Analyser
10.05.2007, 01:17
Am 7.05.2007 und nach über einem Jahr der Vorbereitungen hat die CDU den Entwurf für ihr neues Grundsatzprogramm vorgelegt, über das später ein Parteitag entscheiden soll. [1] Generalsekretär Ronald Pofalla sieht darin die Leitidee der "Chancengesellschaft", die neue Dimensionen von Freiheit und Sicherheit erfordere, und betont die christlichen Wertefundamente des deuschen Staates. [2]
[1] http://www.grundsatzprogramm.cdu.de/doc/070507-grundsatzprogramm-kommission-entwurf-2.pdf
[2] Im Interview: http://www.welt.de/politik/article859859/Unser_Staat_beruht_auf_christlichen_Werten.html
Einige neue Elemente führen die CDU auf ihre konservativen Wurzeln zurück, andere hingegen kann man nur schwer als konservativ bezeichnen. Ich habe zur Demonstration einige Punkte ausgewählt, zunächst Belege für einen konservativen Schwenk:
34. Ohne Patriotismus, ohne die Bereitschaft, in Heimat und Nation Pflichten zu erfüllen, Verantwortung zu übernehmen und Solidarität zu üben, kann ein Staat nicht gedeihen.
Patriotismus als eine der Kernforderungen für das Wohlergehen eines Staates - hier beschreitet die CDU klassisch-konversatives Terrain. Und grenzt sich damit vom politischen Gegner ab: Mit dem Begriff haben viele Linke immer noch ihre Probleme, was sie gerne durch patriotismuskritische Zitate zum Ausdruck bringen. Der linke Rand (Antifa etc.) hinterlässt in seinem Lager durchaus Spuren - er will Deutschland als Nation gleich ganz abschaffen. Dieses Ungleichgewicht bei der Akzeptanz von Patriotismus ist vielen anderen Ländern wie Frankreich, GB oder den USA fremd, in denen Patriotismus keine Sache des politischen Lagers ist, sondern parteiübergreifende Liebe zum eigenen Volk, und sogar bei Demonstrationen von Zuwanderern die landeseigene Fahne geschwenkt wird.
299. Deutschland muss attraktivere Zuwanderungs- und Aufnahmebedingungen für gut ausgebildete Menschen, Kulturschaffende und Höchstqualifizierte bieten, die bei uns leben, arbeiten und Deutschland als Heimat annehmen wollen. Sie sind ein Gewinn für unser Land.
Deutschland wird in der zugehörigen Kapitelüberschrift nicht als Einwanderungs-, sondern als "Integrationsland" bezeichnet. Anreize für Zuwanderung sollen selektiven Charakter haben, bildungsnahe Einwanderer den Vorzug erhalten - das Gegenteil zur Praxis der vergangenen Jahrzehnte. Das Programm spricht sogar entgegen dem üblichen Jargon nicht von "Hochqualifizierten", sondern von "Höchstqualifzierten". Doch gab es Pläne für systematische Rückführungen von Gastarbeitern und eine Reduzierung der Einwanderung bereits in den früheren 80er Jahren, diese wurden aber nie ernsthaft umgesetzt.
320. Heimatliche Verwurzelung, nationale Identität und europäische Gemeinsamkeit ergänzen und bedingen sich. Wir treten für ein internationales und europäisches Volksgruppen und Minderheitenrecht, das Recht auf die Heimat, eigene Sprache und Kultur ein.
Das Recht auf Heimat ist fast schon eine revolutionäre Forderung für die CDU. Das Heimatgefühl für die Deutschen ist heutzutage durch die Massenzuwanderung und Migrationsfolgen gefährdet. Ein Recht auf Heimat bedeutet aber nicht nur, dass Zuwanderungs-, Rückführungs- und Integrationspolitik heimatschonend betrieben werden muss, sondern auch, dass beispielsweise eine große Moschee nicht oder anders gebaut werden muss, wenn ein entsprechendes Bürgerbegehren die Mehrheit der Wähler findet. Davon ist Deutschland allerdings noch weit entfernt, wie die Beispiele in Berlin und Köln zeigen. Restitutionsforderungen an Polen sind mit dem Heimatrecht nicht gemeint, wie aus [2] hervorgeht.
158. Viele Menschen haben in den letzten Jahrzehnten Vertrauen in die Soziale Marktwirtschaft verloren. Es entstand der Eindruck, dass sie zentrale wirtschaftliche und gesellschaftliche Probleme – allen voran die hohe Arbeitslosigkeit – nicht lösen kann. Nicht jedoch die Soziale Marktwirtschaft steht der Lösung dieser Probleme im Wege, sondern die oftmalige Verletzung ihrer Grundprinzipien. Durch die Globalisierung werden die Versäumnisse besonders deutlich.
Die Verletzung dieser Prinzipien waren eine exorbitante Staatsschuldenaufnahme, Sozialsysteme mit falschen Anreizen und Ausgabenveschwendung, international nachteilige, falsch justierte Steuerstrukturen (Unternehmens-/Einkommens-/Mehrwertsteuer), eine Serie von Steuer- und Abgabenerhöhungen für Arbeitnehmer und Unternehmen, späte oder schlecht vorbereitete Privatisierungen, Fehler bei der Wiedervereinigung und Ostförderung, ausufernde Subventionen auch in zukunftslose Branchen und ein unflexibler Arbeitsmarkt. Dennoch sind die Widerstände zu Lösungen nicht alleine wirtschaftlicher Natur, ebenso falsche Rezepte und nachteilige Prinzipien in der Migrationspolitik, in der Rolle EU, in Forschung und im Bildungswesen verstärkten wirtschaftliche und gesellschaftliche Probleme.
In diesem Zusammenhang bekennt sich die CDU nicht nur zu Standards der sozialen Marktwirtschaft weltweit und im Rahmen der Globalisierung, sondern bringt finanzkonservative Rezepte für den Stopp der Staatsverschuldung:
206. Die Schuldenlast in Deutschland ist schon jetzt erdrückend. [...]
207. Der Wohlstand unseres Landes ist gefährdet, wenn der Staat auf Dauer mehr ausgibt, als er einnimmt. [...] Wir wollen ein Land, das die Zukunft seiner Kinder sichert und das nicht auf ihre Kosten lebt. Wir wollen ein Land, in dem der Staat finanziell in der Lage ist, den sozial Schwächeren zu helfen. [...] Staatsverschuldung ist unsozial.
208. [...] Nur noch solche Investitionen dürfen über Kredite finanziert werden, die Werte bzw. Vermögen schaffen. Zudem müssen Schulden aus kreditfinanzierten Investitionen in der Regel nach Ablauf eines bei ihrer Aufnahme festgelegten Zeitplans wieder getilgt sein.[...] Spätestens bis zur Mitte des nächsten Jahrzehnts wollen wir auf allen Ebenen ein grundsätzliches Neuverschuldungsverbot einführen, das die Möglichkeiten der Neuverschuldung auf unabweisbare Ausnahmetatbestände begrenzt. Es soll im Grundgesetz und allen Landesverfassungen verankert werden.
209. [...] In Zeiten des wirtschaftlichen Aufschwungs ist, parallel zur Zurückführung des öffentlichen Schuldenstands, eine Konjunkturausgleichsrücklage zu bilden. [...]
Ähnliche Pläne sind auch von der SPD zu erwarten. Entschuldungspolitik ist nicht mehr auf das konservative Lager begrenzt, kann mit einer gewissen Chance aber ein klassisch konservatives Metier bleiben. Willy Brandt eröffnete schließlich den Verschuldungsreigen in den 70ern mit den Worten "Jetzt bestimmen nicht mehr die Einnahmen die Ausgaben, sondern die Ausgaben die Einnahmen". Die Linkspartei bzw. Lafontaine hängen diesen Vorstellungen immer noch nach - mehrmals hat Lafontaine eine höhere Neuverschuldung zur Belebung der Inlandsnachfrage ins Spiel gebracht. Die CDU hat hier dennoch Profilierungs-Nachholbedarf, der Abbau der Neuverschuldung bis zur Wende 1989 ist durch die Wiedervereinigungslast in Vergessenheit geraten.
Das neue Grundsatzprogramm enthält wie gesagt nicht nur Belege für konservative Überzeugungen, viele Formulierungen bedienen mehr die politische Mitte oder linke Vorstellungen.
30. Die Gleichberechtigung von Frauen und Männern ist ein Grundrecht. Ziel unserer Politik ist, für Frauen und Männer, Mädchen und Jungen gleiche Chancen zu schaffen und Benachteiligungen in allen Bereichen abzubauen. Wir stehen für eine moderne Gleichstellungspolitik, die Frauen und Männer gleichermaßen im Blick hat und darauf zielt, überkommene Rollenbilder zu überwinden
Was sind überkommene Rollenbilder? Eine intakte Familie, in der der Vater gut verdient und hart arbeitet, und so alleine seine Frau und seine Kinder ernähren kann? Soll die Politik etwa Maßstäbe setzen, die vorschreiben, was überkommen ist und was nicht? Ist das nicht die Verantwortung und Entscheidung jedes einzelnen Menschen? Überwindung klingt in diesem Kontext doch sehr nach Bevormundung - Eva Hermanns Bücher ein Politikum?
Und was bedeutet eigentlich Gleichstellungspolitik? Warum nicht Gleichbehandlung? Werden nicht naturgegebene Unterschiede und Vorlieben immer dazu führen, dass sich Frauen und Männer unterschiedlich entwickeln und in unterschiedlichen Bereichen der Gesellschaft und der Wirtschaft unterschiedlich dominieren werden? So wird Gleichstellung immer auch Ungleichbehandlung bedeuten, was dem eigentlich Gedanken der Gleichberechtigung zuwiderläuft. Inzwischen machen mehr Mädchen als Jungen Abitur und auch unter den Sitzenbleibern stellen die Jungen inzwischen die große Mehrheit. Daher sollten feministisch geprägte Gleichstellungsideen wie "gender mainstreaming" keinesfall kritiklos hingenommen werden, da diese oft über das Ziel hinausschießen.
Zum Thema deutsche Geschichte bezieht die CDU eine Stellung, die ebenfalls nicht widerspruchsfrei als konservativ gedeutet werden kann. Zwar stellt das Programm zunächst fest
128. Teil unserer Kultur ist eine lebendige Erinnerungskultur. Sie umfasst für uns die ganze deutsche Geschichte, nicht nur einzelne Ausschnitte.
Allerdings fährt es dann mit dem Gegenteil fort, und nennt nicht nur ganz bestimmte Ausschnitte, sondern stellt diese auch über die Gesamtgeschichte:
Prägend für die Bundesrepublik Deutschland sind die Erfahrungen aus der Zeit des Nationalsozialismus, insbesondere die Einzigartigkeit des Holocaust.
Inwiefern ist der Holocaust heute ("sind") prägend für Deutschland? Worin besteht seine Einzigartigkeit (quantitativ ist er mit anderen ideologischen Massenmorden verglichen nämlich nicht einzigartig), die auch von seriösen Historikern angezweifelt wird (Kritik an Singularitätsthese), und die die Deutschen von allen anderen Nationen abheben soll? Inwieweit ist die Einzigartigkeit so von Bedeutung, dass sie mit "insbesondere" hervorgehoben wird - ob einzigartig/unwiederholbar oder nicht, was ändert das am Faktum eines Völkermords? Doch eigentlich nichts, außer dass man den Nachkommen eine "einzigartige" Verantwortung und Schuldpflichtgefühl aufladen kann, wenn gerade die "Einzigartigkeit" das Prägende sein soll.
Das Grundsatzprogramm führt weiter aus:
Einen besonderen Rang besitzt auch die Aufarbeitung der SED-Diktatur. Herausragende Bedeutung kommt der Friedlichen Revolution vom Herbst 1989 und der Wiedervereinigung zu. Zwangsmigration und Vertreibung werden wir ebenso wenig vergessen, wie die großartige Leistung der Integration der Vertriebenen und Flüchtlinge nach dem Zweiten Weltkrieg.
Deutsche Geschichte bleibt also bis auf punktuelle und räumliche Ausnahmen auf die Zeit von 1933-45 beschränkt.
Die neue (west-)deutsche Geschichte, Wirtschaftswunder, Demokratie wird nicht erwähnt. Ebensowenig Reformation, Friedrich der Große, Preußen, Revolution 1848 und Bismarck. Das alles scheint kein erwähnenswerter Teil der "Erinnerungskultur" zu sein.
172. Die CDU will Arbeitnehmer stärker als bisher am Erfolg und am Kapital der Unternehmen beteiligen. Dies eröffnet den Beschäftigten zusätzliche Einkommensquellen und schafft mehr Gerechtigkeit.
Solche Konzepte werden oft mit dem Begriff Investivlohn beschrieben. Schon jetzt ist eine Beteiligung aber in vielen Fällen möglich, da es jedem Bürger freisteht, sich über Aktien an Unternehmen zu beteiligen. Natürlich hat die Idee ihren Reiz, die Gefahr besteht aber, die Beteiligungsmöglichkeit bürokratisch durchzusetzen und einseitig zu Lasten der Unternehmen, was wie eine Steuererhöhung wirken wird. Zudem ist es nicht für jeden Arbeitnehmer günstig, mit seinem Gehalt stärker als vorher von Gewinnschwankungen des Unternehmens abzuhängen.
41. Der globale Klimawandel gefährdet unsere Lebenswelt und die Entwicklungschancen der nachfolgenden Generationen. [...] Die erhöhten Treibhausgasemissionen und die daraus resultierende Klimaerwärmung haben weit reichende Konsequenzen für Mensch und Natur: Abschmelzen von Gletschern, Anstieg des Meeresspiegels, Versauerung der Meere, Überflutungen, Wassermangel, Artensterben, neue Wüsten und Dürrekatastrophen.
245. Durch geeignete Anreize für technologische Innovationen wollen wir den Einsatz von erneuerbaren Energien vorantreiben. Bis zum Jahr 2020 streben wir für Deutschland einen Anteil regenerativer Energien am Gesamtenergieverbrauch in Höhe von mindestens 20 Prozent an. [...]
246. [...] Im Rahmen unserer Klimaschutzstrategie streben wir eine Laufzeitverlängerung von sicheren Kernkraftwerken an. [...]
Das alte rotgrüne Projekt "Ausstieg aus der Kernenergie" wird damit von der CDU endgültig abgenickt. Nur von einer Verlängerung der Laufzeiten ist noch die Rede. Von schon fortgeschrittenen Forschungsprojekten wie Fusionsreaktortechnik ist gar keine Rede. Auch schlägt sich die CDU kritiklos den Theorien über den Klimawandel an und bezieht damit nicht unbedingt konservative Positionen, zumal bereitwillig Katastrophenszenarien präsentiert werden.
Abzuwarten bleibt, ob das hinsichtlich konservativer Vorstellungen teilweise ambivalente Programm so abgesegnet wird oder noch signifikante Änderungen auftreten. In jedem Fall enthält es viele Elemente, die durchaus eine Neuorientierung der Partei andeuten.
[1] http://www.grundsatzprogramm.cdu.de/doc/070507-grundsatzprogramm-kommission-entwurf-2.pdf
[2] Im Interview: http://www.welt.de/politik/article859859/Unser_Staat_beruht_auf_christlichen_Werten.html
Einige neue Elemente führen die CDU auf ihre konservativen Wurzeln zurück, andere hingegen kann man nur schwer als konservativ bezeichnen. Ich habe zur Demonstration einige Punkte ausgewählt, zunächst Belege für einen konservativen Schwenk:
34. Ohne Patriotismus, ohne die Bereitschaft, in Heimat und Nation Pflichten zu erfüllen, Verantwortung zu übernehmen und Solidarität zu üben, kann ein Staat nicht gedeihen.
Patriotismus als eine der Kernforderungen für das Wohlergehen eines Staates - hier beschreitet die CDU klassisch-konversatives Terrain. Und grenzt sich damit vom politischen Gegner ab: Mit dem Begriff haben viele Linke immer noch ihre Probleme, was sie gerne durch patriotismuskritische Zitate zum Ausdruck bringen. Der linke Rand (Antifa etc.) hinterlässt in seinem Lager durchaus Spuren - er will Deutschland als Nation gleich ganz abschaffen. Dieses Ungleichgewicht bei der Akzeptanz von Patriotismus ist vielen anderen Ländern wie Frankreich, GB oder den USA fremd, in denen Patriotismus keine Sache des politischen Lagers ist, sondern parteiübergreifende Liebe zum eigenen Volk, und sogar bei Demonstrationen von Zuwanderern die landeseigene Fahne geschwenkt wird.
299. Deutschland muss attraktivere Zuwanderungs- und Aufnahmebedingungen für gut ausgebildete Menschen, Kulturschaffende und Höchstqualifizierte bieten, die bei uns leben, arbeiten und Deutschland als Heimat annehmen wollen. Sie sind ein Gewinn für unser Land.
Deutschland wird in der zugehörigen Kapitelüberschrift nicht als Einwanderungs-, sondern als "Integrationsland" bezeichnet. Anreize für Zuwanderung sollen selektiven Charakter haben, bildungsnahe Einwanderer den Vorzug erhalten - das Gegenteil zur Praxis der vergangenen Jahrzehnte. Das Programm spricht sogar entgegen dem üblichen Jargon nicht von "Hochqualifizierten", sondern von "Höchstqualifzierten". Doch gab es Pläne für systematische Rückführungen von Gastarbeitern und eine Reduzierung der Einwanderung bereits in den früheren 80er Jahren, diese wurden aber nie ernsthaft umgesetzt.
320. Heimatliche Verwurzelung, nationale Identität und europäische Gemeinsamkeit ergänzen und bedingen sich. Wir treten für ein internationales und europäisches Volksgruppen und Minderheitenrecht, das Recht auf die Heimat, eigene Sprache und Kultur ein.
Das Recht auf Heimat ist fast schon eine revolutionäre Forderung für die CDU. Das Heimatgefühl für die Deutschen ist heutzutage durch die Massenzuwanderung und Migrationsfolgen gefährdet. Ein Recht auf Heimat bedeutet aber nicht nur, dass Zuwanderungs-, Rückführungs- und Integrationspolitik heimatschonend betrieben werden muss, sondern auch, dass beispielsweise eine große Moschee nicht oder anders gebaut werden muss, wenn ein entsprechendes Bürgerbegehren die Mehrheit der Wähler findet. Davon ist Deutschland allerdings noch weit entfernt, wie die Beispiele in Berlin und Köln zeigen. Restitutionsforderungen an Polen sind mit dem Heimatrecht nicht gemeint, wie aus [2] hervorgeht.
158. Viele Menschen haben in den letzten Jahrzehnten Vertrauen in die Soziale Marktwirtschaft verloren. Es entstand der Eindruck, dass sie zentrale wirtschaftliche und gesellschaftliche Probleme – allen voran die hohe Arbeitslosigkeit – nicht lösen kann. Nicht jedoch die Soziale Marktwirtschaft steht der Lösung dieser Probleme im Wege, sondern die oftmalige Verletzung ihrer Grundprinzipien. Durch die Globalisierung werden die Versäumnisse besonders deutlich.
Die Verletzung dieser Prinzipien waren eine exorbitante Staatsschuldenaufnahme, Sozialsysteme mit falschen Anreizen und Ausgabenveschwendung, international nachteilige, falsch justierte Steuerstrukturen (Unternehmens-/Einkommens-/Mehrwertsteuer), eine Serie von Steuer- und Abgabenerhöhungen für Arbeitnehmer und Unternehmen, späte oder schlecht vorbereitete Privatisierungen, Fehler bei der Wiedervereinigung und Ostförderung, ausufernde Subventionen auch in zukunftslose Branchen und ein unflexibler Arbeitsmarkt. Dennoch sind die Widerstände zu Lösungen nicht alleine wirtschaftlicher Natur, ebenso falsche Rezepte und nachteilige Prinzipien in der Migrationspolitik, in der Rolle EU, in Forschung und im Bildungswesen verstärkten wirtschaftliche und gesellschaftliche Probleme.
In diesem Zusammenhang bekennt sich die CDU nicht nur zu Standards der sozialen Marktwirtschaft weltweit und im Rahmen der Globalisierung, sondern bringt finanzkonservative Rezepte für den Stopp der Staatsverschuldung:
206. Die Schuldenlast in Deutschland ist schon jetzt erdrückend. [...]
207. Der Wohlstand unseres Landes ist gefährdet, wenn der Staat auf Dauer mehr ausgibt, als er einnimmt. [...] Wir wollen ein Land, das die Zukunft seiner Kinder sichert und das nicht auf ihre Kosten lebt. Wir wollen ein Land, in dem der Staat finanziell in der Lage ist, den sozial Schwächeren zu helfen. [...] Staatsverschuldung ist unsozial.
208. [...] Nur noch solche Investitionen dürfen über Kredite finanziert werden, die Werte bzw. Vermögen schaffen. Zudem müssen Schulden aus kreditfinanzierten Investitionen in der Regel nach Ablauf eines bei ihrer Aufnahme festgelegten Zeitplans wieder getilgt sein.[...] Spätestens bis zur Mitte des nächsten Jahrzehnts wollen wir auf allen Ebenen ein grundsätzliches Neuverschuldungsverbot einführen, das die Möglichkeiten der Neuverschuldung auf unabweisbare Ausnahmetatbestände begrenzt. Es soll im Grundgesetz und allen Landesverfassungen verankert werden.
209. [...] In Zeiten des wirtschaftlichen Aufschwungs ist, parallel zur Zurückführung des öffentlichen Schuldenstands, eine Konjunkturausgleichsrücklage zu bilden. [...]
Ähnliche Pläne sind auch von der SPD zu erwarten. Entschuldungspolitik ist nicht mehr auf das konservative Lager begrenzt, kann mit einer gewissen Chance aber ein klassisch konservatives Metier bleiben. Willy Brandt eröffnete schließlich den Verschuldungsreigen in den 70ern mit den Worten "Jetzt bestimmen nicht mehr die Einnahmen die Ausgaben, sondern die Ausgaben die Einnahmen". Die Linkspartei bzw. Lafontaine hängen diesen Vorstellungen immer noch nach - mehrmals hat Lafontaine eine höhere Neuverschuldung zur Belebung der Inlandsnachfrage ins Spiel gebracht. Die CDU hat hier dennoch Profilierungs-Nachholbedarf, der Abbau der Neuverschuldung bis zur Wende 1989 ist durch die Wiedervereinigungslast in Vergessenheit geraten.
Das neue Grundsatzprogramm enthält wie gesagt nicht nur Belege für konservative Überzeugungen, viele Formulierungen bedienen mehr die politische Mitte oder linke Vorstellungen.
30. Die Gleichberechtigung von Frauen und Männern ist ein Grundrecht. Ziel unserer Politik ist, für Frauen und Männer, Mädchen und Jungen gleiche Chancen zu schaffen und Benachteiligungen in allen Bereichen abzubauen. Wir stehen für eine moderne Gleichstellungspolitik, die Frauen und Männer gleichermaßen im Blick hat und darauf zielt, überkommene Rollenbilder zu überwinden
Was sind überkommene Rollenbilder? Eine intakte Familie, in der der Vater gut verdient und hart arbeitet, und so alleine seine Frau und seine Kinder ernähren kann? Soll die Politik etwa Maßstäbe setzen, die vorschreiben, was überkommen ist und was nicht? Ist das nicht die Verantwortung und Entscheidung jedes einzelnen Menschen? Überwindung klingt in diesem Kontext doch sehr nach Bevormundung - Eva Hermanns Bücher ein Politikum?
Und was bedeutet eigentlich Gleichstellungspolitik? Warum nicht Gleichbehandlung? Werden nicht naturgegebene Unterschiede und Vorlieben immer dazu führen, dass sich Frauen und Männer unterschiedlich entwickeln und in unterschiedlichen Bereichen der Gesellschaft und der Wirtschaft unterschiedlich dominieren werden? So wird Gleichstellung immer auch Ungleichbehandlung bedeuten, was dem eigentlich Gedanken der Gleichberechtigung zuwiderläuft. Inzwischen machen mehr Mädchen als Jungen Abitur und auch unter den Sitzenbleibern stellen die Jungen inzwischen die große Mehrheit. Daher sollten feministisch geprägte Gleichstellungsideen wie "gender mainstreaming" keinesfall kritiklos hingenommen werden, da diese oft über das Ziel hinausschießen.
Zum Thema deutsche Geschichte bezieht die CDU eine Stellung, die ebenfalls nicht widerspruchsfrei als konservativ gedeutet werden kann. Zwar stellt das Programm zunächst fest
128. Teil unserer Kultur ist eine lebendige Erinnerungskultur. Sie umfasst für uns die ganze deutsche Geschichte, nicht nur einzelne Ausschnitte.
Allerdings fährt es dann mit dem Gegenteil fort, und nennt nicht nur ganz bestimmte Ausschnitte, sondern stellt diese auch über die Gesamtgeschichte:
Prägend für die Bundesrepublik Deutschland sind die Erfahrungen aus der Zeit des Nationalsozialismus, insbesondere die Einzigartigkeit des Holocaust.
Inwiefern ist der Holocaust heute ("sind") prägend für Deutschland? Worin besteht seine Einzigartigkeit (quantitativ ist er mit anderen ideologischen Massenmorden verglichen nämlich nicht einzigartig), die auch von seriösen Historikern angezweifelt wird (Kritik an Singularitätsthese), und die die Deutschen von allen anderen Nationen abheben soll? Inwieweit ist die Einzigartigkeit so von Bedeutung, dass sie mit "insbesondere" hervorgehoben wird - ob einzigartig/unwiederholbar oder nicht, was ändert das am Faktum eines Völkermords? Doch eigentlich nichts, außer dass man den Nachkommen eine "einzigartige" Verantwortung und Schuldpflichtgefühl aufladen kann, wenn gerade die "Einzigartigkeit" das Prägende sein soll.
Das Grundsatzprogramm führt weiter aus:
Einen besonderen Rang besitzt auch die Aufarbeitung der SED-Diktatur. Herausragende Bedeutung kommt der Friedlichen Revolution vom Herbst 1989 und der Wiedervereinigung zu. Zwangsmigration und Vertreibung werden wir ebenso wenig vergessen, wie die großartige Leistung der Integration der Vertriebenen und Flüchtlinge nach dem Zweiten Weltkrieg.
Deutsche Geschichte bleibt also bis auf punktuelle und räumliche Ausnahmen auf die Zeit von 1933-45 beschränkt.
Die neue (west-)deutsche Geschichte, Wirtschaftswunder, Demokratie wird nicht erwähnt. Ebensowenig Reformation, Friedrich der Große, Preußen, Revolution 1848 und Bismarck. Das alles scheint kein erwähnenswerter Teil der "Erinnerungskultur" zu sein.
172. Die CDU will Arbeitnehmer stärker als bisher am Erfolg und am Kapital der Unternehmen beteiligen. Dies eröffnet den Beschäftigten zusätzliche Einkommensquellen und schafft mehr Gerechtigkeit.
Solche Konzepte werden oft mit dem Begriff Investivlohn beschrieben. Schon jetzt ist eine Beteiligung aber in vielen Fällen möglich, da es jedem Bürger freisteht, sich über Aktien an Unternehmen zu beteiligen. Natürlich hat die Idee ihren Reiz, die Gefahr besteht aber, die Beteiligungsmöglichkeit bürokratisch durchzusetzen und einseitig zu Lasten der Unternehmen, was wie eine Steuererhöhung wirken wird. Zudem ist es nicht für jeden Arbeitnehmer günstig, mit seinem Gehalt stärker als vorher von Gewinnschwankungen des Unternehmens abzuhängen.
41. Der globale Klimawandel gefährdet unsere Lebenswelt und die Entwicklungschancen der nachfolgenden Generationen. [...] Die erhöhten Treibhausgasemissionen und die daraus resultierende Klimaerwärmung haben weit reichende Konsequenzen für Mensch und Natur: Abschmelzen von Gletschern, Anstieg des Meeresspiegels, Versauerung der Meere, Überflutungen, Wassermangel, Artensterben, neue Wüsten und Dürrekatastrophen.
245. Durch geeignete Anreize für technologische Innovationen wollen wir den Einsatz von erneuerbaren Energien vorantreiben. Bis zum Jahr 2020 streben wir für Deutschland einen Anteil regenerativer Energien am Gesamtenergieverbrauch in Höhe von mindestens 20 Prozent an. [...]
246. [...] Im Rahmen unserer Klimaschutzstrategie streben wir eine Laufzeitverlängerung von sicheren Kernkraftwerken an. [...]
Das alte rotgrüne Projekt "Ausstieg aus der Kernenergie" wird damit von der CDU endgültig abgenickt. Nur von einer Verlängerung der Laufzeiten ist noch die Rede. Von schon fortgeschrittenen Forschungsprojekten wie Fusionsreaktortechnik ist gar keine Rede. Auch schlägt sich die CDU kritiklos den Theorien über den Klimawandel an und bezieht damit nicht unbedingt konservative Positionen, zumal bereitwillig Katastrophenszenarien präsentiert werden.
Abzuwarten bleibt, ob das hinsichtlich konservativer Vorstellungen teilweise ambivalente Programm so abgesegnet wird oder noch signifikante Änderungen auftreten. In jedem Fall enthält es viele Elemente, die durchaus eine Neuorientierung der Partei andeuten.