Dayan
05.04.2007, 15:09
Dieser Ungeheuer wird nie wieder jemandem schaden können:http://www.zeit.de/2006/36/Samir DIE ZEIT, 31.08.2006
Die Witwe und der Terrorist
Der Libanese Samir Kuntar führte 1979 ein palästinensisches Kommando nach Israel und ermordete dort einen Vater und seine Tochter. Seither sitzt er in Haft. Der jüngste Nahostkrieg begann auch als Versuch, ihn freizupressen Von Reiner Luyken
Neben der Stadteinfahrt ins libanesische Sidon hängt in einem Rahmen aus Stahlrohr ein riesiges Poster. Darauf ist ein überdimensionales Gesicht abgebildet, mit buschigen Augenbrauen, fleischiger Nase und einem dichten Schnauzbart. Die auffallend großen Augen starren jeden Autofahrer eindringlich an, 15 dieser monumentalen Bilder sind an prominenten Stellen im Libanon aufgestellt. Es ist das Gesicht von Samir Kuntar, seit 27 Jahren in Israel inhaftiert.
Am 22. April 1979 ermordete der Libanese Kuntar als Führer eines palästinensischen Kommandos in der nordisraelischen Stadt Naharija ein vierjähriges Mädchen und dessen Vater. In Israel gilt er seitdem als einer der brutalsten Terroristen. Für die meisten Libanesen hingegen ist der »am längsten in Israel festgehaltene libanesische Kriegsgefangene« ein Held des Widerstandes. Und mit jedem Jahr der Gefangenschaft gewann Samir Kuntar stärker an Bedeutung und konnte so als Grund für immer blutigere Terrorakte herhalten und als Joker in internationalen Gesprächen über Gefangenenaustausch.
In Sidon – ein gutes Stück hinter dem Poster im Zentrum der Stadt – lebt der Mann, der Kuntar an jenem 22. April 1979 aussandte: Muhammad Jassin, Chef der Palästinensischen Befreiungsfront (PLF), die ihren größten Anhang in den palästinensischen Flüchtlingslagern des Libanons hat und mit der PLO Jassir Arafats liiert ist. Muhammad Jassin steht auf dem Balkon im dritten Stock eines Hauses und begutachtet von oben den Besucher, unten warten drei junge Männer auf seine Anweisungen. Als er zustimmend nickt, nehmen sie dessen Wagen in ihre Obhut und führen den Gast nach oben zu ihrem Chef.
Der spricht über den jüngsten Krieg.
»Viele Leute haben vergessen, warum dieser Krieg ausbrach«, sagt Jassin. »Hisbollah kidnappte am 12. Juli 2006 zwei israelische Soldaten als Faustpfand für Kuntars Befreiung.«
In der Tat, die Entführung der israelischen Soldaten Ehud Goldwasser und Eldad Regev lief unter dem Namen al-Wa’d al-Adeq. »Die Erfüllung des Versprechens«. Jenes Versprechens nämlich, das der Hisbollah-Führer Hassan Nasrallah am 22. April dieses Jahres, dem Jahrestag von Kuntars Kommandoaktion und Festnahme, gegeben hatte: Noch in diesem Jahr werde er den prominenten Gefangenen nach Hause bringen.
Am vorigen Wochenende nun räumte Nasrallah ein, dass er den Befehl zur Entführung der beiden Soldaten nicht gegeben hätte, hätte er die israelische Reaktion und die Folgen für den Libanon vorausgesehen – und schlug Israel erneut einen Gefangenenaustausch vor.
Samir Kuntar. Wer ist dieser Mann, der aus so langer Haft heraus im Nahen Osten eine so große Rolle spielt, dass er sogar einen Krieg auslösen oder seine Auslösung immerhin populär begründen kann, dessen Name in der übrigen Welt jedoch so gut wie unbekannt ist?
Damals, 1979, sei Kuntar erst 17 Jahre alt gewesen, sagt sein Kommandeur Muhammad Jassin, doch »er hatte die Reife eines 30-Jährigen«. Jassin erinnert sich an den Teenager als »perfekten Kämpfer«. Er habe fraglos jeden Befehl erfüllt. Die Organisation sei ihm wichtiger gewesen als die Familie. 1978 saß er nach einem fehlgeschlagenen terroristischen Unternehmen neun Monate in einem jordanischen Gefängnis. Nach der Entlassung besuchte er nicht sein Elternhaus, sondern kehrte direkt ins Trainingslager zurück. Er wurde, obwohl der Jüngste der Gruppe, von der PLF zum Führer eines vier Mann starken Kommandotrupps ernannt.
Kuntar war auch der körperlich Kleinste. Das sieht man auf einem 1979 aufgenommenen Foto – hinge nicht die Kalaschnikow über seiner rechten Schulter, könnte man meinen, es zeige eine provinzielle Beatles-Nachahmer-Band. Alle vier tragen langes Haar und Schlaghose, auf Kuntars Oberlippe flaumt ein juveniler Schnauzbart. Diese vier waren es, die sich auf die nach dem 1970 gestorbenen ägyptischen Präsidenten benannte »Operation Nasser« vorbereiteten. Eine Operation, von der keiner wiederkehren würde.
Jassin zufolge sollte die Operation Nasser ein Protest gegen den Frieden von Camp David von 1979 sein. In dem dort ausgehandelten Friedensschluss zwischen Israel und Ägypten sah die PLF einen schändlichen Verrat arabischer Interessen. In einem Schlauchbot startete Kuntars Trupp vom kleinen Dorf Sor bei Tyros aus und überwand die israelische Grenze über das Mittelmeer.
»Sie erschossen meinen Mann vor den Augen unserer Tochter«
Geplant war, zumindest ist das Jassins Version, dass der Trupp sich nach der Landung in der Kleinstadt Naharija in zwei Gruppen trennte. Die eine Gruppe sollte die israelischen Streitkräfte in ein Ablenkungsgefecht verwickeln, während Kuntar und ein Mitstreiter einen Mann namens Danny Haran entführten. Haran sei ein prominenter Atomphysiker, hieß es, dessen Adresse der PLF von palästinensischen Agenten zugespielt worden sei. Alles lief nach Plan, bis Harans Tochter sich schreiend an ihren Vater klammerte, als der abgeführt wurde. Am Strand seien dann der Vater und das Mädchen im Kreuzfeuer umgekommen, sagt Jassin.
In einer Beschreibung der Witwe Danny Harans, die die Washington Post vor drei Jahren veröffentlichte, erscheint der Überfall allerdings in einem sehr anderen Licht. »Danny, unsere vierjährige Tochter Einat, ihre zweijährige Schwester Jael und ich wurden nach Mitternacht von Schüssen und Explosionen geweckt«, berichtete Smadar Haran Kaiser. »Ich öffnete die Tür unseres Apartments. In dem Augenblick stürmten die Terroristen das Treppenhaus hinauf. Sie drehten sich um und sahen mich. Da ging das Licht aus. Sie rannten weiter. Eine Nachbarin hastete vorbei. Ich zog sie in unsere Wohnung. Mein Mann half ihr, mir und der kleinen Jael, uns in einem Hohlraum über unserer Wohnung zu verstecken. Dann nahm er Einat auf den Arm und versuchte, in den Luftschutzkeller zu entkommen. In dem Moment stürmten die Terroristen unsere Wohnung. Ich werde nie den Hass und das Jagdfieber in ihren Stimmen vergessen, als sie nach uns suchten. Ich hielt mit meiner Hand Jaels Mund zu, damit sie nicht schreien konnte und uns verriet. Mir gingen die Erzählungen meiner Mutter durch den Kopf, als sie sich mit ihrer Familie im Warschauer Ghetto vor den Nazis versteckte. Dann gaben die Terroristen die Suche nach uns auf und führten Danny und Einat zum Strand hinunter. Dort erschoss einer von ihnen Danny vor den Augen unserer Tochter. Dann zerschlug er ihren Schädel mit dem Gewehrkolben auf einem Felsen. Das war Samir Kuntar. Als meine Nachbarin und ich Stunden später in unserem Versteck gefunden wurden, war meine andere Tochter ebenfalls tot. Ich hatte sie bei dem Versuch, unser Leben zu retten, erstickt.«
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Gibt man den Namen »Samir Kuntar« in eine Suchmaschine im Internet ein, stößt man auf die Website »Freiheit für Samir Kuntar«.
Dort wird die Operation Nasser wie folgt beschrieben: »Das Ziel war, eine der größten Militärbasen Israels anzugreifen und der Siedlertätigkeit in diesem Teil Palästinas Einhalt zu gebieten.«
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Die Witwe und der Terrorist
Der Libanese Samir Kuntar führte 1979 ein palästinensisches Kommando nach Israel und ermordete dort einen Vater und seine Tochter. Seither sitzt er in Haft. Der jüngste Nahostkrieg begann auch als Versuch, ihn freizupressen Von Reiner Luyken
Neben der Stadteinfahrt ins libanesische Sidon hängt in einem Rahmen aus Stahlrohr ein riesiges Poster. Darauf ist ein überdimensionales Gesicht abgebildet, mit buschigen Augenbrauen, fleischiger Nase und einem dichten Schnauzbart. Die auffallend großen Augen starren jeden Autofahrer eindringlich an, 15 dieser monumentalen Bilder sind an prominenten Stellen im Libanon aufgestellt. Es ist das Gesicht von Samir Kuntar, seit 27 Jahren in Israel inhaftiert.
Am 22. April 1979 ermordete der Libanese Kuntar als Führer eines palästinensischen Kommandos in der nordisraelischen Stadt Naharija ein vierjähriges Mädchen und dessen Vater. In Israel gilt er seitdem als einer der brutalsten Terroristen. Für die meisten Libanesen hingegen ist der »am längsten in Israel festgehaltene libanesische Kriegsgefangene« ein Held des Widerstandes. Und mit jedem Jahr der Gefangenschaft gewann Samir Kuntar stärker an Bedeutung und konnte so als Grund für immer blutigere Terrorakte herhalten und als Joker in internationalen Gesprächen über Gefangenenaustausch.
In Sidon – ein gutes Stück hinter dem Poster im Zentrum der Stadt – lebt der Mann, der Kuntar an jenem 22. April 1979 aussandte: Muhammad Jassin, Chef der Palästinensischen Befreiungsfront (PLF), die ihren größten Anhang in den palästinensischen Flüchtlingslagern des Libanons hat und mit der PLO Jassir Arafats liiert ist. Muhammad Jassin steht auf dem Balkon im dritten Stock eines Hauses und begutachtet von oben den Besucher, unten warten drei junge Männer auf seine Anweisungen. Als er zustimmend nickt, nehmen sie dessen Wagen in ihre Obhut und führen den Gast nach oben zu ihrem Chef.
Der spricht über den jüngsten Krieg.
»Viele Leute haben vergessen, warum dieser Krieg ausbrach«, sagt Jassin. »Hisbollah kidnappte am 12. Juli 2006 zwei israelische Soldaten als Faustpfand für Kuntars Befreiung.«
In der Tat, die Entführung der israelischen Soldaten Ehud Goldwasser und Eldad Regev lief unter dem Namen al-Wa’d al-Adeq. »Die Erfüllung des Versprechens«. Jenes Versprechens nämlich, das der Hisbollah-Führer Hassan Nasrallah am 22. April dieses Jahres, dem Jahrestag von Kuntars Kommandoaktion und Festnahme, gegeben hatte: Noch in diesem Jahr werde er den prominenten Gefangenen nach Hause bringen.
Am vorigen Wochenende nun räumte Nasrallah ein, dass er den Befehl zur Entführung der beiden Soldaten nicht gegeben hätte, hätte er die israelische Reaktion und die Folgen für den Libanon vorausgesehen – und schlug Israel erneut einen Gefangenenaustausch vor.
Samir Kuntar. Wer ist dieser Mann, der aus so langer Haft heraus im Nahen Osten eine so große Rolle spielt, dass er sogar einen Krieg auslösen oder seine Auslösung immerhin populär begründen kann, dessen Name in der übrigen Welt jedoch so gut wie unbekannt ist?
Damals, 1979, sei Kuntar erst 17 Jahre alt gewesen, sagt sein Kommandeur Muhammad Jassin, doch »er hatte die Reife eines 30-Jährigen«. Jassin erinnert sich an den Teenager als »perfekten Kämpfer«. Er habe fraglos jeden Befehl erfüllt. Die Organisation sei ihm wichtiger gewesen als die Familie. 1978 saß er nach einem fehlgeschlagenen terroristischen Unternehmen neun Monate in einem jordanischen Gefängnis. Nach der Entlassung besuchte er nicht sein Elternhaus, sondern kehrte direkt ins Trainingslager zurück. Er wurde, obwohl der Jüngste der Gruppe, von der PLF zum Führer eines vier Mann starken Kommandotrupps ernannt.
Kuntar war auch der körperlich Kleinste. Das sieht man auf einem 1979 aufgenommenen Foto – hinge nicht die Kalaschnikow über seiner rechten Schulter, könnte man meinen, es zeige eine provinzielle Beatles-Nachahmer-Band. Alle vier tragen langes Haar und Schlaghose, auf Kuntars Oberlippe flaumt ein juveniler Schnauzbart. Diese vier waren es, die sich auf die nach dem 1970 gestorbenen ägyptischen Präsidenten benannte »Operation Nasser« vorbereiteten. Eine Operation, von der keiner wiederkehren würde.
Jassin zufolge sollte die Operation Nasser ein Protest gegen den Frieden von Camp David von 1979 sein. In dem dort ausgehandelten Friedensschluss zwischen Israel und Ägypten sah die PLF einen schändlichen Verrat arabischer Interessen. In einem Schlauchbot startete Kuntars Trupp vom kleinen Dorf Sor bei Tyros aus und überwand die israelische Grenze über das Mittelmeer.
»Sie erschossen meinen Mann vor den Augen unserer Tochter«
Geplant war, zumindest ist das Jassins Version, dass der Trupp sich nach der Landung in der Kleinstadt Naharija in zwei Gruppen trennte. Die eine Gruppe sollte die israelischen Streitkräfte in ein Ablenkungsgefecht verwickeln, während Kuntar und ein Mitstreiter einen Mann namens Danny Haran entführten. Haran sei ein prominenter Atomphysiker, hieß es, dessen Adresse der PLF von palästinensischen Agenten zugespielt worden sei. Alles lief nach Plan, bis Harans Tochter sich schreiend an ihren Vater klammerte, als der abgeführt wurde. Am Strand seien dann der Vater und das Mädchen im Kreuzfeuer umgekommen, sagt Jassin.
In einer Beschreibung der Witwe Danny Harans, die die Washington Post vor drei Jahren veröffentlichte, erscheint der Überfall allerdings in einem sehr anderen Licht. »Danny, unsere vierjährige Tochter Einat, ihre zweijährige Schwester Jael und ich wurden nach Mitternacht von Schüssen und Explosionen geweckt«, berichtete Smadar Haran Kaiser. »Ich öffnete die Tür unseres Apartments. In dem Augenblick stürmten die Terroristen das Treppenhaus hinauf. Sie drehten sich um und sahen mich. Da ging das Licht aus. Sie rannten weiter. Eine Nachbarin hastete vorbei. Ich zog sie in unsere Wohnung. Mein Mann half ihr, mir und der kleinen Jael, uns in einem Hohlraum über unserer Wohnung zu verstecken. Dann nahm er Einat auf den Arm und versuchte, in den Luftschutzkeller zu entkommen. In dem Moment stürmten die Terroristen unsere Wohnung. Ich werde nie den Hass und das Jagdfieber in ihren Stimmen vergessen, als sie nach uns suchten. Ich hielt mit meiner Hand Jaels Mund zu, damit sie nicht schreien konnte und uns verriet. Mir gingen die Erzählungen meiner Mutter durch den Kopf, als sie sich mit ihrer Familie im Warschauer Ghetto vor den Nazis versteckte. Dann gaben die Terroristen die Suche nach uns auf und führten Danny und Einat zum Strand hinunter. Dort erschoss einer von ihnen Danny vor den Augen unserer Tochter. Dann zerschlug er ihren Schädel mit dem Gewehrkolben auf einem Felsen. Das war Samir Kuntar. Als meine Nachbarin und ich Stunden später in unserem Versteck gefunden wurden, war meine andere Tochter ebenfalls tot. Ich hatte sie bei dem Versuch, unser Leben zu retten, erstickt.«
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Gibt man den Namen »Samir Kuntar« in eine Suchmaschine im Internet ein, stößt man auf die Website »Freiheit für Samir Kuntar«.
Dort wird die Operation Nasser wie folgt beschrieben: »Das Ziel war, eine der größten Militärbasen Israels anzugreifen und der Siedlertätigkeit in diesem Teil Palästinas Einhalt zu gebieten.«
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