden auf die nur formale Demokratie hinweisen.

Kräfte im System selbst hätten bei der Errichtung einer offenen Diktatur noch leichteres Spiel als in Weimar, weil sie nicht Gefahr laufen, dass ihre Marionette etwa die Reichspräsidentenwahl verliert. Schau dir den Köhler an, über den der SPIEGEL titelte "Merkels Präsident". Eine so große Macht wie in Weimar braucht und sollte der Präsident zwar nicht haben, aber eine Direktwahl wie in Österreich halte ich für sinnvoll.

Also erstens haben hier Demokratiefeinde enorme Probleme , weil sie im Gegensatz zu Weimar mit Verboten rechnen müssen sobald man dieser Einstellung gewahr wird und andererseits hat unser Bundespräsident als Lehre aus Weimar hauptsächlich "Repräsentative" Aufgaben...ein Vergleich mit dem Reichspräsidenten gibt sich hier also nicht...



Dass Volksabstimmungen dem Ansehen der Deutschen geschadet haben, ist mir neu. Über die Ereignisse, die das sehr gründlich bewirkt haben, durfte das Volk meines Wissens nicht abstimmen.

Meine Aussage bezog sich nicht auf die Deutschen...

ich bezog mich hierbei auf den Schaden für die Demokratie

hier kannst du mal n schönes Beispiel von so einer Volksabstimmung sehn

http://images.zeit.de/text/2002/09/200209_a__87__volksbege_xml

Tolgosch
08.06.2007, 18:26
Ich habe schon mehr als einmal geschrieben, dass ich die WRV für dem GG um einiges überlegen halte. Und ich wage zu behaupten, dass es nur das so häufig als Problem angegangene Amt des Reichspräsidenten war, dass die Republik überhaupt so lange hat leben lassen.
Hindenburg ist da mit steigendem Alter sicherlich nicht die glücklichste Wahl gewesen - aber es stellt sich die Frage nach der Alternative.

Die Weimarer Republik sah sich letztlich zu vielen existenziellen Problemen gegenüber, als dass der Staat als demokratischer hätte überleben können. Um die Diktatur im einen oder anderen Sinne führte meines Erachtens aufgrund der Gesamtlage kein Weg herum. Daher hätte es eher darum gehen müssen, die am wenigsten zerstörerische und möglicherweise konstruktivste Diktatur zu wählen.
Ich tendiere mittlerweile dazu, davon auszugehen, dass ein heilsamer Ausgang der Dinge möglich gewesen wäre, wenn Hindenburg von Schleicher gestützt hätte - keineswegs nur, weil das seinen Nachfolger verhindert hätte.
Aber auch Schleicherdeutschland wäre autoritär noch und nöcher gewesen.
Was ja für sich genommen nicht einmal zwingenderweise schlecht sein muss.
Die Diktatur als solche ist ja zunächstmal wertneutral.

Eine dem GG überlegene Verfassung die nicht imstande ist eine Diktatur zu verhindern...ich würde das eher als Schwäche bezeichnen...

Sauerländer
08.06.2007, 18:31
Eine dem GG überlegene Verfassung die nicht imstande ist eine Diktatur zu verhindern...ich würde das eher als Schwäche bezeichnen...
Gleiche Umstände wie in Weimar, und das GG würde eine Diktatur erst recht nicht verhindern.
Gerade WEIL die WRV die Möglichkeit zur autoritären Lösung innerhalb der bestehenden Ordnung vorsieht, das GG aber allenfalls sehr bedingt.
Die Diktatur kann beizeiten republikanische Notwendigkeit sein, damit die Republik und die Möglichkeit ihres Normalablaufs bestehen kann. Die Römer wussten das noch sehr genau.
Das GG hingegen würde am entsprechenden Punkt einfach durch geschaffene Fakten hinweggefegt und damit praktisch gleich komplett zur Disposition gestellt.
Weimars Problem war nicht die Befugnisfülle des Reichspräsidenten, sondern dessen schlechte körperliche und geistige Verfassung wie sein verantwortungsloses Beraterumfeld.

Beverly
08.06.2007, 20:01
(...)Also erstens haben hier Demokratiefeinde enorme Probleme , weil sie im Gegensatz zu Weimar mit Verboten rechnen müssen sobald man dieser Einstellung gewahr wird(...)

Die NPD gibt es aber immer noch und sie hat eine recht geschickt gemachte Homepage - außen bunt, innen braun.


http://images.zeit.de/text/2002/09/200209_a__87__volksbege_xml

Tut mir Leid, aber ich kann in der Argumentation nichts anderes als eine degoutante Entmündigung der Menschen in der BRD sehen. Wozu soll ich mich noch für ein System engagieren, dass mir die Fähigkeit zur selbstständigen Entscheidung abspricht?

Beverly
08.06.2007, 20:15
Gleiche Umstände wie in Weimar, und das GG würde eine Diktatur erst recht nicht verhindern.
Gerade WEIL die WRV die Möglichkeit zur autoritären Lösung innerhalb der bestehenden Ordnung vorsieht, das GG aber allenfalls sehr bedingt.
Die Diktatur kann beizeiten republikanische Notwendigkeit sein, damit die Republik und die Möglichkeit ihres Normalablaufs bestehen kann. Die Römer wussten das noch sehr genau.
Das GG hingegen würde am entsprechenden Punkt einfach durch geschaffene Fakten hinweggefegt und damit praktisch gleich komplett zur Disposition gestellt.
Weimars Problem war nicht die Befugnisfülle des Reichspräsidenten, sondern dessen schlechte körperliche und geistige Verfassung wie sein verantwortungsloses Beraterumfeld.

Wird es nicht derzeit gerade sehr geschickt ausgehöhlt, bis nur noch die Fassade übrig ist? Was haben Wahlen wie die 2005 noch für einen Wert, wenn sich SPD und Union wohl schon vorher auf die Große Koalition verständigt haben? Agieren Parteien noch verfassungskonform, die so den Wählern jede reale Möglichkeit zur "Wahl" nehmen?
Wie ist es denn z. B. mit der Meinungsfreiheit und -vielfalt im Fernsehen? Da bin ich gerade mal an dem Punkt angelangt, wo ich mir arabische Diktaturen lobe, weil die diesbezüglich ehrlicher sind.
Das "Hartz IV" alias SGB II in vielen Einzelbestimmungen, -verfahren und -maßnahmen gegen die im Grundgesetz verankerte Menschenwürde oder auch den Schutz der Familie verstößt oder sich seine Vollstrecker auch Delikten wie Nötigung und Hausfriedensbruch schuldig machen, steht für mich fest. Das hindert die einschlägige Kamarilla aber nicht daran, weiter zu machen. Ist doch klasse, wenn man Klagen gegen rechtswidriges Verhalten mit Verfahrenstricks abblocken kann :rolleyes:

papageno
08.06.2007, 20:29
Wir hatten einen solchen Strang garantiert schon mal, aber seine Grundlage ist ja auch eher daueraktuell.
Insofern die Frage an die Teilnehmerschaft:

Wo hättet Ihr zu Weimarer Zeiten (die sind lang, ist mir klar, aber da kann man ja auch auf den Werdegang schauen) politisch gestanden?
Die Frage macht eigentlich nur Sinn unter der Annahme, wir wären charakterlich die Selben, die wir auch so sind, hätten aber kein Wissen um das zukünftige Geschehen.
Also, werte Teilnehmer: In welches Lager hätte es euch verschlagen und warum?
Oder wärt Ihr gar ausgewandert? Und wenn: Wohin?
Wie hättet Ihr unter diesen Prämissen den Hitlerismus überstanden? Widerstand, Innere Emigration, Gleichgültigkeit, Arrangieren mit dem System, aktives Partizipieren? Oder hätte sich die Frage gar nicht gestellt, weil das Regime euch zügig... entfernt hätte?
Berücksichtigt die Umstände der Zeit. Der Weltkrieg liegt noch nicht so lange zurück, mit allem, was das impliziert. Die Republik wird von der Bevölkerung eher geduldet als getragen (und auch das bei einigen nur unwillig), die materiellen Verhältnisse sind verheerend, die kommunistische Revolution erscheint als reale Option, die Ruhe und Sicherheit stabiler Verhältnisse sind dem Land nicht gegeben, ganz Europa ist im Umbruch.

Ich hätte mich wie unserer Genosse Ernst Thälmann gegen das Regime gestärkt und im Rahmen konspirativer Tätigkeiten, den Faschismus auf unsere Weise bekämpft.

Tolgosch
09.06.2007, 08:48
Gleiche Umstände wie in Weimar, und das GG würde eine Diktatur erst recht nicht verhindern.
Gerade WEIL die WRV die Möglichkeit zur autoritären Lösung innerhalb der bestehenden Ordnung vorsieht, das GG aber allenfalls sehr bedingt.
Die Diktatur kann beizeiten republikanische Notwendigkeit sein, damit die Republik und die Möglichkeit ihres Normalablaufs bestehen kann. Die Römer wussten das noch sehr genau.
Das GG hingegen würde am entsprechenden Punkt einfach durch geschaffene Fakten hinweggefegt und damit praktisch gleich komplett zur Disposition gestellt.
Weimars Problem war nicht die Befugnisfülle des Reichspräsidenten, sondern dessen schlechte körperliche und geistige Verfassung wie sein verantwortungsloses Beraterumfeld.

Diktatorische Verhältnisse sind immer ein Versagen der Demokratie...und deine Einschätzung wie sich die Brd in einem Krisenfall behaupten könne ist rein subjektiv...

Tolgosch
09.06.2007, 08:52
Die NPD gibt es aber immer noch und sie hat eine recht geschickt gemachte Homepage - außen bunt, innen braun.

Weimar hatte weder die Möglichkeit Verfassungsfeinde effizient zu bekämpfen oder zu verbieten...

Verschiedene rechte Parteien und Gruppierungen haben in der Brd dieses Schicksal schon erfahren und die NPD wird beobachtet....wenn sie sich als Gefahr für die demokratische Grundordnung erweist wird man sich nach den Regeln unserer Verfassung darum kümmern...

Der Npd ist derzeit eine Verfassungsfeindliche Einstellung nicht nachzuweisen...was vorerst auch zweitrangig ist, da sie politisch unbedeutend ist...




Tut mir Leid, aber ich kann in der Argumentation nichts anderes als eine degoutante Entmündigung der Menschen in der BRD sehen. Wozu soll ich mich noch für ein System engagieren, dass mir die Fähigkeit zur selbstständigen Entscheidung abspricht?

Wenn du den Missbrauch der damals stattgefunden hat nicht sehn kannst, liegt es wohl weder an dem Text noch an meinen Ausführungen...