erwin r analyst
04.04.2007, 13:40
http://www.faz.net/s/Rub6B15D93102534C72B5CF6E7956148562/Doc~E78487359F81C49F09C64D360454AC05C~ATpl~Ecommon ~Scontent.html
Wirtschaftsweiser Bert Rürup
„Ein gesetzlicher Mindestlohn wäre das kleinste Übel“
Von Nico Fickinger
04. April 2007
Der Vorsitzende des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Bert Rürup, hat die große Koalition vor der Einführung branchenspezifischer Mindestlöhne gewarnt. „Ein Mindestlohn leistet unabhängig von seiner Ausgestaltung keinen Beitrag zur Lösung des Beschäftigungsproblems. Das kann man für Deutschland jedenfalls weitgehend ausschließen“, sagte Rürup der F.A.Z.
„Wenn man aber aus anderen als aus arbeitsmarktpolitischen Gründen einen Mindestlohn einführen will, dann hätte ein niedriger allgemeiner gesetzlicher Mindestlohn von etwa 4,50 Euro je Stunde noch die wenigsten Nachteile“, betont Rürup. „Der wäre so etwas wie das kleinste ökonomische Übel.“
Kompromiss angedeutet
Der Chef der fünf Wirtschaftsweisen deutet damit einen möglichen Kompromiss in dem seit Monaten schwelenden Streit zwischen Union und SPD an. Während die Sozialdemokraten hohe gesetzliche Mindestlöhne fordern und hilfsweise über das Arbeitnehmer-Entsendegesetz in möglichst vielen Branchen tarifliche Mindestlöhne für allgemeinverbindlich erklären wollen, lehnen CDU und CSU gesetzliche Mindestlöhne kategorisch ab, um negative Beschäftigungswirkungen zu vermeiden.
Auch branchenspezifische Mindestlöhne wollen sie nur zulassen, wenn zuvor soziale Verwerfungen nachgewiesen wurden und die Arbeitgeberverbände zustimmen. Bundesarbeitsminister Franz Müntefering (SPD) strebt eine Einigung der Koalitionsspitzen in der zweiten Aprilhälfte an.
Rürup verwirft sämtliche Alternativmodelle
Sämtliche Modelle, die derzeit von der großen Koalition als Alternative zu einem gesetzlichen Mindestlohn erwogen werden, verwirft Rürup als nicht zielführend. Die gesetzliche Definition der Sittenwidrigkeit, für die die Union Sympathien erkennen lässt, sei nur eine „Scheinlösung“, die einen enormen Bürokratie- und Kontrollaufwand - etwa den Aufbau eines Tarifregisters - nach sich zöge. Branchenspezifische tarifliche Mindestlöhne wiederum, wie sie zuletzt vom SPD-Vorsitzenden Kurt Beck propagiert wurden, hätten „entweder die Funktion, einer gewissen protektionistischen Abschottung Vorschub zu leisten oder die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften zu stärken“.
Gerade das von Müntefering hervorgehobene Ziel, eine fiskalische Ausbeutung des Staates durch die aufstockende Funktion des Arbeitslosengelds II zu verhindern, lasse sich durch Mindestlöhne für einzelne Branchen nicht erreichen. Die Ausweitung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes auf weitere Wirtschaftszweige wäre insofern „eine ungeeignete Antwort“.
Mindestlöhne eigentlich unnötig
Die von Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) eingebrachte Anregung, eine „Lohnschranke“ nur für diejenigen festzulegen, die Arbeitslosengeld II beziehen, sei definitiv nicht besser, betont der Darmstädter Ökonomieprofessor. Denn damit würden „einseitig die Arbeitslosen diskrimiert und durch einen nur für sie geltenden Mindestlohn benachteiligt, der ihre Beschäftigungschancen beeinträchtigt“.
Generell seien in Deutschland Mindestlöhne eigentlich unnötig, „weil wir mit dem Arbeitslosengeld II ein System zur Sicherung eines Mindesteinkommens haben. Die Verhinderung existenzieller Armut ist bei uns dem steuerfinanzierten Transfersystem überantwortet.“ Wenn man überhaupt einen gesetzlichen Mindestlohn definieren wolle, dann müsse sich dieser implizit aus dem Arbeitslosengeld II ableiten und dürfe nicht mehr als etwa 4,50 Euro je Stunde betragen. So ein allgemeiner Mindestlohn würde zwar definitiv keinen Beitrag zur Verbesserung der Beschäftigungschancen der Geringqualifizierten und Langzeitarbeitslosen leisten, aber er hätte zumindest keine relevanten negativen Arbeitsmarkteffekte", sagt Rürup.
Mindestlohn strikt ans Existenzminimum koppeln
Dieser Logik folgend, müsste der Mindestlohn strikt an das garantierte Existenzminimum gekoppelt werden und dürfte folglich nur erhöht werden, wenn auch der Regelsatz der Hartz-IV-Empfänger angehoben werde. „Damit würde man verhindern, dass der Mindestlohn wahltaktisch eingesetzt und in Wahlkampfzeiten angehoben würde“, sagt Rürup. Alternativ könnte man dessen Festsetzung wie in Großbritannien einer politikfernen Kommission überantworten, in der auch die Arbeitgeber vertreten sein müssten.
Sorgen, dass dann künftig auch alle Hartz-IV-Empfänger für höhere Mindestlöhne wären, weil umgekehrt ein höherer Mindestlohn höhere Regelsätze nach sich zöge, hält Rürup für nachvollziehbar, letztlich aber unbegründet, weil der Berechnung des Existenzminimums ein statistisches Modell zugrunde liege und jede willkürliche Erhöhung den Widerstand des Finanzministers hervorrufen dürfte.
Wirtschaftsweiser Bert Rürup
„Ein gesetzlicher Mindestlohn wäre das kleinste Übel“
Von Nico Fickinger
04. April 2007
Der Vorsitzende des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Bert Rürup, hat die große Koalition vor der Einführung branchenspezifischer Mindestlöhne gewarnt. „Ein Mindestlohn leistet unabhängig von seiner Ausgestaltung keinen Beitrag zur Lösung des Beschäftigungsproblems. Das kann man für Deutschland jedenfalls weitgehend ausschließen“, sagte Rürup der F.A.Z.
„Wenn man aber aus anderen als aus arbeitsmarktpolitischen Gründen einen Mindestlohn einführen will, dann hätte ein niedriger allgemeiner gesetzlicher Mindestlohn von etwa 4,50 Euro je Stunde noch die wenigsten Nachteile“, betont Rürup. „Der wäre so etwas wie das kleinste ökonomische Übel.“
Kompromiss angedeutet
Der Chef der fünf Wirtschaftsweisen deutet damit einen möglichen Kompromiss in dem seit Monaten schwelenden Streit zwischen Union und SPD an. Während die Sozialdemokraten hohe gesetzliche Mindestlöhne fordern und hilfsweise über das Arbeitnehmer-Entsendegesetz in möglichst vielen Branchen tarifliche Mindestlöhne für allgemeinverbindlich erklären wollen, lehnen CDU und CSU gesetzliche Mindestlöhne kategorisch ab, um negative Beschäftigungswirkungen zu vermeiden.
Auch branchenspezifische Mindestlöhne wollen sie nur zulassen, wenn zuvor soziale Verwerfungen nachgewiesen wurden und die Arbeitgeberverbände zustimmen. Bundesarbeitsminister Franz Müntefering (SPD) strebt eine Einigung der Koalitionsspitzen in der zweiten Aprilhälfte an.
Rürup verwirft sämtliche Alternativmodelle
Sämtliche Modelle, die derzeit von der großen Koalition als Alternative zu einem gesetzlichen Mindestlohn erwogen werden, verwirft Rürup als nicht zielführend. Die gesetzliche Definition der Sittenwidrigkeit, für die die Union Sympathien erkennen lässt, sei nur eine „Scheinlösung“, die einen enormen Bürokratie- und Kontrollaufwand - etwa den Aufbau eines Tarifregisters - nach sich zöge. Branchenspezifische tarifliche Mindestlöhne wiederum, wie sie zuletzt vom SPD-Vorsitzenden Kurt Beck propagiert wurden, hätten „entweder die Funktion, einer gewissen protektionistischen Abschottung Vorschub zu leisten oder die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften zu stärken“.
Gerade das von Müntefering hervorgehobene Ziel, eine fiskalische Ausbeutung des Staates durch die aufstockende Funktion des Arbeitslosengelds II zu verhindern, lasse sich durch Mindestlöhne für einzelne Branchen nicht erreichen. Die Ausweitung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes auf weitere Wirtschaftszweige wäre insofern „eine ungeeignete Antwort“.
Mindestlöhne eigentlich unnötig
Die von Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) eingebrachte Anregung, eine „Lohnschranke“ nur für diejenigen festzulegen, die Arbeitslosengeld II beziehen, sei definitiv nicht besser, betont der Darmstädter Ökonomieprofessor. Denn damit würden „einseitig die Arbeitslosen diskrimiert und durch einen nur für sie geltenden Mindestlohn benachteiligt, der ihre Beschäftigungschancen beeinträchtigt“.
Generell seien in Deutschland Mindestlöhne eigentlich unnötig, „weil wir mit dem Arbeitslosengeld II ein System zur Sicherung eines Mindesteinkommens haben. Die Verhinderung existenzieller Armut ist bei uns dem steuerfinanzierten Transfersystem überantwortet.“ Wenn man überhaupt einen gesetzlichen Mindestlohn definieren wolle, dann müsse sich dieser implizit aus dem Arbeitslosengeld II ableiten und dürfe nicht mehr als etwa 4,50 Euro je Stunde betragen. So ein allgemeiner Mindestlohn würde zwar definitiv keinen Beitrag zur Verbesserung der Beschäftigungschancen der Geringqualifizierten und Langzeitarbeitslosen leisten, aber er hätte zumindest keine relevanten negativen Arbeitsmarkteffekte", sagt Rürup.
Mindestlohn strikt ans Existenzminimum koppeln
Dieser Logik folgend, müsste der Mindestlohn strikt an das garantierte Existenzminimum gekoppelt werden und dürfte folglich nur erhöht werden, wenn auch der Regelsatz der Hartz-IV-Empfänger angehoben werde. „Damit würde man verhindern, dass der Mindestlohn wahltaktisch eingesetzt und in Wahlkampfzeiten angehoben würde“, sagt Rürup. Alternativ könnte man dessen Festsetzung wie in Großbritannien einer politikfernen Kommission überantworten, in der auch die Arbeitgeber vertreten sein müssten.
Sorgen, dass dann künftig auch alle Hartz-IV-Empfänger für höhere Mindestlöhne wären, weil umgekehrt ein höherer Mindestlohn höhere Regelsätze nach sich zöge, hält Rürup für nachvollziehbar, letztlich aber unbegründet, weil der Berechnung des Existenzminimums ein statistisches Modell zugrunde liege und jede willkürliche Erhöhung den Widerstand des Finanzministers hervorrufen dürfte.