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Klaus E. Daniel
28.03.2004, 11:20
Der Halbmond glänzet am Himmel

Der Halbmond glänzet am Himmel,
Und es ist neblicht und kalt.
Gegrüßt sei du Halber dort oben,
Wie du, bin ich einer, der halb.

Halb gut, halb übel geboren,
Und dürftig in beider Gestalt,
Mein Gutes ohne Würde,
Das Böse ohne Gewalt.

Halb schmeckt ich die Freuden des Lebens,
Nichts ganz als meine Reu;
Die ersten Bissen genossen,
Schien alles mir einerlei.

Halb gab ich mich hin den Musen,
Und sie erhörten mich halb;
Hart auf der Hälfte des Lebens
Entflohn sie und ließen mich alt.

Und also sitz ich verdrossen,
Doch läßt die Zersplitterung nach;
Die leere Hälfte der Seele
Verdrängt die noch volle gemach.

Grillparzer

Klaus E. Daniel
28.03.2004, 11:26
Manche freilich ...

Manche freilich müssen drunten sterben,
Wo die schweren Ruder der Schiffe streifen,
Andre wohnen bei dem Steuer droben,
Kennen Vogelflug und die Länder der Sterne.

Manche liegen immer mit schweren Gliedern
Bei den Wurzeln des verworrenen Lebens,
Andern sind die Stühle gerichtet
Bei den Sibyllen, den Königinnen,
Und da sitzen sie wie zu Hause,
Leichten Hauptes und leichter Hände.

Doch ein Schatten fällt von jenen Leben
In die anderen Leben hinüber,
Und die leichten sind an die schweren
Wie an Luft und Erde gebunden:

Ganz vergessener Völker Müdigkeiten
Kann ich nicht abtun von meinen Lidern,
Noch weghalten von der erschrockenen Seele
Stummes Niederfallen ferner Sterne.

Viele Geschicke weben neben dem meinen,
Durcheinander spielt sie alle das Dasein,

Hofmannsthal

Klaus E. Daniel
28.03.2004, 12:56
Ein Gott vermags. Wie aber, sag mir, soll

Ein Gott vermags. Wie aber, sag mir, soll
ein Mann ihm folgen durch die schmale Leier?
Sein Sinn ist Zwiespalt. An der Kreuzung zweier
Herzwege steht kein Tempel für Apoll.

Gesang, wie du ihn lehrst, ist nicht Begehr,
nicht Werbung um ein endlich noch Erreichtes;
Gesang ist Dasein. Für den Gott ein Leichtes.
Wann aber sind wir? Und wann wendet er

an unser Sein die Erde und die Sterne?
Dies ists nicht, Jüngling, daß du liebst, wenn auch
die Stimme dann den Mund dir aufstößt, - lerne

vergessen, daß du aufsangst. Das verrinnt.
In Wahrheit singen, ist ein andrer Hauch.
Ein Hauch um nichts. Ein Wehn im Gott. Ein Wind.

Rilke

Klaus E. Daniel
28.03.2004, 13:02
Für meine Söhne

Hehle nimmer mit der Wahrheit!
Bringt sie Leid, nicht bringt sie Reue;
Doch, weil Wahrheit eine Perle,
Wirf sie auch nicht vor die Säue.

Blüte edelsten Gemütes
Ist die Rücksicht; doch zuzeiten
Sind erfrischend wie Gewitter
Goldne Rücksichtslosigkeiten.

Wackrer heimatlicher Grobheit
Setze deine Stirn entgegen;
Artigen Leutseligkeiten
Gehe schweigend aus den Wegen.

Wo zum Weib du nicht die Tochter
Wagen würdest zu begehren,
Halte dich zu wert, um gastlich
In dem Hause zu verkehren.

Was du immer kannst, zu werden,
Arbeit scheue nicht und Wachen;
Aber hüte deine Seele
Vor dem Karrieremachen.

Wenn der Pöbel aller Sorte
Tanzet um die goldnen Kälber,
Halte fest: du hast vom Leben
Doch am Ende nur dich selber.



Storm



Quelle: Reklamheftchen

H.P.Lovecraft
29.03.2004, 13:48
Alles oder nichts
Ja, du bist frei, mein Volk, von Eisenketten,
Frei von der Hörigkeiten alter Schande;
Kein Hochgeborner schmiedet dir die Bande,
Und wie du liegen willst, darfst du dir betten!

Doch nicht kann dies dich vor der Herrschaft retten,
Die ohne Grenzen schleicht von Land zu Lande;
Ein grimmer Wolf in weichem Lammsgewande,
Schafft sie zum Lehn sich all' bewohnte Stätten.

Wenn du nicht völlig magst den Geist entbinden
Von ihres Dunstes tödlicher Umhüllung,
Nicht tapfer um der Seele Freiheit ringen:

So wird der Feind stets offne Tore finden,
All deinem Werke rauben die Erfüllung,
Und jede Knechtschaft endlich wiederbringen!


Gottfried Keller

Klaus E. Daniel
29.03.2004, 14:59
Winternacht

Nicht ein Flügelschlag ging durch die Welt,
Still und blendend lag der weiße Schnee,
Nicht ein Wölklein hing am Sternenzelt,
Keine Welle schlug im starren See.

Aus der Tiefe stieg der Seebaum auf,
Bis sein Wipfel in dem Eis gefror;
An den Ästen klomm die Nix herauf,
Schaute durch das grüne Eis empor.

Auf dem dünnen Glase stand ich da,
Das die schwarze Tiefe von mir schied;
Dicht ich unter meinen Füßen sah
Ihre weiße Schönheit Glied für Glied.

Mit ersticktem Jammer tastet' sie
An der harten Decke her und hin.
Ich vergeß das dunkle Antlitz nie,
Immer, immer liegt es mir im Sinn!


Keller

Klaus E. Daniel
29.03.2004, 15:50
Gefion,

hier ist es so kalt, daß es, glaube ich,

nie Frühling wird. Melancholisch

Gruß

KED

Klaus E. Daniel
30.03.2004, 13:58
Abschied

Wie hab ich das gefühlt was Abschied heißt.
Wie weiß ichs noch: ein dunkles unverwundnes
grausames Etwas, das ein Schönverbundnes
noch einmal zeigt und hinhält und zerreißt.

Wie war ich ohne Wehr, dem zuzuschauen,
das, da es mich, mich rufend, gehen ließ,
zurückblieb, so als wärens alle Frauen
und dennoch klein und weiß und nichts als dies:

Ein Winken, schon nicht mehr auf mich bezogen,
ein leise Weiterwinkendes - , schon kaum
erklärbar mehr: vielleicht ein Pflaumenbaum,
von dem ein Kuckuck hastig abgeflogen.

Rilke

Klaus E. Daniel
30.03.2004, 14:46
Saukalt. Gute Luft, aber mit dem Laufen hapert auch.

__________________________________________________ __

Frühlingsfeier

Das ist des Frühlings traurige Lust!
Die blühenden Mädchen, die wilde Schar,
Sie stürmen dahin, mit flatterndem Haar
Und Jammergeheul und entblößter Brust: -
»Adonis! Adonis!«

Es sinkt die Nacht. Bei Fackelschein,
Sie suchen hin und her im Wald,
Der angstverwirret wiederhallt
Von Weinen und Lachen und Schluchzen und Schrein:
»Adonis! Adonis!«

Das wunderschöne Jünglingsbild,
Es liegt am Boden blaß und tot,
Das Blut färbt alle Blumen rot,
Und Klagelaut die Luft erfüllt: -
»Adonis! Adonis!«

Heine

Klaus E. Daniel
30.03.2004, 15:19
Das ästhetische Wiesel

Ein Wiesel
saß auf einem Kiesel
inmitten Bachgeriesel.
Wißt ihr
weshalb?
Das Mondkalb
verriet es mir
im stillen:
Das raffinier-
te Tier
tat's um des Reimes willen.

Morgenstern


__________________________________________________

Ist des nicht hübsch, Gefion ?

Busco
30.03.2004, 15:34
Johannes R. Becher:

Turm von Babel

Das ist der Turm von Babel,
Er spricht in allen Zungen.
Und Kain erschlägt den Abel
Und wird als Gott besungen.

Er will mit seinem Turme
Wohl in den Himmel steigen
Und will vor keinem Sturme,
Der ihn umstürmt, sich neigen.

Gerüchte aber schwirren,
Die Wahrheit wird verschwiegen.
Die Herzen sich verwirren -
So hoch sind wir gestiegen.

Das Wort wird zur Vokabel,
Um sinnlos zu verhallen.
Es wird der Turm zu Babel
Im Sturz zu nichts zerfallen.


Ich bin durch Hans Meyers Buch "Der Turm von Babel" auf dieses Becher-Gedicht gestoßen.

Empfehlenswert übrigens ist die Becher - Biographie von Jens-Fietje Dwars - recht umfangreich, manchmal sehr detailversessen, aber lesenswert und inzwischen auch billiger erhältlich.

Busco
31.03.2004, 11:04
Grabschrift für einen Dichter

Er wollte singen, singen,
um zu vergessen
sein wahres Leben aus Lügen
und sich erinnern
an sein erlogenes Leben voll Wahrheit


Das ist von Octavio Paz, der heute vor 90 Jahren geboren wurde.

H.P.Lovecraft
31.03.2004, 14:00
Die Raben

Über den schwarzen Winkel hasten
Am Mittag die Raben mit hartem Schrei.
Ihr Schatten streift an der Hirschkuh vorbei
Und manchmal sieht man sie mürrisch rasten.
O wie sie die braune Stille stören,
In der ein Acker sich verzückt,
Wie ein Weib, das schwere Ahnung berückt,
Und manchmal kann man sie keifen hören
Um ein Aas, das sie irgendwo wittern,
Und plötzlich richten nach Nord sie den Flug
Und schwinden wie ein Leichenzug
In Lüften, die von Wollust zittern.

Georg Trakl

H.P.Lovecraft
31.03.2004, 14:02
Hätt ich geahnt, als ich zuerst Dich schaute

daß mich die warme Sonne Deiner Blicke
Verjüngen würde und mit dem Geschicke
Feuriger Glut im Alter noch betraute,

Ich wäre, wie der Hirsch, der Luchs, der Panther
Entflohen jeder schnöden Schicksalstücke
und wäre hingeeilt zu meinem Glücke,
Längst wären wir begegnet dann einander !

Doch warum gräm ich mich, wo ich nun finde
In Deinen Engelsaugen meinen Frieden,
All meine Ruhe und mein ganzes Heil ?

Vielleicht wär damals mir dies Angebinde
noch nicht geworden, das mir nun beschieden,
Seit Deiner Tugend Fittich ward mein Teil

Michelangelo an Tommaso Cavalieri 1532

Klaus E. Daniel
31.03.2004, 14:12
Ein Winterabend

Wenn der Schnee ans Fenster fällt,
Lang die Abendglocke läutet,
Vielen ist der Tisch bereitet
Und das Haus ist wohlbestellt.

Mancher auf der Wanderschaft
Kommt ans Tor auf dunklen Pfaden.
Golden blüht der Baum der Gnaden
Aus der Erde kühlem Saft.

Wanderer tritt still herein;
Schmerz versteinerte die Schwelle.
Da erglänzt in reiner Helle
Auf dem Tische Brot und Wein.


Trakl

Klaus E. Daniel
31.03.2004, 14:49
Sie alter Schlingel,


Andeutungen von Frühling,
welches die Meteologen kräftig verderben wollen.

Ich wette, sie haben recht.

Gruß

KED



Es sitzt ein Vogel auf dem Leim,
Er flattert sehr und kann nicht heim.
Ein schwarzer Kater schleicht herzu,
Die Krallen scharf, die Augen gluh.
Am Baum hinauf und immer höher
Kommt er dem armen Vogel näher.

Der Vogel denkt: Weil das so ist
Und weil mich doch der Kater frißt,
So will ich keine Zeit verlieren,
Will noch ein wenig quinquilieren
Und lustig pfeifen wie zuvor.
Der Vogel, scheint mir, hat Humor.

Busch

Klaus E. Daniel
31.03.2004, 15:05
Nein.

Ich bin ein oller Pessimist, deshalb kam es nicht.

Wenigstens nicht von mir.

KED

H.P.Lovecraft
01.04.2004, 08:40
Das weiße Fräulein.

Es schlummert das Gregoriental
in tiefem Blumenschnee;
wie Silberkrönlein blitzen zumal
Maiblumen, Veiel und Klee.

Der Mond scheint bergesüber herein -
nun tropfen die Wälder von Licht;
es fließt wie ein fremder Heil'genschein
über den Landen dicht...


Ein Burggemäuer hängt an der Firn,
dort senkt der Pfad sich sacht;
und wie in heimatlosem Irr'n
tastet wer in die Nacht -


Zu Tale schwebt die feine Gestalt
mit ungehörtem Schritt,
und durch den mondesbeleuchteten Wald
wandelt ein Singen mit...


Es steht wie ein lachendes Warten auf Glück
um die Lippen der süßen Frau;
sie sucht in die Ferne, sie schaut nicht zurück,
sie tritt auf die Maienau.


Da rauscht ein Brünnlein mit zartem Getön,
sie setzt sich auf seinen Rand.
Die Tropfen gleiten ihr perlenschön
über die zitternde Hand -


Es löst das seltsame, hohe Weib
all ihrer Gewänder Pracht,
und neigt sich, und badet den blendenden Leib
im Brunnen verstohlen sacht...


Dann tut sie ihr jaspishelles Kleid
und Spangen und Kettlein an,
als rüste sie sich zu bräutlicher Zeit
und fühlte die Wonne nah'n...


Wie glasgesponnene Fäden fließt
ihr Ringelhaar, das sie strählt;
und von der sternhellen Aue liest
sie Maiblumen ungezählt...


Sie heftet die duftenden an ihr Kleid,
und flicht sich ein Krönlein und lacht -
spähend und harrend schaut sie weit
in die Mondesmitternacht.


Und leuchtend das Land, und silbern der Wald,
Maiblumengleich die Au',
und weiß umrinnt das Licht die Gestalt
der weißen harrenden Frau.


Sie singt nicht mehr - sie starrt weithin,
als ob sie durch Himmel und Land
ein Liebstes suchte mit fieberndem Sinn,
das sie doch nimmer fand...


Dann wendet sie sich - die Luft wird fahl,
die Sterne schwinden im Grau;
es fallen des Morgens Tränen zu Tal,
in die silbernen Knospen der Au'.


Und sie sucht den blassen Pfad im Wald,
muß heim zu Burg und Bann;
die arme, rührende Lichtgestalt
hebt leise zu schluchzen an.


Das funkelnde Kleid verfärbt sich in Grau -
es löst sich der Maienkranz;
und blumenlos entwandelt die Frau -
zu Tränen ward der Glanz...


So sucht alle Nacht die Sehnsucht den Steg
zum fernen, leuchtenden Glück -
mit Singen und Lachen hebt an ihr Weg,
und schluchzend kehrt sie zurück.

Alberta von Puttkamer

ortensia blu
02.04.2004, 09:07
Ein Mensch erblickt das Licht der Welt,
doch irgendwann hat sich herausgestellt,
nach manchem mühevoll verbrachten Jahr,
daß das sein einz’ger Lichtblick war.

Ich halte das "ß" für falsch, aber es steht nun mal da.



K.E.D.

2mal edit, nicht mein Tag.

Es ist richtig!

ortensia blu
02.04.2004, 09:25
Hilf mir


..

Hilf mir, die Wahrheit zu seh‘n,
Hilf mir, mich gegen den Strom zu dreh‘n,
Hilf mir, den schweren, den graden Weg zu geh‘n!
In einer Welt, in einer Zeit,
Wo Falschheit und Verlogenheit
Eitel blüh‘n und gedeih‘n an allen Enden,
Wo jeder eilig sein Wort bricht,
Im Augenblick, da er es spricht,
Um rasch den Mantel mit dem Wind zu wenden.

..



Reinhard Mey

Wie recht er doch hat, der Reinhard Mey!

Aber auch in früheren Zeiten klagten Dichter und Liedermacher über mangelnde Redlichkeit. Vielleicht ist dieser Werteverfall in Krisenzeiten besonders augenfällig.

Klaus E. Daniel
02.04.2004, 13:16
Bevor ich mit den Wölfen heule,
Werd‘ ich lieber harzig, warzig grau,
Verwandele ich mich in eine Eule
Oder vielleicht in eine graue Sau.
Ich laufe nicht mit dem Rudel,
Ich schwimme nicht mit im Strudel,
Ich hab‘ noch nie auf Befehl gebellt.
Ich lasse mich nicht verhunzen,
Ich will nach Belieben grunzen,
Im Alleingang, wie es mir gefällt!
Ich will in keinem Haufen raufen,
Laß mich mit keinem Verein ein!

Rechnet nicht mit mir beim Fahnenschwenken,
Ganz gleich, welcher Farbe sie auch sein‘n.
Ich bin noch imstand‘, allein zu denken,
Und verkneif‘ mir das Parolenschrei‘n.
Und mir fehlt, um öde Phrasen,
Abgedroschen, aufgeblasen,
Nachzubeten jede Spur von Lust.
Und es paßt, was ich mir denke,
Auch wenn ich mich sehr beschränke,
Nicht auf einen Knopf an meiner Brust!
Ich will in keinem Haufen raufen,
Laß mich mit keinem Verein ein!

Bevor ich trommle und im Marschtakt singe
Und blökend mit den Schafen mitmarschier‘,
Gescheh‘n noch viele ungescheh‘ne Dinge,
Wenn ich mir je gefall‘ als Herdentier.
Und so nehm‘ ich zur Devise
Keine andere als diese:
Wo schon zwei sind, kann kein dritter sein.
Ich sing‘ weiter ad libitum,
Ich marschier‘ verkehrt herum,
Und ich lieb‘ dich weiterhin allein!
Ich will in keinem Haufen raufen,
Laß mich mit keinem Verein ein!
Erinnert euch daran: Sie waren zwölfe:
Den dreizehnten, den haben sie eiskalt
Verraten und verhökert an die Wölfe.
Man merke: Im Verein wird keiner alt!
Worum es geht, ist mir schnuppe:
Mehr als zwei sind eine Gruppe.
Jeder dritte hat ein andres Ziel,
Der nagelt mit Engelsmiene
Beiden ein Ei auf die Schiene!
Nein, bei drei‘n ist stets einer zuviel!
Ich will in keinem Haufen raufen,
Laß mich mit keinem Verein ein!

Klaus E. Daniel
02.04.2004, 14:06
Gute Nacht, Freunde, es wird Zeit für mich zu geh‘n.
Was ich noch zu sagen hätte, dauert eine Zigarette und ein letztes Glas im Steh‘n.
Für den Tag, für die Nacht unter eurem Dach.
Habt Dank für den Platz an eurem Tisch, für jedes Glas, das ich trank,
Für den Teller, den ihr mit zu den euren stellt, als sei selbstverständlicher nichts auf der Welt.
Gute Nacht, Freunde, es wird Zeit für mich zu geh‘n.
Was ich noch zu sagen hätte, dauert eine Zigarette und ein letztes Glas im Steh‘n.
Habt Dank für die Zeit, die ich mit euch verplaudert hab‘
Und für Eure Geduld, wenn‘s mehr als eine Meinung gab.
Dafür, daß ihr nie fragt, wann ich komm‘ oder geh‘,
Für die stets offene Tür, in der ich jetzt steh‘.

Gute Nacht, Freunde, es wird Zeit für mich zu geh‘n.
Was ich noch zu sagen hätte, dauert eine Zigarette und ein letztes Glas im Steh‘n.
Für die Freiheit, die als steter Gast bei euch wohnt.
Habt Dank, daß ihr nie fragt, was es bringt, ob es lohnt.
Vielleicht liegt es daran, daß man von draußen meint,
Daß in euren Fenstern das Licht wärmer scheint.

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Das waren noch Zeiten .....

ortensia blu
02.04.2004, 21:41
Aus einem fliegenden Blatt, 17. Jahrh.

Wer jetzig Zeiten leben will,
Muß habn ein tapfers Herze,
Es sein der argen Feind so viel,
Bereiten ihm groß Schmerze.
Da heißt es stehn ganz unverzagt
In seiner blanken Wehre,
Daß sich der Feind nicht an uns wagt,
Es geht um Gut und Ehre.
Geld nur regiert die ganze Welt,
Dazu verhilft Betrügen;
Wer sich sonst noch so redlich hält,
Muß doch bald unterliegen,
Rechtschaffen hin, rechtschaffen her,
Das sind nur alte Geigen:
Betrug, Gewalt und List vielmehr,
Klag du, man wird dir's zeigen.

Doch wie's auch kommt, das arge Spiel,
Behalt ein tapfers Herze,
Und sind der Feind auch noch so viel,
Verzage nicht im Schmerze.
Steh gottgetreulich, unverzagt,
In deiner blanken Wehre:
Wenn sich der Feind auch an uns wagt,
Es geht um Gut und Ehre!

Bakunin
03.04.2004, 00:45
ein tolles gedicht von heine. das sklavenschiff heißt es:


Der Superkargo Mynheer van Koek
Sitzt rechnend in seiner Kajüte;
Er kalkuliert der Ladung Betrag
Und die probabeln Profite.

»Der Gummi ist gut, der Pfeffer ist gut,
Dreihundert Säcke und Fässer;
Ich habe Goldstaub und Elfenbein -
Die schwarze Ware ist besser.

Sechshundert Neger tauschte ich ein
Spottwohlfeil am Senegalflusse.
Das Fleisch ist hart, die Sehnen sind stramm,
Wie Eisen vom besten Gusse.

Ich hab zum Tausche Branntewein,
Glasperlen und Stahlzeug gegeben;
Gewinne daran achthundert Prozent,
Bleibt mir die Hälfte am Leben.

Bleiben mir Neger dreihundert nur
Im Hafen von Rio-Janeiro,
Zahlt dort mir hundert Dukaten per Stück
Das Haus Gonzales Perreiro.«

Da plötzlich wird Mynheer van Koek
Aus seinen Gedanken gerissen;
Der Schiffschirurgius tritt herein,
Der Doktor van der Smissen.

Das ist eine klapperdürre Figur,
Die Nase voll roter Warzen -
»Nun, Wasserfeldscherer«, ruft van Koek,
»Wie geht's meinen lieben Schwarzen?«

Der Doktor dankt der Nachfrage und spricht:
»Ich bin zu melden gekommen,
Daß heute nacht die Sterblichkeit
Bedeutend zugenommen.

Im Durchschnitt starben täglich zwei,
Doch heute starben sieben,
Vier Männer, drei Frauen - Ich hab den Verlust
Sogleich in die Kladde geschrieben.

Ich inspizierte die Leichen genau;
Denn diese Schelme stellen
Sich manchmal tot, damit man sie
Hinabwirft in die Wellen.

Ich nahm den Toten die Eisen ab;
Und wie ich gewöhnlich tue,
Ich ließ die Leichen werfen ins Meer
Des Morgens in der Fruhe.

Es schossen alsbald hervor aus der Flut
Haifische, ganze Heere,
Sie lieben so sehr das Negerfleisch;
Das sind meine Pensionäre.

Sie folgten unseres Schiffes Spur,
Seit wir verlassen die Küste;
Die Bestien wittern den Leichengeruch
Mit schnupperndem Fraßgelüste.

Es ist possierlich anzusehn,
Wie sie nach den Toten schnappen!
Die faßt den Kopf, die faßt das Bein,
Die andern schlucken die Lappen.

Ist alles verschlungen, dann tummeln sie sich
Vergnügt um des Schiffes Planken
Und glotzen mich an, als wollten sie
Sich für das Frühstück bedanken.«

Doch seufzend fällt ihm in die Red'
Van Koek: »Wie kann ich lindern
Das Übel? wie kann ich die Progression
Der Sterblichkeit verhindern?«

Der Doktor erwidert: »Durch eigne Schuld
Sind viele Schwarze gestorben;
Ihr schlechter Odem hat die Luft
Im Schiffsraum so sehr verdorben.

Auch starben viele durch Melancholie,
Dieweil sie sich tödlich langweilen;
Durch etwas Luft, Musik und Tanz
Läßt sich die Krankheit heilen.«

Da ruft van Koek: »Ein guter Rat!
Mein teurer Wasserfeldscherer
Ist klug wie Aristoteles,
Des Alexanders Lehrer.

Der Präsident der Sozietät
Der Tulpenveredlung im Delfte
Ist sehr gescheit, doch hat er nicht
Von Eurem Verstande die Hälfte.

Musik! Musik! Die Schwarzen soll'n
Hier auf dem Verdecke tanzen.
Und wer sich beim Hopsen nicht amüsiert,
Den soll die Peitsche kuranzen.«

II

Hoch aus dem blauen Himmelszelt
Viel tausend Sterne schauen,
Sehnsüchtig glänzend, groß und klug,
Wie Augen von schönen Frauen.

Sie blicken hinunter in das Meer,
Das weithin überzogen
Mit phosphorstrahlendem Purpurduft;
Wollüstig girren die Wogen.

Kein Segel flattert am Sklavenschiff,
Es liegt wie abgetakelt;
Doch schimmern Laternen auf dem Verdeck,
Wo Tanzmusik spektakelt.

Die Fiedel streicht der Steuermann,
Der Koch, der spielt die Flöte,
Ein Schiffsjung' schlägt die Trommel dazu,
Der Doktor bläst die Trompete.

Wohl hundert Neger, Männer und Fraun,
Sie jauchzen und hopsen und kreisen
Wie toll herum; bei jedem Sprung
Taktmäßig klirren die Eisen.

Sie stampfen den Boden mit tobender Lust,
Und manche schwarze Schöne
Umschlinge wollüstig den nackten Genoß -
Dazwischen ächzende Töne.

Der Büttel ist Maître des plaisirs,
Und hat mit Peitschenhieben
Die lässigen Tänzer stimuliert,
Zum Frohsinn angetrieben.

Und Dideldumdei und Schnedderedeng!
Der Lärm lockt aus den Tiefen
Die Ungetüme der Wasserwelt,
Die dort blödsinnig schliefen.

Schlaftrunken kommen geschwommen heran
Haifische, viele hundert;
Sie glotzen nach dem Schiff hinauf,
Sie sind verdutzt, verwundert.

Sie merken, daß die Frühstückstund'
Noch nicht gekommen, und gähnen,
Aufsperrend den Rachen; die Kiefer sind
Bepflanzt mit Sägezähnen.

Und Dideldumdei und Schnedderedeng -
Es nehmen kein Ende die Tänze.
Die Haifische beißen vor Ungeduld
Sich selber in die Schwänze.

Ich glaube, sie lieben nicht die Musik,
Wie viele von ihrem Gelichter.
»Trau keiner Bestie, die nicht liebt
Musik!« sagt Albions großer Dichter.

Und Schnedderedeng und Dideldumdei -
Die Tänze nehmen kein Ende.
Am Fockmast steht Mynheer van Koek
Und faltet betend die Hände:

»Um Christi willen verschone, o Herr,
Das Leben der schwarzen Sünder!
Erzürnten sie dich, so weißt du ja,
Sie sind so dumm wie die Rinder.

Verschone ihr Leben um Christi will'n,
Der für uns alle gestorben!
Denn bleiben mir nicht dreihundert Stück,
So ist mein Geschäft verdorben.«

ortensia blu
03.04.2004, 09:31
Ich bin froh, dass keine Deutschen am Sklavenhandel beteiligt waren. Wir würden uns vermutlich heute noch deswegen kasteien.

Klaus E. Daniel
03.04.2004, 13:30
Galgenbruders Frühlingslied

Es lenzet auch auf unserm Span,
o selige Epoche!
Ein Hälmlein will zum Lichte nahn
aus einem Astwurmloche.

Es schaukelt bald im Winde hin
und schaukelt bald drin her.
Mir ist beinah, ich wäre wer,
der ich doch nicht mehr bin..

Morgenstern: Galgenbruders Frühlingslied,

Klaus E. Daniel
04.04.2004, 12:26
Glückliche Fahrt

Die Nebel zerreißen,
Der Himmel ist helle,
Und Äolus löset
Das ängstliche Band.
Es säuseln die Winde,
Es rührt sich der Schiffer.
Geschwinde! Geschwinde!
Es teilt sich die Welle,
Es naht sich die Ferne;
Schon seh ich das Land!

Goethe: Glückliche Fahrt.

Klaus E. Daniel
07.04.2004, 09:44
Was habe ich gesagt ?

Freudenstadt ist 740 m hoch - und entsprechend wetterwendig ....

Gruß

KED

Klaus E. Daniel
08.04.2004, 09:56
Auf dem See

Nun fließt die Welt in kühlem Mondenlicht,
Die Berge sind in weißem Duft versunken;
Der See, der leis um meinen Kahn sich bricht,
Spielt fern hinaus in irren Silberfunken,
Doch sein Gestad' erkenn' ich nicht.
Wie weit! Wie still! Da schließt in mir ein Sinn
Sich auf, das Unnennbarste zu verstehen;
Uralte Melodieen gehen
Durch meine Brust gedämpft dahin.
Es sinkt, wie Tau, der Ewigkeit Gedanke
Kühl schauernd über mich und füllt mich ganz,
Und mich umflutet sonder Schranke
Ein uferloses Meer von weißem Glanz.

H.P.Lovecraft
08.04.2004, 10:05
Georg Herwegh (1840)

An die deutschen Dichter

Seid stolz! es klingt kein Gold der Welt
Wie eurer Saiten Gold;
Es ist kein Fürst so hoch gestellt,
Daß ihr ihm dienen sollt!
Trotz Erz und Marmor stürb er doch,
Wenn ihr ihn sterben ließet;
Der schönste Purpur ist annoch
Das Blut, das ihr als Lied vergießet!

Der Ruhm der Herrscher wird verweht -
Lobpreis ihn, wer da will!
Man jagt und spornt ihn, doch er steht
Mit ihrem Herzen still.
O laßt sie donnern fort und fort!
An ihrem Grab verhallt es.
Ihr Dichter, sprecht ein grollend Wort,
Und zu dem ew'gen Gotte schallt es!

Es hat dem Vogel in dem Nest
Der Himmel nie gewankt;
Er dünkt die Mächtigen nur fest,
Solang der Thron nicht schwankt!
Palast und Purpur hin und her,
Ob Glanz sie überschütte -
Seid stolz, seid stolz, ihr seid ja mehr;
Seid ihr nicht Könige der Hütte?

Blitzt ewig nicht der Tau im Feld
Gleich wie der Diamant?
Ist nicht ob dieser ganzen Welt
Ein Baldachin gespannt?
Wiegt nicht die Rebe, die hinauf
An einem Strohdach gleitet,
Den unfruchtbaren Efeu auf,
Der sich um Zwingherrnburgen breitet?

Hoch, Sänger, schlage euer Herz,
Wie Lerchen in der Luft!
Es ruht sich besser allerwärts
Als in der Fürstengruft.
Ein Liebchen, das die Treue bricht,
Ist überall zu finden;
Verschmähet mir die Ringe nicht,
Doch laßt euch nie an Ketten binden!

Dem Volke nur seid zugetan
Jauchzt ihm voran zur Schlacht,
Und liegt's verwundet auf dem Plan,
So pfleget sein und wacht!
Und so man ihm den letzten Rest
Der Freiheit will verkümmern,
So haltet nur am Schwerte fest
Und laßt die Harfen uns zertrümmern!

Klaus E. Daniel
09.04.2004, 11:24
[Ich möchte hingehn wie das Abendrot]

Ich möchte hingehn wie das Abendrot
Und wie der Tag in seinen letzten Gluten -
O leichter, sanfter, ungefühlter Tod!
Mich in den Schoß des Ewigen verbluten.

Ich möchte hingehn wie der heitre Stern,
Im vollsten Glanz, in ungeschwächtem Blinken;
So stille und so schmerzlos möchte gern
Ich in des Himmels blaue Tiefen sinken.

Ich möchte hingehn wie der Blume Duft,
Der freudig sich dem schönen Kelch entringet
Und auf dem Fittich blütenschwangrer Luft
Als Weihrauch auf des Herren Altar schwinget.

Ich möchte hingehn wie der Tau im Tal,
Wenn durstig ihm des Morgens Feuer winken;
O wollte Gott, wie ihn der Sonnenstrahl,
Auch meine lebensmüde Seele trinken!

Ich möchte hingehn wie der bange Ton,
Der aus den Saiten einer Harfe dringet,
Und, kaum dem irdischen Metall entflohn,
Ein Wohllaut in des Schöpfers Brust erklinget.

Du wirst nicht hingehn wie das Abendrot,
Du wirst nicht stille wie der Stern versinken,
Du stirbst nicht einer Blume leichten Tod,
Kein Morgenstrahl wird deine Seele trinken.

Wohl wirst du hingehn, hingehn ohne Spur,
Doch wird das Elend deine Kraft erst schwächen,
Sanft stirbt es einzig sich in der Natur,
Das arme Menschenherz muß stückweis brechen.

Herwegh

derNeue
09.04.2004, 11:51
Ich muß die Nase meiner Ollen
an jeder Grenze neu verzollen
Loriot :2faces:

Klaus E. Daniel
09.04.2004, 12:37
Hermann Josef Abs
deutscher Bankier (1901 - 1994)

_____________________________________________

1. Eine Million Steuerzahler verhalten sich vernünftiger als eine öffentliche Hand.

2. Gewinn ist so notwendig wie die Luft zum Atmen, aber es wäre schlimm, wenn wir nur wirtschafteten, um Gewinne zu machen, wie es schlimm wäre, wenn wir nur lebten, um zu atmen

Klaus E. Daniel
09.04.2004, 13:09
Zweillos ein Fehler.

:-:

KED

Klaus E. Daniel
09.04.2004, 13:30
Abschied

Wie hab ich das gefühlt was Abschied heißt.
Wie weiß ichs noch: ein dunkles unverwundnes
grausames Etwas, das ein Schönverbundnes
noch einmal zeigt und hinhält und zerreißt.

Wie war ich ohne Wehr, dem zuzuschauen,
das, da es mich, mich rufend, gehen ließ,
zurückblieb, so als wärens alle Frauen
und dennoch klein und weiß und nichts als dies:

Ein Winken, schon nicht mehr auf mich bezogen,
ein leise Weiterwinkendes - , schon kaum
erklärbar mehr: vielleicht ein Pflaumenbaum,
von dem ein Kuckuck hastig abgeflogen.


Rilke: Abschied,

Klaus E. Daniel
10.04.2004, 12:10
Lob der Faulheit

Faulheit, jetzo will ich dir
Auch ein kleines Loblied bringen. -
O - - wie - - sau - - er - - wird es mir, - -
Dich - - nach Würden - - zu besingen!
Doch, ich will mein Bestes tun,
Nach der Arbeit ist gut ruhn.

Höchstes Gut! wer dich nur hat,
Dessen ungestörtes Leben - -
Ach! - - ich - - gähn' - - ich - - werde matt - -
Nun - - so - - magst du - - mirs vergeben,
Daß ich dich nicht singen kann;
Du verhinderst mich ja dran.

Lessing

Ulfberth
10.04.2004, 18:36
Es färbte sich die Wiese grün
Und um die Hecken sah ich blühn,
Tagtäglich sah ich neue Kräuter,
Mild war die Luft, der Himmel heiter.
Ich wußte nicht, wie mir geschah,
Und wie das wurde, was ich sah.

Und immer dunkler ward der Wald
Auch bunter Sänger Aufenthalt,
Es drang mir bald auf allen Wegen
Ihr Klang in süßen Duft entgegen.
Ich wußte nicht, wie mir geschah,
Und wie das wurde, was ich sah.

Es quoll und trieb nun überall
Mit Leben, Farben, Duft und Schall,
Sie schienen gern sich zu vereinen,
Daß alles möchte lieblich scheinen.
Ich wußte nicht, wie mir geschah,
Und wie das wurde, was ich sah.

So dacht ich: ist ein Geist erwacht,
Der alles so lebendig macht
Und der mit tausend schönen Waren
Und Blüten sich will offenbaren?
Ich wußte nicht, wie mir geschah,
Und wie das wurde, was ich sah.

Vielleicht beginnt ein neues Reich
Der lockre Staub wird zum Gesträuch
Der Baum nimmt tierische Gebärden
Das Tier soll gar zum Menschen werden.
Ich wußte nicht, wie mir geschah,
Und wie das wurde, was ich sah.

Wie ich so stand und bei mir sann,
Ein mächtger Trieb in mir begann.
Ein freundlich Mädchen kam gegangen
Und nahm mir jeden Sinn gefangen.
Ich wußte nicht, wie mir geschah,
Und wie das wurde, was ich sah.

Sie ging vorbei, ich grüßte sie,
Sie dankte, das vergeß ich nie
Ich mußte ihre Hand erfassen
Und Sie schien gern sie mir zu lassen.
Ich wußte nicht, wie mir geschah,
Und wie das wurde, was ich sah.

Uns barg der Wald vor Sonnenschein
Das ist der Frühling fiel mir ein.
Kurzum, ich sah, daß jetzt auf Erden
Die Menschen sollten Götter werden.
Nun wußt ich wohl, wie mir geschah,
Und wie das wurde, was ich sah.

Novalis

=

Friedrich Freiherr v. Hardenberg

derNeue
12.04.2004, 08:43
passend zur Jahreszeit:

]und der Osterhase legt
mal recht heiter mal bewegt
Rührei oder Spiegelei
schauerlich stöhnt er dabe[/B]i
Ringelnatz

Klaus E. Daniel
12.04.2004, 11:46
An die Königin Luise von Preußen

Sonett

Erwäg ich, wie in jenen Schreckenstagen,
Still deine Brust verschlossen, was sie litt,
Wie du das Unglück, mit der Grazie Tritt,
Auf jungen Schultern herrlich hast getragen,

Wie von des Kriegs zerrißnem Schlachtenwagen
Selbst oft die Schar der Männer zu dir schritt,
Wie, trotz der Wunde, die dein Herz durchschnitt,
Du stets der Hoffnung Fahn uns vorgetragen:

O Herrscherin, die Zeit dann möcht ich segnen!
Wir sahn dich Anmut endlos niederregnen,
Wie groß du warst, das ahndeten wir nicht!

Dein Haupt scheint wie von Strahlen mir umschimmert;
Du bist der Stern, der voller Pracht erst flimmert,
Wenn er durch finstre Wetterwolken bricht!


Kleist

H.P.Lovecraft
13.04.2004, 10:17
Paul Boldt
Die Dirne

Die Zähne standen unbeteiligt, kühl
Gleich Fischen an den heißen Sommertagen.
Sie hatte sie in sein Gesicht geschlagen
Und trank es – trank – entschlossen dies Gefühl
In sich zu halten, denn sie ward ein wenig
Wie früher Mädchen und erlitt Verführung;
Er aber spürte bloß Berührung,
Den Mund wie eine Muskel, mager, sehnig.

Und sollte glauben an ihr Offenbaren,
Und sah, wie sie dann dastand – spiegelnackt –
Das Falsche, das Frisierte an den Haaren;

Und unwillig auf ihren schlechten Akt
Schlug er das Licht aus, legte sich zu ihr,
Mischend im Blut Entsetzen mit der Gier.

H.P.Lovecraft
13.04.2004, 10:19
Herr Oluf
Johann Gottfried Herder


Herr Oluf reitet spät und weit,
Zu bieten auf seine Hochzeitleut'.
Du tanzen die Elfen auf grünem Strand,
Erlkönigs Tochter reicht ihm die Hand:
"Willkommen, Herr Oluf, komm tanzen mit mir,
Zwei göldene Sporen schenke ich dir."


"Ich darf nicht tanzen, nicht tanzen ich mag,
Denn morgen is mein Hochzeittag."
"Tritt näher, Herr Oluf, komm tanzen mit mir,
Ein Hemd von Seiden schenke ich dir,
Ein Hemd von Seiden so weiß und fein,
Meine Mutter bleicht's mit Mondenschein!"


"Ich darf nicht tanzen, nicht tanzen ich mag,
Denn morgen ist mein Hochzeittag."
"Tritt näher, Herr Oluf, komm tanzen mit mir,
Einen Haufen Goldes schenke ich dir."
"Einen Haufen Goldes nähme ich wohl,
Doch tanzen ich nicht darf noch soll."


"Und willst du, Herr Oluf, nicht tanzen mit mir,
Soll Seuch' und Krankheit folgen dir!"
Sie tät ihm geben einen Schlag aufs Herz,
Sein Lebtag fühlt' er nicht solchen Schmerz.
Drauf tät sie ihn heben auf sein Pferd:
"Reit' heim zu deinem Fräulein wert!"


Und als er kam vor Hauses Tür,
Seine Mutter zitternd stand dafür:
"Sag an, mein Sohn, und sag mir gleich,
Wovon du bist so blaß und bleich?"
"Und sollt ich nicht sein blaß und bleich?
Ich kam in Erlenkönigs Reich."


"Sag an, mein Sohn, so lieb und traut,
Was soll ich sagen deiner Braut?"
"Sagt ihr, ich ritt in den Wald zur Stund,
Zu proben allda mein Roß und Hund."
Früh Morgens als der Tag kaum war,
Da kam die Braut mit der Hochzeitschar.


Sie schenkten Met, sie schenkten Wein:
"Wo ist Herr Oluf, der Bräutigam mein?"
"Herr Oluf ritt in den Wald zur Stund,
Zu proben allda sein Roß und Hund."
Die Braut hob auf den Scharlach rot,
Da lag Herr Oluf und war tot.

Klaus E. Daniel
14.04.2004, 13:22
Das Bett ist das Nest einer Menge von Krankheiten.
(Der Streit der Fakultäten)

Immanuel Kant

Klaus E. Daniel
15.04.2004, 10:31
[Mir war's, ich hört' es an der Türe pochen]

Mir war's, ich hört' es an der Türe pochen,
Und fuhr empor, als wärst du wieder da
Und sprächest wieder, wie du oft gesprochen,
Mit Schmeichelton: Darf ich hinein, Papa?

Und da ich abends ging am steilen Strand,
Fühlt' ich dein Händchen warm in meiner Hand.

Und wo die Flut Gestein herangewälzt,
Sagt' ich ganz laut: Gib acht, daß du nicht fällst!

Bakunin
16.04.2004, 13:52
Das Glasperlenspiel

Musik des Weltalls und Musik der Meister
Sind wir bereit mit Ehrfurcht anzuhören,
Zu reiner Feier die verehrten Geister
Begnadeter Zeiten zu beschwören.

Wir lassen vom Geheimnis uns erheben
Der magischen Formelschrift, in deren Bann
Das Uferlose, Stürmende, das Leben,
Zu klaren Gleichnissen gerann.

Sternbildern gleich ertönen sie kristallen,
In ihrem Dienst ward unserm Leben Sinn,
Und keiner kann aus ihren Kreisen fallen,
Als nach der heiligen Mitte hin.

Es führen über die Erde
Strassen und Wege viel,
Aber alle haben
Dasselbe Ziel

Du kannst reiten und fahren
Zu zwein und zu drein,
Den letzten Schritt
Mußt du gehen allein.

Drum ist kein Wissen
Noch Können so gut,
Als daß man alles Schwere
Alleine tut.

Klaus E. Daniel
18.04.2004, 12:56
Zünde mir Licht an, Knabe

Zünde mir Licht an, Knabe! - »Noch ist es hell. Ihr verzehret
Öl und Docht nur umsonst. Schließet die Läden doch nicht!
Hinter die Häuser entwich, nicht hinter den Berg, uns die Sonne!
Ein halb Stündchen noch währt's bis zum Geläute der Nacht.«
Unglückseliger! geh und gehorch! Mein Mädchen erwart ich;
Tröste mich, Lämpchen, indes, lieblicher Bote der Nacht!

Goethe

Ulfberth
18.04.2004, 13:04
Zu Speier im Saale, da hebt sich ein Klingen,
mit Fackeln und Kerzen ein Tanzen und Springen;
Graf Eberstein führet den Reihn
mit des Kaisers holdseligem Töchterlein.

Und als er sie schwingt nun im luftigen Reigen,
da flüstert sie leise, sie kann's nicht verschwigen:
"Graf Eberstein, hüte dich fein!
Heut' Nacht wird dein Schlößlein gefährdet sein."

"Ei!" denket der Graf, "Euer Kaiserlich Gnaden,
so habt Ihr mich darum zum Tanze geladen!"
Er sucht sein Roß, läßt seinen Troß
und jagt nach seinem gefährdeten Schloß.

Um Ebersteins Veste, da wimmelt's von Streitern,
sie schleichen im Nebel mit Haken und Leitern.
Graf Eberstein grüßet sie fein,
er wirft sie vom Wall in die Gräben hinein.

Als nun der Herr Kaiser am Morgen gekommen,
da meint er, es seie die Burg schon genommen.
Doch auf dem Wall tanzen mit Schall
der Graf und seine Gewappneten all'.

"Herr Kaiser, beschleicht Ihr ein andermal Schlößer,
tut's Not, Ihr versteht auf das Tanzen Euch besser,
Euer Töchterlein tanzet so fein,
dem soll meine Veste geöffnet sein."

Im Schloße des Grafen, da hebt sich ein Klingen,
mit Fackeln und Kerzen ein Tanzen und Springen:
Graf Eberstein führet den Reihn
mit des Kaisers holdseligem Töchterlein.

Und als er sie schwingt nun im bräutlichen Reigen,
da flüstert er leise, er kann's nicht verschweigen:
"Schön Jungfräulein, hüte dich fein!
Heut' Nacht wird ein Schlößlein gefährdet sein."

----------------------------------------------------

Deutsche Dicht- und Liedkunst!

Uhland/Löwe

H.P.Lovecraft
22.04.2004, 10:15
Das süßeste Leben

Lieblich murmelt meines Lebensquelle
Zwischen Rosenbüschen schmeichelnd hin,
Wenn ich eines Fürsten Liebling bin,
Unbeneidet auf der hohen Stelle;

Und von meiner stolzen Marmorschwelle
Güte nicht, die Herzenszauberin
Und die Liebe, aller Siegerin
Flieht zu einer Hütte oder Zelle;

Süßer aber schleicht sie sich davon
Wenn ich unter traurenden Ruinen
Efeugleich geschmiegt an Karolinen

Wehmutlächelnd les im Oberon
Oder bei der milchgefüllten Schale
Bürgers Lieder sing im engen Tale.


Novalis

ortensia blu
23.04.2004, 22:37
Es geht wohl anders, als du meinst:
derweil du frei und fröhlich scheinst,
ist Lenz und Sonnenschein verflogen,
die liebe Gegend schwarz umzogen;
und kaum hast du dich ausgeweint,
lacht alles wieder, die Sonne scheint -
es geht wohl anders als du meinst.

Joseph v. Eichendorf

Bakunin
23.04.2004, 22:43
Heinrich Heine
Ich hab im Traum geweinet,...

Ich hab im Traum geweinet,
Mir träumet, du lägest im Grab.
Ich wachte auf, und die Träne
Floß noch von der Wange herab.

Ich hab im Traum geweinet,
Mir träumt', du verließest mich.
Ich wachte auf, und ich weinte
Noch lange bitterlich.

Ich hab im Traum geweinet,
Mir träumte, du bliebest mir gut.
Ich wachte auf, und noch immer
Strömt meine Tränenflut.

ortensia blu
23.04.2004, 22:49
Siehst du ein Glück vorübergehn,
Das nie sich wiederfindet,
Ist's gut, in einen Strom zu sehn,
Wo alles wogt und schwindet.

Oh, starre nur hinein, hinein,
Du wirst es leichter missen,
Was dir, und sollt's dein Liebstes sein,
Vom Herzen ward gerissen.

Blick' unverwandt hinab zum Fluß,
Bis deine Tränen fallen,
Und seih durch ihren warmen Guß
Die Flut hinunter wallen.

Hin träumend wird Vergessenheit
Des Herzens Wunde schließen;
Die Seele sieht mit ihrem Leid
Sich selbst vorüber fließen.

Nikolaus Lenau

ortensia blu
23.04.2004, 23:15
Aber eines Nachts
schlief ich
Und eines Morgens
stand ich auf.
Da wusch ich mich
vom Kopf bis zum Zeh
Aß und sagte zu mir:
Das ist fertig.

Bertold Brecht

ortensia blu
23.04.2004, 23:23
Wer die tiefste aller Wunden
Hat in Geist und Sinn empfunden
Bittrer Trennung Schmerz;
Wer geliebt was er verloren,
Lassen muß was er erkoren,
Das geliebte Herz,

Der versteht in Lust die Tränen
Und der Liebe ewig Sehnen
Eins in Zwei zu sein,
Eins im Andern sich zu finden
Daß der Zweiheit Grenzen schwinden
Und des Daseins Pein.

Wer so ganz in Herz und Sinnen
Konnt' ein Wesen liebgewinnen,
Oh! den tröstet's nicht,
Daß für Freuden, die verloren,
Neue werden neu geboren:
Jene sind's doch nicht.

Das geliebte, süße Leben,
Dieses Nehmen und dies Geben,
Wort und Sinn und Blick,
Dieses Suchen und dies Finden,
Dieses Denken und Empfinden
Gibt kein Gott zurück.

Karoline von Gündersrode

Gärtner
23.04.2004, 23:41
In meiner weitläufigeren Verwandtschaft existierte bis 1945 ein hochedler gläserner Pokal, den einer der Vorfahren als Raubgut aus dem 30jährigen Krieg mitgebracht hatte. Es war Brauch, daß aus diesem Pokal nur das jeweilige Familienoberhaupt bzw. der älteste Sohn am Tage seiner Hochzeit mit seiner frisch Angetrauten trank, ansonsten stand er als sakrosanktes Familienheiligtum in einer Vitrine. D.h., er kam durchschnittlich alle 30 Jahre einmal zum Einsatz. In der Famile hatte der Pokal den schönen Namen "Das Glück von Edenhall", nach dem gleichnamigen Gedicht von Ludwig Uhland:

Von Edenhall der junge Lord
Läßt schmettern Festtrommetenschall,
Er hebt sich an des Tisches Bord
Und ruft in trunkner Gäste Schwall:
»Nun her mit dem Glücke von Edenhall!«

Der Schenk vernimmt ungern den Spruch,
Des Hauses ältester Vasall,
Nimmt zögernd aus dem seidnen Tuch
Das hohe Trinkglas von Kristall,
Sie nennen's: das Glück von Edenhall.

Darauf der Lord: »Dem Glas zum Preis
Schenk Roten ein aus Portugal!«
Mit Händezittern gießt der Greis,
Und purpurn Licht wird überall,
Es strahlt aus dem Glücke von Edenhall.

Da spricht der Lord und schwingt's dabei:
»Dies Glas von leuchtendem Kristall
Gab meinem Ahn am Quell die Fei,
Drein schrieb sie: kommt dies Glas zu Fall,
Fahr wohl dann, o Glück von Edenhall!

Ein Kelchglas ward zum Los mit Fug
Dem freud'gen Stamm von Edenhall;
Wir schlürfen gern in vollem Zug,
Wir läuten gern mit lautem Schall;
Stoßt an mit dem Glücke von Edenhall!«

Erst klingt es milde, tief und voll,
Gleich dem Gesang der Nachtigall,
Dann wie des Waldstroms laut Geroll,
Zuletzt erdröhnt wie Donnerhall
Das herrliche Glück von Edenhall.

»Zum Horte nimmt ein kühn Geschlecht
Sich den zerbrechlichen Kristall;
Er dauert länger schon als recht,
Stoßt an! mit diesem kräft'gen Prall
Versuch ich das Glück von Edenhall.«

Und als das Trinkglas gellend springt,
Springt das Gewölb mit jähem Knall,
Und aus dem Riß die Flamme dringt;
Die Gäste sind zerstoben all
Mit dem brechenden Glücke von Edenhall.

Ein stürmt der Feind, mit Brand und Mord,
Der in der Nacht erstieg den Wall,
Vom Schwerte fällt der junge Lord,
Hält in der Hand noch den Kristall,
Das zersprungene Glück von Edenhall.

Am Morgen irrt der Schenk allein,
Der Greis, in der zerstörten Hall',
Er sucht des Herrn verbrannt Gebein,
Er sucht im grausen Trümmerfall
Die Scherben des Glücks von Edenhall.

»Die Steinwand – spricht er – springt zu Stück,
Die hohe Säule muß zu Fall,
Glas ist der Erde Stolz und Glück,
In Splitter fällt der Erdenball
Einst gleich dem Glücke von Edenhall.

Frank Sinatra
23.04.2004, 23:44
Wie wär's damit?

Ich bin klein,
mein Herz ist rein,
drum schliess ich meine Äugelein
und schlaf jetzt ein.

:D

Hinweis: Diesen Beitrag schrieb ich aus reiner Postingwut. :2faces:

White Tiger
23.04.2004, 23:46
... gerade noch passend zum Monat ein Gedicht von GEORG BRITTING:

April

Wenn der Wind raschelnd durch die Straßen geht,
Anders als sonst, hart, wenn er klirrt, blechern schwirrt,
Der Baum, der arm vorm Himmel steht,
Grün und lodernd wird.

Die Sonne auf der Turmspitze sitzt,
Wie eine gelbe Zitrone: Ist dann der Frühling da?
Der Knabe, der sich Pfeile schnitzt,
Tiger schießt, sagt: ja, und Afrika!

Die gelbe Zitrone rollt höher. Der Wind raschelt schrill.
Blau bricht der Himmel – April.

[1929]

Bakunin
23.04.2004, 23:49
auch sone art gedicht:


Please allow me to introduce myself
I'm a man of wealth and tas
I've been around for a long, long year
Stole many a man's soul and faith


And I was 'round when Jesus Christ
Had his moment of doubt and pain
Made damn sure that Pilate
Washed his hands and sealed his fate


Pleased to meet you
Hope you guess my name
But what's puzzling you
Is the nature of my game


I stuck around St. Petersberg
When I saw it was a time for a change
Killed the Czar and his ministers
Anastasia screamed in vain


I rode a tank
Held a general's rank
When the Blitzkrieg raged
And the bodies stank


Pleased to meet you
Hope you guess my name, oh yeah
What's puzzling you
Is the nature of my game, oh yeah


I watched with glee
While your kings and queens
Fought for ten decades
For the Gods they made


I shouted out
"Who killed the Kennedys?"
When after all
It was you and me


Let me please introduce myself
I'm a man of wealth and taste
And I laid traps for troubadors
Who get killed before they reached Bombay


Pleased to meet you
Hope you guessed my name, oh yeah
But what's puzzling you
Is the nature of my game, oh yeah, get down, baby


Pleased to meet you
Hope you guessed my name, oh yeah
But what's confusing you
Is just the nature of my game


Just as every cop is a criminal
And all the sinners saints
As heads is tails
Just call me Lucifer
'Cause I'm in need of some restraint


So if you meet me
Have some courtesy
Have some sympathy, and some taste
Use all your well-learned politesse
Or I'll lay your soul to waste, um yeah


Pleased to meet you
Hope you guessed my name, um yeah
But what's puzzling you
Is the nature of my game, um baby, get down


Woo, who
Oh yeah, get on down
Oh yeah
Oh yeah!


Tell me baby, what's my name
Tell me honey, baby guess my name
Tell me baby, what's my name
I tell you one time, you're to blame


Ooo, who
Ooo, who
Ooo, who
Ooo, who, who
Ooo, who, who
Ooo, who, who
Ooo, who, who
Oh, yeah


What's my name
Tell me, baby, what's my name
Tell me, sweetie, what's my name


Ooo, who, who
Ooo, who, who
Ooo, who, who
Ooo, who, who
Ooo, who, who
Ooo, who, who
Ooo, who, who
Oh, yeah

Gärtner
23.04.2004, 23:55
Besonders das

Ooo, who, who
Ooo, who, who
Ooo, who, who
Ooo, who, who
Ooo, who, who
Ooo, who, who
Ooo, who, who
Oh, yeah

ist lyrisch sehr beeindruckend.

(Bauchweh?)

Bakunin
23.04.2004, 23:59
wer kann sich schon herausnehmen allgemein darüber zu urteilen, was lyrisch beeindrukend ist?

ich nicht. das kann nur gott :D ...

ortensia blu
24.04.2004, 07:54
wer kann sich schon herausnehmen allgemein darüber zu urteilen, was lyrisch beeindrukend ist?

ich nicht. das kann nur gott :D ...

Gott hält sich da raus!


"Gott ist tot."
Nietzsche

"Nietzsche ist tot."
Gott

"Tote reden nicht!"
ortensia

Ooo, who, who
Ooo, who, who
Ooo, who, who
Ooo, who, who
Ooo, who, who
Ooo, who, who
Ooo, who, who
Oh, yeah

Bakunin
24.04.2004, 23:48
Die Heimkehr
Heinrich Heine

Mein Herz, mein Herz ist traurig,
doch lustig leuchtet der Mai;
ich stehe, gelehnt an der Linde,
hoch auf der alten Bastei.
Da drunten fließt der blaue
Stadtgraben in stiller Ruh;
ein Knabe fährt im Kahne,
und angelt und pfeift dazu.

Jenseits erheben sich freundlich,
in winziger, bunter Gestalt
Lusthäuser, und Gärten, und Menschen,
und Ochsen, und Wiesen, und Wald.

Die Mägde bleichen Wäsche,
und springen im Gras herum:
das Mühlrad stäubt Diamanten,
ich höre sein fernes Gesumm.

Am alten grauen Turme
ein Schilderhäuschen steht;
ein rotgeröckter Bursche
dort auf und nieder geht.

Er spielt mit seiner Flinte,
die funkelt im Sonnenrot,
er präsentiert und schultert -
ich wollt, er schösse mich tot.

Bakunin
25.04.2004, 00:20
habe ich gerade gefunden. es war aufgabe ein gedicht zu schreiben und das hier war meins:

Tage habe ich gewartet
Nur so
Ohne Sinn
Schreib ich diesen Scheiss mal hin
Möchte nicht aufpassen
Kanns einfach nicht lassen
Du kannst es nicht fassen
Dass ich so einen Schrott schreibe
Und dass es sich jetzt gar nicht mehr reimt
Tja, Dinge sind eben auch so
Und darüber bin ich nicht nur froh
Diese Zeile wird jetzt länger, noch länger, noch länger und das könnte ich eine Woche machen. Sieht ganz schön kacke aus. Sone lange Zeile
Mach ich übrigens nicht aus Langeweile,
Diese Zeile und das alles
Nebenbei höre ich Musik
Ist eigentlich ganz gut
Manche nennens Satansbrut
Besser als Sohn Gottes
Oder nicht?
Die Mucke ist übrigens Hendrix
Ehrlich, nicht nur wegen dem Reim
Der ist mir egal
Reime sind scheisse
Vor allem, wenn mir keine einfallen
Dann könnte ich den Stift gegen des Lehrers Kopf knallen
Ah, da war er wieder
So Reime sind schon bieder
Irgendwie engt das ein
Ich lass es aber trotzdem nicht sein
Oder doch?
Nein
Ich habe mit Scheisse angefangen und werde das auch scheisse beenden
Damit ich ne 1 bekomme
Also, noch ein bekloppter Abschlusssatz
Ach, scheiss drauf, Friss die Katz

ortensia blu
25.04.2004, 12:10
habe ich gerade gefunden. es war aufgabe ein gedicht zu schreiben und das hier war meins:

Tage habe ich gewartet
Nur so
Ohne Sinn
Schreib ich diesen Scheiss mal hin
Möchte nicht aufpassen
Kanns einfach nicht lassen
Du kannst es nicht fassen
Dass ich so einen Schrott schreibe
Und dass es sich jetzt gar nicht mehr reimt
Tja, Dinge sind eben auch so
Und darüber bin ich nicht nur froh
Diese Zeile wird jetzt länger, noch länger, noch länger und das könnte ich eine Woche machen. Sieht ganz schön kacke aus. Sone lange Zeile
Mach ich übrigens nicht aus Langeweile,
Diese Zeile und das alles
Nebenbei höre ich Musik
Ist eigentlich ganz gut
Manche nennens Satansbrut
Besser als Sohn Gottes
Oder nicht?
Die Mucke ist übrigens Hendrix
Ehrlich, nicht nur wegen dem Reim
Der ist mir egal
Reime sind scheisse
Vor allem, wenn mir keine einfallen
Dann könnte ich den Stift gegen des Lehrers Kopf knallen
Ah, da war er wieder
So Reime sind schon bieder
Irgendwie engt das ein
Ich lass es aber trotzdem nicht sein
Oder doch?
Nein
Ich habe mit Scheisse angefangen und werde das auch scheisse beenden
Damit ich ne 1 bekomme
Also, noch ein bekloppter Abschlusssatz
Ach, scheiss drauf, Friss die Katz

Mit etwas mehr Konsequenz würdest du ganz auf die Reime verzichten!

Wenn dein Gedicht ein Gemälde wäre, würde es möglicherweise hochgelobt von Museen aufgekauft werden.

Als Text für die gängige "Bum-Bum"- und "Krawall-Musik", die heute so vermarketet wird, kann es sicher mithalten.

Das Motto lautet: "Jeder ist kreativ", "jeder ist ein Künstler" - zu können braucht er nichts.

Irratio
25.04.2004, 12:44
So... hier das einzige Gedicht, dass ich jemals in deutsch verfasst habe. Vorsicht, Augenkrebs, obwohl es nur ein Vierzeiler ist.

Die graue Blume, kalt wie Eis,
Gewachsen im Herz des Sommers.
Umgeben von Herzen, die nicht herzförmig sind,
Erblüht sie im Herz des Winters.


Und nun, um wieder etwas lesenswertes in diesen Post zu bringen...

Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe
so müd geworden, dass er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
und hinter tausend Stäben keine Welt.

Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein grosser Wille steht.

Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
sich lautlos auf--. Dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte Stille--
und hört im Herzen auf zu sein.

-Rainer Maria Rilke
Eins meiner absoluten Lieblinge...

Irratio.

ortensia blu
25.04.2004, 20:55
So... hier das einzige Gedicht, dass ich jemals in deutsch verfasst habe. Vorsicht, Augenkrebs, obwohl es nur ein Vierzeiler ist.

Die graue Blume, kalt wie Eis,
Gewachsen im Herz des Sommers.
Umgeben von Herzen, die nicht herzförmig sind,
Erblüht sie im Herz des Winters.


Und nun, um wieder etwas lesenswertes in diesen Post zu bringen...

Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe
so müd geworden, dass er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
und hinter tausend Stäben keine Welt.

Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein grosser Wille steht.

Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
sich lautlos auf--. Dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte Stille--
und hört im Herzen auf zu sein.

-Rainer Maria Rilke
Eins meiner absoluten Lieblinge...

Irratio.

Dein Gedicht verstehe ich nicht. Es wäre interessant, wenn du als Verfasser Interpretationshilfe geben könntest.

Mit deinem Rilke-Lieblingsgedicht geht es mir ähnlich. Wenn du es so gerne magst, muss es dir ja etwas sagen. Aber was? Nur die letzte Strophe ist einigermaßen verständlich für mich.

ortensia blu
25.04.2004, 21:19
Blaue Hortensie

So wie das letzte Grün in Farbentiegeln
sind diese Blätter, trocken, stumpf und rauh,
hinter den Blütendolden, die ein Blau
nicht auf sich tragen, nur von ferne spiegeln.

Sie spiegeln es verweint und ungenau,
als wollten sie es wiederum verlieren,
und wie in alten blauen Briefpapieren
ist Gelb in ihnen, Violett und Grau;

Verwaschenes wie an einer Kinderschürze,
Nichtmehrgetragenes, dem nichts mehr geschieht:
wie fühlt man eines kleinen Lebens Kürze.

Doch plötzlich scheint das Blau sich zu verneuen
in einer von den Dolden, und man sieht
ein rührend Blaues sich vor Grünem freuen.

______

Eines meiner Lieblingsgedichte von Rilke.

Klaus E. Daniel
06.05.2004, 11:03
1148 setzte der normannische Kleriker Grisandus seiner Mutter Anna in Sizilien den einzigen bisher bekannten Grabstein mit 4sprachiger Inschrift: Latein, Griechisch, Hebräisch, Arabisch.

Die kurzen Texte auf Latein und auf Griechisch vermeiden jede Verbindung zwischen christlichem Königtum und christlicher Kirche; der Text auf Hebräisch hebt hervor, daß der Machtbereich des Königs Roger II. von Sizilien sich von Italien bis Afrika erstrecke; die arabische Inschrift lobt ihn im Stile der Märchen aus 1000 und 1 Nacht.

Roger waren 1098 die geistliche wie die weltliche Würde übertragen worden: ein einmaliger Vorgang im christlichen Abendland. Er sollte ein Bindeglied sein zwischen allen Volksstämmen Siziliens. In diesem Sinne wird in den nichtchristlichen Texten jeweils auch die Mutter Mariens, die hl. Anna, genannt.

Klaus E. Daniel
07.05.2004, 09:10
Niemand geht mit Spermien haushälterischer um als die Feuerameisen-Königin (Solenopsis geminata). Für jede der rund 2600000 Arbeiterameisen, die sie in ihrem siebenjährigen Leben hervorbringt, benötigt sie nur 1 bis 3 Spermafäden.

Den Vorrat für ihr ganzes Leben erwirbt sich das Weibchen bei einem nur etwa eine Stunde dauernden Hochzeitsflug. Unter den höherentwickelten Säugern nimmt der Samenverschleiß dagegen unaufhaltsam seinen Lauf: Um ein einziges menschliches Ei zu befruchten, bedarf es durchschnittlich 200 bis 600000000 Spermien; bei Hengsten und Ebern geht die Redundanz pro Ejakulation in die Milliarden.

(Schön, nicht nicht wahr

:-:)

Nofretete
07.05.2004, 10:35
Warum gehst du so oft
an dir selbst vorbei?

Du siehst deine Mängel;
für deine Schönheit keinen Blick.

Du siehst deine Schwächen;
deine Stärken beachtest du nicht.

Du trägst an deinem schlechten Gewissen,
das du dir selbst machst oder
andrere dir eingetrichter haben;
deine guten Seiten wertest du nicht.

Du willst immer besser werden;
siehst nicht, wie gut du schon bist.

Reich dir die Hand
und versöhn dich zuerst mit dir.

Nofretete
07.05.2004, 10:38
Theoretisch

bist du bunt, flexibel,
weltoffen, informiert,
wähnst dich vielen überlegen.

Praktisch
bist du nichts
als Theorie.

Nofretete
07.05.2004, 10:44
Hoffnungen in bezug auf dich

Ich halte meine Hoffnungen im Zaum
sage ihnen oft,
sie sollen nicht so vorlaut sein.
Ich sehe meine Chancen lieber bescheiden,
dann ist die Enttäuschung nicht so groß.

Doch manchmal lehnt sich
die Hoffnung verdammt weit aus dem Fenster.

Nofretete
07.05.2004, 10:54
Gültigkeiten

Du wirst nie auf meinem Berg
Erfahrungen stehen,
du wirst niemals die Tiefe meiner
Verletzungen ermessen,
und du wirst niemals
durch meine Augen sehen,
durch meine Ohren hören,
durch meine Seele fühlen...

aber du meinst,
mir sagen, ja aufdrängen
zu müssen, wie ich erfahren,
spüren, was ich sehen und hören
und fühlen soll.

- niemals, mein Freund,
werde ich den Dingen
so wie du begegnen.

Dein Maß gilt
nur für dich.

Klaus E. Daniel
08.05.2004, 11:33
1540 wird es von Francisco de Coronado für Spanien auf der Suche nach den 7 Goldstädten von Cibola »erforscht«, die Zahl der indianischen Todesopfer ist ungewiß;

1690 beginnt Spanien den Bau von Missionsstationen, 1821 wird es als Teil Mexikos von Spanien unabhängig, 1848 erobern die USA es gegen Ende des Kriegs mit Mexiko zum größten Teil, 1853 erwirbt Gadsen den Rest für die USA, 1912 48. Bundesstaat; das in ihm liegende Navajo-Reservat gilt als größter »Indianerstaat«.

Bakunin
12.05.2004, 00:02
Der Kanonensong

von Brecht

John war darunter und Jim war dabei
Und Georgie ist Sergeant geworden
Doch die Armee, sie fragt keinen, wer er sei
Und sie marschieren hinauf nach dem Norden.

Soldaten wohnen
Auf den Kanonen
Vom Cap bis Couch Behar.
Wenn es mal regnete
Und es begegnete
Ihnen ‘ne neue Rasse
‘ne braune oder blasse
Da machen sie vielleicht daraus ihr Beefsteak Tartar.

Johnnie war der Whisky zu warm
und Jimmy hatte nie genug Decken.
Aber Georgie nahm sie beide beim Arm
und sagte die Armee wird schon nicht verrecken.

Soldaten wohnen
Auf den Kanonen
Vom Cap bis Couch Behar.
Wenn es mal regnete
Und es begegnete
Ihnen ‘ne neue Rasse
‘ne braune oder blasse
Da machen sie vielleicht daraus ihr Beefsteak Tartar.

John ist gestorben und Jim ist tot
Und Georgie ist vermißt und verdorben
Aber Blut ist immer noch rot
Und für die Armee wird jetzt wieder geworben!

Soldaten wohnen
Auf den Kanonen
Vom Cap bis Couch Behar
Wenn es mal regnete
Und es begegnete
Ihnen ‘ne neue Rasse
‘ne braune oder blasse
Da machen sie vielleicht daraus ihr Beefsteak Tartar.

Marduk
12.05.2004, 16:30
Wenn deine Mutter alt geworden und älter du geworden bist,
wenn ihr, was früher leicht und mühelos,
nunmehr zur Last geworden ist,
wenn ihre lieben treuen Augen nicht mehr wie einst ins Leben sehn,
wenn ihre müd' gewordnen Füße sie nicht mehr tragen woll'n beim Gehn,
dann reiche ihr den Arm zur Stütze, geleite sie mit froher Lust,
die Stunde kommt, da du sie weinend zum letzten Gang begleiten mußt!
Und fragt sie dich, so gib ihr Antwort, und fragt sie wieder, sprich auch du,
und fragt sie nochmals, steh ihr Rede, nicht ungestüm, in sanfter Ruh'!
Und kann sie dich nicht recht verstehn, erklär ihr alles froh bewegt;
die Stunde kommt, die bittre Stunde, da dich ihr Mund - nach nichts mehr frägt.

Adolf Hitler

Bakunin
12.05.2004, 19:16
es ist klar dass hitler selbst dichten musste, da so ziemlich alle anderen, die irgendwie dichteten abgehauen sind... :rolleyes:

Bakunin
14.05.2004, 23:44
nachdem hier einige wohl meinen diesen strang durch hitler gedichte zu verunstalten zu müssen, denke ich, dass die antwort auf schlechten geschmack am besten brecht ist.

Der Rauch

Der Rauch
Das kleine Haus unter den Bäumen am See.
Vom Dach steigt Rauch.
Fehlt er
Wie trostlos dann wären
Haus, Bäume und See.

Bakunin
15.05.2004, 01:54
Unfreiheit ist der normale Stand in jeder Nichtoberberschicht,

So gebt uns Freiheit, denn wir brauchen sie mehr denn je,

Freiheit bringt uns Wärme, Bringt uns so etwas, wie das Licht.

Lasst mich sprechen, lasst mich sagen wo ich steh`



O Herr, seit deinem Tode und schon zuvor, wir waren dumm,

Doch, höre o Herr, jetzt Schluß mit dem Nimmerende,

Wir werden den Geiste nutzen und nie mehr bleiben wir stumm,

Nicht eine halbe Sekunde, Wie das Gott wohl fände?



Ist egal, er ist sowieso schon seit Tausendjahren tot,

Und überhaupt, half uns dieser alte, faule und kranke Sack?

Nein, er vergnügte sich mit Huren, in des Volkes größter Not,

Doch nun ist Schluß, der Jumaismus ist die geistige Führung von dem "Pack".

Amida Temudschin
27.05.2004, 01:24
Du

Wo keine Freiheit ist
bist du die Freiheit
Wo keine Würde ist
bist du die Würde
Wo keine Wärme ist
keine Nähe von Mensch zu Mensch
bist du die Nähe und Wärme
Herz der herzlosen Welt

Deine Lippen und deine Zunge
sind Fragen und Antwort
In deinen Armen und deinem Schoß
ist etwas wie Ruhe
Jedes Fortgehenmüssen von dir
geht zu auf das Wiederkommen
Du bist ein Anfang der Zukunft
Herz der herzlosen Welt

Du bist kein Glaubensartikel
und keine Philosophie
keine Vorschrift und kein Besitz
an den man sich klammert
Du bist ein lebender Mensch
du bist eine Frau
und kannst irren und zweifeln und gutsein
Herz der herzlosen Welt

(Erich Fried)

Klaus E. Daniel
09.07.2004, 16:11
Gefangen: Gedicht / Einsamkeit
© 2004 by jumijum [DRUCKEN]

Frei
Ja das wollte ich immer sein!
Keinen Freund, nur um nicht allein zu sein
keine Liebe auf den ersten Blick, macht einen doch nur verrückt
keine Grenzen und die dazu gehörigen Schmerzen,
kein Betrügen und Belügen
kein geben und kein nehmen.

Frei
Ja das wollte ich immer sein!
Doch jetzt bin ich alt und allein,
Mauern baute ich, doch sie alleine einreißen, das schaffe ich nicht
Doch wer braucht noch mich?

Ja aber Frei,
Ja das wollte ich immer sein

Klaus E. Daniel
10.07.2004, 10:32
Entfremdung
In den Bäumen kann ich keine Bäume mehr sehen.
Die Äste haben nicht die Blätter, die sie in den Wind halten.
Die Früchte sind süß, aber ohne Liebe.
Sie sättigen nicht einmal.
Was soll nur werden?
Vor meinen Augen flieht der Wald,
vor meinem Ohr schließen die Vögel den Mund,
für mich wird keine Wiese zum Bett.
Ich bin satt vor der Zeit
und hungre nach ihr.
Was soll nur werden?

Auf den Bergen werden nachts die Feuer brennen.
Soll ich mich aufmachen, mich allem wieder nähern?

Ich kann in keinem Weg mehr einen Weg sehen.

Ingeborg Bachmann

Klaus E. Daniel
12.07.2004, 08:41
Die schlesischen Weber
Im düstern Auge keine Träne,
Sie sitzen am Webstuhl und fletschen die Zähne:
Deutschland, wie weben dein Leichentuch,
Wir weben hinein den dreifachen Fluch -
Wir weben, wir weben!

Ein Fluch dem Gotte, zu dem wir gebeten
In Winterskälte und Hungersnöten;
Wir haben vergebens gehofft und geharrt,
Er hat uns geäfft und gefoppt und genarrt -
Wir weben, wir weben!

Ein Fluch dem König, dem König der Reichen,
Den unser Elend nicht konnte erweichen,
Der den letzten Groschen von uns erpreßt
Und uns wie Hunde erschießen läßt -
Wir weben, wir weben!

Ein Fluch dem falschen Vaterlande,
Wo nur gedeihen Schmach und Schande,
Wo jede Blume früh geknickt,
Wo Fäulnis und Moder den Wurm erquickt -
Wir weben, wir weben!

Das Schiffchen fliegt, der Webstuhl kracht,
Wir weben emsig Tag und Nacht -
Altdeutschland, wir weben dein Leichentuch,
Wir weben hinein den dreifachen Fluch,
Wir weben, wir weben!

Heinrich Heine

H.P.Lovecraft
13.07.2004, 11:20
Heinrich Heine


[Aus alten Märchen winkt es]

Aus alten Märchen winkt es
Hervor mit weißer Hand,
Da singt es und da klingt es
Von einem Zauberland:

Wo große Blumen schmachten
Im goldnen Abendlicht,
Und zärtlich sich betrachten
Mit bräutlichem Gesicht; -

Wo alle Bäume sprechen
Und singen, wie ein Chor,
Und laute Quellen brechen
Wie Tanzmusik hervor; -

Und Liebesweisen tönen,
Wie du sie nie gehört,
Bis wundersüßes Sehnen
Dich wundersüß betört!

Ach, könnt ich dorthin kommen,
Und dort mein Herz erfreun,
Und aller Qual entnommen,
Und frei und selig sein!

Ach! jenes Land der Wonne,
Das seh ich oft im Traum;
Doch kommt die Morgensonne,
Zerfließts wie eitel Schaum.

Klaus E. Daniel
13.07.2004, 13:19
Die Grenadiere

Nach Frankreich zogen zwei Grenadier,
Die waren in Russland gefangen.
Und als sie kamen ins deutsche Quartier,
Sie liessen die Köpfe hängen.

Da hörten sie beide die traurige Mär:
Dass Frankreich verloren gegangen,
Besiegt und zerschlagen das grosse Heer -
Und der Kaiser, der Kaiser gefangen.

Da weinten zusammen die Grenadier
Wohl ob der klägliche Kunde.
Der eine sprach: Wie weh wird mir,
Wie brennt meine alte Wunde!

Der andere sprach: Das Lied ist aus,
Auch ich möcht mit dir sterben,
Doch hab ich Weib und Kind zu Haus,
Die ohne mich verderben.

Was schert mich Weib, was schert mich Kind,
Ich trage weit bessres Verlangen;
Lass sie betteln gehn, wenn sie hungrig sind -
Mein Kaiser, mein Kaiser gefangen!

Gewähr mir, Bruder, eine Bitt:
Wenn ich jetzt sterben werde,
So nimm meine Leiche nach Frankreich mit,
Begrab mich in Frankreichs Erde.

Das Ehrenkreuz am roten Band
Sollst du aufs Herz mir legen;
Die Flinte gib mir in die Hand,
Und gürt mir um den Degen.

So will ich liegen und horchen still,
Wie eine Schildwach, im Grabe,
Bis einst ich höre Kanonengebrüll
Und wiehernder Rosse Getrabe.

Dann reitet mein Kaiser wohl über mein Grab,
Viel Schwerter klirren und blitzen;
Dann steig ich gewaffnet hervor aus dem Grab -
Den Kaiser, den Kaiser zu schützen.

Heinrich Heine

Klaus E. Daniel
14.07.2004, 09:24
Die Heimkehr

Wer zum ersten Male liebt,
Sei's auch glücklos, ist ein Gott;
Aber wer zum zweiten Male
Glücklos liebt, der ist ein Narr.

Ich, ein solcher Narr, ich liebe
Wieder ohne Gegenliebe;
Sonne, Mond und Sterne lachen,
Und ich lache mit - und sterbe.

Heinrich Heine

Klaus E. Daniel
15.07.2004, 08:22
Chorlied aus der Antigone

Ungeheuer ist viel. Doch nichts
ungeheurer, als der Mensch.
Denn der, über die Nacht
des Meers, wenn gegen den Winter wehet
der Südwind, fähret er aus
in geflügelten sausenden Häusern.
Und der Himmlischen erhabene Erde,
die unverderbliche, unermüdete,
reibet er auf; mit dem strebenden Pfluge,
von Jahr zu Jahr,
treibt sein Verkehr er, mit dem Rossegeschlecht,
und leichtträumender Vögel Welt
bestrickt er, und jagt sie;
und wilder Tiere Zug,
und des Pontos salzbelebte Natur
mit gesponnenen Netzen,
der kundige Mann.
Und fängt mit Künsten das Wild,
das auf den Bergen übernachtet und schweift,
und dem rauhmähnigen Rosse wirft er um
den Nacken das Joch, und dem Berge
bewandelnden unbezähmbaren Stier.

Und die Red und den luftigen
Gedanken und städtebeherrschenden Stolz
hat erlernet er, und übelwohnender
Hügel feuchte Lüfte, und
die unglücklichen zu fliehen, die Pfeile. Allbewandert,
undbewandert. Zu nichts kommt er.
Der Toten künftigen Ort nur
zu fliehen weiß er nicht,
und die Flucht unbeholfener Seuchen
zu überdenken.
Von Weisem etwas, und das Geschickte der Kunst
mehr, als er hoffen kann, besitzend,
kommt einmal er auf Schlimmes, das andre zu Gutem.
Die Gesetze kränkt er, der Erd und Naturgewaltger
beschwornes Gewissen;
hochstädtisch kommt, unstädtisch
zu nichts er, wo das Schöne
mit ihm ist und mit Freiheit.
Nicht sei am Herde mit mir,
noch gleichgesinnet,
wer solches tut.

Text von Sophokles / Übersetzung von Hölderlin

Klaus E. Daniel
16.07.2004, 15:40
Manche freilich

Manche freilich müssen drunten sterben
wo die schweren Ruder der Schiffe streifen,
andere wohnen bei dem Steuer droben,
kennen Vogelflug und die Länder der Sterne.

Manche liegen mit immer schweren Gliedern
bei den Wurzeln des verworrenen Lebens,
anderen sind die Stühle gerichtet
bei den Sibyllen, den Königinnen,
und da sitzen sie wie zu Hause,
leichten Hauptes und leichter Hände.

Doch ein Schatten fällt von jenen Leben
in die anderen Leben hinüber,
und die leichten sind an die schweren
wie an Luft und Erde gebunden.

Ganz vergessener Völker Müdigkeiten
kann ich nicht abtun von meinen Lidern,
noch weghalten von der erschrockenen Seele
stummes Niederfallen ferner Sterne.

Viele Geschicke weben neben dem meinen,
durcheinander spielt sie all das Dasein,
und mein Teil ist mehr als dieses Lebens
schlanke Flamme oder schmale Leier.

Hugo von Hofmannsthal

Klaus E. Daniel
17.07.2004, 11:57
Sachliche Romanze

Als sie einander acht Jahre kannten
(und man darf sagen sie kannten sich gut),
kam ihre Liebe plötzlich abhanden.
Wie andern Leuten ein Stock oder Hut.

Sie waren traurig, betrugen sich heiter,
versuchten Küsse, als ob nichts sei,
und sahen sich an und wussten nicht weiter.
Da weinte sie schliesslich. Und er stand dabei.

Vom Fenster aus konnte man Schiffen winken.
Er sagt, es wäre schon Viertel nach vier
und Zeit, irgendwo Kaffee zu trinken.
Nebenan übte ein Mensch Klavier.

Sie gingen ins kleinste Café am Ort
und rührten in ihren Tassen.
Am Abend sassen sie immer noch dort.
Sie sassen allein, und sie sprachen kein Wort
und konnten es einfach nicht fassen.

Erich Kästner

Klaus E. Daniel
18.07.2004, 09:53
Das trunkene Lied
O Mensch! Gib acht!
Was spricht die tiefe Mitternacht?
"Ich schlief, ich schlief -,
aus tiefem Traum bin ich erwacht: -
Die Welt ist tief,
und tiefer als der Tag gedacht.
Tief ist ihr Weh -,
Lust - tiefer noch als Herzeleid:
Weh spricht: Vergeh!
doch alle Lust will Ewigkeit -,
- will tiefe, tiefe Ewigkeit!"

Friedrich Nietzsche

Wilhelm Tell
18.07.2004, 09:56
Die Grenadiere
Nach Frankreich zogen zwei Grenadier,
Die waren in Russland gefangen.
Und als sie kamen ins deutsche Quartier,
Sie liessen die Köpfe hängen.

Da hörten sie beide die traurige Mär:
Dass Frankreich verloren gegangen,
Besiegt und zerschlagen das grosse Heer -
Und der Kaiser, der Kaiser gefangen.

Da weinten zusammen die Grenadier
Wohl ob der klägliche Kunde.
Der eine sprach: Wie weh wird mir,
Wie brennt meine alte Wunde!

Der andere sprach: Das Lied ist aus,
Auch ich möcht mit dir sterben,
Doch hab ich Weib und Kind zu Haus,
Die ohne mich verderben.

Was schert mich Weib, was schert mich Kind,
Ich trage weit bessres Verlangen;
Lass sie betteln gehn, wenn sie hungrig sind -
Mein Kaiser, mein Kaiser gefangen!

Gewähr mir, Bruder, eine Bitt:
Wenn ich jetzt sterben werde,
So nimm meine Leiche nach Frankreich mit,
Begrab mich in Frankreichs Erde.

Das Ehrenkreuz am roten Band
Sollst du aufs Herz mir legen;
Die Flinte gib mir in die Hand,
Und gürt mir um den Degen.

So will ich liegen und horchen still,
Wie eine Schildwach, im Grabe,
Bis einst ich höre Kanonengebrüll
Und wiehernder Rosse Getrabe.

Dann reitet mein Kaiser wohl über mein Grab,
Viel Schwerter klirren und blitzen;
Dann steig ich gewaffnet hervor aus dem Grab -
Den Kaiser, den Kaiser zu schützen.

Heinrich Heine


mein lieblingsgedicht...

Klaus E. Daniel
19.07.2004, 09:58
Hatten wir schonmal, Tell, aber vielen Dank für das Mitmachen.

Das nächste:
__________________________________________________ _________

Die schlesischen Weber

Im düstern Auge keine Träne,
Sie sitzen am Webstuhl und fletschen die Zähne:
Deutschland, wie weben dein Leichentuch,
Wir weben hinein den dreifachen Fluch -
Wir weben, wir weben!

Ein Fluch dem Gotte, zu dem wir gebeten
In Winterskälte und Hungersnöten;
Wir haben vergebens gehofft und geharrt,
Er hat uns geäfft und gefoppt und genarrt -
Wir weben, wir weben!

Ein Fluch dem König, dem König der Reichen,
Den unser Elend nicht konnte erweichen,
Der den letzten Groschen von uns erpreßt
Und uns wie Hunde erschießen läßt -
Wir weben, wir weben!

Ein Fluch dem falschen Vaterlande,
Wo nur gedeihen Schmach und Schande,
Wo jede Blume früh geknickt,
Wo Fäulnis und Moder den Wurm erquickt -
Wir weben, wir weben!

Das Schiffchen fliegt, der Webstuhl kracht,
Wir weben emsig Tag und Nacht -
Altdeutschland, wir weben dein Leichentuch,
Wir weben hinein den dreifachen Fluch,
Wir weben, wir weben!

Heinrich Heine

Klaus E. Daniel
20.07.2004, 08:49
Faunsflötenlied

Ich glaube an den großen Pan,
Den heiter heiligen Werdegeist;
Sein Herzschlag ist der Weltentakt,
In dem die Sonnenfülle kreist.

Es wird und stirbt und stirbt und wird;
Kein Ende und kein Anbeginn.
Sing, Flöte, dein Gebet der Lust!
Das ist des Lebens heiliger Sinn.


Otto Julius Bierbaum

Klaus E. Daniel
21.07.2004, 08:50
Lied der Parzen

Es fürchte die Götter
Das Menschengeschlecht!
Sie halten die Herrschaft
In ewigen Händen,
Und können sie brauchen,
Wie's ihnen gefällt.

Der fürchte sie doppelt
Den je sie erheben!
Auf Klippen und Wolken
Sind Stühle bereitet
Um goldene Tische.

Erhebet ein Zwist sich,
So stürzen die Gäste,
Geschmäht und geschändet
In nächtliche Tiefen,
Und harren vergebens,
Im Finstern gebunden,
Gerechten Gerichtes.

Sie aber, sie bleiben
In ewigen Festen
An goldenen Tischen.
Sie schreiten vom Berge
Zu Bergen hinüber:
Aus Schlünden der Tiefe
Dampft ihnen der Atem
Erstickter Titanen,
Gleich Opfergerüchen,
Ein leichtes Gewölke.

Es wenden die Herrscher
Ihr segnendes Auge
Von ganzen Geschlechtern
Und meiden, im Enkel
Die ehmals geliebten,
Still redenden Züge
Des Ahnherrn zu sehn.

So sangen die Parzen;
Es horcht der Verbannte,
In nächtlichen Höhlen
Der Alte die Lieder,
Denkt Kinder und Enkel
Und schüttelt das Haupt.


Johann Wolfgang von Goethe aus Iphigenie auf Tauris

Klaus E. Daniel
24.07.2004, 16:45
Durch jede Stunde...

Durch jede Stunde, durch jedes Wort
blutet die Wunde der Schöpfung fort,
verwandelnd Erde und tropft den Seim
ans Herz dem Werde und kehret heim.
Gab allem Flügel, was Gott erschuf,
den Skythen die Bügel dem Hunnen den Huf -
nur nicht fragen, nur nicht verstehn;
den Himmel tragen, die weitergehn,
nur diese Stunde ihr Sagenlicht
und dann die Wunde, mehr gibt es nicht.
Die Äcker bleichen, der Hirte rief,
das ist das Zeichen: tränke dich tief,
den Blick in Bläue, ein Ferngesicht:
das ist die Treue, mehr gibt es nicht,
Treue den Reichen, die alles sind,
Treue dem Zeichen, wie schnell es rinnt,
ein Tausch, ein Reigen, ein Sagenlicht,
ein Rausch aus Schweigen, mehr gibt es nicht.

Benn, 1933

Klaus E. Daniel
26.07.2004, 10:18
Der Einsame

Verhaßt ist mir das Folgen und das Führen.
Gehorchen? Nein! Und aber nein - Regieren!
Wer sich nicht schrecklich ist, macht niemand Schrecken:
Und nur wer Schrecken macht, kann andre führen.
Verhaßt ist mirs schon, selber mich zu führen!
Ich liebe es, gleich Wald- und Meerestieren,
mich für ein gutes Weilchen zu verlieren,
in holder Irrnis grüblerisch zu hocken,
von ferne her mich endlich heimzulocken,
mich selber zu mir selber - zu verführen.

Friedrich Nietzsche

H.P.Lovecraft
26.07.2004, 14:02
Schicksalstage
Gedicht von Nietzsche aus "Zarathustras Wiederkehr"

Wenn die trüben Tage grauen,
Kalt und feindlich blickt die Welt,
Findet scheu sich Dein Vertrauen,
Ganz auf sich allein gestellt.
Aber in dich selbst verwiesen,
Aus der alten Freuden Land,
Siehst Du neuen Paradiesen,
Deinen Glauben zugewandt.
Als dein eigenstes erkennst du,
Was dir fremd und feind erschien,
Und mit neuem Namen nennst du,
Dein Geschick und und nimmst es hin.
Was dich zu erdrücken drohte,
zeigt sich freundlich atmet Geist,
Ist ein Führer ist ein Bote,
Der dich hoch und höher weist.

Klaus E. Daniel
26.07.2004, 14:23
Zwischen Raubvögeln.

Wer hier hinabwill,
wie schnell
schluckt den die Tiefe!
- Aber du, Zarathustra,
liebst den Abgrund noch,
tust der Tanne es gleich? -

Die schlägt Wurzeln, wo
der Fels selbst schaudernd
zur Tiefe blickt -,
die zögert an Abgründen,
wo Alles rings
hinunter will:
zwischen der Ungeduld
wilden Gerölls, stürzenden Bachs
geduldig duldend, hart, schweigsam,
einsam ...

Einsam!
Wer wagte es auch,
hier Gast zu sein,
dir Gast zu sein?...
Ein Raubvogel vielleicht:
der hängt sich wohl
dem standhaften Dulder
schadenfroh ins Haar,
mit irrem Gelächter,
einem Raubvogel-Gelächter ...
Wozu so standhaft?
- höhnt er grausam:
man muss Flügel haben, wenn man den Abgrund liebt ...
man muss nicht hängen bleiben,
wie du, Gehängter! -

Oh Zarathustra,
grausamster Nimrod!
jüngst Jäger noch Gottes,
das Fangnetz aller Tugend,
der Pfeil des Bösen!
Jetzt -
von dir selber erjagt,
deine eigene Beute,
in dich selber eingebohrt ...
Jetzt -
einsam mit dir,
zwiesam im eignen Wissen,
zwischen hundert Spiegeln
vor dir selber falsch,
zwischen hundert Erinnerungen
ungewiss,
an jeder Wunde müd,
an jedem Froste kalt,
in eignen Stricken gewürgt,
Selbstkenner!
Selbsthenker!

Was bandest du dich
mit dem Strick deiner Weisheit?
Was locktest du dich
ins, Paradies der alten Schlange?
Was schlichst du dich ein
in dich - in dich? ...
Ein Kranker nun,
der an Schlangengift krank ist;
ein Gefangner nun,
der das härteste Los zog:
im eignen Schachte
gebückt arbeitend,
in dich selber eingehöhlt,
dich selber angrabend,
unbehülflich,
steif,
ein Leichnam -,
von hundert Lasten übertürmt,
von dir überlastet,
ein Wissender! ein Selbsterkenner!
der weise Zarathustra! ...
Du suchtest die schwerste Last:
da fandest du dich -,
du wirfst dich nicht ab von dir ...

Lauernd,
kauernd,
Einer, der schon nicht mehr aufrecht steht!
Du verwächst mir noch mit deinem Grabe,
verwachsener Geist!

Und jüngst noch so stolz,
auf allen Stelzen deines Stolzes!
Jüngst noch der Einsiedler ohne Gott,
der Zweisiedler mit dem Teufel,
der scharlachne Prinz jedes Übermuts! ...

Jetzt -
zwischen zwei Nichtse
eingekrümmt,
ein Fragezeichen,
ein müdes Rätsel -
ein Rätsel für Raubvögel ...
sie werden dich schon "lösen",
sie hungern schon nach deiner "Lösung",
sie flattern schon um dich, ihr Rätsel,
um dich, Gehenkter! ...
Oh Zarathustra! ...
Selbstkenner! ...
Selbsthenker! ...

Friedrich Nietzsche

Klaus E. Daniel
27.07.2004, 09:43
... Nun steckt aber in jedem Fall, auch im alltäglichsten von Liebe,
der Grenzfall, den wir, bei näherem Zusehen, erblicken können und
vielleicht uns bemühen sollten, zu erblicken.
Denn bei allem, was wir tun, denken und fühlen, möchten wir manchmal
bis zum Äußersten gehen. Der Wunsch wird in uns wach, die Grenzen zu
überschreiten, die uns gesetzt sind. Nicht um mich zu widerrufen,
sondern um es deutlicher zu ergänzen, möchte ich sagen: Es ist auch
mir gewiß, daß wir in der Ordnung bleiben müssen, daß es den Austritt
aus der Gesellschaft nicht gibt und wir uns aneinander prüfen müssen.
Innerhalb der Grenzen aber haben wir den Blick gerichtet auf das
Vollkommene, das Unmögliche, Unerreichbare, sei es der Liebe, der
Freiheit oder jeder reinen Größe. Im Widerspiel des Unmöglichen mit dem
Möglichen erweitern wir unsere Möglichkeiten. Daß wir es erzeugen,
dieses Spannungsverhältnis, an dem wir wachsen, darauf, meine ich,
kommt es an; daß wir uns orientieren an einem Ziel, das freilich, wenn
wir uns nähern, sich noch einmal entfernt. ...

Ingeborg Bachmann
"Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar"

Klaus E. Daniel
28.07.2004, 10:13
Die Heimkehr

Wer zum ersten Male liebt,
Sei's auch glücklos, ist ein Gott;
Aber wer zum zweiten Male
Glücklos liebt, der ist ein Narr.

Ich, ein solcher Narr, ich liebe
Wieder ohne Gegenliebe;
Sonne, Mond und Sterne lachen,
Und ich lache mit - und sterbe.

Heinrich Heine

Schwind
28.07.2004, 12:44
Ich weiß nicht, ob es bereits eingetragen wurde, aber wenn es fehlt, dann fehlt es wirklich. Eines meiner Favoriten:

Prometheus

Bedecke deinen Himmel, Zeus,
Mit Wolkendunst
Und übe, dem Knaben gleich,
Der Disteln köpft,
An Eichen dich und Bergeshöhn;
Mußt mir meine Erde
Doch lassen stehn
Und meine Hütte, die du nicht gebaut,
Und meinen Herd,
Um dessen Glut
Du mich beneidest.

Ich kenne nichts Ärmeres
Unter der Sonn als euch, Götter!
Ihr nähret kümmerlich
Von Opfersteuern
Und Gebetshauch
Eure Majestät
Und darbtet, wären
Nicht Kinder und Bettler
Hoffnungsvolle Toren.

Da ich ein Kind war,
Nicht wußte, wo aus noch ein,
Kehrt ich mein verirrtes Auge
Zur Sonne, als wenn drüber wär
Ein Ohr, zu hören meine Klage,
Ein Herz wie meins,
Sich des Bedrängten zu erbarmen.

Wer half mir
Wider der Titanen Übermut?
Wer rettete vom Tode mich,
Von Sklaverei?
Hast du nicht alles selbst vollendet,
Heilig glühend Herz?
Und glühtest jung und gut,
Betrogen, Rettungsdank
Dem Schlafenden da droben?

Ich dich ehren? Wofür?
Hast du die Schmerzen gelindert
Je des Beladenen?
Hast du die Tränen gestillet
Je des Geängsteten?
Hat nicht mich zum Manne geschmiedet
Die allmächtige Zeit
Und das ewige Schicksal,
Meine Herrn und deine?

Wähntest du etwa,
Ich sollte das Leben hassen,
In Wüsten fliehen,
Weil nicht alle
Blütenträume reiften?

Hier sitz ich, forme Menschen
Nach meinem Bilde,
Ein Geschlecht, das mir gleich sei,
Zu leiden, zu weinen,
Zu genießen und zu freuen sich,
Und dein nich zu achten,
Wie ich!

Johann Wolfgang von Goethe, 1773

Klaus E. Daniel
29.07.2004, 15:28
Ick sitze da und esse Klops.
Uff eenmal kloppt's.
Ick sitze, kieke, wundre mir,
uff eenmal is se uff de Tür.
Nanu denk ick, ick denk nanu!
Jetzt is se uff erst war sie zu.
Und ick geh raus und kieke.
Und wer steht draußen?
Icke

Author unbekannt - aber schööön.

Klaus E. Daniel
30.07.2004, 11:01
Wo ich wohne

Als ich das Fenster öffnete,
schwammen Fische ins Zimmer,
Heringe. Es schien
eben ein Schwarm vorüberzuziehen.
Auch zwischen den Birnbäumen spielten sie.
Die meisten aber
hielten sich noch im Wald,
über den Schonungen und den Kiesgruben.

Sie sind lästig. Lästiger aber sind noch die Matrosen
(auch höhere Ränge, Steuerleute, Kapitäne),
die vielfach ans offene Fenster kommen
und um Feuer bitten für ihren schlechten Tabak.

Ich will ausziehen.

Günter Eich

Klaus E. Daniel
31.07.2004, 16:10
Todesfuge.

Schwarze Milch der Frühe wir trinken sie abends
wir trinken sie mittags und morgens wir trinken sie nachts
wir trinken und trinken
wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng
Ein Mann wohnt im Haus der spielt mit den Schlangen der schreibt
der schreibt wenn es dunkelt nach Deutschland dein goldenes Haar Margarete
er schreibt es und tritt vor das Haus und es blitzen die Sterne und er pfeift seine Rüden herbei
er pfeift seine Juden hervor lässt schaufeln ein Grab in der Erde
er befiehlt uns spielt auf nun zum Tanz

Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts
wir trinken dich morgens und mittags wir trinken dich abends
wir trinken und trinken
Ein Mann wohnt im Haus der spielt mit den Schlangen der schreibt
der schreibt wenn es dunkelt nach Deutschland dein goldenes Haar Margarete
Dein aschenes Haar Sulamith wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng

Er ruft stecht tiefer ins Erdreich ihr einen ihr anderen singet und spielt
er greift nach dem Eisen im Gurt er schwingts seine Augen sind blau
stecht tiefer die Spaten ihr einen ihr andern spielt weiter zum Tanz auf

Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts
wir trinken dich mittags und morgens wir trinken dich abends
wir trinken und trinken
ein Mann wohnt im Haus dein goldenes Haar Margarete
dein aschenes Haar Sulamith er spielt mit den Schlangen

Er ruft spielt süsser den Tod der Tod ist ein Meister aus Deutschland
er ruft streicht dunkler die Geigen dann steigt ihr als Rauch in die Luft
dann habt ihr ein Grab in den Wolken da liegt man nicht eng

Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts
wir trinken dich mittags der Tod ist ein Meister aus Deutschland
wir trinken dich abends und morgens wir trinken und trinken
der Tod ist ein Meister aus Deutschland sein Auge ist blau
er trifft dich mit bleierner Kugel er trifft dich genau
ein Mann wohnt im Haus dein goldenes Haar Margarete
er hetzt seine Rüden auf uns er schenkt uns ein Grab in der Luft
er spielt mit den Schlangen und träumet der Tod ist ein Meister aus Deutschland

dein goldenes Haar Margarete
dein aschenes Haar Sulamith

Text von Paul Celan (1947)

Klaus E. Daniel
02.08.2004, 10:41
Auf besonderen Wunsch von Heinz:


Die andere Möglichkeit

Wenn wir den Krieg gewonnen hätten,
mit Wogenprall und Sturmgebraus,
dann wäre Deutschland nicht zu retten
und gliche einem Irrenhaus

Man würde uns nach Noten zähmen
wie einen wilden Völkerstamm.
Wir sprängen, wenn Sergeanten kämen,
vom Trottoir und stünden stramm.

Wenn wir den Krieg gewonnen hätten,
dann wären wir ein stolzer Staat.
Und pressten noch in unsern Betten
die Hände an die Hosennaht.

Die Frauen müssten Kinder werfen,
Ein Kind im Jahre. Oder Haft.
Der Staat braucht Kinder als Konserven.
Und Blut schmeckt ihm wie Himbeersaft.

Wenn wir den Krieg gewonnen hätten,
dann wär der Himmel national.
Die Pfarrer trügen Epauletten.
Und Gott wär deutscher General.

Die Grenze wär ein Schützengraben.
Der Mond wär ein Gefreitenknopf.
Wir würden einen Kaiser haben
und einen Helm statt einem Kopf.

Wenn wir den Krieg gewonnen hätten,
dann wäre jedermann Soldat.
Ein Volk der Laffen und Lafetten!
Und ringsherum wär Stacheldraht!

Dann würde auf Befehl geboren.
Weil Menschen ziemlich billig sind.
Und weil man mit Kanonenrohren
allein die Kriege nicht gewinnt.

Dann läge die Vernunft in Ketten.
Und stünde stündlich vor Gericht.
Und Kriege gäb's wie Operetten.
Wenn wir den Krieg gewonnen hätten -
zum Glück gewannen wir ihn nicht!

Erich Kästner

Klaus E. Daniel
02.08.2004, 10:46
Weter:

Kurzgefasster Lebenslauf

Wer nicht zur Welt kommt, hat nicht viel verloren.
Er sitzt im All auf einem Baum und lacht.
Ich wurde seinerzeit als Kind geboren,
eh ich's gedacht.

Die Schule, wo ich viel vergessen habe,
bestritt seitdem den grössten Teil der Zeit.
Ich war ein patentierter Musterknabe.
Wie kam das bloss? Es tut mir jetzt noch leid.

Dann gab es Weltkrieg, statt der grossen Ferien.
Ich trieb es mit der Fussartillerie.
Dem Globus lief das Blut aus den Arterien.
Ich lebte weiter. Fragen Sie nicht, wie.

Bis dann die Inflation und Leipzig kamen;
Mit Kant und Gotisch, Börse und Büro,
mit Kunst und Politik und jungen Damen.
Und sonntags regnete es sowieso.

Nun bin ich zirka 31 Jahre
Und habe eine kleine Versfabrik.
Ach, an den Schläfen blühn schon graue Haare,
Und meine Freunde werden langsam dick.

Ich setze mich gerne zwischen Stühle.
Ich säge an dem Ast, auf dem wir sitzen.
Ich gehe durch die Gärten der Gefühle,
die tot sind, und bepflanze sie mit Witzen.

Auch ich muss meinen Rucksack selber tragen!
Der Rucksack wächst. Der Rücken wird nicht breiter
Zusammenfassend lässt sich etwas sagen:
Ich kam zur Welt und lebe trotzdem weiter.

(1930) Erich Kästner

Klaus E. Daniel
02.08.2004, 10:50
Weiter:

Marschliedchen

Ihr und die Dummheit zieht in Viererreihen
In die Kasernen der Vergangenheit
Glaubt nicht, dass wir uns wundern, wenn ihr schreit
Denn was ihr denkt und tut, das ist zum Schreien

Ihr kommt daher und lasst die Seele kochen
Die Seele kocht und die Vernunft erfriert
Ihr liebt das Leben erst, wenn ihr marschiert
Weil dann gesungen wird und nicht gesprochen

Marschiert vor Prinzen, die erschüttert weinen:
Ihr findet doch nur als Parade statt!
Es heißt ja: Was man nicht im Kopfe hat,
Hat man gerechterweise in den Beinen

Ihr liebt den Hass und wollt die Welt dran messen
Ihr werft dem Tier im Menschen Futter hin
Damit es wächst, das Tier tief in euch!
Das Tier im Menschen soll den Menschen fressen

Ihr möchtet auf den Trümmern Rüben bauen
Und Kirchen und Kasernen wie noch nie
Ihr sehnt euch heim zur alten Dynastie
Und möchtet Fideikommißbrot kauen

Ihr wollt die Uhrenzeiger rückwärts drehen
Und glaubt, das ändere der Zeiten Lauf
Dreht an der Uhr! Die Zeit hält niemand auf!
Nur eure Uhr wird nicht mehr richtig gehen

Wie ihr's euch träumt, wird Deutschland nie erwachen
Denn ihr seid dumm und seid nicht auserwählt
Die Zeit wird kommen, da man sich erzählt:
Mit diesen Leuten war kein Staat zu machen!

Erich Kästner 1932

Klaus E. Daniel
02.08.2004, 10:53
Weiter und erstmal Schluß:

Spruch in der Silvesternacht

Man soll das Jahr nicht mit Programmen
beladen wie ein krankes Pferd.
Wenn man es allzu sehr beschwert,
bricht es zu guter Letzt zusammen.

Je üppiger die Pläne blühen,
um so verzwickter wird die Tat.
Man nimmt sich vor, sich zu bemühen,
und schließlich hat man den Salat!

Es nützt nicht viel, sich rotzuschämen.
Es nützt nichts, und es schadet bloß,
sich tausend Dinge vorzunehmen.
Lasst das Programm! Und bessert euch drauflos!

Erich Kästner

houndstooth
04.08.2004, 11:02
Das Gedicht in Posting # 336 hatte es mir bei einer frueheren Posting schon mal angetan : wie treffend mit so wenigen Worten E. Kaestner so viel Wissen
in ein Gedicht verpackt hat. Mit Gedichten finde ich ,ist es ebenso wie mit guten Gemaelden , guter Musik und guten Freunden - jeh oefter man sie besucht, desto mehr entdeckt man.

Klaus, an dieser Stelle moechte ich Dir fuer die viele Arbeit die Du in die Literaturabteilung gehaengt hast, danken und versichern, dass sie nicht umsonst war.

Nochmals Dank fuer die Kaestnergedichte :]

Take good care of yourself Klaus!

Mit herzlichem Gruss

Bis dann...Heinz

Kenshin-Himura
02.08.2007, 03:40
Einige Gedichte von Erich Fried:

Erich Fried (1921 - 1988): "Die Anfrage"

Mit Verleumdung und Unterdrückung
und Kommunistenverbot
und Todesschüssen in Notwehr
auf unbewaffnete Linke
gelang es den Herrschenden
eine handvoll empörte Empörer
Ulrike Meinhof
Horst Mahler
und einige mehr
so weit zu treiben
dass sie den Sinn verloren
für das was in dieser Gesellschaft
verwirklichbar ist

Was weiter geschah
war eigentlich zu erwarten:
Wieder Menschenjagd
Wieder Todesschüsse in Notwehr
die bekannten Justizmethoden
die bekannten Zeitungsartikel
und die Urteile gegen Horst Mahler
und gegen Ulrike Meinhof

Aber Anfrage an die Justiz
betreffend die Länge der Strafen:
Wieviel tausend Juden
muss ein Nazi ermordet haben
um heute verurteilt zu werden
zu so lange Haft?

Erich Fried - Gedicht ,,Antwort":

Antwort

Zu den Steinen
hat einer gesagt:
seid menschlich

Die Steine haben gesagt:
Wir sind noch nicht
hart genug

Erich Fried - Einerlei

Einerlei

"Nichts was nicht neu ist"
sagt ihr:
"Das Alte langweilt"

Nun gut:
Es wurde schon einmal
gelebt
es wurde schon einmal
geliebt
es wurde schon einmal
gerufen
zum Aufstand

Es wurde schon einmal
gebangt um ein krankes Kind
schon einmal ein Kampf
um das Recht und die Freiheit verloren
Es wurde schon einmal
alt geworden
gestorben

Also lohnt es sich nicht mehr
f r uns
zu leben zu lieben
uns aufzulehnen
zu hoffen
zu bangen
zu altern
zu sterben

Das alles ist nicht mehr neu
Das langweilt
euch Tote

Erich Fried - Inschrift

Inschrift

Sag
in was
schneide ich
deinen Namen?
In den Himmel?
Der ist zu hoch
In die Wolken?
Die sind zu fl chtig
In den Baum
der gef llt und verbrannt wird?
Ins Wasser
das alles fortschwemmt?
In die Erde
die man zertritt
und in der nur
die Toten liegen?
Sag
in was
schneide ich
deinen Namen?
In mich
und in mich
und immer tiefer
in mich

Erich Fried - ,,Was es ist"

Was es ist

Es ist Unsinn
sagt die Vernunft
Es ist was es ist
sagt die Liebe

Es ist Ungl ck
sagt die Berechnung
Es ist nichts als Schmerz
sagt die Angst
Es ist aussichtslos
sagt die Einsicht
Es ist was es ist
sagt die Liebe

Es ist l cherlich
sagt der Stolz
Es ist leichtsinnig
sagt die Vorsicht
Es ist unm glich
sagt die Erfahrung
Es ist was es ist
sagt die Liebe

Quelle: http://www.ichdarfdas.ch/ichdarfdas/erich.htm

Kenshin-Himura
02.08.2007, 04:46
Zwei weitere Gedichte von Erich Fried:

Erich Fried - Den Herrschenden

Den Herrschenden

Hat es euch Herz und Augen ausgebrannt?
Sind nicht mehr zehn Gerechte in dem Land?
Ihr seid nicht tierisch, denn so schlägt kein Tier.
Keins eurer Opfer ist so tot wie ihr.

Erich Fried - Gedicht - ,,Die Abnehmer"

Die Abnehmer

Einer nimmt uns das Denken ab
Es genügt
seine Schriften zu lesen
und manchmal dabei zu nicken

Einer nimmt uns das Fühlen ab
Seine Gedichte
erhalten Preise
und werden häufig zitiert

Einer nimmt uns
die großen Entscheidungen ab
über Krieg und Frieden
Wir wählen ihn immer wieder

Wir müssen nur
auf zehn bis zwölf Namen schwören
Das ganze Leben
nehmen sie uns dann ab

Quelle: http://www.ichdarfdas.ch/ichdarfdas/erich.htm

Kenshin-Himura
09.08.2007, 17:58
Erich Kästner: Das letzte Kapitel (1930)

Am 12. Juli des Jahres 2003

lief folgender Funkspruch rund um die Erde:

Dass ein Bombengeschwader der Luftpolizei

die gesamte Menschheit ausrotten werde.



Die Weltregierung, so wurde erklärt, stelle fest,

dass der Plan, endgültig Frieden zu stiften,

sich gar nicht anders verwirklichen lässt,

als alle Beteiligten zu vergiften.



Zu fliehen, wurde erklärt, habe keinen Zweck.

Nicht eine Seele dürfe am Leben bleiben.

Das neue Giftgas krieche in jedes Versteck.

Man habe nicht einmal nötig, sich selbst zu entleiben.



Am 13. Juli flogen von Boston eintausend

mit Gas und Bazillen beladene Flugzeuge fort

und vollbrachten, rund um den Globus sausend,

den von der Weltregierung befohlenen Mord.



Die Menschen krochen winselnd unter die Betten.

Sie stürzten in ihre Keller und in den Wald.

Das Gift hing gelb wie Wolken über den Städten.

Millionen Leichen lagen auf dem Asphalt.



Jeder dachte, er könne dem Tod entgehen.

Keiner entging dem Tod, und die Welt wurde leer.

Das Gift war überall. Es schlich wie auf Zehen.

Es lief die Wüsten entlang. Und es schwamm übers Meer.



Die Menschen lagen gebündelt wie faulende Garben.

Andre hingen wie Puppen zum Fenster heraus.

Die Tiere im Zoo schrien schrecklich, bevor sie starben.

Und langsam löschten die großen Hochöfen aus.



Dampfer schwankten im Meer, beladen mit Toten.

Und weder Weinen noch Lachen war mehr auf der Welt.

Die Flugzeuge irrten, mit tausend toten Piloten,

unter dem Himmel und sanken brennend ins Feld.



Jetzt hatte die Menschheit endlich erreicht, was sie wollte.

Zwar war die Methode nicht ausgesprochen human.

Die Erde war aber endlich still und zufrieden und rollte,

völlig beruhigt, ihre bekannte elliptische Bahn.

marc
23.10.2007, 15:17
ein bisschen paul celan:

EINMAL,
da hörte ich ihn,
da wusch er die Welt,
ungesehn, nachtlang,
wirklich.

Eins und Unendlich,
vernichtet,
ichten.

Licht war. Rettung.
___________________

Fadensonnen

über der grauschwarzen Ödnis.
Ein baum-
hoher Gedanke
greift sich den Lichtton: es sind
noch Lieder zu singen jenseits
der Menschen.

marc
02.11.2007, 16:19
und jetzt ein bisschen ingeborg bachmann:

Böhmen liegt am Meer

Sind hierorts Häuser grün, tret ich noch in ein Haus.
Sind hier die Brücken heil, geh ich auf gutem Grund.
Ist Liebesmüh in alle Zeit verloren, verlier ich sie hier gern.
Bin ich's nicht, ist es einer, der ist so gut wie ich.
Grenzt hier ein Wort an mich, so laß ich's grenzen.
Liegt Böhmen noch am Meer, glaub ich den Meeren wieder.
Und glaub ich noch ans Meer, so hoffe ich auf Land.
Bin ich's, so ist's ein jeder, der ist soviel wie ich.
Ich will nichts mehr für mich. Ich will zugrunde gehn.
Zugrund - das heißt zum Meer, dort find ich Böhmen wieder.
Zugrund gerichtet, wach ich ruhig auf.
Von Grund auf weiß ich jetzt, und ich bin unverloren.
Kommt her, ihr Böhmen alle, Seefahrer, Hafenhuren und Schiffe
unverankert. Wollt ihr nicht böhmisch sein, Illyrer, Veroneser,
und Venezianer alle. Spielt die Komödien, die lachen machen

Und die zum Weinen sind. Und irrt euch hundertmal,
wie ich mich irrte und Proben nie bestand,
doch hab ich sie bestanden, ein um das andre Mal.

Wie Böhmen sie bestand und eines schönen Tags
ans Meer begnadigt wurde und jetzt am Wasser liegt.

Ich grenz noch an ein Wort und an ein andres Land,
ich grenz, wie wenig auch an alles inner mehr,
ein Böhme, ein Vagant, der nichts hat, den nichts hält,
begabt nur noch, vom Meer, das strittig ist, Land meiner Wahl zu sehen.

____________________________________


Entfremdung
In den Bäumen kann ich keine Bäume mehr sehen.
Die Äste haben nicht die Blätter, die sie in den Wind halten.
Die Früchte sind süß, aber ohne Liebe.
Sie sättigen nicht einmal.
Was soll nur werden?
Vor meinen Augen flieht der Wald,
vor meinem Ohr schließen die Vögel den Mund,
für mich wird keine Wiese zum Bett.
Ich bin satt vor der Zeit
und hungre nach ihr.
Was soll nur werden?

Auf den Bergen werden nachts die Feuer brennen.
Soll ich mich aufmachen, mich allem wieder nähern?

Ich kann in keinem Weg mehr einen Weg sehen.

___________________________________________-


Fall ab, Herz
Fall ab, Herz vom Baum der Zeit,
fallt, ihr Blätter, aus den erkalteten Ästen,
die einst die Sonne umarmt',
fallt, wie Tränen fallen aus dem geweiteten Aug!

Fliegt noch die Locke taglang im Wind
um des Landgotts gebräunte Stirn,
unter dem Hemd preßt die Faust
schon die klaffende Wunde.

Drum sei hart, wenn der zarte Rücken der Wolken
sich dir einmal noch beugt,
nimm es für nichts, wenn der Hymettos die Waben
noch einmal dir füllt.

Denn wenig gilt dem Landmann ein Halm in der Dürre,
wenig ein Sommer vor unserem großen Geschlecht.

Und was bezeugt schon dein Herz?
Zwischen gestern und morgen schwingt es,
lautlos und fremd,
und was es schlägt,
ist schon sein Fall aus der Zeit.

Mondmann
02.11.2007, 17:48
Mal etwas vom argentinischen Poeten Roberto Juarroz aus dessen dreizehnter vertikalen Poesie.

Schweigsam unter Wörtern,
fast blind unter Augen,
jenseits der Ellenbogen des Lebens
und eingenommen für einen Gott,der reine
Abwesenheit ist,
renke ich den Fehler aus,Mensch zu sein,
und verbessere mit Geduld diesen Fehler.

So verdunkle ich die Fenster des Tages,
öffne die Türen der Nacht,
entschärfe die Gesichter bis auf die Knochen,
hole die Stille aus ihrer Höhle,
drehe jeden Gegenstand um
und setzte mich mit dem Rücken zu allem.

Ich suche und finde auch nicht mehr,
bin weder hier noch woanders,
verliere mich jenseits der Schlaflosigkeit,
widme mich den Rändern des Menschen
und pflege in einem hinteren Winkel,der nicht
existiert
die kleinste Zärtlichkeit des Nichtseins.


Wenn die Welt feiner wird,
als wäre sie kaum ein Faden,
können unsere ungeschickten Hände
sich an nichts mehr festklammern.

Man hat uns die einzige Übung,
die uns retten könnte,nicht beigebracht:
uns an einen Schatten festhalten lernen.


Alles aufgeben.
Da beginnt das Offene.

Dann kann ein beliebiger Schritt
der erste sein
Oder irgendeine Geste erreicht,
alle Gesten zu vereinen.

Alles aufgeben.
Zulassen,daß sich die Türen,
die fehlen,von selbst öffnen.

Oder besser:
zulassen,daß sie sich nicht öffnen.

Mondmann
02.11.2007, 17:55
und jetzt ein bisschen ingeborg bachmann:

Böhmen liegt am Meer

Sind hierorts Häuser grün, tret ich noch in ein Haus.
Sind hier die Brücken heil, geh ich auf gutem Grund.
Ist Liebesmüh in alle Zeit verloren, verlier ich sie hier gern.
Bin ich's nicht, ist es einer, der ist so gut wie ich.
Grenzt hier ein Wort an mich, so laß ich's grenzen.
Liegt Böhmen noch am Meer, glaub ich den Meeren wieder.
Und glaub ich noch ans Meer, so hoffe ich auf Land.
Bin ich's, so ist's ein jeder, der ist soviel wie ich.
Ich will nichts mehr für mich. Ich will zugrunde gehn.
Zugrund - das heißt zum Meer, dort find ich Böhmen wieder.
Zugrund gerichtet, wach ich ruhig auf.
Von Grund auf weiß ich jetzt, und ich bin unverloren.
Kommt her, ihr Böhmen alle, Seefahrer, Hafenhuren und Schiffe
unverankert. Wollt ihr nicht böhmisch sein, Illyrer, Veroneser,
und Venezianer alle. Spielt die Komödien, die lachen machen

Und die zum Weinen sind. Und irrt euch hundertmal,
wie ich mich irrte und Proben nie bestand,
doch hab ich sie bestanden, ein um das andre Mal.

Wie Böhmen sie bestand und eines schönen Tags
ans Meer begnadigt wurde und jetzt am Wasser liegt.

Ich grenz noch an ein Wort und an ein andres Land,
ich grenz, wie wenig auch an alles inner mehr,
ein Böhme, ein Vagant, der nichts hat, den nichts hält,
begabt nur noch, vom Meer, das strittig ist, Land meiner Wahl zu sehen.

____________________________________


Entfremdung
In den Bäumen kann ich keine Bäume mehr sehen.
Die Äste haben nicht die Blätter, die sie in den Wind halten.
Die Früchte sind süß, aber ohne Liebe.
Sie sättigen nicht einmal.
Was soll nur werden?
Vor meinen Augen flieht der Wald,
vor meinem Ohr schließen die Vögel den Mund,
für mich wird keine Wiese zum Bett.
Ich bin satt vor der Zeit
und hungre nach ihr.
Was soll nur werden?

Auf den Bergen werden nachts die Feuer brennen.
Soll ich mich aufmachen, mich allem wieder nähern?

Ich kann in keinem Weg mehr einen Weg sehen.

___________________________________________-


Fall ab, Herz
Fall ab, Herz vom Baum der Zeit,
fallt, ihr Blätter, aus den erkalteten Ästen,
die einst die Sonne umarmt',
fallt, wie Tränen fallen aus dem geweiteten Aug!

Fliegt noch die Locke taglang im Wind
um des Landgotts gebräunte Stirn,
unter dem Hemd preßt die Faust
schon die klaffende Wunde.

Drum sei hart, wenn der zarte Rücken der Wolken
sich dir einmal noch beugt,
nimm es für nichts, wenn der Hymettos die Waben
noch einmal dir füllt.

Denn wenig gilt dem Landmann ein Halm in der Dürre,
wenig ein Sommer vor unserem großen Geschlecht.

Und was bezeugt schon dein Herz?
Zwischen gestern und morgen schwingt es,
lautlos und fremd,
und was es schlägt,
ist schon sein Fall aus der Zeit.

Einen sehr schönen Auszug hast Du da zusammengestellt.
Vielleicht schafft man es ja mit gebündelter Kraft,diesem Strang wieder ein wenig mehr Leben einzuhauchen.

Sofia
03.11.2007, 08:57
Sein Unglück ausatmen können
tief ausatmen
sodass man wieder einatmen kann
Und vielleicht auch
sein Unglück sagen können
in Worten
in wirklichen Worten
die zusammenhängen
und Sinn haben
und die man selbst noch verstehen kann
und die vielleicht sogar irgendwer sonst versteht
oder verstehen könnte


und weinen können


Das wäre schon fast wieder Glück

Erich Fried

nambur
12.11.2007, 23:35
Ist der Moderation des Forums eigentlich klar, dass in diesem Thread laufend gegen das Urheberrecht verstoßen wird? Zum Beispiel bei: Bachmann, Gernhardt, Benn, Celan usw.

Die Schutzdauer beträgt 70 Jahre, gezählt vom Todesjahr des Autors an (post mortem auctoris, p.m.a. - § 64 UrhG).

Mir ist das egal, ich habe viele der Gedichte in diesem Thread gerne gelesen. Trotzdem - wenn hier ein Erbsenzähler auftaucht, könnte es ziemlichen Ärger geben.

Ich schreibe selbst auch Gedichte, schon seit Jahren – allerdings keine besonders erbaulichen. Hier eine Kostprobe:


warten auf frauchen

ich bin ein bunter hund der farben bellt
in meinen lefzen duseln gefühle zu verbiss
ich sehne nach dem traum der straßenlampe
ich habe wolfsaugen
ich bin das infrarote tier
ich gebe blut für tausend zeckenküsse
die sonne stirbt im traum der straßenlampe
ich winsele vor ihrem schimmer
ich knurre liebe



Gruß nambur

Rikimer
28.01.2008, 17:55
"Suche nicht das Heil im Westen!
In der Fremde wohnt kein Glück -
Suchst du deines Glückes Vesten,
Kehre in dich selbst zurück!

Aus der Tugend deiner Ahnen
Musst du deine Burgen baun,
Und der Löw' auf deinen Fahnen
Lehre dich dir selbst vertraun.

Treu bewahr' in deiner Mitte
Vor dem wälschen Uebermuth
Deine Sprach' und deine Sitte,
Deiner Väter Gut und Blut.

Dann erst kannst du rühmend sagen,
Daß du lebst in unsrer Zeit,
Daß erblüht in unsern Tagen
Deine alte Herrlichkeit."

von:
August Heinrich Hoffmann von Fallersleben

:)

MfG

Rikimer

-SG-
20.02.2008, 16:07
Deutsches Lustspiel.

Thoren hätten wir wohl, wir hätten Fratzen die Menge;
Leider helfen sie nur selbst zur Komödie nichts.


(Friedrich Schiller)

marc
23.02.2008, 23:25
Hilde Domin - Mit leichtem Gepäck

Gewöhn dich nicht.
Du darfst dich nicht gewöhnen.
Eine Rose ist eine Rose.
Aber ein Heim
ist kein Heim.

Sag dem Schoßhund Gegenstand ab
der dich anwedelt
aus den Schaufenstern.
Er irrt. Du
riechst nicht nach Bleiben.

Ein Löffel ist besser als zwei.
Häng ihn dir um den Hals,
du darfst einen haben,
denn mit der Hand
schöpft sich das Heiße zu schwer.

Es liefe der Zucker dir durch die Finger,
wie der Trost,
wie der Wunsch,
an dem Tag
da er dein wird.

Du darfst einen Löffel haben,
eine Rose,
vielleicht ein Herz
und, vielleicht,
ein Grab.

dimart
24.02.2008, 00:03
.


Klasse Gedicht von Heinz Erhardt
( Ähnlichkeiten mit Werken von J.W. von G. sind rein zufälliger Natur )


Der König Erl

Wer reitet so spät durch Wind und Nacht,
es ist der Vater es ist gleich Sieben

(ne halt acht war es naja die uhr ging nach)

Im Arm den Knaben er wohl hält,
er hält ihn warm denn er ist erkält.

Halb drei, Halb fünf es wird schon hell,
noch immer reitet der Vater schnell.
Erreicht den Hof mit Müh und Not,
der Knabe lebt, das Pferd ist Tot.

marc
24.02.2008, 00:26
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Klasse Gedicht von Heinz Erhardt


Da fällt mir auch noch was ein :D

Der Einsame

Einsam irr ich durch die Gassen,
durch den Regen, durch die Nacht.
Warum hast du mich verlassen?
Warum hast du das gemacht?

Nichts bleibt mir, als mich zu grämen,
gestern sprang ich in den Bach.
Um das Leben mir zu nehmen,
doch der Bach war viel zu flach.

Einsam irr ich durch den Regen,
und ganz feucht ist mein Gesicht.
Nicht allein des Regens wegen,
nein, davon alleine nicht.

Wo bleibt Tod im schwarzen Kleide?
Wo bleibt Tod und tötet mich?
Oder besser noch: Uns beide.
Oder besser: Erst mal dich!

Drache
01.03.2008, 22:09
Da wallt dem Deutschen auch sein Blut,
er trifft des Türken Pferd so gut,
er haut ihm ab mit einem Streich
die beiden Vorderfüß' zugleich.
Als er das Tier zu Fall gebracht,
da faßt er erst sein Schwert mit Macht,
er schwingt es auf des Reiters Kopf,
haut durch bis auf den Sattelknopf,
haut auch den Sattel noch zu Stücken
und tief noch in des Pferdes Rücken;
zur Rechten sieht man wie zur Linken,
einen halben Türken heruntersinken.
Ludwig Uhland

marc
02.03.2008, 01:03
Eugen Roth: Erfolgloser Liebhaber

Ein Mensch wollt sich ein Weib erringen,
Doch leider konnts ihm nicht gelingen.
Er ließ sich drum, vor weitern Taten,
Von Fraun und Männern wohl beraten:
“Nur nicht gleich küssen, tätscheln, tappen!”
“Greif herzhaft zu, dann muß es schnappen!”
“Laß deine ernste Absicht spüren!”
“Sei leicht und wahllos im Verführen!”
“Der Seele Reichtum lege bloß!”
“Sei scheinbar kalt und rücksichtslos!”
Der Mensch hat alles durchgeprobt,
Hat hier sich ehrenhaft verlobt,
Hat dort sich süß herangeplaudert,
Hat zugegriffen und gezaudert,
Hat Furcht und Mitleid auferweckt,
Hat sich verschwiegen, sich entdeckt,
War zärtlich kühn, war reiner Tor,
Doch wie ers machte – er verlor.
Zwar stimmte jeder Rat genau,
Doch jeweils nicht für jede Frau.

Reichsadler
02.03.2008, 01:31
Theodor Storm

Crucifixus

Am Kreuz hing sein gequält Gebeine,
Mit Blut besudelt und geschmäht;
Dann hat die stets jungfräulich reine
Natur das Schreckensbild verweht.

Doch die sich seine Jünger nannten,
Die formten es in Erz und Stein,
Und stellten's in des Tempels Düster
Und in die lichte Flur hinein.

So, jedem reinen Aug ein Schauder,
Ragt es herein in unsre Zeit;
Verewigend den alten Frevel,
Ein Bild der Unversöhnlichkeit.

Rheinlaender
02.03.2008, 06:35
How fast they run to banish him I love!
They would not stir, were it to do me good.
Why should a king be subject to a priest?
Proud Rome, that hatchest such imperial grooms,
With these thy superstitious taper-lights,
Wherewith thy antichristian churches blaze,
I'll fire thy crazed buildings, and enforce
The papal towers to kiss the lowly ground,
With slaughter'd priests make Tiber's channel swell,
And banks rais'd higher with their sepulchres!
As for the peers, that back the clergy thus,
If I be king, not one of them shall live.

Chrisopher Marlowe, 1564-1593. Edward II

marc
03.03.2008, 23:54
Dylan Thomas

And death shall have no dominion.
Dead men naked they shall be one
With the man in the wind and the west moon;
When their bones are picked clean and the clean bones gone,
They shall have stars at elbow and foot;
Though they go mad they shall be sane,
Though they sink through the sea they shall rise again;
Though lovers be lost love shall not;
And death shall have no dominion.

And death shall have no dominion.
Under the windings of the sea
They lying long shall not die windily;
Twisting on racks when sinews give way,
Strapped to a wheel, yet they shall not break;
Faith in their hands shall snap in two,
And the unicorn evils run them through;
Split all ends up they shan't crack;
And death shall have no dominion.

And death shall have no dominion.
No more may gulls cry at their ears
Or waves break loud on the seashores;
Where blew a flower may a flower no more
Lift its head to the blows of the rain;
Though they be mad and dead as nails,
Heads of the characters hammer through daisies;
Break in the sun till the sun breaks down,
And death shall have no dominion.

Stadtknecht
04.03.2008, 09:35
Theodor Fontane

Das Trauerspiel von Afghanistan (1859)

Der Schnee leis stäubend vom Himmel fällt,
Ein Reiter vor Dschellalabad hält,
"Wer da!" - "Ein britischer Reitersmann,
Bringe Botschaft aus Afghanistan."
Afghanistan! Er sprach es so matt;
Es umdrängt den Reiter die halbe Stadt,
Sir Robert Sale, der Kommandant,
Hebt ihn vom Rosse mit eigener Hand.

Sie führen ins steinerne Wachthaus ihn,
Sie setzen ihn nieder an den Kamin,
Wie wärmt ihn das Feuer, wie labt ihn das Licht,
Er atmet hoch auf und dankt und spricht:

"Wir waren dreizehntausend Mann,
Von Kabul unser Zug begann,
Soldaten, Führer, Weib und Kind,
Erstarrt, erschlagen, verraten sind.

Zersprengt ist unser ganzes Heer,
Was lebt, irrt draußen in Nacht umher,
Mir hat ein Gott die Rettung gegönnt,
Seht zu, ob den Rest ihr retten könnt."

Sir Robert stieg auf den Festungswall,
Offiziere, Soldaten folgten ihm all',
Sir Robert sprach: "Der Schnee fällt dicht,
Die uns suchen, sie können uns finden nicht.

Sie irren wie Blinde und sind uns so nah,
So lasst sie's hören, dass wir da,
Stimmt an ein Lied von Heimat und Haus,
Trompeter blast in die Nacht hinaus!"

Da huben sie an und sie wurden's nicht müd',
Durch die Nacht hin klang es Lied um Lied,
Erst englische Lieder mit fröhlichem Klang,
Dann Hochlandslieder wie Klagegesang.

Sie bliesen die Nacht und über den Tag,
Laut, wie nur die Liebe rufen mag,
Sie bliesen - es kam die zweite Nacht,
Umsonst, dass ihr ruft, umsonst, dass ihr wacht.

"Die hören sollen, sie hören nicht mehr,
Vernichtet ist das ganze Heer,
Mit dreizehntausend der Zug begann,
Einer kam heim aus Afghanistan."

Mütterchen
07.03.2008, 20:04
Ich möchte auch einmal ein Gedicht reinstellen. Es ist von Paul Heyse


Die Schlange

Ich hatt' am heißen Frühlingsnachmittag
In Roms Campagna schweifend mich veriirrt,
Da ein Gewitter dumpf in Lüften lag.

Kein Schattendach, nicht Herde, Hund und Hirt,
Kein Vogelruf, kein Laut, als der Zikade
Eintönig Ritornell, das heiser schwirrt.

Und ich, erschöpft vom Wandern, wo sich grade
ein Sitz mir bot, streckt ich die Glieder hin,
Erwartend, dass die Schwüle sich entlade.

Mir war so weltentrückt, so fremd zu Sinn
So fern von allem Heimlichen und Schönen,
Vergehn und Nichtsein schien allein Gewinn.

Und plötzlich weckte mich ein heftig Dröhnen;
In Flammen lodernd stand das Firmament,
Und Sturm fuhr übers öde Feld mit Stöhnen.

Und wie ein neuer Blitz die Wolken trennt,
Seh ich, dicht vor mir, eine braune Schlange
Auf dornumrankten Felsenpostament.

Geringelt lag sie da-wer sagt, wie lange? -
Die grauen Augen traurig und erstaunt
Auf mich geheftet, die geschuppte Wange

Dicht auf den Stein gedrückt, nicht wohlgelaunt,
Doch müde, schien's und ohne Mordbegier,
Vielleicht vom Donnerton in Schlaf geraunt.

Und ich blieb still. Der Atem stockte mir;
Ich musst in dies gefeite Auge schauen
Und wohl so eine Stunde ruhten wir.

Da erst begann die Wolkennacht zu tauen;
Sacht stand ich auf. Sie aber, regungslos,
Blieb, wo sie war. Ich wandte mich voll Grauen.

Furchtbar vom Himmel rauschte das Getos
Des Lenzorkans. Doch wie die Blitze flammten,
Ich sah im Geist das Schlangenauge bloß.

So, dacht ich, glühn die Augen der Verdammten,
Die niederfahren aller Hoffnung bar,
Für immer fern dem Licht, dem sie entstammten;

So blickt, Erlösung hoffend immerdar,
Die niedre Kreatur mit stummem Flehen,
der eine Seele nicht gegeben war.--

Und erst bei milder Herbsteslüfte Wehen,
So oft auch früher ein Gelüst sich regte
Konnt ich hinaus, die Stätte wiedersehen.

Ich fand den Ort, wo ich mich niederlegte,
Und - wundersam! da ruhte noch das Tier,
Das Auge offen, das sich nicht bewegte.

Kalt überlief mich's. Hat die Feindin hier
Gelauert sommerlang, mich doch zu fassen?
Und wieder Aug' in Auge staunten wir.

Doch feige schien's mir, ihr das Feld zu lassen.
Ich schlug nach ihr; da fielen ihre Ringe
In Staub. Nur aus dem Auge, das gelassen

Ins Leere stierte, war mir's als entschwinge
sich ein gefangner Bllitz. Da lies ich sie,
dass sie nicht noch im Tode mich bezwinge;

Doch ihren Scheideblick vergaß ich nie.

Verrari
07.03.2008, 21:01
Der Feuerreiter
Eduard Mörike

Sehet ihr am Fensterlein
Dort die rote Muetze wieder?
Nicht geheuer muß es sein,
Denn er geht schon auf und nieder.
Und auf einmal welch Gewuehle
Bei der Bruecke, nach dem Feld!
Horch! das Feuergloecklein gellt:
Hinterm Berg,
Hinterm Berg
Brennt es in der Muehle!

Schaut! da sprengt er wuetend schier
Durch das Tor, der Feuerreiter,
Auf dem rippenduerren Tier,
Als auf einer Feuerleiter!
Querfeldein! Durch Qualm und Schwuele
Rennt er schon, und ist am Ort!
Drueben schallt es fort und fort:
Hinterm Berg,
Hinterm Berg
Brennt es in der Muehle!

Der so oft den roten Hahn
Meilenweit von fern gerochen,
Mit des heilgen Kreuzes Span
Freventlich die Glut besprochen -
Weh! dir grinst vom Dachgestuehle
Dort der Feind im Hoellenschein.
Gnade Gott der Seele dein!
Hinterm Berg,
Hinterm Berg
Ras't er in der Muehle!

Keine Stunde hielt es an,
Bis die Muehle borst in Truemmer;
Doch den kecken Reitersmann
Sah man von der Stunde nimmer.
Volk und Wagen im Gewuehle
Kehren heim von all dem Graus;
Auch das Gloecklein klinget aus.
Hinterm Berg,
Hinterm Berg
Brennts! -

Nach der Zeit ein Mueller fand
Ein Gerippe samt der Muetzen
Aufrecht an der Kellerwand
Auf der beinern Maehre sitzen:
Feuerreiter, wie so kuehle
Reitest du in deinem Grab!
Husch! da faellts in Asche ab.
Ruhe wohl,
Ruhe wohl
Drunten in der Muehle!

Verrari
07.03.2008, 21:04
John Maynard

(Theodor Fontane, 1886)

John Maynard!
"Wer ist John Maynard?"
"John Maynard war unser Steuermann,
Aus hielt er, bis er das Ufer gewann,
Er hat uns gerettet, er trägt die Kron,
Er starb für uns, unsre Liebe sein Lohn. John Maynard."

Die Schwalbe flog über den Eriesee,
Gischt schäumt um den Bug wie Flocken von Schnee;
Von Detroit fliegt sie nach Buffalo -
Die Herzen aber sind frei und froh,
Und die Passagiere mit Kindern und Fraun
Im Dämmerlicht schon das Ufer schaun,
Und plaudernd an John Maynard heran
Tritt alles: "Wie weit noch, Steuermann?"
Der schaut nach vorn und schaut in die Rund:
"Noch dreißig Minuten ... Halbe Stund."

Alle Herzen sind froh, alle Herzen sind frei -
Da klingt´s aus dem Schiffsraum her wie Schrei,
"Feuer!" war es, was da klang,
Ein Qualm aus Kajüt und Luke drang,
Ein Qualm, dann Flammen lichterloh,
Und noch zwanzig Minuten bis Buffalo.

Und die Passagiere, buntgemengt,
Am Bugspriet stehn sie zusammen gedrängt,
Am Bugspriet vorn ist noch Luft und Licht,
Am Steuer aber lagert sich´s dicht,
Und ein Jammern wird laut: "Wo sind wir? wo?"
Und noch fünfzehn Minuten bis Buffalo. -

Der Zugwind wächst, doch die Qualmwolke steht,
Der Kapitän nach dem Steuer späht,
Er sieht nicht mehr seinen Steuermann,
Aber durchs Sprachrohr fragt er an:
"Noch da, John Maynard?" "Ja, Herr. Ich bin."
"Auf den Strand! In die Brandung!" "Ich halte drauf hin."
Und das Schiffsvolk jubelt: "Halt aus! Hallo!"
Und noch zehn Minuten bis Buffalo. - -

"Noch da, John Maynard?" Und Antwort schallt´s
Mit ersterbender Stimme: "Ja, Herr, ich halt´s!"
Und in die Brandung, was Klippe, was Stein,
Jagt er die "Schwalbe" mitten hinein.
Soll Rettung kommen, so kommt sie nur so.
Rettung: der Strand von Buffalo!

Das Schiff geborsten. Das Feuer verschwelt.
Gerettet alle. Nur einer fehlt!
Alle Glocken gehen; ihre Töne schwelln
Himmelan aus Kirchen und Kapelln,
Ein Klingen und Läuten, sonst schweigt die Stadt,
Ein Dienst nur, den sie heute hat:
Zehntausend folgen oder mehr,
Und kein Aug im Zuge, das tränenleer.

Sie lassen den Sarg in Blumen hinab,
Mit Blumen schließen sie das Grab,
Und mit goldner Schrift in den Marmorstein
Schreibt die Stadt ihren Dankspruch ein:
"Hier ruht John Maynard! In Qualm und Brand
Hielt er das Steuer fest in der Hand,
Er hat uns gerettet, er trägt die Kron,
Er starb für uns, unsre Liebe sein Lohn.
John Maynard."

Verrari
07.03.2008, 21:06
Der Knabe im Moor
Annette von Droste-Hülshoff

Oh schaurig ists übers Moor zu gehn,
Wenn es wimmelt vom Heiderauche,
Sich wie Phantome die Dünste drehn
Und die Ranke häkelt am Strauche,
Unter jedem Tritte ein Quellchen springt,
Wenn aus der Spalte es zischt und singt,
O schaurig ists übers Moor zu gehn,
Wenn das Röhricht knistert im Hauche!

Fest hält die Fibel das zitternde Kind
Und rennt, als ob mann es jage;
Hohl über die Fläche sauset der Wind -
Was raschelt drüben am Hage?
Das ist der gespenstische Gräberknecht,
Der dem Meister die besten Torfe verzecht;
Hu, hu, es bricht wie ein irres Rind!
Hinducket das Knäblein zage.

Vom Ufer starret Gestumpf hervor,
Unheimlich nicket die Föhre,
Der Knabe rennt, gespannt das Ohr,
Durch Riesenhalme wie Speere;
Und wie es rieselt und knittert darin!
Das ist die unselige Spinnerin,
Das ist die gebannte Spinnlenor´,
Die den Haspel dreht im Geröhre!

Voran, voran! nur immer im Lauf,
Voran, als woll es ihn holen!
Vor seinem Fuße brodelt es auf,
Es pfeift ihm unter den Sohlen
Wie eine gespenstische Melodei;
Das ist der Geigemann ungetreu,
Das ist der diebische Fiedler Kanuf,
Der den Hochzeitheller gestohlen!

Da birst das Moor, ein Seufzer geht
Hervor aus der klaffenden Höhle;
Weh, weh, da ruft die verdammte Margret:
"Ho, ho, meine arme Seele!"
Der Knabe springt wie ein wundes Reh;
Wär nicht Schutzengel in seiner Näh,
Seine bleichenden Knöchelchen fände spät
Ein Gräber im Moorgeschwele.

Da mählich gründet der Boden sich,
Und drüben, neben der Weide,
Die Lampe flimmert so heimatlich,
Der Knabe steht an der Scheide. ;)
Tief atmet er auf, zum Moor zurück
Noch immer wirft er den scheuen Blick:
Ja, im Geröhre wars fürchterlich,
O schaurig wars in der Heide!

Verrari
07.03.2008, 21:30
August von Platen

Nächtlich am Busento lispeln bei Cosenza dumpfe Lieder;
Aus den Wassern schallt es Antwort, und in Wirbeln klingt es wieder!
Und den Fluss hinauf, hinunter ziehen die Schatten tapfrer Goten,
Die den Alarich beweinen, ihres Volkes besten Toten.
Allzufrüh und fern der Heimat mussten hier sie ihn begraben,
Während noch die Jugendlocken seine Schulter blond umgaben.
Und am Ufer des Busento reihten sie sich um die Wette,
Um die Strömung abzuleiten, gruben sie ein frisches Bette.
In der wogenleeren Höhlung wühlten sie empor die Erde,
Senkten tief hinein den Leichnam, mit der Rüstung, auf dem Pferde.
Deckten dann mit Erde wieder ihn und seine stolze Habe,
Dass die hohen Stromgewächse wüchsen aus dem Heldengrabe.
Abgelenkt zum zweiten Male, ward der Fluss herbeigezogen:
Mächtig in ihr altes Bette schäumten die Busentowogen.
Und es sang ein Chor von Männern: "Schlaf in deinen Heldenehren!
Keines Römers schnöde Habsucht soll dir je dein Grab versehren!"
Sangen's, und die Lobgesänge tönten fort im Gotenheere;
Wälze sie, Busentowelle, wälze sie von Meer zu Meere!



Es geht um den Westgotenkönig Alarich, der 410 Rom erobert hatte - was nebenbei bemerkt dem großen Augustinus von Hippo die Gelegenheit verschaffte, sein Hauptwerk über den "Gottesstaat" zu schreiben, das wie kaum ein anderes zur Grundlage christlichen Verständnisses werden sollte. Im Eifer, seinen Siegeszug nach Sizilien und Afrika fortzusetzen, begab sich Alarich nach Cosenza in Kalabrien, wo ihn über den Rüstungen der Tod ereilte. Um das Grab vor Räubern und die Leiche vor Schändung durch die römischen Truppen zu schützen, leiteten die Goten den Fluss Busento um und ließen tief im Flussbett ein Grab schaufeln, in das sie den König senkten. Dann leiteten sie den Fluss zurück, um dieses Grab von den flutenden Wassern unentdeckbar überströmen zu lassen. - Der Geschichtsschreiber Otto von Freising, der diesen Vorgang in seiner "Chronika sive Historia de duabus civitatibus" (IX,21) überliefert - einer Fortsetzung des augustinischen "Gottesstaates" -, ergänzt noch, dass Alarich mit vielen Schätzen beigesetzt worden sei und dass man alle Gefangenen, die Zeugen dieses Vorganges gewesen seien, getötet habe.

Mütterchen
08.03.2008, 09:26
Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832)

DIE BRAUT VON KORINTH

Nach Korinthus von Athen gezogen
Kam ein Jüngling, dort noch unbekannt.
Einen Bürger hofft' er sich gewogen;
Beide Väter waren gastverwandt,
Hatte frühe schon
Töchterchen und Sohn
Braut und Bräutigam voraus genannt.

Aber wird er auch willkommen scheinen,
Wenn er teuer nicht die Gunst erkauft?
Er ist noch ein Heide mit den Seinen,
Und sie sind schon Christen und getauft.
Keimt ein Glaube neu,
Wird oft Lieb und Treu
Wie ein böses Unkraut ausgerauft.

Und schon lag das ganze Haus im stillen,
Vater, Töchter, nur die Mutter wacht;
Sie empfängt den Gast mit bestem Willen,
Gleich ins Prunkgemach wird er gebracht.
Wein und Essen prangt,
Eh er es verlangt:
So versorgend wünscht sie gute Nacht.

Aber bei dem wohlbestellten Essen
Wird die Lust der Speise nicht erregt;
Müdigkeit läßt Speis und Trank vergessen,
Daß er angekleidet sich aufs Bette legt;
Und er schlummert fast,
Als ein seltner Gast
Sich zur offnen Tür herein bewegt.

Denn er sieht, bei seiner Lampe Schimmer
Tritt, mit weißem Schleier und Gewand,
Sittsam still ein Mädchen in das Zimmer,
Um die Stirn ein schwarz- und goldnes Band.
Wie sie ihn erblickt,
Hebt sie, die erschrickt,
Mit Erstaunen eine weiße Hand.

Bin ich, rief sie aus, so fremd im Hause,
Daß ich von dem Gaste nichts vernahm?
Ach, so hält man mich in meiner Klause!
Und nun überfällt mich hier die Scham.
Ruhe nur so fort
Auf dem Lager dort,
Und ich gehe schnell, so wie ich kam.

Bleibe, schönes Mädchen! ruft der Knabe,
Rafft von seinem Lager sich geschwind:
Hier ist Ceres', hier ist Bacchus' Gabe,
Und du bringst den Amor, liebes Kind!
Bist vor Schrecken blaß!
Liebe, komm und laß,
Laß uns sehn, wie froh die Götter sind.

Ferne bleib, o Jüngling! bleibe stehen;
Ich gehöre nicht den Freuden an.
Schon der letzte Schritt ist, ach? geschehen
Durch der guten Mutter kranken Wahn,
Die genesend schwur:
Jugend und Natur
Sei dem Himmel künftig untertan.

Und der alten Götter bunt Gewimmel
Hat sogleich das stille Haus geleert.
Unsichtbar wird Einer nur im Himmel,
Und ein Heiland wird am Kreuz verehrt;
Opfer fallen hier,
Weder Lamm noch Stier,
Aber Menschenopfer unerhört.

Und er fragt und wäget alle Worte,
Deren keines seinem Geist entgeht.
Ist es möglich, daß am stillen Orte
Die geliebte Braut hier vor mir steht?
Sei die Meine nur!
Unsrer Väter Schwur
Hat vom Himmel Segen uns erfleht.

Mich erhälst du nicht, du gute Seele!
Meiner zweiten Schwester gönnt man dich.
Wenn ich mich in stiller Klause quäle,
Ach! in ihren Armen denk an mich,
Die an dich nur denkt,
Die sich liebend kränkt;
In die Erde bald verbirgt sie sich.

Nein! bei dieser Flamme seis geschworen,
Gütig zeigt sie Hymen uns voraus;
Bist der Freude nicht und mir verloren,
Kommst mit mir in meines Vaters Haus.
Liebchen, bleibe hier!
Feire gleich mit mir
Unerwartet unsern Hochzeitschmaus.

Und schon wechseln sie der Treue Zeichen;
Golden reicht sie ihm die Kette dar,
Und er will ihr eine Schale reichen,
Silbern, künstlich, wie nicht eine war.
Die ist nicht für mich;
Doch, ich bitte dich,
Eine Locke gib von deinem Haar.

Eben schlug die dumpfe Geisterstunde,
Und nun schien es ihr erst wohl zu sein.
Gierig schlürfte sie mit blassem Munde
Nun den dunkel blutgefärbten Wein;
Doch vom Weizenbrot,
Das er freundlich bot,
Nahm sie nicht den kleinsten Bissen ein.

Und dem Jüngling reichte sie die Schale,
Der, wie sie, nun hastig lüstern trank.
Liebe fordert er beim stillen Mahle;
Ach, sein armes Herz war liebekrank.
Doch sie widersteht,
Wie er immer fleht,
Bis er weinend auf das Bette sank.

Und sie kommt und wirft sich zu ihm nieder:
Ach, wie ungern seh ich dich gequält!
Aber, ach! berührst du meine Glieder,
Fühlst du schaudernd, was ich dir verhehlt.
Wie der Schnee so weiß,
Aber kalt wie Eis
Ist das Liebchen, das du dir erwählt.

Heftig faßt er sie mit starken Armen,
Von der Liebe Jugendkraft durchmannt:
Hoffe doch, bei mir noch zu erwarmen,
Wärst du selbst mir aus dem Grab gesandt!
Wechselhauch und Kuß!
Liebesüberfluß!
Brennst du nicht und fühlest mich entbrannt?

Liebe schließet fester sie zusammen,
Tränen mischen sich in ihre Lust;
Gierig saugt sie seines Mundes Flammen,
Eins ist nur im andern sich bewußt.
Seine Liebeswut
Wärmt ihr starres Blut,
Doch es schlägt kein Herz in ihrer Brust.

Unterdessen schleichet auf dem Gange
Häuslich spät die Mutter noch vorbei,
Horchet an der Tür und horchet lange,
Welch ein sonderbarer Ton es sei:
Klag- und Wonnelaut
Bräutigams und Braut,
Und des Liebestammelns Raserei.

Unbeweglich bleibt sie an der Türe,
Weil sie erst sich überzeugen muß,
Und sie hört die höchsten Liebesschwüre,
Lieb und Schmeichelworte, mit Verdruß -
Still! der Hahn erwacht! -
Aber morgen Nacht
Bist du wieder da? - und Kuß auf Kuß.

Länger hält die Mutter nicht das Zürnen,
Öffnet das bekannte Schloß geschwind: -
Gibt es hier im Hause solche Dirnen,
Die dem Fremden gleich zu Willen sind? -
So zur Tür hinein.
Bei der Lampe Schein
Sieht sie - Gott! sie sieht ihr eigen Kind.

Und der Jüngling will im ersten Schrecken
Mit des Mädchens eignem Schleierflor,
Mit dem Teppich die Geliebte decken;
Doch sie windet gleich sich selbst hervor.
Wie mit Geists Gewalt
Hebet die Gestalt
Lang und langsam sich im Bett empor.

Mutter! Mutter! spricht sie hohle Worte,
So mißgönnt Ihr mir die schöne Nacht!
Ihr vertreibt mich von dem warmen Orte.
Bin ich zur Verzweiflung nur erwacht?
Ists Euch nicht genug,
Daß ins Leichentuch,
Daß Ihr früh mich in das Grab gebracht?

Aber aus der schwerbedeckten Enge
Treibet mich ein eigenes Gericht.
Eurer Priester summende Gesänge
Und ihr Segen haben kein Gewicht;
Salz und Wasser kühlt
Nicht, wo Jugend fühlt;
Ach! die Erde kühlt die Liebe nicht.

Dieser Jüngling war mir erst versprochen,
Als noch Venus' heitrer Tempel stand.
Mutter, habt Ihr doch das Wort gebrochen,
Weil ein fremd, ein falsch Gelübd Euch band!
Doch kein Gott erhört,
Wenn die Mutter schwört,
Zu versagen ihrer Tochter Hand.

Aus dem Grabe werd ich ausgetrieben,
Noch zu suchen das vermißte Gut,
Noch den schon verlornen Mann zu lieben
Und zu saugen seines Herzens Blut.
Ists um den geschehn,
Muß nach andern gehn,
Und das junge Volk erliegt der Wut.

Schöner Jüngling! kannst nicht länger leben;
Du versiechest nun an diesem Ort.
Meine Kette hab ich dir gegeben;
Deine Locke nehm ich mit mir fort.
Sieh sie an genau!
Morgen bist du grau,
Und nur braun erscheinst du wie der dort.

Höre, Mutter, nun die letzte Bitte:
Einen Scheiterhaufen schichte du;
Öffne meine bange kleine Hütte,
Bring in Flammen Liebende zur Ruh!
Wenn der Funke sprüht,
Wenn die Asche glüht,
Eilen wir den alten Göttern zu.

Mütterchen
08.03.2008, 09:28
Johann Wolfgang von Goethe
Der Gott und die Bajadere
(Indische Legende)

Mahadöh, der Herr der Erde,
Kommt herab zum sechsten Mal,
Daß er unsersgleichen werde,
Mitzufühlen Freud und Qual.
Er bequemt sich, hier zu wohnen,
Läßt sich alles selbst geschehn.
Soll er strafen oder schonen,
Muß er Menschen menschlich sehn.
Und hat er die Stadt sich als Wandrer betrachtet,
Die Großen belauert, auf Kleine geachtet,
Verläßt er sie abends, um weiterzugehn.

Als er nun hinausgegangen,
Wo die letzten Häuser sind,
Sieht er, mit gemalten Wangen,
Ein verlornes schönes Kind.
>>Grüß dich, Jungfrau !<< - >>Dank der Ehre!<<
Wart, ich komme gleich hinaus.<< -
>>Und wer bist du?<< ->>Bajadere,
Und dies ist der Liebe Haus.<<
Sie rührt sich, die Zimbeln zum Tanze zu schlagen,
Sie weiß sich so lieblich im Kreise zu tragen,
Sie neigt sich und biegt sich und reicht ihm den Strauß.

Schmeichelnd zieht sie ihn zur Schwelle,
Lebhaft ihn ins Haus hinein:
>>Schöner Fremdling, lampenhelle
Soll sogleich die Hütte sein.
Bist du müd, ich will dich laben,
Lindern deiner Füße Schmerz.
Was du willst, das sollst du haben,
Ruhe, Freuden oder Scherz.<<
Sie lindert geschäftig geheuchelte Leiden.
Der Göttliche lächelt; er siehet mit Freuden
Durch tiefes Verderben ein menschliches Herz.

Und er fordert Sklavendienste;
Immer heitrer wird sie nur,
Und des Mädchens frühe Künste
Werden nach und nach Natur.
Und so stellet auf die Blüte
Bald und bald die Frucht sich ein;
Ist Gehorsam im Gemüte,
Wird nicht fern die Liebe sein.
Aber, sie wird schärfer und schärfer zu prüfen,
Wählet der Kenner der Höhen und Tiefen
Lust und Entsetzen und grimmige Pein.

Und er küßt die bunten Wangen,
Und sie fühlt der Liebe Qual,
Und das Mädchen steht gefangen,
Und sie weint zum erstenmal,
Sinkt zu seinen Füßen nieder,
Nicht um Wollust noch Gewinst,
Ach! und die gelenken Glieder,
Sie versagen allen Dienst.
Und so zu des Lagers vergnüglicher Feier
Bereiten den dunklen, behaglichen Schleier
Die nächtlichen Stunden, das schöne Gespinst.

Spät entschlummert unter Scherzen,
Früh erwacht nach kurzer Rast,
Findet sie an ihrem Herzen
Tot den vielgeliebten Gast.
Schreiend stürzt sie auf ihn nieder;
Aber nicht erweckt sie ihn,
Und man trägt die starren Glieder
Bald zur Flammengrube hin.
Sie höret die Priester. die Totengesänge,
Sie raset und rennet und teilet die Menge.
>>Wer bist du? Was drängt zu der Grube dich hin?<<

Bei der Bahre stürzt sie nieder,
Ihr Geschrei durchdringt die Luft:
>>Meinen Gatten will ich wieder!
Und ich such ihn in der Gruft.
Soll zu Asche mir zerfallen
Dieser Glieder Götterpracht?
Mein! er war es, mein vor allen!
Ach, nur Eine süße Nacht!<<
Es singen die Priester: >>Wir tragen die Alten,
Nach langem Ermatten und spätem Erkalten,
Wir tragen die Jugend, noch eh sie's gedacht.

Höre deiner Priester Lehre:
Dieser war dein Gatte nicht.
Lebst du doch als Bajadere,
Und so hast du keine Pflicht.
Nur dem Körper folgt der Schatten
In das stille Totenreich;
Nur die Gattin folgt dem Gatten:
Das ist Pflicht und Ruhm zugleich. –
Ertöne, Drommete, zu heiliger Klage!
O nehmet, ihr Götter! die Zierde der Tage,
O nehmet den Jüngling in Flammen zu euch!<<

So das Chor, das ohn Erbarmen
Mehret ihres Herzens Not;
Und mit ausgestreckten Armen
Springt sie in den heißen Tod.
Doch der Götterjüngling hebet
Aus der Flamme sich empor,
Und in seinen Armen schwebet
Die Geliebte mit hervor.
Es freut sich die Gottheit der reuigen Sünder;
Unsterbliche heben verlorene Kinder
Mit feurigen Armen zum Himmel empor.

Herr K.
09.03.2008, 16:03
Die Vernichtung

Es wiegelt rastlos Satan neben mir,
Verschwimmt wie Luft ungreifbar eingedrungen;
Ich atme ihn und spüre Sündengier,
Die nie verraucht, vom Brand in meinen Lungen


Weil meine Sucht nach Kunst er kennt, verhöhnt
Er mich im Bild verführerischer Frauen,
Lügt mir des Trübsinns Vorwand und gewöhnt
Den Mund an Tränke voller Schmach und Grauen.


Geleitet so den Mann, der müde keucht
Vor Last, weit hinter Gottes Blick, verscheucht
Mich in der Langeweile Steppentiefen.


Wirft in die wirren Augen ein Gemeng
Beschmierter Kleider, Wunden, die noch triefen,
Und der Vernichtung blutiges Gepräng.


C.Baudelaire, Blumen des Bösen.

Mütterchen
09.03.2008, 16:16
Villon, François (1431-1464)
Eine verliebte Ballade für ein Mädchen namens Yssabeau

Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund,
ich schrie mir schon die Lungen wund
nach deinem weißen Leib, du Weib.
Im Klee, da hat der Mai ein Bett gemacht,
da blüht ein schöner Zeitvertreib
mit deinem Leib die lange Nacht.
Das will ich sein im tiefen Tal
dein Nachtgebet und auch dein Sterngemahl.

Im tiefen Erdbeertal, im schwarzen Haar,
da schlief ich manches Sommerjahr
bei dir und schlief doch nie zuviel.
Ich habe jetzt ein rotes Tier im Blut,
das macht mir wieder frohen Mut.
Komm her, ich weiß ein schönes Spiel
im dunklen Tal, im Muschelgrund...
Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund!

Die graue Welt macht keine Freude mehr,
ich gab den schönsten Sommer her,
und dir hats auch kein Glück gebracht;
hast nur den roten Mund noch aufgespart,
für mich so tief im Haar verwahrt...
Ich such ihn schon die lange Nacht
Im Wintertal, im Aschengrund...
Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund.

Im Wintertal, im schwarzen Beerenkraut,
da hat der Schnee sein Nest gebaut
und fragt nicht, wo die Liebe sei,
Und habe doch das rote Tier so tief
erfahren, als ich bei dir schlief.
Wär nur der Winter erst vorbei
und wieder grün der Wiesengrund!
...ich bin so wild nach deinem Erdbeermund!

marc
21.03.2008, 20:47
Stefan George - Entrückung

Ich fühle luft von anderem planeten.
Mir blassen durch das dunkel die gesichter
Die freundlich eben noch sich zu mir drehten.
Und bäum und wege die ich liebte fahlen

Dass ich sie kaum mehr kenne und Du lichter
Geliebter schatten -- rufer meiner qualen --
Bist nun erloschen ganz in tiefern gluten
Um nach dem taumel streitenden getobes

Mit einem frommen schauer anzumuten.
Ich löse mich in tönen . kreisend . webend .
Ungründigen danks und unbenamten lobes
Dem grossen atem wunschlos mich ergebend.

Mich überfährt ein ungestümes wehen
Im rausch der weihe wo inbrünstige schreie
In staub geworfner beterinnen flehen:
Dann seh ich wie sich duftige nebel lüpfen

In einer sonnerfüllten klaren freie
Die nur umfängt auf fernsten bergesschlüpfen.
Der boden schüttert weiss und weich wie molke . .
Ich steige über schluchten ungeheuer .

Ich fühle wie ich über lezter wolke
In einem meer kristallnen glanzes schwimme --
Ich bin ein funke nur vom heiligen feuer
Ich bin ein dröhnen nur der heiligen stimme.

dimart
21.03.2008, 22:45
John Maynard

John Maynard!
"Wer ist John Maynard?"
"John Maynard war unser Steuermann,
Aus hielt er, bis er das Ufer gewann,
Er hat uns gerettet, er trägt die Kron',
Er starb für uns, unsre Liebe sein Lohn.
John Maynard."

Die "Schwalbe" fliegt über den Erie-See,
Gischt schäumt um den Bug wie Flocken von Schnee;
Von Detroit fliegt sie nach Buffalo -
Die Herzen aber sind frei und froh,
Und die Passagiere mit Kindern und Fraun
Im Dämmerlicht schon das Ufer schaun,
Und plaudernd an John Maynard heran
Tritt alles: "Wie weit noch, Steuermann?"
Der schaut nach vorn und schaut in die Rund:
"Noch dreißig Minuten ... Halbe Stund."

Alle Herzen sind froh, alle Herzen sind frei -
Da klingt's aus dem Schiffsraum her wie Schrei,
"Feuer!" war es, was da klang,
Ein Qualm aus Kajüt und Luke drang,
Ein Qualm, dann Flammen lichterloh,
Und noch zwanzig Minuten bis Buffalo.

Und die Passagiere, bunt gemengt,
Am Bugspriet stehn sie zusammengedrängt,
Am Bugspriet vorn ist noch Luft und Licht,
Am Steuer aber lagert sich´s dicht,
Und ein Jammern wird laut: "Wo sind wir? wo?"
Und noch fünfzehn Minuten bis Buffalo. -

Der Zugwind wächst, doch die Qualmwolke steht,
Der Kapitän nach dem Steuer späht,
Er sieht nicht mehr seinen Steuermann,
Aber durchs Sprachrohr fragt er an:
"Noch da, John Maynard?"
"Ja,Herr. Ich bin."


"Auf den Strand! In die Brandung!"
"Ich halte drauf hin."
Und das Schiffsvolk jubelt: "Halt aus! Hallo!"
Und noch zehn Minuten bis Buffalo. - -

"Noch da, John Maynard?" Und Antwort schallt's
Mit ersterbender Stimme: "Ja, Herr, ich halt's!"
Und in die Brandung, was Klippe, was Stein,
Jagt er die "Schwalbe" mitten hinein.
Soll Rettung kommen, so kommt sie nur so.
Rettung: der Strand von Buffalo!

Das Schiff geborsten. Das Feuer verschwelt.
Gerettet alle. Nur einer fehlt!

Alle Glocken gehn; ihre Töne schwell'n
Himmelan aus Kirchen und Kapell'n,
Ein Klingen und Läuten, sonst schweigt die Stadt,
Ein Dienst nur, den sie heute hat:
Zehntausend folgen oder mehr,
Und kein Aug' im Zuge, das tränenleer.

Sie lassen den Sarg in Blumen hinab,
Mit Blumen schließen sie das Grab,
Und mit goldner Schrift in den Marmorstein
Schreibt die Stadt ihren Dankspruch ein:
"Hier ruht John Maynard! In Qualm und Brand
Hielt er das Steuer fest in der Hand,
Er hat uns gerettet, er trägt die Kron,
Er starb für uns, unsre Liebe sein Lohn.
John Maynard."

marc
21.03.2008, 22:52
Halbewgs passend auch noch zum Karfreitag etwas aus Rilkes "Marienleben":

Geburt Mariae

O was muss es die Engel gekostet haben,
nicht aufzusingen plötzlich, wie man aufweint,
da sie doch wussten: in dieser Nacht wird dem Knaben
die Mutter geboren, dem Einen, der bald erscheint.

Schwingend verschwiegen sie sich und zeigten die Richtung,
wo, allein, das Gehöft lag des Joachim,
ach, sie fühlten in sich und im Raum die reine Verdichtung,
aber es durfte keiner nieder zu ihm.

Denn die beiden waren schon so außer sich vor Getue.
Eine Nachbarin kam und klugte und wusste nicht wie,
und der Alte, vorsichtig, ging und verhielt das Gemuhe
einer dunkelen Kuh. Denn so war es noch nie.

---

Geburt Christi

Hättest du der Einfalt nicht, wie sollte
dir geschehn, was jetzt die Nacht erhellt?
Sieh, der Gott, der über Völkern grollte,
macht sich mild und kommt in dir zur Welt.

Hast du dir ihn größer vorgestellt?

Was ist Größe? Quer durch alle Maße,
die er durchstreicht, geht sein grades Los.
Selbst ein Stern hat keine solche Straße.
Siehst du, diese Könige sind groß,

und sie schleppen dir vor deinen Schoß

Schätze, die sie für die größten halten,
und du staunst vielleicht bei dieser Gift -:
aber schau in deines Tuches Falten,
wie er jetzt schon alles übertrifft.

Aller Amber, den man weit verschifft,

jeder Goldschmuck und das Luftgewürze,
das sich trübend in die Sinne streut:
alles dieses war von rascher Kürze,
und am Ende hat man es bereut.

Aber (du wirst sehen): Er erfreut.

---

Vom Tode Mariae
(Drei Stücke)

I

Derselbe große Engel, welcher einst
ihr der Gebärung Botschaft niederbrachte,
stand da, abwartend dass sie ihn beachte,
und sprach Jetzt wird es Zeit, dass du erscheinst.
Und sie erschrak wie damals und erwies
sich wieder als die Magd, ihn tief bejahend.
Er aber strahlte und, unendlich nahend,
schwand er wie in ihr Angesicht - und hieß
die weithin ausgegangenen Bekehrer
zusammenkommen in das Haus am Hang,
das Haus des Abendmahls. Sie kamen schwerer
und traten bange ein: Da lag, entlang
die schmale Bettstatt, die in Untergang
und Auserwählung rätselhaft Getauchte,
ganz unversehrt, wie eine Ungebrauchte,
und achtete auf englischen Gesang.
Nun da sie alle hinter ihren Kerzen
abwarten sah, riss sie vom Übermaß
der Stimmen sich und schenkte noch von Herzen
die beiden Kleider fort, die sie besaß,
und hob ihr Antlitz auf zu dem und dem...
(O Ursprung namenloser Tränen-Bäche).

Sie aber legte sich in ihre Schwäche
und zog die Himmel an Jerusalem
so nah heran, dass ihre Seele nur,
austretend, sich ein wenig strecken musste:
schon hob er sie, der alles von ihr wusste,
hinein in ihre göttliche Natur.

Fuchs
24.03.2008, 23:32
Sehnsucht

Joseph von Eichendorff

Es schienen so golden die Sterne,
am Fenster ich einsam stand
und hörte aus weiter Ferne
ein Posthorn im stillen Land.
Das Herz mir im Leibe entbrennte,
da hab' ich mir heimlich gedacht:
Ach, wer da mitreisen könnte
in der prächtigen Sommernacht!

Zwei junge Gesellen gingen
vorüber am Bergeshang,
ich hörte im Wandern sie singen
die stille Gegend entlang:
Von schwindelnden Felsenschlüften,
wo die Wälder rauschen so sacht,
von Quellen, die von den Klüften
sich stürzen in Waldesnacht.

Sie sangen von Marmorbildern,
von Gärten, die überm Gestein
in dämmernden Lauben verwildern,
Palästen im Mondschein,
wo die Mädchen am Fenster lauschen,
wann der Lauten Klang erwacht,
und die Brunnen verschlafen rauschen
in der prächtigen Sommernacht.

marc
30.03.2008, 22:22
Keine Ahnung, ob ich das Gedicht schonmal gepostet habe, aber ich habe es gerade wieder gelesen und war mal wieder so bewegt davon. Wirklich einer der Gipfel der Dichtkunst.

E.E. Cummings:
somewhere i have never travelled

somewhere i have never travelled, gladly beyond
any experience, your eyes have their silence:
in your most frail gesture are things which enclose me,
or which i cannot touch because they are too near

your slightest look easily will unclose me
though i have closed myself as fingers,
you open always petal by petal myself as Spring opens
(touching skilfully, mysteriously) her first rose

or if your wish be to close me, i and
my life will shut very beautifully, suddenly,
as when the heart of this flower imagines
the snow carefully everywhere descending;

nothing which we are to perceive in this world equals
the power of your intense fragility: whose texture
compels me with the colour of its countries,
rendering death and forever with each breathing

(i do not know what it is about you that closes
and opens; only something in me understands
the voice of your eyes is deeper than all roses)
nobody, not even the rain, has such small hands

marc
24.04.2008, 22:26
Heiner Müller

ALTES GEDICHT

Nachts beim Schwimmen über den See der Augenblick

Der dich in Frage stellt Es gibt keinen anderen mehr

Endlich die Wahrheit Daß du nur ein Zitat bist

Aus einem Buch das du nicht geschrieben hast

Dagegen kannst du lange anschreiben auf dein

Ausbleichendes Farbband Der Text schlägt durch

Hexenhammer
24.04.2008, 23:15
Der Wein des Mörders

Mein Weib ist tot, und ich bin frei!
Nun trink' ich, bis ich nicht mehr kann.
Kam ich sonst ohne Groschen an,
Zerriss mich fast ihr Wutgeschrei.

Nun fühl' ich wie ein König mich;
Die Luft ist mild, der Himmel klar,
Fast ist's, wie's jenen Sommer war,
Als wir uns liebten, sie und ich!

Den schlimmen Durst, der mich zerreisst,
Hab' ich mit soviel Wein gestillt,
Als ihre letzte Grube füllt;
Was wahrlich nicht zu wenig heisst.

Ich senkt' sie in den Schacht, und dann,
Dann warf ich Steine ihr ins Grab,
Soviel's am Brunnenrande gab, –
Ich will's vergessen, wenn ich kann.

Ich hatte voller Zärtlichkeit
Des Schwurs gedacht, der uns verband,
Versöhnlich ihr gereicht die Hand,
Wie einst in jener trunknen Zeit,

Und sie bestellt, von Glut entflammt
Des Nachts nach einer stillen Flur;
Sie kam! – Die dumme Kreatur!
Wir sind ja Narren allesamt!

Sie war noch lieblich anzusehn,
Nur manchmal müde und betrübt,
Und weil ich sie zu sehr geliebt,
Hiess ich sie aus dem Leben gehn.

Niemand begreift mich, der da lebt.
Hat je in solcher finstern Nacht
Ein blöder Trunkenbold bedacht,
Wie man aus Wein ein Bahrtuch webt?

Die unverwundbar stumpfe Brut,
Wie tote Masse kalt und leer,
Kennt Sommer nicht und Winter mehr.
Kennt nicht der Liebe Qual und Glut,

Mit ihrem Taumel schwarz und bang.
Mit ihrem höllischen Geleit
Aus Tränen, Gift und Bitterkeit,
Mit Knochenklappern, Kettenklang.

Ich bin, schaut her, allein und frei!
Wenn ich heut nacht betrunken bin
Streck' ich mich auf die Erde hin
Ganz ohne Reu und Angstgeschrei.

Ich werde schlafen wie ein Hund!
– Der Karren schwerbeladen naht
Voll Kot und Steinen, – links das Rad
Senkt tiefer sich im weichen Grund,

Fährt über mich, zermalmt sogar
Mein schuldig Haupt, und voller Spott
Lach' ich dann über euren Gott
Und über Teufel und Altar.


Charles Baudelaires
aus "Les Fleurs du Mal"

marc
04.05.2008, 01:02
http://img233.imageshack.us/img233/1353/daligv2.jpg (http://imageshack.us)

The_Darwinist
04.05.2008, 01:32
Faulheit, itzo will ich dir
auch ein kleines Loblied bringen -
O - wie sauer - wird es mir,
dich nach Würden - zu besingen!
Doch ich will mein bestes tun;
nach der Arbeit ist gut Ruhn.

Höchstes Gut, wer dich nur hat
dessen ungestörtes Leben -
Ach - ich gähn - ich - werde matt -
nun so magst du - mirs vergeben,
daß ich dich nicht singen kann:
du verhinderst mich ja dran.

Gotthold Ephraim Lessing

The_Darwinist
04.05.2008, 01:39
Ego sum abbas Cucaniensis Ich bin der Abt der Fresser!
et consilium meum est cum bibulis, und meine Gemeinde finde ich unter den Säufern
et in secta Decii voluntas mea est, mein Wohlgefallen ruht auf den Würfelspielern
et qui mane me quesierit in taberna,und wer auch immer mich des Morgens aufsucht,
post vesperam nudus egredietur, er wird bis mittags nackt und pleite sein
et sic denudatus veste clamabit: und so völlig blank wird er ausrufen:

Wafna, wafna! Wehe! Wehe!
quid fecisti sors turpassi Schicksal, was hast du getan?
Nostre vite gaudia Die Freuden unseres Lebens
abstulisti omnia! Alles hinweg!

Carmina Burana

Kreuzbube
04.05.2008, 14:37
Eine Weisheit aus dem alten China, nebst interessanter Netzseite zu einer tollen historischen Fernsehserie aus den Siebzigern - die schöne japanische Titelmusik ist auch dabei!
http://www.liang-shan-po.de/start.htm

marc
04.05.2008, 23:20
William Blake - The Sick Rose

O Rose, thou art sick.
The invisible worm,
That flies in the night
In the howling storm:

Has found out thy bed
Of crimson joy:
And his dark secret love
Does thy life destroy.

Hexenhammer
04.05.2008, 23:34
Eine Weisheit aus dem alten China, nebst interessanter Netzseite zu einer tollen historischen Fernsehserie aus den Siebzigern - die schöne japanische Titelmusik ist auch dabei!
http://www.liang-shan-po.de/start.htm

Die Rebellen vom Liang-shan-po sind groß.

marc
16.05.2008, 23:40
Robert Gernhardt:

Nachdem er durch Metzingen gegangen war

Dich will ich loben, Häßliches,
Du hast so was verläßliches.

Das Schöne schwindet, scheidet, flieht,
fast tut es weh, wenn man es sieht.

Wer Schönes anschaut spürt die Zeit,
und Zeit sagt stets: Gleich ist's so weit.

Die Schönheit gibt uns Grund zur Trauer,
die Häßlichkeit erfreut durch Dauer.

marc
17.05.2008, 03:55
Extra für Ernesto-Che:

Hans Magnus Enzensberger

Die Scheisse

Immerzu höre ich von ihr reden
als wäre sie an allem schuld.
Seht nur, wie sanft und bescheiden
sie unter uns Platz nimmt!
Warum besudeln wir denn
ihren guten Namen
und leihen ihn
dem Präsidenten der USA,
den Bullen, dem Krieg
und dem Kapitalismus?

Wie vergänglich sie ist,
und das was wir nach ihr nennen
wie dauerhaft!
Sie, die Nachgiebige,
führen wir auf der Zunge
und meinen die Ausbeuter.
Sie, die wir ausgedrückt haben,
soll nun auch noch ausdrücken
unsere Wut?

Hat sie uns nicht erleichtert?
Von weicher Beschaffenheit
und eigentümlich gewaltlos
ist sie von allen Werken des Menschen
vermutlich das friedlichste.
Was hat sie uns nur getan?

Kreuzbube
18.05.2008, 07:57
Eben zufällig gefunden; schöne Ballade und Erinnerung an die Kinderzeit. Frank Schöbel "Hier lebst du"
http://www.youtube.com/watch?v=G_knoTUSxH8

The_Darwinist
19.05.2008, 02:56
Die Rebellen vom Liang-shan-po sind groß.

Ist das lange her!
Ich hab das alles gesehn!
ICh bin ein Pionier der Fernsehgeschichte!
Ich fand das übrigens zu Tränen rührend!
Abgesehen von den nicht gerade passenden Kostümen!
Eine Geschichte, die in sich schlüssiger ist, ist mir nie begegnet!
Das Original heisst übrigens die Soundsoviel Helden von Liang-Shan.

The_Darwinist
19.05.2008, 03:00
Er saß an ihres Tisches Rand -
und spielte mit den Flechten -
Das tat er mit der linken Hand !
Was tat er mit der Rechten?

(Erste zwei Zeilen Goethe zugeschrieben. Rest soll durch Schiller ergänzt sein!)

marc
31.05.2008, 13:18
Friedrich Hölderlin - Lebenslauf

Größers wolltest auch du, aber die Liebe zwingt
All uns nieder, das Leid beuget gewaltiger,
Doch es kehret umsonst nicht
Unser Bogen, woher er kommt!

Aufwärts oder hinab! herrschet in heilger Nacht
Wo die stumme Natur werdende Tage sinnt,
Herrscht im schiefsten Orkus
nicht ein Grades, ein Recht noch!

Dies erfuhr ich. Denn nie, sterblichen Meistern gleich,
Habt ihr Himmelischen, ihr Alleserhaltenden,
Daß ich wüßte, mit Vorsicht
Mich des ebenen Pfads geführt.

Alles prüfe der Mensch, sagen die Himmlischen,
Daß er, kräftig genährt, danken für Alles lern,
Und verstehe die Freiheit,
Aufzubrechen, wohin er will.

-25Grad
31.05.2008, 13:52
Mann

Mann - du Alles auf Erden,
fielen die Masken der Welt,
fielen die Helden, die Herden - :
weites trojanisches Feld -

immer Gewölke der Feuer,
immer die Flammen der Nacht
um dich, Tiefer und Treuer,
der das Letzte bewacht,

keine Götter mehr zum Bitten
keine Mütter mehr als Schoß -
schweige und habe gelitten,
sammle dich und sei groß!

- Gottfried Benn

Vor allem der letzte Teil des Gedichts gefällt mir sehr gut.

Kreuzbube
13.09.2008, 19:17
Eine (Pflicht-)Gedicht aus der Schulzeit. Ich lernte es einen Tag vorher im Schwimmbad auswendig und meldete mich dann am nächsten Tag freiwillig, um die 1 zu kassieren. Nachmittag hatte ich bereits alles wieder vergessen...



John Schehr und Genossen
(Erich Weinert)

Es geht durch die Nacht. Die Nacht ist kalt.
Der Fahrer bremst. Sie halten im Wald.
Zehn Mann Geheime Staatspolizei.
Vier Kommunisten sitzen dabei,
John Schehr und Genossen.

Der Transportführer sagt: Kein Mensch zu sehn.
John Schehr fragt: Warum bleiben wir stehen?
Der Führer flüstert: Die Sache geht glatt!
Nun wissen sie, was es geschlagen hat,
John Schehr und Genossen.

Sie sehn, wie die ihre Pistolen ziehn.
John Schehr fragt: Nicht wahr, jetzt müssen wir fliehn?
Die Kerle lachen, na wird es bald?
Runter vom Wagen und rein in den Wald,
John Schehr und Genossen!

John Schehr sagt: So habt ihr es immer gemacht!
So habt ihr Karl Liebknecht umgebracht!
Der Führer brüllt: Schmeißt die Bande raus!
Und schweigend steigen die viere aus,
John Schehr und Genossen.

Sie schleppen sie in den dunklen Wald.
Und zwölfmal knallt es und widerhallt.
Da liegen sie mit erloschenem Blick,
Jeder drei Nahschüsse im Genick,
John Schehr und Genossen.

Der Wagen braust nach Berlin zurück.
Das Schauhaus quittiert: Geliefert vier Stück.
Der Transportführer schreibt ins Lieferbuch:
Vier Kommunistenführer, beim Fluchtversuch,
John Schehr und Genossen.

Dann begibt er sich in den Marmorsaal
Zum General, der den Mord befahl.
Er stellt ihn inmitten des brausenden Ball.
Zu Befehl Exzellenz, erledigt der Fall
John Schehr und Genossen.

Erledigt der Fall, bis zu einem Tag!
Da kracht seine Türe vom Kolbenschlag.
Er springt aus dem Bett. Was wollt ihr von mir?
Komm mit, Exzellenz! Die Abrechnung für
John Schehr und Genossen!

Wolf
13.09.2008, 19:31
Das tote Meer in meinem Fleisch
hat geboren einen Hafen
jeden Tag zur gleichen Zeit
legt sie an um mich zu strafen
mit einer sterbenden Galeere
die Lerche mit der weißen Haube
ich würde töten daß sie bei mir wäre
doch hat sie Schnabel gleich dem Greif
und Fänge scharf wie eine Schere


Sie wirft Anker und wird singen
entzwei mein Schiffchen aus Papier
schneidet es mit edlen Klingen
schreit sich zu kälteren Gewässern
es sinkt und niemand singt mit mir
und darum hab ich Angst vor Messern

Das Schiffchen blutet aus dem Mast
in die Brust der Großmama
und wenn ihr nachts die Sonne scheint
ist jemand da der mit ihr weint
wir treiben kalt auf Augenschauern
hungerfrah in schweren Fässern
sie schneidet tief um mich zu essen
und darum hab ich Angst vor Messern

Und wenn mir nachts die Sonne scheint
ist niemand da
der mit mir weint

Von Till Lindemann aus "Messer".

Gladius et Titulus
13.09.2008, 19:49
Mein Lieblingsgedicht von Schiller ist Kassandra. Das hat mir bischer am meisten nachzudenken gegeben:

Kassandra - Friedrich von Schiller

Freude war in Trojas Hallen,
Eh die hohe Feste fiel;
Jubelhymnen hört man schallen
In der Saiten goldnes Spiel;
Alle Hände ruhen müde
Von dem thränenvollen Streit,
Weil der herrliche Pelide
Priams schöne Tochter freit.

Und geschmückt mit Lorberreisern,
Festlich wallet Schaar auf Schaar
Nach der Götter heil'gen Häusern,
Zu des Thymbriers Altar.
Dumpf erbrausend durch die Gassen
Wälzt sich die bacchant'sche Lust,
Und in ihrem Schmerz verlassen
War nur eine traur'ge Brust.

Freudlos in der Freude Fülle,
Ungesellig und allein,
Wandelte Kassandra stille
In Apollos Lorbeerhain.
In des Waldes tiefste Gründe
Flüchtete die Seherin,
Und sie warf die Priesterbinde
Zu der Erde zürnend hin:

Alles ist der Freude offen,
Alle Herzen sind beglückt,
Und die alten Eltern hoffen,
Und die Schwester steht geschmückt.
Ich allein muß einsam trauern,
Denn mich flieht der süße Wahn,
Und geflügelt diesen Mauern
Seh' ich das Verderben an.

Eine Fackel seh' ich glühen,
Aber nicht in Hymens Hand;
Nach den Wolken seh' ich ziehen,
Aber nicht wie Opferbrand.
Feste seh' ich froh bereiten,
Doch im ahnungsvollen Geist
Hör' ich schon des Gottes Schreiten,
Der sie jammervoll zerreißt.

Und sie schelten meine Klagen,
Und sie höhnen meinen Schmerz.
Einsam in die Wüste tragen
Muß ich mein gequältes Herz,
Von den Glücklichen gemieden
Und den Fröhlichen ein Spott!
Schweres hast du mir beschieden,
Pythischer, du arger Gott!

Dein Orakel zu verkünden,
Warum warfest du mich hin
In die Stadt der ewig Blinden
Mit dem aufgeschloßnen Sinn?
Warum gabst du mir zu sehen,
Was ich doch nicht wenden kann?
Das Verhängte muß geschehen,
Das Gefürchtete muß nahn.

Frommt's, den Schleier aufzuheben,
Wo das nahe Schreckniß droht?
Nur der Irrthum ist das Leben,
Und das Wissen ist der Tod.
Nimm, o nimm die traur'ge Klarheit,
Mir vom Aug den blut'gen Schein!
Schrecklich ist es, deiner Wahrheit
Sterbliches Gefäß zu sein.

Meine Blindheit gib mir wieder
Und den fröhlich dunklen Sinn!
Nimmer sang ich freud'ge Lieder,
Seit ich deine Stimme bin.
Zukunft hast du mir gegeben,
Doch du nahmst den Augenblick,
Nahmst der Stunde fröhlich Leben -
Nimm dein falsch Geschenk zurück!

Nimmer mit dem Schmuck der Bräute,
Kränzt' ich mir das duft'ge Haar,
Seit ich deinem Dienst mich weihte
An dem traurigen Altar.
Meine Jugend war nur Weinen,
Und ich kannte nur den Schmerz,
Jede herbe Noth der Meinen
Schlug an mein empfindend Herz.

Fröhlich seh' ich die Gespielen,
Alles um mich lebt und liebt
In der Jugend Lustgefühlen,
Mir nur ist das Herz getrübt.
Mir erscheint der Lenz vergebens,
Der die Erde festlich schmückt;
Wer erfreute sich des Lebens,
Der in seine Tiefen blickt!

Selig preis' ich Polyxenen
In des Herzens trunknem Wahn,
Denn den Besten der Hellenen
Hofft sie bräutlich zu umfahn.
Stolz ist ihre Brust gehoben,
Ihre Wonne faßt sie kaum,
Nicht euch, Himmlische dort oben,
Neidet sie in ihrem Traum.

Und auch ich hab' ihn gesehen,
Den das Herz verlangend wählt!
Seine schönen Blicke flehen,
Von der Liebe Gluth beseelt.
Gerne möcht' ich mit dem Gatten
In die heim'sche Wohnung ziehn;
Doch es tritt ein styg'scher Schatten
Nächtlich zwischen mich und ihn.

Ihre bleichen Larven alle
Sendet mir Proserpina;
Wo ich wandre, wo ich walle,
Stehen mir die Geister da.
In der Jugend frohe Spiele
Drängen sie sich grausend ein,
Ein entsetzliches Gewühle!
Nimmer kann ich fröhlich sein.

Und den Mordstahl seh' ich blinken
Und das Mörderauge glühn;
Nicht zur Rechten, nicht zur Linken
Kann ich vor dem Schreckniß fliehn;
Nicht die Blicke darf ich wenden,
Wissend, schauend, unverwandt
Muß ich mein Geschick vollenden
Fallend in dem fremden Land -

Und noch hallen ihre Worte -
Horch! da dringt verworrner Ton
Fernher aus des Tempels Pforte,
Todt lag Thetis' großer Sohn!
Eris schüttelt ihre Schlangen,
Alle Götter fliehn davon,
Und des Donners Wolken hangen
Schwer herab auf Ilion.

Gladius et Titulus
14.09.2008, 09:20
Das hier ist ein wenig kürzer: ;)

Ein Gebet - Michail Lermontow

Wenn mir das Herz voll Trauer ist
Und es erstickt vor Qual,
Dann spreche ich ein zaubrisches
Gebet ihm jedes Mal.

Es singt eine Segen spendende
Macht im lebendigen Wort,
Und atmet unverständliche
Heilige Anmut dort.

Die Seele regt und weitet sich
befreit, der Zweifel weicht -
Und glauben kann und weinen ich,
und leicht ist mir, so leicht ...

Naja, auf russisch ist das um längen besser als die Übersetzung, aber das ist ja das schöne an Gedichten - sie sind das einzige was weder Import noch Export unterliegt. :)

Gladius et Titulus
14.09.2008, 09:26
Und das hier ist auch gut von Lermontow. Diesmal aber wieder ein wenig länger: ;)

Des Toten Liebe - Michail Lermontow

Der kalten Erde schwere Schollen
Bedecken mich -
Doch meine Seele schwebt, Geliebte,
Allzeit um dich.
Das Grab heischt Ruhe, heischt Vergessen -
Doch friedlos kreist
In liebesehnender Erinnrung
Mein armer Geist.

Das Glück erhofft ich von dem Grabe
Und schied von hier
Mit festem Mut - doch auch im Tode
Vereint sind wir!
Ich sah die körperlose Schönheit,
Doch fand ich nicht
In den verklärten Engelszügen
Dein Angesicht.

Es strahlte mir des Himmels Glorie
So kalt und bleich:
Ich nahm die irdischen Leidenschaften
Ins Edenreich.
Ich lebe nur in der Erinnerung
Und denke dein;
Ich weine eifersüchtige Tränen
In Sehnsuchtspein.

Streift fremder Atem deine Wangen
Begehrlich heiß -
Erzittert gramvoll meine Seele,
Erstarrt zu Eis.
Und flüstert einen fremden Namen
Im Traum dein Mund -
Durchflammt mich mit des Schmerzes Gluten
Das Wort zur Stund.

Du darfst nicht einen andern lieben:
Du bist vermählt
Mir mit dem Eid der Treue, bin ich
Auch entseelt!
Um meinen Seelenfrieden beten
Gilt dir als Pflicht?
Laß ab - Vergessenheit und Ruhe
Begehr ich nicht!

marc
23.09.2008, 23:40
http://img161.imageshack.us/img161/5015/390pxrobertgernhardtdr6.jpg (http://imageshack.us)

Viermal Robert Gernhardt
(Der große Frankfurter Humorist, der 2006 seinem Krebs erlegen ist.)


I Dialog

-Gut schaust du aus!
-Danke! Werds meinem
Krebs weitersagen.
Wird ihn ärgern.



II Ach...

Ach, noch in dieser letzten Stunde
werde ich verbindlich sein.
Klopft der Tod an meiner Türe,
rufe ich geschwind: Herein!

Woran soll es gehn? Ans Sterben?
Hab ich zwar noch nie gemacht,
doch wir werd'n das Kind schon schaukeln -
na, das wäre ja gelacht!

Interessant so eine Sanduhr!
Ja, die halt ich gern mal fest.
Ach - und das ist ihre Sense?
Und die gibt mir dann den Rest?

Wohin soll ich mich jetzt wenden?
Links? Von Ihnen aus gesehn?
Ach, von mir aus! Bis zur Grube?
Und wie soll es weitergehn?

Ja, die Uhr ist abgelaufen.
Wollen Sie die jetzt zurück?
Gibt's die irgendwo zu kaufen?
Ein so ausgefall'nes Stück

Findet man nicht alle Tage,
womit ich nur sagen will
- ach! Ich soll hier nichtsmehr sagen?
Geht in Ordnung. Bin schon



III Blut, Scheiss und Tränen

Oben blut ich, unten scheiß ich.
Blut und und Scheiße treten derart
haltlos mir aus Nase, After,
daß nun auch noch Tränen fließen:

Was verlaßt ihr meinen Körper?
Warum, Scheiße, diese Eile?
War ich, Blut, dir keine Heimstatt?
Weshalb, Träne, dein Gefließe?

Oder seid ihr etwa nichts als Ratten,
die das Schiff, das sie beherbergt,
flugs verlassen, eh der Dampfer
mit dem Rest der Stammbesatzung

absäuft?



IV - Von viel zu viel

Ich bin viel krank.
Ich lieg viel wach.
Ich hab viel Furcht.
Ich denk viel nach:

Tu nur viel klug!
Bringt nicht viel ein.
Warst ein viel groß.
Bist jetzt viel klein.

War einst viel Glück.
Ist jetzt viel Not.
Bist jetzt viel schwach.
Wirst bald viel tot.

MorganLeFay
24.09.2008, 00:48
Rudyard Kipling

"Tin Fish"

1914-18

(Sea Warfare)


THE ships destroy us above
And ensnare us beneath.
We arise, we lie down, and we move
In the belly of Death.

The ships have a thousand eyes
To mark where we come...
But the mirth of a seaport dies
When our blow gets home.



Finde ich unheimlich eindrücklich.

MorganLeFay
24.09.2008, 00:52
Und einmal Fontane, das Gedicht bedeutet mir aus persönlichen Gründen einiges. :)

Theodor Fontane

Die Brücke am Tay

"Wann treffen wir drei wieder zusamm'?"
"Um die siebente Stund', am Brückendamm."
"Am Mittelpfeiler."
"Ich lösch die Flamm'."
"Ich mit."
"Ich komme vom Norden her."
"Und ich vom Süden."
"Und ich vom Meer."

"Hei, das gibt ein Ringelreihn,
und die Brücke muß in den Grund hinein."
"Und der Zug, der in die Brücke tritt
um die siebente Stund'?"
"Ei, der muß mit."
"Muß mit."
"Tand, Tand
ist das Gebild von Menschenhand."

Auf der Norderseite, das Brückenhaus -
alle Fenster sehen nach Süden aus,
und die Brücknersleut', ohne Rast und Ruh
und in Bangen sehen nach Süden zu,
sehen und warten, ob nicht ein Licht
übers Wasser hin "ich komme" spricht,
"ich komme, trotz Nacht und Sturmesflug,
ich, der Edinburger Zug."

Und der Brückner jetzt: "Ich seh einen Schein
am andern Ufer. Das muß er sein.
Nun, Mutter, weg mit dem bangen Traum,
unser Johnie kommt und will seinen Baum,
und was noch am Baume von Lichtern ist,
zünd alles an wie zum heiligen Christ,
der will heuer zweimal mit uns sein, -
und in elf Minuten ist er herein."

Und es war der Zug. Am Süderturm
keucht er vorbei jetzt gegen den Sturm,
und Johnie spricht: "Die Brücke noch!
Aber was tut es, wir zwingen es doch.
Ein fester Kessel, ein doppelter Dampf,
die bleiben Sieger in solchem Kampf,
und wie's auch rast und ringt und rennt,
wir kriegen es unter: das Element.

Und unser Stolz ist unsre Brück';
ich lache, denk ich an früher zurück,
an all den Jammer und all die Not
mit dem elend alten Schifferboot;
wie manche liebe Christfestnacht
hab ich im Fährhaus zugebracht
und sah unsrer Fenster lichten Schein
und zählte und konnte nicht drüben sein."

Auf der Norderseite, das Brückenhaus -
alle Fenster sehen nach Süden aus,
und die Brücknersleut' ohne Rast und Ruh
und in Bangen sehen nach Süden zu;
denn wütender wurde der Winde Spiel,
und jetzt, als ob Feuer vom Himmel fiel,
erglüht es in niederschießender Pracht
überm Wasser unten... Und wieder ist Nacht.

"Wann treffen wir drei wieder zusamm'?"
"Um Mitternacht, am Bergeskamm."
"Auf dem hohen Moor, am Erlenstamm."
"Ich komme."
"Ich mit."
"Ich nenn euch die Zahl."
"Und ich die Namen."
"Und ich die Qual."
"Hei!
Wie Splitter brach das Gebälk entzwei."
"Tand, Tand
ist das Gebilde von Menschenhand"

Herr K.
24.09.2008, 01:30
Schön zu sehen, dass diesem Strang wieder Leben eingehaucht wird.

Roberto Juarroz, eine einzigartige Stimme.


Kleine Aufgaben
Niemanden retten wollen,
nicht einmal sich selbst.
Das Verborgene nicht entdecken,
Offenbarungen nicht einordnen,
Die Utopien noch mehr verstellen.

Kleine Aufgaben,
Alle Spuren verwischen,
einen Schatten vobeilassen,
einen gelben Text des Schweigens lesen,
die Blätter des Gartens verstreuen,
als wären es Blütenblätter,
die Mauerrisse pflegen,
die Parabeln des Wassers sammeln.
sich mit den Windfalten umhüllen.

Nicht mehr als der zurückhaltende Kunsthandwerker
sein,
der einige wenige Worte versammelt,
um sie auf Dinge zu legen, die man vergißt,
und mit ihnen das Zusammentreffen weckt
mit einigen Farben ohne Obdach.

Die spärlichen Beschaffenheiten der Welt
beginnen immer in den Winkeln.
Und die vergessenen Dinge
bewahren die einzigen Zeichen.

- - -

Ein kurzes noch:

Schiffbruch im Spiegel.
Jeden Tag versinken wir etwas mehr
in seinem glatten Wasser.

Bis eines Tages
das Übermaß an Schiffbruch
den Spiegel von innen zerstört.

blues
24.09.2008, 01:30
ein Gedicht das ich immer wieder lese



DO NOT GO GENTLE INTO THAT GOOD NIGHT


Do not go gentle into that good night,
Old age should burn and rave at close of day;
Rage, rage against the dying of the light.
Though wise men at their end know dark is right,
Because their words had forked no lightning they
Do not go gentle into that good night.

Good men, the last wave by, crying how bright
Their frail deeds might have danced in a green bay,
Rage, rage against the dying of the light.

Wild men who caught and sang the sun in flight,
And learn, too late, they grieved it on its way,
Do not go gentle into that good night.

Grave men, near death, who see with blinding sight
Blind eyes could blaze like meteors and be gay,
Rage, rage against the dying of the light.

And you, my father, there on the sad height,
Curse, bless me now with your fierce tears, I pray.
Do not go gentle into that good night.
Rage, rage against the dying of the light.

marc
25.09.2008, 23:58
Franz Kafka - Der Eingang

Wenn du vor mir stehst
Und du mich anschaust,
Was weißt du von den Schmerzen,
Die in mir sind, und was weiß ich von deinen?

Und wenn ich mich vor dir niederknien würde,
Und weinen würde, und erzählen;
Was wüßtest du von mir, mehr als
Von der Hölle, wenn dir jemand

Erzähle, sie sei heiß, und fürchterlich.
Schon darum sollten wir
Menschen voreinander so nachdenklich,
So ehrfürchtig stehen, wie vor dem
Eingang zur Hölle.

marc
26.09.2008, 00:05
E.E. Cummings - somewhere i have never travelled

somewhere i have never travelled, gladly beyond
any experience, your eyes have their silence:
in your most frail gesture are things which enclose me,
or which i cannot touch because they are too near

your slightest look easily will unclose me
though i have closed myself as fingers,
you open always petal by petal myself as Spring opens
(touching skilfully, mysteriously) her first rose

or if your wish be to close me, i and
my life will shut very beautifully, suddenly,
as when the heart of this flower imagines
the snow carefully everywhere descending;

nothing which we are to perceive in this world equals
the power of your intense fragility: whose texture
compels me with the colour of its countries,
rendering death and forever with each breathing

(i do not know what it is about you that closes
and opens; only something in me understands
the voice of your eyes is deeper than all roses)
nobody, not even the rain, has such small hands

marc
26.09.2008, 00:06
Heinrich Heine - Deine weichen Lilienfinger

Deine weißen Lilienfinger
Könnt' ich sie noch einmal küssen
Und sie drücken an mein Herz,
Und vergehn im stillen Weinen!

Deine klaren Veilchenaugen
Schweben vor mir Tag und Nacht
Und mich qäult es: was bedeuten
Diese süßen, blauen Rätsel.

marc
26.09.2008, 00:06
Gerlind Reinshagen - Trümmerlied

Singen wollt ich so groß euch beginnen wie Rosen
Aufbrechen Mädchen! im Juni so klar Freunde mir
Aus der Kindheit geschnitten dacht ich im Lied
Euch zu werfen weithin in die Jahre laut
Hinaus über Land

Schweigen musst ich so bald schon brach Stimme
Es warn unsre Jahre doch keine für Lieder und sucht
Ich vergebens im Schutt nach Versprengtem was mit
Der Zeitschmelze krachend zu Tal ging fand ich im
Getrümmer geborstene Stimme hört krächzend
Doch wieder schon wieder als würd es ein Singen
Als würd es
Ein Lied

marc
26.09.2008, 00:07
Oriana Fallaci- Ein Mann (Gedicht des Alekos Panagoulis)

Ihr wandelnden Gräber,
ihr Schmähungen des Lebens,
ihr Mörder eurer Gedanken,
Marionetten in Menschengewand,
die ihr die Tiere beneidet,
den Sinn der Schöpfung beleidigt,
und bei der Dummheit Zuflucht sucht,
euch von der Angst leiten laßt.
Die ihr die Vergangenheit vergaßt,
mit trübem Auge die Gegenwart seht,
keinen Sinn für die Zukunft habt,
nur atmet, um zu sterben,
nur die Hände rührt, um Beifall zu klatschen,
und morgen noch kräftiger
als gestern und heute klatschen werdet.
So wisset denn, daß ihr alle
die lebendige Rechtfertigung seid für jede Tyrannei,
und daß ich alle Tyranneien hasse,
so sehr wie ich mich vor euch und euren Dreckautos ekle.

marc
26.09.2008, 00:08
Gottfried Benn - Nur zwei Dinge

Durch so viel Formen geschritten,
durch Ich und Wir und Du,
doch alles blieb erlitten
durch die ewige Frage: wozu?

Das ist eine Kinderfrage.
Dir wurde erst spät bewußt,
es gibt nur eines: ertrage -
ob Sinn, ob Sucht, ob Sage -
dein fernbestimmtes: Du mußt.

Ob Rosen, ob Schnee, ob Meere,
was alles erblühte, verblich,
es gibt nur zwei Dinge: die Leere
und das gezeichnete Ich.

marc
26.09.2008, 00:10
Erich Kästner - Hotelsolo für eine Männerstimme

das ist mein zimmer und ist doch nicht meins.
zwei betten stehen hand in hand darin.
zwei betten sind es, aber ich brauch nur eins.
weil ich schon wieder mal alleine bin.

der koffer gähnt, auch mir ist müd zumut.
du fuhrst zu einem ziemlich andern mann,
ich kenne ihn gut. ich wünsch dir alles gute!
und wünsche fast, du kämst doch niemals an.

ich hätte dich nicht gehen lassen sollen.
(nicht meinetwegen! bin doch gern allein...)
und doch: wenn frauen fehler machen wollen,
dann soll man ihnen nicht im wege sein.

die welt ist groß. du wirst dich drin verlaufen.
wenn du dich nur nicht allzu weit verirrst...
ich jedenfalls werd mich heut besaufen
und ein bißchen beten: dass du glücklich wirst.

marc
26.09.2008, 00:10
Walt Whitman - Good-bye My Fancy!

Good-bye my Fancy!
Farewell dear mate, dear love!
I'm going away, I know not where,
Or to what fortune, or whether I may ever see you again,
So Good-bye my Fancy.

Now for my last – let me look back a moment;
The slower fainter ticking of the clock is in me,
Exit, nightfall, and soon the heart-thud stopping.

Long have we lived, joy'd, caress'd together;
Delightful! – now separation – Good-bye my Fancy.

Yet let me not be too hasty,
Long indeed have we lived, slept, filter'd, become really blended into one;
Then if we die we die together, (yes, we'll remain one,)
If we go anywhere we'll go together to meet what happens,
May-be we'll be better off and blither, and learn something,
May-be it is yourself now really ushering me to the true songs, (who knows?)
May-be it is you the mortal knob really undoing, turning – so now finally,
Good-bye – and hail! my Fancy.

marc
26.09.2008, 00:11
Charles Baudelaire - Sammlung

Sei still, mein schmerz, und sei besonnen,
Den abend wolltest du; sieh her, er kam,
Ein dunkler hauch hat schon die stadt umsponnen,
Den einen bringt er frieden, andern gram.

Lass nun die menge sich bei festgelagen,
Gepeitscht von ihrem henkersknecht, der gier,
Den bittren ekel und die scham erjagen,
Gib mir die hand, mein schmerz und komm mit mir...

Fern, fern - nur wir zwei, siehst du der jahre reigen
Sich im verblichnen kleid vom himmel neigen,
Die reu', die lächelnd in der tiefe wacht?

Die sonne stirbt dort unterm brückenbogen,
Horch!
horch, hörst du sie, mein schmerz,
Die schritte der nacht?

marc
26.09.2008, 00:19
Paul Celan - Fadensonnen

Fadensonnen über der grauschwarzen Ödnis.
Ein baumhoher Gedanke greift sich den Lichtton:
Es sind noch Lieder zu singen
jenseits der Menschen.

marc
26.09.2008, 00:20
Reiner Kunze - Einladung zu einer Tasse Jasmintee

Treten Sie ein, legen Sie Ihre
Traurigkeit ab, hier
dürfen Sie schweigen.

Michel
05.01.2009, 20:47
THEODOR KÖRNER

Das Lied von der Rache (1806)

Heran, heran zum wilden Furientanze!
Noch lebt und glüht der Molch!
Drauf, Bruder, drauf mit Büchse, Schwert und Lanze,
Drauf, drauf mit Gift und Dolch!
Was Völkerrecht! Was sich der Nacht verpfändet
Ist reife Höllensaat.
Wo ist das Recht, das nicht der Hund geschändet
mit Mord und mit Verrat?
Sühnt Blut mit Blut! Was Waffen trägt schlagt nieder!
's ist alles Schurkenbrut.
Denkt unsres Schwurs, denkt der verrat'nen Brüder
Und sauft euch satt an Blut!
Und wenn sie winselnd auf den Knieen liegen
Und zitternd um Gnade schrein,
Laßt nicht des Mitleids feige Stimme siegen,
stoßt ohn' Erbarmen drein!
Und rühmen sie, daß Blut von deutschen Helden
in ihren Adern rinnt:
Die können nicht des Landes Söhne gelten,
die seine Teufel sind.
Ha, welche Lust, wenn an dem Lanzenkopfe
ein Schurkenherz zerbebt
Und das Gehirn aus dem gespalt'nen Kopfe
am blut'gen Schwerte klebt!
Welch Ohrenschmaus, wenn wir beim Siegesrufen,
vom Pulverdampf umqualmt,
Sie winseln hören, von der Rosse Hufen
auf deutschem Grund zermalmt!
Gott ist mit uns! Der Hölle Nebel weichen;
Hinauf, du Stern, hinauf!
Wir türmen dir die Hügel ihrer Leichen
Zur Pyramide auf.
Dann brennt sie an !- Und streut es in die Lüfte,
Was nicht die Flamme fraß:
Damit kein Grab das deutsche Land vergifte,
mit Überrhein'schem Aas!

Michel
08.01.2009, 20:18
Ernst Moritz Arndt

Vaterlandslied
(1812)

Der Gott, der Eisen wachsen ließ,
Der wollte keine Knechte,
Drum gab er Säbel, Schwert und Spieß
Dem Mann in seine Rechte,
Drum gab er ihm den kühnen Mut,
Den Zorn der freien Rede,
Daß er bestände bis aufs Blut,
Bis in den Tod die Fehde.

So wollen wir, was Gott gewollt,
Mit rechter Treue halten
Und nimmer im Tyrannensold
Die Menschenschädel spalten;
Doch wer für Tand und Schande ficht,
Den hauen wir zu Scherben,
Der soll im deutschen Lande nicht
Mit deutschen Männern erben.

O Deutschland, heilges Vaterland!
O deutsche Lieb und Treue!
Du hohes Land! du schönes Land!
Dir schwören wir aufs neue:
Dem Buben und dem Knecht die Acht!
Der füttre Krähn und Raben!
So ziehn wir aus zur Hermannsschlacht
Und wollen Rache haben.

Laßt brausen, was nur brausen kann,
In hellen lichten Flammen!
Ihr Deutschen alle, Mann für Mann,
Fürs Vaterland zusammen!
Und hebt die Herzen himmelan!
Und himmelan die Hände!
Und rufet alle Mann für Mann:
Die Knechtschaft hat ein Ende!

Laßt klingen, was nur klingen kann,
Die Trommeln und die Flöten!
Wir wollen heute Mann für Mann
Mit Blut das Eisen röten,
Mit Henkerblut, Franzosenblut
O süßer Tag der Rache!
Das klinget allen Deutschen gut,
Das ist die große Sache.

Laßt wehen, was nur wehen kann,
Standarten wehn und Fahnen!
Wir wollen heut uns Mann für Mann
Zum Heldentode mahnen:
Auf! Fliege, stolzes Siegspanier
Voran dem kühnen Reihen!
Wir siegen oder sterben hier
Den süßen Tod der Freien.

-25Grad
09.01.2009, 23:35
Im Deutschkurs werden z.Z. Gedichte besprochen. Ich kann damit nichts anfangen. Zwar lerne ich ab und an ein Gedicht auswendig, aber bloß weil ich denke, daß sich dies ,,so gehört" und es auch den Geist ein wenig schult. Eines der besprochenen Gedichte gefällt mir aus mir nicht verständlichen Gründen jedoch sehr.

Es heißt Als er des Nachts nicht schlaffen konnte

Was vor ein schweren Traum
Hat mich so gar aus meinem Schlaff gerissen?
Wie Angst ist mir! wie bang!
Die Nacht gibt sonst dem Trauren leichtlich Raum;
Ein kalter Schweiß aus meinen Gliedern dringet,
Und große Schwachheit bringet;
Die Zeit ist mir sehr lang;
Jetzt hör' ichs zwölfe schlagen;
Ach Gott, wenn wirds doch einmal wieder tagen!

Der Autor heißt ( so sagt das Lernheft ) Feinler. Laut google gab es einen Dichter namens Gottfried Feinler, der um 1650-1700 herum lebte.

Gärtner
11.01.2009, 00:43
Im Deutschkurs werden z.Z. Gedichte besprochen. Ich kann damit nichts anfangen. Zwar lerne ich ab und an ein Gedicht auswendig, aber bloß weil ich denke, daß sich dies ,,so gehört" und es auch den Geist ein wenig schult.

http://img376.imageshack.us/img376/387/93236917ca5.jpgst jetzt zwar ein blöder Alte-Säcke-Spruch, aber in einigen Jahren oder Jahrzehnten wirst du ganz froh sein, wenn du wenigstens ein paar Gedichte/Sentzenzen/usw auswendig kannst und nicht erst gugeln oder bei Wikipedia nachgucken mußt.

Ich hab's früher™ auch nicht geglaubt, ist aber so. :)

Mütterchen
11.01.2009, 09:42
[IMG]

Ich hab's früher™ auch nicht geglaubt.....


:) :)

Du bist heute morgen wohl ein wenig sentimental, lieber Gelehrter?

Tosca
11.01.2009, 12:05
Schwäbische Kunde

Als Kaiser Rotbart lobesam
zum heil'gen Land gezogen kam,
da mußt' er mit dem frommen Heer
durch ein Gebirge wüst und leer.

Daselbst erhob sich große Not.
Viel Steine gab's und wenig Brot.
Und mancher deutsche Reitersmann
Hat dort den Trunk sich abgetan.

Den Pferden ward so schwach im Magen,
fast mußt der Reiter die Mähre tragen.

Nun war ein Herr aus Schwabenland,
von hohem Wuchs und starker Hand.
Des Rößlein war so krank und schwach,
er zog es nur am Zaume nach.

Er hätt' es nimmer aufgegeben,
und kostet's ihn das eig'ne Leben.
So blieb er bald ein gutes Stück
hinter dem Heereszug zurück.

Da sprengten plötzlich in die Quer
fünfzig türkische Reiter daher!
Die huben an, auf ihn zu schießen
nach ihm zu werfen mit den Spießen.

Der wackre Schwabe forcht' sich nit,
ging seines Weges Schritt vor Schritt,
ließ sich den Schild mit Pfeilen spicken
und tät nur spöttlich um sich blicken,

bis einer, dem die Zeit zu lang,
auf ihn den krummen Säbel schwang.

Da wallt dem Deutschen auch sein Blut.
Er trifft des Türken Pferd so gut,
er haut ihm ab mit einem Streich
die beiden Vorderfüß zugleich.

Als er das Tier zu Fall gebracht,
da faßt er erst sein Schwert mit Macht,
er schwingt es auf des Reiters Kopf,
haut durch bis auf den Sattelknopf,

haut auch den Sattel noch zu Stücken
und tief noch in des Pferdes Rücken.
Zur Rechten sah man wie zur Linken
einen halben Türken heruntersinken.

Da packt die andern kalter Graus,
sie fliehn in alle Welt hinaus,
und jedem ist's, als würd ihm mitten
durch Kopf und Leib hindurchgeschnitten.

Drauf kam des Wegs 'ne Christenschar,
die auch zurückgeblieben war;
die sahen nun mit gutem Bedacht,
welch Arbeit unser Held gemacht.

Von denen hat's der Kaiser vernommen,
der ließ den Schwaben vor sich kommen;
er sprach: "Sag an, mein Ritter wert!
Wer hat dich solche Streich gelehrt?"

Der Held besann sich nicht zu lang:
"Die Streiche sind bei uns im Schwang!
Sie sind bekannt im ganzen Reiche;
man nennt sie halt nur Schwabenstreiche!"


Ludwig Uhland

-25Grad
11.01.2009, 12:17
http://img376.imageshack.us/img376/387/93236917ca5.jpgst jetzt zwar ein blöder Alte-Säcke-Spruch, aber in einigen Jahren oder Jahrzehnten wirst du ganz froh sein, wenn du wenigstens ein paar Gedichte/Sentzenzen/usw auswendig kannst und nicht erst gugeln oder bei Wikipedia nachgucken mußt.

Ich hab's früher™ auch nicht geglaubt, ist aber so. :)Das denke ich durchaus auch.
Eines der Gedichte, welches ich auswendig gelernt habe, und das mir auch sehr zusagt :

Wem Gott will rechte Gunst erweisen,
Den schickt er in die weite Welt,
Dem will er seine Wunder weisen
In Berg und Wald und Strom und Feld.

Die Trägen, die zu Hause liegen,
Erquicket nicht das Morgenrot,
Sie wissen nur vom Kinderwiegen,
Von Sorgen, Last und Not um Brot.

Die Bächlein von den Bergen springen,
Die Lerchen schwirren hoch vor Lust,
Was sollt ich nicht mit ihnen singen
Aus voller Kehl und frischer Brust?

Den lieben Gott laß ich nur walten;
Der Bächlein, Lerchen, Wald und Feld
Und Erd und Himmel will erhalten,
Hat auch mein Sach aufs best bestellt!

Es ist aus dem sowieso herrlichen Buch ,,Aus dem Leben eines Taugenichts" des großen Romantikers Joseph von Eichendorff.

Ajax
11.01.2009, 12:30
Von Eichendorff gefällt mir auch fast alles. Dies zum Beispiel:


Wo treues Wollen, redlich Streben...

Wo treues Wollen, redlich Streben
Und rechten Sinn der Rechte spürt,
Das muß die Seele ihm erheben,
Das hat mich jedesmal gerührt.

Das Reich des Glaubens ist geendet,
Zerstört die alte Herrlichkeit,
Die Schönheit weinend abgewendet,
So gnadenlos ist unsre Zeit.

O Einfalt gut in frommen Herzen,
Du züchtig schöne Gottesbraut!
Dich schlugen sie mit frechen Scherzen,
Weil dir vor ihrer Klugheit graut.

Wo findst du nun ein Haus, vertrieben,
Wo man dir deine Wunder läßt,
Das treue Tun, das schöne Lieben,
Des Lebens fromm vergnüglich Fest?

Wo findst du deinen alten Garten,
Dein Spielzeug, wunderbares Kind,
Der Sterne heilge Redensarten,
Das Morgenrot, den frischen Wind?

Wie hat die Sonne schön geschienen!
Nun ist so alt und schwach die Zeit,
Wie stehst so jung du unter ihnen,
Wie wird mein Herz mir stark und weit!

Der Dichter kann nicht mit verarmen;
Wenn alles um ihn her zerfällt,
Hebt ihn ein göttliches Erbarmen,
Der Dichter ist das Herz der Welt.

Den blöden Willen aller Wesen,
Im Irdischen des Herren Spur,
Soll er durch Liebeskraft erlösen,
Der schöne Liebling der Natur.

Drum hat ihm Gott das Wort gegeben,
Das kühn das Dunkelste benennt,
Den frommen Ernst im reichen Leben,
Die Freudigkeit, die keiner kennt.

Da soll er singen frei auf Erden,
In Lust und Not auf Gott vertraun,
Daß alle Herzen freier werden,
Eratmend in die Klänge schaun.

Der Ehre sei er recht zum Horte,
Der Schande leucht' er ins Gesicht!
Viel Wunderkraft ist in dem Worte,
Das hell aus reinem Herzen bricht.

Vor Eitelkeit soll er vor allen
Streng hüten sein unschuldges Herz,
Im Falschen nimmer sich gefallen,
Um eitel Witz und blanken Scherz.

O laßt unedle Mühe fahren,
O klingelt, gleißt und spielet nicht
Mit Licht und Gnad, so ihr erfahren,
Zur Sünde macht ihr das Gedicht!

Den lieben Gott laß in dir walten,
Aus frischer Brust nur treulich sing!
Was wahr in dir, wird sich gestalten,
Das andre ist erbärmlich Ding. -

Den Morgen seh ich ferne scheinen,
Die Ströme ziehn im grünen Grund,
Mir ist so wohl! - die's ehrlich meinen,
Die grüß ich all aus Herzensgrund!

Mütterchen
11.01.2009, 12:36
Anastasius Grün


Botenart



Der Graf kehrt heim vom Festturnei,
Da wallt an ihm sein Knecht vorbei.

Hallo, woher des Wegs, sag an!
Wohin, mein Knecht, geht deine Bahn?

“Ich wandle, daß der Leib gedeih,
Ein Wohnhaus such ich mir nebenbei.”

Ein Wohnhaus? Nun, sprich grad heraus,
Was ist geschehn bei uns zu Haus?

“Nichts Sonderlichs! Nur todeswund
Liegt Euer kleiner weißer Hund.”

Mein treues Hündchen todeswund!
Sprich, wie begab sich’s mit dem Hund?

“Im Schreck Eur Leibroß auf ihn sprang,
Drauf lief’s in den Strom, der es verschlang.”

Mein schönes Roß, des Stalles Zier!
Wovon erschrak das arme Tier?

“Besinn ich recht mich, erschrak’s davon,
Als von dem Fenster stürzt’ Eur Sohn.”

Mein Sohn? Doch blieb er unverletzt?
Wohl pflegt mein süßes Weib ihn jetzt?

“Die Gräfin rührte stracks der Schlag,
Als vor ihr des Herrleins Leichnam lag,”

Warum bei solchem Jammer und Graus,
Du Schlingel, hütest du nicht das Haus?

“Das Haus? Ei, welches meint Ihr wohl?
Das Eure liegt in Asch und Kohl’!

Die Leichenfrau schlief ein an der Bahr,
Und Feuer fing ihr Kleid und Haar.

Und Schloß und Stall vermodert im Wind,
Dazu das ganze Hausgesind!

Nur mich hat das Schicksal aufgespart,
Euch’s vorzubringen auf gute Art.”

Gärtner
11.01.2009, 13:00
:) :)

Du bist heute morgen wohl ein wenig sentimental, lieber Gelehrter?

http://img376.imageshack.us/img376/387/93236917ca5.jpgch neige durchweg zu einer gewissen Grundsentimentalität. Vielleicht tritt das zuweilen etwas stärker zutage als sonst...

Gärtner
11.01.2009, 13:07
http://img525.imageshack.us/img525/9485/32399998nr2.jpgb es sich da um Literatur handelt, mag der jeweilige Leser selbst entscheiden, aber mich hat immer ein Gedicht sehr angerührt, das König Théoden in "Die Zwei Türme", dem 2. Band des "Herrn der Ringe" anstimmt:



Wo sind Reiter und Roß und das Horn, das weithin hallende?
Wo sind Harnisch und Helm und das Haar, das glänzend wallende?
Wo ist die Hand an der Harfe? Wo ist das lodernde Feuer?
Wo nun Frühling und Herbst und voll reifen Kornes die Scheuer?
Lang vergangen wie Regen im Wald und Wind in des Ästen;
Im Schatten hinter den Bergen versanken die Tage im Westen.
Wer wird den Rauch des toten Holzes sammeln gehen
Oder die flutenden Jahre vom Meer wiederkehren sehen?

Und im englischen Original:


Where now the horse and the rider? Where is the horn that was blowing?
Where is the helm and the hauberk, and the bright hair flowing?
Where is the hand on the harpstring, and the red fire glowing?
Where is the spring and the harvest and the tall corn growing?
They have passed like rain on the mountain, like a wind in the meadow;
The days have gone down in the West behind the hills into shadow.
Who shall gather the smoke of the dead wood burning,
Or behold the flowing years from the Sea returning?


Hach. Manchmal mag ich's ein bißchen elegisch. :)

Hossbach
11.01.2009, 14:23
http://img525.imageshack.us/img525/9485/32399998nr2.jpgb es sich da um Literatur handelt, mag der jeweilige Leser selbst entscheiden, aber mich hat immer ein Gedicht sehr angerührt, das König Théoden in "Die Zwei Türme", dem 2. Band des "Herrn der Ringe" anstimmt:

Du beliebst zu scherzen. Tolkien hat mehrere exzellente Gedichte und Lieder eingebaut, die mir schon auf Deutsch sehr gefallen haben. Demnächst ist es mal an der Zeit, dass ich mir die Bücher auf Englisch besorge. Das von dir genannte Gedicht hat mich da jetzt richtig angefixt. :)

marc
02.02.2009, 17:25
Robert Herrick - To the Virgins, to Make Much of Time

Gather ye rosebuds while ye may,
Old time is still a-flying;
And this same flower that smiles today
Tomorrow will be dying.

The glorious lamp of heaven, the sun,
The higher he's a-getting,
The sooner will his race be run,
And nearer he's to setting.

That age is best which is the first,
When youth and blood are warmer;
But being spent, the worse, and worst
Times still succeed the former.

Then be not coy, but use your time,
And, while ye may, go marry;
For, having lost but once your prime,
You may forever tarry.

marc
09.02.2009, 21:56
Robert Frost - Stopping By Woods On A Snowy Evening

Whose woods these are I think I know,
His house is in the village though.
He will not see me stopping here,
To watch his woods fill up with snow.

My little horse must think it queer,
To stop without a farmhouse near,
Between the woods and frozen lake,
The darkest evening of the year.

He gives his harness bells a shake,
To ask if there is some mistake.
The only other sound's the sweep,
Of easy wind and downy flake.

The woods are lovely, dark and deep,
But I have promises to keep,
And miles to go before I sleep,
And miles to go before I sleep.

Peaches
09.02.2009, 22:04
And miles to go before I sleep...

Robert Frost ist einer der Größten.

Good Hours

I had for my winter evening walk--
No one at all with whom to talk,
But I had the cottages in a row
Up to their shining eyes in snow.

And I thought I had the folk within:
I had the sound of a violin;
I had a glimpse through curtain laces
Of youthful forms and youthful faces.

I had such company outward bound.
I went till there were no cottages found.
I turned and repented, but coming back
I saw no window but that was black.

Over the snow my creaking feet
Disturbed the slumbering village street
Like profanation, by your leave,
At ten o'clock of a winter eve.

Peaches
09.02.2009, 22:06
Klein aber fein:

Dust of snow

The way a crow
Shook down on me
The dust of snow
From a hemlock tree
Has given my heart
A change of mood
And saved some part
Of a day I had rued.

Robert Frost


Und natürlich The Road not taken und Nothing Gold can stay...

Kreuzbube
19.02.2009, 08:56
Mir liegt schon wieder ein schönes Gedicht auf der Zunge. Ich bring es gleich:


Hast du einen dummen Sohn
schicke ihn zur Christ-Union.
Ist er noch viel dümmer
die Sozis nehm`ihn immer.
Ist mit ihm auch gar nichts los
als Grüner wird er immer groß.
Glänzt er nur als Prahler
wird er Liberaler!:))

marc
19.02.2009, 15:14
Mir liegt schon wieder ein schönes Gedicht auf der Zunge. Ich bring es gleich:


Hast du einen dummen Sohn
schicke ihn zur Christ-Union.
Ist er noch viel dümmer
die Sozis nehm`ihn immer.
Ist mit ihm auch gar nichts los
als Grüner wird er immer groß.
Glänzt er nur als Prahler
wird er Liberaler!:))

Vermurkst ers aber dort auch wieder,
Reichts nicht mal mehr zum Affenschieber,
Dann wird aus ihm zuletzt nicht mehr,
Als ein Verschwörungstheoretiker.
:comic:

Kreuzbube
19.02.2009, 18:42
Vermurkst ers aber dort auch wieder,
Reichts nicht mal mehr zum Affenschieber,
Dann wird aus ihm zuletzt nicht mehr,
Als ein Verschwörungstheoretiker.
:comic:

Na ja; kann man gelten lassen! Besser, als diese Stolpervögel sind wir allemal...
http://www.politikforen.net/showthread.php?t=73920

marc
25.02.2009, 05:18
Unerreicht sind ja wohl die Duineser Elegien (http://gutenberg.spiegel.de/?id=5&xid=2251&kapitel=1#gb_found) von Rilke (http://de.wikipedia.org/wiki/Rainer_Maria_Rilke).
Ich weiß gar nicht, warum ich nicht schon früher auf die Idee gekommen bin, hier eine zu verlinken. ?(

http://img3.imageshack.us/img3/38/rainermariarilke.jpg (http://imageshack.us)

WER, wenn ich schriee, hörte mich denn aus der Engel
Ordnungen? und gesetzt selbst, es nähme
einer mich plötzlich ans Herz: ich verginge von seinem
stärkeren Dasein. Denn das Schöne ist nichts
als des Schrecklichen Anfang, den wir noch grade ertragen,
und wir bewundern es so, weil es gelassen verschmäht,
uns zu zerstören. Ein jeder Engel ist schrecklich.
Und so verhalt ich mich denn und verschlucke den Lockruf
dunkelen Schluchzens. Ach, wen vermögen
wir denn zu brauchen? Engel nicht, Menschen nicht,
und die findigen Tiere merken es schon,
daß wir nicht sehr verläßlich zu Haus sind
in der gedeuteten Welt. Es bleibt uns vielleicht
irgend ein Baum an dem Abhang, daß wir ihn täglich
wiedersähen; es bleibt uns die Straße von gestern
und das verzogene Treusein einer Gewohnheit,
der es bei uns gefiel, und so blieb sie und ging nicht.
O und die Nacht, die Nacht, wenn der Wind voller Weltraum
uns am Angesicht zehrt -, wem bliebe sie nicht, die ersehnte,
sanft enttäuschende, welche dem einzelnen Herzen
mühsam bevorsteht. Ist sie den Liebenden leichter?
Ach, sie verdecken sich nur mit einander ihr Los.
Weißt du's noch nicht? Wirf aus den Armen die Leere
zu den Räumen hinzu, die wir atmen; vielleicht daß die Vögel
die erweiterte Luft fühlen mit innigerm Flug.

Ja, die Frühlinge brauchten dich wohl. Es muteten manche
Sterne dir zu, daß du sie spürtest. Es hob
sich eine Woge heran im Vergangenen, oder
da du vorüberkamst am geöffneten Fenster,
gab eine Geige sich hin. Das alles war Auftrag.
Aber bewältigtest du's? Warst du nicht immer
noch von Erwartung zerstreut, als kündigte alles
eine Geliebte dir an? (Wo willst du sie bergen,
da doch die großen fremden Gedanken bei dir
aus und ein gehn und öfters bleiben bei Nacht.)
Sehnt es dich aber, so singe die Liebenden; lange
noch nicht unsterblich genug ist ihr berühmtes Gefühl.
Jene, du neidest sie fast, Verlassenen, die du
so viel liebender fandst als die Gestillten. Beginn
immer von neuem die nie zu erreichende Preisung;
denk: es erhält sich der Held, selbst der Untergang war ihm
nur ein Vorwand, zu sein: seine letzte Geburt.
Aber die Liebenden nimmt die erschöpfte Natur
in sich zurück, als wären nicht zweimal die Kräfte,
dieses zu leisten. Hast du der Gaspara Stampa
denn genügend gedacht, daß irgend ein Mädchen,
dem der Geliebte entging, am gesteigerten Beispiel
dieser Liebenden fühlt: daß ich würde wie sie?
Sollen nicht endlich uns diese ältesten Schmerzen
fruchtbarer werden? Ist es nicht Zeit, daß wir liebend
uns vom Geliebten befrein und es bebend bestehn:
wie der Pfeil die Sehne besteht, um gesammelt im Absprung
mehr zu sein als er selbst. Denn Bleiben ist nirgends.

Stimmen, Stimmen. Höre, mein Herz, wie sonst nur
Heilige hörten: daß die der riesige Ruf
aufhob vom Boden; sie aber knieten,
Unmögliche, weiter und achtetens nicht:
So waren sie hörend. Nicht, daß du Gottes ertrügest
die Stimme, bei weitem. Aber das Wehende höre,
die ununterbrochene Nachricht, die aus Stille sich bildet.
Es rauscht jetzt von jenen jungen Toten zu dir.
Wo immer du eintratest, redete nicht in Kirchen
zu Rom und Neapel ruhig ihr Schicksal dich an?
Oder es trug eine Inschrift sich erhaben dir auf,
wie neulich die Tafel in Santa Maria Formosa.
Was sie mir wollen? leise soll ich des Unrechts
Anschein abtun, der ihrer Geister
reine Bewegung manchmal ein wenig behindert.

Freilich ist es seltsam, die Erde nicht mehr zu bewohnen,
kaum erlernte Gebräuche nicht mehr zu üben,
Rosen, und andern eigens versprechenden Dingen
nicht die Bedeutung menschlicher Zukunft zu geben;
das, was man war in unendlich ängstlichen Händen,
nicht mehr zu sein, und selbst den eigenen Namen
wegzulassen wie ein zerbrochenes Spielzeug.
Seltsam, die Wünsche nicht weiterzuwünschen. Seltsam,
alles, was sich bezog, so lose im Raume
flattern zu sehen. Und das Totsein ist mühsam
und voller Nachholn, daß man allmählich ein wenig
Ewigkeit spürt. - Aber Lebendige machen
alle den Fehler, daß sie zu stark unterscheiden.
Engel (sagt man) wüßten oft nicht, ob sie unter
Lebenden gehn oder Toten. Die ewige Strömung
reißt durch beide Bereiche alle Alter
immer mit sich und übertönt sie in beiden.

Schließlich brauchen sie uns nicht mehr, die Früheentrückten,
man entwöhnt sich des Irdischen sanft, wie man den Brüsten
milde der Mutter entwächst. Aber wir, die so große
Geheimnisse brauchen, denen aus Trauer so oft
seliger Fortschritt entspringt -: könnten wir sein ohne sie?
Ist die Sage umsonst, daß einst in der Klage um Linos
wagende erste Musik dürre Erstarrung durchdrang;
daß erst im erschrockenen Raum, dem ein beinah göttlicher Jüngling
plötzlich für immer enttrat, die Leere in jene
Schwingung geriet, die uns jetzt hinreißt und tröstet und hilft.

:bow::bow::bow::bow::bow::bow::bow::bow::bow::bow: :bow::bow::bow:

Schloß Duino:
http://img3.imageshack.us/img3/7877/181442819756978b9266.jpg (http://imageshack.us)

Pikes
19.03.2009, 14:08
Ich hatt’ einen Kameraden,
Einen bessern findst du nit.
Die Trommel schlug zum Streite,
Er ging an meiner Seite
In gleichem Schritt und Tritt.

Eine Kugel kam geflogen,
Gilt’s mir oder gilt es dir?
Ihn hat es weggerissen,
Er liegt mir vor den Füßen,
Als wär’s ein Stück von mir.

Will mir die Hand noch reichen,
Derweil ich eben lad.
Kann dir die Hand nicht geben,
Bleib du im ew’gen Leben
Mein guter Kamerad!


1809 Ludwig Uhland

-25Grad
01.04.2009, 17:38
Mein Lieblingsdichter ist Joseph von Eichendorff.

Morgengebet

O wunderbares, tiefes Schweigen,
Wie einsam ist's noch auf der Welt!
Die Wälder nur sich leise neigen,
Als ging' der Herr durch's stille Feld.

Ich fühl' mich recht wie neu geschaffen,
Wo ist die Sorge nun und Not?
Was mich noch gestern wollt' erschlaffen,
Ich schäm' mich des im Morgenrot.

Die Welt mit ihrem Gram und Glücke
Will ich, ein Pilger, frohbereit
Betreten nur wie eine Brücke
Zu dir, Herr, über'n Strom der Zeit.

Und buhlt mein Lied, auf Weltgunst lauernd,
Um schnöden Sold der Eitelkeit;
Zerschlag' mein Saitenspiel, und schauernd
Schweig' ich vor dir in Ewigkeit.

marc
14.05.2009, 21:23
http://img61.imageshack.us/img61/7030/226931.jpg (http://img61.imageshack.us/my.php?image=226931.jpg)

Fernando Pessoa:

Der Mond, durch die hohen Zweige
schimmernd,
sagen die Dichter alle, sei mehr
als der Mond, durch die hohen
Zweige schimmernd.
Mir aber, der sich nicht
vorstellen kann,
was der Mond, durch die hohen
Zweige schimmernd
anders sein könnte
als der Mond, durch die hohen
Zweige schimmernd,
ist er wirklich nicht mehr als der
Mond, durch die hohen
Zweige schimmernd.

+

Gottfried Benn - Menschen getroffen

Ich habe Menschen getroffen, die,
wenn man sie nach ihrem Namen fragte,
schüchtern – als ob sie gar nicht beanspruchen könnten,
auch noch eine Benennung zu haben –
"Fräulein Christian" antworteten und dann:
"wie der Vorname", sie wollten einem die Erfassung erleichtern,
kein schwieriger Name wie "Popiol" oder "Babendererde" –
"wie der Vorname" – bitte, belasten sie Ihr Erinnerungsvermögen nicht!

Ich habe Menschen getroffen, die
mit Eltern und vier Geschwistern in einer Stube
aufwuchsen, nachts, die Finger in den Ohren,
am Küchenherde lernten,
hochkamen, äußerlich schön und ladylike wie Gräfinnen –
und innerlich sanft und fleißig wie Nausikaa,
die reine Stirn der Engel trugen.

Ich habe mich oft gefragt und keine Antwort gefunden,
woher das Sanfte und das Gute kommt,
weiß es auch heute nicht und muss nun gehen.

Staatenloser
23.05.2009, 19:08
Schlechte Aussichten

Die Welt steht wieder still,
Als wäre sie am Ziel.
Der Fortschritt, den man will,
Ist nur ein Börsenspiel.

Ermüdet und erschlafft
Im zweifelhaften Glück
Läßt Wille, Mut und Kraft
sich drängen schon zurück.

O unaussprechlich Leid
Fürs deutsche Vaterland,
Daß unsre große Zeit
So kleine Menschen fand!

Hoffmann v. Fallersleben 24. August 1872

Apotheos
26.06.2009, 20:03
L'Ange du Meridien

Chartres

Im Sturm, der um die starke Kathedrale
wie ein Verneiner stürzt der denkt und denkt,
fühlt man sich zärtlicher mit einem Male
von deinem Lächeln zu dir hingelenkt:

lächelnder Engel, fühlende Figur,
mit einem Mund, gemacht aus hundert Munden:
gewahrst du gar nicht, wie dir unsre Stunden
abgleiten von der vollen Sonnenuhr,

auf der des Tages ganze Zahl zugleich,
gleich wirklich, steht in tiefem Gleichgewichte,
als wären alle Stunden reif und reich.

Was weißt du, Steinerner, von unserm Sein?
und hältst du mit noch seligerm Gesichte
vielleicht die Tafel in die Nacht hinein?



Rainer Maria Rilke, Mai/Juni 1906, Paris

Apotheos
01.07.2009, 16:03
Nachtgedanken

Weltenweiter Wandrer,
walle fort in Ruh..........
Also kennt kein andrer
Menschenleid wie - du.

Wenn mit lichtem Leuchten
du beginnst den Lauf.
schlägt der Schmerz die feuchten
Augen zu dir auf.

Drinnen liegt - als riefen
sie dir zu: versteh ! -
tief in ihren Tiefen
eine Welt von Weh.........

Tausend Tränen reden
ewig ungestillt, - -
und in einer jeden
spiegelt sich dein Bild.

Frühes Gedicht, 1894, Rainer Maria Rilke

Gryphus
01.07.2009, 16:10
Friedrich Schiller, Kassandra (1802)


Freude war in Trojas Hallen,
Eh die hohe Feste fiel;
Jubelhymnen hört man schallen
In der Saiten goldnes Spiel;
Alle Hände ruhen müde
Von dem thränenvollen Streit,
Weil der herrliche Pelide
Priams schöne Tochter freit.

Und geschmückt mit Lorberreisern,
Festlich wallet Schaar auf Schaar
Nach der Götter heil'gen Häusern,
Zu des Thymbriers Altar.
Dumpf erbrausend durch die Gassen
Wälzt sich die bacchant'sche Lust,
Und in ihrem Schmerz verlassen
War nur eine traur'ge Brust.

Freudlos in der Freude Fülle,
Ungesellig und allein,
Wandelte Kassandra stille
In Apollos Lorbeerhain.
In des Waldes tiefste Gründe
Flüchtete die Seherin,
Und sie warf die Priesterbinde
Zu der Erde zürnend hin:

Alles ist der Freude offen,
Alle Herzen sind beglückt,
Und die alten Eltern hoffen,
Und die Schwester steht geschmückt.
Ich allein muß einsam trauern,
Denn mich flieht der süße Wahn,
Und geflügelt diesen Mauern
Seh' ich das Verderben an.

Eine Fackel seh' ich glühen,
Aber nicht in Hymens Hand;
Nach den Wolken seh' ich ziehen,
Aber nicht wie Opferbrand.
Feste seh' ich froh bereiten,
Doch im ahnungsvollen Geist
Hör' ich schon des Gottes Schreiten,
Der sie jammervoll zerreißt.

Und sie schelten meine Klagen,
Und sie höhnen meinen Schmerz.
Einsam in die Wüste tragen
Muß ich mein gequältes Herz,
Von den Glücklichen gemieden
Und den Fröhlichen ein Spott!
Schweres hast du mir beschieden,
Pythischer, du arger Gott!

Dein Orakel zu verkünden,
Warum warfest du mich hin
In die Stadt der ewig Blinden
Mit dem aufgeschloßnen Sinn?
Warum gabst du mir zu sehen,
Was ich doch nicht wenden kann?
Das Verhängte muß geschehen,
Das Gefürchtete muß nahn.

Frommt's, den Schleier aufzuheben,
Wo das nahe Schreckniß droht?
Nur der Irrthum ist das Leben,
Und das Wissen ist der Tod.
Nimm, o nimm die traur'ge Klarheit,
Mir vom Aug den blut'gen Schein!
Schrecklich ist es, deiner Wahrheit
Sterbliches Gefäß zu sein.

Meine Blindheit gib mir wieder
Und den fröhlich dunklen Sinn!
Nimmer sang ich freud'ge Lieder,
Seit ich deine Stimme bin.
Zukunft hast du mir gegeben,
Doch du nahmst den Augenblick,
Nahmst der Stunde fröhlich Leben -
Nimm dein falsch Geschenk zurück!

Nimmer mit dem Schmuck der Bräute,
Kränzt' ich mir das duft'ge Haar,
Seit ich deinem Dienst mich weihte
An dem traurigen Altar.
Meine Jugend war nur Weinen,
Und ich kannte nur den Schmerz,
Jede herbe Noth der Meinen
Schlug an mein empfindend Herz.

Fröhlich seh' ich die Gespielen,
Alles um mich lebt und liebt
In der Jugend Lustgefühlen,
Mir nur ist das Herz getrübt.
Mir erscheint der Lenz vergebens,
Der die Erde festlich schmückt;
Wer erfreute sich des Lebens,
Der in seine Tiefen blickt!

Selig preis' ich Polyxenen
In des Herzens trunknem Wahn,
Denn den Besten der Hellenen
Hofft sie bräutlich zu umfahn.
Stolz ist ihre Brust gehoben,
Ihre Wonne faßt sie kaum,
Nicht euch, Himmlische dort oben,
Neidet sie in ihrem Traum.

Und auch ich hab' ihn gesehen,
Den das Herz verlangend wählt!
Seine schönen Blicke flehen,
Von der Liebe Gluth beseelt.
Gerne möcht' ich mit dem Gatten
In die heim'sche Wohnung ziehn;
Doch es tritt ein styg'scher Schatten
Nächtlich zwischen mich und ihn.

Ihre bleichen Larven alle
Sendet mir Proserpina;
Wo ich wandre, wo ich walle,
Stehen mir die Geister da.
In der Jugend frohe Spiele
Drängen sie sich grausend ein,
Ein entsetzliches Gewühle!
Nimmer kann ich fröhlich sein.

Und den Mordstahl seh' ich blinken
Und das Mörderauge glühn;
Nicht zur Rechten, nicht zur Linken
Kann ich vor dem Schreckniß fliehn;
Nicht die Blicke darf ich wenden,
Wissend, schauend, unverwandt
Muß ich mein Geschick vollenden
Fallend in dem fremden Land -

Und noch hallen ihre Worte -
Horch! da dringt verworrner Ton
Fernher aus des Tempels Pforte,
Todt lag Thetis' großer Sohn!
Eris schüttelt ihre Schlangen,
Alle Götter fliehn davon,
Und des Donners Wolken hangen
Schwer herab auf Ilion.

-25Grad
01.07.2009, 22:47
Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren
Sind Schlüssel aller Kreaturen
Wenn die so singen, oder küssen,
Mehr als die Tiefgelehrten wissen,
Wenn sich die Welt ins freie Leben
Und in die freie Welt wird zurück begeben,
Wenn dann sich wieder Licht und Schatten
Zu ächter Klarheit wieder gatten,
Und man in Mährchen und Gedichten
Erkennt die wahren Weltgeschichten,
Dann fliegt vor Einem geheimen Wort
Das ganze verkehrte Wesen fort.

- Novalis