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Vollständige Version anzeigen : "Demokratiedefizite" der EU



cajadeahorros
22.03.2007, 23:16
Roman Herzog, seines Zeichens gewesener Verfassungsrichter und gewesener Bundespräsident, wies vor einiger Zeit darauf hin, dass die EU "in besorgniserregender Weise unter einem Demokratiedefizit und einer faktischen Aufhebung der Gewaltenteilung" leide. Das ist noch milde ausgedrückt, angesichts der Tatsache, dass die europäische Gesetzgebung durch die Exekutive der Mitgliedsländer erfolgt, während das von den Bürgern gewählte EU-Parlament, das in einer Demokratie einzig und allein die gesetzgebende Gewalt haben kann (sofern keine Volksabstimmung möglich ist), als teurer Debattierklub herumsitzt und gelegentlich mitbestimmen darf - der Staatsrechtler Schachtschneider nannte es einen "europäischen Führerstaat". Herzog äußerte auch die Befürchtung, diese Defizite könnten durch die neue Verfassung sogar noch ausgeweitet und festgeschrieben werden. Er hat ihn scheinbar gelesen, den Verfassungsentwurf.

Frau Merkel hat sich nun auf die Fahnen geschrieben, die Durchsetzung der EU-Verfassung (über die ja in Ländern, die noch demokratische Reste bewahren konnten, direkt von den Bürgern abgestimmt wurde, wie es sich für eine Verfassung so gehört) als dringendste Pflicht der deutschen Ratspräsidentschaft anzusehen, also vermutlich mit irgendwelchen scheinlegalen Manövern die Tatsache zu umgehen, dass insbesondere die französischen Bürger einfach keine Lust auf die Verfassung hatten (was ja in der deutschen Presse sofort zum "Denkzettel an Chirac" heruntergespielt wurde, als wäre der Franzose an sich zu dumm, die Tragweite einer solchen Abstimmung zu begreifen).

Gerade bin ich über den Fall des phillipinischen Oppositionspolitikers (oder Terroristen, je nach Betrachtungsweise) J.M. Sison gestolpert (http://www.josemariasison.org/) und in diesem Zusammenhang auf den interessanten Artikel III-322:

KAPITEL V RESTRIKTIVE MASSNAHMEN
Artikel III-322

(1) Sieht ein nach Kapitel II erlassener Europäischer Beschluss die Aussetzung, Einschränkung oder vollständige Einstellung der Wirtschafts und Finanzbeziehungen zu einem oder mehreren Drittländern vor, so erlässt der Rat die erforderlichen Europäischen Verordnungen oder Beschlüsse; er beschließt dabei auf gemeinsamen Vorschlag des Außenministers der Union und der Kommission mit qualifizierter Mehrheit. Er unterrichtet hierüber das Europäische Parlament.

(2) Sieht ein nach Kapitel II erlassener Europäischer Beschluss dies vor, so kann der Rat nach dem Verfahren des Absatzes 1 restriktive Maßnahmen gegen natürliche oder juristische Personen sowie Gruppierungen oder nichtstaatliche Einheiten erlassen.

(http://europa.eu.int/constitution/de/lstoc3_de.htm)

"Der Rat", aus der Exekutive der Mitgliedsländer gebildet, kann jetzt also nicht nur Gesetze erlassen, er kann jetzt auch Sanktionen (also Strafen) gegen einzelne Bürger beschließen (was eigentlich nicht nur Sache der Judikative wäre, sondern in einem Rechtsstaat auch erst nach einem Gerichtsverfahren möglich sein sollte). "Der Rat" könnte also bspw. Konten und Vermögen eines Udo Voigt oder eines Stefan Engel einfrieren, ohne dass ein Gerichtsurteil dafür vorliegen muss - die Niederländische Regierung hat dies bei Sison getan.

Das ist die freiheitlich-westliche Demokratie, in deren Namen man jedes Land bombardieren darf.

Achsel-des-Bloeden
23.03.2007, 00:47
Gerade weil ich an Europa hänge, bin ich GEGEN die EU!

Weg mit den EU- Mandarinen und ewigen EU- Abzocherländern!
Her mit einem demokratisch legitimiertem Kern- Europa!

cajadeahorros
23.03.2007, 13:14
Gerade weil ich an Europa hänge, bin ich GEGEN die EU!

Weg mit den EU- Mandarinen und ewigen EU- Abzocherländern!
Her mit einem demokratisch legitimiertem Kern- Europa!

Mit passivem Herumsitzen wird das aber in diesem Jahrtausend nichts mehr.

Aber um die Parodie auf eine demokratische Verfassung (man könnte es auch ein Perversion nennen) noch so richtig zu unterstreichen, hat man einen Bürgerbeauftragten aus der Taufe gehoben (in der sicheren Überzeugung, dass die Mehrzahl der Bürger sowieso keine Ahnung mehr hat, welche Funktion ein Parlament in der Demokratie hat).

Artikel I-49
Der Europäische Bürgerbeauftragte
Das Europäische Parlament wählt einen Europäischen Bürgerbeauftragten, der Beschwerden über Missstände bei der Tätigkeit der Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union nach Maßgabe der Verfassung entgegennimmt. Er untersucht diese Beschwerden und erstattet darüber Bericht. Der Europäische Bürgerbeauftragte übt sein Amt in völliger Unabhängigkeit aus.

cajadeahorros
26.03.2007, 22:30
Nachdem seine Heiligkeit der Bayer ebenfalls an Europa herumnörgelt, wollen wir noch einen Blick in die Verfassung werfen:

Artikel I-52 Status der Kirchen und weltanschaulichen Gemeinschaften

(1) Die Union achtet den Status, den Kirchen und religiöse Vereinigungen oder Gemeinschaften in den Mitgliedstaaten nach deren Rechtsvorschriften genießen, und beeinträchtigt ihn nicht.

(2) Die Union achtet in gleicher Weise den Status, den weltanschauliche Gemeinschaften nach den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften genießen.

(3) Die Union pflegt mit diesen Kirchen und Gemeinschaften in Anerkennung ihrer Identität und ihres besonderen Beitrags einen offenen, transparenten und regelmäßigen Dialog.

Sollte also bspw. in Land X noch Reste echter Demokratie vorhanden sein, bspw. ein Volksbegehren oder eine Volksabstimmung, so ist das der EU egal. Sollten aber bspw. in Deutschland Kirchen zu über den Gesetzen stehenden Einrichtungen ernannt werden (was ja bspw. bei den berühmten Arbeitnehmerrechten gilt), so gilt das auch EU-weit.

FranzKonz
19.05.2007, 14:15
Dazu passt hervorragend der unten stehende Artikel.

In der Diskussion um die Einführung der Softwarepatente nach amerikanischem Muster in der EU, die unter der irreführenden Bezeichnung "computerimplementierte Erfindungen" auch von der Bundesregierung unterstützt wurde.

Brigitte Zypries agierte fein nach dem Motto:


Es ist dem Untertanen untersagt, den Maßstab seiner beschränkten Einsicht an die Handlungen der Obrigkeit anzulegen.

Daß dieses Motto aus Zeiten der Feudalherrschaft stammt, ignorierte sie beflissentlich.


Learn Writing

There seems to be some criticism floating around against Poland’s opposition to waving through the „political agreement“ on software patents in Council.

That criticism says that Poland should observe „unwritten rules“ of the Council. The „gentlemen“ in the Council are used to agreeing on a text in one language and translating it later.

Well, my message to these „gentlemen“ is that they should consider learning writing, or maybe find someone who has that ability.

The Council is a bit too important to be run under a set of „unwritten“ rules that differ from those laid down in the rules of procedure.

Of course one could imagine a rule that said „political agreements can only be reversed by unanimous decision“. That would be the negative consensus model the WTO employs in the Dispute Solution Understanding. Blocking the establishment of a panel or the adoption of a report requires unanimity of all WTO members (Article 6 Paragraph 1 and 16 Paragraph 4 DSU). Obviously that helps getting things adopted.

Under the „unwritten rules“, a political agreement can be adopted against the will of all EU Member States except the one holding the presidency. If Luxembourg puts it on the agenda somewhere, no one else can object.

That may or may not be a reasonable way to proceed. However, it is definitely not what the current rules of procedure say.

If someone wants to run the Council by a set of unwritten rules not incorporated in the current rules of procedure, they need to observe the necessary steps to change the written rules.

That is only common sense. Anybody who insists on running the Council based on a set of „unwritten rules“ really has no business influencing any legislation procedure in the first place. Legislation is writing rules. If you can’t do that even for your own procedure, then you clearly are not qualified to write rules everybody else is supposed to follow.

Assuming that running the Council by unwritten rules is acceptable, everybody could make up their own set of unwritten rules. That could be fun.

For example, the United Kingdom might make up a rule that they won’t support any proposal at all until such time as their issue X is resolved in a way they want. (This has actually happened before).

Or Poland and other states that have a language not used in the „political agreement“ might make up a rule that they won’t support any proposal at all before they see it translated in their own language. That would have the added benefit of being what the current rules of procedure actually say now. To quote:

Except as otherwise decided unanimously by the Council on grounds of urgency, the Council shall deliberate and take decisions only on the basis of documents and drafts drawn up in the languages specified in the rules in force governing the languages. (Article 14, Paragraph 1)

The Council confirms that present practice whereby the texts serving as a basis for its deliberations are drawn up in all the languages will continue to apply (Annex III statement m)“

I might be wrong, however. Running the Council by unwritten rules might actually be a great idea.

That is, if your objective is to write one set of rules for software patents designed to fool the public that you won’t allow them, and leave a few loopholes for the „gentlemen“ in the patent offices to grant them anyway based on another set of „unwritten rules“.

If the point of the whole exercise is only to get those „gentlemen“ a larger loophole than the current „as such“, it might actually be just fitting to have the proposal adopted in Council relying on „unwritten rules“.

Update: "The rules in force governing the languages" referred to in Article 14 of the Council rules of procedure cited above are laid down in Regulation 1/1958, as amended by the act of accession of 10 new member states. The latest version is published in the Official Journal L 236 of September 23, 2003, on page 791. The present version is:

"Article 1

The official languages and the working languages of the institutions of the Union shall be Czech, Danish, Dutch, English, Estonian, Finnish, French, German, Greek, Hungarian, Italian, Latvian, Lithuanian, Maltese, Polish, Portuguese, Slovak, Slovenian, Spanish and Swedish."

Article 4

Regulations and other documents of general application shall be drafted in the twenty official languages."

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Posted by Karl-Friedrich Lenz at 11:55 AM
Quelle: http://www.k.lenz.name/LB/archives/cat_patents.html

Grotzenbauer
21.05.2007, 15:36
EU-Zentralistisch!
Heute ist die De-facto-Regierung der EU eine Gruppe von “vorwiegend sozialistischen “ Bürokraten, nicht-gewählten Kommissaren, die von den Regierungen der Mitgliedsstaaten ernannt und vom Defacto-Präsidenten der EU angeführt werden. Sie und ihre Mitarbeiter arbeiten einzig und allein im Interesse der EU, nicht in ihrem nationalen Interesse. Das sogenannte «Europa-Parlament» ist nur eine Schwatzbude mit minimalen Kompetenzen. Es kann keinen Gesetzgebungsprozess veranlassen, und es ist nicht im gleichen Gebäude, ja nicht einmal in der gleichen Stadt wie die Kommission. In seinem eigenen Interesse verstärkt es den Zentralismus und vergrössert seine eigene Macht sowie jene seines engsten Verbündeten, der Kommission. Das EU-Parlament ist kein Freund des Nationalstaates./:(