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Vollständige Version anzeigen : Wille und Freiheit



Klopperhorst
01.11.2006, 20:02
Es wird mal wieder Zeit für den guten Schopenhauer.

Was halten die Anwesenden von folgender Äusserung?


Ueber dies Alles nun aber ist der Tod die große Gelegenheit, nicht mehr Ich zu seyn: wohl Dem, der sie benutzt. Während des Lebens ist der Wille des Menschen ohne Freiheit: auf der Basis seines unveränderlichen Charakters geht sein Handeln, an der Kette der Motive, mit Nothwendigkeit vor sich. Nun trägt aber Jeder in seiner Erinnerung gar Vieles, das er gethan, und worüber er nicht mit sich selbst zufrieden ist. Lebte er nun immerfort; so würde er, vermöge der Unveränderlichkeit des Charakters, auch immerfort auf die selbe Weise handeln. Demnach muß er aufhören zu seyn was er ist, um aus dem Keim seines Wesens als ein neues und anderes hervorgehn zu können, Daher löst der Tod jene Bande: der Wille wird wieder frei ...

(A. Schopenhauer, "Die Welt als Wille und Vorstellung")

p.s.
Jetzt bitte keine Moralpredigten über Suizid, ich will nur die oben genannten Dinge erörtern.


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-jmw-
01.11.2006, 20:23
Hmm...
Versteh ich nicht.
Herr Schopenhauer scheint hier davon auszugehen, dass der "unverändliche Charakter" beim Tode aufhört, zu bestehen, so dass der "Wille" nicht mehr von ihm abhängig und also "frei" ist.

Ich kenne mich in der schpenhauerschen Begriffswelt nun nicht aus, finde es aber merkwürdig, dass Wille und Charakter getrennt werden.

Ausserdem: Inwieweit verschwindet mein Ich, wenn mein Charakter verschwindet?

Ist der "Wille" hier sowas wie die Seele und der Charakter sowas wie der Geist?

Und wie falsch liege ich, wenn ich mich an den Buddhismus erinnert fühle?

Und...
Und jetzt geh ich schlafen. :]

mfg

Klopperhorst
01.11.2006, 21:27
Hmm...
Versteh ich nicht.
Herr Schopenhauer scheint hier davon auszugehen, dass der "unverändliche Charakter" beim Tode aufhört, zu bestehen, so dass der "Wille" nicht mehr von ihm abhängig und also "frei" ist.

Ich kenne mich in der schpenhauerschen Begriffswelt nun nicht aus, finde es aber merkwürdig, dass Wille und Charakter getrennt werden.

Ausserdem: Inwieweit verschwindet mein Ich, wenn mein Charakter verschwindet?

Ist der "Wille" hier sowas wie die Seele und der Charakter sowas wie der Geist?

Und wie falsch liege ich, wenn ich mich an den Buddhismus erinnert fühle?

Und...
Und jetzt geh ich schlafen. :]

mfg

Während der Befruchtung herrscht ziemliches Chaos. Auf molekularer Ebene wirkt der Zufall (quantenmechanische Effekte). Ich kann mir nur so Schopenhauers System der Freiheit erklären. Aber damit wäre er naturwissenschaftlich bestätigt.

Ist aber das Genom erst mal zusammengesetzt, wirkt es in der Zeit nach strenger Notwendigkeit fort. So kann also nur etwas NEUES entstehen, indem es wieder zu einem Befruchtungsakt kommt, das Alte muss sterben, um im Neuen wieder das Licht der Welt zu erblicken. Der Zeugungsakt ist ein Akt schöpferischer Freiheit, denn selbst wenn Mutter und Vater die selben, werden sie immer verschiedenartige Nachkommen zeugen, die sich körperlich/charakterlich unterscheiden und nie ganz identisch sind.

Also muss es eine schöpferische Freiheit bei der Befruchtung geben, die nicht nach den Gesetzen der Notwendigkeit wirkt.


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Waldgänger
01.11.2006, 22:48
Also herrscht das Reich der Freiheit im Reich der Notwendigkeit? Das würde sich mit der Jünger'schen Idee des "Waldganges" decken. Kein Wunder, einer der "Leuchttürme" Jüngers war, nach seinen eigenen Angaben - neben Nietzsche und Hölderlin - , Schopenhauer.

Kenshin-Himura
01.11.2006, 22:53
Ich finde nach wie vor, dass der Wille bis zu einem bestimmten Maße frei ist.

- Kenshin. -

ppp
02.11.2006, 00:13
natürlich kann man mit fug und recht sagen, daß der wille durch den tod befreit wird. aber da dem willen dann der körper fehlt, gibt es keine möglichkeit mehr, daß dieser wille noch in irgendeiner weise wirksam wird.
tja, dumm gelaufen.

etwas
02.11.2006, 01:13
Ich verstehe den Schopenhauer auch nicht wirklich.
Wie ppp schon sagte: Was will eine Wille ohne etwas wie einen Körper, der diesen Willen ausführt? Oder ist der Wille nur um des Willens wegen?


Während der Befruchtung herrscht ziemliches Chaos. Auf molekularer Ebene wirkt der Zufall (quantenmechanische Effekte). Ich kann mir nur so Schopenhauers System der Freiheit erklären. Aber damit wäre er naturwissenschaftlich bestätigt.
Das entspricht Schopenhauers Definition von Freiheit?



Ist aber das Genom erst mal zusammengesetzt, wirkt es in der Zeit nach strenger Notwendigkeit fort. So kann also nur etwas NEUES entstehen, indem es wieder zu einem Befruchtungsakt kommt, das Alte muss sterben, um im Neuen wieder das Licht der Welt zu erblicken. Der Zeugungsakt ist ein Akt schöpferischer Freiheit, denn selbst wenn Mutter und Vater die selben, werden sie immer verschiedenartige Nachkommen zeugen, die sich körperlich/charakterlich unterscheiden und nie ganz identisch sind.

Also muss es eine schöpferische Freiheit bei der Befruchtung geben, die nicht nach den Gesetzen der Notwendigkeit wirkt.


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Wenn das Genom zusammen gesetzt ist verändert es sich nicht mehr, das kann ich durchaus noch nachvollziehen. Problematisch wirds ab der Stelle, dass das alte wegsterben müsse damit etwas neues entstehen könne:
Inwiefern stirbt bei einem neuen Befruchtungsakt denn das alte weg? Weder Vater noch Mutter, noch das ältere Geschwisterchen sterben bei der Geburt eines neuen Kindes.
Niemandem wird dabei wirklich etwas weggenommen, jedenfalls stirbt nichts weg. Keine Charaktereigenschaften, keine Gene, keine Erfahrungen.

Oder wovon reden wir hier eigentlich?
Ich glaub ich werd mir morgen mal was von dem Herrn zu lesen besorgen... bin jetzt zu müde dafür.

Klopperhorst
02.11.2006, 09:22
Da hier Unklarheiten über die Begriffe herrschen, will ich diese kurz erläutern:

Wille

... ist die Basis aller Erscheinungen der Welt und des Lebens. Wille zum Dasein, kurzum das, was sich in den einfachsten Naturkräften und dem Wollen des Menschen gleichermaßen äussert. Schopenhauer sieht hier keinen Unterschied. Der Wille ist ausserhalb von Raum/Zeit, welche erst durch die Formen des Intellektes ermöglicht werden, also zur Erscheinung gehören, nicht das Primäre darstellen.

Charakter

... ist mit dem Willen des Menschen identisch, insofern der Charakter die Motive, die am Leitfaden der Kausalität an uns treten, reflektiert, also in einer ganz bestimmten ihm gemäßen Weise reagiert. Der Charakter sagt aus, was ein Mensch will. Der Charakter ist angeboren und durch notwendige Prägung bis zur Pubertät ausgereift. Die Grundzüge unserer Selbst stehen fest und sind unveränderbar, insofern ist auch alles, was wir tun notwendig. Lernen gehört nicht zum Charakter sondern zur Vernunft, die nur dazu dient, die Motive in einer klareren Weise an den Charakter treten zu lassen. Das eigentliche Wollen ist somit immer gleich und unveränderlich, also ausserhalb der Zeit angesiedelt.

Wille und Freiheit

Wenn der Tod nun die Erscheinung zerstört, wird der Wille, also Grundlage der Erscheinungen nicht zerstört. Der in der Erscheinung unfreie Wille wird wieder frei. Er kann sich sofort eine neue Manifestation "suchen" und sozusagen in die Welt treten. Jedes Kind der gleichen Eltern ist anders, hier wird die wirkliche Freiheit des ursprünglichen Willens bewusst, nämlich als ausserhalb der Erscheinungen und der Notwendigkeit, angesiedelt.

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politisch Verfolgter
02.11.2006, 11:42
Man sollte Schopenhauer nicht verübeln, wenn ihm Hirnforschungsresultate nicht zur Verfügung standen.

Ein nicht individueller Wille ist der Rechtsraum, es sind dessen Gesetze.
Z.B. also das sog. "politisch Gewollte".
Jeder individuelle Wille ist unlösbar ans Individuum, also an dessen funktionsfähig existierendes Gehirn geknüpft.
Er erlischt mit dem Gehirn.
Lernen ist ein im gesunden Gehirn permanent stattfindender Prozess.
Komplexe Zuammenhänge werden umso besser gelernt bzw. begriffen, erkannt oder analysiert, je weniger bewußtes Nachdenken darüber diesen Erkenntnisprozess stört.

(Deswegen war ich vermutl. immer absoluter Math.-Primus, der das niemals bewußt 'gelernt' hat ;-) )

Reinkarnationsspekulationen sind und bleiben reine Phantasie.
Niemandem darf zugewiesen werden, er sei die Repräsentanz eines Willens, dessen Träger zuvor ein Anderer war.
Damit kämen wir in Teufels Küche.

Wir benötigen die weltbürgerliche Selbstverwirklichung des Individuums.
In einer Marktwirtschaft bilden die materiellen Freiheitsgrade dazu Privatkapital, das damit korrelationseffizient und leistungsadäquat erwirtschaftbar zu sein hat.

Klopperhorst
02.11.2006, 21:47
Ein nicht individueller Wille ist der Rechtsraum, es sind dessen Gesetze.
Z.B. also das sog. "politisch Gewollte".

Ich würde das nicht Wille nennen, eher Erscheinung. Denn was auf Papier steht, ist nur Erscheinung. Erst die Überzeugung also das Wollen der Menschen, dieses zu befolgen und umzusetzen, kann dem entsprechen und weicht meist diametral von jenem ab, weswegen die meisten Gesetze negativer Natur sind, nicht positiver.


Jeder individuelle Wille ist unlösbar ans Individuum, also an dessen funktionsfähig existierendes Gehirn geknüpft.

Zustimmung: Vor allem an den Charakter, der durch dieses Gehirn oder das limbische System representiert wird.

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Klopperhorst
02.11.2006, 22:08
Also herrscht das Reich der Freiheit im Reich der Notwendigkeit?

Es ist die Lehre des Zusammenbestehes der Freiheit mit der Notwendigkeit.

Notwendig ist die Erscheinung des Individuums, so wie es sich gibt, aber diese Erscheinung wurzelt im Willen zum Dasein, der völlig frei ist, d.h. ausserhalb irgendwelcher Kausalketten und ausserhalb von Raum/Zeit.

Ich sehe diese Lehre wie gesagt naturwissenschaftlich durch die quantenmechanischen Zufallseffekte beim Zusammensetzen des Genoms bei der Befruchtung bestätigt, denn hier wirken Prozesse, die nicht aus dem Reich der Notwendigkeit stammen, wohl aber unzweifelhaft mit ihm zusammenfallen.


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