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Vollständige Version anzeigen : Burkhard Hirsch(FDP) trifft den Punkt



franek
23.05.2007, 10:13
Der ehemalige Vizepräsident des deutschen Bundestages trifft den Nagel auf den Kopf. Er prangert in herzerfrischender Sachlichkeit den Sicherheitswahn deutscher Politiker an, allen voran Angstprophet Innenminister Schäuble.



(...)
sueddeutsche.de: Herr Hirsch, der Terrorismus hat die Welt unsicher gemacht. Darum muss alles versucht werden, die Sicherheit wieder herzustellen - mit dieser Logik begründen Innenminister gerne schärfere Gesetze. Können Sie dem noch folgen?

Burkhard Hirsch: Nein, das kann ich nicht mehr. Der sogenannte "Krieg gegen den Terror" wird immer wieder benutzt, um Gesetze zu machen, die vorher undenkbar gewesen wären. Aber das ist seit mehr als 30 Jahren so. Es ist immer jemand da, der uns in vitaler Weise bedroht: die Mafia, die RAF, der Islamismus, der Terrorismus. Es ist immer jemand da, der dringend und unbedingt bekämpft werden muss.

sueddeutsche.de: Das Attentat vom 11. September 2001 hat es wirklich gegeben.

Hirsch: Dagegen helfen aber auch neue Gesetze nicht. Das Luftsicherheitsgesetz ist ein gutes Beispiel dafür.

sueddeutsche.de: Es soll den Abschuss entführter Flugzeuge regeln. Unnötig?

Hirsch: Verfassungswidrig – der Staat hat kein Recht, über das Leben entführter Passagiere nach Belieben zu verfügen. Er wird auch nie wissen, was die Täter wirklich vorhaben.

sueddeutsche.de: Ist die Bedrohung nicht tatsächlich gewachsen?

Hirsch: Den Menschen wird vorgegaukelt, ohne neue Gesetze würden wir in einer Welle von Kriminalität ertrinken. Das entbehrt jeder realistischen Grundlage. Mich hat wirklich verblüfft, als Innenminister Otto Schily bei der Verhandlung über das Luftsicherheitsgesetz vor dem Bundesverfassungsgericht erklärt hat, seiner Meinung nach werde es schon deshalb nicht zur Anwendung kommen, weil Deutschland so dicht besiedelt sei. Auf die Frage, warum das Gesetz dann nötig sei, wusste er keine befriedigende Antwort. Das ist blinder Aktionismus.

sueddeutsche.de: Zum G8-Gipfel soll es eine sechs Kilometer breite Bannmeile vor dem Zaun in Heiligendamm geben, in der nicht demonstriert werden darf. Gehört das auch in die Kategorie Aktionismus?

Hirsch: Das Demonstrationsrecht ist ein erzdemokratisches Grundrecht. Der Staat muss alles tun, um Demonstrationen zu ermöglichen. Es kann nicht sein, dass durch eine Bannmeile Demonstrationen praktisch unmöglich gemacht werden. Hier wird nur der starke Staat markiert - das aber führt zu Eskalation. Wenn Demonstranten nicht erwünscht sind, könnte man den Gipfel gleich auf Helgoland stattfinden lassen.

sueddeutsche.de: Letztlich werden eher die Politiker gewählt, die harte Kante zeigen.

Hirsch: Sicher. Es ist immer gut, ein Retter zu sein. Gerade wenn die Gefahr so wenig fassbar ist, kann man die Bedrohung immer weiter aufbauschen. Ich erinnere an die hohe Zustimmung der Bevölkerung zu den Urteilen eines gewissen Amtsrichters namens Barnabas Schill in Hamburg. Wir müssen den Leuten sagen, dass absolute Sicherheit nur unter absoluter Aufgabe der Freiheit zu erzielen ist.

sueddeutsche.de: Innenminister Schäuble fordert weiter, die Bundeswehr auch im Inneren einzusetzen.

Hirsch: Leider sagt er nicht, ob sie dabei dem Polizeirecht des Bundeslandes unterliegt oder Kriegsrecht anwenden soll. Herr Schäuble hat angedeutet, es sollten auch Kriegswaffen eingesetzt werden können. Will er Handgranaten, Artillerie und Maschienengewehre einsetzen? Das ist verfassungswidrig.

sueddeutsche.de: Welchen Eindruck macht der CDU-Politiker auf Sie?

Hirsch: Ich fürchte, dass Herr Minister Schäuble den Blick für die Realität verloren hat. Er respektiert nicht den Geist der Verfassung, sonder testet ihre Belastbarkeit.

sueddeutsche.de: Wie meinen Sie das?

Hirsch: Es ist doch erstaunlich, dass er gleich eine ganze Serie von Urteilen des Bundesverfassungsgerichtes missachtet oder umdeutet. Beginnend mit dem großen Lauschangriff, über das Luftsicherheitsgesetz, der Rasterfahndung, bis hin zum europäischen Haftbefehl. Aktuell ist eine Verfassungsbeschwerde anhängig zur heimlichen Überwachung privater Computer, die er einführen will. Dazu wird es höchstwahrscheinlich eine Verfassungsbeschwerde geben müssen zur geplanten Vorratsdatenspeicherung.

Wenn der Minister alle seine Pläne durchsetzen könnte, dann hätten wir eine andere Republik. Wenn er das will, dann sollte er sein Amt einem anderen überlassen.

(...)

sueddeutsche.de: Dafür haben sie jetzt mit Ingo Wolf einen liberalen Nachfolger im Amt des nordrhein-westfälischen Innenministers. Der dürfte Ihnen wenig Freude bereiten.

Hirsch: Mich hat maßlos enttäuscht, dass er über eine Novelle des Verfassungsschutzgesetzes die heimliche Überwachung privater Computer durch den Verfassungsschutz ermöglicht hat. Das ist ein schwerer Missgriff. Ich hoffe sehr, dass die Verfassungsbeschwerde dagegen Erfolg haben wird.

sueddeutsche.de: Muss ein freiheitlicher Rechtsstaat akzeptieren, angreifbar zu sein?

Hirsch: Ja. Der Staat ist verpflichtet, das Leben der Bürger zu schützen. Aber er darf es nur schützen mit den Mitteln, die die Verfassung zulässt. Das haben wir bei der Entführung von Hanns-Martin Schleyer erlebt und durchlitten. Wer aber an diesem Satz etwas ändern will, der verändert unser Land.

sueddeutsche.de: Oder erst mal die Verfassung?

Hirsch: Das wird so lange nicht passieren können, solange das Bundesverfassungsgericht an dem Grundsatz festhält, dass die Menschenwürde unantastbar ist.

sueddeutsche.de: Sehen Sie nicht die Gefahr, dass die Große Koalition versuchen wird, das Grundgesetz sicherheitspolitisch zu sanieren?

Hirsch: Doch, die Gefahr sehe ich durchaus. Es war ja die Bundesregierung, die in der Europäischen Verfassung sich ausdrücklich ausbedungen hat, den Einsatz der Armee im Inneren ohne Beteiligung des Parlamentes möglich zu machen. Die EU-Verfassung ist hier Gott sei Dank noch nicht in Kraft. Die SPD wird die Frage beantworten müssen, ob sie der Bundeswehr erlauben will, im Inland Kriegsrecht anzuwenden. Das wäre ist mit unserer Verfassung nicht vereinbar.

sueddeutsche.de: Warum stellen Sie diese Frage nicht den Konservativen?

Hirsch: Die SPD hat ja den Glauben an die Grundwerte noch nicht ganz verloren. Der Konservative glaubt dagegen, der Staat kann nicht böse sein, weil er ja der Staat ist. Niemand bestreitet, dass dem Staat Grenzen gesetzt werden müssen. Aber sobald sie mit einem Konservativen über eine konkrete Grenze reden wollen, wird er ausweichen. Aber die Frage bleibt wichtig: Wo liegt die Grenze, ab der der Staat nicht mehr handeln darf?

(sueddeutsche.de)




http://www.sueddeutsche.de/,tt2m2/deutschland/artikel/383/115268/

Personen wie Burkhard Hirsch fehlen leider in den betreffenden Positionen. Angst- und Panikmache hat das gesunde Maß schon längst überschritten.
Und wird sogar weiter forciert, man lese nur die neuesten Anschlagswarnungen (gähn) für Deutschland, herausgegeben vom BND

Don
23.05.2007, 10:23
Burkhard Hirsch ist ein larmoyanter Liberaler.
Einer derer die sich aus welchen Gründen immer der Einsicht verschließen, daß Freiheit der Stärke bedarf.
Die ist kein Plädoyer für Schäuble der versucht, sich auf dem Weg des geringsten widerstands durchzulavieren.
Sich aber ausschließlich auf das Einfordern von Freiheiten, auch für die ausgesprochenen Gegner dieser Freiheit, zu beschränken ist ein geistiges und moralisches Armutszeugnis.

franek
23.05.2007, 10:41
Schon richtig, die Freiheit bedarf auch der Stärke. Die Stärke besteht aber darin, die Freiheit und Demokratie nicht durch eine drohende Gefahr zu beugen und zu beschränken.
Stärke bedeutet nicht vor dem potentiellen Gegenüber einzuknicken und Gesetze auf Kosten eben dieser Freiheit zu erlassen.
Die deutschen Gesetze sind völlig ausreichend, um Straftäter zu verurteilen. Selbstmordattentäter hingegen lassen sich auch durch demokratische und freiheitliche Einschränkungen nicht von ihrem Vorhaben abbringen.

haihunter
23.05.2007, 11:01
Schon richtig, die Freiheit bedarf auch der Stärke. Die Stärke besteht aber darin, die Freiheit und Demokratie nicht durch eine drohende Gefahr zu beugen und zu beschränken.

Ich will Schäuble nicht in Schutz nehmen, aber er ist noch einer der besseren Politiker in dieser Regierung, denn er versucht zuallererst mal sein Volk vor den Gefahren eines immer weiter ausuferendem Musel-Terrorismus zu schützen. Da kommen sicherlich auch ein paar untaugliche Vorschläge, aber leider leidet in Zeiten der Gefahr immer mal wieder die persönliche Freiheit. Das ist nun mal nicht zu ändern, denn es gibt immer wieder Elemente, die diese Großzügikeit der Demokratie gnadenlos ausnutzen.


Stärke bedeutet nicht vor dem potentiellen Gegenüber einzuknicken und Gesetze auf Kosten eben dieser Freiheit zu erlassen.
Die deutschen Gesetze sind völlig ausreichend, um Straftäter zu verurteilen.Selbstmordattentäter hingegen lassen sich auch durch demokratische und freiheitliche Einschränkungen nicht von ihrem Vorhaben abbringen.

Es geht hier doch nicht darum, daß unsere Gesetze ausreichen, Straftäter zu verurteilen! Davon abgesehen, hat man ja bei der Begnadigung einer Reihe linksfaschistischer Terroristen gesehen, daß unsere Gesetze eben nicht ausreichen. Aber das ist ja nicht das, was Schäuble will: er will nicht verurteilen nachdem ein Verbrechen begangen wurde, sondern er will vorbeugen!!!

Don
23.05.2007, 11:27
Die Frage um die sich hier letztlich dreht ist doch, ob wir den Mumm in den Knochen haben zu einer Diskriminierung bestimmter Personengruppen von denen ganz objektiv eine unverhältnismäßig höhere und latentere Gefahr ausgeht als von anderen.
Diese Frage wird bis heute ausgeblendet, da die Gesellschaft dafür nicht bereit ist.

Ein Beispiel: Es gab früher mal (vereinzelt gibts das noch heute) Leprakolonien.
Ein bei uns völlig undenkbares Szenario, bei dem ich mir die Aktonen wutentbrannter Gutmenschen erst gar nicht ausmalen möchte.
Allerdings ist das nur eine Frage der realen Bedrohungssituation, d.h. der Anzahl von Erkrankten und akuten Neuerkrankungen.
Übersteigt diese ein bestimmtes Maß, ist Schluß mit Lustig.

franek
23.05.2007, 11:41
Ich will Schäuble nicht in Schutz nehmen, aber er ist noch einer der besseren Politiker in dieser Regierung, denn er versucht zuallererst mal sein Volk vor den Gefahren eines immer weiter ausuferendem Musel-Terrorismus zu schützen. Da kommen sicherlich auch ein paar untaugliche Vorschläge, aber leider leidet in Zeiten der Gefahr immer mal wieder die persönliche Freiheit. Das ist nun mal nicht zu ändern, denn es gibt immer wieder Elemente, die diese Großzügikeit der Demokratie gnadenlos ausnutzen.



Es geht hier doch nicht darum, daß unsere Gesetze ausreichen, Straftäter zu verurteilen! Davon abgesehen, hat man ja bei der Begnadigung einer Reihe linksfaschistischer Terroristen gesehen, daß unsere Gesetze eben nicht ausreichen. Aber das ist ja nicht das, was Schäuble will: er will nicht verurteilen nachdem ein Verbrechen begangen wurde, sondern er will vorbeugen!!!

Einem potentiellen Selbstmordattentäter kann man nicht vorbeugen, das wäre sogar in der DDR mit ihrem weitverzweigten Stasi-Netz auszuschließen gewesen, wie Selbstverbrennungen zeigten. Deswegen die Bürger der BRD unter Generalverdacht zu nehmen und "vorbeugende" Gesetze beschließen zu wollen und Demonstrationsvorbereitungen mit fadenscheinigen Razzien zu torpedieren, Steuergelder für zweifelhafte Sicherheitszäune zu verschwenden ist nicht begrüßenswert.

franek
23.05.2007, 11:55
Die Frage um die sich hier letztlich dreht ist doch, ob wir den Mumm in den Knochen haben zu einer Diskriminierung bestimmter Personengruppen von denen ganz objektiv eine unverhältnismäßig höhere und latentere Gefahr ausgeht als von anderen.
Diese Frage wird bis heute ausgeblendet, da die Gesellschaft dafür nicht bereit ist.

Ein Beispiel: Es gab früher mal (vereinzelt gibts das noch heute) Leprakolonien.
Ein bei uns völlig undenkbares Szenario, bei dem ich mir die Aktonen wutentbrannter Gutmenschen erst gar nicht ausmalen möchte.
Allerdings ist das nur eine Frage der realen Bedrohungssituation, d.h. der Anzahl von Erkrankten und akuten Neuerkrankungen.
Übersteigt diese ein bestimmtes Maß, ist Schluß mit Lustig.

Welche bestimmte Personengruppe sollte das sein? Internierungslager für sämtliche Türkischstämmigen, Links-Partei-Wähler, NPD-Wähler, Gangmitglieder und potentielle Mörder (wie ein jeder von uns). Ich habe natürlich die Autofahrer vergessen, denn auch von diesen geht Gefahr für Leib und Leben aus und dies in einer Höhe, die von keinem Terroranschlag weltweit übertroffen wurde.

Eine Diktatur grenzt ein, verdächtigt, verfolgt und mordet ohne ausreichende Beweise vorlegen zu müssen.
Eine Demokratie entscheidet sich für die Freiheit und für die Erhaltung der Privatsphäre und der Gesinnung des Einzelnen, solange er der Gesellschaft nicht eklatant schadet.
Leider muss hierbei auch ein geistig verwirrter Mörder, aber auch ein eventueller Anschlag von verdrehten Fanatikern (z.B.RAF/rechte Dumpfbacken oder linke G8-Chaoten und in letzter Konsequenz auch ein evtl. mal stattfindender Selbstmordanschlag) in Kauf genommen werden.

Sepp
23.05.2007, 12:03
Das paradoxe an der derzeitigen Politik ist, dass mit der Begründung, unsere Freiheit zu schützen, diese Freiheit immer weiter eingeschränkt wird.

Da fragt man sich doch, was es dann noch zu schützen gäbe ... :rolleyes:

klartext
23.05.2007, 12:11
Das paradoxe an der derzeitigen Politik ist, dass mit der Begründung, unsere Freiheit zu schützen, diese Freiheit immer weiter eingeschränkt wird.

Da fragt man sich doch, was es dann noch zu schützen gäbe ... :rolleyes:
Deine Freiheit wird eingeschränkt ? Dann erzähl, wie das praktisch aussieht.
Was kannst du heute nicht mehr tun, was du noch vor zehn Jahren tun konntest ?

ppp
23.05.2007, 12:23
hirsch ist einer der wenigen wirklich liberalen in der fdp. damit hat der da seit 1982 auch nichts mehr zu melden.

Don
23.05.2007, 12:37
Welche bestimmte Personengruppe sollte das sein? Internierungslager für sämtliche Türkischstämmigen, Links-Partei-Wähler, NPD-Wähler, Gangmitglieder und potentielle Mörder (wie ein jeder von uns). Ich habe natürlich die Autofahrer vergessen, denn auch von diesen geht Gefahr für Leib und Leben aus und dies in einer Höhe, die von keinem Terroranschlag weltweit übertroffen wurde.

Eine Diktatur grenzt ein, verdächtigt, verfolgt und mordet ohne ausreichende Beweise vorlegen zu müssen.
Eine Demokratie entscheidet sich für die Freiheit und für die Erhaltung der Privatsphäre und der Gesinnung des Einzelnen, solange er der Gesellschaft nicht eklatant schadet.
Leider muss hierbei auch ein geistig verwirrter Mörder, aber auch ein eventueller Anschlag von verdrehten Fanatikern (z.B.RAF/rechte Dumpfbacken oder linke G8-Chaoten und in letzter Konsequenz auch ein evtl. mal stattfindender Selbstmordanschlag) in Kauf genommen werden.

Ich hatte, was offenbar nicht verstanden und sofort sinnverdreht polemisiert wird, ausdrücklich darauf hingewiesen daß die Reaktion einer Gesellschaft sich abhängig von der akuten gemeinschaftlich empfundenen Bedrohungslage entwickelt.
In demokratischen Gesellschaften ist diese Meßlatte naturgemäß sehr hoch, was allerdings auch den entsprechenden Preis bedingt.
Die Frage stellt sich nicht anders als welchen Preis diejenigen zu bezahlen bereit sind, denen diese hehren Ideale ständig vorgepredigt werden.

Was mich ganz besonders aufbringt, ist die despektierliche Wortwahl. "Muß in Kauf genommen werden".
Daß Du in Kauf nimmst wenn irgendwo anders ein Waggon explodiert nehme ich Dir gerne ab. Die Betroffenen sehen das naturgemäß anders.
Und es ist nur eine Frage der Arithmetik, nicht der Ideologie, was passiert wenn die Anzahl der potentiell Betroffenen ein gewisses Maß übersteigt.

Die Demokratie kann sich so lange und so viel für Freiheit entscheiden wie sie will (oder darüber labern), sie wird ggf gezwungen sein diese Freiheit respektive überhaupt ihre eigene Existenz zur Erhaltung dieser Freiheit zu verteidigen.

Das ist ein unauflösbares Dilemma, aber die Augen davor zu verschließen bedeutet nicht, daß es nicht existiert.

klartext
23.05.2007, 12:44
Ich hatte, was offenbar nicht verstanden und sofort sinnverdreht polemisiert wird, ausdrücklich darauf hingewiesen daß die Reaktion einer Gesellschaft sich abhängig von der akuten gemeinschaftlich empfundenen Bedrohungslage entwickelt.
In demokratischen Gesellschaften ist diese Meßlatte naturgemäß sehr hoch, was allerdings auch den entsprechenden Preis bedingt.
Die Frage stellt sich nicht anders als welchen Preis diejenigen zu bezahlen bereit sind, denen diese hehren Ideale ständig vorgepredigt werden.

Was mich ganz besonders aufbringt, ist die despektierliche Wortwahl. "Muß in Kauf genommen werden".
Daß Du in Kauf nimmst wenn irgendwo anders ein Waggon explodiert nehme ich Dir gerne ab. Die Betroffenen sehen das naturgemäß anders.
Und es ist nur eine Frage der Arithmetik, nicht der Ideologie, was passiert wenn die Anzahl der potentiell Betroffenen ein gewisses Maß übersteigt.

Die Demokratie kann sich so lange und so viel für Freiheit entscheiden wie sie will (oder darüber labern), sie wird ggf gezwungen sein diese Freiheit respektive überhaupt ihre eigene Existenz zur Erhaltung dieser Freiheit zu verteidigen.

Das ist ein unauflösbares Dilemma, aber die Augen davor zu verschließen bedeutet nicht, daß es nicht existiert.

Die Sicherheitsvorkehrungen müssen immer an der aktuellen Bedrohungslage angepasst sein. Dabei ist vor allem zu unterscheiden zwischen mehr Möglichkeiten, im Vorfeld zu ermitteln und einer tatsächlichen praktischen Beschränkung der persönlichen Freiheit. Letztere ist seit 20 Jahren erheblich grösser geworden.
Die Überwachung von Datenströmen schränkt die Freiheit nicht ein, erhöht aber das Risiko für potentielle Straftäter.
Wir haben heute lt. VS ca. 36.000 gewaltbereit Islamfundis im Land, dazu kommen ca. 6.000 Links- und 6.000 rechtsextreme mit Gewaltbereitschaft. Naturgemäss hat sich die Bedrohungslage also negativ verändert. Dem müssen die Vorkehrungen dagegen folgen.

Sepp
23.05.2007, 12:57
Deine Freiheit wird eingeschränkt ? Dann erzähl, wie das praktisch aussieht.
Was kannst du heute nicht mehr tun, was du noch vor zehn Jahren tun konntest ?

Nicht gelesen den Text oben, hm? :rolleyes:

Achsel-des-Bloeden
23.05.2007, 13:01
Der beste Schutz vor Terror:

Alle männlichen Mohammedaner zwischen 16 und 46 RAUS aus D und Europa!

franek
23.05.2007, 13:12
Ich hatte, was offenbar nicht verstanden und sofort sinnverdreht polemisiert wird, ausdrücklich darauf hingewiesen daß die Reaktion einer Gesellschaft sich abhängig von der akuten gemeinschaftlich empfundenen Bedrohungslage entwickelt.
In demokratischen Gesellschaften ist diese Meßlatte naturgemäß sehr hoch, was allerdings auch den entsprechenden Preis bedingt.
Die Frage stellt sich nicht anders als welchen Preis diejenigen zu bezahlen bereit sind, denen diese hehren Ideale ständig vorgepredigt werden.

Was mich ganz besonders aufbringt, ist die despektierliche Wortwahl. "Muß in Kauf genommen werden".
Daß Du in Kauf nimmst wenn irgendwo anders ein Waggon explodiert nehme ich Dir gerne ab. Die Betroffenen sehen das naturgemäß anders.
Und es ist nur eine Frage der Arithmetik, nicht der Ideologie, was passiert wenn die Anzahl der potentiell Betroffenen ein gewisses Maß übersteigt.

Die Demokratie kann sich so lange und so viel für Freiheit entscheiden wie sie will (oder darüber labern), sie wird ggf gezwungen sein diese Freiheit respektive überhaupt ihre eigene Existenz zur Erhaltung dieser Freiheit zu verteidigen.

Das ist ein unauflösbares Dilemma, aber die Augen davor zu verschließen bedeutet nicht, daß es nicht existiert.

Natürlich sehen viele evtl. Betroffene/Angehörige das anders. Dies ist in solch einem Moment auch nur zu verständlich. Andererseits gibt es auch unter Angehörigen die Fähigkeit, den Schmerz zu überwinden (siehe Bsp. Buback´s Sohn).

Im Falle eines Falles kann es genauso mich treffen(und glaube mir, ich lebe ausserordentlich gern), trotz allem ändert es nichts daran, daß man eine gewisse Bedrohungslage auch gern scharf reden kann, wie es derzeit wohl gern getan wird. Sofern sich Medien und Politik etwas zurückhalten, wird auch keine ausserordentliche Bedrohungslage in der Gesellschaft erzeugt.

Falls mal irgendwo, ob bei mir vor der Haustür, oder bei Stratmanns im Vergnügungspark ein Verwirrter eine Bombe zündet, wird natürlich dass Entsetzen zuerst groß sein (siehe Oktoberfestanschlag vor ettlichen Jahren).
Die Stimmung für einen kurzen Moment umschlagen, doch solange die Stimmung nicht künstlich weiter geschürt wird, pendelt sich das Leben wieder ein.

Es gab in London verheerende Anschläge, nach kurzem Schock hat sich die Gesellschaft wieder gefangen und selbst durch die großzügige Überwachung Londoner Stadtgebietes konnte diese Anschläge nicht verhindert werden.
Meines Wissens wurden verschärfte Gesetze in GB nicht auf den Weg gebracht und es konnten mit schon bestehenden Mitteln weitere Anschläge auf BA-Maschinen verhindert werden.

Auch aus Spanien ist mir nicht bekannt, das nach den tragischen Attentaten die Regierung die Gesetze verschärft hat. Bitte korrigiere mich, sollte dies anders sein. Evtl. gibt es ernsthafte Alternativen. Troztdem geht alles seinen gewohnten Gang

Ich persönlich und mit mir mein Freundes- und Bekanntenkreis fühlen uns nicht verstärkt durch linken, rechten und islamischen Terror bedroht. Weder im Bahnhof, noch auf der Autobahn, oder abends in einer Stadt. Mag daran liegen, daß wir einen stärkeren freiheitlichen Gedanken nachhängen, mag auch daran liegen, das wir einschlägigen Medienberichten und Politikergelüsten eher misstrauisch gegenüber stehen.

Don
23.05.2007, 13:45
Es ist logisch, daß gegen eine nicht bekannte Bedrohung auch nichts unternommen werden kann und das unter Lebensrisiko zu verbuchen ist.

Es ist ebenso logisch, daß eine Bedrohung die allgemein nicht als solche wahrgenommen und allgemein beherrschbar angesehen wird, z.B. Straßenverkehr, nur begrenzt angegangen wird.
Wobei begrenzt hier ein etwas falscher Begriff ist. Da wir das fast alle nicht als Bedrohung empfinden wäre es nach Deiner Argumentation nur logisch, Verkehrsregeln abzuschaffen. Die Diskriminieren schließlich hauptsächlich Autofahrer denen man ja nicht von vornherein unterstellen kann sie wollten jemand umbringen.


Wenn man aber gegen die objektiv vorhandene Bedrohung durch den Straßenverkehr durch die Gruppe der Fahrzeuglenker vorgeht ist es ebenfalls nur logisch, gegen die objektiv vorhandene Gefährdung durch Terroristen die aus einer ziemlich genau spezifizierbaren anderen Gruppe stammen genauso
vorzugehen.

Du vernachlässigst einen weiteren Punkt.
Speziell unsere islamischen Freunde wissen diesbezüglich genau was sie tun. Die Strategie ist der Nadelstich. Sie werden es nicht übertreiben, sondern ghenau die Dosis einhalten die z.B. Dir erlauben wird weiter der Meinung anzuhängen daß die begrenzte Opferzahl eben in Kauf zu nehmen ist weil sie sehr genau wissen, wir werden intern keine Maßnahmen ergreifen die sie wirklich schmerzen solange sie diese Schwelle nicht überschreiten.

franek
23.05.2007, 14:08
Es ist logisch, daß gegen eine nicht bekannte Bedrohung auch nichts unternommen werden kann und das unter Lebensrisiko zu verbuchen ist.

Es ist ebenso logisch, daß eine Bedrohung die allgemein nicht als solche wahrgenommen und allgemein beherrschbar angesehen wird, z.B. Straßenverkehr, nur begrenzt angegangen wird.
Wobei begrenzt hier ein etwas falscher Begriff ist. Da wir das fast alle nicht als Bedrohung empfinden wäre es nach Deiner Argumentation nur logisch, Verkehrsregeln abzuschaffen. Die Diskriminieren schließlich hauptsächlich Autofahrer denen man ja nicht von vornherein unterstellen kann sie wollten jemand umbringen.


Wenn man aber gegen die objektiv vorhandene Bedrohung durch den Straßenverkehr durch die Gruppe der Fahrzeuglenker vorgeht ist es ebenfalls nur logisch, gegen die objektiv vorhandene Gefährdung durch Terroristen die aus einer ziemlich genau spezifizierbaren anderen Gruppe stammen genauso
vorzugehen.

Du vernachlässigst einen weiteren Punkt.
Speziell unsere islamischen Freunde wissen diesbezüglich genau was sie tun. Die Strategie ist der Nadelstich. Sie werden es nicht übertreiben, sondern ghenau die Dosis einhalten die z.B. Dir erlauben wird weiter der Meinung anzuhängen daß die begrenzte Opferzahl eben in Kauf zu nehmen ist weil sie sehr genau wissen, wir werden intern keine Maßnahmen ergreifen die sie wirklich schmerzen solange sie diese Schwelle nicht überschreiten.

Da fehlt mir dann allerdings das vorgebliche Ziel islamischer Terroristen, den Westen destabilisieren zu wollen. Was mit Sicherheit nicht gelingt, wenn es nur bei Nadelstichen und somit beim Status Quo bliebe.

Zudem es ja in der BRD auch noch um angeblichen G8-Terrorismus, unbändigen Rechts- und Linksterrorismus geht. Auch den gilt es ja mit abenteuerlichen Maßnahmen einzudämmen.

haihunter
24.05.2007, 08:28
Das paradoxe an der derzeitigen Politik ist, dass mit der Begründung, unsere Freiheit zu schützen, diese Freiheit immer weiter eingeschränkt wird.

Da fragt man sich doch, was es dann noch zu schützen gäbe ... :rolleyes:

Ja, das stimmt schon, aber es stimmt auch, daß es ein großes Bedrohungspotential gibt. Ich als Bürger dieses Landes bin durchaus bereit ein paar persönliche Unbequemlichkeiten in Kauf zu nehmen, wenn das der allgemeinen Sicherheit dient.
Aber, da hast Du Recht: auf die richtige Sicherheitsmischung kommt es an! Und das ist gar nicht so einfach, einen gangbaren Weg zu finden. Jedem kann man's ja auch nicht recht machen.

haihunter
24.05.2007, 08:35
Einem potentiellen Selbstmordattentäter kann man nicht vorbeugen, das wäre sogar in der DDR mit ihrem weitverzweigten Stasi-Netz auszuschließen gewesen, wie Selbstverbrennungen zeigten. Deswegen die Bürger der BRD unter Generalverdacht zu nehmen und "vorbeugende" Gesetze beschließen zu wollen und Demonstrationsvorbereitungen mit fadenscheinigen Razzien zu torpedieren, Steuergelder für zweifelhafte Sicherheitszäune zu verschwenden ist nicht begrüßenswert.

Natürlich gibt es keine 100 %-ige Sicherheit. Die Diskussion darüber, was man machen kann, machen soll und machen muß ist aber doch sehr gut. Es ist leider ein "linkes" Phänomen, erst dann zu handeln, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist!

franek
24.05.2007, 09:12
..und noch ein kleiner Beitrag, diesmal ein Kommentar über den Jahresbericht von AI.



(...)
Die eine ist der Krieg gegen den Terror, der weltweit zur Abwertung und Missachtung der grundlegenden Menschenrechte geführt hat. Unter dem Vorwand, terroristische Gefahren zu bannen, werden Menschenrechte mit Füßen getreten und repressive Maßnahmen legitimiert. Von einer Politik der Angst, die dazu diene, den Schutz der Menschenrechte herunterzuschrauben, spricht Amnesty International.

Dabei stehen nicht allein die üblichen Verdächtigen, diktatorische Regime in der Dritten Welt, die neue Weltmacht China oder das ins Autoritäre abdriftende Russland am Pranger. Dass dieser Jahresbericht von Amnesty International stellenweise verzweifelte Züge trägt, liegt daran, dass auch die westlichen Demokratien als Vorkämpfer für die Achtung der Menschenrechte viel Glaubwürdigkeit eingebüßt haben.

Das gilt vor allem für die Bush-Regierung, die wie kaum eine andere den Anspruch des Westens, Hüter unverbrüchlicher Menschenrechte zu sein, beschädigt hat. Aber sie hatte auch in Europa, beispielsweise beim illegalen Gefangenentransfer, willige Helfer. Für humanitäre Selbstzufriedenheit gibt es also keinen Grund. Auch Deutschland hat bekanntlich eine unrühmliche Rolle gespielt und nicht nur im Falle Kurnaz engem Sicherheitsdenken den Vorrang vor Menschlichkeit gegeben. Die deutsche Flüchtlingspolitik widerspricht zum Teil eklatant jedem humanitären Anspruch.

Der Krieg gegen den Terror hat auf westlicher Seite im Blick auf die Menschenrechte ein Maß an Scheinheiligkeit zu Tage gefördert, das dem Kampf für die Menschenrechte nicht gut tut. Dabei müsste er global entschlossener denn je geführt werden. Denn die Menschenrechtsverächter in vielen Ländern der Dritten Welt, vor allem aber in Afrika, können sich inzwischen darauf verlassen, dass sich die weltwirtschaftlichen Aufsteiger, und namentlich die neue Weltmacht China, keinen Deut um Menschenrechtsverbrechen scheren, solange das Geschäft stimmt. Damit drohen auch die, zugegeben geringen, Fortschritte zunichte gemacht zu werden, die durch die Koppelung westlicher Entwicklungshilfe an gute Regierungsführung und Achtung der Menschenrechte hier und da erreicht wurden.

Der Kampf für die Menschenrechte braucht vor allem Glaubwürdigkeit. Um den Verdacht der Heuchelei gar nicht erst aufkommen zu lassen, müssten die westlichen Demokratien künftig jeder Versuchung widerstehen, Sicherheit gegen Menschenrechte ausspielen zu wollen. Und das beginnt im eigenen Land: im Umgang mit Flüchtlingen ebenso wie mit den G8-Demonstranten. Weder Sicherheit noch wirtschaftliche Entwicklung sind dauerhaft ohne den Schutz der Menschenrechte möglich.


http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/kommentar/628144/

franek
24.05.2007, 09:31
und für den, den es noch nicht langweilig geworden ist, noch ein paar Impressionen anlässlich des morgigen 20. Jahrestages der Völkszählung, den heutigen Möglichkeiten und den gestrigen Begehrlichkeiten, die sich mit Sicherheit nicht minimiert haben: Ist aber eine Menge Lesestoff, also vorher Kaffee geholt.



(...)
Trotz aller Proteste startete die Volkszählung am 25. Mai 1987. Die Gründe für den beeindruckend starken Widerstand lassen sich für den heutigen Bundesdatenschutzbeauftragten Peter Schaar nur aus der damaligen historischen Situation heraus erklären.

"Ich denke, das lag an dem gesamten gesellschaftlichen Klima, nach den Erfahrungen mit der RAF, also der Baader-Meinhof-Gruppe, und den gegen die RAF gerichteten staatlichen Maßnahmen. Es gab Überwachungsfantasien staatlicher Stellen, ich erinnere mich gut an ein Interview, das der damalige Präsident des Bundeskriminalamtes, Horst Herold, mit Sebastian Kobler geführt hat, wo er ein sozialkybernetisches Überwachungsmodell für die Lösung aller Probleme angesehen hat. Jeder sollte in seinem ganz normalen Verhalten überwacht werden und zwar völlig unabhängig von der Frage, ob er sich einer Straftat schuldig gemacht hat oder ob schon von ihm konkrete Gefahren ausgehen. Und die Vorstellung war, dass man aus dieser quasi totalen Überwachung die Verdächtigen vorab schon aussondern kann. Das war damals zwar technisch noch nicht so nahe gerückt, wie es heute möglich wäre. Aber es war in den Köpfen der Menschen drin, und die Volkszählung wurde als eine Maßnahme gesehen, die diese totale Überwachung herbeiführen sollte."

Der so genannte Überwachungsstaat als Lösung aller Sicherheitsprobleme, diese Idee entwickelte sich Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre. Das wichtigste Werkzeug war für den damaligen BKA-Chef der Computer, dessen universale Einsatzmöglichkeiten allmählich deutlich wurden. Herolds Phantasien setzten sich allerdings so nicht durch, der Kampf gegen das Gespenst des gläsernen Bürgers war erfolgreich.

Noch, denn in den 90er Jahren setzte eine technische Entwicklung ein, die den überwachten Bürger in einer Perfektion möglich machte, wie ihn Volkszählungsgegner kaum für möglich gehalten hätten. Herolds sozialkybernetisches Überwachungsmodell kommt den heutigen Kontrollmöglichkeiten von Computer und Internet erstaunlich nahe.

Drei Beispiele: Strom- und Wasserversorger können im Internet minutiös ablesen, wer gerade zur Toilette geht oder den Herd anstellt. Polizei und Geheimdienste werten auf Vorrat gespeicherte Kommunikationsdaten aus. Außerdem weiß der Staat demnächst per Fotofahndung, wer sich wo aufhält.

Mainz Hauptbahnhof, Mitte Januar 2007, 11.30 Uhr, ein geschäftiger Vormittag: 78 Fernzüge fahren Mainz täglich an, 440 Züge im Nahverkehr, 55.000 Reisende kommen oder gehen. Kein großer Bahnhof, aber auch kein kleiner.

Das Bundeskriminalamt testete im Rahmen des Feldversuchs Foto-Fahndung mit 200 Freiwilligen ein neues Überwachungssystem. Mehr Männer als Frauen nehmen an dem Versuch teil, eher Jüngere als Ältere, fast alle sind Pendler, die möglichst täglich die Rolltreppe vom Bahnsteig Richtung Ausgang nehmen und dabei von sieben gut sichtbaren Videokameras gefilmt werden.

"Das ist für die Gesichtserkennung ein vollautomatisches Videoüberwachungssystem, um quasi jeden per Gesichtserkennung zu erkennen, um quasi zu kontrollieren",

sagt dieser Mainzer Bürger.

"Wir befinden uns jetzt im Grunde genommen am Beginn des überwachten Bereiches der Rolltreppe, und direkt am Beginn der Rolltreppe ist auch entsprechend ein Empfänger installiert, die Versuchspersonen sind mit Transpondern ausgestattet, die sehen so aus",

erläutert Andrew Pretzel, Leiter des Projektes Foto-Fahndung im Bundeskriminalamt, und hält einen in blauem Kunststoff eingeschweißten Funkchip in die Höhe.

"Dieses Transpondersignal wird hier von der Antenne aufgefangen, es ist eine Nummer, die übertragen wird, Datum, Uhrzeit, mehr nicht. Dann sind die Leute auf der Rolltreppe, unten hängt dann ein weiterer Empfänger, so wie er auch hier zu sehen ist. Die Zeit auf der Rolltreppe ist normalerweise so 20 Sekunden, dann habe ich unten wieder die gleiche Nummer, die übertragen wird, und dann kann ich sehen, in dieser Zeit hätte eine bestimmte Person 007 auf der Rolltreppe sein müssen und hätte müssen vom Gesichtserkennungssystem erkannt werden, und so habe ich einfach ein sicheres Referenzsystem, um die Güte der Gesichtserkennung im Nachhinein beurteilen zu können."

Im Kern geht es um die Frage, ob sich mit der biometrischen Gesichtserkennung Personen aus Menschenströmen herausfiltern lassen, ohne dass es zu Verwechslungen mit Unbeteiligten kommt. Sie lassen sich herausfiltern, so viel steht heute schon fest. Nicht immer perfekt, wie Fachleute meinen, doch das sei nur eine Frage der Zeit.

Würde diese Technik flächendeckend eingesetzt, wäre Deutschland ein Überwachungsstaat par excellence: Der Staat wüsste jederzeit, wer sich wo aufhält. Ein Aufschrei des Protestes? Fehlanzeige! Der Staat kann mit Zustimmung rechnen.

"Einerseits ist es ja so, dass wir ohnehin Videokameras in der Stadt haben. Zweitens, wenn man bedenkt, dass dies aus Sicherheitsgründen notwendig ist, um Terroristen zu erkennen, würde ich auf diesen kleinen Teil der Persönlichkeitsrechte schon etwas verzichten wollen."

Und Hartmuth von Maltzahn von der Bochumer Firma L-1 Identity Solutions, sie entwickelt solche Face Finder beziehungsweise Gesichtsfinder, fügt hinzu.

"Da kann man nur hoffen, dass es so nicht benutzt wird. Bei Google Earth, da sehen Sie heute meine Büsche im Garten stehen, und ob die blühen oder nicht, das ist die öffentlich zugängliche Version eines Satellitenbildes, jetzt können Sie Ihrer Fantasie freien Lauf lassen, was die Systeme können, für die wir keinen Zutritt und keinen Zugriff haben."

Solche Szenarien muss man aber gar nicht bemühen, um die Problematik zu verstehen. Am 10. Mai 2007 verabschiedete die Große Koalition einen Kompromiss beim Passgesetz. Es ging um die Frage, ob zukünftig Pass- und Ausweisfotos online mit Datenbanken abgeglichen werden dürfen. Dazu Peter Schaar:

"Es gibt natürlich einen technologischen Zusammenhang, auch im Hinblick auf die Biometrie, denn biometrische Gesichtserkennung wird ja beim Pass schon jetzt eingesetzt und soll auch beim Personalausweis zum Einsatz kommen, auch bei der Videotechnik geht es genau um diese Kombination, und ich sehe natürlich da einen Zusammenhang, wobei sich natürlich die Frage stellt, ob die Daten, die dann für den Pass oder für den Personalausweis erhoben werden in Zukunft, dann auch für solche Anwendungen verwendet werden? Dabei wird auch vorgesehen, dass ein Onlineabruf von Lichtbildern aus Personal- und Passausweisregistern in Zukunft zulässig sein soll. Bisher gab es so etwas nicht, das lässt einen als Datenschützer natürlich aufhorchen."

Beispiel zwei für die Überwachung der Privatsphäre: Eine Frage der Volkszählung vom Mai 1987 lautete: "Haben sie eine eigene Küche?"

"Bei den Wohnungen wird immer wieder gefragt, weshalb braucht Ihr Statistiker überhaupt zu wissen, ob wir eine Küche haben? Das ist eine ganz banale Frage, da stimme ich Ihnen zu, weisen Sie sie darauf hin, wir müssen wissen, ob Küche oder Wohnküche vorhanden ist, damit wir feststellen können, liegt überhaupt eine Wohnung vor oder liegt keine Wohnung vor? Eine Wohnung die keine Küche hat, ist keine Wohnung",

erläutert im Januar 1987 dieser Meldamtsleiter seinen Zählern. Heute muss niemand mehr wissen, ob jemand eine Küche hat, er schaut einfach im Internet nach. Es offenbart alles: Ob Herd oder Waschmaschine, alles zeigt sich dort, sogar Duschgewohnheiten und die bevorzugte Zeit der Toilettengänge, vorausgesetzt die Verbrauchsmessung erfolgt automatisch über das Internet. Eine Tatsache, die Peter Schaar schon vor zwei Jahren in Staunen versetzt hat.

"Das sind alles keine Zukunftsvisionen, sondern das ist Realität. Ich habe mich davon überzeugt, bei großen Wohnanlagen, wo elektronische Verbrauchsmessungen schon gang und gäbe sind, wo praktisch jeder Wasserzähler elektronisch ablesbar ist, wo ich bei einer Vorführung einer großen Wohnungsbaugesellschaft war und dann feststellen konnte, dass das, was die da vorführten, ein realer Häuserblock war. Und dann sagte mir einer von diesen Herrschaften, dem nicht ganz klar war, dass ich Datenschützer bin: Sehen Sie, in dieser Wohnung wird jetzt gerade das Klo benutzt."

Das klappt übrigens beim Strom genauso gut. So wunderten sich die Bewohner einer Reihenhausanlage in Baden-Württemberg, als sie über Wochen hinweg Werbeproben eines Herstellers von Mikrowellen-Fertiggerichten bekamen. Des Rätsels Lösung: Die Reihenhäuser waren mit intelligenten Stromzählern ausgestattet, die den Verbrauch via Internet an die Elektrizitätsgesellschaft übermitteln.

Der Hausverwalter hatte Zugang zur Webseite für die Strom-Fernwartung und konnte zudem auf eine Datenbank der Stromerzeuger zugreifen, in der die Profile elektrischer Haushaltsgeräte gespeichert waren. Aus den Veränderungen im Stromverbrauch errechnet eine Analysesoftware, welche Geräte zu welcher Zeit und zu welchem Zweck in den einzelnen Wohnungen gerade betrieben werden.

Beispiel drei für die Überwachung der Privatsphäre: Was wäre, wenn die Deutsche Post AG geöffnete Briefe ausliefert? Ein Aufschrei der Entrüstung wäre die Folge! Und wie sieht es bei E-Mails aus?

"Ja, eine E-Mail hat sehr viel Ähnlichkeit mit der klassischen Postkarte, die E-Mail verlässt irgendwann meinen Computer, wo ich sie abgeschickt habe, wandert dann durchs Netz, kann dort von jedem Briefträger, im Internet heißen die Briefträger Router, gelesen werden und landet dann irgendwann beim Empfänger",

sagt Professor Klaus Birkenbihl, Repräsentant des World Wide Web für Deutschland und Österreich. Wirklich lesen kann natürlich niemand die Flut selten interessanter und fast immer banaler Mails. Das erledigen Analyseprogramme, die mit speziellen Suchbegriffen gespickt, die Textflut scannen. Interessant sind auch die Header-Informationen, in der für jede Mail nach einem einheitlichen System Absender und Empfänger stehen, also die IP-Adressen, die Postanschriften der Rechner. Weil E-Mails häufig in kleine Pakete zerlegt werden, kopiert sich aber jede Einzelstation Absender und Empfänger.

Vielleicht ist das Internet einfach noch zu jung und seine Nutzer entsprechend unerfahren, vielleicht kann das menschliche Hirn globale Kommunikationsprozesse in so hoher Geschwindigkeit nicht verarbeiten, vielleicht werden virenverseuchte Mails aber auch einfach aus schlichter Neugier geöffnet - mit fatalen Folgen natürlich. Möglich auch, dass die Idee einer Informationellen Selbstbestimmung kaum jemand ernst nimmt. Fast alle gehen mittlerweile davon aus, dass Staat und Wirtschaft fast alles über den Einzelnen wissen. Big brother is watching you, na und? Die Kontrolle aller Schritte im Internet ist erstaunlich ausgebaut.

"Wenn Sie bei einer Suchmaschine eine Anfrage starten, verraten Sie, was Sie interessiert, Sie verraten, was von den Sachen, die gefunden wurden, von Ihnen tatsächlich aufgerufen wurden, sie verraten das aber nicht nur bei der Suchmaschine, sondern auch bei dem Anzeigenprovider, der diese Suchmaschine bezahlt. Der kriegt nämlich Ihre Anfrage von der Suchmaschine auch noch geschickt, damit er Ihnen die richtigen Anzeigen zu Ihrer Anfrage schicken kann."

Ein weiteres Problem ist die Vorratsspeicherung von Telefonverbindungen und besuchten Internetseiten. Sechs Monate sind EU-weit möglich. Viel zu lange, kritisierten Juristen in der vergangenen Woche auf dem 58. Deutschen Anwaltstag in Mannheim, die am Horizont den Überwachungsstaat heraufziehen sehen.

Sie sehen nicht nur fundamentale Freiheiten gefährdet, manche Datenschützer fürchten gar um die Grundsubstanz des demokratischen Gemeinwesens.

"Es ist ein Punkt eingetreten, wo ich merke, dass es den Leuten zu viel wird, wo die Leute Angst kriegen vor der ganzen Beobachtung und Kontrolle, vor dem Herstellen absoluter Transparenz. Es ist ein Punkt erreich, das Bundesverfassungsgericht hat ja, als es vom Recht auf Informationelle Selbstbestimmung gesprochen hat, hat ja gesagt, wenn jemand sich ständig beobachtet fühlt, wird er von seinen Freiheiten keinen Gebrauch mehr machen. In diesem Bereich ist vom Schutz privater Lebensgestaltung nichts mehr übrig. Da stehen wir sozusagen nicht mal mehr in den Unterhosen vor dem Staat da",

sagt Ulrich Goll vom baden-württembergischen Justizministerium.

Es ist erstaunlich: 1987 waren die Fragen der Volkszählung und die tatsächliche Überwachung vergleichsweise harmlos, der Protest dafür umso heftiger. Heute, wo der Staat den Bürger wirklich durchleuchtet, regt sich nur wenig Widerstand. Peter Schaar sieht die Gründe dafür in einer schleichenden Entwicklung.

"Wir haben eine Vielzahl von parallelen Ereignissen, wir haben Gesetzesinitiativen, technologische Erneuerungen, die sich gegenseitig ergänzen, die bestimmte Entwicklungen beschleunigen, die bestimmte Entwicklungen perfektionieren, das ist eine völlig andere Situation als damals. Einer solchen eher vernetzten Entwicklung kann man nicht mit einer Aktion, einer politischen Aktion Widerstand leisten, da muss man sich schon mehr mit den zu Grunde liegenden Tendenzen und Rahmenbedingungen beschäftigen, und das machen wir als Datenschützer."

Bei vielen macht sich Resignation breit angesichts der geballten Überwachungstechnik. Sollen sie mich überwachen, ich habe nichts zu verbergen! "Falsch", sagt Peter Schaar, "letztlich hat jeder etwas zu verbergen!"

"Dieser Spruch, jeder kann alles wissen über mich, ist so dumm wie alt. Natürlich hat jeder etwas zu verbergen, dabei sind unterschiedliche Dinge, und wenn man dann mal den Leuten etwas auf den Zahn fühlt, kommt dann schnell ein Punkt, wo Sie sagen, aber das hab ich so nicht gemeint, das kann die Steuer sein, das kann die Gesundheit sein, das können bestimmte sexuelle Vorlieben sein, was weiß ich, also es gibt immer einen bestimmten Bereich, wo man an diese Grenze stößt."

Die Proteste der 80er Jahre sind verhallt, wiederholen werden sie sich kaum. Auch 2010 und 2011 nicht, wenn sich Deutschland an einem EU-weiten Zensus beteiligt. Vielleicht liegt es auch an der Erkenntnis, dass der Staat ohnehin fast alles weiß, Volkszählungen sind fast unerheblich.

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